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Buddhismus und Neoliberalismus
Zwischen kapitalistischer Vereinnahmung und
heilsamem Engagement für eine gerechtere Welt
Masterarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
eines Master of Arts
an der Karl-Franzens-Universität Graz
vorgelegt von
Mag.rer.nat. Georg Mathias Klamminger
Matrikelnummer: 00210254
am Institut für Institut für Ethik und Gesellschaftslehre,
an der Katholisch-Theologischen Fakultät
Begutachter: Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.theol. Kurt Remele
Graz, 2021
2
Inhaltsverzeichnis
Vorwort und Danksagung 4
1. Einleitung 5
2. Der Neoliberalismus 8
2.1. Vorbemerkungen zur Eingrenzung des Begriffs 8
2.2. Gezielte Neoliberalismuskritik anstatt breitem „Kapitalismusbashing“ 10
2.3. Der Neoliberalismus – eine Annäherung an den Begriff 10
2.3.1. Die Genese des Neoliberalismus im historischen Überblick 12
2.3.2. Das neoliberale Menschenbild – die „Konstruktion des Menschen als
Humankapital 19
2.3.3. Die Gesellschaft im Neoliberalismus 24
2.3.4. Die sprachlichen Bilder des Neoliberalismus 27
2.4. Ausblick – (k)ein neoliberales Morgen und buddhistische Meditation? 29
3. Der Buddhismus – die Buddhismen? 34
3.1. „Der Buddhismus“ und die Notwendigkeit der Eingrenzung des Begriffs 34
3.2. „Bedingtes Entstehen“ und „Ich-Losigkeit“ als Fundamente der Lehren
des Buddha 35
3.3. Der Buddha schrieb nicht 39
3.4. Die durch die Lehren des Buddha begründeten Schulen 40
3.4.1. Theravada und andere frühbuddhistische Schulen 41
3.4.2. Mahayana-Schulen 43
3.4.3. Tantrayana-Schulen und das tibetische Vajrayana 47
3.5. Diverse buddhistische Schulen, ein „Common Ground“? 49
3.5.1. Vorbemerkung hinsichtlich der Schwierigkeit des Unterfangens 49
3.5.2. Von der „Dualität des Seins“ zur Entdeckung von „Buddhanatur“
und „Nirvana“ 49
3.6. Wie „der Buddhismus“ in den Westen kam 52
3.7. Die Richtung des „Mindfulness-Only“ („Nur-Achtsamkeit“) 59
3.8. Überleitende Schlussbemerkungen 63
3
4. Das Verhältnis von Buddhismus und Neoliberalismus 64
4.1. Einleitende Gedanken – Zizek, Weber und Victoria 64
4.2. Meditieren für den Neoliberalismus? 66
4.2.1. Google und das „achtsame“ Silicon Valley 66
4.2.2. Die Eigenverantwortung, die Zufriedenheit des Selbst zu trainieren 71
4.2.3. Achtsamkeit beim Weltwirtschaftsforum in Davos 73
4.2.4. Goldman Sachs und Monsanto – Achtsames Greenwashing oder
echte Veränderung? 75
4.2.5. Meditationsapps 83
4.2.6. „Mr. Mindfulness“ mit ersten Zweifeln 88
4.2.7. Meditationsapps reevaluiert 91
4.3. Achtsamkeit als kostengünstiges Gesundheitswerkzeug 93
4.4. Die überzogenen Erwartungen an Meditation 97
4.5. Das Bild des Geistes im Gehirnscanner? 103
4.6. Selbstoptimierung – The Aim of the Game? 105
4.7. Achtsamkeit und Meditation in Schulen 109
4.8. Meditieren für effizienteres Töten? 115
4.9. Meditieren für den Neoliberalismus? – Der Versuch einer Antwort 118
5. Hin zu einem „Sozialen Buddhismus“? 120
5.1. Vorbemerkungen 120
5.2. Der Buddha als „sozial Engagierter“? 121
5.2.1. Engagierter Buddhismus und das Mahayana „Bodhisattva Ideal“ 124
5.2.2. Die Begründer eines „Engagierten Buddhismus“ und INEB 126
5.3. Buddhistische Sozial- und Wirtschaftskritik des Status Quo 129
6. Schluss 135
Literaturverzeichnis 142
4
Vorwort und Danksagung
Anstatt eines üblichen Vorwortes inklusive Danksagung möchte ich den buddhistischen Mönch
Thich Nhat Hanh zitieren – was für das Stück Papier gilt, gilt auch für die Entstehung dieser Arbeit:
Seht die Wolke, die in diesem Stück Papier schwebt. Wenn ihr genau hinschaut, werdet ihr sie sehen
konnen. Ohne die Wolke wird kein Regen sein; ohne Regen konnen die Bäume nicht wachsen, und
ohne Bäume konnen wir kein Papier herstellen. Für die Existenz des Papieres ist die Wolke wesentlich.
Wenn die Wolke nicht ist, kann auch das Stück Papier nicht sein. Wir konnen also sagen, dass die
Wolke und das Papier einander bedingen und durchdringen.
Betrachten wir dieses Stück Papier näher, so konnen wir auch den Sonnenschein darin sehen. Ist der
Sonnenschein nicht da, kann der Wald nicht wachsen. Tatsächlich kann nichts wachsen. Und so wissen
wir, dass auch der Sonnenschein in diesem Papier ist, und dass sie sich wechselseitig bedingen und
durchdringen. Und wenn wir weiter hinschauen, so sehen wir den Holzfäller, der den Baum fällt und ihn
zur Mühle bringt, damit aus dem Baum Papier werden kann. Und wir sehen den Weizen. Wir wissen,
dass der Holzfäller ohne sein tägliches Brot nicht leben kann, und daher ist der Weizen, der zu seinem
Brot wurde, auch in diesem Stück Papier; ebenso wie die Mutter und der Vater des Holzfällers es sind.
Betrachten wir es in dieser Weise, so sehen wir, dass das Stück Papier ohne all diese Dinge nicht
existieren kann. Schauen wir noch genauer hin, so sehen wir auch uns darin. Das ist nicht schwer zu
verstehen, denn wenn wir ein Stück Papier betrachten, so ist es Teil unserer Wahrnehmung. Euer Geist
ist ebenso darin wie der meine. Daher konnen wir sagen, dass alles in diesem Stück Papier enthalten
ist. Ihr konnt nichts herausgreifen, was nicht darin ist – Zeit, Raum, die Erde, der Regen, die Mineralien
der Erde, der Sonnenschein, die Wolke, der Fluss, die Hitze. Alles existiert gleichzeitig in diesem Stück
Papier. Das Stück Papier ist, weil alles andere ist.
Angenommen, wir versuchen, eines der Elemente zu seinem Ursprung zurückzuführen, z.B. führen wir
den Sonnenschein zurück zur Sonne. Glaubt ihr, dass das Stück Papier dann noch moglich wird? Nein,
denn ohne Sonnenschein kann nichts sein. Und führen wir den Holzfäller zurück zu seiner Mutter, so
haben wir ebenfalls kein Stück Papier mehr. Tatsächlich besteht dieses Stück Papier nur aus »Nicht-
Papier- Elementen«. Und wenn wir diese Nicht-Papier-Elemente zurück zu ihren Ursprüngen führen,
gibt es überhaupt kein Papier mehr. Ohne Nicht-Papier-Elemente wie Geist, Holzfäller, Sonnenschein
usw. wird kein Papier moglich sein. So dünn dieses Stück Papier auch ist, es enthält das ganze
Universum in sich.1
Ich bedanke mich bei meinem Betreuer Professor Dr. Remele für die Hilfe während des
Arbeitsprozesses – seine Lehrveranstaltungen, Bücher, und Artikel in diversen Medien werden
für mich auch weiterhin wertvolle Inspiration sein.
Außerdem wäre diese Arbeit nicht moglich gewesen ohne meine „Mädis“ Rhea und Mia. Mein
Dank an euch ist unermesslich.
Diese Arbeit ist bei Weitem nicht perfekt, jedoch sang schon Leonard Cohen in Anthem:
Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That's how the light gets in
1 Thích-Nhất-Hạnh und Ursula Richard, Mit dem Herzen verstehen, Genehmigte Lizenzausgabe
(Hamburg: Nikol Verlag, 2017).
5
1. Einleitung
Der Philosoph Slavoj Zizek wiederholt bereits seit 2001 nahezu mantraartig Max Weber würde
heute in sein zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfasstes Werk Die protestantische Ethik und der
Geist des Kapitalismus zumindest ein Kapitel mit dem Titel „Die buddhistische Ethik und der Geist
des Kapitalismus“ anhängen2. 2015 schreibt Mark Siemons in der F.A.Z.: „Von Google bis zur
Weltbank: Der Kapitalismus scheint immer buddhistischer werden zu wollen“3. Davor ruft das
TIME Magazine unreflektiert euphorisch gar die „Achtsamkeits-Revolution“4 aus („The Mindful5
Revolution“) und im gleichen Jahr untertitelt Die Zeit ihren Artikel „Netzkapitalismus: Sie sind alle
Omline“ mit den Worten: „Achtsamkeit über alles: Im Westen Amerikas entdecken Firmen die
asiatische Weisheit – Grundlage einer neuen Wirtschaftsmoral?“6 Mittlerweile hat Ronald Purser
in seinem 2019 erschienenen Buch McMindfulness – How Mindfulness Became the New
Capitalist Spirituality7 eine systematischere Beleuchtung des Themas vorgenommen, welche
jedoch unwissenschaftlich polemisch ausfällt, indem sie eine breite sogenannte
„Achtsamkeitsbewegung“ zu pauschal angreift.
Hier knüpft die vorliegende Arbeit an, um einen wissenschaftlich fundierteren Beitrag zu
der Debatte zu leisten, ob der Buddhismus tatsächlich das Potential hat, die gegenwärtige
Ausformung des Kapitalismus, den Neoliberalismus, auf eine neue Entwicklungsstufe zu heben;
eine Stufe, auf welcher der Kapitalismus es vermag, die Gesellschaft und ihre Individuen noch
tiefer zu durchdringen, indem neoliberale Prinzipien auch durch buddhistisch zumindest
inspiriertes Denken sowie diesbezügliche Praktiken fester im Bewusstsein verankert werden.
Das Hauptziel der Arbeit liegt dabei in der Auslotung des aktuellen Diskussionstandes
dieses sowohl höchst komplexen als auch extrem rezenten Themenkomplexes: Psychologie,
Esoterik, Wellness und neoliberale Verwertungslogik treffen dabei auf eine authentische religiöse
Praxis, welche sich wiederum selbst oft eher als breite Lebensphilosophie denn als vollwertige
Religion versteht. Dies wird noch gesteigert um die aktuell rasante Verbreitung von
2 Slavoj Žižek, „The Buddhist Ethic and the Spirit of Global Capitalism.“ Zizek.uk, zuletzt geprüft am
13.06.2021, https://zizek.uk/the-buddhist-ethic-and-the-spirit-of-global-capitalism/. 3 Mark Siemons, „Der erleuchtete Angestellte.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.04.2015, zuletzt
geprüft am 09.08.2020, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/der-erleuchtete-angestellte-der-kapitalismus-wird-immer-buddhistischer-13531831.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2.
4 Kate Pickert, „The Mindful Revolution.“ Time, 23.01.2014, zuletzt geprüft am 15.10.2020, https://time.com/1556/the-mindful-revolution/.
5 Achtsamkeit/Mindfulness (eigene Definition gemäß Quellen, welche in der Arbeit dargelegt werden):
buddhistische bzw. buddhistisch inspirierte Methoden zur Fokussierung des Geistes auf den
gegenwärtigen Moment; im therapeutischen Kontext wird diesen Methoden eine beruhigende Wirkung
zugeschrieben. 6 Bodo Mrozek und Maximilian Probst, „Netzkapitalismus: Sie sind alle Omline.“ Die Zeit, 20.03.2014,
zuletzt geprüft am 13.06.2021, https://www.zeit.de/2014/13/netzkapitalismus-silicon-valley?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F.
7 Ronald E. Purser, McMindfulness: How Mindfulness Became the new Capitalist Spirituality (London: Repeater, 2019).
6
(pseudo?)buddhistischer Meditation durch Smartphone-Apps. Die sich hieraus ergebenden
beiden zentralen Forschungsfragen (1. und 2.) wurden im Laufe des Arbeitsprozesses um
ergänzende Forschungsfragen (1.a. und 1.b.) erweitert und lauten wie folgt:
1. Inwiefern leistet der Buddhismus dem Neoliberalismus – vor allem durch die Bereitstellung
buddhistischer Meditation – gute Dienste?
a. Was sind die zentralen neoliberalen Merkmale für die sich gerade der
Buddhismus ergänzend und/oder verstärkend anbietet?
b. Inwieweit kann in der vorliegenden Diskussion ob der extremen Verwässerung
einer uralten Lehre überhaupt noch von „Buddhismus“ gesprochen werden?
2. Wo liegen Potentiale im Buddhismus – im Gegensatz zu 1. – zu einer gerechteren Welt
beizutragen?
Die gewählte Methode der Erkenntnisgewinnung ist die der Literaturrecherche. Da der
Themenkomplex ein relativ junger ist und ein derart aktuelles Thema einem ständigen, mitunter
raschen Wandel unterworfen ist, wird dabei nicht nur auf wissenschaftlich fundierte Literatur
zurückgegriffen, sondern auch darauf, wie der Themenkomplex in breitenwirksamen Medien wie
Tages- und Wochenzeitungen und Journalen sowie in einschlägigen Internetseiten rezipiert und
diskutiert wird. Die breite Palette an Bereichen, aus der sich die Quellen für diese Arbeit speisen,
reicht dabei von populärwissenschaftlichen Ratgebern der positiven Psychologie, über
sozialwissenschaftliche sowie philosophische Abhandlungen, bis hin zu detaillierten Studien der
Neurowissenschaften.
Die ersten beiden Hauptkapitel, „Der Neoliberalismus“ und „Der Buddhismus – die
Buddhismen?“, bereiten dabei den Boden für die Hauptkapitel drei und vier. Hierzu wird der Blick
im ersten Hauptkapitel zunächst auf die derzeit global vorherrschende Form des Kapitalismus,
den Neoliberalismus, gelegt. Der Begriff wird aus einer soziohistorischen Perspektive bestimmt
und typische Wesensmerkmale des Neoliberalismus werden herausgearbeitet. Abseits der
expliziten vorwiegend sozialethischen Kritik am Neoliberalismus wird der viel breitere Begriff
„Kapitalismus“ oder gar die „Marktwirtschaft“ jedoch keiner kritischen Analyse unterzogen. Das
zweite Hauptkapitel widmet sich anschließend der Definition des Begriffs „Buddhismus“ und der
Herausarbeitung von wesentlichen buddhistischen Lehren (sogenannte „Kernlehren“). Den
Abschluss bildet eine ausführliche Diskussion zu einem „Westlichen Buddhismus“, welche
gleichzeitig den Brückenschlag zum dritten Hauptkapitel bildet.
Das dritte Hauptkapitel, „Das Verhältnis von Buddhismus und Neoliberalismus“, stellt als
eine Art Synthese der ersten beiden Hauptkapitel das Zentrum dieser Arbeit dar, in welchem der
Versuch unternommen wird, die erste Forschungsfrage zu beantworten. Die vermeintliche
kontemporäre Allianz von Neoliberalismus und Buddhismus wird mithilfe zahlreicher konkreter
Beispiele einer genauen Betrachtung unterzogen. In manchen Bereichen wird diese Vermutung
dabei bestätigt, in anderen widerlegt, jedoch immer relativiert und im Sinne einer möglichst
7
ganzheitlichen Betrachtung wird von vereinfachten Antworten und schnellen Schlüssen
abgesehen. Am Ende dieses Hauptkapitels wird neuerlich Bezug genommen auf die äußerst
mannigfaltigen Auslegungen selbst der Kernlehren des Buddha, welche jüngst auch eine sozial
„engagiertere“ und somit aktivere Art des Buddhismus hervorbrachte. Dies stellt gleichzeitig die
Überleitung zum letzten Hauptkapitel dar.
Abschließend wagt diese Arbeit im vierten Hauptkapitel einen Blick auf eine gelebte
buddhistische Sozial- und Wirtschaftsethik, indem zunächst klargestellt wird, dass diese Ethiken
aus buddhistischer Perspektive keineswegs voneinander zu trennen sind. Forschungsfrage 2
wird hier einer Beantwortung zugeführt indem Beispiele eines (sozial) „Engagierten Buddhismus“
dargelegt werden. Der Schluss fasst anschließend die gesamte Masterarbeit zusammen,
versucht dabei Querverbindungen über alle Hauptkapitel zu verdeutlichen, und geht zudem auf
Forschungslücken sowie mögliche zukünftige Forschungsfragen ein.
8
2. Der Neoliberalismus
2.1. Vorbemerkungen zur Eingrenzung des Begriffs
Das Vorhaben, den Begriff Neoliberalismus zu definieren oder zumindest genauestens zu
bestimmen, ist kein leichtes, wurde der Begriff doch von Anhängern zumindest seiner
Wirkprinzipien generell nicht nur abgelehnt, sondern dessen Existenz regelrecht negiert.
„Neoliberalismus“ kann mittlerweile jedoch nicht mehr als ein bloßes Schimpfwort
kapitalismuskritischer Minderheiten abqualifiziert werden. Maßgeblich sei hier erwähnt, dass
sogar der IMF (International Monetary Fund) in einer 2016 erschienenen Publikation8 den Begriff
verwendete. Wie Ther schreibt, sei der Begriff „bis dahin von der wichtigsten internationalen
Finanzorganisation als pure Polemik verworfen“9 worden. Dieser Artikel des IMF, der überdies
mit einer (Selbst?)Kritik an zu rigider Sparpolitik in staatlichen Sozial- und Gesundheitssystemen
aufhorchen lässt, kann laut Ther als „eine diskurshistorische Zäsur“ betrachtet werden, welche
„zugleich einen wirtschaftspolitischen Wandel signalisiert“ 10. Der Autor erkennt hier historisch
sogar „ein Ende der globalen Hegemonie des Neoliberalismus [, das] sich jedoch schon seit der
globalen Krise von 2008/09 angedeutet“ hatte.11 Obwohl dies aus der historischen Perspektive,
die bei Ther ungefähr ein Jahrhundert bis in die 1930-er des 20 Jahrhunderts überblickt,
zutreffend sein mag, hat der Neoliberalismus hinsichtlich seiner gesellschaftlichen und
individuellen Auswirkungen kaum von seiner Wirkmächtigkeit eingebüßt.
Das hier anschließende Zitat aus dem Jahre 2019 soll nun einerseits die Aktualität des
Neoliberalismus demonstrieren, andererseits auch den Brückenschlag zu buddhistischer
Meditation bewerkstelligen und vor allem andeuten, wo sich die beiden Sphären Neoliberalismus
und Buddhismus berühren oder sogar überschneiden könnten. Der folgende Auszug aus Knops
Kommentar „Meditieren für den Kapitalismus?!“, welcher die Unterüberschrift „Oasentage statt
Streik“ trägt, geht bereits auf das Spannungsverhältnis ein, das kapitalistisch motivierten
Meditations- und/oder anderen Entspannungsprogrammen innewohnt, die dem Individuum eine
Verschnaufpause gerade von dem neoliberal-kapitalistisch bedingten Arbeitsdruck gönnen
sollen:
Für gesellschaftliche Probleme haben diese [= UrheberInnen solcher Programme – Anm. d. Verf.] immer
nur individuelle Lösungen parat. Und das hat System. Ich erinnere mich noch gut, dass vor einigen
Jahren, als ich in einer psychiatrischen Einrichtung tätig war, unsere Fallzahlen erhöht wurden und
gleichzeitig Personal gestrichen wurde. Als Kompensation wurden uns damals sogenannte „Oasentage“
angeboten. Hier konnten wir Meditation und Entspannung erlernen. Ich hab mich damals schon gefragt,
ob ich meine Zeit nicht besser damit hätte verbringen sollen, einen Streik mit meinen KollegInnen zu
8 Jonathan D. Ostry, Prakash Loungani und Davide Furceri, „Neoliberalism: Oversold?,“ International
Monetary Fund, zuletzt geprüft am 05.09.2020, https://www.imf.org/external/pubs/ft/fandd/2016/06/pdf/ostry.pdf.
9 Philipp Ther, „Der Neoliberalismus.“ Docupedia-Zeitgeschichte, http://docupedia.de/zg/Ther neoliberalismus v1 de 2016, 1.
10 Ebd. 11 Ebd.
9
organisieren. Doch das Ausblenden von der gesellschaftlichen, politischen Sphäre und die Ablenkung
hin zum Individuum, liegen in der DNA solcher Verfahren. Und das ist ihr reaktionärer Kerngehalt.[
Hervorhebung in kursiv durch Verf.]12
Die in Kursivschrift gesetzten Passagen des Zitates deuten auf einige noch genauer zu
erläuternde Kernelemente des Neoliberalismus hin, welche hier bloß umrissen werden sollen:
• eine Individualisierung (oder wie in der Literatur auch zu lesen ist „Atomisierung“13) der
Gesellschaft
• größtmögliche wirtschaftliche Effizient („Fallzahlen erhöht – gleichzeitig Personal
gestrichen“), die zu einer Art Quantifizierung der Wirklichkeit in effizienter (sozusagen
„gut“ und „richtig“) und weniger effizient (sozusagen „schlecht“ und „falsch“) führt
• der auffällig oftmalige Gebrauch von bildhafter Sprache („Oasentage“) – häufig
euphemistisch – um die Wahrnehmung der Subjekte zu beeinflussen
• das Ausblenden von gesellschaftlichen Realitäten bzw. genauer der Ursachen für soziale
Probleme
• die häufig reaktionären Elemente des Systems, welches kein übergeordnetes Ziel mehr
verfolgt als die Selbsterhaltung
Meditation und Entspannung sollen als eine Art eigenverantwortliche Selbstoptimierung die
Richtung hin zu größerer Resilienz und Erfolg im System Neoliberalismus führen – da das freie
Subjekt ja für das eigene Schicksal voll verantwortlich ist.
Um das bisher gesagte besser zu verstehen, eignet sich meines Erachtens zunächst eine
(zeit)historische Betrachtung des Neoliberalismus am besten, um seine Wesenszüge
herauszuarbeiten und um diese dann im dritten Hauptkapitel in ihrer Interaktion mit potentiell
buddhistischen Elementen zu beleuchten. Der Historiker Ther macht deutlich, warum diese
Perspektive für eine genauere Begriffsbestimmung zielführend sein könnte:
Im Unterschied zum Marxismus, dem klassischen Liberalismus oder zur christlichen Soziallehre gibt es
keine Partei oder Gruppierung, die sich offen zum Begriff des Neoliberalismus bekennt und dabei auf
einen bestimmten Kanon an Schriften oder von historisch gewachsenen Grundwerten verweisen würde.
Zudem haben sogar jene Ökonomen und Politiker, die sich eindeutig im ‚Bourdieuschen Feld‘ des
Neoliberalismus verorten lassen, diese Bezeichnung seit den 1980er-Jahren von sich gewiesen. Das
gilt auch für jene Vordenker[14], die sich in der frühen Nachkriegszeit zu diesem Begriff bekannt hatten.15
12 Florian Knop, „Meditieren für den Kapitalismus?!“ Perspektive Online, 06.07.2019, zuletzt geprüft am
09.08.2020, https://perspektive-online.net/2019/07/meditieren-fuer-den-kapitalismus/. 13 Jürgen Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 24 (Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft.,
2013), https://www.jku.at/fileadmin/gruppen/108/ICAE_Working_Papers/wp24.pdf, ICAE Working Paper Series, 7.
14 Wie etwa Milton Friedman, der 1951 sogar folgenden Aufsatz verfasste: Milton Friedman, „Neoliberalism and its Prospects.“ https://www.studocu.com/en-us/document/university-of-california-los-angeles/history-introduction-to-neoliberalism/other/friedman-neoliberalism-and-its-prospects/9846609/viewverfasste.
15 Ther, „Der Neoliberalismus,“ 2.
10
2.2. Gezielte Neoliberalismuskritik anstatt breitem „Kapitalismusbashing“
Es soll sich in diesem Anfangskapitel nicht darum gehen, was „Marktwirtschaft“, „Kapitalismus“
oder genauer eine spezifische Form des Kapitalismus für die Menschheit bislang getan hat oder
nicht getan hat, erwirkt hat oder verbrochen hat. Immerhin lebt die Menschheit zurzeit gemäß
Steven Pinker’s The Better Angels of Our Nature – Why Violence Has Declined in den
friedvollsten Zeiten seit ihrem Anbeginn16 und gemäß Rosling et al‘s Factfulness geht es dieser
insgesamt so gut wie nie zuvor17; möglicherweise haben Formen des Kapitalismus, jedenfalls
aber haben Formen der Marktwirtschaft dazu beigetragen. Stattdessen dreht sich dieses erste
Hauptkapitel konkret um die Erläuterung von zwei bis drei (sich zweifelsohne überschneidenden)
wesentlichen Punkten innerhalb des Systems „Neoliberalismus“, welche als ethisch falsch
bezeichnet werden können::
1) Der Neoliberalismus bedient sich durch eine „radikale Aneignung der [natürlichen] Ressourcen
und der Umwelt“18 der Erde in einem Ausmaß, das nicht nachhaltig ist. Somit ist nichts weniger
als der Fortbestand der menschlichen Zivilisation auf dem Planeten bedroht.
2) Der Neoliberalismus belohnt egoistisches, den monetären Gewinn maximierendes Verhalten
und löst damit einen Teufelskreis der radikalen Konkurrenz aus19, die einerseits das gelingende
Miteinander von Personen bedroht, gleichsam es aber auch nicht schafft, Zufriedenheit durch
materiellen Gewinn herzustellen.
3) Der Neoliberalismus erzeugt Extreme in der Verteilung von Gütern und sorgt gleichsam durch
die zunehmende Ökonomisierung von Lebenswelten für eine soziales Auseinanderdriften20 von
Menschen, was folglich ein gelingendes Miteinander erschwert.
2.3. Der Neoliberalismus – eine Annäherung an den Begriff
Die Frage, was der Neoliberalismus denn überhaupt sei, kann zunächst einmal beantwortet
werden mit der Nennung seiner ursprünglichen Konzeption: eine wirtschaftspolitische Ideologie.
Diese Ideologie wurde von einem „Idealbild freier, autonomer und sich ins Gleichgewicht
bringender Märkte, rational agierender Marktakteure und einem individualistisch-
materialistischen Menschenbild getragen“ 21, wobei die Rolle des Staats reduziert werden sollte.
16 Vgl. Steven Pinker, The Better Angels of Our Nature: Why Violence Has Declined (New York: Viking,
2011). doi:10.14714/CP23.762. 17 Vgl. Hans Rosling, Ola Rosling und Anna Rosling Rönnlund, Factfulness: Ten reasons we're wrong
about the world and why things are better than you think (London: Sceptre, 2018). 18 Vgl. Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 16. 19 Bourdieu in Petra Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer: Soziologische Gegenwartsdiagnose im Gewand
einer politischen Kampfansage.“ UTOPIE kreativ 2008, Nr. 211 (Mai 2008): 409, zuletzt geprüft am 07.09.2020, https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/211Kaiser.pdf.
20 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 18. 21 Ebd., 1–2.
11
In einer ersten Phase ging es in den 1980er und 1990er-Jahren zunächst um die Wirtschaft, seit
den späten 1990er-Jahren auch um die sozialen Sicherungssysteme und damit um
wohlfahrtsstaatliche Kernkompetenzen.22
Der Neoliberalismus trägt als ideologischen Kern den sogenannten
„Marktfundamentalismus”23 in sich. Hierbei wird der Markt als ausreichendes und einziges
Regulativ für den Tausch von Gütern (materielle als auch immaterielle) betrachtet. Eine nähere
Definition wurde dem Begriff „der Markt“ (oft auch im Plural „die Märkte”) trotz dieser zentralen
Funktion als Dreh- und Angelpunkt selten jemals verliehen. Zugrundeliegend ist dem Bild des
(neoliberalen) „Marktes“ eigentlich das geschichtliche Ideal eines kleinstädtischen Marktplatzes
auf dem jedoch lediglich basale Güter (und hierunter ganz gewiss keine immateriellen!) im
persönlichen Austausch gehandelt werden24
Die Prämisse lautet, dass der von staatlichen Einflüssen entfesselte Markt am besten
imstande sei, seine schöpferischen Kräfte zu entfalten. Dies impliziert einen die Rolle eines
schwachen Staates, der das Gemeinwesen nur insofern fördern solle, als es die rechtstaatliche
Funktion und diese im Besonderen hinsichtlich des Schutzes von Privateigentum nötig macht. Da
private Unternehmen im Sinne der Eigennutzmaximierung besonders effizient arbeiten würden,
impliziert dies auch die Privatisierung von vormals „ineffizienten“ staatlichen Betrieben wie Post,
Telekommunikation und (zuvor öffentlichem) Verkehr, in einer weiteren Folge fundamentale
Daseinsfürsorge wie die Altersvorsorge oder das Gesundheitswesen. Der Keynesianismus, der
die Nachfrage durch staatliche Programme fördern sollte, hat in solch einem System ausgedient.
Stattdessen sollen im „Monetarismus“ die Geldpolitik des Staates auch mittels unabhängiger
Zentralbanken die Wirtschaft indirekt – angebotsseitig – lenken. Zusammen mit einer
Liberalisierung des Handels (mittels Freihandelsabkommen/-zonen) und der Deregulierung der
nationalen und internationalen Finanzmärkte bilden sie die Eckpunkte des Neoliberalismus
reduziert auf seine ökonomische Domäne.25
Der Neoliberalismus ist jedoch mehr: Er beinhaltet in seinem Narrativ das Ziel und
Versprechen einer Modernisierung oder Westernisierung, gelenkt durch die Märkte und das
internationale Finanzkapital, wobei klassisch „linke“ Politik hierbei sogar als rückschrittlich
diskreditiert wird.26 Darüber hinaus basiert der Neoliberalismus auf einem Menschenbild, gemäß
welchem „rational und autonom agierende Staatsbürger mit ihrem individuellen Gewinnstreben
den allgemeinen Wohlstand mehren“27. Verweise auf den im klassischen Wirtschaftsiberalismus
22 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 1–2. 23 Joseph E. Stiglitz, Freefall: America, free markets, and the sinking of the world economy, 1. ed. (New
York, NY: Norton, 2010). 24 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 3. 25 Vgl. ebd. 26 Vgl. Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 4. 27 Ther, „Der Neoliberalismus,“ 3.
12
geborenen Homo Oeconomicus sind selten explizit, liegen dem Neoliberalismus aber implizit zu
Grunde.28
2.3.1. Die Genese des Neoliberalismus im historischen Überblick
Wie bereits eingangs erwähnt lässt sich das Wesen des Neoliberalismus sowie dessen
Auswirkungen auf Gesellschaften und Individuen am besten aus zeithistorischer Perspektive
erarbeiten. Das Hauptaugenmerk soll hierbei aber nie auf die internen Funktionsweisen einer
neoliberalen Wirtschaft selbst, sondern immer auf das Menschen- und Gesellschaftsbild des
Neoliberalismus gelegt werden. Dass diese drei Komponenten untrennbar miteinander
verbunden sind, wird sich jedoch bald zeigen.
Historisch lassen sich überblicksartig gemäß Ther zunächst vier Phasen des
Neoliberalismus unterscheiden: Die „Formierungsphase“ war die erste und ausgedehnteste und
dauerte von der frühen Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges bis zum Ende der 70er-Jahre
des vorherigen Jahrhunderts. In dieser existierte er politisch sowie in der Fachöffentlichkeit nur
am Rand. In der zweiten Phase – „politischer Durchbruch“ – setzte sich der Neoliberalismus ab
Mitte der siebziger Jahre vorerst unter Wirtschaftsexperten durch, in Großbritannien und den USA
dominierte er ab 1979 die Regierungspolitik. 1989 begann eine dritte Phase der „globalen
Hegemonie“ sowie kurz vor der Jahrtausendwende eine vierte Phase der „Radikalisierung“, die
mit der beginnenden Weltwirtschaftskrise von 2008/09 endete.29
Die Wurzeln dieses neoliberalen Denkens reichen konkret bis in die Zwischenkriegszeit
zurück. Die Vorsilbe Neo- stand dabei – aus heutiger Sicht ironischerweise - ursprünglich für die
Kritik am klassischen Wirtschaftsliberalismus infolge der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre.
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg begann der ideelle Keim des Neoliberalismus langsam
zu sprießen. Ein 1947 gegründetes transatlantisches Netzwerk namhafter Intellektueller,
Ökonomen, politischer Berater und zeitweilig sogar bekannter Politiker, die Mont Pèlerin Society,
wandte sich einerseits gegen den kommunistischen und sozialistischen Einfluss aus „dem
Osten“, andererseits gegen den Staatsdirigismus innerhalb der westlichen vom Krieg zerrütteten
Länder. Federführend in dieser aus heutigem Gesichtspunkt „neoliberal“ orientierten, logenartig
organisierten Gesellschaft waren unter anderem auch die Vertreter der Austrian School of
Economics, Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises.30
Etwas weniger konkret festzumachen, dennoch von grundlegender Bedeutung für die
Konstitution des Neoliberalismus, ist der ideologische Einfluss der Physiokraten des 18.
Jahrhunderts, gemäß welchen das „freie Wirtschaften der Natur nachgebildet ist, ja selbst Natur
28 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 3. 29 Ebd., 2. 30 Vgl. ebd., 5.
13
ist. Die freie Zirkulation der Waren ahmt Naturprozesse nach und unterliegt deshalb
Naturgesetzen, in die der Staat nicht eingreifen darf.“31 In Zeiten des Merkantilismus, in denen
absolutistische Staaten und Reiche sich mehr oder weniger konzeptlos in den Handel
einmischten und ihn teils vollkommen kontrollierten war dieses Bild des Marktes überaus populär;
schließlich bezog es sich auch auf Freiheitskonzeptionen eines Thomas Hobbes und sogar John
Locke.32 Unter vollkommen anderen Vorzeichen war jedoch auch zu Mitte des 20. Jahrhundert
für viele Ideologen die Zeit gekommen, die Freiheit der Märkte und implizit die vermeintliche
Freiheit des Individuums – quasi als naturgegeben – vor Eingriffen des Staates
wiederzuentdecken und zu beleben.
Ther macht klar, dass zu dieser Zeit der Begriff des Neoliberalismus noch positiv besetzt
war. Der spätere Präsident der Pèlerin Society, Milton Friedman, verfasste 1951 sogar einen
Aufsatz mit dem Titel „Neoliberalism and its Prospects”33. Entgegen zahlreichen ÖkonomInnen,
PolitikerInnen, WirtschaftsvertreterInnen, BeraterInnen und auch JournalistInnen der letzten 30
Jahre gibt es den Begriff Neoliberalismus bereits schon sehr viel länger und kann keineswegs als
polemische Neuschöpfung kapitalismuskritischer AkteurInnen abgetan werden.34 Doch es war
keineswegs nur die Idee einer neuen Konzeption einer freien – also liberalen – Wirtschaft, die
dem Neoliberalismus schließlich zum Durchbruch verhalf.
Denn während die Systemkonkurrenz zwischen Ost und West die ohnehin vorhandene
Tendenz zum Ausbau der Sozialsysteme bis weit in die 1960er-Jahre weiter verstärkte, sorgte,
wie Chomsky anführt, die Besorgnis der Mächtigen über den Zugewinn der Rechte für die Arbeiter
und die regelrechte „Furcht vor der Demokratie“, für eine Umkehr35. Ähnlich sieht dies Nordmann,
für den diese Zeit der Studentenrevolten „sicher ein Ausgangspunkt der Offensive der
kapitalistischen Wirtschaftseliten im Westen (ist), den Nachkriegskonsens aufzukündigen.36 Die
westlichen Industriegesellschaften ließen sich nicht mehr so lenken wie zuvor. Während der
Wohlfahrtsstaat eines keynesianischen New Deals in den USA noch immer nachwirkte und
insbesondere in Europa der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg einen starken – also
dirigistischen – Staat geradezu voraussetzte, brach die wirtschaftspolitische Ordnung Anfang der
1970er-Jahre zusammen: Die Deregulierung von Volkswirtschaften, die geldentwertende Ölkrise
und die bereits davor einsetzende industrielle Massenproduktion erzeugte einen immer
schärferen werdenden Konkurrenzdruck auf globaler Ebene.37
31 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 45. 32 Vgl. ebd. 33 Friedman, „Neoliberalism and its Prospects“. 34 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 6. 35 Vgl. Noam Chomsky, Profit over People: Neoliberalismus und globale Weltordnung, Dt. Erstausg
(Hamburg: Europa-Verl., 2000), 32. 36 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 15. 37 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 6.
14
Schließlich setzte der US-amerikanische Präsident Reagan in seinem politischen
Programm (den „Reagonomics“) während zweier Amtszeiten (1981-1989) um, was sich auch
davor schon herauskristallisierte: Der Staatsinterventionismus im Wirtschaftsgeschehen schien
nicht mehr zu wirken und anstatt der Regulierung der Wirtschaft bei gleichzeitiger staatlichen
Stützung der Nachfrage setzten die meisten Ökonomen – hier speziell die sogenannte Chicago
School – auf die Kräfte „des“ Marktes. Wie genau dies funktioniere und was dieser Markt denn
genau sei, das wurde kaum jemals positiv definiert, wichtig war auf alle Fälle die Devise: „Weniger
Staat!“ Verbunden wurde dies mit typisch neoliberaler Propaganda, zu deren Auftakt fast
modellhaft eine zehnteilige TV-Serie mit dem bezeichnenden Namen „Free to Choose” gehörte.
Die Serie, die von Milton Friedman selbst produziert wurde, erwies sich als staatlich finanziertes,
propagandistisches Feuerwerk der „Reagonomics“: Möglichst wenig Staat und Steuern
einerseits, bei möglichst viel wirtschaftlichen Freiheiten für die Unternehmen und die individuellen
BürgerInnen andererseits.38Offiziell war im Namen des „Monetarismus“ (die gezielte Reduktion
oder Ausdehnung der Geldmenge) das große Sparen ausgebrochen – zumindest für die
allermeisten Bereiche des öffentlichen Sektors – doch in Wirklichkeit wirkte die abermals auf
Pump finanzierte Hochrüstungspolitik im Kalten Krieg als enormes Konjunkturprogramm.
Gesundheitssysteme und Arbeitslosenunterstützung etwa sollten hingegen tunlichst nicht über
höhere Staatschulden finanziert werden. Der Neoliberalismus zeig sich in diesem Aspekt hier von
seiner vielleicht widersprüchlichsten Seite.39
Die Widersprüche des Neoliberalismus gingen und gehen so weit, dass Krisen nicht nur
durch systembedingte Fehler ausgelöst wurden, sie zwangen die neoliberalen Staatslenker auch
oftmals – entgegengesetzt zu den ideellen Werten – zur Rettung von Banken und Unternehmen
durch den Staat (so geschehen beispielsweise 1985 in der „Savings and Loan Crisis”, oder am
„Schwarzen Montag” des 19. Oktober 1987 am Ende des Borsenbooms der Achtziger, ganz zu
schweigen von den Bankenrettungen im Zuge der Weltwirtschaftskrise nach 2008/09 ).40
Chomsky fasst neoliberale Politik deshalb oft mit dem Slogan „Socialism for the rich and
capitalism for the poor“41 zusammen: die Profite der großen Banken sind laut Chomsky fast
ausschließlich auf eine staatliche Art Ausfallshaftung für sogenannte „systemrelevante“42 Banken
und Unternehmen, die „too big too fail“ sind (so im neoliberalen Neusprech) und andere indirekte
Staatshilfe zurückzuführen (z.B.: billige Kredite durch gute Ratings aufgrund eben dieser
verdeckter Staatshaftungen).43 Der Politikwissenschafter zitiert die einschlägige
38 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 7. 39 Vgl. ebd., 8. 40 Vgl. ebd. 41 Noam Chomsky und C. J. Polychroniou, Optimism over Despair: On Capitalism, Empire, and Social
Change ([Place of publication not identified]: Haymarket Books, 2017). 42 An dieser Stelle sei ein Vorgriff auf die buddhistischen Inhalte dieser Arbeit erlaubt: Aus buddhistischer
Sicht würde das Wort „systemrelevant“ wohl anders definiert werden oder, ex-negativo, würde „nicht-systemrelevant“ kaum Sinn ergeben in einem Netz von Interdependenzen, in dem sich alles gegenseitig bedingt und das Realität genannt wird (siehe 3.5.2).
43 Vgl. Chomsky und Polychroniou, Optimism over Despair.
15
Wirtschaftspresse, in welcher diskutiert wird, dass die indirekten Staatshilfen für die 20 größten
Banken der USA (die allermeisten davon wahrscheinlich „systemrelevant“) jährlich rund 80
Milliarden Euro ausmachen und dass diese Banken somit ohne Hilfen kaum profitabel wären.44
Auch ein lediglich kurzer historischer Abriss wäre jedoch gänzlich unvollständig ohne den
prägenden Einfluss Margaret Thatchers auf den Neoliberalismus zu nennen. Die britischen
Konservativen gewannen unter Thatcher in den 1980er-Jahren ebenfalls zwei Wahlen
hintereinander. Auch hier wurde an Gemeinsamem gerüttelt (Thatcher: “[…] who is society?
There is no such thing!“45) und die individualistische „The winner takes it all“-Mentalität angefacht:
Gewerkschaften wurde der Kampf angesagt, Post, Bahn und andere Staatsunternehmen
privatisiert.46
In Kontinentaleuropa begann der Keim des Neoliberalismus indes maßgeblich 1982 zu
sprießen, als in der BRD bei der Angelobung der neuen Regierung Kanzler Helmut Kohl
folgenden Worte tätigte: „Weg von mehr Staat, hin zu mehr Markt; weg von kollektiven Lasten,
hin zur persönlichen Leistung; weg verkrusteten Strukturen, hin zu mehr Beweglichkeit,
Eigeninitiative und verstärkter Wettbewerbsfähigkeit.”47 Kohls Worte sprachen eine eindeutige
Sprache – nämlich die des Neoliberalismus. Diesbezüglich könnte Bourdieus folgende Analyse
fast als direkte Replik auf Kohls Aussage angesehen werden, obwohl sie erst mehr als ein
Jahrzehnt später erfolgte. 48
Bourdieu bezeichnet den Neoliberalismus nämlich als Programm der „planmäßigen
Zerstorung der Kollektive“ (Kohl: „Weg von kollektiven Lasten“), die der „Logik des reinen
Marktes“ Steine in den Weg legen konnten (Kohl: „Hin zu mehr Markt“). Das neoliberale
Programm, so Bourdieu weiter, bezieht seine „soziale Macht aus der politisch-ökonomischen
Macht eben jener, deren Interessen es ausdrückt, der Aktionäre, Finanzleute und Industriellen,
die sich geschickt der Mitwirkung verschiedenster Komplizen bedienen, um so schnell wie
moglich den Sozialstaat zu begraben“ (Kohl: „Weg von verkrusteten Strukturen“), da ihre
Kapitalanlagen mit dessen sozialen Errungenschaften als nicht vereinbar angesehen werden. Zu
den wichtigsten Strategien der „konservativen Revolution“, die Bourdieu ausmacht, gehoren die
„Erzeugung von Wettbewerb auf individueller bis hin zur internationalen Ebene sowie die
Erzeugung von Prekarität“49 (Kohl: „Eigeninitiative und Wettbewerbsfähigkeit“). Die
44 Vgl. Chomsky und Polychroniou, Optimism over Despair. 45 Mary Kalantzis und Bill Cope, „Margaret Thatcher: There’s No Such Thing as Society.“ New Learning
Online, zuletzt geprüft am 09.07.2021, https://newlearningonline.com/new-learning/chapter-4/margaret-thatcher-theres-no-such-thing-as-society.
