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Die EG und das Meer: Versuch einer NeubewertungAuthor(s): Rüdiger WolfrumSource: Archiv des Völkerrechts, 42. Bd., 1. H., Europäische Union and Völkerrecht /European Union and Public International Law (März 2004), pp. 67-79Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40775782 .

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Abhandlungen

Die EG und das Meer: Versuch einer Neubewertung

Dr. Dr. iur. h.c. Rüdiger Wolfrum* Professor am Max-Planck-Institut in Heidelberg

I. Einführung

Weder in den Vertragszielbestimmungen des EG-Vertrages noch in seinen Einzelvorschriften ist die See als Tatbestandselement genannt.1 Dies heißt aber nicht, daß die EG nicht an der allgemeinen seerechtlichen Entwick- lung teilgenommen hätte. Die Zurückhaltung des europäischen Primär- rechts gegenüber dem Seerecht ist angesichts der wirtschaftlichen Bedeu- tung, die die See für Europa hat, erstaunlich. Europäische Eigner kontrol- lieren 34% der Welttonnage - dies sind ca. 8.800 Schiffe, davon 1966 Öltanker. Allerdings sind 67 % dieser Tonnage außerhalb der EG regi- striert. Wirksame Maßnahmen gegen das Ausflaggen sind von der EG nicht ergriffen worden. Die EG verfügt über eine Küstenlänge von 35.000 km mit mehreren hundert Seehäfen. 90 % des Handels mit Erdöl erreicht die EG über See; 70 % des Seeverkehrs für die EG verläuft durch den Är- melkanal. Daß die Seeschiffahrt dennoch eher stiefmütterlich im EG-Ver- trag2 behandelt wird, liegt an der traditionell internationalen Ausrichtung dieses Verkehrszweiges.3 Der Zwang, sich gegen die Flotten der Dritten Welt zu behaupten, führte dann aber ab den 70er Jahren zur Entwicklung einer europäischen Seeverkehrspolitik. Im Vordergrund stand der Ver- such, Wettbewerbsverzerrungen abzubauen. Aber erst 1986 wurden we- sentliche Teile der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit auf den mitgliedstaatlichen Seeverkehr für anwendbar erklärt.4 Mit der Einbezie-

* Antrittsvorlesung in Hamburg am 09.07.03. 1 Vgl. dazu H. P. Ipsen, EWG über See - Zur seerechtlichen Orientierung des europäi-

schen Gemeinschaftsrechts, in Recht über See, Festschrift Stödter, 1979, S. 167, 174; Wolf- gang Graf Vitzthum, Die Europäische Gemeinschaft und das internationale Seerecht, AöR, 1986, S. 33, 37. 2 Art. 80 Abs. 2 EGV.

3 Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, S. 608. * Verordnung (EWG) 4055/86 des Rates vom 22.12.1986 zur Anwendung des Grundsat- zes des freien Dienstleistungsverkehrs auf die Seeschiffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern (ABI. L. 378 vom 31.12.1986, 1); die Anwendung

Archiv des Völkerrechts, Bd. 42 (2004), S. 67-79 © Mohr Siebeck - ISSN 0003-892-X

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hung der Seeschiffahrt in den Binnenmarktprozeß ergaben sich weitere Impulse für die Ausgestaltung der Wettbewerbsordnung. Daneben traten Maßnahmen zur Sicherheit des Schiffsverkehrs. Allerdings ließ sich die Vi- sion einer einheitlichen europäischen Handelsflotte mit eigener Flagge und einem europäischen Register nicht realisieren. Entsprechende Pläne der Kommission wurden 1996 zurückgezogen.5 Eine andere Situation ergibt sich für die Fischerei, die der Gemeinsamen Agrarpolitik zugeordnet ist. Bereits an diesen beiden Beispielen zeigt sich das Dilemma einer euro-

päischen Seerechtspolitik. Letztlich steht einer effektiven Seerechtspolitik der EG das Fehlen um-

fassender Kompetenzen entgegen; sie kann lediglich auf ihre sektoralen Kompetenzen zurückgreifen. Dies führt dazu, daß die Nutzung der See nicht ganzheitlich gesehen wird mit der Konsequenz, daß dem europäi- schen seerechtlichen Tätigwerden die notwendige Kohärenz fehlt, ja feh- len muß. Anhaltspunkte für europäische Maßnahmen von seerechtlicher Rele-

vanz - dabei sind hierunter sowohl europäische gesetzgeberische Maß- nahmen wie eine Mitwirkung an internationalen Abkommen zu verste- hen - bieten die Vorschriften zur Handelspolitik gegenüber Drittländern bzw. der Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete, die zwangsläufig die überseeische Verbindung mit der Gemeinschaft betref- fen. Auf dem Fischereisektor verfügt die EG über umfassende Zuständig- keiten. Diese beinhalten neben der Bewirtschaftung auch den Schutz und die Erhaltung der lebenden Meeresschätze. Einen weiteren seerechtlichen Kompetenzanknüpfungspunkt enthalten die Vorschriften über den Ver- kehr, einschließlich See- und Luftverkehr. Später hinzugetreten sind zu den ursprünglichen europäischen Aufgaben die Außenkompetenzen für den Bereich Umweltschutz. Diese sind für die Entwicklung des „europäi- schen Seerechts" von großer Relevanz. Der EuGH hat diese Kompeten- zen mit seiner Rechtsprechung ausgeweitet, wonach die EG über aus- drückliche Zuständigkeiten hinaus auch dort über Kompetenzen nach außen verfügen muß, wo die Gemeinschaft entsprechende Innenkompe- tenzen hat und diese Kompetenzen extern nur gemeinschaftlich wahrge- nommen werden können.6 Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob die EG von ihren Kompetenzen bereits intern Gebrauch gemacht hat.

