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Erika Ehrler
ConFusion
-New Economy-, gesehen aus den
unterschiedlichen Perspektiven der betroffenen
Angestellten
E 515
Bestimmungen über das Aufführungsrecht des Stückes
ConFusion (E 515)
Das Recht zur einmaligen Aufführung dieses Stückes
wird durch den Kauf der vom Verlag vorgeschriebenen
Bücher und Zahlung einer Gebühr erworben. Für jede
Wiederholung bzw. weitere Aufführung des Stückes
muss eine vom Verlag festgesetzte Gebühr vor der
Aufführung an den Deutschen Theaterverlag, Pf 20 02
63, 69 459 Weinheim/Bergstraße gezahlt werden, der
dann die Aufführungsgenehmigung erteilt. Die Gebühr
beträgt 10 % der Gesamteinnahmen bei einer im Verlag
zu erfragenden Mindestgebühr.
Diese Bestimmungen gelten auch für
Wohltätigkeitsveranstaltungen und Aufführungen in
geschlossenen Kreisen ohne Einnahmen.
Unerlaubte Aufführungen, unerlaubtes Abschreiben,
Vervielfältigen oder Verleihen der Rollen müssen als
Verstoß gegen das Urheberrecht verfolgt werden.
Den Bühnen gegenüber als Handschrift gedruckt.
Alle Rechte, auch die der Übersetzung, Verfilmung,
Rundfunk- und Fernsehübertragung, sind vorbehalten.
Das Recht zur Aufführung erteilt ausschließlich der
Deutsche Theaterverlag,
Postfach 20 02 63, D- 69 459 Weinheim/Bergstraße.
Für die einmalige Aufführung dieses Stückes ist der Kauf
von 12 Textbüchern und die Zahlung einer Gebühr
vorgeschrieben. Zusätzliche Textbücher können zum
Katalogpreis nachbezogen werden.
Kurzinformation
Wer es nicht schon selbst erlebt hat, wird davon gelesen
oder von anderen erfahren haben: Mittels "feindlicher
Übernahme" wird eine Firma verkauft, "reorganisiert" und
nach einiger Zeit ein weiteres Mal verkauft. Auf der
Strecke bleiben bei diesem oft ruinösen Prozess
Firmenkultur, Arbeitsplätze, Mitarbeiter-Know-how und
langfristig angelegte Unternehmensstrategien.
Die menschliche Seite solcher Veränderungen zeigt
dieses Stück. Es ist eine anschauliche Zusammenfassung
der Schicksale und möglicher Verhaltensweisen der
betroffenen Angestellten, vom Büroboten bis zum Chef.
Dabei wird auch deutlich, dass der Kreislauf solcher
Prozesse "Werte" im umfassendem Sinne vernichtet.
Personen
Otto Datterbeck Logistiker
Arnold Dennler Direktor
Siegfried Esslin Kundenberater
Klaus Feldmann Finanzchef
Regula Felice Kundenberaterin
Laura Jahn Kundenberaterin
Sandra Kas Kundenberaterin
Marco Kosch Leiter Informatik
Stania Meier Teamchefin Kundenberatung
Hans Muster Banker
Ernst Nater Sachbearbeiter
Gaby Schulthess Lehrtochter
Helga Tussel Personalverantwortliche
Ort: In einer Leasing Firma
Zeit: Gegenwart
Darsteller: 7m 6w
Spieldauer: Ca. 90 Minuten
Prolog
Das dies irae aus dem Requiem von Giuseppe Verdi wird
recht laut gespielt. Die Bühne erscheint blutrot. Auf der
Bühne sieht man eine kämpferische Pantomime mit
dunklen Schattengestalten, welche die Dramatik der
Musik widerspiegelt. Die Gestalten mimen eine
mittelalterliche Kriegsszene mit Mord und Totschlag, ein
Kampf Mann gegen Mann. Beim Ausklingen der Musik
liegen die gefallenen Gestalten reglos auf der Bühne.
ERSTER AKT: FUSION
Erste Szene: Take over
Im Sitzungszimmer. Die Ausstattung ist geprägt von
Blautönen. An der Wand hängt das blaue Logo der
Vergo Leasing AG. Nater tritt ins Zimmer, gefolgt von
Dennler und Tussel.
Nater:
So, das ist mein Reich.
Dennler:
(zu Tussel)
Kommen Sie, erobern wir den Raum.
Nater:
Bitte nehmen Sie Platz.
(Sie setzen sich)
Nater:
2
Dürfen wir Ihnen etwas zu trinken anbieten?
Dennler:
Nein.
Tussel:
Nein danke, Herr Nater.
Nater:
Ich könnte Ihnen die Räumlichkeiten meiner Firma
zeigen, wenn Sie das wünschen. Jetzt oder nachher.
Dennler:
Heute nicht.
Nater:
Wie Sie wünschen. Also dann, wie kann ich Ihnen
behilflich sein? Geht es um die Fusion?
Dennler:
Ja. Ich bin hier, um Sie über die Zukunft des Konzerns
und der Vergo Leasing AG aufzuklären.
Tussel:
Als Direktor der Vergo Leasing werden Sie als erster
darüber informiert.
Nater:
Das will ich hoffen.
Dennler:
Die Konzernleitung der fusionierten Banken GW und
Vergo wurde gebildet und besteht aus den Herren
Lanzer, Schneider, Hauri und Olbrecht.
Nater:
Hauri gehört zur Vergo, die anderen drei sind GW Leute.
Dennler:
Die fusionierte Bank erhält den Namen GW.
Nater:
Was? Das kann nicht sein. Hier fusionieren zwei gleich
starke Partner. Also müssen beide Seiten gleichmäßig
vertreten sein in der Geschäftsleitung.
Dennler:
Irrtum.
Nater:
Und der Name der neuen Bank muss eine Kombination
der beiden bisherigen Namen sein. Also Vergo GW.
Dennler:
Die neue Geschäftsleitung hat über den Namen
abgestimmt und mit drei zu eins entschieden, dass die
Bank GW heisst.
Nater:
In den Medien hieß es, die fusionierte Bank heisst Vergo
GW.
Dennler:
Glauben Sie, was die Presse berichtet?
Nater:
Wenigstens berichten die etwas. Von unserer
Geschäftsleitung haben wir seit Tagen nichts
vernommen. Die Gerüchteküche brodelt heiß.
Tussel:
Wir wissen das.
Nater:
Die Mitarbeiter sind verunsichert. Wissen nicht, wie es
weitergehen wird.
Tussel:
Deswegen sind wir hier.
Dennler:
Die Informationspolitik Ihrer Vergo hat versagt. Aber mit
der Fusion übernimmt die GW das Ruder und führt die
Bank in eine bessere Ära.
Nater:
So?
Dennler:
Es hat sich herausgestellt, dass die GW solider ist. Vor
allem sind bei uns Organisation, Struktur und
Führungsweise straffer, moderner und
überlebensfähiger. Im Interesse des Weiterbestehens der
fusionierten Firma nimmt GW die Zügel per sofort in die
Hand. Das gewährleistet den erfolgreichen
Weiterbestand der gemeinsamen Bank.
Nater:
Das ist Ihre Ansicht, dass die GW besser ist. Hinzu
kommt, dass beide Banken finanziell gleich stark sind.
Dennler:
Die GW hat nach den Fusionsverhandlungen mit der
Vergo die Kleinbank HBS akquiriert und ist dadurch der
stärkere der beiden Fusionspartner geworden.
Nater:
Davon habe ich nichts gehört oder gelesen.
Dennler:
Eben. Trauen Sie den Medien nicht.
Nater:
Ich traue der GW nicht.
Dennler:
Das sollten Sie aber. Ihr Arbeitgeber heißt jetzt GW.
Nater:
Wenn das was Sie erzählen stimmt, war euer Vorgehen
illegal.
Dennler:
Keineswegs.
3
Nater:
Auf Schleichwegen seid ihr zur Spitze vorgedrängt.
Durchs Hintertürchen.
Dennler:
Behaupten Sie.
Nater:
Ein trojanisches Pferd nenne ich das.
Dennler:
Falls dem so wäre, hättet ihr das Tor für das hölzerne
Pferd weit geöffnet.
Nater:
Wozu hätte die Vergo das tun sollen?
Dennler:
Weil die Vergo eine veraltete, rückständige Firma war,
die mit ihren Geschäftsmethoden nicht mehr lange hätte
überleben können.
Nater:
Wir sind eine renommierte Bank und unser Name
genießt seit Jahrzehnten einen glänzenden Ruf.
Dennler:
Der auf den guten Leistungen vergangener Zeiten
beruhte. In den letzten Jahren stagnierte Vergo. Passiv
seid ihr geworden. In den kommenden Jahren wäre es
bergab gegangen mit euch, wenn ihr so weiter gemacht
hättet.