46 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 8. 47 Helmut Kohl, „Regierungserklärung, 13. Oktober 1982.“ Bayerische Staatsbibliothek - Digitale
Bibliothek. Münchener Digitalisierungszentrum, zuletzt geprüft am 09.07.2021, https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0144_koh&object=translation&l=de.
48 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 8. 49 Bourdieu in Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer,“ 409.
16
Globalisierung des Finanzmarktes, gepaart mit dem Fortschritt in der Informationstechnologie
sichert eine nie zuvor dagewesene Kapitalmobilität.50 Die Produktionsverlagerung in
Billiglohnländer, in denen die Arbeitskosten niedriger liegen, kann so relativ einfach
vonstattengehen, was die Ausweitung der Konkurrenz zwischen den Arbeitnehmern auf
Weltmaßstab möglich machte.
In den 1980er und -90er Jahren stieg somit die so genannte „neoklassische“
Wirtschaftslehre (als vermeintlich „theoretischer“ Unterbau des Neoliberalismus) empor wie ein
Stern, der in einer Welt voll Quantifizierbarkeit und Messwerten die Richtung weisen sollte51: die
Prämisse, dass die Märkte ein Equilibrium zwischen Angebot und Nachfrage herstellen – die
sogenannte Gleichgewichtstheorie – dirigierte das neoliberale Orchester, staatliche Eingriffe sind
hierbei (in der Theorie) nur störender Lärm. Adam Smiths für Viele mittlerweile parareligiöse
Formel von der „unsichtbaren Hand” der Märkte wurde zum impliziten Leitgedanken für die
zunehmende Marktgläubigkeit;52 mag diese Referenz laut Schulmeister auch rein oberflächlicher
Natur sein und nicht unbedingt von einer echten Kenntnis seines Gesamtwerks zeugen53.
Außerdem verfügte Smith noch nicht über die kleinste Ahnung, dass technologische
Möglichkeiten den Welthandel derart öffnen könnte, dass eine Flut von Finanzdaten, die pro
Sekunde mehrfach hin und her über den Globus gewälzt würden. Zudem steht diesem
„Hypertrading“ ein nicht im entferntesten so mobiles „Humankapital“ gegenüber. Die Kluft
zwischen (Freihandels-)Ideologie und Wirklichkeit wird hier besonders deutlich54.
Ohne Zweifel wurde wirtschaftsliberales Denken vom Niedergang des Ostblocks 1989
befeuert, der im Westen und hier vor allem in den USA eine fast euphorische Reaktion auslöste.
Schon zu Beginn des Jahres 1989 schrieb das berühmte Magazin „The New Yorker”: „Der Kampf
zwischen Kapitalismus und Sozialismus ist beendet: Der Kapitalismus hat gesiegt.“55 Im Frühjahr
veröffentlichte dann Francis Fukuyama seine weit verbreitete und viel beachtete These vom
„Ende der Geschichte”: „[…], all prior contradictions are resolved and all human needs are
satisfied. There is no struggle or conflict over ‘large’ issues […]. What remains is primarily
economic activity.“56. Nordmann, sieht hierin sogar das Dementi der Existenz von Geschichte und
50 Vgl. Pierre Bourdieu, „The Essence of Neoliberalism.“ https://mondediplo.com/1998/12/08bourdieu. 51 Die wesentlichen makroökonomischen Größen sind hierbei Bruttoinlandsprodukt und Inflation, die
keineswegs in der Lage sind, soziale Realitäten abzubilden. Darüber hinaus lässt sich damit die Zufriedenheit von BürgerInnen nicht einmal ansatzweise einschätzen.
52 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 11. 53 Vgl. Andreas Bachmann, „Stephan Schulmeister: "Diese Krise ist das Ende des Neoliberalismus".“
Momentum Institut, zuletzt geprüft am 01.04.2021, https://www.moment.at/story/stephan-schulmeister-diese-krise-ist-das-ende-des-neoliberalismus.: “Würden Wirtschaftswissenschaftler ihren Ahnherrn Adam Smith, den ich zutiefst verehre, wirklich lesen, dann würden sie erkennen, dass es ihm darum ging, Gegensätze zu integrieren: Konkurrenz und Kooperation, Egoismus und Anteilnahme, Sozialstaat und Markt. Es geht um die Balance zwischen beiden.“
54 Chomsky, Profit over People, 56. 55 Robert Heilbroner, „THE TRIUMPH OF CAPITALISM.“ The New Yorker, 16.01.1989, zuletzt geprüft am
09.07.2021, https://www.newyorker.com/magazine/1989/01/23/the-triumph-of-capitalism. 56 Francis Fukuyama, „The End of History?“ The National Interest, Nr. 16 (1989),
http://www.jstor.org/stable/24027184.
17
Gesellschaft als Grundkategorien unseres Denkens und eine Umdeutung dieser Kategorien
gemäß neoliberalen Denkens.57 Chomsky schreibt hierzu ernüchternd für die einen, beruhigend
für die anderen – jedoch keineswegs verharmlosend – dass all dies nichts Neues ist. Immer
wieder, sagt er, ist das „Ende der Geschichte“, die „perfekte Wirtschaftsordnung“ verkündet
worden.58
Der Glaube an die neoliberal verkündete Allmacht der ökonomischen Zahlen erreichte
Mitte der neunziger Jahre mit der bereits erwähnten Umstrukturierung der vormals sozialistischen
Staaten einer eine neue Dimension. Was damit gemeint ist, sei hier an folgenden Beispielen der
im Neoliberalismus neoliberal so zentralen Idee der „Quantifizierung der Welt“ dargestellt: Anfang
1994 begründete das englischsprachige Nachrichten- und Wirtschaftsmagazin „The Economist”
den „Emerging Market Index”, in welchem ganze Länder und Gesellschaften mit Märkten
gleichgesetzt werden. 1995 riefen die konservative Heritage Foundation und das marktliberale
„Wall Street Journal” den „Open Markets Index” ins Leben, worauf bald „Global Competitiveness
Index”, der „International Property Rights Index” und der „Ease of Doing Business Index” folgten.
Diese vor allem von privaten Institutionen erfundenen Indizes wirken wie ein Wettbewerb von
Ländern um die freieste Marktwirtschaft und die niedrigsten Steuern. Der Höhepunkt der
neoliberalen Indizierung wurde nach der Jahrtausendwende mit dem fachwissenschaftlichen als
auch medialen Auftauchen der sogenannten „Tigerstaaten” erreicht59: damit waren (und sind)
Länder gemeint, deren Wachstumsraten relativ rasch anstiegen sodass sie andere Länder bald
in ihrer Wirtschaftsleistung pro Kopf bald überflügelten. Zahlen, die nicht zur neoliberalen Idee
passen (z.B. Verteilung des Wohlstandes) wurden nicht oder nur unzulänglich berücksichtigt.
Ther weist auf die markante Zäsur hin, welche die Weltwirtschaftskrise von 2008/09, die
unmittelbar mit den umfassenden neoliberalen Deregulierungen im Finanzsektor zu tun hatte,
brachte. Volkswirtschaften schrumpften teils um zuvor für unmöglich gehaltene 15% - Lettland
erlangte mit minus 18% den negativen Rekord. Besonders unter der Krise litten jene Länder, die
sich der neoliberalen Ordnung sehr weit geöffnet hatten (nach innen z.B.: mithilfe einer Flat Tax;
nach außen z.B.: durch immense Summen an Spekulationskapital als Investitionen). Dort bildete
sich häufig eine Spekulationsblase, die 2008/09 plötzlich platzte.60 Banken konnten nur mit
milliardenschweren „Rettungspaketen” aufgefangen werden. Diese Rettung steht, wie so oft in
neoliberalem Neusprech, euphemistisch für eine Vergemeinschaftung der Schulden durch
höhere Staatsverschuldung. Außerdem deutet eine „Rettung“ im üblichen Sprachgebrauch auf
eine dringende Notwendigkeit und quasi „Alternativlosigkeit“ hin; sie zu verweigern würde als
57 Vgl. Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 6. 58 Chomsky, Profit over People, 33. 59 Vgl.Ther, „Der Neoliberalismus,“ 17. 60 Vgl. ebd.
18
moralisch verwerflich gelten. In Anlehnung an Chomsky oben könnte somit die Rede sein vom
„Kapitalismus für die allermeisten Bürger und Sozialismus für die Banken“61.
In den unmittelbaren Jahren nach 2009 stießen laut Ther zumindest die Kritiker des
Neoliberalismus auf offenere Ohren.62 Als Beispiele seien hier zunächst die Nobelpreisträger
Richard E. Stiglitz und Paul Krugman als die prominentesten Kritiker der Triade Privatisierung,
Liberalisierung und Deregulierung genannt, wobei vielleicht am bemerkenswertesten der
Meinungsumschwung von Jeffrey Sachs ist: Der Mitbegründer der neoliberalen
„Schocktherapie“63 für Süd- und südosteuropäische Staaten forderte 2015 selbst ein Ende der
Austeritätspolitik in diesen Staaten. Hier schließt sich der Kreis zur eingangs erwähnten
Publikation des IMF, welche ja den Neoliberalismus erstmals offiziell beim Namen nannte ihn und
sogar offen kritisierte.
Schließlich ist Thers 2016 getroffene Einschätzung, dass es noch unklar ist, wie die Zeit
seit 2008/09 hinsichtlich des Neoliberalismus einzuordnen sei, einerseits sicher auch im Jahre
2021 noch immer zutreffend64. Denn die neoliberale Hegemonie schien zumindest in der Zeit
zwischen der großen Banken- und Wirtschaftskrise 2008/2009 bis zu Beginn der
Coronapandemie im März 2020 nicht viel von ihrer Macht eingebüßt zu haben: Banken wurden
durch die Allgemeinheit gerettet und wohlhabende Schichten wurden durch die Geldschwemme
der Zentralbanken in aller Welt noch wohlhabender – dabei erschienen die Maßnahmen erneut
typisch neoliberal „alternativlos“ und so war auch die breite Masse der Bevolkerungen eindeutig
für die Geldschwemmen, welche die Aktienkurse der großen Hedgefonds beflügelten und
Immobilienpreise stark verteuerten. Der Kapitalismusforscher Nordmann sagt hierzu wörtlich:
„Der Konsens zur Bankenrettung hätte in den Gesellschaften der liberalen Demokratien nicht
breiter sein können.“65 Andererseits mehrten sich im letzten Jahrzehnt die Stimmen, die nach
einer größeren Kontrolle vor allem der Finanzwirtschaft riefen und auf eine stärkere Rolle des
Staates als Träger des Gemeinwesens pochten; der österreichische Ökonom Stephan
Schulmeister sieht mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie sogar das Ende des
Neoliberalismus gekommen66. Obwohl der Höhepunkt dieser wirtschaftspolitischen Ideologie
womöglich tatsächlich vorbei sein mag, wird in den folgenden Abschnitten der Versuch
unternommen, die immense Wirkmächtigkeit des Neoliberalismus auf das Denken und Handeln
der Menschen inklusive der Folgen für Individuen sowie Gesellschaften zu umreißen.
61 Chomsky und Polychroniou, Optimism over Despair. 62 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 21. 63 Gemeint sind Sparzwänge im öffentlichen Sektor bei gleichzeitiger Privatisierung und Deregulierung. 64 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 4. 65 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 3. 66 Vgl. Bachmann, „Stephan Schulmeister: "Diese Krise ist das Ende des Neoliberalismus"“.
19
2.3.2 Das neoliberale Menschenbild – die „Konstruktion des Menschen als
Humankapital“67
Der Mensch als rational agierender Akteur, der bei jeder wirtschaftlichen – aber auch
anderen – Entscheidung ständig zunächst gut abwiegt, welche Präferenz zu seinem/ihrem Vorteil
sein wird; dies entspricht dem Homo Oeconomicus, der auch dem Neoliberalismus im Herzen
zugrunde liegt. Genauer ist es die etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts an Popularität gewinnende
Rational Choice Theory der „Chicago Boys“ (verniedlichend euphemistisch für die Ideologen der
Chicago School), die dem Neoliberalismus als philosophischer Unterbau dient. Sie verhalf auch
dem Glaubenssatz „Trickle Down“ – wenn es denen „da oben“ nur gut genug geht, wird quasi
gemäß einer Naturgesetzlichkeit ähnlich der Schwerkraft auch für den Rest der Gesellschaft
etwas „abtropfen“ – zu breiter Akzeptanz: „Rational“ erinnert hier unweigerlich an die
Errungenschaften der Aufklärung und wer an die Wissenschaft glaubt, wer von sich sagt, er/sie
denke „rational“, könne somit auch nichts gegen diese Theorie einwenden.68 Inmitten der
Aufbruchsstimmung nach dem 2. Weltkrieg war die Erinnerung an den Börsencrash am
Schwarzen Freitag von 1929 und die Irrationalität des Glaubens an eine streng rational
agierenden Homo Oeconomicus verblasst. Die Vermittlung der neoliberaler Doktrin erfolgte dabei
zunächst an die nationalen Öffentlichkeiten, wobei Fortschritts- oder Modernisierungsnarrative im
Namen der Wissenschaftlichkeit schon immer eine wichtige Rolle spielten. Würde ein Land –
später sogar jedes einzelne Individuum – neoliberale Reformen verpassen oder aufschieben,
könnte es nur noch weiter zurückfallen, liefe es Gefahr abgehängt zu werden.69 Ungleichheit war
für die Chicago Boys nicht nur kein Problem, sie wurde sogar billigend, vielleicht gar gezielt, in
Kauf genommen.70
Das in diesem Denken planmäßige Ausklammern von sozialen Realitäten beschreibt
Bourdieu mit den folgenden Worten: “For in the name of a narrow and strict conception of
rationality as individual rationality, it brackets the economic and social conditions of rational
orientations and the economic and social structures that are the condition of their application.”71
Des Weiteren sagt er in einer ersten Annäherung an das typische Denken des neoliberalen
Individuums: „Man lässt ein größtmögliches Wachstum von Produktivität und Wettbewerb als
letztes und einziges Ziel menschlichen Handelns gelten; oder glaubt, dass man sich den Kräften
der Ökonomie nicht entziehen könne.“72 Staatstheoretisch ist die Bürgerin/der Bürger hierbei
zunächst vor allem KonsumentIn,73 wobei das neoliberale Individuum stets auch ProduzentIn der
eigenen Verwertbarkeit ist. Im Verweis auf ein Interview mit Philipp Mirowski macht Nordmann
67 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 33. 68 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 11. 69 Vgl. ebd., 24. 70 Vgl.ebd., 11. 71 Bourdieu, „The Essence of Neoliberalism“. 72 Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer,“ 412. 73 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 5.
20
deutlich, dass das neoliberale Selbst an seiner damit einhergehenden Zersplitterung in viele
unterschiedliche Rollen leidet:
Die Zersplitterung des neoliberalen Selbst beginnt in dem Moment, da eine handelnde Person erkennt,
dass sie nicht nur Studentin oder Angestellte ist – sondern zugleich ein Produkt, das verkauft werden
muss, eine wandelnde Reklame; ein Verwalter des eigenen Lebenslauf, und der Entrepreneur der
eigenen Möglichkeiten. Er oder sie muss damit zurechtkommen, gleichzeitig Subjekt, Objekt und
Zuschauer zu sein. Sie ist gleichzeitig das Geschäft, der Rohstoff, das Produkt und der Kunde des
eigenen Lebens. Sie ist ein Haufen von Werten, die investiert, betreut, verwaltet und entwickelt werden
wollen, sie ist zugleich aber auch eine Ansammlung von Risiken, die ausgelagert und minimiert werden
müssen und gegen die man wetten kann. Sie ist beides, der Star und das entzückte Publikum der
eigenen Vorstellung. […] es gibt für jeden nur ein ständig wechselndes Rollenverzeichnis, das sich nach
den Erfordernissen des Moments richtet. Den größtmöglichen Nutzen erwirtschaftet die handelnde
Person, wenn sie sich als in jeder denkbaren Hinsicht absolut flexibel zeigt.“74
Als konkretes Beispiel hierfür dient Facebook, „die neoliberale Technologie schlechthin“, Durch
„die ständige Aufforderung, sich ein Profil zu erstellen und daran zu arbeiten“, wird dies „die
„Hauptbeschäftigung der neoliberalen Seelen“ 75.
Moderne, fortschrittliche, wissenschaftlich gestützte Optimierung, um einige
Lieblingsvokabel des Neoliberalismus zu nennen, ist somit zunehmend auch für das Individuum
der Fall: angefangen bei einer optimalen Frühförderung bei noch sehr jungen Kindern oder
Kleinkindern, über die bestmögliche Schulbildung, Ausbildung, Weiterbildungen, etc. Nach dem
gegenwärtigen Narrativ endet Letzteres gerade auch im Sinne der wirtschaftlichen
Verwendbarkeit nie oder aber frühestens mit Eintritt in die Pension. So genanntes „Lebenslanges
Lernen“ ist sicherlich begrüßenswert, weil hirnphysiologisch bei gesunden Gehirnen auch gar
nicht anders möglich, als Slogan dienen diese Worte jedoch zumeist wirtschaftlichen Interessen
– und sei es zumindest jenen des eigenen Staates. Nach Bourdieu stützt eine „Soziodizee der
Kompetenz“ die Idee des survival of the fittest, gleichsam eine der neoliberalen Grundprinzipien.
Die „Kompetentesten“ oder Fähigsten lenken den Staat, die Fähigen haben zumindest eine
Arbeit.76
Diese Ideologie der Kompetenz ist laut Bourdieu geeignet zwei Klassen von Menschen
gegenüber zu stellen: auf der einen Seite jene, die gefragte Kenntnisse besitzen und gut- oder
überbezahlte Tätigkeiten verrichten, die sich ihren Arbeitgeber selbst aussuchen können; auf der
anderen jene, die bestenfalls von ihrem Arbeitgeber ausgesucht werden, und die dauernd von
Entlassung bedroht sind oder der Arbeitslosigkeit nicht mehr entkommen können. Des Weiteren
sieht Bourdieu eine Verschlechterung des Bildes der Armut, da Arme von nun an nicht nur
„verdorben, Säufer (sind), sie sind dumm und unfähig.“77 Durch „Soziodizee der Kompetenz“78
sind somit Sonderrechte für die Nutznießer der neoliberalen Weltordnung gerechtfertigt. Natürlich
74 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 10. 75 Ebd. 76 Vgl. Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer,“ 410–11. 77 Ebd., 411. 78 Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer“. 411.
21
wird dabei völlig außer Acht gelassen, dass die Ausbildung, der sie ihr Position verdanken, das
Produkt von gesellschaftlichen Ungleichheiten ist.79
Das Individuum hat es jedoch auch mit dem Phänomen zu tun, dass der Neoliberalismus
gemäß Ther beides, „Begleiterscheinung und Antriebskraft der Globalisierung“ 80 ist. Innerhalb
dieses Diskurses fühlt sich die und der Einzelne sehr klein und schwach. Auch sozialstaatliche
Politik, die sich normalerweise auf eine national definierte Gesellschaft bezieht und auch dort nur
auf eine bestimmte Klientel, wirkt im Vergleich zur Wirkmächtigkeit des Neoliberalismus sehr
unbedeutend. Diese Macht beruht eben nicht zuletzt auf seinem Internationalismus. In einer
Vielzahl von Beispielen aus der ganzen Welt, zeigt Ther wie grundlegende Einschnitte ins Sozial-
und Gesundheitssystem eines Staates „stets mit Verweis auf externe Vorbilder begründet und
durch internationale Experten und Organisationen mitgetragen“ 81 wurde. Unterstützt wurde diese
internationale Verbreitung neoliberaler Werte letztendlich auch von internationalen Think Tanks,
Medienkonzernen82 und zumindest seit der Jahrtausendwende von gigantischen
Internetkonzernen.
An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass die betroffenen AkteurInnen nicht nur „als
passive Objekte oder gar Opfer der neoliberalen Ordnung“ zu verstehen sind, sondern als „Träger
von Veränderungen“ 83. Für Ther scheint hier der Begriff der „Selbsttransformation”84 passend,
wobei die Reaktionen auf neoliberale Schocktherapien, auf den generellen Rückzug des Staates,
auf die alternativlose Ausweglosigkeit, etc. innerhalb eines Spektrums subversiven Widerstands
bis zur übereifrigen Anpassung stattfinden.85 Für Nordmann ist der Neoliberalismus deshalb ein
„politisches Projekt, das weder in der Demokratie noch in der Diktatur ohne eine politische Basis
in der Gesellschaft auskommt […]“ und “ohne die Zustimmung der Mittelschichten für die
Parteien, die mit neoliberalen Floskeln vor Wahlen reüssierten, die Stabilität neoliberaler
Machtsysteme in der Demokratie nicht denkbar“ wäre.86
Zu diesen neoliberalen „Floskeln“ zählt auch die schier endlos optimierungswerte „Ich-
AG“ oder der Slogan „anything goes“ im Hinblick auf die „no limit“ Fähigkeiten des „willensstarken“
Selbst. Ther merkt an, dass der „Yuppie” im ausgehenden 20. Jahrhundert archetypisch für
diesen Wertewandel hin zu mehr Individualismus und Gewinnstreben stand. Die derartige
Überbetonung des Individuums kann gleichsam euphorisierend, wie Angst machend wirken und
steht einem Mittleren Weg, wie er beispielsweise auch im Buddhismus gelehrt wird, diametral
gegenüber (wie im nächstem Kapitel, aufgezeigt werden wird). Nicht umsonst sieht sich das
79 Vgl. Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer,“ 410–11. 80 Ther, „Der Neoliberalismus,“ 22. 81 Ebd. 82 Vgl.ebd., 24. 83 Ebd. 84 Ebd. 85 Vgl. ebd. 86 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 3.
22
„Selbst“ aufgrund der äußerst zwiespältigen neoliberalen Anforderungen gezwungen, sich zu
optimieren und die Meditation, wie später genauer betrachtet werden wird, bietet die vielleicht
einzigartige Möglichkeit ganz ohne körperlichen Nebenwirkungen Anästhetikum und Doping für
die eigene Leistungsfähigkeit in einem zu konsumieren. Der Opferdiskurs würde lauten, sich aus
einer Welt voller gefährlicher Raubtiere (siehe Darwins „Survival oft he Fittest“ und das Bild der
„Tigerstaaten“) in eine Welt des Privaten zurück zu ziehen; doch derselbe Diskurs kann auch aus
der Sicht der Raubtiere betrachtet werden, die nicht selbst zum Opfer werden wollen und sich so
für den Wettbewerb bestmöglich rüsten; ein „Teufelskreis“, ein „rat race to the bottom“ beginnt.
Denn die Immobilienblasen, Fremdwährungskredite und so manch Spielerei am
Aktienmarkt oder in anderen Bereichen der wirtschaftlichen Domäne haben gezeigt, dass der
Neoliberalismus auch „von unten“ getragen und verstärkt wird.87 Es mag auch stimmen, dass
Internetgiganten Datenkraken sind und Milliarden an Gewinn erzielen ohne adäquat besteuert zu
werden. Doch auch die KonsumentInnen am anderen Ende der Leitung machen nur zu gerne
mit. Letztendlich ist und ermöglicht der Neoliberalismus den Individuen ein Wetten auf die
Zukunft; nicht nur bei Finanzprodukten, sondern spätestens seit Beginn der
Nachhaltigkeitsdiskurse ist gewiss, dass das vorherrschende Wirtschaftssystem ein stetes
solches Wetten auf die Zukunft ist: ob und wie lange der Planet den Raubbau aushalten werden
wird; ob Technologie die Klimakatstrophe abwenden können wird; ob die zukünftige Generation
mit den ökologischen und ökonomischen Hypotheken umgehen können wird; etc. Als besonders
Beispiel führt Nordmann hier an: „Automobile Mobilität gilt nach wie vor als Basis der individuellen
kapitalistisch‐freiheitlichen Lebensform.“88 Das Festhalten am Neoliberalismus nach 2008/09
macht immer mehr deutlich, dass es sich um ein System handelt, das nach einer eigenen
Gesetzmäßigkeit funktioniert und „Pfadabhängigkeiten“89 erzeugt. Staaten, (andere) Institutionen
und Individuen können sich diesen nicht entziehen und verstärken die neoliberalen
Wirkungsweisen oft noch.
Wieder drängen sich im Rahmen der vorliegenden Arbeit die Fragen auf, ob
Glück/Zufriedenheit/Leidvermeidung der Bevölkerung tatsächlich mit den Wachstumszahlen
(zumeist in Bruttoinlandsprodukt/Kopf gemessen) korrelieren. So hatten und haben neoliberales
Denken und konkrete neoliberale Interventionen in Volkswirtschaften immer zur Folge, dass zwar
oft die Wirtschaft gemessen in BIP/Kopf wächst und Inflation relativ gering bleibt, jedoch die
Einkommens- und Vermögensschere zwischen den finanziell wohlhabenden
Bevolkerungsschichten und den (relativ gemessenen) „Armen“ besonders schnell und weit
aufgeht. Diese als sehr ungerecht erlebte Ressourcenverteilung zeitigt Arten von Gewalt, die –
trotz wachsender Wirtschaftsleistung und stabiler Inflation – negativ für nahezu alle in der
87 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 24–25. 88 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 16. 89 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 24–25.
23
Gesellschaft (also auch für Wohlhabende) erlebt werden. Bourdieu schreibt hierzu, dass
Selbstmord, Straffälligkeit, Drogenmissbrauch, Alkoholismus nur einige der Folgen sind und er
fügt an:
[Gewalt] trifft allerdings die Falschen, denn die Opfer werden doppelt geschlagen, einmal von der
strukturalen Gewalt der Finanzmärkte, zum zweiten Mal von sich selbst durch all die kleinen oder großen
Gewalttätigkeiten des Alltags, die sie sich gegenseitig antun und von denen die Nutznießer des
neoliberalen Programms, zumindest zunächst, nicht betroffen zu sein scheinen.“90
Ich möchte das Wort zunächst herausgreifen, da in sehr ungleichen Gesellschaften die finanziell
besser gestellten nicht einfach – salopp gesagt – „glücklich und zufrieden“ dahinleben konnen.
Diesbezüglich ist der Begriff der „Lateinamerikanisierung von Gesellschaften“ mittlerweile in
Diskursen zur Verteilungsgerechtigkeit sehr gebräuchlich geworden. Der Ausdruck verweist auf
die in weiten Teilen Lateinamerikas allgegenwärtigen „Gated Community“, in denen sich
Wohlhabende hinter einer hohen Mauer und mit eigenen bewaffneten Wächtern vor ärmeren
Schichten verstecken müssen. Die negativen Folgen für Menschen, die in extrem ungleichen
Gesellschaften leben, lassen sich also nicht nur vom Blickwinkel der buddhistischen Philosophie
der bedingten Entstehens („alles hängt mit allem zusammen – nichts entsteht unabhängig“; siehe
3.2.) argumentieren, sie lassen sich zudem wissenschaftlich nachweisen91.
Dass sich der Neoliberalismus trotz der eben genannten negativen Folgen durchsetzen
konnte, beweist, dass er auch als „kommunikatives“92, um nicht zu sagen manipulativ-
kommunikationspsychologisches, Phänomen zu verstehen ist. Dies kann besonders deutlich am
Beispiel Chile gezeigt werden. Chile wandelte sich nach neoliberaler Intervention (gemäß des
„Konsens von Washington“) in den 1980er Jahren vom wirtschaftlichen Problemkind zum
Musterschüler und galt daher oft als Exempel für neoliberale Transformationen in anderen
Ländern. Die soziale Kluft in der Gesellschaft nahm jedoch trotz (oder wegen) des hohen
Wirtschaftswachstums enorme Ausmaße an. Die dennoch rege Beteiligung der breiten Masse an
den neoliberalen Reformen beschreibt Nordmann mit den Worten:
Die Gesellschaft ist nicht mehr das Objekt des neoliberalen Projektes, der Unterordnung unter
Kapitalinteressen sondern ein markteinforderndes Subjekt. Nicht nur der Staat und die Besitzklassen
gehen voran. Die Gesellschaft selbst verlangt nach der Transformation aller gesellschaftlichen
Beziehungen über den Markt. Weitergedacht schafft diese chilenisch‐neoliberale Gesellschaftsutopie
die Gesellschaft ständig selbst zugunsten der Marktwirtschaft ab. […] Das neutrale Individuum, das von
Thatcher aufgefordert wird, sich von der Gesellschaft zu befreien, und die Dinge am Markt selbst in die
Hand zu nehmen, wird zum neoliberalen Subjekt, das den Markstaat politisch konstituiert und seinen
Markt als Subjekt und Objekt der kapitalistischen Ausbeutung stets selbst schafft.93
Dieses Zitat bildet gleichsam auch eine Überleitung vom bisherigen Fokus auf das Individuum hin
zur Gesellschaft; denn nachdem das neoliberale Individuum, das selbst fortwährend zur
90 Bourdieu in Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer,“ 418.; eigene Hervorhebeung in kursiv. 91 Vgl. z.B.: Richard G. Wilkinson und Kate Pickett, The Spirit Level: Why Greater Equality Makes
Societies Stronger, 1. American ed., rev. and updated. (New York, NY: Bloomsbury Press, 2010). 92 Ther, „Der Neoliberalismus,“ 8. 93 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 37.
24
Verstärkung neoliberaler Strukturen beiträgt, wenn auch nicht definiert zumindest sehr klar
umrissen wurde, soll nun das Licht auf die Rolle der Gesellschaft im Neoliberalismus geworfen
werden.
2.3.3. Die Gesellschaft im Neoliberalismus
Für Nordmann steht Margaret Thatchers Negation der Gesellschaft (siehe auch 2.3.3.)
stellvertretend für die im Neoliberalismus typische Zurückweisung von einer der „Grundkategorien
des politischen Denkens des 19. Und 20. Jahrhunderts“94. Die zweite Grundkategorie,
Geschichte, sieht er von Francis Fukuyama95 „dementiert und im neoliberalen Kontext
umgedeutet“96 An die Stelle der Gesellschaft (wie auch vieles Anderes) tritt ökonomische Aktivität.
Außerdem macht neoliberale Ideologie „einen grundtiefen Schnitt zwischen dem Ökonomischen
und dem Gesellschaftlichen, das beiseitegeschoben, den Soziologen überlassen wird, wie eine
Art Ausschussware.97 Oft verweisen Vertreter des Neoliberalismus dabei auf die Quasi-
Naturwissenschaftlichkeit seiner Logik, oder gemäß Bourdieu nehmen sie sogar religiöse Züge
an. So verkehrt sich die zunächst noch „fatalistische Botschaft“ („alternativ“ oder „ausweglos“) in
eine Befreiungsbotschaft, indem sie sich einer „Reihe lexikalischer Spielereien mit Begriffen wie
Freiheit, Befreiung, Deregulierung bedient“.98
Ther sieht Margaret Thatcher gerade auch deshalb so prägend für neoliberales Denken,
da ihr Leitspruch „There is no alternative” (abgekürzt durch ein lockerleicht von der Zunge
gehendes TINA) für den anti-politischen Argumentationsmodus neoliberaler Reformen und
Einschnitte stand99 (dieser Leitspruch sollte in den folgenden bis zum heutigen noch von
zahlreichen Politikern unterschiedlicher Couleur verwendet werden um die Bevölkerung von der
Richtigkeit von Programmen und Entscheidungen zu überzeugen). „Alternativlos“ mag nicht
gerade positiv klingen, jedoch reiht sich die Wortwahl in eine neoliberale Rhetorik ein um die
Bürger davon zu überzeugen, dass diese (neoliberale) Welt, die beste aller möglichen sei. Und
moge die Welt auch gerade nicht „gut“ sein, die Alternativen wären schlechter. In ähnlicher
Tonalität hält Nordmann zum vermeintlich „alternativlosen“ neoliberalen Modell fest:
So wie im Krieg die Einübung des Tötens nur gelingt, wenn die Vorstellung des Friedens unmöglich ist,
tendiert die kapitalistische Gesellschaft dazu, nicht kapitalistisches Handeln zu bekämpfen, wo immer
sie es vorfindet. Das neoliberale Ziel der Gesellschaftspolitik formulierte sich wie von selbst: Es
94 Vgl. Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 6. 95 Fukuyama, „The End of History?“.: „‚…, all prior contradictions are resolved and all human needs are
satisfied. There is no struggle or conflict over ‘large’ issues …: What remains is primarily economic activity.’“
96 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 6. 97 Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer,“ 412. 98 Bourdieu in ebd. 99 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 8.
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unmöglich zu machen, sich vorzustellen, wie ein alternatives politisches und gesellschaftliches Handeln,
das den Kapitalismus transzendiert, aussehen konnte.“100
Wie Robert W. McChesney in der Einführung zu Noam Chomskys Profit Over People.
Neoliberalismus und globale Weltordnung bemerkt, werden für neoliberale Propaganda riesige
Vermögen aufgewendet.101 Der neoliberale Diskurs wartet dabei mit einer Reihe von
Grundannahmen auf, die „allgemeingültig“, „letztgültig“ oder eben „alternativlos“ sind und
konstruiert, laut Bourdieu, einen „fatalistischen Diskurs, der sich dadurch auszeichnet,
wirtschaftliche Tendenzen in Schicksal zu verwandeln.“ 102 Nochmals: inwiefern quantitative
Daten wie Inflation und Wirtschaftswachstum die Zufriedenheit der breiten Bevölkerung
ausdrücken können sei an dieser Stelle dahingestellt. Erwähnenswert ist jedoch, dass, ganz als
ob das Glück in Zahlen gegossen werden könne, eine eigentümliche Art Vermessung der
Wirklichkeit einsetzt – alles scheint von nun an in Zahlen ausgedrückt werden zu können. In
Bourdieus Worten klingt das wie folgt:
This tutelary theory is a pure mathematical fiction. From the start it has been founded on a formidable
abstraction. For, in the name of a narrow and strict conception of rationality as individual rationality, it
brackets the economic and social conditions of rational orientations and the economic and social
structures that are the condition of their application.103
Speziell die Rolle der meisten ÖkonomInnen, die laut Bourdieu mal aktivere, mal passivere
Handlanger neoliberaler Politik sind, greift der Philosoph frontal an: “Separated from the realities
of the economic and social world by their existence and above all by their intellectual formation,
which is most frequently purely abstract, bookish, and theoretical, they are particularly inclined to
confuse the things of logic with the logic of things.”104
Auf diese Weise wird die Politik der einzelnen Staaten und deren Handlungsfähigkeit
tatsächlich zunehmend von wenigen mächtigen Finanzzentren aus und durch das immer
einflussreicher werdende Großkapital, um deren Investitionen einzelne Staaten förmlich betteln,
eingeschränkt. Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, dass die Zwänge solch einer Struktur, oft
als schicksalshafte Auswirkungen der Globalisierung verstanden werden – denn als solche
werden sie ja auch oft verkauft. Der Teufelskreis des so erzeugten globalen Wettbewerbs
erscheint somit gleichzeitig als Ursache für die immer mehr um sich greifende Prekarisierung von
Arbeitsverhältnissen, und als deren Folge, denn er bewirkt, in Bourdieus Worten, „dass die
Arbeitnehmer nicht mehr nur der Konkurrenz mit ihren Landsleuten oder gar, wie Demagogen
glauben machen wollen, mit den auf dem eigenen Staatsgebiet niedergelassenen Ausländern
ausgesetzt werden, die ja ganz offenkundig die ersten Opfer der Prekarisierung sind, sondern in
100 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 14. 101 Vgl. Chomsky, Profit over People, 9. 102 Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer,“ 412. 103 Bourdieu, „The Essence of Neoliberalism“. 104 Ebd.; Kursivsetzung d. Verf.
26
Wirklichkeit mit den zur Annahme von Elendslöhnen gezwungenen Arbeitern vom andern Ende
der Welt“.105
Auch Noam Chomsky geht mit diesem durch Freihandelsabkommen geregelten
Wettbewerb, welcher auf vermeintlich „freiem“ Handel basiert, aufs schärfste ins Gericht. Der
Wettbewerb ist laut Chomsky nicht frei, sondern schützt die mächtigen Akteure; außerdem regeln
die Abkommen weniger den Handel als eigentlich die Investitionen. Freihandelsabkommen, so
Chomsky weiter, geschehen zumeist unter Geheimhaltung vor den betroffenen Bevölkerungen,
nicht aber vor den Rechtsberatern und Lobbyisten. Vor allem – und hier schließt sich der Kreis
zu Bourdieus Ausführungen über den in das Prekariat führenden Teufelskreis Wettbewerb –
stehen Freihandelsabkommen selbst im direkten Gegensatz zu Prinzipien eines freien Handels,
die auf Adam Smith selbst zurückgehen: er erkannte, dass es keinen freien Kapitalverkehr ohne
einen in ähnlichem Maße freien Personen- bzw. Dienstleistungsverkehr geben kann106; im
Gegensatz zu Finanztransaktionen können Personen jedoch nicht pro Sekunde mehrmals quer
über den Erdball verschoben werden.
Nordmann sieht hierbei zwar eine „Revolution von oben“ 107, doch es erscheint für ihn so
als ob „die Gesellschaft selbst neoliberal geworden ist“. Somit ist die Stabilität in der Akzeptanz
des Neoliberalismus „wie wenig sich nachhaltige Oppositionen selbst in großen Wirtschaftskrisen
institutionalisieren konnen“108 auch nicht mehr überraschend. Nach genauerer Analyse beschreibt
Nordmann die Gesellschaft im Neoliberalismus als bloße „Leerstelle“: „Die aktuelle Gesellschaft
ist kaum eine emanzipatorische Zivilgesellschaft, die den Kräften des Kapitals seit vier
Jahrzehnten (und auch zuvor, müsste man hinzufügen) stets unterliegt.“109 Die
„Alternativlosigkeit“ zur Bankenrettung nach der Weltwirtschaftskrise 2008/09 führt auch
Nordmann als Beispiel an, wie die Gesellschaft selbst durch die Zahlung von Steuergeld
einerseits und der Akzeptanz der Kürzungen im öffentlichen Bereich andererseits den
neoliberalen Status Quo erhält.110 Damit dies auch so bleibt arbeitet der Neoliberalismus daran,
die Gesellschaft „indifferent“111 zu machen: „Ständig muss das Ziel verfolgt werden,
widerspenstige Teile der Gesellschaft in eine ‚in Kapital denkende‘ Gesellschaft zu verwandeln,
[…]“112.
105 Bourdieu in Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer,“ 409. 106 Vgl. Chomsky und Polychroniou, Optimism over Despair. 107 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 2. 108 Ebd., 4. 109 Ebd., 3. 110 Ein solches indifferent Machen wird auch buddhistisch inspirierter Meditation vorgeworfen und stellt
damit einen der vermeintlichen Hauptüberschneidungspunkte zum neoliberalen Projekt dar. 111 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 27. 112 Ebd., 28.
27
2.3.4. Die sprachlichen Bilder des Neoliberalismus
„Das neoliberal‐postmoderne Theorienkonglomerat totalisiert in seiner politisch‐ökonomischen
Ausformung offen kapitalistische Strukturen, kapitalistische Denk‐ und Lebensformen und vor
allem kapitalistisches Handeln im Alltag (am Arbeitsplatz).“113 Dies konnte bisher in dieser Arbeit
schon gezeigt werden. Die sprachlichen Bilder, denen sich der Neoliberalismus bedient, sollen in
diesem Abschnitt kurz explizit Erwähnung finden. Die Transformation des Individuums und die
damit einhergehende Anpassung der Gesellschaft wären ohne das einerseits
erfolgsversprechende, andererseits Alternativen ausschließende Vokabular kaum möglich
gewesen. Im Grunde war nämlich für breite Bevölkerungsschichten immer wieder die
wirtschaftliche und soziale Abwärtsspirale die Folge, wenn sich PolitikerInnen geradezu
heilsversprechend auf „die Märkte“ beriefen, um eine „alternativlose“ Maßnahmen zu verkünden.
Der Begriff „alternativlos” ist gemäß Ther jedoch „letztlich apolitisch und technokratisch“114 und
lässt die Bevölkerung als Gesellschaft auch mangels einer Angriffsfläche ernüchtert und mutlos
zurück. Nordmann führt hierzu aus:
Die Negation der Alternativen menschlichen Handelns ist, um es noch einmal deutlich zu sagen, das
eigentliche Ziel neoliberaler Gesellschaftspolitik. Die Reproduktion der neoliberalen Gesellschaft geht
deshalb über die Reproduktion sozialer Ungleichheit hinaus. […] Die gemeinte [kapitalistische] Totalität
ist in erster Linie Totalität des einen Handlungsmodells, das sich als Praxis ‐ von spekulativen Bankern
über den Kleinhandel mit Waren und die vollkommene Abhängigkeit von
Arbeitsmangementprogrammen der Computer bis hin zur Pflicht des Selbstverkaufens ‐ in der
gesamten Gesellschaft durchgesetzt und sich zur dominanten Lebensform erweitert hat.115
Ist ein Individuum ob der Ausweglosigkeit aus dieser alles dominierenden neoliberalen Totalität
desillusioniert und bedrückt von den negativen Zukunftsaussichten bietet der Neoliberalismus
gleichzeitig auch Vielversprechendes. Ther führt beispielsweise die Umbrüche zu Beginn der
1990er Jahre im ehemaligen Ostblock an. Die teils bereits streng neoliberalen Reformen waren
so tief und verunsichernd, dass im Weiteren „neoliberalen Lehren und Zukunftsverheißungen wie
ein Rettungsring wirkten, an dem sich die neuen Eliten – auch mangels überzeugender
Gegenmodelle – mit aller Kraft festhielten.“116 Die Ursachen sind also psychologisch zu erklären
und führen zu einem sich selbst verstärkenden Zirkel des „more of the same“. Die Macht der
Zahlen tat zum größten Teil auch in der restlichen Welt durch das richtige Marketing das
Übrige117.
So verspricht die äußerst gut von den Lippen gehende Flat Tax (die „flache“, also niedrige
Steuer), im Vergleich zu einem progressiven Steuersystem, eine Erleichterung für alle
SteuerzahlerInnen; zudem ist die Flat Tax auch einfach und somit ohne SteuerberaterIn zu
113 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 8. 114 Ther, „Der Neoliberalismus,“ 21–22. 115 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 16. 116 Ther, „Der Neoliberalismus,“ 17. 117 Vgl. z.B. Milton Friedman’s Mini-TV-Serie der 1980er „Free to Choose”, mit seiner ersten Episode „The
Power of the Market”; siehe 2.3.1. oben.
