1
Das Lebensende vorbereiten –
eine Herausforderung
Steffen Eychmüller
Palliativzentrum Inselspital Bern
Careum Aarau 25.6.2015
S.Eychmüller
Themen
• Erwartungen und Ziele «late in life»
• Medizinische Diagnosen und Leiden
• Das SENS- Modell als Leitstruktur
• Die Vorbereitung des Lebensendes als Gemeinschaftsprojekt
2
S.Eychmüller
Spitzenmedizin – wir heilen Menschen
S.Eychmüller
Das Image von Palliative Care – wenn die Medizin
am Ende ist
Händchen halten00
0und Kerzen anzünden
0es ist noch
nicht so weit0
3
S.Eychmüller
Der IST- Zustand
Erst-/ Rezidiv-diagnose
lebenslimitierende Erkrankung
Diagnosespezifische
Massnahmen
«Palliativ»
Red flag
S.Eychmüller
Hypothese SOLL
Erst-/ Rezidiv-diagnose
lebenslimitierende Erkrankung
Diagnosespezifische
Massnahmen
Problem-/ Patienten-
Spezifische Massnahmen
4
S.Eychmüller
Von den Erwartungen
Der Weg in die teilweise selbst verschuldete Hilflosigkeit
Die «Macht» und Faszination der Medizin
Die Hoffnung auf Fortschritt und Technik
Das «Recht» auf medizinische Massnahmen
Der gemeinsame Tanz um den Abgrund herum
S.Eychmüller
High- tech- Erwartungen und Patientenverfügung
• Die Unzufriedenheit mit der Patientenrolle
• Die Schieflage der Kommunikation
• Von wegen Kunde8..
• Rechte UND Pflichten am Lebensende: das neue Erwachsenenschutzrecht
Zuerst erhoffen wir uns alles von der Medizin, und zuletzt schützen wir uns vor ihr: das neue Erwachsenen-Schutzrecht
5
S.Eychmüller
Ziele am Lebensende
Möglichst wenig Angst und Distress bei Patient und Angehörigen
Möglichst viel «sense of coherence» (Antonowsky); sich kompetent fühlen gerade in widriger Lebenslage
� Möglichst viel Lebensqualität?
Steinhauser et al., 2000;Heyland D, et al., 2006;
Teno and Dosa, 2006; Higginson et al., 2007, 2012
S.Eychmüller
SOLL
Leiden
IST
Calman K C. Journal of medical ethics 1984; 10: 124-127.
Sense of coherence: abhängig von Erwartungen
Was kann die medizinische Massnahme in dieser individuellen Situation leisten?
6
S.Eychmüller
Erwartungen
• 69% der Patienten mit fortgeschrittenem Lungen- Ca und 81% derjenigen mit fortgeschrittenem Colorektal- Ca
• berichteten NICHT, verstanden zu haben, dassChemotherapie in keiner Weise ihre Krebserkrankungheilen könnte.
NEJM 367;17 2012
S.Eychmüller
Das Lebensende
Zwischen Machsal und Schicksal (O. Marquard 1986)
7
S.Eychmüller
Themen
• Erwartungen und Ziele «late in life»
• Medizinische Diagnosen und Leiden
• Das SENS- Modell als Leitstruktur
• Die Vorbereitung des Lebensendes als Gemeinschaftsprojekt
S.Eychmüller
Beispiel Frau G.
Tumorprogression eines metastasierenden Gallenblasenkarzinoms ED 04/2012 - Stadium IVB (Peritonealkarzinose, Omentum majus) - Infiltration des Duodenums mit sekundärer Duodenalstenose - 18.04.12 CT Abdomen: Cholezystolithiasis mit chronischer Cholezystitis, extrahepatische Cholestase - 19.04.12 ERCP: Plastikstenteinlage zur biliären Drainage bei Stenose im mittleren DHC - 25.04.12 ÖGD und obere EUS: Stenose im Bereich Bulbus duodeni, Cholezystolithiasis, Soorösophagitis, axiale Hiatushernie - 29.04.12 Gastroskopie: Antrumgastritus und Ulkus präpylorisch - 04.05.12 Revisionslaparotomie, retrokolische Gastroenterostomie, Jejuno-Jejunostomie, Biopsien -Patho. Uni Bern: Siegelringzelliges Adenokarzinom im Fettgewebe sowie im Peritoneum - 05/12 Einleitung einer Chemotherapie mit Cisplatin und Gemzar - letzte Chemotherapie 07.08.12 - CT 11.08.12: Vd.a. Stentdysfunktion, Zunahme der Cholestase, Vd.a. Tumorprogression im kleinen Becken
3.Komplexe palliative Situation - Symptome: Niedergeschlagenheit und Verlust des Lebensmutes seit Diagnose der Tumorprogredienz trotz Chemotherapie, Schwäche und Kraftlosigkeit, latente Nausea, intermittierende Oberbauchschmerzen - Entscheidungsfindung: Versuch der Internalisierung der externen Galleableitung, Planung eines sozialen Netzwerkes - Netzwerk: verwitwet seit 2 Jahren, lebt allein in Einfamilienhaus, 1 Tochter (in Bern), 1 Sohn (in München), Freunde, Psychoonkologie (Prof. Bernhard) - Support: Tochter - End of life: Nachlass geregelt, keine lebensverlängernden Massnahmen
St.n. segmentalen Lungenembolien in sämtlichen Lappen (CT 12.06.2012) - unter Fraxiforte
4.Status nach Hepatitis B (anamnestisch 1964)
5.Nebendiagnosen: - C-Gastritis (ED 25.4.2012) - St.n. Soor-Ösophagitis (ED 25.4.2012),aktuell erneuter enoraler Soor - Axiale Hiatushernie - Arterielle Hypertonie - Dyslipidämie - St. nach traumatischer Pankreasruptur 1959
Frage: woran leidet diese Patientin?