Nater:
Das sind Spekulationen.
Dennler:
Warum hättet ihr mit der GW fusionieren wollen, wenn
alles in Butter gewesen wäre?
Nater:
Was innerhalb der Geschäftsleitung vorgeht, weiß ich
nicht. Ich bin zu weit davon entfernt.
Dennler:
Die Vergo Geschäftsleitung scheint ihre Pläne den
Mitarbeitern nicht kommuniziert zu haben.
Nater:
Tatsache ist, dass wir von der Vergo seit Jahren Gewinne
machten.
Dennler:
Wenn der liebe Gott eine Firma bestrafen will, dann
schickt er ihr zehn Jahre lang gute Geschäfte.
Nater:
So?
Dennler:
Jahrelang habt ihr von eurem guten Ruf gelebt und euch
auf den Lorbeeren ausgeruht. Indessen waren andere
Banken innovativ und haben aufgeholt. Heute hat die
GW die Vergo überholt.
Nater:
Auf dubiose Weise.
Dennler:
Wir wagten, wir gewannen.
Nater:
Fressen oder gefressen werden.
Dennler:
So ist das Leben.
Nater:
So ist die Natur. Die Tiere...
Dennler:
Ihr seid selber Schuld an eurem Abstieg. Wer nichts
riskiert, geht ein Risiko ein.
Nater:
Wir sind der GW in die Falle gegangen.
Dennler:
Es wird Zeit, dass wir die ehemalige Vergo wieder auf
Vordermann bringen.
Tussel:
Treffend gesagt, Herr Dennler.
Nater:
Ehemalige Vergo?
Dennler:
Es gibt kein Zurück mehr.
Nater:
Sagen Sie mir eines. Was für eine Rolle spielen Sie in
diesem seltsamen Spiel? Sie haben sich bei mir
angemeldet, ohne Ihre Funktion zu nennen. Sind Sie der
vermeintliche Retter der Vergo?
(lacht)
Dennler:
Ich bin gekommen, um Sie über die Zukunft der Vergo
Leasing AG - Leasing Firma und Tochtergesellschaft der
ehemaligen Vergo - zu informieren.
Nater:
Klären Sie mich auf.
Dennler:
Die Vergo Leasing AG wird zusammengelegt mit der GW
Leasing AG, Leasing Firma und Tochtergesellschaft der
GW Bank.
Nater:
Das war zu erwarten.
Dennler:
4
Die fusionierte Firma heisst GW Leasing AG,
Tochterfirma der neuen GW Bank. Sitz der GW Leasing
wird dieses Gebäude sein.
Nater:
Das darf nicht sein.
Dennler:
Doch.
Nater:
Die Vergo Leasing ist Marktleader im Leasing Geschäft.
Die GW Leasing rangiert nur auf Platz sechs. Mit dem
Verlust unseres Namens geht auch der gute Ruf verloren.
Dennler:
Die Geschäftsleitung des Konzerns hat entschieden.
Nater:
Mit drei Stimmen gegen eine?
Dennler:
Vielleicht. So genau bin ich nicht informiert.
Nater:
Als Direktor der Vergo Leasing werde ich heftig gegen
dieses Vorgehen protestieren.
Dennler:
Wo?
Nater:
Bei meinem Vorgesetzten.
Tussel:
Herr Nater, ich möchte Ihnen mitteilen, dass Herr
Dennler ab sofort Ihr Vorgesetzter ist.
Nater:
(zeigt auf Dennler)
Er?
Tussel:
Herr Dennler ist der Leiter der GW Leasing AG.
Dennler:
(steht auf und schaut auf Nater herab)
Mit Stolz übernehme ich diese verantwortungsvolle
Aufgabe.
Nater:
Ich arbeite seit zwölf Jahren hier.
(Pause)
Warum wurde ich nicht darüber informiert?
Tussel:
Wir sind gerade dabei, Sie persönlich aufzuklären.
Nater:
Unglaublich.
Dennler:
Die Mitarbeiter der alten GW Leasing werden in den
nächsten Wochen hier einquartiert.
Nater:
Was wird aus mir?
Tussel:
Wir bieten Ihnen an, auch für die neue GW Leasing tätig
zu sein und zwar in der Position eines Sachbearbeiters.
Nater:
Sachbearbeiter? Ich!?
(Pause)
Wenn ich ablehne?
Tussel:
(gibt Nater einen Brief)
Hier habe ich Ihren neuen Arbeitsvertrag. Wenn Sie ihn
akzeptieren, geben Sie ihn bitte unterschrieben zurück.
Wenn nicht, sehen wir uns gezwungen, das
Arbeitsverhältnis mit Ihnen aufzulösen.
Dennler:
Frau Tussel wird den Vertrag entgegen nehmen.
Tussel:
Sie brauchen sich nicht sofort zu entscheiden. Ich
erwarte Ihre Antwort bis Ende dieser Woche.
Dennler:
Falls Sie sich entscheiden zu bleiben, wird ein geeignetes
Büro für Sie gesucht.
Nater:
Ich habe ein Büro.
Tussel:
Das übernimmt selbstverständlich der neue Direktor.
Haben Sie Fragen?
Nater:
Wir werden annektiert...
Dennler:
Keine Fragen. Die Sitzung ist beendet. Sie können
gehen.
Tussel:
(öffnet die Türe für Nater)
Auf Wiedersehen, Herr Nater.
(Nater geht)
Tussel:
(schliesst die Türe hinter Nater)
Und weg ist er.
Dennler:
Ich habe dafür gesorgt, dass er an die richtige Position
gesetzt wird. Sie werden dafür sorgen, dass er sich dort
entsprechend integriert. ...wenn er bleibt. Ist das klar?
Tussel:
5
Durchaus, Herr Dennler.
Dennler:
Gut.
Tussel:
(schaut sich um)
Das ist also unser neues Sitzungszimmer.
Dennler:
Die hässliche blaue Farbe muss raus. Ich will das Rot der
GW.
(Tussel nimmt aus der Tasche ein rotes Logo der GW und
hängt es an die Wand, so dass das Vergo Logo
überdeckt wird)
Zweite Szene: Kassandra
Im Kundenberaterbüro mit vier Arbeitsplätzen. Die
Ausstattung ist geprägt von Blautönen. Ordner,
Mäppchen etc. sind blau. Sandra Kas arbeitet an ihrem
Pult.
Kosch:
(tritt ein mit zwei Bechern Kaffee)
Hallo Sandra.
Kas:
Marco, salve.
Kosch:
Zeit für eine Pause. Magst du einen Kaffee?
Kas:
(nimmt einen Becher)
Oh, danke. Das ist nett von dir.
Kosch:
Ich habe vorher deine Bürogenossen bei mir vorüber
gehen sehen.
Kas:
Sie sind in einer Sitzung.
Kosch:
Und? Was gibt es Neues aus dieser Ecke der Vergo
Leasing?
Kas:
Willst du's wirklich wissen?
Kosch:
Klar.
Kas:
Dann halt dich fest am Stuhl.
Kosch:
Bin schon dabei.
Kas:
Ich verlasse die Vergo.
Kosch:
Nein!?
Kas:
Doch.
Kosch:
Hast du die schriftliche Kündigung eingereicht?
Kas:
Noch nicht.
Kosch:
Hast du mündlich gekündigt?
Kas:
Auch noch nicht. Du bist einer der ersten, der es erfährt.
Kosch:
Bestens. Dann kann ich dich zur Besinnung bringen.
Kas:
No way.
Kosch:
Aber du hast erst vor kurzem bei uns angefangen.
Kas:
Na und?
Kosch:
Denke an all die netten Mitarbeiter, die du hier hast.
Kas:
Mit der Nettigkeit wird es bald vorbei sein, wenn die
Leute der GW Leasing einziehen.
Kosch:
Es ist lediglich eine Fusion.
Kas:
Eben. Hast du jemals eine miterlebt?
Kosch:
Nein.
Kas:
Schlimm geht es da zu.
Kosch:
Heutzutage sind Fusionen an der Tagesordnung. Das ist
etwas Normales.
Kas:
Ich habe bei meiner letzten Arbeitsstelle eine Fusion
durchgemacht. So ein Chaos will ich kein zweites Mal
erleben. Ich gehe lieber.
Kosch:
Du überreagierst.
Kas:
Bestimmt nicht.
6
Kosch:
An Fusionen stirbt man nicht.
Kas:
Ich weiss, wovon ich spreche.
Kosch:
Du machst es dir leicht, einfach so davon zu laufen. Hast
zuhause einen Ehemann, der dich finanziert, wenn du
keine Lust hast, Geld zu verdienen.