des Wettbewerbsregimes erfolgte über die Verordnung (EWG) 4056/86 (ABI. L. 378, vom 31.12.1986, 4), zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1/2003 vom 16.12.2002 (ABI. L 001 vom 4.1.2003, 1). 5 Oppermann (Anm. 3), S. 609. 6 EuGHE 1971, 263ff. = Rs. 22/70 (AETR); EuGHE 1976, 1279ff. = Verb. Rs. 3, 4, 6/1976 (Kramer); vgl. dazu Simmonds, The Evolution of the External Relations Law of the Euro- pean Economic Community, ICLQ 1979, S. 644; Bleckmann, Die Kompetenz der Europäi- schen Gemeinschaft zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge, EuR 1977, S. 109; Opper- mann (Anm. 3), S. 733.

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Bei Zeichnung des Seerechtsübereinkommens am 7. Dezember 1984 hat die Gemeinschaft eine Erklärung hinsichtlich der seerechtlichen Kompe- tenzen abgegeben, die allerdings diese nicht vollständig umschreibt: „The Community points out that its Member States have transferred competence to it with regard to the conservation and management of sea fishing resources. Hence, in the field of sea fishing it is for the Community to adopt the relevant rules and regulations (which are enforced by the Member States) and to enter into external undertakings with third States or competent international organisations.

Furthermore, with regard to rules and regulations for the protection and preservation of the marine environment, the Member States have transferred to the Community compe- tences as formulated in provisions adopted by the Community and as reflected by its participation in certain international agreements (see Annex).

With regard to the provisions of Part X, the Community has certain powers as its purpose is to bring about an economic union based on a customs union.

With regard to Part XI, the Community enjoys competence in matters of commercial policy, including the control of unfair economic practices.

The exercise of the competence that the Member States have transferred to the Commu- nity under the Treaties is, by its very nature, subject to continuous development. As a result, the Community reserves the right to make new declarations at a later date."7

Obwohl auf den ersten Blick der Befund der europäischen Primärkompe- tenzen marginal ist, hat sich die EG in jüngster Zeit intensiv und spekta- kulär mit seerechtlichen Fragen befaßt bzw. - ebenso spektakulär - nicht befaßt. Die Stichworte sind Schiffssicherheit (Havarie der Prestige) und Überfischen. Diese beiden Punkte werde ich in meinen folgenden Aus- führungen problematisieren. Als drittes werde ich ein Problem aus dem marinen Umweltschutz aufgreifen, das es auch erlaubt, auf die Prolifera- tion internationaler Streitbeilegungsinstitutionen einzugehen (Fall MOX Plant).

II. Schiffsverkehr

Die EG hat sich mit Fragen des Schiffsverkehrs aus verschiedenen Grün- den beschäftigt. Die Gemeinschaft ist in hohem Maße auf verläßliche und kostengünstige Seeverkehrsdienste angewiesen. Dennoch ist eine euro- päische Seeschiffahrtspolitik gegenüber Drittstaaten bestenfalls rudimen- tär entwickelt. In erster Linie bemüht sich die Kommission um die Schaf- fung gleicher Wettbewerbsbedingungen. Dies geschieht allerdings nur begrenzt durch Verträge - hier dominieren weiterhin staatliche Eigenin- teressen - sondern durch Erlaß entsprechender Verordnungen. Allerdings müssen diese Dienste unter möglichst geringen Gefahren für die Beteilig-

7 Competence of the European Communities with regard to matters governed by the Convention on the Law of the Sea (declaration made pursuant to Article 2 of Annex IX to the Convention), zu finden unter: http://www.un.org/Depts/los/convention_agreements/ convention_declarations.htm#EuropeanCommunityUponsignature.

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ten und die Meeresumwelt erbracht werden. Insofern ist die EG an in- ternationalen Übereinkommen zur Sicherung des Schiffsverkehrs, an Übereinkommen über die Sicherheit auf See und zum Schutz der Meeres- umwelt beteiligt.

Obwohl die Gemeinschaft von Anfang an für den Seeverkehr über alle Kompetenzen verfügte, die sie zur Regelung der Binnenverkehrsarten be- sitzt, lag die völkervertragliche Sicherung des Schiffsverkehrs zunächst ausschließlich in der Verantwortung der Mitgliedstaaten und erfolgte durch bilaterale Abkommen (Handels-, Freundschafts- und Schiffahrts- abkommen). Auch an dem Verhaltenskodex für Linienkonferenzen8 war die Gemeinschaft nicht unmittelbar beteiligt. Die erste noch auf Art. 84 Abs. 3 EWG-Vertrag gestützte Entscheidung traf der Rat am 13. Septem- ber 1977, und zwar handelte es sich um die Entscheidung zur Einführung eines Konsultationsverfahrens betreffend die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern auf dem Gebiet des Seeverkehrs so- wie die diesbezüglichen Aktionen in internationalen Organisationen.9 Die EG hat allerdings versucht, mit Verordnung (EWG) Nr. 954/79 des Rates10 eine gemeinsame Haltung der Mitgliedstaaten zu erreichen. Mit ihr legte der Rat die Bedingungen fest, unter denen die EG-Staaten den UNCTAD-Verhaltenskodex für die Linienschiffe ratifizieren oder ihm beitreten sollen. Nach dem Unfall der Amoco Cadiz im Frühjahr 1978 befaßte sich der Rat erstmals auch mit Verkehrsfragen und traf Maßnah- men zur Schiffssicherheit.11 Erst in jüngerer Zeit kam es unter Beteiligung der EG zu Vereinbarungen zur Sicherung des Schiffsverkehrs. Auch vor der Einheitlichen Europäischen Akte hat die EG den Meeres-