8
S.Eychmüller
Frau G – CT- Abdomen/ Becken
S.Eychmüller
Medizinische Optionen
- «nicht mehr kurativ»8.
- Zweit- Linien Chemotherapie
- «Präventives» Ileo- oder Colostoma
- Ggf. Stent ins Rekto - Sigmoid im Enddarm
Wovon profitiert Frau G.
- bezüglich welchem Ziel?
- wann?
- Nebenwirkungen? Aufwand/ Ertrag?
- Der konzeptionelle Rahmen der Optionen
9
S.Eychmüller
«kurativ»
«palliativ»
Problemspezifisch*
Traditionelle Nomenklatur der Therapieausrichtung
Hand in Hand von der Erstdiagnose bis zur letzten Lebensphase
AlternativeNomenklatur
*körperliche, psychische, soziale, spirituelle Bedürfnisse
t
t
Ein Vorschlag
diagnosespezifisch
Problemspezifisch*
S.Eychmüller
Was heilt? Was macht krank?
Universe/
Biosphere
Molecule/ Cell
Mind Body
Ho
listic
-R
ed
uc
tion
istic
ap
pro
ac
hB
io-m
ed
ica
lp
syc
ho
–s
oc
ial
sc
ien
ce
10
S.Eychmüller
Themen
• Erwartungen und Ziele «late in life»
• Medizinische Diagnosen und Leiden
• Das SENS- Modell als Leitstruktur
• Die Vorbereitung des Lebensendes als Gemeinschaftsprojekt
S.Eychmüller
PallCare: Assessment gemäss Patientenagenda
Medizinische
Planung:
Keine Kompetenz
Abhängigkeit
Hilflosigkeit
Vorausplanung
des Alltags:
VielKompetenz
Gemeinschaft
Partnerschaft
11
S.Eychmüller
Die Selbsteffizienz steigern
Vorausplanung nach SENS
S ymptombehandlung
E ntscheidungsfindung
N etzwerk- Organisation
S upport der Angehörigen.
Eychmüller 2006; Lickiss 2003, BAG 2010
S.Eychmüller
Vorausplanung 1
S ymptommanagement (Bsp.)
• Welche Probleme/Themen/ Symptome
bereiten Ihnen derzeit oder für die Zukunft
am meisten Sorgen?
• Aber auch: welche eigenen guten
Erfahrungen haben Sie dabei bereits
gemacht (Ressourcen)? Was bringt Ihnen
Energie?
12
S.Eychmüller
Vorausplanung 2
E ntscheidungsfindung/ End of life Vorbereitung (Bsp.)
• Was ist Ihnen ganz besonders wichtig? Womit möchten Sie die verbleibende Lebenszeit füllen?
• Welche Ziele möchten Sie mit den (u.a. medizinischen) Massnahmen erreichen?
• Auch: Patientenverfügung etc.
S.Eychmüller
Vorausplanung 3
N etzwerk (Bsp.)
• Wo möchte ich am liebsten sein/ bleiben? Wie sind die örtlichen Verhältnisse (bspw. Treppen - Lift, Zugang zu Bad/ WC, wo ist der Hauptaufenthaltsraum, etc.)?
• Von wem kann ich Unterstützung erwarten, erbitten?
• Auch: „Rettungskette“ für Notfall
• Vorausplanung weitere Varianten der Betreuung (bspw. Pflegeinstitution) ?
13
S.Eychmüller
Vorausplanung 4
S upport (Bsp.)