28
berechnen. Zu der erhofften gesteigerten Steuerehrlichkeit kommt es jedoch in Ländern mit Flat
Tax nicht und die Auslandsinvestitionen spiegeln sich so gut wie nie in einem gesteigerten
Wohlstand der breiten Masse wider. Das Gegenteil ist der Fall: Direkt profitieren von einer Flat
Tax naturgemäß Besserverdiener, während die unteren Einkommensschichten Kaufkraft
einbüßen. Dies geschieht indirekt auch, da der weiter oben bereits angesprochene „Trickle-
Down“ Effekt so nie stattfindet. Zur Illustration sei konkret der Fall der Slowakei genannt, die
2004 die Einkommens, Mehrwert-, Umsatz- und Unternehmenssteuern auf einheitliche 19
Prozent festlegte. Beachtenswert ist hier auch die neoliberale Semantik der „gleichen Steuer“
(slowakisch „rovná daň”), welche suggeriert, es würde ein Gleichheitsversprechen eingelöst. Die
Folgen waren die für neoliberale Reformen üblichen: der Staat büßte durch die sinkenden
Steuereinnahmen auch sozialpolitischen Gestaltungsspielraum ein und das soziale
Ungleichgewicht wuchs.118
Zu einem weiteren sehr starken neoliberalen sprachlichen Bild zählt das Beispiel jenes
der „Arbeitsuchenden“ („job-seeking“), welche die „Arbeitslosen“ („unemployed“) ablösten. Dies
taten sie etwa auch im Deutschland der Jahrtausendwende, wo die Sozialreformen gerade unter
einem sozialdemokratischen Kanzler (G. Schröder) besonders einschneidend ausfielen.119 Für
Nordmann kommt es zu einer Auflösung der klassischen Rechts-Links-Unterscheidung und so
hat es der Neoliberalismus sogar geschafft, „klassische linke Politik als rückschrittlich zu
diskreditieren“. Stattdessen wird durch die „sich verschärfende Oben‐Unten‐Hierarchie in der
Gesellschaft in den politischen Debatten mehr verschleiert als erhellt“.120
Auch das Beispiel der „Tigerstaaten“ – im Wortsinne selbst eine Anspielung auf ein Tier,
das assoziativ wohl kaum jemals mit einem passiven Opfer in Verbindung gebracht wird –
hervorragend geeignet auf eine typisch neoliberalen Diskursstrategie aufmerksam zu machen.121
Auf diese Weise mussten sich in „wirtschaftlicher Anpassung“ befindliche Bevolkerungen fast
glauben, dass ihre Zeit bald gekommen sei, die alternativlose „Kur“ (falls sich die
„Schocktherapie“ zu lange zog um noch als Schock gelten zu können) bald zur Erholung und zu
den verdienten Früchten führen würde. Die Tigerstaaten des Baltikums (allen voran Estland, dann
Lettland) dienten nicht nur nach innen sondern auch nach außen (für andere Staaten) als
neoliberale Vorzeigeprojekte; zumindest bis der wirtschaftliche Fall 2008/2009 besonders hoch
ausfiel.
Letztlich soll mit Noam Chomsky noch hinter die Worthülse des „Konsens von
Washington“ geblickt werden: Gemeint sind eine Reihe von typisch neoliberal „alternativlosen“
Marktprinzipien, die die US-amerikanische Regierung mit den von ihr weitgehend beherrschten
118 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 18. 119 Vgl. ebd. 120 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 4. 121 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 17.
29
internationalen Finanzinstitutionen entworfen und durchgesetzt hat. Für die ärmeren
Gesellschaftsschichten hatten diese oftmals einschneidende strukturelle Anpassungsprogramme
zur Folge. Die Grundsätze dieser neoliberalen Ordnung lauten: Liberalisierung von Handel und
Finanzen, Preisregulierung über den Markt, Beendigung der Inflation („makrookonomische
Stabilität“), Privatisierung. Regierungen und deren Bevolkerungen sollten ihrer wirtschaftlichen
„Freiheit“ nicht mehr im Weg stehen. Der vermeintliche, extrem euphemistische „Konsens“ über
diese „Freiheit“ basiert fast ausschließlich auf Entscheidungen, die ohne die Bevölkerungen der
zu reformierenden Länder getroffen wurden – diese Entscheidungen sind jedoch in höchstem
Maße von Einfluss auf die globale Weltordnung, wie Chomsky bemerkt.122
2.4. Ausblick – (k)ein neoliberales Morgen und buddhistische
Meditation?
Gerade aufgrund der Aktualität der Ereignisse rund um die Coronapandemie und der fast täglich
neuen staatlichen Interventionen um den Wirtschaftskreislauf einigermaßen aufrecht zu erhalten
ist es vielleicht gewagt aber nicht gänzlich unrealistisch zu behaupten, der Neoliberalismus sei
an den Beginn seines Endes gekommen. Dies meinen heute (im Frühjahr 2021) immer mehr
KommentatorInnen aber auch WirtschaftswissenschafterInnen, wie zum Beispiel Stephan
Schulmeister.123 Nordmann schreibt bereits 2013, dass „[s]elbst wenn das politische Projekt des
Neoliberalismus gerettet werden kann, […] ist dem neoliberalen Projekt jedes Zukunftsziel, das
über den Selbsterhalt hinausgeht, abhandengekommen.“124 Somit konnte der Neoliberalismus
von seinem neuen Freiheitsversprechen wenig einlösen und bietet den Gesellschaften
gegenwärtig „keine positive Perspektive“.125
Wie lange diese „Selbsterhaltung des Neoliberalismus“ noch andauern wird ist ungewiss;
sicher ist allerdings, dass derzeit in Anlehnung an Thers vier Phasen des Neoliberalismus eine
Art fünfte Phase stattfindet, in der die Kritik am Neoliberalismus als wirtschaftspolitischer Pseudo-
Ordnungsrahmen menschlichen Wirtschaftens immer lauter sowie vor allem immer breiter wird.
Nochmals sei die gegenwärtige Pandemie erwähnt: Die sozio-ökonomischen Aspekte der
Corona-Krise zeigen, dass der sogenannte „freie Markt“ Im Sinne einer neoliberalen
Wirtschaftsordnung nicht einmal zu Beginn der Krise im März 2020 auch nur ansatzweise
funktionierte, um mit den Herausforderungen fertig zu werden (z.B. die Lieferschwierigkeiten von
Mund-Nasen-Schutzmasken; medizinischem Gerät und Chemikalien sowie Utensilien, die für
Corona-Testungen essenziell sind; die den neoliberalen Freihandel bedrohenden
Grenzschließungen und Barrieren im Personenverkehr; die Schwächen des Neoliberalismus
122 Vgl. Chomsky, Profit over People, 11. 123 Vgl. Bachmann, „Stephan Schulmeister: "Diese Krise ist das Ende des Neoliberalismus"“. 124 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 21. 125 Ebd.
30
demaskierend war auch die enorme Abhängigkeit des Welthandels von in China vorübergehend
gestrandeten Containern, die zeitgleich in den USA oder Europa fehlten und zu Exporteinbrüchen
führten). Der Historiker Philipp Blom sagt hierzu, dass die Pandemie, bei all der Gefahr des
Schönfärbens, auch eine Chance sei, denn:
Erstens haben wir den liberalen Markt außer Kraft gesetzt, weil wir ihm nicht mehr zugetraut haben, in
dieser Krise das Richtige zu tun – und tatsächlich sind etwa medizinische Hilfsgüter nicht dort
angekommen, wo sie gebraucht wurden. Zuvor hat es immer geheißen, dass man an diesem System
nicht rühren darf, weil es keine Alternative gibt und wir das beste System bereits gefunden hätten. Und
zweitens haben wir gelernt, dass Gesellschaften Entscheidungen gegen ihre wirtschaftlichen Interessen
treffen können, wenn sie es für nötig halten – etwa um diejenigen Menschen zu schützen, die am
wenigsten ökonomisch produktiv sind.126
Blom folgert weiter, dass die Corona-Pandemie nicht nur eine schwere ökonomische Krise nach
sich ziehen wird, sondern dass wir mit unserer gegenwärtigen Wirtschaftsweise „am
Zusammenbruch aller natürlichen Systeme“127 bauen. Die kürzlich erfolgte US-Präsidentenwahl
zu Gunsten des Demokraten Joe Bidens und Chinas weiterhin stark wachsende Bedeutung in
der Welt sowie vor allem die oben genannte globale Bekämpfung der Corona-Pandemie werden
den weiteren Verlauf des neoliberalen Diskurs mitprägen.
Der wirtschaftliche Aspekt des neoliberalen Zeitalters mag vielleicht der zentralste sowie
am besten erforschte sein und er wird auch in dieser Arbeit vor allem im Hinblick auf
multinationale Konzerne und ihren Einsatz von „Achtsamkeit“ als Optimierungstool für die
eigenen Angestellten noch eine zentrale Bedeutung einnehmen. Für diese Arbeit von zentraler
Bedeutung ist jedoch die Tatsache, dass der Neoliberalismus nicht nur ganze Gesellschaften in
ihrem Innersten, sondern auch die höchstpersönliche Sphäre des einzelnen Menschen
durchdrungen hat: Selbstoptimierung und Selbstzweifel sind Symptome dieses
Individualisierungs- und Anti-Solidaritätsprojektes und buddhistisch inspirierte Meditationsweisen
scheinen in den letzten Jahren immer mehr als Bekämpfung dieser Symptome herangezogen zu
werden – auch hierzu sei auf einen späteren Teil der Arbeit verwiesen (siehe 4.6.). Kaiser fasst
Bourdieus Kritik am Individualisierungsprojekt Neoliberalismus in aller Deutlichkeit zusammen in
dem sie schreibt:
Die Vorstellung vom einsamen aber freien Individuum trägt zum Wettbewerb eines Jeden gegen den
Anderen bei: […] Nach Bourdieu handelt es sich dabei um Strategien der »Delegation von
Verantwortung«, die die Selbstausbeutung der Angestellten gewährleisten sollen. Sie stehen zwar wie
einfache Lohnempfänger in einem streng hierarchischen Abhängigkeitsverhältnis, werden aber
gleichzeitig für ihre Verkaufszahlen, ihre Außenstelle, ihr Geschäft verantwortlich gemacht als seien sie
Selbständige. Diese Art der Individualisierung stellt sich für Bourdieu daher ebenfalls als eine der
126 Doris Helmberger-Fleckl, „Die Welt ist im Umbruch:: Denkmäler werden gestürzt – und Corona sowie
Klimakrise lassen Lebensmodelle wanken.“ Philipp Blom über Ausbeutungs-Historie(n) und Zukunftsvisionen., Die FURCHE, https://www.furche.at/gesellschaft/philipp-blom-da-stuerzt-auch-ein-menschenbild-3148481, 7.
127 Ebd., 8.
31
Unterwerfungstechniken dar, die auf eine Schwächung oder Beseitigung des kollektiven
Zusammenhalts und kollektiver Solidarität abzielt.128
Kaisers Text wurde bereits im Jahr 2008 verfasst und bezieht sich vor allem auf die
Transformationen um die Jahrtausendwende; doch die durch digitale Errungenschaften
bedingten Auswirkungen auf das Individualisierungsprojekt und in der Folge auf Gesellschaften
können vor allem seit der breitflächigen Nutzung des Smartphones in den letzten Jahren erst
vage abgeschätzt werden. Sie haben die Freiheit des Individuums in eine neue Dimension
gehoben – also im wahrsten Sinne des Wortes eine Art Neo-Liberalität – aber auch den
Wettbewerb der Individuen (Stichwort: „Ich-AG“) neu befeuert.
Die El Pais schreibt beispielsweise 2018 in ihrem Artikel „Neoliberalism Has Captured
the Digital Revolution“:
[…] social and political actions – in the form of rules, norms and policies – will determine how the
future unfolds. In this respect, the digital revolution has the misfortune of unfolding in a neo-liberal era.
Over the last four decades, a mixture of financial chicanery, unrestrained corporate power and
economic austerity has shredded the social contract that emerged after the Second World War and
replaced it with a different set of rules, norms and policies, at the national, regional and international
levels.129
Noch tiefer in die neoliberale Digitalwelt als der El Pais Artikel lässt Hawkins blicken, der über
Facebook und andere Internetkonzerne schreibt, dass sich durch deren Datenalgorithmen bereits
die Vorstellungskraft der NutzerInnen, welche Realität denn überhaupt möglich sein könnte,
einengt. ArbeiterInnenrechte sind laut ihm kein Thema mehr, sondern wie die Arbeit am besten
mit der Freizeit verschmolzen werden kann. Im Kernland des Neoliberalismus würden so
mittlerweile auf diese Weise sogar Gewerkschaften und eine universelle Krankenversicherung
radikal erscheinen.130 Der digitalisierte Neoliberalismus verstärkt auf diese Weise neoliberales
Denken und – wie in der Arbeit später thematisiert werden wird – könnten mittlerweile
entkontextualisierte, jedoch ursprünglich buddhistische Meditationspraktiken, die über das
Smartphone hundertmillionenfach Verbreitung finden, als Beruhigungspille sowie
Selbstoptimierungswerkzeug dienen und den Fokus weiter vom gesellschaftlichen Miteinander
ablenken.
Boltanski und Chiapello 2006, zitiert in Wagner131, sprechen in Anlehnung an Max Webers
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus von einem „dritten Geist des
128 Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer,“ 411. 129 Richard Kozul-wright, „Neoliberalism has captured the digital revolution.“ El Pais, 30.10.2018, zuletzt
geprüft am 16.09.2020, https://english.elpais.com/elpais/2018/10/30/inenglish/1540909557_656379.html.
130 Tracy L. Hawkins, „Facebook, Neoliberalism, and the Foreclosing of Imagination.“ The Journal of Popular Culture, 2019, 15.
131 Greta Wagner, „Arbeit, Burnout und der buddhistische Geist des Kapitalismus.“ Ethik und Gesellschaft 2015, Nr. 2 (2015): 11, doi:10.18156/eug-2-2015-.
32
Kapitalismus“ 132, der sich unter anderem in einer unüberblickbar mannigfaltigen Ratgeberliteratur
(How-to-Guides) manifestiert. Diese beinhalten in großem Maße auch Anleitungen zur Erreichung
tieferer Gelassenheit und besserer Konzentrationsfähigkeit durch Mindfulness/Achtsamkeit. Das
Individuum möge so auf die die entgrenzten, subjektivierten Arbeitsverhältnisse einer Arbeitswelt
der „permanenten Selbstzuständigkeit, der dauerhaften Erreichbarkeit, der beschleunigten
Kommunikation und der Anforderung in Eigenverantwortung viele Aufgaben gleichzeitig erledigen
zu müssen“133, reagieren – beziehungsweise letztendlich auf den Stress, der durch die genannten
Rahmenbedingungen entsteht. In anderen Worten verspricht Achtsamkeit in einer
stresserzeugenden „Kultur der Selbstzuständigkeit“ 134 gesünder und glücklicher zu machen und
nebenbei den beruflichen Erfolg noch zu steigern.
Dieser dritte Geist des Kapitalismus folgt dem ersten (der protestantischen Ethik der
„Verpflichtung von Erwerb als Selbstzweck“) und zweiten (der Reglementierung und Optimierung
des Kapitalismus im Sinne eines Taylorismus).135 Die vermeintliche Freiheit des arbeitenden
Subjekts wird in der neoliberalen Ausformung des Kapitalismus verabsolutiert. Die Konsequenz
stellet sich laut Nordmann wie folgt dar:
Auf dem Plan erscheint ein wahlweise deformiertes, umerzogenes, immer erschöpftes, aber auch
gieriges neoliberales Subjekt, das kaum noch die Fähigkeit zur persönlichen und gesellschaftlichen
Selbstreflexion nutzen kann, und somit als politisches Subjekt, bezogen auf die Emanzipation der
Gesellschaft, ausfällt.136
Somit kann es seitens der Gesellschaft gegen den dritten Geist des Kapitalismus schwer zu
konzertierten, noch nicht einmal zu kollektiven „emanzipatorischen“ Reaktionen kommen, da die
Gesellschaft auf inselartige Individuen ohne gemeinsames Anliegen reduziert wurden.
Doch was hat all dies mit Buddhismus zu tun? Unter den Vorzeichen eines derart
individualistisch geprägten Menschenbildes, das außerdem eingebettet ist in eine Art
sozialdarwinistisches Weltbild des „Recht des Stärkeren“, wirkt buddhistisch inspirierte Meditation
132 Luc Boltanski und Ève Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus (Konstanz: UVK
Verlagsgesellschaft, 2006). 133 Wagner, „Arbeit, Burnout und der buddhistische Geist des Kapitalismus,“ 11. 134 Ebd., 9–10. 135 Der „erste Geist des Kapitalismus“ bezieht sich direkt auf Max Webers Die protestantische Ethik und der
Geist des Kapitalismus; Weber postuliert hier eine innere Wahlverwandtschaft zwischen Protestantismus
und Kapitalismus, die in der reglementierten Lebensführung und im Erwerbsstreben besteht (vgl. Max
Weber und Dirk Käsler, Hrsg., Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Vollst. Ausg.,
3. Aufl., Beck'sche Reihe 1614 (München: Beck, 2010), 66). Dieser Geist eröffnete jedoch auch viel
Freiheit für das Individuum, da es aus bis dahin traditionell vorgegebenen gesellschaftlichen Schichten
ausbrechen konnte. Die Unterdrückung folgte in Form der Ausbeutung von Arbeitskräften, in dem ihr
Lohn immer weiter gedrückt wurde und oft zu regelrechter Verelendung führte. Der zweite Geist des
Kapitalismus bot für ArbeiterInnen einerseits mehr Rechte und Sicherheiten, anderseits wurden
abermals die gewonnen Freiheiten zurückgedrängt: Dieses Mal in Form von Fabriksdisziplin eines
Taylorismus im Sinne streng getakteter Abläufe und entindividualisierten, monotoner Tätigkeiten, sodass
die sinnstiftenden Faktoren Authentizität, Autonomie und letztlich Selbstverwirklichung der ArbeiterInnen
vollends auf der Strecke blieben (Vgl. Boltanski und Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, 43.) 136 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 11.
33
auf den ersten Blick deplatziert. Jedoch bemerkt Ronald D. Purser speziell in Bezug auf das
größtenteils aus dem buddhistischen Kontext gerissene kontemporäre „Mindfulness-Movement“:
[Mindfulness] serves to strengthen people’s conceptions of themselves as self-contained and
autonomous agents, rather than as relational and interdependent — and an individualized practice
requires no communal ties, moral commitments, or substantive lifestyle changes. Instead, one can be
mindful in any way one likes, while washing the dishes, taking in a sunset, smelling an orange, or having
sex or sipping wine.137
Was hier als passiv, genussvolle Achtsamkeit beschrieben wird und, so führt Purser weiter aus,
sogar als kulturelles Gegengewicht zum westlichen Denken gefeiert wird, könnte doch auch nur
eine friedvolle Pause vom latenten Druck und den dauernden Ablenkungen eines digitalen
Neoliberalismus darstellen; und ganz im Gengenteil die Individualisierung der Gesellschaft noch
befeuern.138 So läuft eine buddhistisch-meditative Praktik als mächtiges Werkzeug zur Auflösung
der Illusion des Selbst Gefahr, auf kreative Art genau für das Gegenteil instrumentalisiert zu
werden: zur Festigung und Steigerung des individuellen, kompetitiv-kämpferischen Selbst, das
wiederum der Träger des Narratives einer dauerhaft optimierungsbedürftigen „Ich-AG“ ist (siehe
4.2.2.).
Dem „Ich“ oder „Ego“ als Narrativ im menschlichen Leben wird auch im nun folgenden,
zweiten Hauptkapitel zentrale Bedeutung zukommen, wenn auch eher die Kehrseite der Medaille
betrachtet werden wird: Gemäß buddhistischer Philosophie ist dies gerade die Überwindung der
Idee eines eigenständigen Selbst und die zugrunde liegende Realisierung, dass alle Menschen
in einem interdependentes Wirkungsgefüge nicht unabhängig voneinander existieren. Nur durch
die vorherige Beleuchtung dieser und anderer buddhistischer Elemente kann die im dritten
Hauptkapitel stattfindende Beantwortung der zentralen Forschungsfrage hinsichtlich des
kontemporären Verhältnisses von Buddhismus und Kapitalismus gelingen.
137 Purser, McMindfulness, 74. 138 Vgl. ebd., 67.
34
3. Der Buddhismus – die Buddhismen
3.1. „Der Buddhismus“ und die Notwendigkeit der Eingrenzung des Begriffs
Oft ist in dieser Arbeit absichtlich recht vage von „buddhistisch inspiriert“ die Rede, obwohl bereits
die Begriffe „buddhistisch“ oder „Buddhismus“ enorm viele weitere Unschärfen enthalten, die den
zahlreichen Ausprägungen des Buddhismus geschuldet sind. Diesbezüglich sei die in ihrer
Klarheit im wahrsten Sinne des Wortes brillante Übersicht von Schiekel139genannt, der nebst
vierer Hauptschulen, circa 50 Unterschulen aufzählt. Sie unterscheiden sich in ihren Lehren oft
nicht nur stark, sondern widersprechen einander manches Mal sogar regelrecht. Auch Preußger
stellt in seinem umfassenden Werk „Das buddhistische Ethik-Idiom“ bereits in der Einleitung
unmissverständlich klar, dass es eigentlich keinen Buddhismus, sondern nur Buddhismen gibt,
und dass die Mannigfaltigkeit der buddhistischen Traditionen „wissenschaftlicher Commonsense“
ist.140
Bei der Eingrenzung, was nun für den Rahmen der vorliegenden Arbeit unter
„buddhistisch“ zu verstehen ist, bedarf es mindestens Zweierlei: Erstens ist es vonnöten, eine Art
common ground, zu Deutsch vielleicht „einen gemeinsamen Nenner“, zu finden. Es kann jedoch
nicht von Erfolg gekrönt sein, sich nur auf Buddha und seine im Pali-Kanon festgehaltenen Lehren
zu konzentrieren. Schon Buddha selbst sagt bekanntlich in diesem Kanon, dass auch seine
Lehren ständiger Prüfung unterzogen werden müssten und sich auch ständig wandeln könnten
bzw. würden141. Eine Einengung des Begriffs „buddhistisch“ fern des soziohistorischen Kontexts
(nämlich die Gesellschaften, in denen die Menschen lebten und leben) und abseits der
Miteinziehung buddhistischer Lehren, die sich in den 2500 Jahren seit Buddha weiterentwickelt
haben, kann nicht zielführend sein.
Zweitens soll an dieser Stelle festgehalten werden, dass dies jedoch nicht der kleinste
gemeinsame Nenner sein darf, denn manche Schulen und Gruppierungen – oder Sekten – des
Buddhismus dürfen aufgrund ihrer Extrempositionen ausgeklammert werden; die
Miteinbeziehung dieser „Ausreißer“ sozusagen, welche den Mittelwert zu stark verändern
würden, hätten zur Folge, die Bedeutung des Begriffs Buddhismus in einer Vieldeutigkeit nahezu
gänzlich zu verlieren. Daher ist es vonnöten, wenn buddhistische Praktiken im Hinblick auf ihre
Rolle als helfenden Hände eines immer effizienter werdenden Kapitalismus untersucht werden
sollen, eben nicht nur den kleinsten gemeinsamen Nenner buddhistischer Schulen, sondern die
Definition eines soliden buddhistischen Fundaments zu bieten. Sollte dies nicht gemacht werden,
besteht die große Gefahr größtenteils dem neoliberalen Zeitgeist geschuldete – und doch
139 M. B. Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen.“ Zuletzt
geprüft am 02.08.2020, https://www.mb-schiekel.de/phil2.pdf. 140 Florian Preußger, Das ›buddhistische Ethik‹-Idiom (2015), Dissertation, 18. 141 Vgl. David Loy, Money, Sex, War, Karma: Notes for a Buddhist Revolution (Boston: Wisdom
Publications, 2008), 4.
35
zweifelsohne buddhistisch inspirierte – Entspannungsmethoden und
Selbstoptimierungstechniken (des Geistes) als einfach eine weitere Schule des Buddhismus
anzusehen. Frei nach Bourdieu142 würde sich somit diese uralte Philosophie (oder Religion?)
selbst (nahezu) abschaffen und sich dem gegenwärtigen System unterwerfen, um doch noch
irgendwie am Leben zu bleiben143.
3.2. „Bedingtes Entstehen“ und „Ich-Losigkeit“ als Fundamente der Lehren des Buddha
Im Begriff Buddhismus steckt das Wort Buddha (Sanskrit: „Erwachter“), das auf den „historischen“
Buddha Shakyamuni (was soviel heißt wie Buddha aus dem Geschlecht der Shakya), oder auch
der Buddha genannt, zurückgeht. Vor seiner Erwachung war der Buddha unter seinem weltlichen
Namen Gautama Siddharta bekannt, dessen „grundlegende Erschütterung“, wie Litsch schreibt,
am Ausgangspunkt seines Weges zum Buddha stand: Prinz Gautama begegnete auf seinen
ersten Ausfahrten weit abseits seines Palasts der immerwährenden Unvermeidlichkeit von Alter,
Krankheit und Tod. Diese Konfrontation mit dem Leiden führten ihn zur Erkenntnis, dass es kein
Leben gibt ohne Leiden. Siddhartha verließ schon bald seinen Palast für immer und begab sich
auf den Weg der Befreiung.144
Nachdem Gautama zum Buddha erwacht war legte er seine „mittlere Lehre“ dar, deren
Grundgedanke – das Loslassen der Extreme – in allen späteren Formulierungen und Schulen
erhalten blieb. Konkret bezogen auf die menschlichen Leidenschaften meinte Buddha, dass
weder ihre völlige Unterdrückung durch eine extreme Askese, noch die völlige Hingabe an Lust
und Freude der rechte Weg zur Befreiung ist. In der berühmten Rede vom „Drehen des Rades“
erläutert der Buddha die „Vier Edlen Wahrheiten“, deren Erkenntnis und praktische Umsetzung
den „rechten Weg“ darstellt.145 Die Vier Edlen Wahrheiten seien hier inklusive des „Edlen
Achtfachen Pfades“, welche Buddha bereits in den einleitenden Worten preisgibt, vollständig
gemäß der derzeit anerkanntesten Übersetzung durch Bhikku Bhodi (im englischen „Original“
Bhodis) zitiert:
‘Monks, these two extremes should not be followed by one who has gone forth into homelessness.
What two? The pursuit of sensual happiness in sensual pleasures, which is low, vulgar, the way of
worldlings, ignoble, unbeneficial; and the pursuit of self-mortification, which is painful, ignoble,
unbeneficial. Without veering toward either of these extremes, the Tathāgata has awakened to the
middle way, which gives rise to vision, which gives rise to knowledge, and leads to peace, to direct
knowledge, to enlightenment, to Nibbāna.
142 Vgl. Bourdieu, „The Essence of Neoliberalism“. 143 Pierre Bourdieu befindet, dass sich im Neoliberalismus Politiker – in ihrer Unterwerfung respektive des
Effizienzdogmas – selbst nahezu abschaffen bzw. ihre Einflusskraft selbst maßgeblich beschneiden. 144 Vgl. Franz-Johannes Litsch, „Was ist Buddhismus?,“ Engagierter Buddhismus, zuletzt geprüft am
02.09.2020, http://www.buddhanetz.org/dharma/buddhismus.htm. 145 Vgl. Karl-Heinz Brodbeck, „Buddhismus: Geschichte, Lehre und Ethik.“ In Wege der Religion,
http://www.khbrodbeck.homepage.t-online.de/buddhalehre.pdf, 6.
36
‘And what, monks, is that middle way awakened to by the Tathāgata? It is this Noble Eightfold Path;
that is, right view, right intention, right speech, right action, right livelihood, right effort, right
mindfulness, right concentration. This, monks, is that middle way awakened to by the Tathāgata,
which gives rise to vision, which gives rise to knowledge, and leads to peace, to direct knowledge, to
enlightenment, to Nibbāna.146
[I.] ‘Now this, monks, is the noble truth of suffering: birth is suffering, aging is suffering, illness is
suffering, death is suffering; union with what is displeasing is suffering; separation from what is
pleasing is suffering; not to get what one wants is suffering; in brief, the five aggregates subject to
clinging are suffering.
[II.] ‘Now this, monks, is the noble truth of the origin of suffering: it is this craving that leads to renewed
existence, accompanied by delight and lust, seeking delight here and there; that is, craving for sensual
pleasures, craving for existence, craving for extermination.
[III.] ‘Now this, monks, is the noble truth of the cessation of suffering: it is the remainderless fading
away and cessation of that same craving, the giving up and relinquishing of it, freedom from it,
nonattachment.
[IV.] ‘Now this, monks, is the noble truth of the way leading to the cessation of suffering: it is this Noble
Eightfold Path; that is, right view ... right concentration.147
Meines Erachtens nach bedarf die „Vierte Wahrheit“ (die „Wahrheit vom edlen achtfachen Pfad“)
als Ergänzung der neuerlichen Aufzählung aller Pfade, da sie der Buddha, wie oben bereits
angemerkt. nur in den einleitenden Worten ausführte. Somit führen folgende acht Bedingungen
zur Aufhebung des Verlangens und damit des Leidens:
1) rechte Einsicht
2) rechter Entschluss
3) rechte Rede
4) rechtes Handeln
5) rechter Lebensunterhalt
6) rechte Bemühung
7) rechte Achtsamkeit
8) rechte Sammlung
Bereits in der ersten edlen Wahrheit verpackt Buddha den Kern seiner Botschaft. Wie Shigaraki
bemerkt, kann dieser Kern als „bedingtes Entstehen“ bezeichnet werden:
Alles, was existiert, hängt von Bedingungen ab. Alles hängt zusammen, nichts besteht isoliert: Weil es
dieses gibt, existiert jenes, und weil eines entsteht, ist das andere; vergeht jenes, endet auch dieses.
Nichts erscheint oder verschwindet durch Zufall, noch kommt es durch vorbestimmtes Schicksal oder
den Willen einer Gottheit zustande.148
Auch der einzelne Mensch kommt daher nicht unabhängig zustande. Gemäß der ersten Wahrheit
leiden Menschen fortwährend, obwohl sie unaufhörlich versuchen, Leiden zu vermeiden. Da sie
jedoch abhängig von vielerlei Umständen und Faktoren sind, entwickeln Menschen die Illusion
ein davon getrenntes, unabhängiges Wesen zu sein, ein in sich bestehendes „Ich“. Und weil die
Menschen auf der Grundlage dieses irrtümlichen Ich-Gedankens leben, fortwährend vermeintlich
Schönem für sie anhaften und gegen vermeintlich Schlechtes ankämpfen, Widerstand
146 Bodhi, In the Buddha's Words: An anthology of discourses from the Pāli canon, 1st ed., Teachings of
the Buddha (Boston, Mass: Wisdom Publications, 2005), 87–88. 147 Ebd., 88–89. 148 Takamaro Shigaraki, Sogar der Gute wird erlöst, um wie viel mehr der Böse: Der Weg des
buddhistischen Meisters Shinran, Originalausgabe (Luxembourg: Kairos Edition, 2004), 33.
37
entwickeln, leiden sie. In anderen Worten gefasst, scheitert ihr Versuch Freude oder Lust an
Dingen zu finden, oder andere Dinge zu vermeiden, an der grundlegenden Täuschung, ein von
der übrigen Welt unabhängiges Wesen zu sein.149
Shigaraki fasst die Ich-Losigkeit (oder Egolosigkeit) in besonders schönen Worten
zusammen. Laut ihm bedeutet bedingtes Entstehen, dass alles Existierende von Natur
unbeständig ist, da es wegen seiner Abhängigkeit von anderem kein unveränderliches Wesen
besitzt. Er weist auf einen pausenlosen Fluss hin, in dem sich alles befindet. In all ihrer
momentanen Einzigartigkeit besteht jedes Wesen und Ding vorübergehend und besitzt keine
dauernde Substanz. Wegen ihrer flüchtigen Natur und gegenseitigen Abhängigkeit kann man
sagen, dass „alle Dinge existieren und zugleich nicht existieren“.150 Mit einem Gleichnis versucht
er diese paradoxe Aussage verständlicher zu machen:
Alle Ströme und Flüsse münden ins Meer, weshalb man die Flüsse als Ursache des Meeres sehen
kann. Doch füllt das verdunstende Wasser des Meeres die Flüsse, nachdem es als Regen aufs Land
fiel, um aus den Quellen zu brechen. So lässt sich das Meer als Ursache der Flüsse bezeichnen. Obwohl
sichtbar vorhanden, gibt es kein für sich heraus bestehendes, festes und dauerhaftes Meer, sondern
unausgesetztes Werden durch Zufluss und Verdunstung, Wie mit den Flüssen und dem Meer verhält
es sich mit allen Dingen und Wesen. Sie existieren nicht selbstständig, sondern werden von anderem
hervorgebracht. Aber auch dieses andere ist nichts aus sich selbst.151
Und diesbezüglich soll Buddha hier auf eine Frage von einem gewissen Ānanda gesagt haben:
„‚Leer ist die Welt! Leer ist die Welt!’ So sagt man. Inwiefern aber wird die Welt als leer
bezeichnet? Weil sie, Ānanda, leer ist an einem Selbst und an etwas zu einem Selbst
Gehorendem, darum wird die Welt als leer bezeichnet.“ Gemäß Brodbeck wird dies in der
späteren Sanskritterminologie so ausgelegt, dass „alle Phänomene, innere wie äußere, keine
Selbstnatur besitzen. Nichts existiert aus sich selber. Jegliches Ding ist be-dingt durch andere
Dinge.“152 Diese Aussage ist zentral und unterscheidet den Buddhismus von allen anderen
religiösen und philosophischen Systemen europäischer, ja sogar asiatischer Tradition.153
Als Folge der fehlenden Selbstnatur von Dingen kritisierte Buddha nämlich auch die
hinduistische Vorstellung von der Wiedergeburt, da sie letztlich von einer Art unsterblichen Seele
(Sanskrit: ātman) ausging, die solange wiedergeboren wird, bis sie eins wird mit dem kosmischen
Absoluten, dem Brahman. Solch eine Seele kann genauso wenig dauerhaft existieren, wie ein
anders konzipiertes Selbst (oder Ego). Eine buddhistisch begriffene „Reinkarnation“ ist hingegen,
in Brodbecks Worten „eine situative Verkettung von unpersönlichen, gleichwohl aber mentalen
Abhängigkeiten, die irrtümlich als ‚Ego‘ interpretiert werden“. Während also eine „Kontinuität des
Bewusstseinsstroms“ existiert, gibt es „nicht aber eine dauernde Bewusstseinssubstanz oder
149 Vgl. Karl-Heinz Brodbeck, „Buddhismus: Geschichte, Lehre und Ethik.“ In Wege der Religion, 6–7. 150 Shigaraki, Sogar der Gute wird erlöst, um wie viel mehr der Böse, 33. 151 Ebd. 152 Karl-Heinz Brodbeck, „Buddhismus: Geschichte, Lehre und Ethik.“ In Wege der Religion, 9–10. 153 Vgl. ebd.
38
einen aufbewahrten Inhalt des Bewusstseins durch alle Verkörperungen hindurch“154. Die Freiheit
erlangt nur, wer diese Abhängigkeiten der komplexen Bedingtheit erkennt und stetig auflöst, bis
die drei Geistesgifte – Gier, Hass und Verblendung – versiegen und damit auch das Leiden.
Dieser Zustand, und nicht etwa ein paradiesartiger Zustand nach dem physischen Tod, wird
Nirvana genannt.155
Gemäß der ursprünglichen Lehre des Buddha führt also das Erkennen der gegenseitigen
Abhängigkeiten und die daraus resultierende Leerheit der Dinge in sich selbst sowie die
anschließende Befreiung von Anhaftung an und Widerstand gegen diese Dinge zum Erwachen.
zeigt sie den Pfad von der Verblendung zu höherem Menschentum. Der erste Schritt auf diesem
langen Weg besteht laut Shigaraki darin, sich den „Drei Kostbarkeiten“, Buddha, Dharma und
Sangha anzuvertrauen: unter Dharma ist die Lehre Buddhas gemeint und Sangha ist die
Gemeinschaft jener, die den Pfad mit einem gehen. Shigaraki stellt weiters klar: „Ohne
Hinwendung zu diesen Kostbarkeiten gibt es keine buddhistische Praxis“. So wird zum Beispiel
bei am Beginn von Zeremonien dreimal die Formel, "Ich nehme meine Zuflucht zu Buddha,
Dharma und Sangha," rezitiert. Folglich wird auf dem Pfad des Buddhismus der größte Wert auf
einen fähigen Lehrer und Freunde gelegt, die diesen mit einem gehen. Im Bewusstsein, wie viel
von der Gemeinschaft an einen selbst gegeben wird, bemüht sich eine bewusste Buddhistin zum
Erwachen der WeggefährtInnen beizutragen.156 Eine soziale Komponente des Buddhismus wird
hier deutlich sichtbar.
Die früheste konkretere Beschreibung, wie dieser Weg gegangen werden soll, sind die
Bestandteile des oben erwähnten „Edlen Achtfachen Pfad“. Wie Shigaraki erläutert, werden
zunächst die Wahrheiten vom bedingten Entstehen und der Nichtdauer alles Gewordenen
verstanden („rechte Einsicht“). Dann kommen Denken (rechter Gesinnung/Entschluss), Worte
(rechte Rede) und Tun (rechtes Handeln) in Einklang mit dieser Einsicht. Der Lebenserwerb, die
materielle Basis unseres Daseins, muss ebenfalls auf konstruktiver Arbeit gründen (rechter
Lebensunterhalt). Nun kann durch fortwährenden Einsatz (rechte Anstrengung) das Bewusstsein
wach (rechte Vergegenwärtigung/Achtsamkeit) und konzentriert (rechte Sammlung) werden.157
Natürlich handelt es sich bei diesem Pfad nicht um eine strenge Abfolge von Schritten – dieser
Eindruck könnte auch hier durch Shigaraki entstehen – sondern um ein interdependentes
Wirkungsgefüge. Vom Vertrauen zu den „Drei Kostbarkeiten“ (Buddha, Lehre, Sangha) gelangt
man über eine Praxis, die Geist, Rede und Körper einschließt, zu echter Weisheit. Vertrauen,
Praxis, Weisheit war schon die Stufenfolge des urbuddhistischen Weges. Diese blieb auch
bestehen als man nach Gautamas Tod seine Lehren unterschiedlich interpretierte.158
154 Karl-Heinz Brodbeck, „Buddhismus: Geschichte, Lehre und Ethik.“ In Wege der Religion, 6–7. 155 Vgl. ebd. 156 Vgl. Shigaraki, Sogar der Gute wird erlöst, um wie viel mehr der Böse, 36. 157 Vgl. ebd. 158 Vgl. ebd., 37.
39
3.3. Der Buddha schrieb nicht
Wie Bhikku Bodhi in der Einleitung zu seinem Werk In the Buddha’s Words159 bemerkt, gibt es
weder schriftliche Aufzeichnungen vom historischen Buddha selbst, noch wurden seine Lehren
durch seine direkten Schüler (oder Schülerinnen?) verschriftlicht.160 Die indische Kultur zur Zeit
des Buddha war noch weitegehend eine vorschriftliche und so ist es nicht verwunderlich, dass es
keine Abschriften Buddhas Reden noch zu seinen Lebzeiten gibt. Der auf der Gangesebene
umherwandernde Buddha ging in seinen Vorträgen und Unterweisungen auf seine Zuhörer ein,
die von unterschiedlichen sozialen Klassen, oder im indischen Kontext ja Kasten genannt,
stammten und von Mönchen sowie Nonnen bis hin zu einfachen Dorfbewohnern reichten. Immer
wieder reagierte er spontan auf Fragen und regte in seinen Antworten Diskussionen an. Die
Verschriftlichung dieser Reden entstammen vielmehr klösterlichen Diskursen über die Lehren
Buddhas und wurden erst viele Jahre nach seinem irdischen Tod getätigt, mit dem Zweck
Buddhas Worte vor der Vergessenheit zu bewahren.161
Zwar betrachtet Bodhi Buddhas Lehren insgesamt als sehr systematisch, gibt aber zu
bedenken, dass es nicht den einen Text gibt, in dem die gesamte Architektur des Dharma definitiv
dargelegt wird. Zu sehr musste Buddha auf seinen Wanderungen die eigene Lehre in Worte
kleiden, welche die jeweilige Zuhörerschaft auch verstand. Der jeweilige Kontext verlangte vom
Buddha, seine Lebensgrundsätze und Empfehlungen in vielen verschiedenen Geschichten
einzubetten. Die Sammlung der Texte, die nun als offiziell anerkannte „Worte des Buddha“
(gemäß dem gleichnamigen deutschen Buchtitel) gelten, beinhalten also keine Sutta (=keinen
einzelnen Diskurs), der eine Gesamtschau seiner Doktrin darstellt.162 Die Lehrreden des Buddha
selbst, welche immer auch eingebettet in einen bestimmten soziokulturellen Kontext entstanden,
erinnern somit bereits stark an den Kern buddhistischen Denkens: bedingtes (oder abhängiges)
Entstehen der einzelnen Elemente.
Im Grunde ist unwahrscheinlich, dass die im Kloster verfassten Lehrreden die Worte des
Buddha wörtlich wiedergeben. Eine Niederschrift der unzähligen Reden und Gespräche des
Buddha, die noch dazu oftmals spontaner Natur gewesen sind, grenzt an das Unmögliche.
Wahrscheinlich ist jedoch, dass Mönche beim Verschriftlichen von Buddhas mündlichem Erbe
verschiedene übliche Techniken angewandt haben.163 Auch falls die Niederschrift schon zu
Lebzeiten Buddhas begonnen haben sollte, sind die Suttas bestenfalls nur äußerst nahe am
Original, während jede Übersetzung und darüber hinaus Übersetzungen von Übersetzungen
159 Bodhi, In the Buddha's Words.: Dieses Werk entspricht einer Neuübersetzung der ersten als original
angenommen Reden des Buddha, dem sg. „Pali-Kanon“ (da in Pali verfasst). 160 Vgl. ebd. 161 Vgl. ebd., 20. 162 Vgl. ebd. 163 Vgl. ebd., 24–25.
40
Gefahr laufen, sich im Bedeutungsgehalt zu verändern.164 Diese Warnung ergeht nicht, um große
Zweifel am Wahrheitsgehalt der Geschichte von und um Gautama Siddharta, dem späterem
Buddha Shakayamuni, zu säen, sondern um an eine zentrale Botschaft Buddhas zu erinnern:
Dass selbst sein Gesagtes nicht ungeprüft verwendet und auf jeden Kontext angewandt werden
möge. In der Auslegung dieses fundamentalen Elements der Lehre und in abhängigem (Weiter-
)Entstehen der gesamten Dogmatik haben sich Im Laufe der Zeit verschiedenste Schulen des
Buddhismus gegründet und ganz Wesentliche dieser Buddhismen rücken nun in den Fokus
dieser Arbeit.
3.4. Die durch die Lehren des Buddha begründeten Schulen
Im Folgenden soll versucht werden darzustellen, wie komplex der Buddhismus hinsichtlich der
unzähligen Interpretationen der Lehren Buddhas ist. Diese Metapher M.B. Schiekels fasst das
Wesen der mannigfaltigen Ausprägungen des Buddhismus auf wunderschöne und zugleich
kompakte Art zusammen:
Die Lehren des Buddha und seiner Schüler und Schülerinnen in den letzten 2500 Jahren sind den
Bäumen, Blumen und blühenden Büschen in einem großen, lebendigen Garten vergleichbar. Ein
unvertrauter Beobachter mag sich ob der Vielfalt und Buntheit vielleicht sogar eher an einen Dschungel
erinnert fühlen. Da wachsen nun auch mancherlei Früchte, süße und nahrhafte, bittere und gesunde,
aber auch unbekömmliche und giftige. Nur eine achtsame, geduldige Untersuchung und Erforschung,
oder wie der Buddha selbst es ausdrückt, Hören, Lesen, eigenes kritisches Nachdenken, Prüfen und
Kontemplieren, vermögen uns vor Schaden zu bewahren und unser Glück und das Glück anderer
Wesen zu ermöglichen.165
Für die Ziele der vorliegenden Arbeit, ist es notwendig, um beim Bild Schiekels zu bleiben, etwas
Ordnung in den Dschungel zu bringen und ein paar Bäume, Blumen und Büsche herauszugreifen.