umweltschutz bereits als eine Materie angesehen, für die eine Gemein- schaftskompetenz bestand. Bei ihrem Umweltprogramm vom 22. No- vember 1973 sah die EG für das Ziel der Verhütung, Verringerung und Beseitigung der Verschmutzung der Meere einen gemeinschaftlichen An- knüpfungspunkt darin, daß sich Maßnahmen des Umweltschutzes regel- mäßig auf den Welthandel, das Funktionieren des gemeinsamen Marktes sowie die EG-Wirtschaftsinteressen allgemein auswirken. Gleichzeitig ging und geht es der EG auch darum, Wettbewerbsverzerrungen zu be- gegnen, die sich aus unterschiedlich belastenden Umweltschutzverpflich- tungen ergeben. Aktiv wurde die Gemeinschaft namentlich auf dem Ge- biet der Verhinderung, Überwachung und Verringerung der Verschmut- zung des Meeres mit Öl.

8 BGB1. 1983, Teil II, 64-103; vgl. Brinkmann, Der UNCTAD-Verhaltenskodex für Li- nienkonferenzen, 1993.

9 ABI. L. 239 vom 17.9.1979, 23. 10 ABI. L. 121 vom 17.5.1979, 1. 11 Vgl. im einzelnen Erdmenger, Art. 84, Rz. 61 in Groeben/Tbiesing/Ehlermann (Hrsg.),

Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Band 1, 5. Auflage 1997, insb. Fn. 110.

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Entsprechend den Vorgaben von Art. 21 und 211 SRÜ hat die EG bis- lang darauf verzichtet, eigene Sicherheitsstandards für den Bau, die Aus- rüstung und Bemannung von Schiffen zu entwickeln. Vielmehr sah sie ihre Aufgabe darin, eine gleiche Anwendung der von der IMO entwickel- ten Regeln auf europäische und ausländische Schiffe sicherzustellen.12 Diese Politik kommt in einer Serie von Empfehlungen des Rates an die Mitgliedstaaten zur Ratifizierung von IMO-Konventionen, wie der SOLAS-Konvention, der MARPOL-Konventionen sowie der Zusatz- protokolle und STCW- Konvention zum Ausdruck.13 In jüngster Zeit hat die EG u.a. die Aktionen der IMO zur Verbesserung der Sicherheit auf See gegen Terrorismus unterstützt;14 sie hat gleichzeitig angekündigt, daß sie sich einseitigen Maßnahmen der USA zur Bekämpfung der Terrorismus- gefahr widersetzen werde. Allerdings hat die Kommission das Mandat er- halten, mit den amerikanischen Zollbehörden ein Abkommen zwischen der Gemeinschaft und den USA über die Entwicklung eines Systems für die Kontrolle der Ausfuhren auszuhandeln. Die EG ist zahlreichen internationalen Umweltschutzübereinkommen

beigetreten.15 Die Havarien von Erika und Prestige haben zu Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen geführt, um die Schiffssicherheit zu erhöhen. Diese Maßnahmen erfolgten auf unterschiedlichen Ebenen und sind un- terschiedlich zu beurteilen.

Seit dem 5.3.2003 liegt der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi- schen Parlaments und des Rates über die Meeresverschmutzung durch Schiffe und die Einführung von Sanktionen, einschließlich strafrechtli-

12 Vgl. dazu Erdmenger, Auswirkungen der EG-Schiffahrtspolitik auf das internationale Seerecht, Schriften des Deutschen Vereins für Internationales Seerecht, Reihe A, 1990, 6. 13 Empfehlung des Rates vom 26.6. 1 978 über die Ratifizierung von Übereinkommen über die Sicherheit im Seeverkehr, ABI. L 194 vom 19.7.1978, 17; Empfehlung des Rates vom 21.12.1978 über die Ratifikation des Internationalen Übereinkommens von 1978 über die Ausbildung, die Befähigung und den Wachdienst von Seeleuten, ABI. L 33 vom 8.2.1979, 31; Empfehlung des Rates vom 23.9.1980 über die Ratifizierung des Internationalen Überein- kommens von Torremolinos über die Sicherheit von Fischereifahrzeugen, ABI. L 259 vom 2.10.1980, 29; Empfehlung des Rates vom 25.7.1983 über die Ratifikation des Internationalen Übereinkommens von 1979 über den Such- und Rettungsdienst auf See (SAR) bzw. dem Bei- tritt zu diesem Übereinkommen, ABI. L 237 vom 26.8.1983, 34.