Kas:
Marco, ich werde nicht auf Kosten meines Mannes
leben, sondern mir einen neuen Job suchen.
Kosch:
Nehmen wir an, du hast Recht und es wird bei uns ein
Durcheinander geben. Woher willst du wissen, dass es
an deinem künftigen Arbeitsort besser sein wird als hier?
Kas:
Arbeitnehmer-Risiko.
Kosch:
Irgendwas ist an jeder Arbeitsstelle faul.
Kas:
Allerdings.
Kosch:
Darum solltest du bei uns bleiben.
Kas:
Nein. Ich mache nie mehr eine Fusion durch.
Kosch:
Was ist, wenn dein künftiger Arbeitgeber zufällig einmal
fusionieren sollte?
Kas:
Dann suche ich mir wieder einen neuen Job.
Kosch:
Willst du ewig flüchten vor Fusionen oder sonst
irgendwelchen Problemen? Sandra, ist das eine Lösung?
Kas:
Ich weiss nicht...
Kosch:
Wie wäre es mit Loyalität? Oder Solidarität? Eine Sache
gemeinsam durchstehen und zu einem guten Ende
bringen.
Kas:
Gestern sprach man in den Zeitungen von Stellenabbau.
Kosch:
Ich habe es gelesen.
Kas:
Wart ab, bis bei uns Stellen gestrichen werden. Dann
wird jeder gegen jeden kämpfen, um seinen Job zu
retten. Dann wirst du sehen, wie weit es mit deiner
Solidarität ist.
Kosch:
Bitte.
Kas:
Du weisst nicht, was Menschen sich in solchen
Situationen gegenseitig antun können.
Kosch:
Sandra -
Kas:
Solidarität unter Bankern gibt es nicht! Die mobben sich
lieber als sich gegenseitig zu helfen.
Kosch:
Im Zeitungsartikel, den ich las, war die Rede von
Stellenabbau auf Konzern-Ebene. Die GW Leasing als
Tochterfirma wurde nicht erwähnt.
Kas:
Das will nichts heissen.
Kosch:
Solange mir keine Fakten vorliegen, zerbreche ich mir
nicht den Kopf.
Kas:
Sag, hast du Dennler jemals gesehen?
Kosch:
Einmal, aus der Distanz. Und du?
Kas:
Noch nie.
Kosch:
Es gehörte eigentlich zu seinen Aufgaben als Direktor,
sich den Mitarbeitern vorzustellen und die
Zukunftspläne für die Firma zu kommunizieren.
Kas:
Genau.
Kosch:
Was nicht ist, kann noch werden.
Kas:
Ich habe einen Bekannten, der bei der GW arbeitet. Er
kennt Dennler vom Hörensagen.
Kosch:
Echt?
Kas:
Ja.
Kosch:
Komm. Erzähl.
Kas:
Es sind Gerüchte.
7
Kosch:
Egal.
Kas:
Aber Marco, du glaubst nur an Fakten.
Kosch:
Komm schon.
Kas:
Mein Bekannter erzählte mir, Dennler sei erstaunlich
schnell aufgestiegen in der GW. Ihm seien allerdings
keine besonderen Fähigkeiten anzumerken, welche
diesen Aufstieg rechtfertigen würden.
Datterbeck:
(tritt ein mit einem Wägelchen voll roter Ordner)
Damen und Herren, ich wünsche einen schönen guten
Tag.
Kosch:
Salve Otto.
Kas:
Guten Tag, Herr Datterbeck.
Datterbeck:
Na, wie geht's, Marco.
Kosch:
Schlecht.
Datterbeck:
Möchtest du einen Schluck Klosterfrau Melissengeist?
Kosch:
Nein. Sandra will uns verlassen.
Datterbeck:
Frau Kas? Sie sind erst kürzlich zu uns gestossen.
Kas:
(gelangweilt)
Ich weiß.
Datterbeck:
Marco, strenge dich an und überzeuge Frau Kas, dass sie
bleiben soll.
Kosch:
Das tue ich seit Minuten.
Kas:
(ablenkend)
Sie sind heute früh unterwegs mit der Post.
Datterbeck:
Nein -
Kas:
Uns so viel. Ist das alles Arbeit für uns?
Datterbeck:
Aber nein -
Kas:
Oder hat Regula Büromaterial bestellt?
Datterbeck:
Heute amtiere ich als Zügelmeister.
Kosch:
Wer wechselt den Platz?
Datterbeck:
Ich zügle die Unterlagen der GW Leasing Mitarbeiter, die
hier einziehen werden.
Kosch:
Die kommen schon?!
Kas:
Unangemeldet. In mein Büro. Siehst du Marco, jetzt
wird's lustig.
Datterbeck:
Tut nicht so überrascht. Ihr habt gewusst, dass sie in
unser Haus ziehen.
Kas:
Aber so schnell...
Datterbeck:
Wo soll ich die Ordner deponieren, Frau Kas?
Kas:
Dort drüben im Regal bei den blauen Ordnern hat es
Platz.
Kosch:
Ich helfe dir.
Datterbeck:
Hilfsbereit wie immer.
(Kosch und Datterbeck stellen die roten Ordner ins
Regal)
Kas:
Wann exakt werden die Herrchen und Frauchen dieser
Ordner hier einquartiert?
Datterbeck:
Ich vermute bald.
Kosch:
Du weisst es nicht?
Datterbeck:
Auf die Stunde genau kann ich das nicht sagen.
Kosch:
Otto Datterbeck: Postbote, Zügelmann,
Gebäudetechniker und beste Informationsquelle der
Vergo ist für einmal unwissend... Kann das sein?
Datterbeck:
Dass die ersten Angestellten der GW Leasing heute im
zweiten Stock eingezogen sind, weiss ich immerhin.
8
Kas:
Die Invasion hat begonnen!
Datterbeck:
Waffen trugen sie keine.
Kas:
Moderne Schlachten werden mit subtileren Mitteln
geschlagen. Psychologisch.
Datterbeck:
Denken Sie optimistisch, Frau Kas.
Kosch:
Das Regal ist voll. Wo willst du die übrigen Ordner
hinstellen?
Kas:
Stellt sie auf den Boden, oder auf einen Kasten.
Kosch:
Otto? Weisst du zufällig, was für ein Typ Herr Dennler
ist?
Datterbeck:
Unser aller neuer Chef?
Kosch:
Der.
Datterbeck:
Die GW Leute im zweiten Stock sagten, sie kennen ihn
nicht. Er hatte vorher einen Posten in der GW Bank.
Kas:
Was passierte mit dem vorherigen Boss der GW Leasing?
Datterbeck:
Offenbar wurde ihm eine verantwortungsvolle Position
im GW Konzern angeboten. Er hat angenommen und
Dennler ist in die Lücke gesprungen.
Kosch:
So ist das also...
Kas:
Aber dann fehlt Dennler als Neuling das Know-how des
Leasing-Geschäfts...
Datterbeck:
So, ich bin fertig mit dieser Ladung.
Kosch:
Du verlässt uns? Muss ich Sandra alleine überzeugen bei
uns zu bleiben?
Datterbeck:
Es warten noch einige Ladungen Ordner. Bin gleich
wieder zurück mit den nächsten. Schafft doch schon
Platz.
(geht)
Kosch:
Mehr?
Kas:
Jetzt geht's los. Zerfleischen werden sie euch. Man
sprach von einer Fusion zweier Gleichberechtigter. In
Wahrheit war es eine Übernahme. Wenn das bereits mit
Betrug anfängt, wie wird es erst weitergehen?
Kosch:
Ich glaube an ein kooperatives Zusammenleben mit den
GW Leasing Angestellten, bis ich eines anderen belehrt
werde.
Kas:
Wenn sie dich nicht vorher rausgeworfen haben.
Kosch:
Das können sie nicht. Die brauchen unsere Arbeitskraft
und unser Wissen.
Kas:
Warum haben sie unseren Direktor einfach so
entmachtet?
Kosch:
Nater hat in der Vergangenheit einige Fehler gemacht.
Kas:
Fehler macht jeder.
Kosch:
Er tut mir ja auch Leid.
Kas:
Wenn sie unseren Chef fertig machen, warum sollten sie
es früher oder später nicht auch mit uns tun?
Kosch:
Die Suppe wird nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht
wird. Uns mag eine turbulente Phase bevorstehen. Aber
das legt sich wieder.
Kas:
Ich sage dir, die GW hat eine völlig andere Kultur als wir.
Bei denen zählt schnelles Geld und schneller Aufstieg.
Die sind zielstrebig und aggressiv.