Dies geschieht zur besseren Orientierung in chronologischer Reihenfolge bezüglich der
Gründung einzelner Schulen, wobei sich viele der Untergruppen der buddhistischen Schulen
historisch überschneiden und somit oft gleichzeitig gelehrt und praktiziert wurden oder werden.
Der historische Bogen spannt sich dabei von frühbuddhistischen Schulen (vor allem Theravada)
über die große Gruppe der Mahayana-Schulen bis zum tantrischen Buddhismus (und hier vor
allem dem tibetischen Buddhismus, der nicht klar vom Mahayana abgegrenzt werden kann).
Vorweg sei gesagt, dass eine klare Abgrenzung der spezifischen Schulen innerhalb der drei eben
genannten Gruppen ebenfalls nicht immer möglich und sinnvoll ist, da sich spätere oft auf frühere
beziehen oder darauf aufbauen, so wie natürlich alle zunächst den ursprünglichen Lehren des
historischen Buddha entspringen.166
164 Eine ganz zentrales Beispiel hierfür wird von Preußger auf hunderten von Seiten eindringlich
dargelegt: Es ist fraglich ob sila überhaupt mit Ethik übersetzt werden kann und somit ob Buddhismus überhaupt etwas mit einer spezifischen Ethik zu tun hat (Preußger, Das ›buddhistische Ethik‹-Idiom).
165 Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen,“ 3. 166 An dieser Stelle sei noch darauf hinweisen, dass die den Schulen zugrundeliegenden Interpretationen
oft in direkter Konkurrenz zueinander standen und teilweise noch stehen. Anstatt eines Miteinanders,
41
3.4.1. Theravada und andere frühbuddhistische Schulen
Kurz gesagt steht das geistige Erbe des Buddha, unabhängig dessen genauen Ausprägung, ganz
im Zeichen des reinen, heilsamen Denkens und Redens sowie des Vermeidens „unheilsamer“
und des Tuns „heilsamer“ Dinge ("Abstehen von üblem Werk, Beschäftigung mit Gutem, und die
Sinne reinigen, dies lehren alle Buddhas."167 Um sich voll und ganz diesen in der Praxis sehr
schwierigen Anforderungen hinzugeben, ließen viele Anhänger des Buddhas alle weltlichen
sozialen Bindungen hinter sich, um besitz- und heimatlose Wanderer zu werden. Dem Ziel des
Erwachens sollte nichts im Wege stehen. Laut den strengen Gesetzen des buddhistischen
Mönchsordens hatte ein Mönch keinen festen Wohnsitz, besaß nur, was er am Leibe trug, und
gab sich mit der zum Überleben notwendigen Nahrung zufrieden. Das wesentliche Element auf
seinem Weg zum Erwachen, das aus ständigem und lebenslangem Beruhigen, Reinigen und
Vertiefen des Geistes bestand, war die Distanz zum weltlichen Leben. Nicht nur die im
Frühbuddhismus vorherrschende Theravada-Schule, sondern auch jene Ausprägungen des
Theravada, wie sie etwa im heutigen Birma, Sri Lanka, und Thailand noch immer betrieben
werden, sind Beispiele hierfür.168
Nach dem Ableben des Buddha, das mit 483 v.u.Z. angenommen wird, wurden seine
Lehrern in den folgenden circa vierhundert Jahren mannigfaltig unterschiedlich interpretiert, was
auch die zahlreichen Ordensspaltungen begründet: Je nach Quelle werden nicht weniger als 18
bis 40 verschiedene Schulen zu den „frühbuddhistischen“ gezählt.169 Spätere Ausprägungen des
Buddhismus bezeichneten diese im Anschluss an das Wirken des historischen Buddha
gegründeten Schulen durch das Wort Hīnayāna, was ein weiteres Zeugnis über die Spannungen
zwischen den verschiedenen Buddhismen birgt: Hīna (Sanskrit) bedeutet nämlich „minderwertig“,
„fehlerhaft“ oder einfach nur „klein“ (und damit nicht so mächtig) und Hīnayāna ist somit das kleine
Fahrzeug (yana = „Fahrzeug“), im Vergleich zum großen Fahrzeug der späteren Mahayana
Richtungen (maha = „mächtig“, stark“, groß“)170. Diese abschätzige und herabsetzende
Bewertung wird in dieser Arbeit somit nicht verwendet, stattdessen sprechen wir neutral von
„frühbuddhistisch“.
Eine Spaltung der Urgemeinde der Anhänger Buddhas in die bereits erwähnte Theravada-
Schule und die Mahasanghika-Schule (die später in der zweiten großen Schule, dem Mahayana,
aufging) ging je nach Quelle im 3. bis 4. Jh. v.u.Z. von statten. Ab dem 3.Jh. v.u.Z. begann das
das es natürlich auch gab und gibt, kam es in der Geschichte auch zu direkten Auseinandersetzungen, die nicht immer nur mir der Klinge des Wortes gefochten wurden. Gewaltsame territoriale Vertreibungen von einer Schule durch eine andere waren, ganz wie es dem westlichen Bild des Buddhismus als friedfertige Religion widerspricht, zwar nicht die Regel, sie kamen jedoch vor.
167 Dhammapada, 183; zitiert in: Shigaraki, Sogar der Gute wird erlöst, um wie viel mehr der Böse, 37. 168 Vgl. ebd., 37. 169 Vgl. Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen,“ 13. 170 Sanskrit Dictionary, „Yana.“ Zuletzt geprüft am 10.07.2021,
http://sanskritdictionary.com/?iencoding=iast&q=yana&lang=sans&action=Search.
42
neue „scholastische“ Theravada mit einer systematischen Ordnung der philosophischen und,
nach heutiger Diktion, „psychologischen“ Analysen und Lehren des Buddha: Eine Dharma-
Theorie entsteht (im sogenannten „Abhidharma“). Wie weiter oben im Unterkapitel zu den Lehren
des historischen Buddha bereits festgestellt wurde, hatte noch keine gesamtheitliche und
systematisch geordnete Dharma-Theorie, womit diese Neuerung einen Entwicklungssprung im
Buddhismus darstellt.171
Überaus wichtig zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass gemäß der ebenfalls
frühbuddhistischen Mahasanghika-Schule alles in der Welt, Samsara wie Nirvana, nur
Vorstellung und im Grunde nur Leerheit ist. Folglich ist der Geist aller Menschen schon rein und
befreit, was den Beginn des „ontologischen Idealismus“172 des späteren Mahayana markiert:
„Dem Ideal des weltabgeschiedenen Heiligen [des Theravada] wird das Ideal des
weltzugewandten Bodhisattva entgegengesetzt.“173 Ein Bodhisattva wiederum ist ein Wesen, das
gleichzeitig “aus dem und für das” Erwachen lebt: er/sie selbst lebt, um die „perfekte
Buddhanatur“ zu erreichen, hilft auf diesem Weg jedoch anderen Menschen auf ihrem Weg hin
zum Erwachen. 174 Hier offenbaren sich deutlich erste gravierenden Unterschiede zur originalen
Lehre Buddhas sowie deren Folgen: Eine aktivere, eine die Welt mitgestaltende Rolle kann nun
auch von Buddhistinnen und Buddhisten angenommen werden, die nicht mit den originalen
Reden des Buddha vertraut sind und ansonsten somit nur die eher zur Weltflucht animierenden
Interpretationen des frühbuddhistischen Theravada kennen würden (siehe auch Kapitel 6. zu
einem sozial engagierten Buddhismus).
Wie Shigaraki außerdem zusammenfasst, öffnete Gautama Siddharta neben dem Pfad
des Mönchs jenen des Laien, welcher jedoch im Besonderen erst das Mahayana breittrat. Mit
dem Tod des historischen Buddha hatten die Laien nämlich ihre geistige Stütze verloren, denn
sie konnten unter seiner Führung zumindest etwas auf dem Weg zu Weisheit und Erwachen
voranschreiten. Anschließend dominierte also zunächst der Weg des Mönchs den Buddhismus.
Wird die Weiterentwicklung durch das Mahayana etwa von der Warte des Theravada-Mönchs
betrachtet, könnte sie als unwillkommen angesehen werden, da der Buddhismus von den
vermeintlichen Ursprüngen einer reinen Mönchsgemeinschaft entfernte. Vor dem Hintergrund
des Anliegens des Buddha jedoch, jeden und jede Irrende zur Weisheit zu führen, bietet sie später
171 Vgl. Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen,“ 13. 172 Stephan Zelewski, „Wissenschaftstheorie.“ Enzyklopaedie der Wirtschaftsinformatik, zuletzt geprüft
am 29.03.2021, https://wi-lex.de/wi-enzyklopaedie/lexikon/uebergreifendes/Forschung-in-WI/Wissenschaftstheorie/index.html.: Gegenstände der Erfahrung werden erst in Erkenntnisprozessen von Subjekten erschaffen („ontologischer Idealismus“ und „radikaler Konstruktivismus“).
173 Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen,“ 13–14. 174 Vgl. Peter Harvey, An Introduction to Buddhism: Teachings, History and Practices, Second Edition
(New York: Cambridge University Press, 2013), 151.
43
die Basis für ein der Welt zugewandtes Gesicht des Buddhismus (welches in Form des
Bodhisattva-Ideals oben schon angesprochen wurde).175
3.4.2. Mahayana-Schulen
Die Mahayana-Schulen sind hervorgegangen aus den frühbuddhistischen Schulen
Mahāsānghika und Sarvāstivāda. Im Vergleich vor allem zum Theravada vertritt das Mahayana
einen „ontologischen Idealismus“176 (siehe auch vorherige Seite): es hält das Leiden und somit
Samsara („Den Kreislauf des Leidens“; siehe auch „Die vier edlen Wahrheiten“ unter 3.2. oben)
nur für einen Schein177 und führt die dem Menschen innewohnende Buddhanatur als einzig
Wahres – eine Art verehrenswertes, fast transzendentes Wesen – ein.178 Im Gegensatz zu den
frühbuddhistischen Schulen ist Erlösung nicht die restlose Auslöschung von Verlangen und
Lebensdurst, sondern die Schau des schon seit jeher Erlöst-Seins. Besonders wichtig für die
vorliegende Arbeit ist, dass für den Erlösungsweg ein Bodhisattva-Leben, um möglichst alle
Wesen zum Erwachen zu führen, als bedeutsamer angesehen wird, als nur schnellstmöglich das
eigene Erwachen verwirklichen zu wollen.179
Madhyamaka-Schule und die Lehre des „Mittleren Weg“
Als grundsteinlegende Schule des Mahayana muss die Madhyamaka-Schule (Sanskrit: Schule
des „Mittleren Weg“) genannt werden. Ihr eigentlicher Gründer Nagarjuna180 wird aufgrund seiner
Wirkmächtigkeit innerhalb des Buddhismus auch der 2. Buddha genannt181. Von ihm und seinem
Schüler Aryadeva sind zahlreiche Lehrbücher erhalten (beide 2. Jh.v.u.Z.).182 Die beiden
ontologischen Grundtermini, Sein und Nichts, sind im Buddhismus schon seit Buddha selbst die
beiden Extreme eines verdunkelten Wissens, welches Nagarjuna zu erhellen versuchte, indem
er den „mittleren Weg“ (hier: die „mittlere Lehre“) wie folgt begründete: „Zu sagen, dass alles ist,
ist die eine Übertreibung; zu sagen, dass alles nicht ist, ist die andere Übertreibung. Diese beiden
Übertreibungen vermeidet der Vollendete und verkündet die mittlere Lehre.“183 Die Wirklichkeit ist
als äußere Form Teil eines Welt- und Erfahrungsprozesses, in dem stets Subjekt und Objekt
untrennbar als Prozesselemente verknüpft und so veränderlich sind.184
175 Vgl. Shigaraki, Sogar der Gute wird erlöst, um wie viel mehr der Böse, 38–39. 176 Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen,“ 16. 177 Vgl. ebd. 178 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 108. 179 Vgl. Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen,“ 16. 180 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 115. 181 Vgl. Karl-Heinz Brodbeck, „Buddhismus: Geschichte, Lehre und Ethik.“ In Wege der Religion, 13–4. 182 Vgl. Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen,“ 16–17. 183 Samyutta Nikaya 22, 90; zitiert in: ebd., 16–17. 184 Vgl. Karl-Heinz Brodbeck, „Buddhismus: Geschichte, Lehre und Ethik.“ In Wege der Religion, 9–10.
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Dieser Tradition des Urbuddhismus (und eben nicht der frühbuddhistischen Schulen!) eines
erwachten Gautama Siddharta folgend, setzt Nagarjuna an den Anfang seines Hauptwerkes eine
vierfache Verneinung (Sanskrit: catuskoti): „Weder Sein, noch Nichts, nicht beides oder keines
von beiden“185. Bei Buddha taucht dieselbe Denkfigur an mehreren Stellen auf, z.B. heißt es über
den Vollendeten: „Dass er wiedererscheint, kann man nicht sagen, dass er nicht wiedererscheint,
kann man nicht sagen, dass er sowohl wiedererscheint als auch nicht wiedererscheint, kann man
nicht sagen, dass er weder wiedererscheint noch nicht wiedererscheint, kann man nicht
sagen.“186 Die hier gezeigte Parallele soll stellvertretend für Nagarjunas Bemühen stehen, die
ursprüngliche Lehre des Buddha wiederherzustellen. Einerseits verfolgt Nagarjunas Werk die
Wiederaufnahme von Buddhas Grundidee über die Welt, andererseits soll der Weg des
Erwachens im Kontrast zum weltabgewandten Mönchsbuddhismus wieder breitere Schichten der
Bevölkerung offenstehen.187
Im Gegensatz zum Buddha jedoch, der es ablehnte, ontologische Fragen zu diskutieren,
da diese nach seinem Verstehen nicht zur Leidbefreiung führen, wählt Nagarjunas einen anderen
Ansatz: jede Aussage über Sein, Nichtsein, Objekt, Subjekt, Samsara, Nirvana, usw. soll logisch
widerlegt werden, um so zum Nicht-Anhaften, d.h. zur Leidbefreiung zu gelangen.188 Das
folgende Beispiel von M.B. Schiekel soll die Logik illustrieren:
Das Sehen sieht Dinge; das Sehen sieht sich selbst nicht, obwohl es ein Ding ist; daraus folgt, dass das Sehen keine Dinge sieht; Widerspruch - was zu beweisen war.189
Schiekel ergänzt, dass in den tibetischen Schulen diese Widerlegungstechnik zwar auch heute
noch mit großer Hingabe praktiziert wird, stellt jedoch klar, dass sie nach westlicher Logik nicht
mehr haltbar wäre. Die Grundidee Nagarjunas, dass nämlich kein widerspruchsfreies Denken
und Reden, keine widerspruchsfreie Welterkenntnis, keine absolute Wahrheit möglich sei, ist
heute gemäß Schiekel gleichermaßen aktuell190 (z.B. in konstruktivistischer Hinsicht bzw. gerade
aus postmoderner Perspektive).
Brodbeck fasst die seit Nagarjuna bestehende buddhistische Grundidee über die Welt im
Kontrast zur westlichen Vorstellung wie folgt zusammen:
Wenn man sich in der Sprache der abendländischen Ontologie und Logik ausdrückt, dann kann man
sagen, dass der Buddhismus eine (theoretische und praktische) Kritik jeglicher Metaphysik, jeglicher
Lehre von Sein oder Nichts ist. Was hier theoretisch vor allem von der Madhyamaka-Schule
systematisch entwickelt wurde, wurzelt in der frühsten buddhistischen Überlieferung und ist zugleich
der Hauptinhalt der Meditationspraxis. Das, was die tradierte Metaphysik ‚Wirklichkeit‘ nennt, so lautet
die buddhistische Aussage, lässt sich auf keine Weise begrifflich einholen. Jegliche zugesprochene
185 Mūlamadhyamakakārikā 1.1; zitiert in: Karl-Heinz Brodbeck, „Buddhismus: Geschichte, Lehre und
Ethik.“ In Wege der Religion., 10. 186 Ebd., 13–4. 187 Vgl. ebd. 188 Vgl. Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen,“ 16–17. 189 Ebd., 17. 190 Ebd., 16–17.
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Bedeutung, jegliche These, die über Phänomene oder Entitäten aussagt, diese besäßen eine mit sich
identische Wesensnatur, erweist sich in der analytischen Meditation als unhaltbar.191
Folglich lässt sich sagen, dass die Phänomene (oder Entitäten) also aus sich selbst keine
dauerhafte Natur besitzen. Nichtsdestotrotz sind die Phänomene nicht nichts, da sie ja als
Phänomene erscheinen.192 Nagarjunas Madhyamaka-Schule verwendet deshalb das Gleichnis
eines Traums oder einer Luftspiegelung:
So wie eine Luftspiegelung wie Wasser erscheint, ohne es zu sein und daher nicht wirklich Wasser ist,
so erscheinen die Anhäufungen (skandhas) wie ein Selbst, ohne ein Selbst zu sein“193
Dass Phänomenen nun Zeichen und Namen zugeordnet sind, ist ein wesentlicher Grund
für Täuschung über die Natur der Wirklichkeit. Die Phänomene sind gegenseitig abhängig und
nur durch eine Beziehung zu je einem anderen Phänomenen können sie überhaupt eine
Eigenschaft entfalten. Eigenschaften sind Relationen. Nagarjuna entdeckt, dass dies für alle
Eigenschaften, alle Aussagen usw. gilt. Sie haben nur dann Bedeutung, wenn sie auf je anderes
bezogen sind – so wie „rechts“ nur Bedeutung hat in Differenz zu „links“ oder wie „Vater“ zu
„Kind“.194
Doch Nagarjuna geht in seinen Abhandlungen zur Aufhebung jeglicher fixen Bedeutung
noch weiter, indem er selbst die im Buddhismus verwendeten Kategorien mit nur relativer,
funktionaler Bedeutung versieht. In den Fußstapfen des Buddha wandelnd, verweigert Nagarjuna
alle positiven metaphysischen Theorien über die Welt: Sie alle sind leer, einschließlich der
buddhistischen Lehre selbst (!). Sie gleicht einem Boot, mit dem man das andere Ufer erreicht –
dort angekommen, erkennt man ihre Leerheit und lässt sie zurück. Weder der Buddha selbst noch
der Dharma besitzen Substanz und jegliche Vorstellungen über einen ewigen Gott, ein ewiges
Selbst; aber auch das Gegenteil, eine nichtige Welt sind irrtümliche Konstruktionen, welche
lediglich noch mehr Anhaftung oder Widerstand – und damit Leid – bedingen.195
Zen-Schule
Eine Aufzählung der wichtigsten Ausprägungen des Buddhismus wäre nicht vollständig, ohne die
Nennung der japanischen Zen-Schule, von wo aus sie in der Neuzeit auch in den Westen
gelangte. Sie stellt die wohl einflussreichste buddhistische Strömung im Westen des 20.
Jahrhunderts dar, wiewohl gleichauf oder zumindest dicht gefolgt der tibetanische Buddhismus
des Dalai-Lama zu nennen wäre.196 Im Zen, oder der Technik des Zazen („nur Sitzen“), wird
191 Karl-Heinz Brodbeck, „Buddhismus: Geschichte, Lehre und Ethik.“ In Wege der Religion, 9–10. 192 Vgl. ebd., 10. 193 Ebd. 194 Vgl. ebd., 10. 195 Vgl. ebd., 11. 196 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 432.
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großen Wert auf meditative Versenkung gelegt.197 Diese Technik umgibt eine mystische Aura,
von dem sich viele berühmte Künstlerpersönlichkeiten und andere Schaffende (u.a. auch Apple-
Gründer Steve Jobs) angezogen fühlten und so den Zen-Buddhismus im Westen bekannt und
populär machten (siehe auch 4.2.1. unten).
Die Zen-Schule (in Japan; oder die Chan-Schule in China und die Son-Schule in Korea)
beruft sich konkret auf den indischen Mönch Bodhidharma (ca. 6.J.v.u.Z.), der außerordentlichen
Wert auf die Praxis der Meditation legte, insbesondere auf das Praktizieren der Sammlung durch
Vertiefung von Shamatha/Vipassana (basierend auf den traditionellen Mahayana-Sūtren).198 Im
12.Jh. wurde das erste japanische Zen-Kloster gegründet und im 13.Jh. brachte Eihei Dōgen
(1200-1253) die Soto-Zen Schule nach Japan. In seinen Lehren betont der Mönch Dogen vor
allem zwei Punkte: Shikantaza, „Nichts als Sitzen“ (die Versenkung ohne stützende Hilfsmittel),
und Shushō Ichigyō, „Übung und Erleuchtung sind eins“. Diese Techniken hatten seit jeher
großes Gewicht bei westlichen Praktizierenden, auch wenn sie von ihnen mittlerweile zunehmend
durch eine rein säkulare Lupe als wohltuend, heilsam oder leistungssteigernd wahrgenommen
werden.199
Reine-Land-Schule und Wahre-Reine-Land-Schule
Um die ungemeine Bandbreite der buddhistischen Schulen zu demonstrieren und um noch
deutlicher vor Augen zu führen, dass kaum einheitlich von dem Buddhismus die Rede sein kann,
sei hier der krasse Gegensatz zur eben genannten Zen-Schule genannt, die Reine-Land-Schule,
und anschließend die Wahre-Reine-Land-Schule, die immerhin die größte buddhistische
Gemeinschaft Japans darstellt.
Das Ziel der Anhänger dieser Schule (entstanden im China des Jahres 402) ist es, nach
ihrem Tod im Reinen Land des Buddha Amitābha (jap. Amida) wiedergeboren zu werden. Erst in
diesem Land, welches dem westlichen Konzept „Paradies“ sehr ähnelt, ist es moglich die
geistigen Fortschritte zu machen, sodass in der darauffolgenden Wiedergeburt Nirvana
verwirklicht wird. Die sogenannten Schweren Wege der anderen Schulen (u.a. die Meditation)
wurde verworfen, gelehrt wurde stattdessen der Leichte Weg: die Rezitation des Namens von
Buddha Amida in gläubigem Vertrauen, durch seine Hilfe ins paradiesische „Reine Land“ geführt
zu werden.200 Dass Toleranz entgegen dem heute im Westen verbreiteten Bild vom Buddhismus
nicht immer groß geschrieben wurde zeigte sich, als dieser leichte Weg die wesentlich
schwieriger zu realisierenden Wege (darunter Zen) im 12. Jhdt. unter dem Führer Honen stark zu
197 Vgl. Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen,“ 26–27. 198 Vgl. ebd. 199 Vgl. ebd., 29–30. 200 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 255.
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verdrängen begann. Seine sektiererische Auslegung, die Reine-Land-Schule sei die Höchste
und Einzige, resultierte in vielen Auseinandersetzungen mit anderen buddhistischen Schulen.201
In der Wahren-Reinen-Land-Schule, welche im Japan des 13. Jh. durch Shinran (einem
Schüler von Hōnen) als eine reine Laiengemeinschaft gegründet wurde, empfiehlt sich als einzige
Praxis das Vertrauen in Buddha Amida. Alle religiösen Regeln wurden zugunsten des möglichst
kontinuierlichen Lebensgefühls der Bescheidenheit und Dankbarkeit aufgegeben. Dieser
sogenannte leichteste Weg wurde folgerichtig zur heute größten Schule des Buddhismus in
Japan.202 So kommt es, dass eine der zahlenmäßig größten Ausprägungen des Buddhismus von
westlichen Meditierenden und auch unter Buddhismus-affinen Menschen im Westen fast gänzlich
unbekannt ist.
3.4.3. Tantrayāna-Schulen und das tibetische Vajrayana203
Im indischen Buddhismus entwickelte sich (vom 2. – 8. Jhd.) eine Form des Mahayana, welche
im Laufe der Zeit als neues, mächtigeres „Fahrzeug“ zur Erreichung der Erlösung galt. Diese
Form des Buddhismus dominierte fortan den „nördlichen“ Buddhismus (im nordindischen Raum).
Dieser neue Zugang wird gestützt durch die reiche Literatur der „Tantras“, welche komplexe
Meditationssysteme offenbaren, die voll von mystischen Ritualen und regelrechter Magie sind.
Da einige diese Tantras bereits zur Zeit des historischen Buddha existierten, wurden sie ihm auch
in den Mund gelegt, worauf nun diese Linie des „Buddhismus“ fußt.204 Die Tantras sind jedoch
stark zu unterscheiden von den hinduistischen Tantra-Schulen des damaligen Indien und so
gelten auch für das buddhistische Tantra die Zuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha, sowie die
Bodhisattva-Gelübde des Mahayana.205 Der Buddhismus des Vajrayana (“Das Diamantfahrzeug”)
– oder oftmals auch nur „tibetischer Buddhismus“ genannt, zeichnet sich durch die Möglichkeit
einer besonders schnellen und spontanen Erwachung aus.206 So kann die Buddhanatur, welche
gemäß den Vorstellungen des Mahayana ja jedem Menschen ohnehin innewohnt, in bereits
einem Leben erweckt werden.207
Schiekel weist darüber hinaus auf die sehr viel größere Bedeutung der Frauen im
Vajrayana-Buddhismus hin. Von nun an konnten sie immer mehr „sowohl als gleichberechtigte
201 Vgl. Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen,“ 31. 202 Vgl. ebd., 31–32. 203 Religionen-entdecken.de, „Yana - die Fahrzeuge oder Wege des Buddhismus.“ Zuletzt geprüft am
20.09.2020, https://www.religionen-entdecken.de/lexikon/y/yana.: „Yana“ in Bezug auf das Fahrzeug oder den Weg innerhalb des Buddhismus: 1) Hinayana-Buddhismus heißt auch "Kleines Fahrzeug" oder „Kleiner Weg“; 2) Mahayana ist das "Große Fahrzeug" oder der „Große Weg“; 3) Vajrayana: "Diamantfahrzeug" oder „Diamantweg“
204 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 180. 205 Vgl. Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen,“ 33. 206 Vgl. Joshua J. Mark, „A Short History of the Buddhist Schools.“ World History Encyclopedia,
29.09.2020, zuletzt geprüft am 29.03.2021, https://www.ancient.eu/article/492/a-short-history-of-the-buddhist-schools/.
207 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 189.
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Praktizierende, wie auch als große Meisterinnen“208 gelten. So waren beispielsweise in der
tantrischen Nyingma-Schule sowohl Laien, als auch verheiratete Lamas, Yogis, Yoginīs, Monche
und Nonnen vertreten. Die große Offenheit dieser Schule bedingte auch, dass die damals in Tibet
vorhandenen geistigen und religiösen Strukturen soweit es sinnvoll erschien integriert wurden,
was vor allem auf die schamanistische Bön-Religion zutraf.209
Neuerlich gilt es in dieser Arbeit auf das breite Spektrum selbst innerhalb dieses
tibetischen Buddhismus hinzuweisen. Zwei Hauptschulen im Vajrayana seien hier in aller Kürze
genannt, da diese in der westlich/globalisierten buddhistischen Domäne starke Wirkmächtigkeit
haben. Hierbei handelt es sich zum einen um eine besondere Ausformung der Kagyü-Schule,
nämlich Karma-Kagyü – oder im Westen kurz „Diamantweg“ genannt – und der global
einflussreichsten aller Schulen, Gelug, welcher der derzeitige (14.) Dalai-Lama Tenzin Gyatso
entstammt.
Die Karma-Kagyü-Schule ist eine der vier größeren Untergruppen der Kagyü-Schule
(Schule der mündlichen Überlieferungslinie und hat sich in jüngster Zeit nochmals geteilt, da über
die Wiedergeburt des 17. Linienhalters der Schule kein Konsens herbeigeführt werden konnte.210
Die eine aus der Spaltung hervorgegangene Schule, schlicht als „Diamantweg“ bezeichnet, soll
hier Erwähnung finden, da sie im Westen äußerst populär ist. Diese Schule des Lama Ole Nydahl,
die auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz starke Verbreitung gefunden hat, richtet
sich an Laien und hat laut ihrer offiziellen Homepage bereits 635 Zentren weltweit.211 Sie ist in
jüngster Zeit auch unter anderen BuddhistInnen sehr umstritten, da islamophobe Aussagen vor
allem des erwähnten Lama Ole Nydahl als rassistisch gelten könnten212.
Eine unkontroversielle und gleichzeitig die global einflussreichste aller tibetischen Schulen
ist hingegen die Gelug. Entgegen dem Bild eines stets friedvollen Buddhismus verhalf erst die
mongolische Herrschaft den „Gelugpas“ unter dem 3. Dalai Lama Sönam Gyatso (16.Jh.) und im
Speziellen dem 5. Dalai Lama Lobsang Gyatso (1617-1682) sich gegen andere Schulen
durchzusetzen zum politisch bestimmenden Gewicht in Tibet zu werden.213 Es ist wichtig zu
erwähnen, dass der derzeitige (14.) Dalai-Lama Tenzin Gyatso aus der Gelug-Schule stammt
und streng genommen trotz seines fast popikonenhaften Status im Westen – wo er oft als
papstähnliche Führerfigur des Buddhismus gesehen wird – nur dieser einen buddhistischen
(Unter)Schule vorsteht.
208 Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen,“ 33. 209 Vgl. ebd., 34–35. 210 Vgl. ebd., 35–36. 211 Diamond Way Buddhism, „Buddhist Centers Worldwide.“ Zuletzt geprüft am 10.07.2021,
http://www.diamondway-buddhism.org/diamondway-buddhist-centers/. 212 Vgl. Mechthild Klein, „Umstrittener Meister - Unter den Buddhisten schwelt der Streit.“ Zuletzt geprüft
am 10.07.2021, https://www.deutschlandfunk.de/umstrittener-meister-unter-den-buddhisten-schwelt-der-streit.886.de.html?dram:article_id=454803.
213 Vgl. Schiekel, „Kleine Übersicht über Philosophie und Praxis einiger buddhistischer Schulen,“ 37–38.
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3.5. Diverse buddhistische Schulen, ein „Common Ground“?
3.5.1. Vorbemerkung hinsichtlich der Schwierigkeit des Unterfangens
Die genannten Schulen stellen nur einen äußerst kurzen und zweifelsohne verkürzten Überblick
über die immense Vielfalt der buddhistischen Schulen dar. Besonders im Austausch mit der
westlichen Kultur innerhalb der letzten vielleicht 150 Jahre und speziell seit Aufkommen des
Internet innerhalb der letzten 30 Jahre ist es noch wichtiger geworden, die Gemeinsamkeiten der
Buddhismen herauszustreichen, da vielleicht ansonsten als Buddhismus gilt, was schon längst
keinerlei Ähnlichkeit mit einem „vollwertigen“ Buddhismus (siehe 3.5.unten) mehr hat. Erschwert,
ja geradezu paradox, wird dieses Unterfangen, da der historische Buddha selbst ja eine genaue
Re-Evaluierung (wie heute vielleicht gesagt werden würde) seiner Lehren (oder im originalen
Kontext: seiner mit lehrreichem Gehalt vollgepackten Geschichten) forderte. Dennoch wird nun
der Versuch unternommen, einen Kern buddhistischer Lehren herauszuarbeiten, welcher dazu
dienen soll, neueste, oft westlich-moderne Konzeptionen eines Buddhismus als das zu enttarnen
was sie sind: im moralisch besten Falle Missverständnisse, die im Lichte vieler
Achtsamkeitspraktizierender dennoch hilfreich und heilsam sein mögen; im schlechtesten Falle
jedoch neoliberal motivierte Manipulationsversuche zur Schmierung des kapitalistischen
Uhrwerks (siehe Kapitel 4.)
3.5.2. Von der „Dualität des Seins“ zur Entdeckung von „Buddhanatur“ und
„Nirwana“
In den folgenden Absätzen wird der Versuch unternommen, sozusagen einen buddhistischen
„Kern“ innerhalb der unzähligen buddhistischen Schulen und Praktiken herauszuarbeiten. Dies
ist Angesichts dreier Faktoren alles andere als einfach: Erstens sind Buddhas Worte definitiv nicht
von ihm selbst oder direkt während seiner Darbietungen niedergeschrieben worden, sondern
stellen zumindest in der Wahl der Worte eine Art Interpretation dar. Zweitens gibt es keine
einheitliche, ganzheitliche und systematisch verfasste Lehre des Buddha, die einem original
entsprechen könnte, selbst wenn die Worte des Buddha exakt in der vorliegenden
verschriftlichten Form gesprochen worden wären. Drittens sind die Interpretationen der einzelnen
Schulen und Unterschulen, über welche gerade einen kurzer Überblick gegeben wurde, sehr
divers und manchmal widersprüchlich. Dies ist den Schulen jedoch zumeist nicht zum Vorwurf zu
machen – etwa in der Tonalität von „die reine Lehre befleckt“ zu haben – denn Buddha selbst
plädierte bekanntlich dafür, seine Worte immer wieder der Prüfung zu unterziehen.
Um einen Minimalkonsens unter dem Dach „Buddhismus“ herstellen zu konnen, ist
zunächst sowohl vonnöten die ursprünglichen Lehren unter die Lupe zu nehmen; außerdem
werden jene großen Weiterentwicklungen in der Interpretation der Lehre, welche breiteste
Anerkennung innerhalb des buddhistischen Spektrums finden, in diesen Kern miteinfließen.
50
Warum ist dies wichtig? Nur wenn wir wissen, was mit dem Buddhismus – zumindest für die
vorliegende Arbeit überhaupt gemeint ist, können wir das Wechselspiel zwischen Buddhismus
und Kapitalismus (oder genauer: Neoliberalismus) überhaupt erst beobachten.
So soll nun westlich-deduktiv, also vom Allgemeinen oder von „oben“ her, begonnen
werden den Kern einer sehr andersartigen, fernöstlichen Denkschule erschlossen werden: Der
ursprüngliche Buddha wird von allen Schulen als historische Person, nämlich Gautama
Siddharta, gesehen. Von den allermeisten Schulen wird Buddha nicht als Gott oder von göttlicher
Abstammung erachtet. Diese Arbeit schließt sich dieser überwältigenden Mehrheit an und
erachtet den Buddha als gewöhnlichen Menschen Gautama Siddharta der es zur Erwachung
gebracht hat – das heißt, er hat Anhaftung und Widerstände bezüglich Dingen und somit
vermeidbares Leiden überwunden (ein körperlicher Schmerz, wie etwa ein verstauchter Fuß, tut
immer noch weh, aber das Umgehen auch mit diesem Leiden ist anders). Brodbeck214 weist
darauf hin, dass selbst Buddha die Existenz von anderen als menschlichen Wesen, oftmals
„Gotter“ genannt, bejaht; auch ethisches Wirken durch gottbezogenes Handeln und die heilsame
Wirkung hierin wird von Buddha anerkannt. Jedoch sind für Buddha auch Götter sterblich, da
selbst ihre übermenschlichen Verweilzustände enden müssen.
Der zu erreichende Zustand der Erlösung vom Leid wird Nirvana genannt und hat mit der
Überwindung von Dualismen zu tun; nämlich genau jenen Dualismen, die für eine westlich-
aristotelisch geprägte Weltsicht und Denkweise so zentral sind. Brodbeck stellt klar, dass es also
zu einfach und zutiefst dualistisch gedacht wäre, mit Nirvana das genaue Gegenteil von irdischer
Existenz, ein Paradies, ja sogar das Gegenteil von Samsara (das ewig sich drehende Rad des
Leidens und Symbol für die in Nicht-Erwachtheit verbrachte Verweildauer der Existenz von
Lebewesen), zu verstehen.215 Ganz im Gegenteil, schreibt Shigaraki wortlich, ist „der Samskara,
wie die Welt der Vergänglichkeit genannt wird, […] nicht verschieden von Nirvana, dem erlosten
Zustand. Prajna [Anm.: „tief erfahrene Weisheit“] läßt uns zwei gegensätzliche Pole (A und Nicht-
A, Samsara und Nirvana) als einander nicht widersprechende Seiten einer Wahrheit erkennen.“216
Die Verwirrung - auch unter vielen (traditionellen) „BuddhistInnen“ – ist nachvollziehbar, da selbst
in buddhistischen Traditionen Nirvana einem Aufhören oder einem Verlöschen gleichkommt,
gerade weil eine beliebte Übersetzung des Wortes „Verwehen“ ist; gemeint hat Buddha bei
genauerer Betrachtung die Anwendung dieser Begriffe des Nicht-länger-Seins auf die Täuschung
durch die drei Geistesgifte Gier, Hass und Verblendung.217 Shigaraki unterstreicht dies indem er
dafür eintritt, die originalen Begriffe als Fremdworte beizubehalten und die Bedeutung in (wenn
214 Vgl. Karl-Heinz Brodbeck, „Buddhismus: Geschichte, Lehre und Ethik.“ In Wege der Religion, 11. 215 Vgl. ebd. 216 Shigaraki, Sogar der Gute wird erlöst, um wie viel mehr der Böse, 54. 217 Karl-Heinz Brodbeck, „Buddhismus: Geschichte, Lehre und Ethik.“ In Wege der Religion, 11.
51
nötig ausführlichen) Kommentaren zu erklären. Nirvana, so Shigaraki, sei also so ein Begriff, dem
nicht durch ein Wort entsprochen werden kann218 (siehe z.B. Wortbedeutungen gemäß Duden219).
Unter anderem eben diese begrifflichen Schwierigkeiten bei der Interpretation der Lehren
Buddhas aufgreifend, stellt Nagarjuna, großer Philosoph und Erneuerer eines dogmatisch erstarrt
erlebten Buddhismus, folgende Überlegung an: „Es gibt nichts, was den Samsara vom Nirvana,
und das Nirvana vom Samsara unterscheidet.“220 Weder lässt sich eine spezielle Eigenschaft
finden, die ihre Unterschiedlichkeit ausmacht, noch sind sie lediglich zwei Bezeichnungen für
dieselbe Substanz. Gemäß Nagarjunas Philosophie des „mittleren Weges“ (siehe 3.4.2. oben)
sind Phänomene weder Eines noch Vieles. Die Prozesshaftigkeit des bedingten Entstehens ist
schon seit Buddha der Schlüssel zum buddhistischen Denken, doch ein unwiderlegbarer
Widerspruch kann auch damit nicht aufgelöst werden: wenn alle Phänomene, Zustände,
Prozesse; etc. (Begrifflichkeiten sind hier sicherlich in sich selbst problematisch) bedingt sind,
laut der Tradition des Abhidharma das Nirvana jedoch nicht, tut sich hier nicht letztlich wieder ein
Dualismus auf? Brodbeck verweist auf eine Lösung: die Lehre von der Buddhanatur. Sie kehrt
hervor, dass „in allen Lebewesen die Buddhanatur als Anlage, als ‚Herz‘, als Möglichkeit präsent
ist, durch die Geistesgifte kontaminiert aber nicht in Erscheinung tritt.“221 Das Nirvana ist somit
unbedingt jedem von uns Menschen inhärent. Wie weiter oben schon festgestellt wurde, basieren
die vielen Schulen des Mahayana auf diesen Überlegungen des mittleren Weges und der
innewohnenden Buddhanatur. Selbst bei voller Akzeptanz einer diesen Erklärungen
innewohnenden Logik und den akrobatischsten Denkübungen bleibt das Nirvana, wie Brodbeck
schreibt:
[…] notwendig eine Schimäre, eine Fiktion. Doch eben dieser wissenschaftliche Blick verkennt sich
selbst, verkennt, dass er ein Blicken-auf-etwas ist, das jedem Inhalt vorausgeht. Um zu verstehen,
inwiefern Nirvana erfahrbar ist, muss sich der Blick umkehren – und das ist nur möglich durch eine
länger dauernde, schrittweise entfaltete und beharrlich geübte Meditationspraxis. Insofern ist Nirvana
durchaus etwas ‚Erfahrbares‘, nur eben nicht einzusortieren in andere Erfahrungsgegenstände, weil es
allem Erfahren vorausliegt.“222
Von Samsara und Nirvana kommend werden nun die wenn auch nicht als kanonisch für
alle buddhistischen Schulen, so zumindest jedoch für diese Arbeit als zentral geltenden Lehren
weiter heruntergebrochen: Auf dem Weg zum Nirvana ist es essenziell zu erkennen, oder eben
eigentlich durch Meditation zu erfahren und schließlich, wie Shigraki sagt, mit dem „Prajna-Auge
eines Erwachten“ zu sehen wie „alles Dasein miteinander in Beziehung steht und den gleichen
Wert hat wie das eigene. Ich bin allen Dingen als Objekt, und alle Dinge sind in mir als Subjekt
218 Vgl. Shigaraki, Sogar der Gute wird erlöst, um wie viel mehr der Böse, 41. 219 Duden, „Nirwana.“ Zuletzt geprüft am 31.03.2021, https://www.duden.de/rechtschreibung/Nirwana.
„Verwehen“ (auch von Shigaraki gebraucht), oder (oft noch missverständlicher) „Erloschen“; oder, meines Erachtens nach sehr zutreffend, „Ruhe“, da der Duden ergänzt: „Endziel des Lebens als Zustand volliger Ruhe”).
220 Arya Nagarjuna, „Kostbarer Kranz (des Mittleren Weges): Unterweisungen für einen Konig.“. 221 Karl-Heinz Brodbeck, „Buddhismus: Geschichte, Lehre und Ethik.“ In Wege der Religion, 12. 222 Ebd., 11.
52
enthalten. Die Welt und ich sind nicht voneinander getrennt. Alle teilen eine natürliche
Ganzheit.“223 Der oder die Erwachte (oder ebenso zutreffend aber missverständlicher, da an die
westliche Aufklärung erinnernd: „Erleuchtete“) haben ihre Buddhanatur gefunden und sind ins
Nirvana eingetreten, oder vielleicht besser, erfahren nun das Nirvana. Die Begriff, “erwacht“,
erleuchtet“, „umfassend weise“ (u.ä.), und Nirvana sind nun nicht mehr zu trennen224.