14 Diese beziehen sich auf die Ausstattung der Schiffe mit einer unveränderlichen Iden- tifikationsnummer im Rahmen von SOLAS sowie die Einführung eines ISPS-Code. Der Vorschlag einer Verordnung über die Verbesserung der Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Hafenanlagen liegt vor (VO 2003/0089(COD), KOM (2003) 229 endgültig). 15 Beschluß des Rates vom 3.3.1975 über den Abschluß des Übereinkommens zur Verhü- tung der Meeresverschmutzung vom Lande aus, ABI. L 194 vom 25.7.1975, 5; Beschluß des Rates vom 25.7.1977 über den Abschluß des Übereinkommens zum Schutz des Mittelmeers vor Verschmutzung sowie des Protokolls zur Verhütung der Verschmutzung des Mittelmee- res durch das Einbringen durch Schiffe und Luftfahrzeuge, ABI. L 240 vom 19.9.1977, 1; Be- schluß des Rates vom 19.5.1981 über den Abschluß des Protokolls über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Verschmutzung des Mittelmeeres durch Öl und andere Schadstoffe in Notfällen, ABI. L 162 vom 19.6.1981, 4.

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cher Sanktionen, für Verschmutzungsdelikte vor.16 Dieser Richtlinienvor- schlag geht von einer grundsätzlich zutreffenden Überlegung aus. Danach sind die Möglichkeiten, die international anerkannten Regelungen zur Schiffssicherheit von MARPOL 73/78 durchzusetzen, begrenzt, wenn sie auch in der Vergangenheit stufenweise ausgebaut wurden. Sie bezogen sich allerdings auf die Feststellung von Verstößen durch die Hafenstaats- kontrolle (Richtlinien 95/21 /EG; 200/59/EG; 2002/59/EG). Grundlage für den neuen Richtlinienvorschlag sind die europäischen umweltrechtli- chen Kompetenzen (Art. 80 (2) EGV). Der Verweis auf durch Umweltver- stöße indizierte Wettbewerbsverzerrung ist seit längerem nicht mehr nö- tig. Diese umweltrechtlichen Kompetenzen verweisen allerdings nicht auf strafrechtliche Maßnahmen. Diese Möglichkeit wird dem Effektivitäts- grundsatz entnommen. Ob dieser Ansatz juristisch wirklich tragfähig ist, wäre zu diskutieren. Dies gilt vor allem deshalb, weil der Kreis der poten- tiell strafrechtlich Verantwortlichen außerordentlich weit gefaßt ist.17 Nach Art. 3 i.V.m. Art. 6 des Vorschlags sind die Vertragsstaaten ver- pflichtet, illegales Einleiten von Schadstoffen in die internationalen Ge- wässer, einschließlich Häfen, eines Mitgliedsstaats, das Küstenmeer, inter- nationale Meerengen, ausschließliche Wirtschaftszonen oder die Hohe See als Straftat zu verfolgen, soweit das Einleiten vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgte. Dies gilt für Schiffe unter der Flagge aller Staaten, aus- genommen Kriegs- und Staatsschiffe. Als Strafen werden Geldstrafen vor- gesehen neben verschiedenen finanziellen oder wirtschaftlichen Sank- tionen. Die Verfolgung erfolgt im Rahmen der Hafenstaatskontrolle und - mit Einschränkungen - gegenüber Schiffen im Transit. Der Verzicht auf Freiheitsstrafen beruht auf Art. 230 SRÜ. Allerdings bezieht sich das ge- nerelle Verbot von Freiheitsstrafen wegen Umweltverstößen auf See nur auf die Gebiete jenseits der Küstengewässer (Art. 230 Abs. 1 SRÜ). Dage- gen sind Freiheitsstrafen für vorsätzliche Umweltverstöße in den Küsten- gewässern möglich, soweit die Schäden schwerwiegend sind (Art. 230 Abs. 2 SRÜ). Insofern schöpft der Richtlinienentwurf in dieser Hinsicht das Durchsetzungspotential, das das Seerechtsübereinkommen eröffnet, nicht aus. Weitere europarechtliche Maßnahmen unter Berücksichtigung der Ha-

varien von Prestige und Erika beziehen sich auf die Überwachung von Tankern. In der Folge der Erika-Haverie wurden die Vorschriften über die Hafenstaatskontrolle sowie die Kontrolle über die Klassifikationsgesell- schaften verschärft. Außerdem wurde ein Zeitplan für die weltweite Außerdienststellung von Einhüllen-Öltankschiffen erstellt.18 Nach den

16 KOM (2003) 92 endgültig. 17 Schiffseigentümer, Eigentümer der Fracht, Klassifikationsgesellschaft, vgl. Art. 6 Abs. 2 des Entwurfs.