Kosch:
Ein bisschen mehr Pfiff würde der Vergo nicht schaden.
Kas:
Schau dir mal an, wie viele Firmen die GW in den letzten
Jahren aufgekauft hat. Die fressen und fressen. Die
verschlingen so viel, dass sie es gar nicht verdauen
können. Und was sie nicht verdauen, werden sie bald
wieder rausspucken. Weil es ihnen auf dem Magen liegt.
Sie werden die Vergo Leasing herunter wirtschaften und
anschliessend verschachern.
Kosch:
9
Frau Kas Sandra, was ist in dich gefahren? Du
prophezeist Negatives. Das missfällt mir.
Kas:
Wetten, dass ich im Endeffekt Recht haben werde?
Kosch:
Wetten, dass die Schwarzseherin Kas Unrecht haben
wird?
Kas:
Ich werde Recht haben.
Kosch:
Du bist eine Besserwisserin.
Kas:
Fusion heisst Krieg.
Kosch:
Und wenn es so wäre, auch der geht vorbei.
Kas:
Ein Krieg ist schneller angefangen als beendet.
Dritte Szene: Invasion
Im Kundenberaterbüro. Die Hälfte des Büromaterials ist
rot. Die Mitarbeiter der GW sind modern, elegant und
keck gekleidet. Rottöne stechen hervor. Die Mitarbeiter
der Vergo kleiden sich ebenfalls gepflegt, hinken aber
stilmässig einige Jahre hinten nach. Sie sehen bieder aus
mit beamtenmäßigen Blautönen.
Feldmann:
(sitzt am Pult von Meier mit einem Stapel roter Ordner.
Er blättert in einem Ordner)
Wo sind denn die bloß?
(Von einem Regal holt er einen weiteren roten Ordner,
den er durchblättert)
Dennler:
(tritt ein)
Wo ist Frau Meier?
Feldmann:
Guten Tag, Herr Dennler. Sie arbeitet in ihrem alten Büro
im GW Komplex.
Dennler:
Ich will sie sprechen.
Feldmann:
Die meisten ihrer Arbeitsunterlagen sind noch dort. Ab
vier Uhr sollte sie hier sein.
Dennler:
Sind Sie ihr Stellvertreter?
Feldmann:
Nein, mit der Kundenberatung habe ich nichts zu tun.
Aber meine Ordner wurden hierher geliefert, anstatt in
mein Büro, welches drei -
Dennler:
Wo sind die anderen Kundenberater?
Feldmann:
Keine Ahnung. Wahrscheinlich im Pausenraum.
Dennler:
Pause! Wen wundert es, dass die Vergo stagnierte, wenn
die Mitarbeiter ihre Zeit mit Rauchen und Kaffee trinken
verbringen.
Feldmann:
Möglicherweise -
Dennler:
Die machen wohl am liebsten blau.
Feldmann:
Nun ja, die Farbe passt zu ihnen.
Dennler:
Wie kommen Sie voran?
Feldmann:
Wir halten den Zeitplan einigermassen ein.
Dennler:
Und die von der Vergo, spuren sie?
Feldmann:
Schwer zu sagen, in diesem frühen Stadium. Herr Kosch
zeigt sich jedenfalls kooperativ. Als alteingesessener
Mitarbeiter ist er eine wertvolle Informationsquelle.
Dennler:
Eignen Sie sich sein Wissen innerhalb der nächsten zwei
Monate an.
Feldmann:
Ich werde mein Bestes versuchen. Aber Herr Kosch ist für
die Informatik verantwortlich und ich für die Finanzen.
Da gibt -
Dennler:
Kein Aber. Das war ein Auftrag an Sie, Feldmann.
Feldmann:
Jawohl. Ich möchte trotzdem zu Bedenken geben, dass -
Kosch:
(tritt ein)
Du Klaus, ich habe eine Idee. Oh, guten Tag Herr
Dennler. Störe ich?
Dennler:
Kommen Sie.
(Peinliche Pause)
Feldmann:
Um was geht's?
Kosch:
10
Ich habe eine Lösung, wie wir die Finanzdaten auf unser
Computersystem migrieren könnten mit akzeptablen
Kosten und mässigem Zeitaufwand.
Dennler:
Was für Kosten?
Feldmann:
Die neue Firma übernimmt bekanntlich das Computer
System der Vergo. Nun müssen erst alle Daten des GW
Systems auf das der Vergo migriert werden. Das Problem
ist aber, dass die beiden Systeme nur bedingt
kompatibel sind.
Dennler:
Ja und?
Kosch:
Das bedeutet, dass die Datenmigration viel Zeit und
Arbeit in Anspruch nimmt, plus beträchtliche Kosten
verursacht.
Dennler:
Hohe Kosten für solche Nebensächlichkeiten toleriere ich
nicht. Ich verlange eine schnelle und preiswerte Lösung.
Feldmann:
Herr Kosch versucht bereits, das Problem auf geschickte
Weise zu lösen.
Kosch:
Ich bin optimistisch, wir kommen dem Ziel näher.
Dennler:
Bald ist mir zu langsam.
(zu Feldmann)
Sagen Sie Frau Meier, sie soll sich bei mir melden.
(geht)
Feldmann:
Jawohl, Herr Dennler.
Kosch:
Auf Wiedersehen, Herr Dennler. Er stellt sich die
Prozedur offenbar einfach vor.
Feldmann:
Er kennt unsere Systeme überhaupt nicht.
Kosch:
Du Klaus, mir ist vorher eine weitere Idee gekommen,
wie wir das Problem mit den Großkunden lösen
könnten. Darf ich dir das aufzeigen?
Feldmann:
Gerne. Aber ich muss gleich weg. Hast du morgen Zeit?
Kosch:
Klar, wenn dir das besser passt.
Feldmann:
Morgen wolltest du mir das Verrechnungssystem
erklären. Nehmen wir beides zusammen?
Kosch:
Sicher. Es wäre sinnvoll, den Ablauf des
Monatsabschlusses auch gleich durchzugehen.
(Schulthess tritt ein, geht zum Arbeitsplatz von Felice)
Feldmann:
Das liegt zeitlich kaum drin. Mein Terminkalender ist
zugenagelt. Tschüs.
(geht)
Kosch:
Bis später.
Schulthess:
Salve.
Kosch:
Gaby, sei gegrüßt.
Schulthess:
Wo ist die graue Eminenz?
Kosch:
Keine Ahnung.
Schulthess:
Ich brauche Madame Felice dringend.
(Das Telefon am Arbeitsplatz von Esslin klingelt)
Kosch:
Schau dich doch um im Haus. Irgendwo wirst du sie
finden.
Schulthess:
Wenn man sie einmal braucht...
Kosch:
(zum Telefon)
Auch das noch...
Schulthess:
Ein externer Anruf.
Kosch:
(nimmt ab)
Vergo Leasing Kundenberatung, guten Tag.
(Pause)
Nein, Herr Esslin ist momentan nicht an seinem
Arbeitsplatz.
(Pause)
Das würde ich Ihnen empfehlen.
(Pause)
Auf Wiederhören.
(hängt auf)
Schulthess:
Liebe Kunden, unser Laden ist am fusionieren und wir
11
haben deshalb keine Zeit für euch. Ruft uns doch in
einigen Wochen wieder an.
Kosch:
So jung und schon sarkastisch...?
Schulthess:
Die Lebenserfahrung bringt das mit sich.
Kosch:
Aha.
Schulthess:
Wo ist Sigi Esslin? Arbeitet er noch bei uns?
Kosch:
Vorher habe ich ihn gesehen.
Schulthess:
Dann ist er noch da. Bei ihm weiss man nie, er ist so
unscheinbar.
Kosch:
Vielleicht versteckt er sich unter seinem Tisch.
Schulthess:
(begutachtet Esslins Arbeitsplatz)
Mal sehen. Alles ist da - schön geordnet - nur der
stumme Sigi nicht.
(geht zu Meiers Arbeitsplatz)
Ist hier ein Roter eingezogen?
Kosch:
Eine Mitarbeiterin der GW.
Schulthess:
Der Platz sieht schlampig aus. Was macht die hier?
Kosch:
Frau Meier leitet die Kundenberatung.
Schulthess:
Und die graue Eminenz?
Kosch:
Regula sitzt immer noch da.
Schulthess:
Aber Regula ist die Teamleiterin.
Kosch:
Nicht mehr.
Schulthess:
Das ist gemein. Ich habe vorher mit zwei Leuten vom
dritten Stock gesprochen. Die sagten, bei ihnen seien
auch einige Chefs von den Roten entmachtet worden.
Sie wollen sich dagegen wehren und für ihre Jobs
kämpfen.
Kosch:
Wie denn?