Besonders kunstvoll ausgedrückt, heißt dies gemäß Dogen Zenji (12. Jhd.), dem geistigen
Vater des japanischen Soto-Zen-Buddhismus:
Den Buddha-Weg ergründen, heißt sich selbst ergründen. Sich selbst ergründen, heißt sich selbst
vergessen. Sich selbst vergessen, heißt von allen Erscheinungen bestätigt zu werden. Von allen
Erscheinungen bestätigt zu werden, heißt den Körper und Geist von sich und den Körper und Geist von
anderen fallenzulassen.225
Dies zu erreichen führt uns zurück zum Anfang dieses Kapitels und den vom Buddha dargelegten
sowie von allen Schulen übernommenen „Edlen Achtfachen Pfad“. Er umfasst, in acht
Bestandteilen, Buddhas Dreiheit von Weisheit/Erkenntnis (prajna), richtigem oder ethischem
Handeln (sila) und Meditation (dhyana), welche sich beim Fortschreiten auf dem Pfad gegenseitig
verstärken; so kommt es zu einer immer weiteren Vertiefung in allen drei Bereichen.226 All dies
wiederum basiert auf den „Vier Edlen Wahrheiten“ über das Leiden und die Aufhebung des
Leidens (siehe 3.2. oben). Letztendlich gelangen wir in allen „vollwertigen“ Schulen des
Buddhismus zu den „Drei Kostbarkeiten“ (oder „Drei Juwelen“, auch „Drei Edelsteinen“): Buddha,
Dharma (Lehre) und Sangha (Gemeinschaft).227
3.6. Wie „der Buddhismus“ in den Westen kam
Als die europäischen Mächte ihren Einflussbereich immer weiter nach Asien ausdehnten,
erweiterte sich auch Wissen über fernöstliche Religionen. Das 18. Jahrhundert stand im Lichte
der Aufklärung und die diesbezügliche Betonung von Wissenschaft und Rationalität bewirkte nicht
nur einen veränderten Blick auf das eigene Christentum, sondern eröffnete die Bereitschaft, auch
andere Religionen genauer zu betrachten. Viele meinten angesichts der vielen anderen
223 Gemäß der Perspektive der Prajna, oder umfassender Weisheit. Shigaraki, Sogar der Gute wird
erlöst, um wie viel mehr der Böse, 52. 224 Ich bin der Österreichischen Buddhistische Religionsgesellschaft (ÖBR) dankbar für ihre eindeutige
Klärung auf ihrer Homepage: „Der Zustand, der durch die Praxis der Vier Edlen Wahrheiten letztendlich zur Aufhebung des Leidens führt, wird als `Erwachen´ oder `Erleuchtung´ bezeichnet und ist gleichbedeutend mit Nirvana“. Vgl. Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft, „Erleuchtung und Nirvana.“ Zuletzt geprüft am 06.10.2020, https://www.buddhismus-austria.at/die-lehre-des-buddha/erleuchtung/.
225 Uchiyama Roshi, „Dogens Genjokkoan: Kommenar von Kosho Uchiyama Roshi“ (unveroffentlichtes Manuskript, 06.10.2020), http://www.brunnenhofzendo.ch/Uchiyama%20Kommentar%20A5%20bis%20S.%20183.pdf, Übersetzt von Shohaku Okumura.
226 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 82. 227 Vgl. Shigaraki, Sogar der Gute wird erlöst, um wie viel mehr der Böse, 36.
53
Religionen oder Kulte, die nun entdeckt worden waren, es gäbe eine Naturreligion, die sich
einfach am besten im Christentum ausdrückte. Im 19. Jahrhundert waren es gerade die
Fortschritte in den Geowissenschaften und die Evolutionstheorie, die auch Zweifel am Wortlaut
der Bibel laut werden ließen und ein sogenanntes „wissenschaftliches“, komparatives Studium
der Religionen wurde eifrig immer weiterentwickelt. Alle hier genannten Aspekte kamen am Ende
des 19. Jahrhundert zusammen, als das Interesse am „modernen“ (hierzu mehr weiter unten)
Buddhismus einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Dies drückte sich in regem Interesse einiger
belesener Kreise der Mittelklassen vor allem in den Ländern USA, Großbritannien und
Deutschland aus. Wie das Christentum, so schien es, hatte der Buddhismus eine ehrwürdige
Ethik, welche jedoch von Selbstverantwortung geprägt war, ganz unabhängig von Priestern oder
gar einem Gott. Der Buddhismus schien, analog zur viel gepriesenen Wissenschaft, auf
Erfahrungswerten zu basieren; das Universum folgte bestimmten („karmischen“)
Gesetzmäßigkeiten und im beide, Menschen wie auch Tiere, waren diesen gleichsam
unterworfen. Und dennoch: der Buddhismus hatte auch jenen viel zu bieten, die vom
Romantizismus seinen mystischen Sphären ergriffen waren.228 Rückblickend kristallisierte sich
schon hier heraus: der Buddhismus war, welchen der Aspekte der zahlreichen Buddhismen der
europäische Mensch sehen wollte oder eben zu Gesicht bekam.
Ein Kanal, über den der Buddhismus den Westen erreichte, waren die Arbeiten von
bestimmten Schriftstellern und Denkern. In Deutschland sei hier Arthur Schopenhauer (1788-
1860) genannt, dessen Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung viele sogar direkte
Referenzen bezüglich des Buddhismus enthält. Schopenhauer betrachtete den Buddhismus als
beste aller Religionen, während der Buddhismus vor allem von christlicher Seite als
„pessimistisch“ kritisiert wurde – eine Kritik, die sich bis heute von verschiedensten Seiten ähnlich
gestalten sollte, gilt der Buddhismus doch vielen als inhaltlich zu nihilistisch (ein Missverständnis,
welches auch diese Arbeit hoffentlich ausräumen können wird).229
Beginnend um das Jahr 1850 begannen englische, deutsche und skandinavische
Gelehrte das Bild vom Buddhismus als pessimistisch und nihilistisch, welches christliche
Missionare gezeichnet hatten, zurecht zu rücken. Hier sei vor allem V. Faustböll genannt, der das
Dhammapada (eine volkstümliche Sammlung von Sprüchen und Versen aus dem Munde des
Buddha und seinen Jüngern) 1855 vom originalen Pali ins Lateinische übertrug. Außerdem auf
originalen in Pali verfassten Schriften basierend waren Hermann Oldenbergs 1881 erschienenes
Werk, Buddha: Sein Leben, seine Lehren, seine Gemeinde., und Buddhism (1778) von T.W. Rhys
Davids. Letztgenannter dieser schriftstellerischen Pioniere hatte ganze acht Jahre in Sri Lanka
verbracht. Das Interesse am so genannnten „Palikanon“, der Sammlung der ältesten
zusammenhängend überlieferten Reden des historischen Buddha, war immens – immerhin
228 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 419. 229 Vgl. ebd., 419–20.
54
wurden die Inhalte dieser Lehrreden als ursprünglich angesehen. Spätere Buddhismen hingegen,
wurden vom Westen als irrational und mit rituellen Elementen aufgeblasene Version der rational
und ethisch gehaltvollen Lehren Buddhas interpretiert.230 Ungeachtet welchen Schwerpunkt die
westliche Rezeption des Buddhismus von nun an hatte, vorbei war das Bild vom Buddhismus als
„eine vom Aberglauben überwucherte Form des Nihilismus“ und stattdessen konnte eine
„angemessene sachliche Würdigung der buddhistischen Lehre“ im Sinne einer „den großen
‚westlichen‘ Weltreligionen Christentum und Islam gleichrangige geistige Bewegung der
Menschheit“ stattfinden231.
Sir Edwin Arnold, Herausgeber des einflussreichen Daily Telegraph, verfasste 1879 The
Light of Asia (1879), ein damals viel beachtetes Gedicht über das Leben des Buddha. Dies führte
in den USA und Großbritannien zu einem sehr breiten Interesse innerhalb der Mittelschicht am
Leben des Buddha und des Buddhismus als Religion und – dies sei für die vorliegende Arbeit
besonders hervorgehoben – verhalf Sri Lanka wie später auch anderen asiatischen Ländern
indirekt zu einer Art buddhistischen Renaissance. Arnold war als liberaler Christ dem Buddhismus
sehr zugetan und ließ den Buddha in seinem lyrischen Portrait in sehr vorteilhaftem Licht
erscheinen. Dieser Buddha war Jesus nicht unähnlich. Beginnend mit einem Besuch der in Indien
gelegenen Stätte Both Gaya – wo angeblich das Erwachen des Gautama Siddharta geschah –
im Jahre 1885 besuchte er auch andere (teils als heilig geltende) buddhistische Stätten Sri
Lankas sowie Japans und warb um Unterstützung, diese zu restaurieren: viele waren halb
verfallen und Both Gaya selbst war inzwischen zu einer Hindustätte geworden! Ein gewisser
Anagārika Dharmapāla, dessen zentrale Rolle für das Bild des Westens vom Buddhismus weiter
unten noch Thema werden wird, brachte sich hierauf Kraft seiner Funktion als buddhistische
Führungsfigur Sri Lankas stark ein und gründete die Mahā Bodhi Society. Sie hatte zum Ziel, den
Buddhismus in Südasien wiederzubeleben (deshalb der oben genannte Ausdruck „buddhistische
Renaissance“).232
Es ist bemerkenswert, wie das gesteigerte Interesse des Westens erst zum
Wiedererstarken des in vielen Ländern durch hinduistische oder muslimische
Glaubensrichtungen sowie durch imperialistische Hegemonialprozesse verdrängten Buddhismus
führte. Inhaltlich ähnlich schreibt Bechert im Jahre 1976: „die Bedeutung der westlichen
Buddhismusforschung für die geistige Erneuerung des Buddhismus in Asien ist in den
buddhistischen Ländern voll anerkannt worden“.233 Bechert gibt auch ein besonders
hervorstechendes Beispiel hierfür (eines, wie er sagt, „aus vielen“ 234):
230 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 422. 231 Heinz Bechert, „Weltflucht oder Weltveränderung:: Antworten des buddhistischen Modernismus auf
Fragen unserer Zeit.“ 1976, 20. 232 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 420. 233 Bechert, „Weltflucht oder Weltveränderung:,“ 20. 234 Ebd., 21.
55
So ist […] Salomon West Ridgeway Dias Bandaraike (1899-1959) nach seiner eignen Darstellung erst
während seiner Studienzeit in England durch Lektüre europäischer Werke zum Buddhisten geworden
[…]; er hat später bekanntlich als Ministerpräsident Ceylons die die Erneuerung des Einflusses
buddhistischen Gedankengutes im öffentlichen Leben wie kaum ein anderer vorangetrieben.235
Preußger führt diesbezüglich das Bild des Pizza-Effekts, auch „feedback-loop“ genannt,
ins Treffen. Gemäß Queen beschreibt dieser Effekt „das Phänomen, wenn zunächst Elemente
einer Kultur in einer anderen rezipiert und entsprechend eigner Wünsche, Vorurteile usf.
transformiert werden, dieses als ‚Kulturexport‘ transformierte Element dann wieder reimportiert
und dabei als das eigene wahrgenommen wird“ 236. Unter der in den USA (und wohl auch in
anderen Teilen der Welt) als „authentische italienische Pizza“ angebotenen Pizza handelt es sich
demnach um eine amerikanisch überformte Art der Pizza durch italienische Einwanderer, die
anschließend in Italien, um auf die Erwartungen der amerikanischen Touristen zu reagieren,
tatsächlich so ähnlich angeboten wurde. Dies wiederum verstärkte das Bild der authentisch
italienischen Pizza in den USA (und wohl auch anderswo) nur noch mehr.237 Die Idee des Pizza-
Effekt kann ebenso im Hinblick auf den oben bereits genannten Anagārika Dharmapāla gut
angewandt werden. Auch laut Preußger spielte er hinsichtlich des vom Westen so gerne
gesehenen – weitegehend entritualisierten – „rationalen >protestantischen Buddhismus< keine
unwesentliche Rolle“238.
In diesem Zusammenhang verweist Preußger dezidiert auf zwei ethisch relevante
Phänomene, die auch dem „Pizza-Effekt“ geschuldet sein konnten. Zunächst wäre da erstens
eine wichtige Ergänzung zum mittlerweile bestens bekannten sri-lankischen Mönch Dharmapāla:
er hat auch auf die westliche Wahrnehmung bzw. den westlichen Anspruch an den Buddhismus
reagiert indem er Buddha als Philosoph darstellte, der in seiner Ethik und in seinem generellen
Denkmodell den großen Denkern Europas voraus war. Zweitens verweist Preußger in Bezug auf
die im Westen so populäre Vorstellung hinsichtlich des Karma-Konzeptes als eine Art
moralisches Sparbuches – wo es für das weitere Leben aber besonders in Hinblick auf das
nächste auf keinen Fall zu einer Anhäufung von karmischen Schulden kommen sollte – auf
Schlieter239: Dieser sieht sogar das als eine durch praktizierende asiatische Buddhisten von der
westlichen Interpretation des Karma geborgte Schöpfung. Er fügt jedoch auch hinzu, dass sie die
vereinfachte Version des Karma-Konzeptes von selbst geboren haben könnten, wohl unter dem
Einfluss der Einführung des im Westen so beliebten Konzepts der „doppelte Buchhaltung“.240
235 Bechert, „Weltflucht oder Weltveränderung:,“ 21. 236 Christopher Queen, Damien Keown und Charles S. Prebish, Hrsg., Action Dharma: New Studies in
Engaged Buddhism (Routledge, 2003), 33. 237 Vgl. Preußger, Das ›buddhistische Ethik‹-Idiom, 51. 238 Ebd., 52. 239 Vgl. Jens Schlieter, „Checking the heavenly ‘bank account of karma’: cognitive metaphors for karma in
Western perception and early Theravāda Buddhism.“ Religion 43, Nr. 4 (2013), doi:10.1080/0048721X.2013.765630.
240 Vgl. Preußger, Das ›buddhistische Ethik‹-Idiom, 51.
56
Um nun zu den konkreten Beispielen einer Ausbreitung buddhistischer Einflüsse im
Westen zurückzukehren wollen wir uns zunächst der Theosophischen Gesellschaft widmen die
in New York 1875 gegründet wurde. Sie war die erste Organisation im Westen, welche die
Aufnahme von indisch religiösen Glaubensinhalten sowie -praktiken anregte. Die Gesellschaft
war ein Kondensat, zusammengesetzt aus dem in den USA damals stark in Mode gekommenen
spiritualistischen Strömungen, die sich eines neuplatonischen Mystizismus sowie anderen
westlichen esoterischen Elementen, aber eben auch hinduistischen und buddhistischen
Gedankengutes bediente. Laut der Gründerin, Helena Blavatsky, ist Theosophie – oder übersetzt
die „Gottliche Weisheit – die Essenz und Basis für alle Religionen und Jesus wie auch Buddha
waren historische Meister dieser Tradition.241
Des Weiteren kamen in den Romanen des deutschen Autors Herman Hesse
buddhistische Themen vor; natürlich ist hier speziell der einflussreiche Siddhartha von 1922 zu
nennen. Der Schweizer Psychoanalytiker und Arzt C.G. Jung, der selbst Reisen nach Fernost
unternahm, erforschte in den 1950er Jahren die Parallelen zwischen symbolischen Träumen und
tibetischen Mandalas. Aldous Huxleys The Doors of Perception and Heaven and Hell (1956)
steigerten außerdem das Interesse an östlicher Meditation, indem er seine Erfahrungen unter
dem Einfluss von Meskalin (fälschlicherweise) mit dem buddhistischen Erwachen (oder
Erleuchtet-Werden) verglich. Er diente nebst anderen als Inspiration vieler Hippies in den 1960er
Jahren jedoch, welche sich fortan nebst experimentellem Drogenkonsum in unterschiedlichsten
Meditationen übten und einige davon sogar selbst nach Fernost reisten.242
In Bezug auf die bislang populärste Form des Buddhismus im Westen, den Zen-
Buddhismus (mittlerweile eng gefolgt von tibetanischen Formen des Buddhismus), war es im
Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hauptsächlich der japanische Gelehrtee D.T.
(Daisetz Teitaru) Suzuki, der das Bild von Zen durch populären Arbeiten im Westen verbreitete243.
Zu den früheren einflussreichen Werken zählen zum Beispiel die Essays in Zen Buddhism, First
Series (1927). Später verfasste er sogar mit dem einflussreichen deutsch-US-amerikanischen
Psychoanalytiker und Soziologen Erich Fromm das Buch The Human Condition and Zen-
Budhhism (1960; hier vorliegend in der deutschen Übersetzung von 1971)244 , welches mithalf
eine Brücke zwischen westlichem und östlichem Denken zu bauen. Das Gefallen an Zen
entwickelte sich besonders stark in den USA der Nachkriegszeit in der 1950er „Beat“-Periode
und, wie bereits erwähnt, in der „Hippie“-Zeit der 1960er und -70er, wo Zen aber auch tibetische
Formen des Buddhismus an Popularität förmlich abhoben. Hierbei half im Besonderen, dass US-
241 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 420–21. 242 Vgl. ebd., 420. 243 Vgl. ebd., 423. 244 Erich Fromm, Suzuki, Daisetz, Teitaro und Richard de Martino, Zen-Buddhismus und Psychoanalyse
(Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1971).
57
amerikanische Soldaten zuvor über die vielen Kriege dieser Zeit in Japan, dann in Korea und
Vietnam stationiert gewesen waren.245
Vor allem in den USA wurde das Studium des Buddhismus sogleich rasch Teil des
Angebots offizieller Universitätskurse und in weiterer Folge nutzen sowohl buddhistische Gelehrte
als auch Praktizierende, die sehr oft nicht voneinander zu trennen sind, das aufkommende
Internet sehr rasch und sehr effektiv.246 In Bezug auf das Internet sollte an dieser Stelle erwähnt
werden, dass die erst vor circa einem Jahrzehnt einsetzende Nutzung von Meditationsapps einen
Quantensprung vor allem in der Verbreitung buddhistischer Meditationstechniken darstellt.
Jedoch ist es strittig, inwiefern diese Smartphone-Apps, die mituntner nicht oder oft nur
unzureichend oft auf die buddhistischen Grundlagen ihrer Angebote verweisen, überhaupt als
„buddhistisch“ gelten konnen. Falls die Antwort negativ ausfällt würde es sich nämlich somit um
eine bloße neoliberal inspirierte Vereinnahmung des Buddhismus handeln, womit wir im Kern
dieser Arbeit angelangt wären, der jedoch erst später systematischere Betrachtung erfahren wird.
Das “High-Tech”-inspirierte Interesse am Buddhismus manifestierte sich in den letzten 30
Jahren auch in immer häufiger durch MRT-Aufnahmen von meditationsgestärkten Gehirnen
(wenn auch nicht Geiste!). Der bekannteste französische Buddhist – um nun den Fokus etwas
nach Europa zu verlegen – ist der Nyingmapa (eine Schule des tibetanischen Buddhismus)
Mönch Matthieu Ricard (1945–), der durch zahlreiche Bücher sowie mehrere TED-Talks und über
diverse andere Medien berühmt wurde. Bezug nehmend auf die Scans seines Gehirns durch die
University of Wisconsin-Madison, wir er oft auch als „happiest man in the world“ 247 genannt.
Überhaupt ist der Buddhismus in Europa seit den 1990er Jahren exponentiell gewachsen.
So berichten Prebish und Baumann, dass zum Beispiel in Deutschland die Zahl der
buddhistischen Gruppen, Zentren oder Klöster von 40 im Jahre 1975 zu mehr als 500 Ende der
1990er angewachsen ist.248 Eine Rolle dabei spielte auch das gestiegene Interesse durch den
politischen Umbruch von 1989 in Ostdeutschland (wie diese Umbrüche generell
Spiritualität/Religiosität im ehemaligen europäischen „Osten“ stark veränderten). Das generelle
Interesse am in Deutschland seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer schon stark gewesenen
Theravada wurde in den 1960er und 1970er auch in Mitteleuropa durch einen regelrechten Zen-
Boom ergänzt, welcher wiederum anschließend von einem starken Aufschwung des tibetischen
Buddhismus gefolgt wurde.249
Aufgrund der immer weiter fortschreitenden Vermischung von „ursprünglichen“
asiatischen Buddhisten, die Ihre Religion entweder mitbrachten oder in eine buddhistische
245 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 432. 246 Vgl. ebd., 424. 247 Purser, McMindfulness, 125. 248 Vgl. Charles S. Prebish und Martin Baumann, Westward Dharma: Buddhism Beyond Asia (Berkeley:
University of California Press, 2002), 93–94. 249 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 451.
58
Familie geboren wurden – dies ist vor allem in einwanderstarken Ländern wie der USA und
Frankreich der Fall – und westlichen Buddhisten, die erst im Laufe ihres Lebens zu einem
buddhistisch inspirierten Leben gefunden haben, ist eine solche Einteilung wohl nicht zielführend.
Sinnvoller erscheint eine Trennung von „traditionalistischen“ sowie „modernistischen“
Buddhisten, und zwar über die (ohnehin verschwommenen) Grenzen des Westens hinweg auch
die asiatischen Ursprungsländer des Buddhismus betreffend.250
Gewiss sind die Worter „traditionalistisch” und “modernistisch” auch stark generalisierend.
Gemeint ist mit Ersterem die Miteinbeziehung von Riten und Feiern sowie oftmals ein starkes
Gewicht, das zum Beispiel dem Glauben an Wiedergeburt eingeräumt wird; die Meditation spielt
hierbei unter Laien oft eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Letzteres hingegen meint oftmals
eine eher Meditation lastige Praxis des Buddhismus und an eine Lebensweise, die von einer Art
Buddhismus als Philosophie durchdrungen ist. Gerade diese modernistische Art setzt sich vor
allem im Westen aber auch in Asien immer weiter durch, auch da Meditation vielen als besonders
hilfreich erscheint, ein erfolgreich(er)es Individuum zu werden (oder zu bleiben). Der
Buddhistische Ursprung wird dabei oft bis zur Unkenntlichkeit verwässert oder absichtlich negiert;
die Rede ist dann von einer so genannten „Mindfulness-Only“-Schule251, oder eben – noch
weniger institutionalisiert und noch individualistischer – nur Mindfulness (Achtsamkeit), die
wiederum in den unterschiedlichsten Ausprägung praktiziert wird.
Harvey macht deutlich, dass buddhistische Einflüsse überall als äußerst relativ zu sehen
sind. So gibt es in jeder Region oberflächlichere Buddhisten, deren Verbindung zu den großen
Traditionen Theravada, Mahayana oder Vajrajana sowie zu deren Unterschulen lückenhaft ist.
Außerdem borgten sich in Asien gerade Buddhisten viele Tradition von anderen Religionen, wie
dem Daoismus oder Shintoismus, etc. Analog borgen sich im Westen (aber eben nicht nur dort)
modernistische Buddhisten Bestandteile von anderen Traditionen, wie beispielsweise von der
humanistischen Psychologie252 (eher in Bezug auf einen therapeutischen Ansatz) oder von der
positiven Psychologie (eher in Bezug auf die generelle Lebensführung). Harvey macht deutlich,
dass diesbezüglich seit den 1990er Jahren auch die popkulturellen Erscheinungen des
Buddhismus im Westen in Form von „‘mind, body and spirit‘ books and Buddha images as garden
or home ornaments“253 starke Verbreitung finden. Ganz zentral dem Titel dieser Arbeit
entsprechend darf jedoch nicht übersehen werden, dass eine kapitalistische Verquickung von
westlichem Rationalismus (und Individualismus) mit der (quasi-)buddhistischen Heilslehre einer
Befreiung durch Meditation (und größtmöglicher Selbstverantwortung) nicht unproblematisch ist.
250 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 430. 251 Vgl. Purser, McMindfulness, 49–50. 252 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 430. 253 Ebd.
59
Eine der ersten westlichen Trends im Zusammenhang mit Buddhismus war sicherlich die
Vipassana-Bewegung. Sie hat viele Lehrende aus dem Laienbuddhismus, die teilweise noch
selbst im südlichen buddhistischen Einflussgebiet des Theravada lernten. Meditation wird von
ihnen größtenteils als eine, aus dem buddhistischen Kontext entfernte, mehr oder weniger bloße
Bewusstseinstechnik hin zur besseren psychischen Konstitution gelehrt – und zwar in noch
verstärkter Form als dies im US-amerikanischen Zen der Fall war. Elemente des Theravada
werden ebenso kombiniert mit Elementen aus dem Mahayana und der humanistischen
Psychologie. Als Schlüsselinstitution gilt das 1975 von Sharon Salzberg, Jack Kornfield, Joseph
Goldstein und anderen gegründete Insight Meditation Center in Barre, Massachusetts, welches
1988 gefolgt wurde von Kornfields Spirit Rock Zentrum in Kalifornien. Nebst der Vipassana-
Meditation (oder: „Insight-Meditation“/“Einsichtsmeditation“) hat sich die Bewegung mittlerweile
auch des stärkeren Einsatzes von „Metta“-Meditation („liebende Güte“) verschrieben. Während
das Ziel ist, auch Laien die Chance zu geben, heilsame meditative Praktiken zu erlernen, die
sonst nur Mönchen zuteilwird, gibt es innerhalb der Bewegung auch Kritiker (z.B. Goldstein), die
eine Verwässerung des buddhistischen Erbes fürchten.254
Zur etwa selben Zeit betritt der Molekularbiologe John Kabat-Zinn die Bühne der
westlichen Meditationstrainer. Kabat-Zinn, selbst ein Praktizierender des Zen Buddhismus seit
seiner Studientage in den 1960ern, ließ sich genauer gesagt vom „Korean Zen“ sowie vom eben
genannten Insight-Meditation-Movement (oder Vipassana-Movement) inspirieren und gründete
1979 die „Mindfulness Based Stress Reduction“ (kurz MBSR oder deutsch „Achtsamkeitsbasierte
Stressreduktion“) als rein säkulare Therapieform.255 1995 gründete er sogar das „University of
Massachusetts Center for Mindfulness in Medicine, Healthcare and Society” und stellte den
beidseitigen Austausch von „Westlichem Buddhismus“ und der Psychologie als
wissenschaftlicher Disziplin auf ein solides Fundament. Dieser kollaborative Austausch wird
seither von unzähligen Publikationen, Vorträgen, Achtsamkeitstrainer*innen und Institutionen
gefordert. Besonders erwähnenswert ist hierbei das „Mind and Life Institute“, das sogar Seminare
organisierte, in dem der Dalai-Lama mit Neurowissenschaftlern in Dialog trat256.
3.7. Die Richtung des „Mindfulness-Only“ („Nur-Achtsamkeit“)
Langsam fügen sich die Puzzleteile zusammen und heraus kommt – mit einem Umweg
vordergründig über John Kabat-Zinn aber auch über andere LehrerInnen – die sogenannte
„Mindfulness-Only“ Schule dieser Tage (Ronald Purser bezeichnet Richard King als deren
254 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 439–40. 255 Vgl. Purser, McMindfulness, 49. 256 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 440.
60
Namensgeber257) 258. Als Import einer in großen Teilen vom Westen mitkreierten „Buddhistischen
Renaissance“ im kolonialen Burma, Thailand und Sri Lanka des letzten Drittel des 19.
Jahrhundert sollte diese modernistische Version des Buddhismus („Buddhismus ohne zu viel
traditionellen Buddhismus“) circa 100 Jahre als Meditationsgrundlage für gestresste Westler
dienen. Im 19. Jahrhundert waren noch buddhistische Theravada Mönche, die sich mit ihrer
abgespeckten Version des Buddhismus (als Konzentration auf „Vipassana“/“Insight“/“Einsichts“-
Meditation ohne buddhistische Riten) nicht nur erfolgreich gegen die christliche Missionierung
stemmten, sondern sogar Anhänger unter den christlichen Missionaren fanden (!); ab dem letzten
Drittel des 20. Jahrhundert boten die meditativen Früchte des buddhistischen Modernismus nun
viel Heilsames im kapitalistischen Westen. Während im traditionellen Buddhismus der
unterschiedlichsten (Unter)Schulen Laien über mehr als zwei Jahrtausende hinweg kaum
meditierten, hatte sich das Blatt nun innerhalb etwas mehr als eines Jahrhunderts komplett
gewandelt.
Der weite Weg einer relativ wenig bis gar nicht spirituell oder religiös motivierten Praxis
ursprünglich buddhistischer Meditation wäre jedoch nicht möglich gewesen ohne Figuren wie
S.N. Goenka (1924-2013)259, der von seinem Geburtsort Burma (Myanmar) aus, buddhistische
Befreiungsmethoden – ohne das Label „Buddhismus“ – über die ganze Welt verbreiten wollte und
auch konnte. Seine Vipassana-Zentren für die interessierten Laien wurden von ihm selbst und
vor allem von zahlreichen westlichen SchülerInnen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert
über die gesamte westliche Hemisphäre verteilt. Es würde Vipassana nicht gerecht werden, sie
als „Mindfulness-Only“ („Nur-Achtsamkeit“) abzutun, jedoch war der Sprung von Vipassana für
die westlichen Laienperson hin zu Mindfulness/Achtsamkeit eines Jon Kabat-Zinn nur ein sehr
kurzer.
In der Folge spielte gerade Kabat-Zinn aber auch andere Lehrende sowohl die Wichtigkeit
buddhistischer Doktrin als auch die Bedeutung von schwierigeren konzentrativen
Meditationsmethoden herunter. Anstatt dessen betonten sie ausschließlich
Mindfulness/Achtsamkeit als eine Art „Herz“ des Buddhismus (ähnlich wie dies Goenka und
andere zuvor mit Vipassana taten), falls das Wort Buddhismus überhaupt vorkam. Mal
buddhistisch, mal nicht, Mindfulness/Achtsamkeit war gewiss kompatibel mit wissenschaftlichen
Erkenntnissen und den westlichen Vorlieben für das Rationale (was sich ja auch hervorragend in
der vom Westen ausgehenden neoliberal-kapitalistischen Quantifizierung der Wirklichkeit
ausdrückt). Diese Verwissenschaftlichung und „Entbuddhifizierung“ wird am deutlichsten, wenn
Kabat-Zinn über MBSR (Mindfulness-Based-Stress-Reduction) spricht und sagt “The Buddha
257 Richard King, „‘Paying Attention’ in a Digital Economy: Buddhist Accounts of Sati: Reflections on the
Role of Analysis and Judgement Within Contemporary Discourses of Mindfulness and Comparisons with Classical.“ In Handbook of Mindfulness: Culture, Context, and Social Engagement, hrsg. v. Ronald E. Purser, David Forbes und Adam Burke (Cham: Springer International Publishing, 2016), 36.
258 Vgl. Purser, McMindfulness, 49. 259 Vgl. ebd.
61
wasn’t a Buddhist,”, Buddhists “don’t own mindfulness”, da es eine “innate, universal human
capacity,” sei. An anderer Stelle jedoch sagt er über Mindfulness: „[it is] a placeholder for the
entire dharma“260. Auf diese Art, so behauptet Purser, wird Kunden weis gemacht, dass es sich
bei MBSR um ein nicht-religiöses, wissenschaftlich approbiertes Produkt handelt, um gleichzeitig
zu versichern, dass in MBSR nur das Beste von Buddhas Lehren hineinkommt („the best bits of
what the Buddha taught“).261
Direkt hier anknüpfend, wirft Harvey ein, dass die meisten neuen westlichen
Praktizierenden eines der Buddhismen über buddhistische oder besser gesagt buddhistisch
inspirierte Meditation (v.a. MBSR) zu EinsteigerInnen werden. Das Interesse wurde manchmal
zuvor von Büchern, (Online-)Magazinen (z.B.: „Tricycle: The Buddhist Review“), etc. über
Buddha, Buddhismus oder esoterischen Verquickungen hiervon geweckt, beziehungsweise wird
sie von diesen nach ursprünglicher Meditations- oder MBSR-Erfahrung vertieft. Menschen, die
sich hierauf tiefer mit dem Buddhismus beschäftigen und/oder sich selbst als „BuddhistIn“
bezeichnen hatten sich zumeist entwurzelt gefühlt und sehen im Buddhismus eine nicht-
traditionelle Route zu Selbstreflexion und spirituellen Wachstum, wobei asiatische Lehrer(Innen?)
größtenteils das Zepter bereits an nicht-asiatische Lehrende übergeben haben.262
Dieser Übergang von östlichen Lehrenden aus traditionellem buddhistischen Umfeld hin
zu westlichen war auch gerade deshalb nötig, da Erstere nicht gewöhnt waren, Meditationen
anzuleiten oder überhaupt gemeinsam zu meditieren263. Alexander Berzin (geb. 1945),
amerikanischer Autor, Übersetzer und langjähriger Lehrer für Vajrayana-Buddhismus, beschreibt,
dass er als Übersetzer miterlebt hat, wie unangenehm es tibetischen Lehrern war eine Meditation
anzuleiten. Sie wussten nicht, was sie tun sollten und was von ihnen erwartet wurde, denn ihre
Kultur kannte das nicht. 264 Überdies meditierten Laien in traditionell buddhistischen Ländern oder
Regionen eigentlich gar nicht, wie wir an anderer Stelle schon herausstrichen, und was Paul
Williams (ehemaliger Buddhist und Übersetzer des Dalai Lama) als einen der größten westlichen
Missverständnisse über den Buddhismus bezeichnet. Williams schließt nicht aus, dass es auch
im Westen viele konvertierte Buddhisten gibt, die sich gut auskennen, meint aber, dass es im
Westen heute einfach modern sei zu meditieren und sich Buddhist zu nennen.265
260 Jon Kabat-Zinn, „Some reflections on the origins of MBSR, skillful means, and the trouble with maps.“
Contemporary Buddhism 12, Nr. 1 (2011), doi:10.1080/14639947.2011.564844. 261 Vgl. Purser, McMindfulness, 50–51. 262 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 428. 263 Vgl. Alexander Berzin, „Die Rolle spiritueller Lehrer im digitalen Zeitalter.“ StudyBuddhism.com, zuletzt
geprüft am 18.09.2020, https://studybuddhism.com/de/fortgeschrittene-studien/lam-rim/lehrer-schueler-beziehung/die-rolle-spiritueller-lehrer-im-digitalen-zeitalter.
264 Vgl. ebd. 265 Vgl. Die Presse, „Paul Williams: Der Buddhismus ist hoffnungslos.“ Die Presse, 24.05.2012, zuletzt
geprüft am 18.09.2020, https://www.diepresse.com/760700/paul-williams-der-buddhismus-ist-hoffnungslos.
62
Hier setzt Ronald Purser mit seiner fundamentalen Kritik an der kontemporären
Mindfulness/Achtsamkeits-Bewegung an. Meinte Harvey einen Absatz weiter oben in seinen
Anmerkungen zu neu hinzugekommenen westlichen Buddhisten noch Menschen, die sich
tatsächlich in irgendeiner Weise mit buddhistischen Lehren – inklusive ethischen Grundsätzen
(sila) und tief gewonnener Einsicht/Weisheit (prajñā) – beschäftigen, täten dies Praktiziernede
„Mindfulness-Only“-Schule laut Purser nicht. Stattdessen schreibt er, hier speziell über die
Philosphie hinter MBSR:
The lowest common denominators of mainstream Western consumerist culture — corporate
capitalism, crass instrumentalism, and scientific materialism — are sadly becoming the new “place-
holder for the entire dharma.”266
Die Anspielung auf John Kabat-Zinns weiter oben wiedergegebenen Ausspruch (“place-
holder for the entire dharma”) leitet das tiefe Unbehagen Pursers an MBSR ein. In der Folge
schildert er zahlreiche beunruhigende Tendenzen im Zusammenhang mit der breiten
kontemporären Minfulness/Achtsamkeits-Bewegung ein, auf die wir später noch genauer
eingehen werden. Lassen wir uns zunächst auf seine eigene Erfahrungen mit MBSR sowie den
Narrativ, welcher um MBSR gewoben wurde, eingehen: Purser nicht mehr sicher ob es sich bei
MBSR um “scientific method or a political ideology“267 handelte. Einerseits, so schreibt er weiter,
wird Hilfe Suchenden diese ganz klar zuteil, andererseits war die generelle Botschaft der
Intervention zutiefst beunruhigend: wenn ´Leiden ausschließlich im Geist stattfindet liegt die
Lösung in der Ausschaltung dieser Gedanken. Vergangenheit und Zukunft sind von nun an nicht
mehr wichtig, stattdessen wird die momentane Gegenwart die gesamte Wirklichkeit. Und das
Beste ist: durch aus funktionale Magnetresonanzscans (fMR) gewonnen Bilder könne dies sogar
wissenschaftlich bestätigt werden. Da Unglück durch mich selbst in meinen Gedanken entsteht,
bin ich auch selbst dafür verantwortlich. All der negative Stress, den Leute wahrnehmen und an
dem sie leiden, hat somit augenscheinlich nichts zu tun mit negativen realweltlichen Faktoren wie
(drohender oder echter) Arbeitsplatz-/Einkommensverlust oder die unmenschlich hohen
Anforderungen einer arbeitswütigen Unternehmenskultur innerhalb eines neoliberalen
Kapitalismus.268 Ganz entgegen der buddhistischen Denktradition von der bloßen Illusion eines
Egos und das alles mit allem zusammenhängt werden die Folgen des Leids durch psychische
Belastung privatisiert und subjektiviert: möge das Individuum damit zurechtkommen.
266 Purser, McMindfulness, 60. 267 Ebd. 268 Vgl. ebd.
63
3.8. Überleitende Schlussbemerkungen
Die Tatsache, dass vom Buddha nichts Geschriebenes übrig ist, eröffnet möglicherweise mehr
Chancen, als dass sie die Wirkmächtigkeit das Erbe des Buddha einschränkt. Wie die vielen
Ausprägungen des Buddhismus bislang gezeigt haben – und wie Buddha ja selbst gesagt haben
soll – muss der jeweilige Buddhismus seiner Zeit mit dieser gehen und sich auch dem örtlichen
Kontext anpassen. Zweifelsohne beinhalten diese Anpassungen auch Weggabelungen, die in
einen Irrweg führten, oder gemäß Schiekels Dschungel Metapher (siehe 3.4. oben), eine
unbekömmliche oder gar giftige Pflanze darstellt. Sollten Buddhismen also dazu beitragen, ein
ungerechtes Wirtschaftssystem (den Neoliberalismus), das nebenbei maßgeblich dazu beiträgt,
den Planeten weniger bewohnbar zu machen, noch zu verstärken, dann können diese als Irrwege
oder unbekömmlich/giftige Pflanzen bezeichnet werden. Das Verhältnis zumindest einzelner
Aspekte des sogenannten „Buddhismus“ zum derzeit vorherrschenden kapitalistischen
Wirtschaftssystem, dem Neoliberalismus wird daher im folgenden Hauptkapitel dieser Arbeit einer
genauen Betrachtung unterzogen.
Es soll jedoch vorausgeschickt werden, dass der Einsatz von isolierter buddhistischer
Meditation ethisch problematisch ist (und daher unter Umständen nicht mehr „buddhistisch“ ist?).
Hierunter ist Meditation zu verstehen, die weder zusammen mit Übungen in „Weisheit“ (prajna)
und ethischem/richtigen Handeln (sila) praktiziert wird, noch eingebunden ist in den breiteren
Kontext der „Drei Kostbarkeiten“ (Buddha; Dharma; Sangha). In Anbetracht der immer breiter
werdenden westlich-modernistischen Achtsamkeitsbewegung, die auch Wallstreet Bankern zur
Beruhigung nach fallenden Börsenkursen die Konzentration auf den eigenen Atem rät, schreibt
Brodbeck im Jahre 2016: „Ohne Erkenntnis [/unmittelbar erfahrene Weisheit = prajna] wird die
Ethik zur bloß blind befolgten Moral, und ohne ethisches Handeln bleibt eine Meditation
wirkungslos.”269
269 Karl-Heinz Brodbeck, „Achtsamkeit als ethische Praxis.“ Buddhismus Aktuell, Nr. 1 (2016).
64
4. Das Verhältnis von Buddhismus und Neoliberalismus
4.1. Einleitende Gedanken – Zizek, Weber und Victoria
Etwa ein Jahrzehnt bevor die im Buddhismus begründete Praxis der Mindfulness/Achtsamkeit
von vielen großen Korporationen entdeckt worden war und via Smartphone-Apps Meditation für
jede Person auf Abruf bereit stand, befand Slavoj Zizek in seinem Artikel für die Zeitschrift Cabinet
(2001):
One is almost tempted to resuscitate the old infamous Marxist cliché of religion as the “opium of the
people,” as the imaginary supplement to terrestrial misery. The “Western Buddhist” meditative stance is
arguably the most efficient way for us to fully participate in capitalist dynamics while retaining the
appearance of mental sanity. If Max Weber were alive today, he would definitely write a second,
supplementary, volume to his Protestant Ethic, entitled The Taoist Ethic and the Spirit of Global
Capitalism.270
In diesem Zitat weist Zizek dem Buddhismus innerhalb des neoliberal-kapitalistischen eine schier
bahnbrechende Rolle zu, denn der meditative Zugang zumindest eines „westlichen“ Buddhismus,
sei der effektivste, um „voll“ an den kapitalistischen Dynamiken teilzuhaben und gleichzeitig den
Schein mentaler Gesundheit zu wahren. Er verstärkt seine Aussage, indem er dem Buddhismus
für den kontemporären Kapitalismus sogar eine ähnlich prägende Rolle zuschreibt, wie einst Max
Weber dem Protestantismus für die Ursprünge des Kapitalismus.271
Die Beobachtung einer möglichen positiven Korrelation zwischen Buddhismus und
Kapitalismus ist so neu nicht. Schon Brian Victoria bemerkte 1980 in seinem Artikel “Japanese
Corporate Zen”, dass das plötzliche Interesse von Laien an zenbuddhistischen Klöstern damit zu
begründen ist, da sie so wirtschaftlich besser verwertbar für Unternehmen werden würden:
Indeed, during the past few years the popular media in Japan have often referred to a so-called Zen-
bumu (boom). […]Careful investigation of these lay trainees reveals that many of them are not
participating by choice. That is to say, many of these trainees have been sent to Zen temples by the
companies in which they are employed. Usually these employees have just entered the company, and
their Zen training is considered part of their orientation program.272
Die im vorherigen Kapitel bereits angesprochenen Versionen eines westlichen Buddhismus,
eines modernistischen Buddhismus und einer Nur-Achtsamkeits-Schule, stehen also im
Verdacht, kapitalistische Dynamiken noch effizienter zu gestalten zu können. Das eben
geschilderte Beispiel von Victoria hinsichtlich der Entdeckung der ökonomischen Verwertbarkeit
270 Slavoj Žižek, „From Western Marxism to Western Buddhism.“ Cabinet, Nr. 2 (2001), zuletzt geprüft am
09.08.2020, http://cabinetmagazine.org/issues/2/zizek.php. 271 Der Verweis auf den Taoismus (Zizek: „Taoist“) ergibt sich höchstwahrscheinlich daraus, dass Zizek
vor allem den Zen-Buddhismus bzw. die westliche Version des Zen-Buddhismus ins Zentrum seiner Ausführungen stellt. Dieser Buddhismus wurde stark von chinesischen Taoismus beeinflusst. Zizek wählt jedoch keine einheitliche Terminologie und spricht zumeist generell vom „Buddhismus“, dann wieder vom „westlichen Buddhismus“.
272 Daizen Victoria, „Japanese Corporate Zen.“ Bulletin of Concerned Asian Scholars 12, Nr. 1 (1980), doi:10.1080/14672715.1980.10405563.
65
von Praktiken und Denkweisen in relativ traditionellen Zen-Klöstern Japans zumindest schon in
den 1970er Jahren ist dabei nicht überraschend. Schließlich ist, wie Ther im ersten Hauptkapitel
bemerkte, der Neoliberalismus beides, „Begleiterscheinung und Antriebskraft der
Globalisierung“273, welche jedoch auch den Buddhismus betreffend ins frühe 19. Jahrhundert
zurückreicht.
Der Buddhismus – oder genauer, die (zumindest angenommene) Existenz des Buddha –
war vor etwa 200 Jahren noch gänzlich unbekannt. Wie Preußger274, auf Lenoir verweisend,
herausstreicht, ist der Begriff selbst lediglich „eine Erfindung der ersten europäischen
Orientalisten“275. Wenn also über einen „Westlichen Buddhismus“ gesprochen wird und sogar
versucht wird, diesen als eigene Kategorie einzuführen sollte daran erinnert werden, dass „der
Buddhismus“ eine europäische Schöpfung ist – und zwar nicht nur als Begriff, sondern auch als
Reaktion traditioneller asiatischer Buddhisten auf die Kolonialmächte: Einerseits reagierten diese
Buddhisten auf die Erwartungshaltung der Kolonialherren und -damen, andererseits war die
Erneuerung buddhistischer Glaubenssysteme auch eine identitätsstiftende Komponente für die
Besetzten. Der Buddhismus war also schon seit seiner Geburt als Begriff zutiefst westlich.