18 Verordnung (EG) Nr. 417/2002 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom

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nunmehr geltenden internationalen und europäischen Vorschriften dür- fen die letzten Einhüllentanker ab 2015 nicht mehr europäische Hafen an- laufen. Nach dem Untergang der Prestige hat die Kommission eine vor- läufige „schwarze Liste" von Schiffen veröffentlicht, die die europäischen Hafen nicht mehr anlaufen dürfen, wenn die neuen Sicherheitsvorschrif- ten der Gemeinschaft bereits zum fraglichen Zeitpunkt in Kraft gewesen wären. Die EG strebt zudem an, den Transport von schwerem Heizöl von und nach europäischen Häfen durch Einhüllentanker zu verbieten. Schließlich ist eine Europäische Agentur für die Sicherheit des Seever- kehrs eingerichtet worden.19 Diskutiert wurde nach dem Untergang der Prestige auch, den Transit von Einhüllentankern durch Gewässer unter europäischer Jurisdiktion von europäischer Seite zu verbieten. Dem steht das Seerechtsübereinkommen entgegen. Art. 21 Abs. 2 SRÜ verbietet, die küstenstaatlich einseitige Regelung von Konstruktion, Design und Be- mannung von Schiffen unter fremder Flagge zu regeln. Dies gilt auch für Meerengen und ausschließliche Wirtschaftszonen. Nicht ausgeschlossen sind allerdings entsprechende internationale Maßnahmen. Entsprechend haben Belgien, Frankreich, Irland, Portugal, Spanien und das Vereinigte Königreich bei der IMO den Antrag gestellt, die atlantische Westküste von den Shetland Inseln bis Kap Vinzent und den Ärmelkanal zur Particu- larly Sensitive Sea Area (PSSA) zu erklären.20 Die Konsequenz einer ent- sprechenden Gebietsausweisung durch die IMO soll das Verbot des Transports von schwerem Erdöl in Einhüllentankern größer als 600 BRT mit Beginn von 2008 ab sein. Außerdem werden weitere navigatorische Maßnahmen vorgesehen. Mit dieser Maßnahme wird im Grunde genom- men versucht, den ursprünglichen Plan der EG zu realisieren, Einhüllen- tanker früher als im Augenblick vorgesehen aus dem Verkehr zu ziehen. Positiv ist, daß dabei der von dem Seerechtsübereinkommen vorgesehene Weg verfolgt wird, Maßnahmen zur Einschränkung des Schiffsverkehrs nicht national, sondern international anzustreben. Dennoch ist dieses Vorgehen rechtspolitisch nicht ohne Brisanz. Auch andere Seewege sind stark frequentiert und es werden Anträge der entsprechenden Anlieger-

18.2.2002 zur beschleunigten Einführung von Doppelhüllen oder gleichwertigen Konstruk- tionsanforderungen für Einhüllen-Öltankschiffe und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2978/94 des Rates.

19 Verordnung (EG) Nr. 1406/2002 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 27.6.2002 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs. 20 IMO Doc. MEPC 49/81, 11 April 2003. Der Vorschlag wurde vom Marine Environ- ment Protection Committee in seiner 49sten Sitzung prinzipiell gutgeheißen. Die antragstel- lenden Staaten haben den Vorschlag, den Transport von Schweröl in einwandigen Tankern in der PSSA zu verbieten, zurückgezogen und statt dessen eine Regel vorgeschlagen, nach der Schiffe, die bestimmte Fracht transportieren, 48 Stunden vor Eintritt in die Zone Mitteilung geben müssen. Der Vorschlag soll auf der nächsten Sitzung des MEPC im Oktober 2004 dis- kutiert werden; vgl. http://www.imo.org.

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Staaten vorgelegt werden, auch diese gegen die Gefahren durch Schiffsun- glücke stärker zu sichern. Insgesamt ist festzuhalten, daß die EG nachdrücklich versucht, die Ge-

fahren von Havarien von Tankern zu verringern. Dabei hat sie bereits frühzeitig versucht, Einhüllentanker zurückzudrängen. Dennoch schöpft die EG ihre Möglichkeiten nicht aus bzw. hat es in der Vergangenheit nicht getan. Die Sperrung von europäischen Häfen setzt mit Verzögerung ein und ist nur partieller Natur. Nicht genutzt hat die EG bislang, daß eu- ropäische Eigner einen wesentlichen Teil der Welttonnage kontrollieren. Schließlich rächt sich hier, daß die Bestrebungen der Kommission, ein eu- ropäisches Register und eine europäische Handelsflotte aufzubauen, an nationalen Widerständen gescheitert sind.

III. Fischerei

Die Zuständigkeit der Gemeinschaft für eine gemeinsame Fischereipolitik ergibt sich aus Art. 3 (e) in Verbindung mit 32 Abs. 3 EGV Seit dem Bei- tritt Dänemarks, des Vereinigten Königreiches und Irland, sind zudem die Art. 98 ff. der Beitrittsakte 1973 bei der Gestaltung der gemeinsamen Fi- schereipolitik zu beachten. Insbesondere Art. 102 der Beitrittsakte enthält im Hinblick auf den Schutz der Fischbestände und die biologischen Res- sourcen eine neben Art. 32 EGV bestehende ausschließlich bestehende Ratskompetenz. Mit dem Beitritt Spaniens verdoppelte sich die Zahl der Fischer in Europa, was erhebliche Integrationsschwierigkeiten mit sich brachte. Die umfassende EG-Zuständigkeit bezieht sich namentlich auf die Fest-

setzung der zulässigen Gesamtfangmengen, wobei insbesondere der Über- fischungsgefahr Rechnung getragen werden muß, sowie auf die Aufteilung der potentiellen Fangmenge auf die Mitgliedstaaten. Die EG ist ferner zu- ständig für die technischen Maßnahmen zur Erhaltung der Fischbestände (Fanggebiete, Fangverbote, Schonzeit, Fischgröße, Beifänge, Maschenwei- te der Netze), für die Kontrolle der Fischereitätigkeit einschließlich der Befugnis, Fanglizenzen an Fischer aus Drittländern hinsichtlich mitglied- schaftlicher Gewässer zu erteilen, für den Abschluß von Fischereiabkom- men mit Drittstaaten sowie für die Vertretung der Gemeinschaft in internationalen Fischereiorganisationen und Verhandlungen.