Schulthess:
Die von der GW sabotieren oder so.
Kosch:
Das ist unvernünftig. Wir sind jetzt eine Firma und
müssen zusammen arbeiten.
Schulthess:
Remo, die Roten sind ätzend. Ich habe seltsame
Geschichten über sie gehört.
Kosch:
Dumme Gerüchte sind das, und Lehrlinge wie du sollten
die ignorieren. Ich muss schleunigst an die Arbeit, und
du gehörst an deinen Arbeitsplatz. Los.
Schulthess:
Heute ist der letzte Arbeitstag von Marisa. Wir gehen um
fünf in die Bar nebenan zu einem Drink. Kommst du
mit?
Kosch:
Danke, ich werde heute länger arbeiten.
Schulthess:
Aber Marisa lädt dich ein.
Kosch:
Die Fusion bringt viel zusätzliche Arbeit mit sich. Zudem
muss ich für morgen eine Schulung für einige GW Leute
vorbereiten.
Schulthess:
Du bist viel zu nett mit denen. Die nützen dich doch aus.
Kosch:
Die Arbeit macht mir Spass. Ich bin mit anspruchsvollen
Informatik-Problemen beschäftigt wie noch nie. Das
fordert mich.
Schulthess:
Ich würde für diese Firma keine Überstunden machen.
Partys sind besser.
(Sie verlassen das Büro)
ZWEITER AKT: INTEGRATION
Erste Szene: Rien ne va plus
Im Kundenberaterbüro. Esslin ist während der Szene
mehrheitlich am Telefon. Er spricht leise. Meier sitzt an
ihrem Arbeitsplatz und überlegt.
Felice:
(ihr Telefon klingelt)
GW Leasing Kundenberatung, Regula Felice, guten Tag.
(Pause)
Geben Sie mir bitte Ihre Kundennummer.
(tippt am Computer)
Sieben fünf drei neun drei. Sie haben eine dritte
Mahnung erhalten, sehe ich hier.
12
(Pause)
Ich nehme das zur Kenntnis.
(Pause)
Beruhigen Sie sich, Herr Brunner.
(Pause)
Ich kann im Moment nicht beurteilen, was los ist. Aber
ich werde dem Fall nachgehen und Sie umgehend
darüber informieren. Darf ich Ihre Telefonnummer
haben?
(schreibt)
Herr Brunner, so bald wie möglich werde ich Sie
kontaktieren.
(Pause)
Ich Ihnen auch.
(hängt auf, nimmt ein Blatt vom Drucker und legt es auf
einen Stapel Papier, den sie hochhebt)
Schau Sigi, ich habe so viele Kundenbeschwerden. Wie
gross ist dein Stapel? Ah, er ist am Telefon... Frau Meier,
das war ein Fall für Sie.
Meier:
Bitte?
Felice:
Dieser Kunde will zur Konkurrenz wechseln, wenn nicht
eine leitende Person sich bei ihm persönlich entschuldigt
für die unrechtmäßige dritte Mahnung mit der
Beitreibungsandrohung, die er heute von uns erhielt.
(legt das Blatt auf Meiers Pult)
Meier:
Offensichtlich handelt es sich um einen Fehler im
Computersystem der ex-Vergo. Ich werde veranlassen,
dass die verantwortlichen ex-Vergo Mitarbeiter erstens
den Fehler beheben und zweitens sich bei den Kunden
für das Malheur entschuldigen werden.
(streckt Felice das Blatt hin)
Nehmen Sie das zurück.
Felice:
Geben Sie mir einen Beweis, dass wir von der Vergo
einen Fehler machten.
Meier:
Warten Sie ab.
Felice:
Ich warte ...
(Pause)
Esslin:
Du, Regula?
Felice:
Was ist?
Esslin:
Mir fällt auf, dass sich vor allem Kunden der ex-GW
beschweren. Ist das bei dir auch so?
Felice:
Das müsste ich untersuchen.
Esslin:
Prüf doch mal die Kundennummern.
Felice:
OK.
(blättert ihren Stapel durch)
Meier:
(nimmt ihr klingelndes Telefon ab)
GW Leasing Kundenberatung, Stania Meier, guten Tag.
(Pause)
Nein, dafür bin ich leider nicht zuständig. Ich verbinde
Sie weiter. Einen Augenblick. Herr Esslin! Nehmen Sie
den Anruf.
Felice:
(ihr Telefon klingelt)
GW Leasing Kundenberatung, Regula Felice, guten Tag.
(Pause)
Darf ich Ihre Kundennummer haben?
(tippt am Computer)
Ja.
(Pause)
Wenn Sie glauben, die Mahnung sei ungerechtfertigt,
dann geben Sie mir Ihre Telefonnummer. Ich werde der
Sache nachgehen und Sie zurück rufen.
(Pause)
Aber sicher, Frau Fehr.
(Pause)
Einen schönen Tag.
(hängt auf, nimmt ein Blatt vom Drucker und legt es auf
den Stapel. Blättert weiter im Stapel)
Ex-GW Kunde... ex-GW... ex-GW... ex-GW... ex-GW
Kunde. Sigi, du hast recht. Alle meine Anrufe stammen
von Kunden, die vor der Fusion bei der alten GW waren.
Frau Meier, was sagen Sie zu unserer Feststellung?
Meier:
Das ist interessant.
Felice:
Nicht wahr?
Meier:
Gehen Sie der Sache genauer nach. Vielleicht finden wir
so die Ursache des Problems.
13
Felice:
(ihr Telefon klingelt)
Wie soll ich dem nachgehen, wenn ich ständig am
Telefon bin?
(nimmt ab)
Esslin:
Frau Meier?
Meier:
Ja?
Esslin:
Der Kunde am Telefon fragt, ob er seinen Vertrag
frühzeitig auflösen kann mit zwei Monaten
Kündigungsfrist.
Meier:
Warum fragen Sie das mich? Sie kennen hoffentlich
Ihren Job, oder nicht?
Esslin:
Ja, aber letzthin sagten Sie, dass Sie die
Kündigungsfristen ändern.
Meier:
Sagen Sie dem Anrufer, er soll uns in zwei Wochen
nochmals kontaktieren. Wir haben jetzt keine Zeit dafür.
Esslin:
OK.
(Esslin und Meier sprechen am Telefon. Nach einer Weile
verlieren sie gleichzeitig ihre Anrufer)
Felice:
Hallo, Herr Föhn... sind Sie noch da? Weg.
Esslin:
Ist deine Leitung auch tot?
Felice:
Mausetot. Und Ihre, Frau Meier?
Meier:
(prüft)
Kein Summton.
Felice:
Großartig.
Meier:
In unserem ehemaligen Gebäude ist niemals eine solche
Panne vorgekommen.
Felice:
Bei uns auch nicht, bevor ihr eingezogen seid.
Meier:
Überhaupt, die Telefonanlage der alten GW war viel
moderner und besser.
Felice:
Mich wundert, warum ihr in unsere Räumlichkeiten
eingezogen seid, wenn es bei euch so großartig war.
Meier:
Ich wäre gerne dort geblieben!
Felice:
Wir wollten diese Fusion nicht.
Meier:
Die Mitarbeiter der GW Leasing ebensowenig.
Esslin:
Nutzen wir die Ruhe, um nach der Ursache des
Mahnproblems zu suchen.
Felice:
Bezeichnenderweise kamen die Anrufe, wie bereits
erwähnt, ausschliesslich von ex-GW Kunden, was
eindeutig darauf hindeutet, dass die Ursache bei Ihrer
Firma zu suchen ist, liebe Frau Meier. Wo versagte Ihre
Firma?
Meier:
Das ist eine Unterstellung. Ich bin mir keines Fehlers
unserer Seite bewusst.
Felice:
Echt? Wie war das mit der Entlassung von fünf Vergo
Annalisten, die ihr nach einem Monat wieder zurück
haben wolltet, erfolglos natürlich, weil keiner der GW
diese wichtige Funktion ausüben konnte? War das kein
Fehler?
Meier:
Was sagen Sie zum Buchhalter der ex-Vergo, der noch
vor der Fusion wegen Veruntreuung von Geldern
entlassen wurde?
Felice:
Warum sind Sie Leiterin der Kundenberatung geworden,
obwohl Ihre Fach- und Sozialkompetenzen bekanntlich
weit unter dem Durchschnitt liegen?
Meier:
Bekanntlich?
Felice:
Sie sind unfähig, vernünftig mit Menschen umzugehen.
Nicht wahr, Sigi?
Esslin:
Sorry, ich habe nicht zugehört.
Feldmann:
(tritt ein)
Sind bei euch die Telefone auch ausgestiegen?
Meier:
Ja, alle drei.