• Machen Sie sich Sorgen um Ihre Familie/
Angehörigen?
• Woher bekommt Ihre Familie/
Angehörigen Unterstützung und Energie?
S.Eychmüller
Gemeinsamer Plan: das Prompt sheet
14
S.Eychmüller
Frau G. - Versuch Summary
S: Inappetenz, zunehmende Schwäche; Angst vor Sterben
E: solange wie möglich zuhause; keine 2nd line Chemo; ggf.
Stent bei Rektum/ Sigma-Kompression
N: die Tochter in der Nähe; das Haus
S: Support für die Tochter
S.Eychmüller
Der Wunsch von Frau G: noch selber mitsteuern
Ein Miteinander auf Augenhöhe in der ganzen Crew: PatientIn trotz eingeschränkter Kraft, Angehörige und
Fachpersonen
15
S.Eychmüller
Themen
• Erwartungen und Ziele «late in life»
• Medizinische Diagnosen und Leiden
• Das SENS- Modell als Leitstruktur
• Die Vorbereitung des Lebensendes als
Gemeinschaftsprojekt
S.Eychmüller
Evidence-based: Vorausplanung bringt es
Temel, Greer et al., NEJM. 2010; JCO 2012
16
S.Eychmüller
Studie Zusammenfassung
Verglichen mit der Standard-onkologischen Versorgung hat
die integrierte Palliative Care geführt zu:
• Verbesserter Lebensqualität
• Vermindertem Distress
• Mehr akkuratem Krankheitsverständnis
• Besserer Dokumentation der Handlungen am Lebensende
• Weniger aggressiver Behandlung am Lebensende
• Längerem Überleben
S.Eychmüller
• 627 Patienten mit fortgeschrittenem Ca
• Longitudinale Studie „baseline“ bis Tod
• In 31% Assessment zum Thema Lebensende
� Kosten 35% niedriger als bei Patienten OHNE Assessment
„The multimillion dollar- conversation“
frühzeitiges palliatives Assessment ist gold-wert
Zhang et al, Arch Intern Med. 2009;169(5):480-488
17
S.Eychmüller
Outcomes und Kosten am Lebensende?
«Spitzen – Care» am Lebensende?
Indikationsqualität medizinischer Interventionen am Lebensende verbessern: was sind outcomes?
• Diagnosis based: ein Stent, eine Chemotherapie oder eine Radiotherapie?
• Problem- based: Home Care und Palliative Care ?�Mit welchen Massnahmen können patienten-
definierte Outcomes am besten erreicht werden?�Welche Massnahme ist wie viel wert? Was wird
bezahlt?
S.Eychmüller
Es geht beim Wert auch um Geld
• Wertigkeit und Werte: homo oeconomicus
• Die betriebswirtschaftliche Perspektive – die volkswirtschaftliche Perspektive
• Wissenschaftlicher Wert (und Macht): hard- und soft skills: menschliche Zuwendung, Empathie = soft skill
• Psychosoziale Fächer = minderwertig?
� Palliative Care: welcher Wert?
18
S.Eychmüller
Gesellschaftlicher Wert
Der heilige Gral der Autonomie
• Von der Solidargemeinschaft zur Ich – AG (U. Bröckling)
• Von der selektiven Wahrnehmung der Prinzipien – Ethik
• Von der Ökonomisierung des Leidens
• U. Bröckling:
«wenn Leben zur ökonomischen
Funktion wird,
bedeutet Desinvestment Tod».
S.Eychmüller
Health promoting palliative care – die Vorbereitung
Allan Kellehaer
• Prävention und Reduktion von “harm”(incl. Trauer)
• Community participation
• “Health and death education”: early communication: Ärzte sind gefragt!
�“Normalisierung des Lebensendes”
� health litteracy/ Kompetenzen fürs Lebensende
�Neudefinition von Erwartungen
19
S.Eychmüller
Eine genuine Aufgabe der Gemeinde?
Was bringt das der Gemeinde?
Zusammenhalt
eingebettet – geborgen –aufgehoben sein
Sinnstiftung
Lernen von jenen, die gehen müssen
Angstverminderung
Lebensende = kein GAU; vorbereitet sein, Gemeinschaft erleben
Learning from India:Neighbourhood-
Network Kerala
Domeisen, Eychmüller, 2012
S.Eychmüller
Vorbereitung nicht erst in letzter Minute –
38
http://www.pilotlight.org.au/Dying-to-Know
People study forweeks for a birth
Why not study for a death?
20
S.Eychmüller
I have a dream
Erst-/ Rezidiv-diagnose
lebenslimitierende Erkrankung
Diagnosespezifische
Massnahmen
Problem-/ Patienten-
Spezifische Massnahmen