Im Bereich des Sekundärrechts wurden die Grundzüge einer gemeinsa- men Fischereipolitik und Marktordnung für Fischereierzeugnisse erst- mals in der Verordnung (EWG) 2141/70 und 2142/70 geregelt.21 Danach durften nationale Fischereibestimmungen Angehörige anderer Mitglied-

21 ABI. L 236 vom 20.10.1970,1 bzw. 5.

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Staaten nicht benachteiligen. Diese Rechtsakte wurden durch die Verord- nung 100/76 und 101/76 abgelöst.22 Erstere Verordnung wurde dann durch Verordnung (EWG) 3796/81 des Rates vom 29. Dezember 1981 er- setzt,23 letztere erst durch Verordnung (EG) 2371/2002. Nach der grund- sätzlichen Einigung über eine gemeinsame Fischereipolitik erging die Verordnung 170/83 vom 25. Januar 1983.24 Die Verordnung 171/83 vom gleichen Tage legte die gemeinschaftlichen Grundsätze über technische Maßnahmen zur Erhaltung der Fischbestände fest.25 Diese wurden durch die Verordnung 3760/92 des Rates zur Einführung einer gemeinschaftli- chen Regelung für die Fischerei und die Aquakultur abgelöst,26 die wie- derum durch Verordnung (EG) 2371/2002 aufgehoben wurde.27 Diese Verordnungen zielen nicht - anders als andere Maßnahmen der Agrarpo- litik - auf eine Begrenzung der Überproduktion, sondern auf die Erhal- tung und nachhaltige Nutzung der Fischereibestände und damit einher- gehend auf eine Anpassung der Fangkapazitäten an die verfügbaren Res- sourcen. Die verminderten Fangmöglichkeiten für europäische Fischer im Zuge der Ausweitung küstenstaatlicher Fischereizonen führten zu der Notwendigkeit, die Fischereistruktur zu modernisieren. Durch Fischereiverhandlungen mit Drittstaaten versucht die Gemein-

schaft vordringlich zwei Ziele zu erreichen, nämlich den Mitgliedstaaten Fangmöglichkeiten in den Fischereizonen von Drittländern zu erhalten oder neu zu schaffen. Die Fischereivereinbarungen der Gemeinschaft - es handelt sich zu-

meist um Rahmenabkommen, bei denen die Fangquoten jeweils jährlich auszuhandeln sind - lassen sich verschiedenen Typen zuordnen. Eine Gruppe bilden die Überschußabkommen,28 bei denen der Drittstaat, der über nicht genutzte Fischressourcen verfügt, der Gemeinschaft Fangrech- te einräumt. Solche Abkommen wurden mit den USA, Kanada und west- afrikanischen Staaten geschlossen. Während es sich bei dem Abkommen mit den USA um ein reines Überschußabkommen handelt, sehen die an- deren Vereinbarungen die Einräumung von Fischereirechten gegen Han-

22 ABI. L 20 vom 28.1.1976, 1 bzw. 19. 23 ABI. L 379 vom 31.12.1981, 1. VO 3796/81 und ihre Nachfolgeverordnungen wurden

mehrfach geändert und aufgehoben. Die letztgültige Version ist VO 104/2000. 24 ABI. L 24 vom 27.1.1983, 1. 25 ABI. L 24 vom 27.1.1983, 14. 26 Die technischen Maßnahmen zur Erhaltung der Fischbestände regeln die Verordnung

(EG) Nr. 850/98 des Rates vom 30.3.1998 zur Erhaltung der Fischereiressourcen durch tech- nische Maßnahmen zum Schutz von jungen Meerestieren (ABI. L 125 vom 27.11.1998, 63) und die Verordnung (EG) Nr. 894/97 des Rates vom 29.4.1997 über technische Maßnahmen zur Erhaltung der Fischbestände (ABI. L 132 vom 23.5.1997, 1). 27 Verordnung (EG) Nr. 2371/2002 des Rates vom 20. Dezember 2002 über die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Fischereiressourcen im Rahmen der gemeinsamen Fischerei- politk, ABI. L 358/59 vom 31.12.2002, 59.

/8 Leigh, European Integration and the Common Fisheries Policy, 1983, S. 121.

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delszugeständnisse oder Geldzahlungen vor. Mit Entwicklungsländern wurden auch Vereinbarungen getroffen, die die Ausbildung von Fischern, den Transfer von Fischereitechnologie sowie die Bildung von Joint Ven- tures vorsehen. Eine zweite Gruppe bilden die sogenannten Gegenseitigkeitsabkom-

men. Sie wurden mit Norwegen, den Faröer-Inseln und Schweden ge- schlossen. Sie garantieren bei meist mehr oder weniger ausgeglichener Bi- lanz der Fangrechte Zugang zur Fischereizone der jeweiligen anderen Seite. Der dritte Typus ist das sogenannte Phasing Out-Agreement im Sinne

von Art. 62 Abs. 3 SRÜ. In Anerkennung historischer Fanggründe ge- währt es der anderen Partei noch Zugang zur eigenen Fischereizone, um bei jährlich verringerten Rechten Zeit zu geben, sich auf die veränderte Situation und den endgültigen Verlust des Fanggrundes einzustellen. Wie schon in den Haager Beschlüssen von 1976 vorgesehen, vertritt die