14
Felice:
Was ist los?
Feldmann:
Ich habe einen Techniker gesehen. Sie werden am
Basteln sein.
Felice:
Auch das noch.
Meier:
Hast du den Grund für unser Mahnproblem gefunden?
Feldmann:
Mir ist schleierhaft, was falsch sein sollte. Kriegt ihr
immer noch Anrufe deswegen?
Meier:
Massenhaft.
Felice:
(streckt ihren Stapel hoch)
Hier!
Feldmann:
So viele?!
Felice:
Können Sie mir verraten, warum wir Telefonate
entgegen nehmen müssen, die eindeutig in die
Buchhaltung gehören. Wir versinken in den eigenen
Problemen.
Feldmann:
Entschuldigung Frau Felice, das war so vereinbart.
Felice:
Davon weiss ich nichts.
Feldmann:
Stania wollte die Telefonnummer der Kundenberatung
auf den Mahnungen als Kontaktstelle aufgedruckt
haben.
Meier:
So ist es.
Felice:
Schön, dass wir das auch erfahren. Obwohl, ich kann es
nicht nachvollziehen.
Meier:
Die Entscheidungen in diesem Büro treffe ich.
Felice:
Herr Feldmann, alle Anrufe die wir erhielten bezüglich
ungerechtfertigter Mahnungen betreffen Kunden der ex-
GW. Wie erklären Sie sich das?
Feldmann:
Seltsam.
Felice:
Benutzt ihr falsche Kontonummern, oder haben die ex-
GW Kunden seltsame Zahlungsrituale?
Feldmann:
Es könnte mit der Umstellung auf das neue System zu
tun haben.
Meier:
Das habe ich mir die ganze Zeit gedacht. Das ex-Vergo
System ist einfach unzulänglich.
Felice:
Nun sollen wir wieder schuld sein. Warum habt ihr unser
System übernommen, wenn eures so viel besser war?
Feldmann:
Wann haben wir hier angefangen?
Meier:
Vor drei Monaten.
Feldmann:
Seither haben wir nie Mahnungen verschickt, wegen der
vielen Probleme. Die einen Kunden zahlen prinzipiell
erst, wenn sie gemahnt werden. Wenn man drei Monate
nicht mahnt, ergeben sich natürlicherweise mehr
Mahnungen als üblich.
Felice:
Ich hatte Leute am Telefon, die behaupteten, sie
erhielten eine dritte Mahnung, obwohl sie längst bezahlt
haben.
Meier:
Wenn sie drei Monate nicht zahlen, ergibt das
automatisch eine dritte Mahnung.
Felice:
Aber sie zahlten.
Meier:
Das kann jeder behaupten.
Feldmann:
Ich werde die Sache weiter untersuchen.
(geht)
Meier:
Sie werden die Kunden zurück rufen und ihnen sagen,
die Mahnungen seien gerechtfertigt, sie sollen ihre
ausstehenden Leasingraten bezahlen.
Felice:
Das können Sie nicht tun. Die Kunden werden grün und
blau vor Wut.
Meier:
Wir werden es tun.
Felice:
Sie übernehmen die volle Verantwortung für die
15
Konsequenzen.
Meier:
Ich berufe mich auf die Aussagen von Klaus Feldmann.
Er ist Finanzchef in diesem Haus, nicht Sie.
Felice:
Der Himmel möge uns beistehen...
Meier:
An die Arbeit. Machen Sie die Rückrufe.
Esslin:
Die Telefone funktionieren nicht.
Felice:
Überhaupt, was sollen wir sagen?
Meier:
Eben, was Herr Feldmann vorhin erwähnte -
Kosch:
(tritt ein)
Eminenz, ich hab's!
Felice:
Was denn?
Kosch:
Die Ursache für die dubiosen Mahnungen.
Felice:
Echt?
Kosch:
Die ist so verflixt, dass nicht einmal du darauf
gekommen wärst.
Felice:
Erzähl schon.
Kosch:
Sieh dir mal am PC die offenen Raten irgendeines
Kunden an.
Felice:
Nehmen wir den... Maurer.
Kosch:
Hier in dieser Kolonne stehen die Mahncodes.
Felice:
Eins steht für erste Mahnung, zwei für zweite Mahnung,
drei für dritte Mahnung.
Kosch:
Genau. So funktioniert unser Vergo System. De alte GW
hingegen hatte in ihrem Computersystem eine Kolonne
mit Regionencodes, was wir nicht haben. Stimmt's, Frau
Meier?
Meier:
Ja, das Land war in acht Regionen aufgeteilt.
Kosch:
Jeder Kunde hatte also einen Code, der seine
Wohnregion definierte. Beispielsweise eins für den
Norden, zwei für den Nordwesten und so weiter. Als
nun die Daten des ex-GW Systems auf unser System
transferiert wurden, passierte ein Fehler.
Felice:
Die Codes wurden vermischt?
Kosch:
Richtig.
Felice:
Die acht Landesregionen der ex-GW gerieten
dummerweise in unsere Kolonne für Mahncodes.
Kosch:
So ist es. Alle Kunden aus der Region Nord mit Code eins
haben eine erste Mahnung erhalten.
Meier:
Und die mit Region zwei, Nordwest eine zweite?
Kosch:
Natürlich.
Meier:
Oh mein Gott, was für ein Desaster!
Felice:
Was passierte mit Code fünf?
Kosch:
Unser System versteht nur die Mahncodes eins bis drei.
Mit den Regionen vier bis acht kann es nichts anfangen.
Das System ignoriert diese Zahlen und die
entsprechenden Kunden erhalten keine Mahnung.
Felice:
Selbst wenn sie ihre Leasingraten nicht bezahlen.
Kosch:
Genau.
Felice:
Kunden, die ihre Rechnungen bezahlen, erhalten eine
Mahnung und andere, die nicht zahlen, erhalten keine.
Kosch:
Oder eine falsche.
Meier:
Wie?
Kosch:
Wer zum Beispiel in Region drei wohnt und eine erste
Mahnung verdient, erhält eine dritte.
Felice:
Das wird ein Chaos.
Kosch:
Das ist ein Chaos.
16
Meier:
Schuld daran ist das EDV-System der ex-Vergo!
Kosch:
Stopp, Frau Meier. Sie sind zu voreilig mit Ihrem Urteil.
Den Urheber des Fehlers gilt es dingfest zu machen.
Meier:
Aber es ist kristallklar.
Felice:
Ihr von der GW habt euch entschieden, unsere EDV
Anlage zu benutzen. Folglich handelt es sich um eine
Fehlentscheidung von euch.
Meier:
Aber ihr habt den Datentransfer durchgeführt und zwar
fehlerhaft.
Felice:
Euch konnte die Prozedur nicht schnell genug gehen. Ihr
habt externe Berater hinzu gezogen, die anscheinend
falsche Schritte eingeleitet haben, weil sie die Systeme
zuwenig kannten.
Meier:
Wenn ihr die Anweisungen der Experten missachtet -
Felice:
Wenn ihr die Resultate nicht auf Fehler hin durchtestet -
Kosch:
Bitte hört auf! Ihr verschwendet wertvolle Zeit, wenn ihr
euch gegenseitig die Schuld zuschiebt. Wir müssen
gemeinsam vorwärts denken und die Folgen des Fehlers
ausbaden.
Meier:
Die Verursacher sollten den Fehler beheben.
Kosch:
Wir sind seit einigen Monaten EINE Familie.
Esslin:
Man zankt sich jedenfalls wie in einer richtigen Familie...
Felice:
Was schlägst du vor, Remo?
Kosch:
Wir werden die Daten aller Kunden auf ihre Richtigkeit
hin überprüfen.
Felice:
Wir haben mehrere tausend Kunden.
Kosch:
Jene, die mit einer falschen Information beliefert
wurden, müssen wir kontaktieren und uns bei ihnen
entschuldigen.
Felice:
Das werden hunderte sein.
Kosch:
Zusätzlich sollten wir -
Felice:
(ihr Telefon klingelt)
Es funktioniert wieder. Was soll ich den Kunden sagen?
Kosch:
Die Wahrheit.
Felice:
(nimmt ab)
GW Leasing Kundenberatung, Regula Felice, guten Tag.
(spricht leise weiter)
Meier:
(ihr Telefon klingelt)
Herr Esslin.
Esslin:
Ja.
Meier:
Nehmen Sie den Anruf.
Esslin:
Sofort.
(nimmt ab)
GW Leasing Kundenberatung, Siegfried Esslin, guten
Tag.
(spricht leise weiter)
(Kosch geht)
Meier:
(Ihr Telefon klingelt, zögert, nimmt ab)
GW Leasing Kundenberatung, Stania Meier, guten Tag.