Auch die Motive des breiten Interesses haben sich seit der Schöpfung des Begriffs
Buddhismus vor 200 Jahren nicht wesentlich geändert. Auf der einen Seite steht erneut jenes
intellektuelle Bedürfnis, den Buddhismus als rationalistische Philosophie des originalen Buddha
zu verstehen und vielleicht die Erweiterungen hiervon zu klassifizieren, vielleicht auch
miteinzubeziehen oder neu zu interpretieren; auf der anderen Seite wiederum steht das
existenzielle, psychologische, und/oder spirituelle Bedürfnis der Praktiziereden oder zumindest
Faszinierten(z.B. aus der Romantik kommende Vorstellungen; mystische Heilserwartungen;
Erwartungshaltungen der Hippies an die Mediation; Heilserwartungen durch Selbstoptimierung
im Neoliberalismus?) 276. Gemäß dieser Zweiteilung hat sich diese Arbeit zunächst mit der Suche
eines Kerns des originalen Buddhismus im Sinne der Lehren des Buddha beschäftigt, um
anschließend den möglichen existenziellen, psychologischen oder spirituellen Rollen, die der
Buddhismus in der heutigen Welt spielt, gewahr zu werden. Wahrscheinlich, so scheint es, muss
Aufzählung um die „instrumentelle“ Rolle des Buddhismus im Sinne seiner potenziellen
Vereinnahmung durch den Neoliberalismus erweitern, denn hier offenbart sich die oben
genannten Zweiteilung in bloß etwas anderem Gewand: einmal ist hier die fernöstliche, mystische
Seite des Buddhismus, welche gerne auch für Marketingzwecke eingesetzt wird, und
273 Ther, „Der Neoliberalismus,“ 22. 274 Vgl. Preußger, Das ›buddhistische Ethik‹-Idiom. 275 Frédéric Lenoir und Juliet Vale, „The Adaptation of Buddhism to the West.“ Diogenes 47, Nr. 187
(1999), doi:10.1177/039219219904718710.Lenoir führt er den Begriff auf Michel Jean Francois Ozeray zurück, zuallererst verwendet 1817 in seinen Recherches sur Buddou ou Boudou.
276 Vgl. Preußger, Das ›buddhistische Ethik‹-Idiom, 51.
66
andererseits ist dort die wissenschaftlich-rationale Komponente, die mittlerweile sogar durch
MRT-Bilder bezeugt wird.
4.2. Meditieren für den Neoliberalismus?
Nachdem nun in dieser Arbeit in Erfahrung gebracht wurde, dass „der“ (gar nicht einheitliche)
„Westliche Buddhismus“ schon seit Anbeginn von einem sehr entmystifizierenden,
wissenschaftlichen, rationalem Denken geprägt war und sogar das Wort Buddhismus eine
westliche Erfindung der zumeist protestantischen Kolonialmächte war, klingt Slavoj Zizeks Zitat
vom Beginn des Kapitels plausibel. Die zentralste Passage soll hier nochmals aufgeworfen
werden, bevor die Reise sozusagen ins kontemporäre Herz der Allianz zwischen Buddhismus
und Kapitalismus angetreten wird:
The “Western Buddhist” meditative stance is arguably the most efficient way for us to fully participate in
capitalist dynamics while retaining the appearance of mental sanity.277
Bezug nehmend auf die immer breiter werdende Achtsamkeitsbewegung sieht Purser im
Zusammenhang mit den High-Tech Giganten vom Silicon Valley typisch amerikanisches Myth-
Making im Gange, da gleich mehrere typisch westliche, typisch kapitalistische Eigenschaften
zusammenkommen: Wissenschaftlicher Fortschritt, das Individuum mit unternehmerischem
Esprit als alleine von Bedeutung seiend und eine uralte, nicht-westliche Tradition Praktik (hier:
eine meditative Technik), die vollends von Raum und Zeit – beides neoliberal geprägt –
aufgesaugt wird. Obwohl es noch zu früh, für eine Bewertung dieses Phänomens ist, steht fest,
dass in der westlichen Achtsamkeitsbewegung der buddhistische Kontext soziokulturell und
historisch genauso wenig eine Rolle spielt, wie dessen Philosophie.278
4.2.1. Google und das „achtsame“ Silicon Valley
Google etwa praktiziert das oben genannte Myth-Making und repräsentiert die vom Time
Magazine 2014 ausgerufene “Mindful Revolution“279 wohl wie kein anderes Unternehmen
weltweit. Selbst einer der bekanntesten buddhistischen Mönche, Thich Nhat Hanh, besuchte
eines Tages die Zentrale von Google und forderte die Angestellten auf, „mehr Raum in sich zu
schaffen“280. Seither werden zwei Mal im Monat sogenannte „mindful lunches“ abgehalten, in
277 Žižek, „From Western Marxism to Western Buddhism“. 278 Vgl. Purser, McMindfulness. 279 Pickert, „The Mindful Revolution“. 280 Siemons, „Der erleuchtete Angestellte“.
67
welchen jedem einzelnen Essvorgang die ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt werden soll.
Außerdem wurde speziell für Gehmeditation ein eigenes Labyrinth angelegt.281
Mit ihrem früheren Achtsamkeitsbeauftragten Chade-Meng Tan – der nichts weniger als
die gesamte Welt verändern will – besaß Google bis zu seiner „Pensionierung“ 2015 ein
Alleinstellungsmerkmal in dem Narrativ der „Corporate Mindfulness“ („Unternehmerische
Achtsamkeit“). Firmenintern hatte Tan den Titel „Jolly Good Fellow“ und Purser zitiert ihn mit
folgenden Worten: “My mission in life is to democratize enlightenment and bring one million
people to stream-entry before I die. If commercial success ever gets in the way of mindfulness,
I’ll let go of commercial success.”282 Er glaubt, dass unternehmerischer Erfolg voll kompatibel ist
mit Achtsamkeitspraxis, gesteht aber ein, dass die auf Achtsamkeitspraxis zurückzuführenden
Veränderungen in der Unternehmenskultur großer Firmen bislang noch gering sind. Meng führt
dies darauf zurück, dass in den Führungsetagen Achtsamkeitstrainings bislang noch zu wenig
eingesetzt wurde.283
Der in Singapur gebürtige gelernte Softwareingenieur kam 2000 als Mitarbeiter #107 zu
Google und gründete später Googles internes Meditationsprogramm, welches seit 2007 den
Namen „Search Inside Yourself“ (wie Chade-Meng Tans später erschienene Monographie) trägt.
Er legt Wert darauf, zu wissen, dass er zunächst als traditioneller, die Riten pflegender Buddhist
aus Singapur in die USA kam, wo er dann westlicher, oder wie er sagt, „echter“ Buddhist eines
viel reineren Dharma (Sanskrit: „Lehre“) wurde. Ab dem Zeitpunkt an dem er Vipassana-
Meditation in den USA kennen gelernt hatte, kannte er den echten Weg des Buddha. Er glaubt,
dass die Praxis echter Achtsamkeitsmeditation so wirkmächtig ist, dass ungeachtet der
ursprünglichen Motivation, das Ergebnis gut für die meditierende Person sondern für die gesamte
Menschheit ist. Auf die Frage warum er nicht benachteiligten Gruppen helfe anstatt relativ
Wohlhabenden bei Google sagte er:
Because even they are suffering. Even more importantly, their suffering causes more suffering to the
people around them precisely because they have wealth and power. By addressing that population, I
can limit the damage it does to the world. If a poor guy suffers, he suffers and maybe his wife does, too.
If a rich guy suffers, everyone around him suffers: his butler, his employees, his thousand people.284
Wohl kaum jemand wird dieser Aussage widersprechen und ihr soll auch hier nicht widersprochen
werden. Ein kleines aber sei jedoch angebracht: Denn natürlich ändert dies noch nichts an den
Ursachen für die breite Kluft zwischen „Arm und Reich“ – und das Meditation die leidvolle
Wahrnehmung der Symptome lindern kann ist hinlänglich bekannt, dazu braucht es nicht Tan.
Die Kernaussage darf wohl auch so verstanden werden, dass es einfacher ist dieser reichen
281 Vgl. Siemons, „Der erleuchtete Angestellte“. 282 Purser, McMindfulness, 129. 283 Vgl. ebd. 284 Max Zahn, „"Even the Rich Suffer": An Interview with Google's Jolly Good Fellow Chade-Meng Tan.“
Religion Dispatches, zuletzt geprüft am 16.10.2020, https://religiondispatches.org/rich-people-need-inner-peace-too-an-interview-with-googles-jolly-good-fellow-chade-meng-tan/.
68
Person die Stimmung durch Meditation aufzuhellen, als all seinen Untergebenen Meditation
beizubringen, um den Vorgesetzten besser ertragen zu können.
Tan ist gern gesehener Gast auf der Wisdom 2.0 Messe, wo er 2013 – kurz nach
Erscheinen seines Bestsellers (Search Inside Yourself – Increase Productivity, Creativity and
Happiness) auch Eröffnungsredner sein durfte. Auf der Wisdom 2.0 Messe treffen sich jedes Jahr
in der San Francisco Bay Area auch die angesagtesten Leute der „Achtsamkeitsindustrie“
(„mindfulness industry“), wie Ronald Purser zu sagen pflegt, darunter Jon Kabat-Zinn, Jack
Kornfield, Sharon Salberg, Joan Halifax, Eckhart Tolle, Anderson Cooper, Arianna Huffington
(von der Huffington Post), Goldie Hawn, und der „achtsame“ US Kongressabgeordnete Tim
Ryan.285 Sponsoren aus der Firmenwelt beinhalten zumeist die Namen Google, Facebook,
Yahoo, and MailChimp. Über die Konferenz ist auf der eigenen Homepage zu lesen:
Wisdom 2.0 addresses the great challenge of our age: to not only live connected to one another through
technology, but to do so in ways that are beneficial to our own well-being, effective in our work, and
useful to the world. […] Wisdom 2.0 is a conference tackling one of the biggest challenges of today's
age. Connect through technology, but do so in a way that supports a person's well-being, work
effectiveness, and is ultimately useful to the world."286
The people at Wisdom 2.0 come from all over the world and from many vocations, including
coaches; technology staff from Apple, Microsoft, and Twitter; as well as venture capitalists and
entrepreneurs. Participants share a common interest: to live with greater wisdom, purpose, and
meaning, while using technology in ways that create a more open and healthy culture.287
Nach westlicher Denkart ist es nicht frei von Ironie, ja geradezu paradox, dass die Tech-
Giganten, die sich am meisten darum kümmern, die Menschen im Alltag abzulenken, sich
neuerdings auch der Bewerbung des Achtsamkeitstraining für die breitere Masse – vielleicht als
eine Art Gegenmittel – verschrieben haben. Auch Steve Jobs sagte einst, dass Zen Meditation
direkt verantwortlich war für seine Konzentrationsfähigkeit und seine Kunst, Ablenkungen zu
ignorieren,288 aber es ist nicht bekannt, dass Jobs abseits seiner optisch von Fernost inspirierten
Produkte auch fernöstliche Meditationspraktiken bewarb (obwohl Jobs „Erfolgsgeheimnis“ Zen
sicherlich vor allem posthum weiter zur Popularität der Achtsamkeitsbewegung beitrug). Der
Widerspruch lässt sich wohl nur nach fernöstlich taoistischer, buddhistischer (ganzheitlicher)
Denkart auflösen: so wie Samsara und Nirvana nebeneinander zu existieren scheinen, scheint
auch die Erwachung durch Achtsamkeit als Ziel nebst dem (gleichbedeutenden?) Ziel, den
Menschen durch maßgeschneiderte Werbung möglichst viel abzulenken und sie oder ihn dazu
zu bringen, etwas zu kaufen, dass vielleicht gar nicht gebraucht wird. Oder aber der Schlüssel
zum Verständnis dieses offensichtlichen Widerspruchs ist, dass sich mit beidem gutes Geld
verdienen lässt.
285 Vgl. Purser, McMindfulness. 286 Wisdom 2.0, „Wisdom 2.0 - Homepage.“ Zuletzt geprüft am 16.10.2020,
http://www.wisdom2conference.com/About. 287 Purser, McMindfulness. 288 Vgl. Pickert, „The Mindful Revolution“.
69
Slavoj Zizeks Worte bezüglich der vermeintlichen Allianz von Buddhismus und
Kapitalismus im momentanen Neoliberalismus – hier von 2005 – haben ob dieser Widersprüche
im Achtsamkeitsgeschäft wohl noch immer Geltung: “No wonder Buddhism can function as the
perfect ideological supplement to virtual capitalism: It allows us to participate in it with an inner
distance, keeping our fingers crossed, and our hands clean […].”289 Greta Wagner,
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie an der Goethe Universität Frankfurt/Main
und spezialisiert auf den Themenkomplex „Leistung und Erschopfung“, drückt einen ähnlichen
Befund vor allem hinsichtlich Zizeks „inneren Distanz“ zum Kapitalismus so aus:
In Zeiten, in denen allerorts von der Knappheit und Endlichkeit von Ressourcen die Rede ist, soll sich
die Einzelne auf ihren inneren Reichtum richten. Erschöpfung scheint zum Signum der Gegenwart
geworden zu sein, den Subjekten, den Staatshaushalten, den Mittelschichten und dem Planeten wird
sie zugeschrieben. Das buddhistische Versprechen unbegrenzten Potentials im Selbst stellt eine soziale
Ordnung, die auf permanenter Wertsteigerung basiert, so auf ein neues legitimatorisches Fundament.
Das gelassene Annehmen und Herbeiführen ständigen Wandels, Vertrauen in große Netzwerke, das
Anpassen eigener Ziele und Wünsche an immer neue Gegebenheiten und der Glaube in das eigene
unerschöpfliche Potential sind Schlüsselkompetenzen im flexiblen Netzwerkkapitalismus und
buddhistische Praktiken wie Achtsamkeitsübungen bieten Ressourcen und Coping-Strategien ebenso
wie ein metaphysisches Sinnangebot für diese soziale Ordnung.290
„Gelassen“ ist sicherlich eines der Schlüsselworter in diesem Absatz und diese Gelassenheit ist
wohl nicht ohne innere Distanz möglich.
Doch der Buddhismus bietet eben mehr als nur eine Strategie zur Selbstoptimierung oder
zum „Coping“ (also zu Deutsch: Bewältigung) und hier geht Wagner weiter als die meisten
anderen AutorInnen wenn sie sagt, er biete auch ein metaphysisches Sinnangebot. Die
Diskussion erklimmt ein ganz anderes Niveau wenn davon ausgehen wird, dass betroffene
Meditierende nicht nur das Potential der körperlichen und geistigen Optimierung sehen, sondern
auch das Gefühl haben, diese Jahrtausende alte Tradition könne sicherlich auch im sozialen
Aspekt nichts Schlechtes anrichten. Doch hier irrt die meditierende Person, wenn legitime soziale
Forderungen einfach wegmeditiert werden, oder wenn KollegInnen oder FreundInnen etwa die
Meditation empfohlen wird, anstatt des Ganges zur Arbeiterkammer oder zum Arbeitsgericht.291
Buddha hätte wohl nichts gegen ein solch aktiveres Eintreten für Gerechtigkeit, denn seine Lehre
der Erleuchtung meint eine andere, unvermeidliche Art des Leidens (Alter, Krankheit, Tod,
unerwiderte Liebe, etc.), die nun einmal unvermeidlich ist; aber der eigne Blickwinkel auf die
Quellen dieses Leidens ist nicht unveränderlich.
Die Balance zwischen der Anpassung der eigenen Persönlichkeit durch Interventionen
wie Meditation und/oder klassischen Schulen der Psychotherapie einerseits sowie einem
289 Slavoj Žižek, „Revenge of Global Finance.“ In These Times, 2005, zuletzt geprüft am 09.08.2020,
http://inthesetimes.com/article/2122/. 290 Wagner, „Arbeit, Burnout und der buddhistische Geist des Kapitalismus,“ 13. Eigene Hervorhebung in
Kursiv. 291 Vgl. ebd.
70
Aktivwerden um den Status-Quo in den äußeren Verhältnissen zu verändern, ist sicherlich
äußerst schwer – zu schmal ist der Grat, der notorische Unzufriedenheit von gerechtfertigter
trennt. Deshalb wird die gesamte Lebensphilosophie des Buddha gemeinhin oft als die
„Philosophie des mittleren Weges“ bezeichnet (was sich bekanntlich auf die gesunde, „heilsame“,
Balance zwischen Askese und Aktivismus bezieht) und immerhin ist eine der einflussreichsten
(Unter)Schulen im Buddhismus sogar danach benannt: die Mādhyamaka-Schule des großen
Philosophen Nagarjuna (des wohl bedeutendsten buddhistischen Lehrenden nach Buddha
selbst; siehe 3.4.2. oben.). Genau solch eine Balance ist bei der Interpretation Gert Scobels Zitat
herzustellen, wenn er den Einfluss des Buddhismus auf den Westen wie folgt verbildlicht: „Wir
müssen lernen, dass wir nie mehr festen Boden unter den Füßen haben werden, auch nie
welchen hatten. Sondern uns immer nur auf fliegenden Teppichen bewegen.“292 Ja, das westliche
Denken geht von fixen, starren Kategorien aus, die es so (zumindest im fernöstlichen taoistischen
und buddhistischen Denken) nicht gibt. Was er damit sicherlich nicht meint, ist, dass viele
Menschen ihr legitimes Fleckchen auf einem dieser Teppiche aufgeben müssen und damit auch
noch zufrieden sein sollten, nur damit einige wenige noch größere Flecken der Teppiche
einnehmen können.
Im neoliberalen Wirrwarr von Widersprüchen293, von dem sich das System letztendlich
auch nährt, ist nicht bekannt, ob Chade-Meng Tan tatsächlich durch seinen eigenen
kommerziellen Erfolg die hehren Ziele der Achtsamkeitsbewegung gefährdet sah (wie er oben
bemerkt) als er Google 2015 mit nur 45 Jahren als sehr reicher Mann in den Ruhestand verließ;
jedenfalls bekundete er ob seines enden wollenden Einflusses auf die Unternehmenskultur von
Google (und anderen Tech-Giganten) nicht ganz ohne Bedauern, dass unternehmensinterne
Achtsamkeitsbemühungen Mitgefühl und soziale Gerechtigkeit vernachlässigt hätten. Purser
schreibt, es wirkte aufrichtig, als Tan ihm anvertraute: „Let me know if I fuck up“ (zu Deutsch in
etwa: „Lass mich wissen, wenn ich versage / es vermassle“).294
Die Vermutung liegt nahe, dass Tan gemäß des großen, interdependenten Ganzen im
Sinne des Buddhismus, dem er ja laut eigenen Angaben295 als Religion angehört, tatsächlich
etwas vermasselte. Purser schreibt, wie Google soziale Passivität und Abgrenzung mithilfe eines
angeleiteten Eskapismus in den gegenwärtigen Moment systematisch präferiert.296 Der soziale
Kontext ist nicht mehr wichtig. Unternehmensinterne Achtsamkeitsprogramme schreiben dem
Mythos des „freien Individuums“ fort, in dem sie/er frei zwischen Stress und Leid oder
Wohlbefinden und Glücklichsein wählen kann. Der libertäre Freiheitsbegriff ist verlockend und
292 Deutschlandfunk, „Ethik - Meditation ohne Religion.“ Zuletzt geprüft am 01.10.2020,
https://www.deutschlandfunk.de/ethik-meditation-ohne-religion.886.de.html?dram:article_id=395574. 293 Klarheit schaffen zumindest die verabsolutierten Zahlen, welche die Welt in wertvolle Gewinner und
mindere Verlierer einteilt (siehe Kapitel 1). 294 Purser, McMindfulness. 295 Vgl. Zahn, „"Even the Rich Suffer": An Interview with Google's Jolly Good Fellow Chade-Meng Tan“. 296 Purser, McMindfulness.
71
genau deshalb sind diese neue Formen der Gedankenkontrolle (an mancher Stelle in Neusprech
sogar „neural-hacking“ genannt) so verschieden von alten Formen der Gehirnwäsche: In selbst
gewählten, freiwillig und durch nötige Selbstdisziplin absolvierten Achtsamkeitskursen werden die
neoliberalen Prämissen über die Vorzüge des Privaten und Individualisierten so im Namen der
Freiheit eingeflößt oder zumindest verfestigt.297
4.2.2. Die Eigenverantwortung, die Zufriedenheit des Selbst zu trainieren
So gut die Versprechungen von Achtsamkeit/Mindfulness – vor allem in seiner institutionalisierten
und in Franchise-Form gepressten Version als MBSR (Mindfulness-Based-Stress-Reduction) –
auch klingen mögen, es gibt verdeckte Nachteile. Der vielleicht Größte ist, dass es den Fokus
auf sich selbst und die inneren Funktionsweisen der Wahrnehmung verstärkt und dabei die
Aufmerksamkeit von Problemen in unseren modernen Gesellschaften ablenkt:
Systemimmanente Ursachen von persönlichen Belastungen wie massive Ungleichheit (auch
durch staatliche Sparzwänge) und generelle Ungerechtigkeit werden entweder nicht als solche
wahrgenommen oder wertungsfrei hingenommen. Folglich werden manche dieser Ursachen
noch verstärkt. „Nicht denken“ wird zum (Über)Lebensmotto – der Kapitalismus in seiner
jeweiligen Ausprägung wird als gegeben angenommen.298
Greta Wagner sagt hierzu in Bezug auf die Arbeitswelt, dass buddhistisch inspirierte
Ratgeber ständige, rasche Veränderung geradezu als wünschenswert erscheinen lassen.299 Falls
doch ab und an eine unerfreuliche Veränderung im Arbeitsumfeld passiert – die nicht schön
meditiert werden konnte – heißt die Devise, sich moglichst schnell „damit abzufinden und nach
vorn zu schauen“300. Sie zitiert beispielsweise das Werk Buddha at Work301, in welchem es heißt,
dass das innere Potential unerschöpflich sei, während lediglich außerhalb des Selbst beschränkte
Ressourcen existieren würden. Alles, was für Zufriedenheit und Glück benötigt würde, trage die
Person in sich selbst – jeder könne so zu seinem oder ihrem eigenen Weg finden. Obwohl hierin
sicherlich viel Wahres liegt, laufen hilfesuchende Personen Gefahr, sich selbst die Schuld zu
geben, wenn sie tatsächlich Opfer ihrer Umstände geworden sind. Hinzu kommt, dass diese
Inhalte, die auch aus einem x-beliebigen Ratgeber aus dem Füllhorn der „Positiven Psychologie“
stammen könnte, hier aus dem buddhistischen Umfeld entspringt und somit womöglich gestützt
wird durch das Gewicht der Jahrtausende alten Tradition. Zusätzlich wird dieses Gewicht erhöht,
da buddhistischer Meditationserfolg abseits schwammiger positiver Psychologie und Esoterik
297 Vgl. Purser, McMindfulness. 298 Vgl. ebd. 299 Wagner, „Arbeit, Burnout und der buddhistische Geist des Kapitalismus,“ 13. 300 Sandy Taikyu Kuhn, Buddha@work: Den Berufsalltag gelassen und achtsam meistern, 1. Aufl.
(Darmstadt: Schirner, 2014). 301 Ebd.
72
mittlerweile vermeintlich auch naturwissenschaftlich quantitativ gemessen werden könne – und
zwar direkt im Gehirn.
Richard Davidson – Professor für Psychologie und Psychiatrie an der University of
Wisconsin-Madison, Erfolgsautor von Büchern über die neuronalen Veränderungen durch
Meditation, und langjähriger Freund des Dalai-Lama – präsentiert Achtsamkeit/Mindfulness als
Fertigkeit, die vor allem zu Glücklichsein führt. Er sieht die Areale im Gehirn, die hierfür
verantwortlich sind, wie Muskeln, die trainiert gehören. Dies ist nicht falsch, das Bild taugt
durchaus als guter Vergleich, verführt jedoch auch zum Denken, wir müssten möglichst autonome
Egos entwickeln und diese fortwährend trainieren oder, in Ronald Pursers Worten: „[It] helps to
rationalize the neoliberal need for autonomous selves, while discouraging them from resisting the
status quo.“302 Der zweite Teil der Aussage bezieht sich auf die meditierenden Subjekte, die
anstatt sich aktiv an der Veränderung in Richtung einer gerechteren Gesellschaft und
gelingenden Gemeinschaft beteiligen, in sich selbst zurückziehen um durch die Beruhigung des
Geistes Gefühle der Zufriedenheit/Glück direkt herzustellen.
Soren Gordhamer, Organisator der „Wisdom 2.0“ Messe, bringt die direkte Abkürzung zur
Zufriedenheit bzw. zum Glücklichsein über das achtsame „Hier und Jetzt“ auf den Punkt: „[Stress]
is fighting or nonaccepting what is true in a given moment,[…] stress relief, then, is accepting and
allowing our experience, no matter what it is.”303 Über die Haltung, alles zu akzeptieren „ganz egal
was ist“ („no matter what is“304), wurde in dieser Arbeit bereits einiges gesagt (und beispielsweise
weiter oben als Eskapismus bezeichnet) und sie wird bald wieder in den Fokus rücken; an dieser
Stelle sei jedoch erwähnt, dass Gordhamer selbst Kritik an der Wisdom 2.0 aus dem Jahr 2012,
geäußert im Magazin „Tricycle – The Buddhist Review“ durch Journalist Richard Eskow, nicht
einfach so akzeptierte. Im Artikel “Buying Wisdom”305 wagte es Eskow unter anderem zu
schreiben:
If “mindfulness” is to create genuine change in our society, it must involve being mindful of more than
just our own need for comfort, good health, or serenity. It must entail being mindful of the social and
economic forces that allow some to prosper while others struggle, forces that promote and perpetuate
certain behaviors and thought patterns while discouraging or suppressing others. Without that
awareness, “mindfulness” will quickly descend into another luxury item that permits the few to ignore
the impact of their behavior on others. If they are to attain the significance to which they aspire,
conferences like Wisdom 2.0 must open themselves up to a broader kind of awareness than they can
achieve by promoting a feel-good, tunnel vision version of “mindfulness.”306
302 Purser, McMindfulness. 303 Soren Gordhamer, Wisdom 2.0: Ancient Secrets for the Creative and Constantly Connected (Pymble,
NSW, New York, NY: HarperCollins ebooks, 2009). 304 Purser, McMindfulness. Eigene Hervorhebung in kursiv. 305 Richard Eskow, „Buying Wisdom: The Art of Mindful Networking.“ Tricycle, zuletzt geprüft am
18.10.2020, https://tricycle.org/magazine/buying-wisdom-2/. 306 Ebd.
73
Gordhamers Bestürzung über den Artikel, aus welchem dieses Zitat stammt, drückt laut Purser
recht deutlich aus, was das zentrale Problem an der kontemporären, durch Unternehmen
gestützte und verbreitete Achtsamkeitsbewegung ist: Achtsamkeit wurde aus ihrer
(buddhistischen) moralischen Verankerung gerissen. Das offensichtliche Fehlen einer ethischen
Komponente in dieser Form von „Achtsamkeit“ spiegelt das gespannte Verhältnis wieder, das die
Firmen in Bezug zu ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung haben. Dies war und ist auch
vielen Personen, die tief aus der buddhistischen Praxis kommen, wie etwa Mönchen und
fernöstlichen Lehrenden, nicht immer bewusst. 307
4.2.3. Achtsamkeit beim Weltwirtschaftsforum in Davos
Viele buddhistische Lehrende und Mönche, wie sogar der Begründer eines „Engagierten
Buddhismus“ Thich Nhat Hanh und der Dalai-Lama selbst, zeigten sich in der Vergangenheit
immer wieder mit Vertretern der unternehmerischen Achtsamkeitsbewegung. Beim jährlich
stattfindenden Weltwirtschaftsforum in Davos ist beispielsweise der buddhistische Mönch und
„Happiest Man Alive“ Matthieu Ricard ein gern gesehener Gast. Er leitet dort häufig Meditationen
an, hört aber auch Jon Kabat-Zinn zu, wenn er predigt, dass Achtsamkeit den Unternehmen das
Quäntchen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann.308 Farias und Wikholm vergleichen
kommerzialisierte buddhistische Meditationstechniken im Gedankenexperiment mit einem
christlichen „Gegrüßet seist du Maria“ (oder ähnlichen Gebeten), das es fortan gegen Kopfweh
zu kaufen gäbe. Sie können daher der Vermutung, dass der westliche Kapitalismus viel mehr
Kraft hat die östlichen Religionen zu ändern, als umgekehrt, viel abgewinnen.309 Auch in dieser
Arbeit wurde festgestellt, dass alleine die Entwicklung eines modernistischen Buddhismus (oder,
ad Extremum, „mindfulness-only“ genannt) im 19. Jhdt. auf einem maßgeblich westlich-
kapitalistischen Konstrukt beruht.
Die bunte Palette von Vortragenden und Mitwirkenden beim Weltwirtschaftsforum zeigt,
wie sehr der neoliberale Kapitalismus über die letzten Jahrzehnte breitenwirksam wurde und wie
sehr er den Boden bereitet, auf dem alle ProtagonistInnen handeln – inklusive ernsthafter
buddhistischer Lehrender. Auch Purser stellt fest, dass der Neoliberalismus längst seine
konservativen Wurzeln hinter sich ließ und den öffentlichen Diskurs auf voller Bandbreite prägt
und führt als Beispiel eben gerade Kabat-Zinn an, der von sich selbst immer behauptet
„progressiv“ zu sein. Purser sagt im Originalton: „Market values have invaded every corner of
human life, defining how most of us are forced to interpret and live in the world.“ 310 In einer
307 Vgl. Purser, McMindfulness. 308 Vgl. Miguel Farias und Catherine Wikholm, The Buddha Pill: Can meditation change you? (London:
Watkins, 2015). 309 Vgl. Purser, McMindfulness. 310 Ebd.
74
neoliberal dominierten Welt voller Widersprüche ist es somit keine Überraschung, das sich mit
Kabat-Zinns verkündeten (und durchaus glaubwürdiger!) Vision im Hinblick auf eine
„Achtsamkeitsrevolution“ auch noch ganz gut Geld in einem System verdienen lässt, welches
selbst die Umsetzung dieser Vision beträchtlich behindert und zum Raubbau am Planeten
maßgeblich beiträgt: “Mindfulness may actually be the only promise the species and the planet
have for making it through the next couple hundred years.”311 Überdies finden buddhistische
Mönche sowie Lehrende an solch einer Vision Gefallen, weil die von ihnen vertretenden und
praktizierte Religion gerade ein Revival zu feiern scheint. Purser ist skeptisch und sagt die
“achtsame Revolution” mit folgenden Worten ab: “Anything that offers success in our unjust
society without trying to change it is not revolutionary – it just helps people cope.”312
Farias und Wikholm zitieren die Religionswissenschafterin und Zen Priesterin, Wakoh
Hickey, die das Achtsamkeitsbusiness und das neu gewonnene Interesse am Buddhismus von
ruhesuchenden Privatpersonen bis hin zu Investmentbankern deutlich kritisiert.313 Ihre Kritik
umfasst vier Punkte: Zunächst schreibt sie, dass Buddhismus (in historisch buddhistischen
Regionen) nicht maßgeblich mit Meditation zu tun hat, sondern vorwiegend mit einem Leben voll
der Hingabe und guten Taten. Hierauf aufbauend, ignoriert die „Mindfulness-as-Science“
Bewegung (gemeint ist hier, was weiter oben als „Mindfulness-Only“ bezeichnet wurde) zweitens
einen gewissen Moralkodex als Basis für die Meditation. Drittens ist die kontemporäre
Mindfulness-Bewegung höchst individualistisch, während buddhistische Praxis ganz zentral in
eine Gemeinschaft eingebunden ist. Hierauf aufbauend behandelt es, viertens, psychologisches
Leid als rein individuelles Problem und übersieht soziale Ursachen, wie etwa Armut und
Rassismus. Fünftens spricht Hickey sich dafür aus, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft
ehrlicher in Bezug auf die Limitationen der (MRT-gestützten) Achtsamkeitsforschung sein
sollten.314 Farias und Wikholm fassen zusammen, dass modernes Mindfulness-Business als
sogenannte „Buddha-Pill“ eigentlich das Interesse von Hickey und auch dem Dalai-Lama, ihre
Religion gegen eine Verzerrung und Vermarktung zu verteidigen, unterminiert315
Diesbezüglich ist die Rolle des Dalai-Lama sicherlich von höchst widersprüchlicher Natur,
da er bislang klare Worte der Kritik, wie zum Beispiel jene von Hickey, vermissen lässt. Folgende
Anekdote, soll jedoch vergegenwärtigen, dass der Dalai-Lama durchaus indirekt Kritik übt, wenn
auch auf seine eigene, charmante Weise: Am Ende eines Treffens im Rahmen einer Konferenz,
in der Wissenschaftler die klinischen Anwendungsgebiete von Achtsamkeit besprachen,
311 Sounds True, „Jon Kabat-Zinn: The Mindfulness Revolution - Sounds True.“ Zuletzt geprüft am
18.10.2020, https://www.resources.soundstrue.com/transcript/jon-kabat-zinn-the-mindfulness-revolution/.
312 Purser, McMindfulness. 313 Vgl. Wakoh S. Hickey, „Meditation as Medicine: A Critique.“ CrossCurrents 60, Nr. 2 (2010),
doi:10.1111/j.1939-3881.2010.00118.x. 314 Vgl. Farias und Wikholm, The Buddha Pill. 315 Vgl. ebd.
75
bemerkte der Dalai-Lama, dass für ihn die analytische Meditation (im Vergleich zu
konzentrativen) wichtiger sei, um die Ursachen des Leidens zu erforschen. Und jede Ursache, so
der Dalai-Lama weiter, bedürften unterschiedlicher Ansätze zu dessen Beseitigung. Interessant
ist, dass der Dalai-Lama als eine dieser Ursachen explizit die Egozentrierung („self-
centeredness“) anspricht. Er schließt mit den überraschenden Worten, dass für den effektiven
Einsatz von Intelligenz guter Schlaf wichtiger sei als Meditation. An anderer Stelle, den Treffpunkt
zwischen „Ost und West“ kommentierend, sagt er relativ deutlich: „Und in Bezug auf falsche
Ansichten sind korrekte Ansichten das einzige Gegenmittel, nicht Gebete, nicht nur bloße
Meditation.“316 Er führt nicht weiter aus, was „korrekte Ansichten“ sind, oder wie Menschen zu
ihnen kommen könnten, es ist jedoch durch Publikationen generell bekannt, dass der Dalai-Lama
einer Universalethik, welcher das menschliche Handeln mit dem nötigen ethischen Fundament
versehen, größtes Gewicht beimisst (siehe z.B.: das Werk Ethik ist wichtiger als Religion317).
Rein unternehmerisch betrachtet ist Achtsamkeitspraxis zweifelsohne eine mächtige
Praxis um konzentriertere MitarbeiterInnen zu kultivieren und Burnout hintan zu halten. Ob
hingegen buddhistische Werte wie Mitgefühl und Egolosigkeit/Altruismus ebenso durch
Achtsamkeitsmeditation transportiert werden, ist mehr als fraglich; zu sehr scheint sich im
unternehmerischen Achtsamkeitskontext eine „Mindfulness-Only“ Schule durchgesetzt zu haben,
die ohne jedes ethische Fundament, vermutlich die Handlungsmuster der Praktizierenden nur
noch verstärkt. Wie Farias und Wikholm deutlich machen, ist die westliche
Achtsamkeitsbewegung nämlich trotz fehlender ethischer Richtlinien keineswegs ein
glaubensfreier Raum: der Glaube an den Individualismus ist zweifelsohne stark und dass das,
was tief im Kern des Individuums an Potential liegt, wahr und geradezu perfekt ist318 – für Fragen
die äußerliche, relationale Wirklichkeit betreffend (wie etwa des gelingenden Zusammenlebens)
fehlt hier schlichtweg die Relevanz.
4.2.4. Goldman Sachs und Monsanto – Achtsames Greenwashing oder echte
Veränderung?
Die Zen Lehrenden Barry Magid (Psychoanalytiker und Psychiater) und Robert Meikyo
Rosenbaum (Neuropsychologe und Psychotherapeut) sehen durch westliche Achtsamkeitspraxis
eine interessante Verbindung hergestellt zwischen dem buddhistischen „edlen Kern“ einer
Person, voll des „reinen Potentials“, und dem gesellschaftlichen Kontext. Sie schreiben, dass
wenn Achtsamkeit absorbiert wird von einer konsum- und wettbewerbsorientierten sowie das
316 Dalai Lama, „Der Treffpunkt von Ost und West.“ StudyBuddhism.com, zuletzt geprüft am 18.09.2020,
https://studybuddhism.com/de/fortgeschrittene-studien/geschichte-und-kultur/buddhismus-in-der-heutigen-zeit/der-treffpunkt-von-ost-und-west.
317 Dalai Lama und Franz Alt, Der Appell des Dalai Lama an die Welt: Ethik ist wichtiger als Religion, Sechzehnte Auflage (Wals bei Salzburg: Benevento, 2016).
318 Vgl. Farias und Wikholm, The Buddha Pill, 122–23.
76
Individuum glorifizierenden Gesellschaft, läuft sie Gefahr, bloß zu einer weiteren Wahre für die
persönliche Bedürfnisbefriedigung degradiert zu werden. Da Achtsamkeit zweifelsohne auch viel
Gutes tun kann, trennen sie die Bewusstheit über das Selbst („selfawareness“) – und der Rolle
des Selbst in einem Prozess – von einer trivialeren Selbst-Involvierung („selfinvolvement“) in
diesem Prozess. Als Fundament dieses Prozesses dient nun ausgerechnet eine
Meditationstechnik die vom Buddhismus entwickelt wurde, um das Wollen („desire“; besser wäre
vielleicht taṇhā, Saskrit für „Durst“) als Wurzel allen Leids zu bekämpfen und mittlerweile in einer
Gesellschaft angewendet wird, um gewollte („desired“) Resultate zu erzielen.319 Die Paradoxie ist
offensichtlich; gesteigert wird sie noch durch das Faktum, das mit all dem viel Geld verdient wird.
Es ist zweifelhaft, ob am Ende des Prozesses nicht noch mehr Wollen anstatt der gewünschten
Befreiung steht.
Ronald Purser verdeutlicht, dass die westliche, säkulare Achtsamkeitsbewegung in einem
Klima des sich abzeichnenden Paradigmenwechsel in Richtung Neoliberalismus begann und
weist auf einen pikanten Zufall hin: 1979 war das Jahr in dem Jon Kabat-Zinns Stress Reduction
Clinic eröffnete und Margaret Thatcher im Vereinigten Königreich Premierministerin wurde. Bald
danach folgte ihr in den USA Ronald Reagan.320 Fortan wurden Individualisierung, Privatisierung
und Deregulierung bekanntlich zu den quasi-religiösen Eckpfeilern ihrer Programme und
zumindest die ersten beiden Pfeiler gelten auch für die achtsamkeitsbasierten Methoden eines
Kabat-Zinn und seinen Ablegern.
Wenn Achtsamkeitspraxis, wie Magid und Rosenbaum bemerken, ihr „buddhistisches
Herz verliert“321 – denn Achtsamkeit (Sanskrit: samadhi) kann wahrhaft buddhistisch nur
zusammen mit tief empfundener Weisheit (prajna) und Ethik (oder tugendhaftes Verhalten; sila)
sinnvoll gedacht werden, dann besteht auch die Gefahr einer unheilsamen Herztransplantation.
In Kapitel 2 wurde offensichtlich, dass der Buddhismus im Laufe der Geschichte seit Buddha
starken Veränderungen unterworfen war und dass es den einen Buddhismus eigentlich gar nicht
gibt. Wenn dem Buddhismus ein kapitalistisches Herz eingepflanzt würde, so könnte wohl
tatsächlich keine Rede mehr sein von buddhistischer Religion/Philosophie. Umgekehrt, schreibt
Ronald Purser unter Verweis auf einschlägige Artikel, könne Achtsamkeit alleine echte
Veränderungen in einer kapitalistischen Wirtschaft nicht vorantreiben und fügt in starken eigenen
Worten an: zumindest nicht in der derzeitigen Art als „marktfreundliche Palliativmedizin“ („market-
friendly palliative“), die auch als popkulturelles Phänomen immer breiter wird. Die westliche
Achtsamkeitsbewegung nimmt an, dass was im innersten des Menschen durch
Achtsamkeitsmeditation zutage gefördert wird fundamental richtig (Hickey: „fundamentally
319 Robert M. Rosenbaum und Barry Magid, „Introduction: Universal Mindfulness — Be Careful What You
Wish For?“ In What's Wrong with Mindfulness? (And What Isn't): Zen Perspectives, hrsg. v. Barry Magid und Robert Rosenbaum (Somerville: Wisdom Publications, 2016).
320 Vgl. Purser, McMindfulness. 321 Barry Magid und Robert Rosenbaum, Hrsg., What's Wrong with Mindfulness? (And What Isn't): Zen
Perspectives (Somerville: Wisdom Publications, 2016).
77
true“322) ist. Oft ist es jedoch individualistischstes Streben, dass so – ungefiltert durch die
buddhistische Lehrer der „Leere“ (oder des „bedingten Entstehens“) – nur vermeintlich für
fundamental wahr und richtungsweisend angesehen wird. Achtsamkeit fügt sich dabei so
passgenau in die vom Wirtschaftssystem geforderte Geisteshaltung ein, dass sich der neoliberale
Konsensus nur weiter verfestigt: Mächtige Wohlhabende sollten freie Bahn haben ihre Position
auszubauen. 323
Es verwundert nicht, dass auch riesige Firmen, deren Image beträchtlich angekratzt ist,
auf Achtsamkeit/Mindfulness setzen. Nebst der Kultvierung der eigenen MitarbeiterInnen als busy
bees – oder fleißige Drohnen – die sich in ungemeiner konzentrativer Versenkung der Verfolgung
von betrieblichen Zielen hingeben (ein Vergleich mit dem so genannten „Tunnelblick“ drängt sich
auf), dient eine eigene Achtsamkeitsabteilung dem Aufpolieren der eignen CSR (Corporate Social
Resposibility). Dies soll jedoch nicht implizieren, dass einige oder viele Personen, die an der
Gründung und Aufrechterhaltung von firmeninternen Achtsamkeitsprogrammen beteiligt sind,
nicht auch von dessen ethischen Wert für die Gesellschaft überzeugt sind. Chade-Meng Tan bei
Google war ein solches Beispiel, dem nicht unterstellt werden kann, die Welt nicht retten zu
wollen.