EG in Wahrnehmung ihrer ausschließlichen Zuständigkeit auf dem Fi- schereisektor die Mitgliedstaaten in internationalen Fischereikommissio- nen. Auf dieser Basis ist die EG Mitglied in der NAFO (Northwest Atlan- tic Fisheries Organization), der NEAFC (North East Atlantic Fisheries Convention) sowie der IBSCF (International Baltic Sea Convention on Fisheries and the Conservation of Living Resources), um nur einige Bei- spiele zu nennen. Selbst wenn der Regelungsbereich einer Konvention nicht gänzlich in

den Tätigkeitsbereich der Gemeinschaft fällt, ist der EG eine Mitglied- schaft möglich. Es besteht die Möglichkeit, daß Gemeinschaft und Mit- gliedstaaten gemeinsam Mitglieder werden. Innergemeinschaftlich liegt dann ein gemischtes Abkommen vor.29 Bei ihm ist die genaue Beschaffen- heit der Zuständigkeitsverteilung eine gemeinschaftsinterne Frage, in die sich dritte Länder nicht einzumischen haben. Ein gemeinschaftsrechtlicher Kompetenzkonflikt kann insofern nicht auftreten, die wechselseitigen Zu- ständigkeiten der EG und ihrer Mitgliedstaaten schließen sich lückenlos aneinander an. Insofern liegen derartige Abkommen im Interesse einer ef- fektiven Erfüllung der sich aus dem Abkommen ergebenden Verpflichtun- gen. Ein derartiges Abkommen ist etwa das Abkommen über die Erhal- tung der antarktischen marinen lebenden Ressourcen (CCAMLR).30

Innergemeinschaftlich fühlt sich die Gemeinschaft dem Fischbestands- schutz verpflichtet. Entsprechend hat sie 1997 eine deutliche Beschrän- kung der Fischerei unter ihrer Jurisdiktion beschlossen. Diese Politik ist weniger ausgeprägt bezüglich der Erhaltung der Bestände außerhalb der EG. Vor allem hat die EG hier keine Anstrengungen unternommen,

29 Bernhardt, Die europäische Gemeinschaft als neuer Rechtsträger im Geflecht der traditionellen zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen, EuR 1983, S. 199, 207.

30 ABI. L 252 vom 5.9.1981, 26.

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Die EG und das Meer 77

internationale bestandssichernde Maßnahmen durchzusetzen. Verwiesen sei nur auf den zögerlichen Beitritt zum Abkommen über weitschwim- mende und grenzüberschreitende Fischarten. Schließlich hat die EG bis- lang keine Anstalten gemacht, das Ausflaggen europäischer Fischereiboo- te oder -gesellschaften zu verhindern, womit diese sich den international eingegangenen Bindungen betreffend den Fischfang entziehen wollen. Als effektive Maßnahme dieser Art wäre ein Anlandungsverbot illegaler Fänge in Betracht gekommen, wie es das Abkommen über weitschwim- mende und grenzüberschreitende Fischarten vorsieht. In Betracht ge- kommen wäre auch eine strafrechtliche Verfolgung von Fischern, wenn sie - auch wenn sie unter fremder Flagge fahren - gegen internationale Regelungen zum Fischbestandsschutz verstoßen, wie es das spanische Recht seit neuster Zeit vorsieht. So aber klafft eine auffällige Diskrepanz zwischen der Ahndung der Verschmutzung der See und dem Schutz der Fischbestände weltweit.

IV. Die EG als Teil eines Mehrebenensystems

Eine Entscheidung des Internationalen Schiedshofs vom 24. Juni 200331 hat nunmehr einen neuen Aspekt aufgeworfen, nämlich vor welchen Fo- ren seerechtliche Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten der EG zu ver- handeln sind, dem EuGH oder den Foren der Streitbeilegung, die das See- rechtsübereinkommen vorsieht. Es handelt sich hier um den Rechtsstreit zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich im Fall MOX Plant, mit dem auch der Internationale Seegerichtshof im Verfahren einer einstweili- gen Anordnung bereits befaßt war.32 Irland hat geltend gemacht, daß die Anlagen von Sellafield und der MOX Plant zu einer radioaktiven Ver- schmutzung der Irischen See führen und im Widerspruch zu den Vor- schriften des marinen Umweltschutzes des Seerechtsübereinkommens stehen. Vor dem Internationalen Schiedshof - nicht vor dem Interna- tionalen Seegerichtshof - hat nun das Vereinigte Königreich die vorrangi- ge Kompetenz des EuGH geltend gemacht. Letztlich beruft sich das Ver- einigte Königreich damit auf Art. 282 SRÜ. Danach gehen dem seerecht- lichen Streitbeilegungssystem regionale oder andere speziell von den Parteien geschaffene Streitbeilegungssysteme vor, soweit die Parteien ver- einbart haben, daß derartige Streitigkeiten von diesen Mechanismen ent- schieden werden sollen und soweit diese Entscheidungen verbindlich

31 The MOX Plant Case (Ireland v. United Kingdom), Order No. 3, Suspension of Pro- ceedings on Jurisdiction and Merits, and Request For Further Provisional Measures, 24 June 2003: http://www.pca-cpa.ore/PDF/MOX%20Order%20no3.pdf. 32 The MOX Plant Case (Ireland v. United Kingdom), Provisional Measures: http:// www.itlos.org.