(spricht leise weiter)
Zweite Szene: Handschellen
Im Büro von Nater. Es ist blau dekoriert. Nater ist alleine
und spricht am Handy. Er macht einen gebrochenen,
ratlosen Eindruck.
Nater:
(ins Handy)
Ich bin trotzdem dafür, dass wir am Sonntag in die
Berge fahren, auch wenn unser Junior nicht mitkommen
will.
(Pause)
Was meint die Wettervorhersage?
Felice:
(klopft, tritt ein)
Salve, Ernst.
(sieht ihn am Handy)
17
Entschuldigung; ich komme später nochmals.
Nater:
(winkt ihr zu bleiben)
Du, ich habe Besuch. Sprechen wir heute Abend
darüber.
(Pause)
So gegen sechs Uhr sollte ich zu Hause sein.
(Pause)
Bis später.
Felice:
Hast du Zeit für mich.
Nater:
Jede Menge. Salve, Regula.
Felice:
(begutachtet Naters Handy)
Seit wann hast du ein Handy?
Nater:
Ich habe es vor einer Weile gekauft.
Felice:
Unglaublich. Du warst einer der erbittertsten Handy-
Gegner in meinem Umfeld.
Nater:
Die Zeiten ändern sich. Ich habe Angst, mein Telefon
wird abgehört.
Felice:
Glaubst du, die Roten tun das?
Nater:
Man kann nie wissen. Big brother is watching you.
Felice:
Du hast Recht.
Nater:
Dass du dich in mein Büro wagst, könnte dir negativ
angekreidet werden.
Felice:
Du logierst derart abgelegen, dass es niemand bemerkt.
Hinter dem WC, neben der Putzkammer. Wer verirrt sich
hierher...?
Nater:
Stimmt.
Felice:
Recht primitiv eingerichtet hier. Doch das Blau wirkt
beruhigend.
Nater:
Wie in den guten alten Zeiten.
Felice:
Ja. Was machst du den lieben langen Tag hier?
Nater:
Wenig. Ab und zu darf ich potentielle Neukunden
evaluieren, auf Zahlungsfähigkeit hin und so.
Felice:
Ist das alles?
Nater:
(lächelt, nimmt ein Computerspiel aus der Schublade
hervor)
Schau, das habe ich von meinem Sohn ausgeliehen.
Felice:
Unser ex-Boss schlägt seine Zeit mit Computerspielen
tot.
Nater:
Dafür hatte ich früher keine Zeit.
Felice:
Kommst du bereits in die zweite Kindheit?
Nater:
He du! Zum Gamen braucht man Köpfchen.
Felice:
Ist das ein Leben?
Nater:
Meine Frau freut sich, wenn ich abends früh nach Hause
komme und mehr Zeit für die Familie habe.
Felice:
Und du? Bist du glücklich?
Nater:
Warum besuchst du mich? Kann ich dir irgendwie
helfen?
Felice:
Hast du vorhin das Krankenauto gehört?
Nater:
Klar.
Felice:
Hans-Peter wurde ins Spital gefahren.
Nater:
Unser Hans-Peter?
Felice:
Ja.
Nater:
Wieso?
Felice:
Ich vermute, er hielt den Nervenstress im Büro nicht
mehr aus. Jedenfalls drehte er durch und erlitt einen
Nervenzusammenbruch.
Nater:
Mit dreiundvierzig.
18
Felice:
Zum ersten Mal in seinem Leben.
Nater:
Nein.
Felice:
Ich sagte mir, so kann es nicht weitergehen in dieser
Firma.
Nater:
Tja.
Felice:
Die Angestellten sind frustriert. Wir arbeiten mehr als
früher, um alle Änderungen und Neuheiten einzuführen.
Trotzdem sind die Resultate schlechter als vorher.
Nater:
Umstellungen brauchen Zeit, bis sie greifen.
Felice:
Es ist ätzend zu sehen, was für kapitale Fehler immer
wieder gemacht werden. Die Sache mit den Mahnungen
hast du wohl mitgekriegt. Als man den Fehler verbessern
wollte, stürzte das System ab, und wertvolle Daten
gingen verloren. Das ist nur ein Beispiel von vielen.
Nater:
Pannen sind nicht zu vermeiden bei Fusionen dieser
Größenordnung.
Felice:
Es geht drunter und drüber. Ernst, werde aktiv. Wir
brauchen deine Hilfe.
Nater:
Ich kann nicht.
Felice:
Die Kunden laufen uns davon. Findest du das gut? Nur
weil du degradiert wurdest, brauchst du nicht untätig zu
sein.
Nater:
Mir sind die Hände gebunden.
Felice:
Die Roten sind drauf und dran, uns zu zerstören.
Nater:
Ich weiss.
Felice:
Ich sehe rot, äh schwarz für die GW Leasing.
Nater:
Wir sind in einer schwierigen Phase.
Felice:
Eben darum will ich, dass du den Kampf aufnimmst
gegen Dennler. Was immer er anfängt, es kommt falsch
heraus. Man sagt, er habe seinen Job erhalten, weil er in
der obersten Etage des Konzerns einen Förderer hat.
Seine jetzige Position war sozusagen ein Geschenk.
Nater:
Pass auf, was du sagst. Über solche Themen würde ich in
dieser Firma schweigen.
Felice:
Es soll Beweise dafür geben.
Nater:
Na und? Wer die Wahrheit sagt, macht sich unbeliebt.
Felice:
Ist das so?
Nater:
Leider. Und lebt gefährlich.
Felice:
Deshalb sollte man erst recht für Wahrheit und
Gerechtigkeit kämpfen.
Nater:
Solange Dennler von oben gestützt wird, sitzt er fest im
Sattel.
Felice:
(geht nervös hin und her im Büro. Entdeckt in Naters
Postablage die Mitarbeiterzeitschrift, nimmt sie in die
Hand, streckt sie Nater hin)
Deine Post von gestern.
Nater:
Das Mitarbeiter-Magazin.
Felice:
Die neue "Sunrise" ist an die Mitarbeiter verteilt worden.
Nater:
Ich nenne das Blatt "Mondfinsternis".
Felice:
Mit grossem Interesse habe ich "Sunrise" gestern
gelesen. Ich war gierig darauf heraus zu finden, was die
Propaganda-Profis vom Konzern uns Schönes
indoktrinieren wollen. Du nicht?
Nater:
Ich habe die erste Ausgabe gelesen und werde mir das
nicht wieder zu Gemüte führen.
Felice:
Aber "Sunrise" ist voll von Erfolgsgeschichten und
Hochglanzfotos.
Nater:
Gib her.
(nimmt ihr die Zeitschrift aus der Hand)
Felice:
19
Nein!
Nater:
(wirft die Zeitschrift in den Abfall)
So.
Felice:
(holt die Zeitschrift aus dem Abfall)
Lass dir von den Kommunikationsprofis erzählen, wie
wunderbar es in der GW ist.
(blättert in der Zeitschrift)
Nater:
Ich mag es nicht hören.
Felice:
Hier. Eine Geschichte aus der Provinz mit Happy End! Im
idyllischen Städtchen Au -
Nater:
Das tut weh -
Felice:
...wurde die Geschäftsstelle der ex-Vergo Bank
aufgehoben und die Mitarbeiter durften ins Gebäude
der ex-GW-Geschäftsstelle umziehen, wo sie von ihren
neuen GW Arbeitskollegen mit großer Freude
empfangen wurden.
Nater:
Schreiben die auch, wie viele Angestellte nicht zur GW
umziehen durften, weil sie entlassen wurden?
Felice:
Nein. Solche Details interessieren eh niemanden.
Jedenfalls sind die lieben Leute in ihren gemeinsamen
Büros heute glücklicher als jemals zuvor.
Nater:
Jeder Mitarbeiter unseres Konzerns hat an seiner
eigenen Haut miterlebt, dass die Realität völlig anders
ist.
Felice:
Halten die Propaganda-Heinis uns für blinde Idioten?
Nater:
Vielleicht sind sie einfach zynisch.
Felice:
(blättert im Magazin)
... All die lächelnden, motivierten Mitarbeiter. Wo sie
wohl arbeiten? Die bei uns sehen jedenfalls
niedergeschlagener aus.
Nater:
Man versucht uns zu manipulieren mit diesem Blättchen.
Felice:
Hier ist er! Mein Liebling dieser Ausgabe.
Nater:
Wer?
Felice:
Der Mitarbeiter des Monats: HANS MUSTER.
(Muster betritt unauffällig das Büro)
Nater:
Nie gehört.