Ein weiteres Beispiel ist Monsanto. Historisch betrachtet ist die Firma der Produzent von
Agent Orange und jüngst gelangte sie immer wieder in die Schlagzeilen aufgrund der Erzeugung
genmanipulierter Supercrops324 und das dazu passende vermeintlich krebserregende
Unkrautvertilgungsmittel Roundup. Sie war 1998 aber auch einer der ersten großen Konzerne,
der ein internes Achtsamkeitsprogramm hatte. Die Trainerin damals war Mirabai Bush, die sowohl
ManagerInnen als auch WissenschaftlerInnen in die Achtsamkeitspraxis einführte. Monsanto
stoppte die Achtsamkeitskurse jedoch im Jahre 2000 schon wieder, hat seither ihre Pläne zur
Verbreitung genmanipulierter Nahrungsmittel inklusive der mehr als fragwürdigen Herbizide
weiter ausgebaut und versucht verstärkt seit 2016 (seit dem Kauf durch Bayer) eine
Vormachtstellung in der Nahrungsmittelversorgung zu erreichen. Ronald Purser kritisiert Firmen
wie Monsanto und ihre AchtsamkeitstrainerInnen auf das Schärfste, da das Prinzip, das echte
Transformation eines Unternehmens in den Kopfen der Mitarbeiter beginne, bestenfalls „wishful
thinking“sei.325
Speziell bei Monsanto lassen sich aber auch Gegenargumente auf diese harsche Kritik
finden, wie Mirabai Bush selbst schildert: Zunächst hatte Monsanto Mitte der 1990er Jahre – etwa
zeitgleich zur unternehmensinternen Achtsamkeit – tatsächlich begonnen, mit
Umweltorganisationen zusammen zu arbeiten. Ziel des CEO damals, Bob Shapiro, ist es
322 Magid und Rosenbaum, What's Wrong with Mindfulness? (And What Isn't). 323 Vgl.Purser, McMindfulness. 324 Entspricht in etwa der Bedeutung „super-resistentes und ultra-schnell wachsendes Getreide“. 325 Purser, McMindfulness, 107–8.
78
gewesen, die Nahrungsmittelversorgung einer stark wachsenden Weltbevölkerung des 21.
Jahrhunderts auf komplett neue – genetisch verbesserte – Beine zu stellen; und dabei auch die
Kritiker zu Wort kommen zu lassen. Bush sagt, sie habe eine ungemeine Öffnung des Konzerns
feststellen können und gerade deshalb wurde Shapiro als CEO abberufen, alle
Achtsamkeitskurse eingestellt. 326 Es kann daher vom heutigen Standpunkt aus beurteilt, nicht
folgerichtig eingeschätzt werde, wie sich Monsanto unter einem CEO Shapiro weiter entwickelt
hätte.
Die Betreiberin der Initiative „DharmaTown“ Jan Rosamond schreibt, wie ihr eignes
Interesse am Buddhismus (darunter „mehr als 500 Nächte der Meditation in Schweige-Retreats
mit westlichen Vipassana Lehrerenden“ 327) und ihre vielen gemeinschaftsfördernden Initiativen
auf ihrem ersten Achtsamkeitskurs bei Monsanto im Jahre 1998 beruhen.328 Sie beschreibt ihren
ersten Achtsamkeitskurs mit Mirabai Bush als „life changing“ und die Intentionen des CEO Robert
„Bob“ Shapiro als „einfach ein Geschenk für uns von Bob“ („simply Bob’s gift to each of us“ 329).
Es wurden auch Meditationen der Sorte „Metta“ („liebende Güte“) abgehalten und diese hatten
offensichtlich einen tiefgreifenden Einfluss auf Jan Rosamund, deren Angaben sehr glaubwürdig
erscheinen und deren Homepage keinerlei kommerzielles Interesse verfolgt.330 Mirabai Bush
berichtet rückblickend 20 Jahre nach ihrem Engagement bei Monsanto in einem Interview mit
dem buddhistischen Magazin Tricycle in einer Art Fazit außerdem von einer interessanten
Begegnung mit einem Wissenschaftler. Er arbeitete damals gerade am Herbizid Roundup, als er
während des Achtsamkeitskurses bemerkte:
“Mirabai, I was just sitting and I realized that we make products that kill life.” It was this surprising moment
in his meditation: that thought had never occurred to him. 331
Es ist jedoch nicht bekannt, ob der Wissenschaftler hierauf etwas in seiner eignen Firma
verändern wollte oder konnte oder ob er sich vielleicht einen andren Job suchte. Über ethische
326 Vgl. Knowledge@Wharton, „Why Mindfulness and Meditation Are Good for Business -
Knowledge@Wharton.“ Zuletzt geprüft am 24.10.2020, https://knowledge.wharton.upenn.edu/article/why-mindfulness-and-meditation-are-good-for-business/.
327 Jan Rosamond, „Dharma Town - About Us.“ Dharma Town, zuletzt geprüft am 25.10.2020, http://dharmatown.org/about-us/.: Impressum zur Homepage “Dharma Town”: “Dharma Town is intended as a sangha-building resource for practitioners of Insight, Mindfulness and Metta Meditation in the St. Louis area. In support of our practice both on and off the cushion, Dharma Town provides current information about study and sitting groups, social events and other related activities, plus reflections on all-things-dharma at ‘Dharma Town Times’ [eine Art online Zeitschrift].”
328 Vgl. ebd.: Impressum zur Homepage “Dharma Town”: “Dharma Town is intended as a sangha-building resource for practitioners of Insight, Mindfulness and Metta Meditation in the St. Louis area. In support of our practice both on and off the cushion, Dharma Town provides current information about study and sitting groups, social events and other related activities, plus reflections on all-things-dharma at ‘Dharma Town Times’ [eine Art online Zeitschrift].”
329 Jan Rosamond, „Dharma Town Times: Learning Meditation at Monsanto.“ Dharma Town, zuletzt geprüft am 24.10.2020, http://dharmatown.org/learning-meditation-at-monsanto/.
330 Vgl. ebd. 331 Wendy Biddlecombe Agsar, „Revisiting Corporate Meditation.“ Tricycle SPRING 2019 (2019), zuletzt
geprüft am 24.10.2020, https://tricycle.org/magazine/mirabai-bush/.
79
Implikationen des Achtsamkeitsprogrammes kann also wenig gesagt werden, auch wenn Mirabai
Bush selbst einräumt, dass Achtsamkeit problematisch werden könne, wenn:
[…] you’re allowing bad people to do bad things better. I would not enter a corporation that is doing
things that are not within right livelihood, such as making weapons or mining coal. But after that, it’s a
difficult ethical matter. Ethics in technology is a big issue right now—everything from fake news on
Facebook to whether Google is adjusting their algorithm for China. These are big questions, and these
practices can only help people approach them with a clearer, calmer, and more open mind. 332
Was an einer Kohlemine schlimmer ist, als an Monsanto, sei dahingestellt. Auch, ob bei dieser
Sichtweise nicht Achtsamkeitskurse bei Waffenproduzenten buddhistisch „Heilsames“ (also
„Gutes“) tun konnte, indem etwa bald nur mehr Waffen zur Verteidigung produziert werden, kann
diskutiert werden.
Abschließend zu dem Fallbeispiel Monsanto sei aus Gründen der Objektivität nochmals
darauf hingewiesen, dass die unternehmensinterne Achtsamkeitspraxis bei Monsanto nach
relativ kurzer Zeit wieder eingestellt wurde und es somit schwer ist, Schlüsse zu ziehen. Entgegen
den oftmals in der Literatur getätigten plakativen Vorwürfen, Achtsamkeit habe bei Monsanto zu
keiner Verbesserung der ethischen Standards geführt, könnte ins Treffen gebracht werden, dass
ein Wechsel an der Spitze des Unternehmens und damit das Ende der Achtsamkeit bei Monsanto
gerade wegen wirtschafts- und/oder umweltethischer Erfolge erzwungen wurde.
Das vielleicht kontroverserste gegenwärtige Beispiel für den ethisch zweifelhaften Einsatz
von Achtsamkeitsmeditation ist eine der größten Investmentbanken der Welt, Goldman Sachs.
Auch sie glaubt, gemäß Purser, das „postmodern prosperity gospel“333. William George, einer der
Vorstände von Goldman Sachs, leitet an der Harvard Business School als „senior fellow“ selbst
Kurse in „mindful leadership“ und sprach in Davos sogar vor buddhistischen Mönchen von den
unternehmerischen Vorteilen der internen Achtsamkeitskurse in der Hochfinanz. Unter anderem
bewog dieser Auftritt Mark Siemons von der FAZ im selben Jahr (2015) folgende Fragen zu
stellen, die gleichzeitig das zentrale Forschungsinteresse dieser Arbeit darstellen: „Was bedeutet
das? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Kapitalismus und Buddhismus?“ Er fügt an: „Es
ist auffallend, das es ausgerechnet die derzeit avanciertesten, gesellschaftlich prägendsten
Sektoren der Wirtschaft sind, die am meisten spirituelle Praktiken des Ostens übernehmen.“334
Goldman Sachs zeigt dies sehr deutlich und William George bringt es in seiner Rede in
Davos bald auf den Punkt: “The main business case for mindfulness is that if you’re more focused
on the job, you’ll become a better leader.”335 Einige Jahre zuvor schrieb der Buddhismusforscher
und Lehrende David Loy einen offenen Brief an George, dass er seine Fürsprache hinsichtlich
Achtsamkeitspraktiken für Manager kritisiert. Die zentrale Frage in Loys Brief war, ob die
332 Biddlecombe Agsar, „Revisiting Corporate Meditation“. 333 Purser, McMindfulness. 334 Siemons, „Der erleuchtete Angestellte“. 335 Purser, McMindfulness.
80
meditativen Praktiken irgendeine positive Auswirkung auf die Corporate Social Responsibity
(CSR) hätten. Der Brief enthielt auch eine Aufstellung unethischer hochproblematischer Praktiken
von Goldman Sachs und anderer Unternehmen mit internen Achtsamkeitsprogrammen. Er
bekam nie eine Antwort.336 Das Vermessene und Scheinheilige daran ist, dass nicht mit offenen
Karten gespielt wird: Wenn es marketingtechnisch passt, wird die „Buddhismuskarte“ gespielt. So
stand in Davos etwa morgens um 8:00 „Mr. Mindfulness“ hochstpersonlich, Jon Kabat-Zinn, mit
einer Morgenmeditation am Programm. Unter den Anwesenden waren, wie bereits gesagt, auch
buddhistische Mönche und andere buddhistische Lehrende.337
Ein kleiner Exkurs weg von Goldman Sachs hin zur Weltbank sei an dieser Stelle erlaubt,
da die „Buddhismuskarte“ im folgenden Beispiel gespielt wurde, wie kaum irgendwo. Kein
geringerer als der damals 87 jährige einflussreiche (Star-)Mönch und Begründer eines
„Engagierten Buddhismus“ und Vater des „Intersein-Ordens“ Thich Nhat Hanh sowie 20 seiner
Mitbrüder veranstalteten mit dem Präsidenten der Weltbank und 300 seiner Banker eine
Gehmeditation mitten in Washingtons Downtown. Streng gemäß den Regeln der achtsamen
Gehens wurde das Hupkonzert der Autos ignoriert oder, hier vielleicht passender, zwar
wahrgenommen und „ziehen gelassen“.338 Der Economist beschreibt diese Gehmeditation wie
eigentlich den gesamten “Tag der Achtsamkeit“, den die Weltbank am 10.09.2013 beging, als
„lächerlich“ („ridiculous“). Thich Nhat Hahn wird den Worten zitiert, dass er an die „Macht der
Ziellosigkeit“ glaubt und dass die Zivilisation von „gefräßigem“ („voracious“) Wirtschaftswachstum
bedroht ist.339 Die Weltbank hingegen wurde als maßgeblicher Beschleuniger des neoliberalen
Systems, in dem Wachstum ein quasi-religiöses Muss auf dem Weg zur Erlösung gesehen wird,
oft für ihre Rolle kritisiert. Wieder ist nicht ganz klar, wie ein solcher Auftritt aus buddhistischer
Sicht beurteilt werden soll – von reiner Marketingstrategie, über ein buddhistisch-ethisches
Placebo im Sinne eines „besser-als-gar-nichts“ bis hin zu einem echtem Änderungsbestreben der
Institution ist alles denkbar (falls im Buddhismus nicht ohnehin eine Bewertung entfallen sollte!).
Wieder Bezug nehmend auf Goldman Sachs fällt auf, dass mittlerweile im Jahr 2020 noch
mehr Beschäftigte an Achtsamkeitskursen teilnehmen können und auch wollen: Die Kurse, in
denen die TeilnehmerInnen vorwiegend lernen ihren Atem und ihre Gedanken zu beobachten,
haben sogar Wartelisten mit hunderten InteressentInnen. Die Meditations-Lehrerin Elizabeth
Sudler wird mit dem Satz zitiert, der viel über die Motive der Meditierenden aussagt: „Goldman-
Mitarbeiter stehen unter einer Menge Druck. Niemand will zurückbleiben.“
336 Vgl. Purser, McMindfulness. 337 Vgl. Siemons, „Der erleuchtete Angestellte“. 338 Ebd. 339 Vgl. The Economist, „Reforming the World Bank - Zen and the art of poverty reduction: Calm and
confusion at the world’s biggest development institution.“ The Economist, zuletzt geprüft am 21.07.2020, https://www.economist.com/finance-and-economics/2013/10/18/zen-and-the-art-of-poverty-reduction.
81
Die Wissenschaft stellt sich voll hinter die, wie es im Handelsblatt heißt,
„Entspannungstechnik“340. Nun ist Achtsamkeitsmeditation sicherlich mehr als das, jedoch bietet
die vermeintlich wissenschaftlich fundierte und ursprünglich buddhistische Praxis sicherlich auch
Entspannung – wenn die Probleme des Alltags und der Welt im kleinen und im großen
ausgeblendet werden können. Der Artikel im Handelsblatt zitiert auch die langjährige
Achtsamkeitslehrerin Joan Halifax vom Upaya Zen Center in Santa Fe, New Mexiko, die sich
Sorgen macht, dass „die Konige der Wall Street die Meditation für ungerechtfertigte Zwecke
nutzen“ und schlussendlich die Augen vor der ethischen Komponente dieser ursprünglich
buddhistischen Praktik verschließen. Sie sagt auch: „Man kann Menschen mit Meditation zu
Scharfschützen ausbilden.“341
Entspannung, Beruhigung und gesteigerte Konzentrationsfähigkeit, dies alles kann
regelmäßige Achtsamkeitspraxis sicherlich für das Individuum leisten. Befunde legen jedoch
nahe, dass sich das, was wir weiter oben „inneren Kern“ einer Person genannt haben, dabei
jedoch nicht nachhaltig verändert. Richard Cohen beschreibt in Beyond Enlightenment342, dass
die Sinneserfahrung niemals in unmittelbarer Weise abläuft, sondern dass das, was wir als direkte
Erfahrung der Welt wahrnehmen, in Wirklichkeit ein Amalgam aus tatsächlichen
Sinneseindrücken (über die Sinnesorgane) und geistigen Verarbeitungsprozessen (im Gehirn)
darstellt. Und der springende Punkt ist: Die bisherige mentale Konditionierung eines Menschen
läuft bei diesen Prozessen noch immer im Hintergrund mit. Die mittlerweile im Westen so
populäre Zugang des „Mindfulness-Only“ läuft somit reelle Gefahr, Menschen, die in einem sehr
kapitalistischen, stark kompetitiven Umfeld sozialisiert (und „konditioniert“) wurden, zu besseren
Ausführenden ihrer individualistischen und selbst-zentrierten Praktiken zu machen. Richard
Cohen fasst zusammen, dass die grundlegende Konditionierung noch läuft während wir durch
Achtsamkeit bloß unsere Gedanken etwas leiser drehen.343
Nebst Goldman Sachs wird im Artikel des Handelsblatt über das Verhältnis von
Hochfinanz und Meditation außerdem Multimilliardär Ray Dalio genannt. Er sagt von sich, dass
Meditation, die er schon seit 42 Jahren und zwar zumeist zwei Mal täglich für je 20 Minuten
praktiziert, der „wichtigste Faktor bei seinem Erfolg ist.“ 344 Dalio ist, wie etwa Bill Gates, Teil des
Giving-Pledge Programms und gibt angeblich einen Großteil seines Vermögens von mittlerweile
circa 15 Milliarden U$ für gemeinnützige Zwecke.345 Gleichzeitig wettet er mit seinem Hedgefonds
340 Handelsblatt, „Wenn Wall-Street-Profis meditieren:: „Ich reagiere auf volatile Märkte jetzt viel ruhiger“.“
Handelsblatt, 05.06.2014, zuletzt geprüft am 25.10.2020, https://www.handelsblatt.com/finanzen/maerkte/boerse-inside/wenn-wall-street-profis-meditieren-ich-reagiere-auf-volatile-maerkte-jetzt-viel-ruhiger/9995114-all.html.
341 Ebd. 342 Richard S. Cohen, Beyond Enlightenment: Buddhism, Religion, Modernity, Routledge critical studies in
Buddhism (London: Routledge, 2006). 343 Vgl. Purser, McMindfulness, 72. 344 Handelsblatt, „Wenn Wall-Street-Profis meditieren:“. 345 Vgl. ebd.
82
– also mit Hilfe geborgten Geldes (!) – während der Entstehung dieser Abschlussarbeit gegen
europäische und hier vor allem deutsche Unternehmen und setzt gerade damit die besagten
Wirtschaften weiter unter Druck.346 Außerdem setzt er in seinem Unternehmen auf die totale
Überwachung seiner MitarbeiterInnen indem er ihre Büros abhört und digital alle ihrer Cyber-
Schritte verfolgt.347 Die moralische Bewertung dieses vermeintlich durch jahrzehntelange
Meditation gestärkte Superhirns fällt komplex aus: Dalio tut womöglich viel Gutes mithilfe seiner
Spenden; seine abgehörten MitarbeiterInnen arbeiten aus freien Stücken und für viel Geld für ihn
und ein Argument, das fast immer kommen muss bei solch zwiespältigen Fällen ist jenes: Würde
er es nicht tun gäbe es vielleicht Schlimmere, die womöglich nicht so viel von ihrem Reichtum
gemeinnützig abgeben.
Eine abschließende Antwort zu der Frage, ob Achtsamkeitspraktiken Unternehmen über
die einzelnen praktizierenden Manager oder MitarbeiterInnen zu sozialethischeren Unternehmen
machen, kann natürlich hier nicht gegeben werden – es darf jedoch bezweifelt werden, dass dem
so ist. Einen Klärungsansatz gibt Thich Nhat Hanh, der den Begriff Mindfulness/Achtsamkeit
selbst konzeptuell hinterfragt:
“We need not fear that mindfulness might become only a means and not an end because in mindfulness
the means and the end are the same thing. There is no way to happiness; happiness is the way. […] If
you consider mindfulness as a means of having a lot of money, then you have not touched its true
purpose, […] It may look like the practise of mindfulness but inside there's no peace, no joy, no
happiness produced. It's just an imitation. If you don't feel the energy of brotherhood, of sisterhood,
radiating from your work, that is not mindfulness.“348
Echte Mindfulness/Achtsamkeit würde somit immer zu Glücklichsein/Zufriedenheit führen sowie
Geschwisterlichkeit ausstrahlen. Womit noch immer die Problematik bleibt, dass der
Gedankenaustusch in einem wissenschaftlichen Diskurs nur mithilfe von Begriffen – eines
institutionalisierten Zeichensystems – möglich ist und niemals exakt erfasst – und nicht gefühlt –
werden kann, was genau „echte“ Mindfulness/Achtsamkeit von anderen „unechten“ Konzeptionen
mit demselben Namen trennt.
346 Vgl. Daniel Bakir, „Hedgefonds-Chef Ray Dalio wettet Milliarden gegen deutsche Konzerne.“
STERN.de, 23.03.2020, zuletzt geprüft am 27.10.2020, https://www.stern.de/wirtschaft/news/hedgefonds-chef-ray-dalio-wettet-milliarden-gegen-den-dax-9193832.html.
347 Vgl. Dennis Kremer, „Der rücksichtslose Mr. Dalio.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.04.2016, zuletzt geprüft am 26.10.2020, https://www.faz.net/aktuell/finanzen/fonds-mehr/der-ruecksichtslose-mr-dalio-14170106.html?printPagedArticle=true#pageIndex_3.
348 Jo Confino, „Thich Nhat Hanh: is mindfulness being corrupted by business and finance?“ The Guardian, 28.03.2014, zuletzt geprüft am 21.07.2020, https://www.theguardian.com/sustainable-business/thich-nhat-hanh-mindfulness-google-tech.
83
4.2.5. Meditationsapps
Die Problematik, was „echte“, buddhistische Achtsamkeit von reinen Konzentrations- und
Beruhigungsübungen trennt, potenziert sich durch die hunderte millionenfache Nutzung von
sogenannten Achtsamkeitsappps (Smartphone-Apps, welche buddhistisch inspirierte Meditation
anbieten). Das offizielle Verhältnis dieser Apps zum Buddhismus ist ähnlich dem breiteren
Achtsamkeitsbusiness generell: Die Inhalte der Apps würden, so die App-Entwickler, auf
Jahrtausende altem Wissen basieren, zumeist ohne den Buddhismus selbst zu nennen (siehe
z.B.: Headspace auf der nächsten Seite), es sei denn es ist marketingstrategisch von Wert.
Außerdem sei die Wirkung von Achtsamkeit von Neurowissenschaftlern bestätigt; „die“ Wirkung
nämlich, verstanden als nahezu Allheilmittel von der Bekämpfung eines physischen Schmerzes,
über die bessere Produktivität am Arbeitsplatz, bis hin zum recht vagem generellen
Glücksempfinden.
Obwohl Firmen die religiöse Wurzel der Programme gemeinhin respektieren, haben sie
keinen Wunsch, die auch zu verkaufen, sagt Chen und fasst die gegenwärtige
Achtsamkeitsindustrie mit folgendem Satz zusammen: “It’s been transformed into a secular tool
for self-optimization.”349 Beispiele umfassen allen voran Headspace, dessen Gründer Andy
Puddicombe selbst sogar ein buddhistischer Mönchsnovize war, und auch den Gründer des eben
genannten Startups Muse (EEG-Stirnband350), Ariel Garten. Er verweist direkt auf buddhistische
Praktiken („beautiful and deep roots in Buddhism“) um gleich darauf sozusagen zum Wohle der
säkularen Mehrheit davon Abstand zu nehmen; denn Muse wurde laut ihm nach folgendem
Prinzip kreiert: „[…] as a secular device that is accessible to all“. 351 Es darf angenommen werden,
dass zu viel Buddhismus potentielle Kunden abschrecken würde und Inhalte somit plötzlich nicht
mehr „zugänglich“ („accessible“) wären.
Carolyn Chen, Professor für “Asian American and Asian Diaspora Studies” an der
University of California, Berkeley, weist auf die unglaubliche Fülle von Apps mit
Meditationsangeboten hin (wenn auch nicht alle auf speziell buddhistischer
Achtsamkeitsmeditation beruhen). Ihre Suche im App Store ihres Smartphones ergab sogar mehr
als 1000 Treffer. Einige der prominentesten (nach Nutzern und Marktwert) seien hier genannt:
Headspace und Calm teilen sich zur Zeit ungefähr ex-aequo die Nummer 1. Ihr Marktwert jeweils
liegt bei mehreren Hundertmillionen U$ (Calm wurde einmal sogar auf 1 Milliarde geschätzt).
349 Caitlin Yoshiko Kandil, „Meditation apps proliferate, even if what they provide is not enlightenment.“
Religion News Service, zuletzt geprüft am 28.08.2020, https://religionnews.com/2019/10/15/meditation-apps-proliferate-even-if-what-they-provide-is-not-enlightenment/.
350 Außer der Smartphone Apps entwickeln Startups im digitalen portablen Bereich gerade Technologien, um die Meditationserfahrung selbst zu verbessern. „Muse“ zum Beispiel, ist eine Art EEG-Stirnband, das Gehirnaktivität misst und es so den meditierenden Personen ermöglichen soll, ihren Fortschritt zu messen und die Meditationen genauer auf die individuellen Bedürfnisse abzustimmen. Obwohl sich diese Arbeit nicht weiter mit diesen experimentellen Technologien auseinandersetzten wird, soll an dieser Stelle explizit darauf hingewiesen werden, dass Entwickler anscheinend die Nachfrage für noch individuellere Selbstoptimierung spüren.
351 Yoshiko Kandil, „Meditation apps proliferate, even if what they provide is not enlightenment“.
84
Erwähnenswert sind sicherlich noch Simple Habit, welche zumeist fünf Minuten kurze angeleitete
Meditation anbieten (z.B.: „letting go of your work worries“; „mini retreat for mums“) und Insight
Timer, deren Marktwert zwar weit abgeschlagen ist, was jedoch ganz im Gegenteil nicht für die
Nutzerzahlen gilt.352
Headspace hat laut eigenen Angaben 36 Millionen NutzerInnen in mehr als 190 Ländern
(also eigentlich in fast allen Ländern der Erde)353, die sich nicht nur an den geleiteten
Meditationen, sondern auch an den liebevoll animierten Begleitvideos erfreuen. Headspace
entstand 2010 als Kooperation zwischen dem früheren Mönch (der tibetischen Schule) Andy
Puddicombe (er war Mitte 30) und einem jungen und damals angsterfüllten Werbefachmann Rich
Pierson, der in den Nachwehen des großen Wirtschaftsabschwungs von 2008/09 eine geleitete
Gruppenmeditation bei Puddicombe besucht hatte. Das Aufkommen der ersten Smartphones
sowie Piersons Idee über diese neue Technologie Puddicombes angeleiteten Meditationen direkt
an die Nachfrage zuzustellen, schufen unter Zuhilfenahme von nur 50.000 Dollar (geborgt von
Piersons Vater) eine Multimillionen-Dollar-Unternehmen; denn Investoren und WerbeträgerInnen
ließen nicht lange auf sich warten: Richard Branson zählt ebenso zu den UnterstützerInnen wie
Oscar Preisträgerin Gwyneth Paltrow, Basketballstar Lebron James und LinkedIn CEO Jeff
Weiner.354
Die Mission und das Versprechen von Headspace ist, Meditation zu vereinfachen. Dies
geschieht indem Achtsamkeit im standardisierten Format auf kleine Häppchen
heruntergebrochen und leicht zugänglich serviert wird – gleichzeitig schnellen die
Unternehmensprofite hinauf. Ein ursprünglich von George Ritzer definierter Prozess mit dem
vielsagenden Namen „McDonaldisierung“355 wird durch Achtsamkeitsapps in eine neue
Dimension gehoben: Das erste Kriterium „Effizienz“ (Massenproduktion und Zugänglichkeit) ist
auf Knopfdruck gegeben (obwohl auch schon Jon Kabat-Zinns achtwöchige
Achtsamkeitsprogramme schon sehr „effizient“ in diesem Sinne sind). Das zweite,
„Kalkulierbarkeit“, durch genaues „User-Tracking“ (z.B.: diese und jene Minuten wurden in diesem
und jenem Zeitraum meditiert) ist auch gegeben. Eine oberflächliche Quantifizierung wird so um
ein vielfaches wichtiger als die Qualität oder Tiefe eines Prozesses (wie im Neoliberalismus
üblich). Drittens, und von Purser als essenziell betrachtet, ist „Voraussagbarkeit“, indem die
Produkte den Erwartungen der Nachfragenden entsprechen muss – das tut es gerade deshalb,
da die App die Erwartungshaltungen der User nie mit Überraschungen enttäuscht. Schließlich
wird auch das vierte Kriterium „Kontrolle“ erfüllt, indem die Apps das notige Feedback für die
Meditierenden bietet;356 auch wenn dies auch etwas abstrakt ist, denn was genau „erreicht“
352 Vgl. Yoshiko Kandil, „Meditation apps proliferate, even if what they provide is not enlightenment“. 353 Vgl. Headspace, „Was ist Headspace?,“ zuletzt geprüft am 11.07.2021,
https://www.headspace.com/de/about-us. 354 Vgl. Purser, McMindfulness, 120. 355 George Ritzer, Die McDonaldisierung der Gesellschaft, 4., völlig neue Aufl. (Frankfurt am Main: S.
Fischer, 1995). 356 Vgl. Purser, McMindfulness, 122.
85
wurde, kann nicht gesagt werden (anders ist es vielleicht bei „achtsamen Soldaten“ und deren
„Erfolgsbilanz“ hinsichtlich ihrer konkreten Tötungen; siehe 4.8 weiter unten).
Durch die McDonaldisierung von Achtsamkeit – sehr wahrscheinlich begonnen durch
Kabat-Zinns standardisierten 8-wöchigen Kurs und mittlerweile digitalisiert als Massentool – läuft
diese Jahrtausende alte buddhistische Technik Gefahr, sich ins Gegenteil zu verkehren.
„Downloading an app as a digital detox is irrational”357, sagt Purser und dies könnte auch für die
breitere westlich säkulare Achtsamkeit gelten: der Fokus auf ein isoliertes Selbst und die
Optimierung der eigenen Bedürfnisbefriedigung verträgt sich nicht gut mit buddhistischen
Leitlinien wie „rechtem Lebenserwerb“, „Mitgefühl“ und „liebender Güte“ sowie dem großen
buddhistischen Ziel der Egolosigkeit oder der Erkenntnis, dass alles, auch das eigene Selbst, für
sich genommen leer ist und nur unter Einbeziehung des Miteinanders entstehen kann. Anstatt
vieler diverser Mahlzeiten reich an Erfahrungen, welche aus dieser buddhistischen
Lebensphilosophie entspringen, winkt eine Serie hochst „effizienter“ Big Mac Mahlzeiten.
Kate Pickert hingegen sieht in der von ihr (mit)ausgerufenen „Mindfulness Revolution“ die
individuelle Achtsampraxis durch Meditationsapps sehr positiv („tapping technology for solutions”)
und untermauert ihre Meinung durch Hirnstudien über meditierende Mönche und deren auffallend
hohe Gammawellenproduktion. Was diese Gammawellen für eine Gesellschaft bedeuten, das
wird nicht gesagt – immerhin kann noch nicht einmal eindeutig nachgewiesen werden, dass die
veränderten Gehirnaktivitäten das persönliche Glücksgefühl nachhaltig steigern (siehe
Unterkapitel 4.4. unten zu den überzogene Erwartungen von Meditation). Überhaupt findet sich
in dem gesamten TIME Artikel keine einzige kritische Anmerkung darüber, dass
Mindfulness/Achtsamkeit 2014 bereits zur standarisierten, professionell vermarkteten
Massenware geworden war und so lässt sie auch Puddicombes Leitsatz unkommentiert stehen,
wenn er über sein Startup Headspace sagt: „It’s unplugging by plugging in.”358
Die Delikatesse Achtsamkeit läuft auf diese Weise Gefahr aus dem buddhistischen
Kontext gerissen und als uniformer Big Mac serviert, zu einer bloßen Reißleine hin in den
gegenwärtigen Moment zu verkommen. Zumindest gewinnen wir den Eindruck, wenn Pickert das
„ultimative Ziel“ von Achtsamkeit – auch anhand der von ihr gewählten Beispiele – beschreibt:
„[…] the ultimate goal is simply to give your attention fully to what you’re doing. One can work mindfully,
parent mindfully and learn mindfully. One can exercise and even eat mindfully. The banking giant Chase
now advises customers on how to spend mindfully.359
Es ist nicht angebracht diesen Abschnitt als bloß falsch oder unrichtig abzukanzeln. Aber Pickert
vergisst zumindest zu erwähnen, dass sie implizit „western corporate mindfulness“ (also eine
westliche, kapitalistisch orientierte Version von Achtsamkeit) oder „McMindfulness“ unter dem
357 Purser, McMindfulness, 122. 358 Pickert, „The Mindful Revolution“. 359 Ebd.
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Begriff „Mindfulness“ versteht, nicht jedoch auch zumindest teilweise die ursprüngliche,
buddhistische Bedeutung, in welcher das ultimative Ziel sicherlich nicht bloß in der vollen Hingabe
an den gegenwärtige Moment liegt, sondern im Nirvana, in der Erleuchtung, im Ende der
Verblendung.360
Ein Ziel, wie auch immer dies genau benannt werden soll, ist laut dem Soto Zen Priester
Daigan Gaither, einem Lehrenden in der San Francisco Bay Area, „spirituelles Wachstum“
(„spiritual growth“). Er selbst kennt nur wenige BuddhistInnen, die jemals eine App benutzt haben
und sagt:
In Zen, we say that Zen is passed warm heart to warm heart. […] You have to have a relationship with
somebody to have that warm heart. That’s not to say there’s not a place for technology in the practice
of Buddhism, but I don’t think we can take the human interaction out of it. 361
Außerdem verweist auch er auf das Faktum, dass Meditation ohnehin nur ein Teil des
Buddhismus ist, welcher vor allem im Westlichen Buddhismus extrem stark ausgeprägt ist.
Umgekehrt wird Mediation im Westen zunehmend zu einem Marktinstrument komplett abseits
des Buddhismus oder des Hinduismus (er inkludiert hier transzendentale Meditation). Hier wird
Gaither anklagend: “Capitalism is using meditation to further its focus on increasing production
and is using meditation as a way to get people to work harder.”362 Zumindest hinsichtlich des
“spirituellen Wachstum” konnte ein gefühlt verbessertes Selbst oder noch besser, gesteigerte
Produktivität in absoluten Zahlen durch meditative Selbstoptimierung auch zu solchem Wachstum
verhelfen – nur dass die Spiritualität Neoliberalismus heißt.
Headspace, das ebenfalls großes Wachstum erlebt, ist jedoch näher am Buddhismus
gebaut, als die App das weismachen will. Wie Gurewitz jüngst feststellte, findet sich das Wort
Buddhismus nirgends in den Inhalten. Klicken User jedoch auf das Video „Why We Meditate“,
spult Headspace das Narrativ über die Gründung der App ab – es ist dabei das einzige Video,
dass eine echte Person anstatt einer Animation zeigt: es ist Andy Puddicombe selbst, der im
Death Valley stehend über seine Erfahrungen im Death Valley und die Ursprünge der
Meditationen in Headspace reflektiert:
Sitting by that volcano, it struck me that the exercises we use on Headspace, all the teachings actually,
they're older than that volcano, they’re older than 2000 years, they go back maybe more than 2500
years. We get so many questions,[sic] in at Headspace, asking ‘Where did Andy do his training?’ and
‘Where did the techniques come from?’ and ‘What are the teachings based on?’ and I think it’s really
important, it’s a great question, and it’s really important, because it’s not like, you know I made these up
(laughs), this was a really big part of my life, for many many years. I trained with really really wise
teachers… The particular tradition I trained in the Tibetan school, it’s often called the oral tradition. And
the idea is that every single teaching is passed down from teacher to student, in person. So you can’t
even practice the teaching, you can’t just learn it from a book, and then just practice it, in order to even
360 Es darf sogar bezweifelt werden, dass in der westlichen Konzeption das ultimative – also letzte – Ziel
die unmittelbare Wahrnehmung des Moments ist. Andere ultimative Ziele von besonders starker Konzentrationsfähigkeit bis hin zum Erzeugen von Gefühlen purer Glückseligkeit werden hier üblicherweise genannt als Endziel genannt.
361 Yoshiko Kandil, „Meditation apps proliferate, even if what they provide is not enlightenment“. 362 Ebd.
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get the instructions and the materials you need to practice it, you have to go and sit with a teacher and
have that exchange. 363
In ihrer anschließenden Analyse des Transkripts verdeutlicht Gurewitz, in der sie auf einzelne
Passagen eingeht (z.B.: das Alter der Tradition; Puddicobes Training in der tibetischen Tradition;
etc.) dass es sich natürlich nur um den Buddhismus und eine buddhistische Praxis handeln kann.
Interessant ist, dass Puddicombe in der letzten Zeile explizit auf die Notwendigkeit eines
Austausches mit einem Lehrenden hinweist („you have to go and sit with a teacher and have that
exchange“). Ist die App dieser Lehrende?
Viele BuddhistInnen kritisieren gerade diese individualisierte und unsoziale Art der Praxis,
da die „Drei Juwelen“ (oder „Edelsteine“) im Buddhismus bekanntlich aus Buddha, Dharma (die
Lehrer des Buddha) und Sangha (Gemeinschaft) bestehen. Gerade Letzteres geht (zumindest)
in (dieser Art) der technologiegestützten Meditation verloren (denn in Zeiten der sogenannten
Corona-Lockdowns haben sich online Meetings über Webcams auch unter „echten“
buddhistischen Gemeinschaften als äußerst nützlich erwiesen), sei es zwischen den Lehrenden
und den einfachen Praktizierenden oder unter den Praktizierenden untereinander. 364
Diese extreme Privatisierung greift auch Gurewitz abschließend in ihrer Analyse von
diversen aktuell (2020) auf dem Markt befindlichen Meditationsapps auf. Zunächst werden durch
Meditationsapps einfach nur Phänomene verstärkt, welche bereits seit dem Beginn des
„Buddhistischen Modernismus“ im 19. Jahrhundert begannen, als der Westen den Buddhismus
entdeckte und den Begriff damit im Grunde erst erfand (siehe 3.6 und 3.7. oben). Diese
Phänomene sind Psychologisierung, Entmythologisierung, und Deinstitutionalisierung.365
Letzteres verspricht im Umkehrschluss die stärkere Privatisierung, welche gerade der
neoliberalen Gesellschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts sehr gelegen kommt und durch die
wachsende digitalisierte Individualisierung verstärkt wird. Der Befund, dass Meditationsapps den
modernistischen Buddhismus, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Strategie
gegen366 die westlichen, zumeist protestantischen Kolonialherrscher durchzusetzen begann, in
eine neue Dimension gehoben haben, ist sehr wahrscheinlich zutreffend.
Eine andere kritische Stimme hinsichtlich Meditations-Apps und des
Achtsamkeitsbusiness generell wird unter dem Namen Ikeda zitiert, wobei dies
höchstwahrscheinlich nicht ihr richtiger Name ist. Sie selbst hat nämlich eine geleitete Meditation
für die App Liberate aufgenommen, speziell für die „people of color community“ (vor allem
Schwarze und Indigene), hält aber eigentlich wenig von dieser Technologie. Sie ist besorgt, dass
363 Kylie I. Gurewitz, „Mindful of a Profit? A Critical Analysis of Meditation Apps in the Context of
Neoliberalism and Western Constructions of Religion“ (University of Puget Sound, 2020), https://soundideas.pugetsound.edu/honors_program_theses/34, 18–19.
364 Vgl. Yoshiko Kandil, „Meditation apps proliferate, even if what they provide is not enlightenment“. 365 Vgl. Gurewitz, „Mindful of a Profit? A Critical Analysis of Meditation Apps in the Context of
Neoliberalism and Western Constructions of Religion,“ 7. 366 Oder vielleicht sollten wir eher sagen, eine Strategie um besser mit den Kolonialherrschenden
auszukommen.
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die Dekontextualisierung von Meditation weg von den buddhistischen spirituellen und
moralischen Wurzeln unethische Konsequenzen zeitigen wird:
When we strip it as a meditation technique out of that huge, very rich foundation of ethics and morality,
it becomes a technique that could be used for any goal that we set and that we need more concentration
for, even if it’s to, say, exploit factory workers or to do many unethical or violent things with no conscience
whatsoever.”367
Ikeda verkörpert in Ansätzen eine typische Akteurin in dem neoliberale Dilemma, das auf dem
natürlichen Wunsch beruht, sich selbst nicht den Boden unter den Füßen wegreißen zu wollen.
Sie verdient etwas Geld mit dem Bereitstellen einer Praktik, die sie selbst moralisch hinterfragt
und niemals selbst ausüben würde.
4.2.6. „Mr. Mindfulness“ mit ersten Zweifeln
Am anderen Ende des Spektrums der Wirkmächtigkeit im neoliberalen Uhrwerk befindet sich
John Kabat-Zinn. Die neoliberalen Auswüchse seiner ursprüngliche Vision, viel Gutes zu tun,
indem er die gesundheitlichen Vorteile buddhistische Achtsamkeit der breiten Masse – ohne
Zweifel gegen viel gutes Geld – zugänglich macht, scheinen ihn mittlerweile selbst zu
beunruhigen. Nach 35 Jahren seit der Gründung seiner achtwöchigen Achtsamkeitsprogramme,
die im letzten Jahrzehnt bekanntlich auch mit „McMindfulness“ in Verbindung gebracht wurden,
gab es 2015 erstmals vorsichtig Kritisches von Kabat-Zinn selbst zu hören. Er schreibt im
Guardian eher als Randbemerkung:
As critics are correct to point out, a real understanding of the subtlety of mindfulness is required if it is
to be taught effectively: it can never be a quick fix. Some have expressed concerns that a sort of
superficial “McMindfulness” is taking over which ignores the ethical foundations of the meditative
practices and traditions from which mindfulness has emerged, and divorces it from its profoundly
transformative potential. While this is far from the norm in my experience, these voices argue that for
certain opportunistic elements, mindfulness has become a business that can only disappoint the
vulnerable consumers who look to it as a panacea.368
Kabat-Zinn spricht dabei die Problematik zentral an, schwächt sie dann jedoch gegen Ende
merklich ab („far from the norm“). Deutlicher wird er in einem Interview mit dem „Netzwerk Ethik
Heute“ zwei Jahre später (2017), indem er sagt:
Jemand, der Achtsamkeit unterrichtet, sollte wissen, wie schwierig es ist, achtsam zu sein, und wie
leicht es ist, unachtsam zu sein sogar, wenn es um Achtsamkeit geht. […] Und das ist kein konzeptuelles
Wissen. Es ist Achtsamkeit, es ist Bewusst-Sein. Wichtig ist, dass man sich seiner eigenen Impulse
bewusst ist, der Impulse für Gier, Hass, Täuschung, Selbstzentriertheit.[…] Wenn man sich jedoch
selbst als den Mittelpunkt des Universums betrachtet und denkt: „Ich bin ein toller Mensch, ich mache
tolle Sachen, schaut mich an!“, – jeder tut das bis zu einem gewissen Grad – … und sich dessen nicht
367 Yoshiko Kandil, „Meditation apps proliferate, even if what they provide is not enlightenment“. 368 Jon Kabat-Zinn, „Mindfulness has huge health potential – but McMindfulness is no panacea.“ The
Guardian, 20.10.2015, zuletzt geprüft am 01.11.2020, https://www.theguardian.com/commentisfree/2015/oct/20/mindfulness-mental-health-potential-benefits-uk.
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bewusst ist, dann richtet es Schaden an. Man schadet nicht nur sich selbst, sondern auch seiner Familie
und allen anderen […] Man redet nicht über Mitgefühl, bla, bla, bla… Man ist mitfühlend. Man sagt nicht
ständig Achtsamkeit, Achtsamkeit, Achtsamkeit … Man sollte das Wort am besten kaum verwenden,
weil es zu abgenutzt ist. Wie wäre es mal mit „Wachheit“, „Gewahrsein“ oder „Herzlichkeit“? Wenn man
zu viel über Achtsamkeit spricht, wird es brrrrrrr…. Ist man aber achtsam, dann spüren das die
Menschen sofort. Sie sagen einem dann Dinge wie: „Oh, Sie sind so präsent!“369
Und etwas weiter später im Interview, verteidigt Kabat-Zinn die strengen Zertifizierungsrichtlinien
um offiziell als Lehrender von MBSR tätig sein zu dürfen:
Es ist auf jeden Fall eine sehr strenge Ausbildung, und ethische Standards stehen im Mittelpunkt.
Aber natürlich kann jeder das umgehen, eine Webseite aufmachen und sagen: „Ich bin Mr.
Mindfulness!“370
Die Stellungnahme zu der von der Interviewerin getätigten Kritik ist eindeutig und geht sogar so
weit, dass Kabat-Zinn später im Interview einräumt, dass er selbst, wenn er unterrichtet und mit
PatientInnen arbeitet, die Bezeichnung MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction) nicht
einmal mehr verwendet. Dies ist im Lichte des globalen Siegeszugs von Kabat-Zinns Vision doch
äußerst bemerkenswert.