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78 Rüdiger Wolfrum

sind. Letzteres ist unproblematisch. Fraglich ist, ob die Mitgliedsstaaten der EG vereinbart haben, daß Streitigkeiten zwischen ihnen über Ausle- gung und Anwendung des Seerechtsübereinkommens von dem EuGH zu entscheiden sind. In dieser Allgemeinheit ist dies schwerlich vertretbar. Fraglich aber ist, was für die Regelungen zum marinen Umweltschutz gilt. Die von der EG abgegebene Erklärung spricht diese Frage nicht an, sie bezieht sich nur auf die Außenkompetenzen. Das Schiedsgericht hat nun- mehr mit einer bemerkenswerten Begründung33 sein Verfahren ausgesetzt und wartet eine Entscheidung des EuGH ab. Letztlich ist diese Frage aber nicht nach dem EG-Recht, sondern nach Sinn und Zweck von Art. 282 SRÜ bzw. dem Streitbeilegungssystem des Seerechtsübereinkommens zu entscheiden. Das heißt, steht im Vordergrund die einheitliche Auslegung des Seerechtsübereinkommens, oder tritt dieser Wunsch hinter den Inter- essen nach einer stärker partikulär ausgerichteten Streitbeilegung zurück? Art. 281 und 282 SRÜ lassen keinen Zweifel daran, daß der Parteiautono- mie insoweit Vorrang zukommt. Damit ist die entscheidende Frage, ob eine Streitigkeit zur Auslegung und Anwendung der Regelungen zum marinen Umweltschutz des Seerechtsübereinkommens als europarechtli- che Streitigkeit anzusehen ist. Dies erscheint schwerlich vertretbar. Hier werden die verschiedenen Ebenen des Rechts, vor allem der Rechtsdurch- setzung, in unzulässiger Form miteinander vermischt. Diese Ebenen, die nationale, die regionale und die internationale, stehen nebeneinander, wie die Bemühungen der EG auf internationaler Ebene zeigen, die Schiffs- sicherheit zu verbessern. Streitigkeiten sind entsprechend auch auf der Ebene zu entscheiden, auf der sie entstanden sind.

33 „28. In the circumstances, and bearing in mind considerations of mutual respect and comity which should prevail between judicial institutions both of which may be called upon to determine rights and obligations as between two States, the Tribunal considers that it would be inappropriate for it to proceed further with hearing the Parties on the merits of the dispute in the absence of a resolution of the problems referred to. Moreover, a procedure that might result in two conflicting decisions on the same issue would not be helpful to the resolution of the dispute between the Parties.

Suspension of further proceedings on jurisdiction and merits 29. For these reasons, the Tribunal has decided, in exercise of its powers under article 8 of the Rules of Procedure, that further proceedings on jurisdiction and the merits in this arbitration will be suspended. 30. The Tribunal nevertheless remains seised of the dispute. Unless otherwise agreed or de- cided, the Tribunal will resume its proceedings not later than 1 December 2003. The Tribunal hopes that it will at that time have a clearer picture of the position regarding European Com- munity law and possible proceedings thereunder insofar as they appertain to the present dis- pute."

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Die EG und das Meer 79

V. Zusammenfassung

Der Europäischen Gemeinschaft ist es über die Jahre in zunehmendem Umfang gelungen, sich als Akteur in seerechtlichen Angelegenheiten zu etablieren. Inwieweit sie dabei eine genuine europäische Politik verficht oder eine solche, die sich an nationalen Interessen orientiert, ist in dieser Allgemeinheit kaum zu beantworten. Soweit der marine Umweltschutz betroffen ist, kann wohl durchaus von einer genuin europäischen Politik gesprochen werden. Unklar bleibt allerdings das Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten, soweit

die Europäische Gemeinschaft nur Teilkompetenzen hat. Dies ist eine Frage, die letztlich völkerrechtlich zu beantworten ist. Gibt das Völker- recht der Europäischen Gemeinschaft als genuinem Handlungsobjekt den Raum, den bislang primär Staaten eingenommen haben? Welches sind dann die Konsequenzen für die Erledigung von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten? Die logische Konsequenz müßte sein, daß diese nur innerhalb des europäischen Rahmen beigelegt werden. Für diese Lösung ist aber das Seerechtsübereinkommen bislang nicht ausgelegt.

Summary

Within the last few years, the European Community has been successful in establishing it- self as an actor concerning law of the sea issues. Determining whether or not and to what extent it has developed and pursued a genuine European policy in this respect or whether it rather pursues the political interests of particular states is not an easy task. As far as the pro- tection of the marine environment is concerned, it is possible to speak of a genuine Euro- pean policy approach.

It is difficult to fathom the relationship between the European Community and its Member States as far as the competences are shared ones. This is an issue which should be dealt with from an international law perspective. Does international law allow the Euro- pean Community to take the place so far occupied by states? The answer is affirmative to the extent that the European Community has been vested with respective competences by its Members. But what are the consequences for the settlement of related disputes among Member States? The logical consequence - from a European law perspective - should be to have such disputes settled in the context of the European Community. This, however, is hardly reconcilable with the dispute settlement mechanism of the Convention on the Law of the Sea.

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