Felice:
Der Traum eines jeden Generaldirektors. Hans Muster ist
jung, engagiert, ehrgeizig und dynamisch. Er ist
überglücklich, weil er für GW arbeiten darf. Für seine
Firma gibt er alles. Sein Lächeln, Ernst... weisser als
weiss.
Nater:
Durchsichtig?
Felice:
Schau dir den Prachtskerl an.
(streckt Nater des Magazin vors Gesicht)
Was für eine Figur. Hansi hat bestimmt einen knackigen
Hintern...
Nater:
Wenn der mir mal über den Weg liefe -
Felice:
... würde ich ihm in den Arsch kneifen...
Nater:
... würde ich ihn fragen, ob er ernsthaft glaubt, was er
sagt.
Muster:
(tritt zu den beiden hin. Strahlend, energiegeladen,
euphorisch, elegant)
Selbstverständlich glaube ich, was ich sage. Ich lebe es.
Jeden Tag aufs Neue; voller Motivation. Meine Firma
braucht Angestellte wie mich.
Felice:
(umkreist Muster)
Hans Muster...?
Muster:
Wahrlich, wahrlich, ich bin es.
(Felice kneift ihm in den Hintern)
Muster:
Aua!
Felice:
Er ist echt!
Muster:
Meine Firma ist gut. Sie ist ein großartiger Arbeitgeber,
der mir vielfältige Entwicklungs- und Aufstiegschancen
20
bietet. Ich liebe meine Firma.
Felice:
(klopft an seine Brust)
Sie sind ein strammes Mannsbild.
Muster:
Ich trainiere meinen Körper eine Stunde pro Tag. Ich bin
es meinen Kunden und Mitarbeitern schuldig, dass ich
gut aussehe. Ich liebe meinen Job. Ich liebe meine Firma.
Felice:
Aber Herr Muster, es gibt viele Probleme in Ihrer
geliebten Firma.
Muster:
Es gibt keine Probleme. Es gibt nur Lösungen. Ich tue
alles, was in meiner Macht steht, um Lösungen für
meine Firma zu realisieren. Ich bin allzeit für meinen
Arbeitgeber bereit.
Nater:
Sie werden doch gewiss zugeben, die vergangenen
Monate waren für uns alle in der GW schwierig.
Muster:
Für mich gibt es keine Vergangenheit. Ich kenne nur die
Zukunft. Die Zukunft ist rosarot. Ich werde für meine
Firma kämpfen und sie wird mich reichlich belohnen
dafür.
Felice:
Sind Sie der Gehirnwäsche des positiven Denkens
unterzogen worden?
Muster:
Ich bin ein glücklicher Mensch. Ich möchte meine Firma
auch glücklich sehen.
Felice:
Führen Sie sich nach Feierabend daheim auch so auf wie
hier?
Muster:
Mein Arbeitgeber will, dass ich mehr als hundert Prozent
für ihn gebe. Mir fehlt die Zeit für ein Privatleben. Die
Karriere ist sowieso wichtiger.
Nater:
Was würden Sie tun, wenn Sie Ihren Job verlieren?
Muster:
Das kann niemals passieren. Mein Arbeitgeber ist gut.
Ich bin gut. Gemeinsam sind wir unschlagbar.
Felice:
(zu Nater)
Der ist nicht zum Aushalten.
Nater:
Herr Muster, es wird Zeit für Sie zu gehen. Ihr Besuch hat
mich erbaut.
Felice:
Ihr Optimismus erdrückt mich.
Muster:
Ich will Ihnen jetzt erzählen, was ich Grossartiges für
meine Firma tun werde.
Felice:
Nichts da. Raus mit Ihnen.
Muster:
Weil ich meine Firma liebe, werde ich -
Felice:
(ergreift Musters Krawatte und zieht ihn wie einen Hund
an der Leine zur Türe)
Wir haben bereits genug Problemfälle in diesem Haus.
Muster:
Es gibt keine Probleme. Es gibt nur Lösungen. Die
Zukunft ist rosarot.
Felice:
(stranguliert Muster leicht mit der Krawatte)
FERTIG GEZWITSCHERT, HANSI!
(schiebt Muster aus dem Büro)
Nater:
War das die kommende Generation von Managern?
Felice:
Eher einer der vielen Hohlköpfe, die durch die Büros
geistern.
Nater:
Das Niveau der Firma ist gesunken.
Felice:
Allerdings. Genau dagegen wehre ich mich. Ernst, lass
uns gemeinsam etwas unternehmen, damit wir hier drin
wieder auf Vordermann kommen.
Nater:
Ich kann nicht.
Felice:
Warum?
Nater:
Es steht nicht in meiner Macht.
Felice:
Du warst jahrelang unser Direktor. Du verstehst zu
führen.
Nater:
Es geht nicht.
Felice:
Eben warst du fast wie in den alten Zeiten, sprachst von
21
Zynismus und Manipulation der Roten.
Nater:
Das war nicht so ernst gemeint.
Felice:
Du spürst doch selbst, wie die von der ex-GW unsere
Kultur zerstören. Früher war es gemütlicher und
menschlicher.
Nater:
Du solltest dich von der Vergangenheit lösen.
Felice:
Die Roten sind dabei, den Betrieb kaputt zu machen.
Nater:
Du übertreibst.
Felice:
Sie haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht, als sie uns
durch ihren faulen Trick übernommen haben.
Nater:
Kann sein.
Felice:
Sei ein Mann und kämpfe für deine Vergo!
Nater:
Die Vergo ist Verliererin der Fusion.
Felice:
Nur weil eine Schlacht verloren ist, ist noch nicht der
ganze Krieg verloren.
Nater:
Als kleine Fische in einem grossen Konzern können wir
nichts bewirken.
Felice:
Im Konzern natürlich nicht. Aber unser Leasing-Umfeld
können und sollten wir mitgestalten. Wir haben Trümpfe
in unserer Hand. Unser Computersystem zum Beispiel.
Nater:
Auf was willst du hinaus? Eine Revolte?
Felice:
Ich wünsche mir, dass alle Angestellten der GW Leasing
in einer angenehmen Atmosphäre zusammen arbeiten
und dass die Arbeitsprozesse wieder korrekt ablaufen,
auch zur Zufriedenheit der Kunden.
Nater:
So.
Felice:
Das erzielt man dadurch, indem die Firma von Menschen
geführt wird, welche die Arbeitsprozesse kennen und
Mitarbeiter führen können. Zu denen gehörst du.
Nater:
Regula, du nimmst die Arbeit zu ernst.
Felice:
Machst du mit?
(Nater schüttelt den Kopf)
Felice:
Du lässt deine ehemaligen Untergebenen im Stich?
Nater:
Ich trage Handschellen.
Felice:
Heissen die Feigheit?
(verlässt das Büro)
Ich verstehe dich nicht.
Monolog Nater:
Sowas wie in den letzten Monaten habe ich in meinem
ganzen Leben noch nie durchgemacht. Dennler stellte
mich vor die Wahl: Degradierung akzeptieren und Maul
halten oder Entlassung. Ich darf nicht ins Geschehen
eingreifen und keine führende Position einnehmen,
dafür verdiene ich gleich viel wie früher.
Seit Monaten bin ich neben der Besenkammer
einquartiert und muss tatenlos zusehen, wie die Firma
herunter gewirtschaftet wird. Es ist frustrierend.
Mit 40 bin ich zur Vergo Leasing gestoßen. Zwölf Jahre
lang habe ich mitgeholfen, sie aufzubauen zu dem, was
sie bis vor kurzem war. Sieben Jahre davon als
Geschäftsführer.
Wäre ich einige Jahre älter, hätte man mich frühzeitig in
Pension geschickt und ich wäre fein raus. Doch ich bin
zu jung. Gleichzeitig bin ich zu alt, eine neue Stelle zu
finden. Wer will denn einen 52 Jahre alten Mann in einer
wirtschaftlich schwierigen Zeit einstellen, wenn das
gewünschte Idealalter der Jobkandidaten 25 bis 35 ist?
Hier besitze ich immerhin eine Arbeitsstelle mit gutem
Salär.
Meine Frau und ich diskutierten über einen Neuanfang.
Würde ich es schaffen, alles liegen zu lassen und noch
einmal von vorne anzufangen in einem anderen
Arbeitsgebiet, das mir Spaß macht? Mein Kopf und der
Körper sind frisch genug dazu. Aber die
Umschulungskosten und die finanziellen Einbußen bei
einem Neuanfang. Wie sollte ich meine Familie
durchbringen? Mein ältester Sohn studiert Medizin im
vierten Semester. Er braucht noch Jahre, bis er sich selbst
finanzieren kann. Meine Tochter ist 16, der Jüngste 13.
Beide gehen zur Schule.
Wir überlegten uns, ob meine Frau wieder arbeiten und