Etwas befremdlich wirken allerdings die folgenden, letzten Zeilen des Interviews, in der
Kabat-Zinn auf den Vorwurf eingeht, viele Leute würden lediglich auf der Achtsamkeitswelle
surfen und einfach nur viel Geld verdienen wollen eingeht und dabei etwas narzisstisch anmutend
schließt:
Und diese Menschen glauben, dass die Leute kommen, Geld ausgeben, ihre Programme mitmachen,
während sie überhaupt keine Ahnung von Achtsamkeit haben. Das ist die Schattenseite. Für mich ist
es aber ein Zeichen, wie erfolgreich wir sind, wenn all diese unethischen Leute die Idee ausnutzen
wollen. Das ist toll! Lassen wir sie machen!371
Hier könnte die Frage aufgeworfen werden, was „toll“ (oder in buddhistischen Worten: „heilsam“)
daran ist, wenn anderen Menschen oder der Gesellschaft insgesamt Schaden durch unachtsame
Achtsamkeit entsteht? Sollte Kabat-Zinn gemäß seiner Vision, Gutes durch Achtsamkeit zu tun
nicht energischer gegen die Vereinnahmung von MBSR auftreten?
Auch spricht er nicht über Meditationsapps, von denen die wenigsten auch nur im
Entferntesten auf ethische Komponenten eingehen, als ob diese nichts mit ihm und dem von ihm
ins Leben gerufenen Achtsamkeitsbusiness zu tun hätten. Vielleicht noch zentraler ist die
Tatsache, dass die digitalen Meditationsprogramme nicht, wie Kabat-Zinn dies oben fordert,
achtsam und, in seinen Worten, „mitfühlend“ im Umgang mit den Meditierenden sein können.
Dem kann natürlich entgegnet werden, dass Maschinen, die bekanntlich keine Egos besitzen,
369 Netzwerk Ethik Heute, „Verkorperte Weisheit: Jon-Kabat-Zinn richtet sich an MBSR-Lehrer.“ Ethik
Heute, zuletzt geprüft am 13.08.2020, https://ethik-heute.org/verkoerperte-weisheit/.; Hervorhebungen und Punktuation wie im Original.
370 Ebd.; Hervorhebungen und Punktuation wie im Original. 371 Ebd.
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auch selbst nicht durch diese fehlgeleitet werden können. Kabat-Zinn sagt aber einfach nichts zu
den Apps, vielleicht auch, weil er seine persönlichen MBSR-Inhalte auch über Apps vertreibt372.
Wie auch immer auch seine jüngsten, durchaus kritischen Kommentare bezüglich
„McMindfulness“ einzuordnen sind, Kabat-Zinns Lebenswerk ist mit Sicherheit nicht nur, dass er
Achtsamkeit als medizinisch relevante Methode zur Stressbewältigung einem immens breiten
Spektrum zugänglich gemacht hat, sondern darüber hinaus wie er es schaffte, Meditation als
etwas Säkulares zu verkaufen373. Kylie Gurewitz ist der Ansicht, dass Meditationsapps ganz klar
die Fortsetzung seines Lebenswerkes bedeuten. Es ist jedoch überraschend, fährt sie fort, für
wie lange schon Achtsamkeitsinhalte für viele als rein säkular durchgehen. Dies hat sicherlich
damit zu tun, dass der Buddhismus für die typisch westliche Person im Vergleich zum
Christentum eher als generelle Philosophie oder bloßes mentales Training denn als Religion
gesehen werden kann. Für Gurewitz fühlt es sich falsch an, wenn explizit buddhistische Praktiken
als etwas anderes verkauft werden und damit – letztendlich nun mithilfe der Apps – Millionen
verdient werden. Dies hat schließlich sogar zu einer Verzerrung von buddhistischen Werten
geführt: Meditation geht, vollkommen ahistorisch bezüglich traditionell buddhistischer Kulturen,
über alles. Sie wird auch benützt um die Privatisierungs- und Individualisierungslogik (mit ihrer
Zentralität des Prinzips Selbstoptimierung) des Neoliberalismus zu verstärken. „Säkulare“
Achtsamkeit hat es so bis zu den mächtigsten Unternehmen (Google, Facebook, Goldman
Sachs; etc.) und den mächtigsten Streitkräften (dem US Militär) dieser Erde geschafft – wo sie
mittlerweile sogar über App und Kopfhörer für Optimierung sorgt. 374
Kritiker des letzten Absatzes mögen einwerfen, dass, wie Kabat-Zinn und der Ex-„Jolly
Good Fellow“ von Google Chade-Meng Tan dies tun, dass Achtsamkeit eine universelle Kraft des
Menschen sei, auf den Buddhisten keinerlei Urheberrecht hätten. Ein Faktum ist, das sogenannte
„säkulare“ Achtsamkeit nicht gänzlich von buddhistischer Achtsamkeit getrennt werden kann.
Ganz im Gegenteil: Wie in dieser Arbeit schon aufgeworfen wurde, wirkt eine (hier buddhistisch)
religiöse Praxis auf die typische westliche Person aufgrund deren eurozentrischen Definition von
Religion oft wie eine Philosophie oder sogar Wissenschaft (hier: des Geistes).375
Zentral für diese Arbeit stellen sich auch im Hinblick auf (Achtsamkeits-)Meditationsapps
zwei Fragen, deren erste schon in den oberen Absätzen mit einem „Ja, aber“ beantwortet werden
konnten: Ist das überhaupt noch Buddhismus? Was daran ist typisch „buddhistisch“? Die Antwort
auf die zweite Frage kann nur sein, dass ein Buddhismus – oder ein Glauben an die Lehren des
Buddha (um den eigentlich vom kolonialen Westen erfundenen Begriff „Buddhismus“ zu
vermeiden) – diesen Namen überhaupt nur verdient hat, wenn er es letztendlich schafft ein
372 Vgl. Mindfulness Apps., „The apps.“ Zuletzt geprüft am 02.11.2020, https://mindfulnessapps.com/the-
apps. 373 Vgl. Gurewitz, „Mindful of a Profit? A Critical Analysis of Meditation Apps in the Context of
Neoliberalism and Western Constructions of Religion,“ 13. 374 Vgl. ebd., 35–36. 375 Vgl. ebd.
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Wirkungsgefüge zwischen Buddha, Dharma und Sangha herzustellen. Das kann auch auf
elektronischem Wege gelingen (wie die Corona-Krise gerade zeigt). Dies beinhaltet jedoch
zumindest auch, dass der „Edle Achtfache Pfad“ gekannt und, so gut es eben moglich ist,
gegangen wird (die Interpretationsspielräume sind ohnehin weit). Insofern war schon der Beginn
des „Buddhistischen Modernismus“ im 19. Jahrhundert auch eine Erneuerung des Buddhismus:
nämlich teils wieder hin zu den damals in vielen Ländern sehr verklärten originalen Lehren des
Buddha (z.B.: durch die Abkehr von mystischer Folklore).
4.2.7. Meditationsapps reevaluiert
Eine solche Minimalanforderung, was es heißt ‚buddhistisch‘ oder zumindest buddhistisch
inspiriert zu sein, würden vermutlich die Befürchtungen Slavoj Zizeks hinsichtlich eines neuen,
buddhistischen „Geists des Kapitalismus“ entkräften. Denn dem Individuum in seiner neoliberalen
Ausprägung mit all seiner zerstörerischen Freiheit würde die destruktive Energie entzogen,
wandelte es tatsächlich auf buddhistischen Wegen immer weiter hin zu einer Dekonstruktion des
eigenen wollenden Egos (freilich ohne dort jemals wirklich anzukommen). Doch hiervon kann in
den Inhalten allermeisten Meditationsapps keine Rede sein – sie sind zumeist Werkzeuge, die es
den Meditierenden ermöglicht im Gesellschaftssystem zu bestehen, um nach westlich
dualistischer Denkart zu den Funktionierenden denn zu den Nicht-Funktionierenden zu gehören.
Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass Meditationsapps zumindest die Eingangstür in
die Welt der Buddhismen bedeuten können, zumeist in die eines extrem „modernen“ Buddhismus
gemäß des „Buddhistischen Modernismus“, der den Übergang des Stellenwertes der Meditation
für Laienbuddhisten von traditionell äußerst gering hin zu gegenwärtig zentral darstellt. McMahan
erinnert daran, dass weltweit die meisten Buddhisten ihre buddhistische Praxis noch immer darin
sehen, vornehmlich den ethischen Richtlinien zu folgen und Rituale abzuhalten um positives
Karma zu generieren (sowie mitunter auch gute Taten für den Sangha zu leisten).376 McMahan
verweist hinsichtlich der Etablierung einer „Mindfulness-Only”-Schule des Buddhismus nicht nur
auf die koloniale, durch westlich wissenschaftlich beeinflusste Geschichte vieler traditionell
buddhistischer Länder; er erwähnt explizit auch buddhistische Lehrende, wie S.N. Goenka (ein
Vipassana-Lehrer aus dem damaligen Burma) oder den japanischen Zenmeister D.T. Suzuki, die
dem Buddhismus ebenfalls sozusagen das Exklusivrecht auf die durch den Buddha begründeten
Mediationstechniken absprachen377. Dies geschah bereits in der frühen ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts, wo Menschen noch nicht einmal ein Telefon, geschweige denn ein Smartphone
hatten. Heutzutage könnten sich für interessierte Meditierende mithilfe der Smartphone Apps eine
376 Vgl. David L. McMahan, The Making of Buddhist Modernism (Oxford, New York: Oxford University
Press, 2008), 183–84. 377 Vgl. ebd., 186–87.
92
Welt jenseits der puren Atembeobachtung auftun. Ohne, dass das Wort jemals vorkommt, ist bei
Headspace, wie besprochen, der buddhistische Ursprung offensichtlich, wenn die NutzerInnen
sie nur sehen wollen. Viele Meditierende könnten auf diese Weise den überirdisch liegenden
Wurzelwerk moderner Achtsamkeitsmeditation weiter auf den Grund gehen.
Bei der App Insight Timer verhält es sich ohnehin ganz anders. Für diese App arbeiten
nebst einer reichen Bandbreite anderer, auch angesehene, teils tief in der buddhistischen
Tradition verankerte Meditationslehrende. Sie schaffen es in ihren Aufnahmen oft sehr gut, ihre
Meditationen aufbauend auf fundiertes buddhistisches Wissen anzuleiten. Verglichen mit dem
Umsatz und der Popularität der Marktführer, Calm (sogar die #1 der am meisten gedownloadeten
Apps in der „Health and Fitness Category“) und Headspace (#15), scheint Insight Timer (nur #51)
weit abgeschlagen zu liegen. Werfen wir jedoch einen Blick auf die Statistik, wie lange jeweils
unter der Nutzung der jeweiligen Apps meditiert wurde („minutes meditated“), zeigt sich ein
komplett anderes Bild. So liest sich im Apple Appstore beim Aufruf von Insight Timer: “More time
is spent on Insight Timer than on all other meditation apps, combined.”378 CEO Chris Plowman
selbst sagt: “For context, you might be surprised to learn that when Headspace tweeted a record
186,000 hours of meditation in a single June 2017 week, our community meditated for 350,000
hours in the same week.”379 Dies impliziert, dass auf Insight Timer um ein vielfaches mehr pro
Person meditiert wird, als auf anderen Apps. Aber trotz dieser Statistiken war Insight Timer
bislang viel weniger kommerziell erfolgreich, da sich CEO Plowman bemüht, die App gratis
zugänglich zu halten. Er bringt die Problematik des Spannungsfeldes zwischen Kapitalismus und
Buddhismus so auf den Punkt:
How do you build a profitable company when you’re committed to a free product which costs millions
of dollars a year to run. And how do you to talk about things like ‘monetization’ when you’re trying to
build a quiet place of contemplation?380
Seither wird versucht durch unterschiedliche Modelle alle einzelnen Meditationen ohne Werbung
für alle UserInnen weiterhin gratis zugänglich zu belassen. Durch Bezahlmodelle (derzeit US$ 5
pro Monat) gibt es lediglich die selben Meditation in Kurspaketen (Online-Retreats sozusagen)
und eine Chatfunktion mit Meditationslehrenden und anderen UserInnen (eine Art Cyber-
Sangha). Abos werden 85:15 zugunsten der Meditationslehrenden geteilt. Der laufende Betrieb
wird außerdem durch Spenden und philanthropische Investoren vorwiegend aus dem säkular-
buddhistischen Milieu finanziert.381 Somit ist mit der Meditationsapp Insight Timer die Eingangstür
378 Gurewitz, „Mindful of a Profit? A Critical Analysis of Meditation Apps in the Context of Neoliberalism
and Western Constructions of Religion,“ 25. 379 Christopher Plowman, „There's an elephant in the meditation room. - insighttimer.“ Medium,
09.11.2017, zuletzt geprüft am 02.11.2020, https://medium.com/insighttimer/theres-an-elephant-in-the-meditation-room-854696eb0967.
380 Ebd. 381 Vgl. ebd.
93
zu authentischeren buddhistischen Inhalten viel weiter offen als bei anderen Apps.382 Interessierte
Meditierende können viele der Lehrenden außerdem in Büchern wiederfinden – oder wie heute
eher üblich – auf YouTube oder andern Websites, die nebst Videos von weiteren Meditationen
auch Vorträge und „Q&A Sessions“ bieten; ebenso sind auf diversen Websites natürlich
hervorragende (meta)buddhistische Texte und Hinweise auf weiterführende Literatur zu finden.
Es stimmt natürlich, dass auch online Videos aber gerade Meditationsapps den Sangha
ignorieren oder zumindest in weite Ferne rücken. Unabhängig ob die App nun Headspace heißt
und mit liebevoll animierten Kurzvideos arbeitet oder Insight Timer, wo teils respektable Lehrende
die Meditation anleiten; der Weg in eine buddhistische Gemeinschaft (von sehr säkular bis hin zu
sehr traditionell) ist ein sehr langer und es darf angenommen werden, dass er von UserInnen
einer der Apps dennoch kaum gegangen wird.
Abschließend sei ein Blick gewagt in die nicht allzu ferne Zukunft der Welt der
Meditationsapps, da vor allem eine App vor eine bahnbrechenden Veränderung steht: Headspace
deklariert sich bereits als „digital healthcare company“ und könnte in den USA tatsächlich vor der
Zulassung als Medizinprodukt, das auch von Ärzten verschrieben werden kann, stehen.383 Somit
könnten bald auch Versicherungen ins Achtsamkeitsbusiness einsteigen, was wohl wieder einen
enorme Wertsteigerung nicht nur von Headspace (und möglicherweise anderen als
Medizinprodukt zugelassenen Meditationsapps) sondern der gesamten Achtsamkeitsbranche
bedeuten würde. Achtsamkeit als Massenprodukt scheint im Sinne der Instrumentalisierung von
aus dem buddhistischen Kontext gerissen uralten Meditationstechniken als Verkaufshit, als
Werkzeug der Selbstoptimierung sowie als Ruhigstellung von kritischen und/oder leidenden
Stimmen schon jetzt eine dem Neoliberalismus dienende Rolle eingenommen zu haben.
4.3. Achtsamkeit als kostengünstiges Gesundheitswerkzeug
Der Einsatz von Achtsamkeit innerhalb staatlicher Gesundheitssysteme und zumindest die damit
verbundene Generierung und Verwertung von Daten wirft nebst in dieser Arbeit häufig
aufgeworfener sozial- und wirtschaftsethischer Fragen spezifisch auch bioethische Fragen
auf.Wie bereits erwähnt bewirbt sich Headspace in den USA gerade um die Zulassung als digitale
Gesundheitsfirma, was ihre Meditationsapp damit zum verschreibungsfähigen
Gesundheitsprodukt machen würde.384 In Großbritannien ist die beliebteste Meditationsapp
382 Vgl. Insight Network, Inc., „Insight Timer - #1 Free Meditation App for Sleep, Relax & More.“ Zuletzt
geprüft am 11.07.2021, https://insighttimer.com/. 383 Vgl. Gurewitz, „Mindful of a Profit? A Critical Analysis of Meditation Apps in the Context of
Neoliberalism and Western Constructions of Religion,“ 21. 384 Vgl. Hilary Potkewitz, „Headspace vs. Calm: The Meditation Battle That’s Anything but Zen.“ The Wall
Street Journal, 15.12.2018, zuletzt geprüft am 11.07.2021, https://www.wsj.com/articles/headspace-vs-calm-the-meditation-battle-thats-anything-but-zen-11544889606.
94
Deutschlands (2020), „7Mind“, schon auf Krankenschein zu haben385, während in Österreich
weder Apps noch Meditationskurse auf Krankenschein zu beziehen sind (es sei denn, die
Meditation oder Yoga wird im Zuge einer anerkannten und förderungsfähigen Physiotherapie
durchgeführt).
Die „Reproduktion neoliberaler Werte“386 könnte somit eine noch problematischere
Dimension erreichen, wenn Meditationsapps als Gesundheitsprodukt zugelassen werden und
somit (vor allem private) Versicherungen am Achtsamkeitskuchen mitnaschen wollen. Die Rolle
von Meditationsapps als Behandlungsmöglichkeit von Depressionen, Angstzuständen und vielen
weiteren psychischen Erkrankungen wirft Fragen der Bioethik und des Datenschutzes auf, welche
hier bis auf folgendes Beispiel nicht zur Sprache gebracht werden können: In der Nacht als
Donald Trump im Jahre 2016 zum nächsten Präsidenten der USA gewählt wurde, verzeichnete
Headspace einen 44%igen Anstieg sogenannter „SOS sessions“ (eine Art Notfallsmeditation um
den Geist in Ausnahmezuständen zu kalmieren).387 Die Fülle von Datenpunkten, die sich bereits
hier auftun (Positionsdaten; Dauer der Nutzung als Indikator für die Intensität des Zustandes;
ungefähre politische Ausrichtung, etc.?), sind bedenklich, auch wenn die Informationen „nur“
wieder dem neoliberalen Wirkungsgefüge in Form von wertvollen Daten für Werbe- und
Versicherungsfirmen zugeführt werden.
Andy Puddicombe, der Gründer von Headspace, weist sehr richtig darauf hin, dass sich
buddhistische inspirierte Meditation mithilfe seiner App immens viel schneller verbreitet, als dies
über konventionelle buddhistische Kanäle jemals der Fall hätte sein konnen: “In Tibet, for
example, it took maybe 100 years for the teachings to reach 6 million people, and it took
[Headspace] maybe a couple of years to reach 6 million people.”388 Diese Aussage birgt jedoch
zwei Problemfelder in sich: Zunächst bedient sich Puddicombe wieder einmal dann des
Buddhismus, wenn es ihm hilfreich für die Vermarktung seines Produkts erscheint. Des Weiteren,
so stellt Gurewitz fest, sind sich die Millionen von Menschen weder bewusst über die bioethische
Tragweite, die das Bereitstellen ihrer Daten darstellt, noch bedenken sie die religiöse Tradition,
aus dem Puddicombes Meditation stammt. 389
Für all jene, die sich des buddhistischen Ursprungs bewusst sind, aber nicht über die
eigentliche Bedeutung von Meditation im Buddhismus Bescheid wissen, wirkt das Wort
385 Vgl. Daniel Dzienian, „Die 10 besten Meditationsapps im Langzeittest.“ UrBestSelf, zuletzt geprüft am
10.01.2021, https://urbestself.de/blogs/article/meditationsapp-test-2020. 386 Gurewitz, „Mindful of a Profit? A Critical Analysis of Meditation Apps in the Context of Neoliberalism
and Western Constructions of Religion,“ 36. 387 Vgl. Eliza Barclay, „A Buddhist monk explains mindfulness for times of conflict.“ Vox, 22.11.2016,
zuletzt geprüft am 31.08.2020, https://www.vox.com/science-and-health/2016/11/22/13638374/buddhist-monk-mindfulness.
388 Eliza Barclay, „Meditation is thriving under Trump. A former monk explains why.“ Vox, zuletzt geprüft am 30.08.2020, https://www.vox.com/science-and-health/2017/6/19/15672864/headspace-puddicombe-trump.
389 Vgl. Gurewitz, „Mindful of a Profit? A Critical Analysis of Meditation Apps in the Context of Neoliberalism and Western Constructions of Religion,“ 36.
95
Buddhismus ohnehin schon wie eine Garantie für die Förderung der (zumindest psychischen)
Gesundheit. Wie R.H. Sharf, Professor für „Buddhist Studies” an der University of California,
bemerkt: “Yet today Buddhist insight is touted as the very antithesis of depression.” 390 Er führt
weiter aus, dass entgegen älteren Assoziationen von Buddhismus mit Weltflucht,
Weltabgewandtheit und Rückzug, Buddhismus heute als Glückswissenschaft gesehen wird,
wobei der Buddhismus als Religion natürlich nur noch sehr verknappt Platz findet, denn:
Buddhist practice is reduced to meditation, and meditation, in turn, is reduced to mindfulness, which is
touted as a therapeutic practice that leads to an emotionally fulfilling and rewarding life. Mindfulness is
promoted as a cure-all for anxiety and affective disorders including posttraumatic stress, for alcoholism
and drug dependency, for attention-deficit disorder, for antisocial and criminal behavior, and for the
commonplace debilitating stresses of modern urban life.391
Auch für staatliche Gesundheitssysteme, sind die Verheißungen, von denen Sharf hier schreibt,
verlockend, lässt sich doch mit Achtsamkeitskursen im Vergleich zu herkömmlichen
Psychotherapien, deutlich an Geld sparen. Dass nicht einmal die wenigen Studien, die unter
Einhaltung aller üblichen wissenschaftlicher Kriterien, zum Effekt von Achtsamkeit gemacht
wurden, ein eindeutiges Bild über deren nachhaltige gesundheitsfördernde Wirkung zeigen, sei
hier nur kurz erwähnt und wird weiter unter erst im Detail besprochen werden. Äußerst bedeutsam
findet zum Beispiel Knopf, das weder die „bürgerliche Psychotherapie“, welche „die sozialen und
okonomischen Bedingungen, unter denen [psychische] Storungen gedeihen“, systematisch
ausblendet, noch die Achtsamkeit als Therapieform etwas daran ändern wird, „dass wir in einem
zutiefst ungerechten, kapitalistischen System leben“.392 Doch im Gegensatz zu Psychotherapie
ist die Lehre von Achtsamkeitspraxis in Gruppen (oder in Zukunft sogar über personalisierte
Apps?) weit billiger.
Perfekt zur kontemporären westlichen Therapiegesellschaft passend, begibt sich die
Meditation „heutiger Prägung“, wie Öhler jüngst in DIE ZEIT schrieb, auf den „Pfad der
Selbstfindung“ und scheint dabei „ganz ohne die alte Religion auszukommen“. „Die
Verschmelzung mit Gott“ - oder mit einem anderen transzendentalen Prinzip der Ganzheit, sollten
wir hier aus buddhistischer Sicht anfügen – fährt Öhler fort, ist nicht mehr das Ziel von innerer
Suche, sondern Entspannung sowie Gesundung, „sich von Traumata und Leiden zu kurieren und
sich bestenfalls selbst zu optimieren“393. Ergänzend sei hier festgehalten, dass wohl kaum eine
Person, welche traditionell buddhistisch meditiert, das Selbst im Zuge einer solchen
Selbstfindung auch tatsächlich findet, sondern ganz im Gegenteil vielmehr die transzendentale
Verbindung zu anderem und anderen sucht. Swami Ambikananda, eine Yoga- und
Meditationslehrerin südafrikanischer Abstammung, die auch viele heilige Schriften aus dem
390 Knop, „Meditieren für den Kapitalismus?!“. 391 Robert H. Sharf, „Epilogue: Is Mindfulness Buddhist? (And Why It Matters).“ In Magid; Rosenbaum,
What's Wrong with Mindfulness? (And What Isn't) (s. Anm. 319). 392 Knop, „Meditieren für den Kapitalismus?!“. 393 Andreas Öhler, „Selbstoptimierung: Stille Macht.“ Die Zeit, 28.12.2019, zuletzt geprüft am 28.08.2020,
https://www.zeit.de/2020/01/selbstoptimierung-gebet-meditation-koerper-geist.
96
Sanskrit übersetzt hat und sich nebenbei für soziale Wohlfahrt in einer Region im Südwesten
Englands einsetzt, sagt über das Wesen von Meditation: „Meditation is about looking into the
abyss within, it wasn’t created to make you or me happy, but to help us fight the illusions we have
[…]“. Sie verweist außerdem auf ihren Lehrer, der ihr immer wieder sagte, sich selbst nicht zu
ernst zu nehmen und gleichzeitig den Kampf mit dem (illusorischen) Selbst mit allem was man
hat zu führen.394 Diese teils widersprüchlich anmutende Beschreibung des Wesens von
Meditation lässt sich wohl kaum mit einer klar westlich therapeutischen Konzeption von
Meditation vereinen.
Der Neuropsychologe, Psychotherapeut und Zazen- sowie Qigong-Lehrende Robert
Meikyo Rosenbaum versucht diesen Widerspruch, nämlich das Selbst zu bekämpfen und es
gleichzeitig nicht allzu ernst zu nehmen, in seinen Ausführungen wie folgt aufzulösen. Vielleicht
überrascht es, dass gerade er als buddhistischer Gelehrter als großes Potenzial von
buddhistischer Achtsamkeit zunächst das Stärken der Kraft des Egos („ego strength“) anführt. Er
meint damit in Anlehnung an PsychotherapeutInnen und PsychologInnen die Fähigkeit, die
eigenen Emotionen zu tolerieren, flexibel zu denken und Enttäuschungen sowie
Herausforderungen mit der nötigen Widerstandsfähigkeit zu begegnen. Jedoch sollte
Achtsamkeit nicht an diesem Punkt steckenbleiben, denn andernfalls wird paradoxerweise die
falsche Idee eines “essenziellen Selbst” (“essential self”) noch verstärkt. Denn die Distanz, die
durch Achtsamkeitsmeditation zu den Irrungen und Wirrungen der eigenen Wahrnehmungen,
Gefühlen, Gedanken und Impulsen aufgebaut wird, kann erst recht zu einem „teilenden Gefühl
des Separatseins“ führen („divisive sense of separation“395). Die Achtsamkeitslehrerin Maren
Schneider trennt klar zwischen heilsamer Selbstfürsorge, welches aus Selbstmitgefühl entsteht,
und egozentriertem Handeln. Sich selbst vernachlässigen, überfordern und/oder ständig ein
schlechtes Gewissen zu haben, ist nicht heilsam. Gerade die durch buddhistische Meditation
gestärkte Selbstfürsorge ist der Schlüssel zu „profundem universalem Mitgefühl“:
Dies wirklich zu erfahren macht uns mit der Zeit weicher und durchlässiger. Wir lernen, uns uns selbst
liebevoller zuzuwenden und zu versorgen. Das löst uns mit der Zeit aus unserer Selbstverhaftung. Es
öffnet uns für das Leid anderer und lässt ein authentisches[,sic] universales Mitgefühl in uns wachsen.396
Doch all dies – also die Bestrebungen das Selbst zu relativieren und universales Mitgefühl
herzustellen – ist weder innerhalb therapeutischer Achtsamkeit an einem Ende des Spektrums,
geschweige denn innerhalb eines Selbstoptimierungsdiskurses am anderen Ende wichtig. Hierzu
heißt es bei Siemons in der F.A.Z., der den Meditationslehrer Kenneth Folk aus San Francisco
394 Vgl. Farias und Wikholm, The Buddha Pill. 395 Robert M. Rosenbaum, „"I" Doesn't Mind.“ In Magid; Rosenbaum, What's Wrong with Mindfulness?
(And What Isn't) (s. Anm. 319). 396 Ursula Richard, „„Meine Zweifel haben mich in die Tiefe geführt“.“ Buddhismus Aktuell, zuletzt geprüft
am 28.08.2020, https://buddhismus-aktuell.de/artikel/ausgaben/20171/meine-zweifel-haben-mich-in-die-tiefe-gefuehrt.html.
97
zitiert: „‘Never mind nirvana‘. All diese mystischen Geschichten sind wirklich reaktionär. Hier geht
es einfach darum, das Gehirn zu trainieren und die chemische Suppe darin aufzurühren‘“397.
4.4. Die überzogenen Erwartungen an Meditation
Dass diese chemische „Suppe“ im Kopf aber gar nicht so nachhaltig aufgerührt wurde, wie es
Achtsamkeitslehrende und Neurowissenschaftler oft behaupten, zeigt ein genauerer Blick auf die
Studien bezüglich der gesundheitsfördernden Wirkung von Mediation. Selbst Jon Kabat-Zinn gibt
in einem Interview mit dem britischen Guardian 2017 überraschend zu, dass, wie er selbst es
ausdrückt 90% der Studien “subpar”398 sind (also zu Deutsch etwa „unterdurchschnittlich” oder
„suboptimal“; entspricht einem gängigen Euphemismen für „recht schlecht“). Er tut dies, als er
auf mögliche negative Folgen von Meditation angesprochen wird, was ja bereits in einem früheren
Teil der Arbeit Erwähnung fand (siehe 4.2.6. oben). Kabat-Zinns beiläufiger Befund wird von
wissenschaftlicher Seite bestätigt. Farias und Wikholm widmen ein gesamtes Kapitel ihres
Buches The Buddha Pill. Can Meditation Change You?399, der Frage, ob Studien, welche die
positiven Auswirkungen von Meditation auf Verhaltensveränderungen der Probanden, wirklich
stichhaltig sind und die Antwortet lautet in den allermeisten Fällen: Nein. Dies bedeutet nicht,
dass Meditation keinen Effekt auf das menschliche Gehirn oder anders ausgedrückt den
menschlichen Geist hat und dies sich nicht auch im Verhalten der Meditierenden wiederspiegelt;
aber es heißt, dass die Studien nicht messen konnten, was sie vorgegeben haben zu messen
und daher Vorsicht geboten ist, wenn NeurowissenschaftlerInnen und BuddhistInnen – und
manchmal beides in einer Person – behaupten, Meditation könne nachweislich dies oder jenes.
Farias und Wikholm schildern, dass in nahezu allen Studien bezüglich der Wirkung von
Meditation auf das Verhalten von Menschen die Kontrollgruppe gänzlich fehlt oder eine
vollkommen unzureichende Kontrollgruppe gewählt wurde. Dort wo es eine Kontrollgruppe gibt,
werden oft hoch motivierte AnfängerInnen der Meditation, die voll von Erwartungen sind,
verglichen mit einer Gruppe, die gar keine Erwartungshaltung haben, dass sich ihr Zustand (etwa
Depression oder krankhafte Unruhe) ändern wird. Die Kontrollgruppe setzt sich in der Phase des
Experiments – oft sind dies wie in MBSR 8 Wochen – auch gar nicht explizit mit ihrem psychischen
Problem auseinander. Weder gibt es in den allermeisten Studien also aktive Kontrollgruppen
(z.B.: tägliche Psychotherapie, Sport, etc. im selben Ausmaß wie die Meditation bzw.
397 Siemons, „Der erleuchtete Angestellte“. 398 Robert Booth, „Master of mindfulness, Jon Kabat-Zinn: ‘People are losing their minds. That is what we
need to wake up to’.“ The Guardian, 22.10.2017, zuletzt geprüft am 01.11.2020, https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2017/oct/22/mindfulness-jon-kabat-zinn-depression-trump-grenfell.
399 Farias und Wikholm, The Buddha Pill.
98
Achtsamkeitsübungen) noch gibt es überdies hinaus die Verabreichung von Placebos,
beispielsweise Tabletten, die jedoch frei von Wirkstoffen sind. 400
Eine Studie aus 2013, welche die beiden AutorInnen als gelungen erachten, sei hier kurz
umrissen, um auch bei methodisch relativ sauberen – also tatsächlich wissenschaftlichen –
Studien die Limitationen von Meditation vor Augen zu führen401. Es ging dabei um eine Studie
des Oxford Mindfulness Centre in denen fast 300 Personen, die bereits zumindest drei Episoden
klinisch diagnostizierter Depressionen durchgemacht hatten, drei Gruppen zugeteilt wurden: eine
Meditationsgruppe (spezifisch MBCT: Mindfulness Based Cognitive Therapy); eine Gruppe, die
nur Cognitive Psychological Education erhielt (was einer speziellen Psychotherapieschule
entspricht); und eine reguläre Kontrollgruppe, die in regelmäßigen Abständen ihre HausärztInnen
und PsychotherapeutInnen aufsuchte. Die ProbandInnen wurden vor und drei, sechs sowie neun
Monate nach der Intervention untersucht. Die StudienleiterInnen wussten hierbei selbst nicht,
welche Probandin in welcher Gruppe war. Die Rückfallhäufigkeit in eine Depression war dabei
in allen drei Gruppen nahezu gleich hoch, sie betrug ca. 50%. Achtsamkeit wirkte dabei besser
für PatientInnen, die an Kindheitstraumata durch Missbrauch litten.402
Farias und Wikholm sehen dieses Ergebnis (von 2013) deshalb als so bemerkenswert an,
als dass das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) bereits 2009 einen
sogenannten „key priority status“ über andere Behandlungsformen eingeräumt hatte403. Es
spiegelt einen Trend wieder, den vor allem die notorisch sparsamen Gesundheitssysteme der
USA und Großbritannien vorgeben: die achtsamkeitsbasierten Methoden zur Bekämpfung
psychischer Leiden, anderen, teureren Methoden vorzuziehen, was vor allem Ron Purser heftig
(und teils zu polemisch) kritisiert404. Kritik von Farias und Wikholm wird eher indirekt geäußert,
indem sie sich schockiert darüber zeigten, dass diese (wie viele andere, methodisch jedoch
wesentlich schlechtere Studien) keine mediale oder politische Reaktion hervorrief:
A soon as the article was published, I began to look forward to an open discussion of its results, including
the possibility of a red balloon effect. I imagined dramatic headlines in the media ‘Mindfulness helps only
the traumatized’ or even simply ‘Mindfulness study for depression fails.’ But there was nothing. Days
400 Vgl. Farias und Wikholm, The Buddha Pill, 108. 401 Vgl. auch Brian Resnick, „Is mindfulness meditation good for kids? Here’s what the science actually
says.“ Vox, 22.05.2017, zuletzt geprüft am 31.08.2020, https://www.vox.com/science-and-health/2017/5/22/13768406/mindfulness-meditation-good-for-kids-evidence.: Die hier zitierte Studie ist eine äußerst umfangreiche Meta-Studie, welche alles in allem über 3500 TeilnehmerInnen umfasste. Sie wurde 2014 vom „JAMA Internal Medicine“ publiziert und Verglich die Auswirkungen von verschieden therapeutischen Interventionen auf psychologischen Stress und generelle Zufriedenheit. In dieser Studie war Mindfulness-Based-Stress-Reduction nicht effektiver als sportliche Betätigung, Muskelrelaxion oder Kognitive Verhaltenstherapie. Und all diese Interventionen waren in etwa jeweils so erfolgreich wie Antidepressiva. In dieser Studie wird unter anderem auch eingeräumt, dass „Mindfulness“, einerseits problematisch da kaum zu definieren ist, andererseits auch ein äußerst potentes Placebo sein könnte.
402 Vgl. Farias und Wikholm, The Buddha Pill, 109–10. 403 Vgl. ebd., 110. 404 Vgl. Purser, McMindfulness, 167–68.
99
and weeks went by and there was no mention of the new article, either in the media or in science forums.
I just checked it again, seven months after its online publication, and jep. Silence.405
Dieses Ergebnis, sowie viele weitere, scheinen einfach nicht zum Bild einer Mindfulness
Revolution zu passen, die im vergangenen Jahrzehnt wörtlich oder sinngemäß von Medien,
PolitikerInnen, NeurowissenschaftlerInnen oder buddhistischen Lehrenden ausgerufen wurde.
Farias und Wikholm äußern die Vermutung, dass Verdrängung von Traumata durch konzentrative
Meditation wie eben Achtsamkeit auf Dauer nicht hilfreich ist406 und sie bekommen überraschend
Unterstützung von keinem geringeren als dem Dalai Lama. Er äußerte sich am Ende einer
Konferenz, in der Neurowissenschaftler und Buddhisten die gesundheitsfördernde Wirkung von
achtsamkeitsbasierter Meditation besprachen recht schnippisch mit den Worten: „For me,
analytical meditation is more useful. [kursiv im Original]“ 407 um erklärend hinzuzufügen, dass es
viel wichtiger sei, die Ursache des Schmerzes zu analysieren, welche sehr oft darin liegt,
Vergängliches festhalten zu wollen, oder in der Selbstzentriertheit, oder in einer unrealistischen
Betrachtungsweise von Situationen. All dies braucht verschiedene meditative
Herangehensweisen, verriet der Dalai Lama weiter, ohne jedoch Details preiszugeben.
Anschließend ließ er noch mit dem bemerkenswerten Kommentar aufhorchen, dass er, um seine
Intelligenz besser nutzen zu können, guten Schlaf jeglicher Meditation vorzieht.408
Auch ohne dass der Dalai Lama Details verriet, ist zu bezweifeln, dass die Wissenschaftler
mit typisch buddhistischer analytischer Meditation (etwa die minuten- bis stundenlange Suche
nach dem Ich in körperlichen Wahrnehmungen und Gefühlen, Gedanken und Emotionen) etwas
anzufangen gewusst hätten. Farias und Wikholm bringen die oft negierte Diskrepanz zwischen
buddhistischer Achtsamkeit und neurowissenschaftlich untermalten Heilsversprechungen so auf
den Punkt: […] so are these guys actually using science to validate Buddhist religion?“’409 In
anderen Worten ausgedrückt heißt dies, dass so gut Studiendesigns und bildgebende Verfahren
mithilfe MRT auch sein mögen, die Wirkmächtigkeit einer Religion, oder spirituellen/religiösen
Philosophie, lässt sich wohl nie zu 100 Prozent beweisen und so könnte es zuletzt der
sprichwörtliche Glaube sein, der Berge versetzt. Die österreichische Tageszeitung Der Kurier
zitierte am 24.09.2018 die Klinischen Psychologen Anna Felnhofer (MedUni Wien) und Oswald
Kothgassner (AKH Wien), die vor falschen Versprechen warnen und viele Kurse und Apps als
„Fall für den Konsumentenschutz“ bezeichnen. Außerdem zitiert der Kurier-Artikel die
Meditationslehrerin Karin Würth, die ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Motivation als
Voraussetzung für jede Form von wirkmächtiger Achtsamkeitsroutine sieht und darüber hinaus
405 Farias und Wikholm, The Buddha Pill, 112. 406 Vgl. ebd., 111. 407 Hickey, „Meditation as Medicine: A Critique“. 408 Vgl. ebd. 409 Farias und Wikholm, The Buddha Pill, 108.
100
klarstellt: „Achtsamkeitstraining ist Lebenstraining. Es geht weit über eine halbstündige
Meditationseinheit hinaus.“410
Nichtsdestotrotz halten Gesundheitssysteme am Ausbau der Angebote
achtsamkeitsbasierter Therapie fest. Das beste Beispiel des Siegeszugs achtsamkeitsbasierter
Interventionen ist das Vereinigte Königreich. 2013 schafften es Jon Kabat-Zinn, Mark Williams411
und Chris Cullen vom oben erwähnten Oxford Mindfulness Centre, sogar mit mehr als 200
ParlamentarierInnen und hunderten von Parlamentsbediensteten den typisch achtwöchigen
MBSR-Kurs abzuhalten. „Mindfulness at Westminster“, so der offizielle Name des Spektakels,
erreichte große Medienpräsenz und verhalf auch dem Thema „Mentale Gesundheit“ zu breiter
Präsenz in der Öffentlichkeit. Der Achtsamkeitshype, der in jenen Wochen auf höchster
politischer Ebene losgetreten wurde täuscht jedoch darüber hinweg, dass MBCT bereits seit 2004
als offizielle Therapie zur Behandlung von Depressionen akzeptiert und finanziert worden war.
Purser kritisiert, dass trotz der immensen medialen Aufmerksamkeit, psychische Erkrankung
immer strikt abgetrennt von sozialen, ökonomischen und politischen Einflüssen diskutiert wurde,
welche psychische Belastungen jedoch verstärken. Der Anziehungskraft von relativ
kostengünstiger „Mindfulness“ wurde, so fährt Purser fort, sogar gerade durch die jahrelangen
Einsparungen im Gesundheitssystem noch erhöht. 2014 wurde in London schließlich sogar die
“Mindfulness All-Party Parliamentary Group“ (MAPPG) gegründet, die wiederum breites und
außerordentlich positives Medienecho zur Folge hatte.412
Mindfulness war nun im Herzen des britischen Establishment angekommen und gipfelte
in einem Bericht, dass nach neunmonatiger Studienphase die Vorzüge von Achtsamkeit im
Bereich der Mentalen Gesundheit darlegte, nämlich „Mindful Nation UK“413. Kabat-Zinn schrieb
das Vorwort zu diesem Programm und es enthielt, wie auch der gesamte Report sowie die
begleitende mediale Berichterstattung zahlreiche Verweise auf soziale Probleme und
Brennpunkte, welche durch Achtsamkeit nicht weniger als an der Wurzel gepackt werden
könnten. Noch erstaunlicher und politisch umso überzeugender war, dass alle drei großen
Parlamentsparteien sich darüber einig waren. Großbritannien wurde somit im Jahr 2015 zum
„internationalen Pionier“ einer Reihe von „achtsamen Nationen“, die fortan
Achtsamkeitsprogramme in Schulen, Gesundheitseinrichtungen, Arbeitsplätzen und
Gefängnissen anboten. 2017 boten ParlamentarierInnen und Lords sogleich die Plattform für
410 kurier.at, „Halten Meditations-Apps, was sie versprechen? Meditations-Apps wollen unser
Wohlbefinden verbessern. Manchmal versprechen sie aber zu viel.“ 24.09.2018, zuletzt geprüft am 10.01.2021, https://kurier.at/leben/halten-meditations-apps-was-sie-versprechen/400125113.
411 Er gilt als der Gründer einer Weiterentwicklung von MBSR, Mindfulness Based Cognitive Therapy (kurz MBCT).
412 Vgl. Purser, McMindfulness, 167–68. 413 Terry Hyland, „Mindful Nation UK – Report by the Mindfulness All-Party Parliamentary Group
(MAPPG).“ Journal of Vocational Education & Training 68, Nr. 1 (2016), doi:10.1080/13636820.2015.1123926.
101
PolitikerInnen aus 14 Nationen, um sich am “Mindfulness in Politics Day” in Westminster über
staatlich finanzierte Achtsamkeitsprogramme in ihren Ländern auszutauschen.414
Pursers Kritik dieser Programme ist gnadenlos. Seiner Meinung nach tragen sie wenig
dazu bei – wie Proponenten oft behaupten – das „universell Gute“ im Menschen zu fördern, noch
hätten sie das Potenzial, soziale Missstände zu verbessern. Ganz im Gegenteil: der Fokus auf
den Moment beruhigt zwar die politischen Gemüter, taugt jedoch nicht zur Steigerung des
politischen Weisheit. Das schlimmste jedoch ist laut Purser, dass Achtsamkeit neoliberale
„Selbstregulierung“ quasi in die Gesellschaft einfloßt, und die BürgerInnen verstummen lässt.415
Der Professor für Rechtswissenschaften und gleichzeitig Laienlehrender des Zen, Marc
Poirier, kann diese Kritik vor allem für den medizinischen Bereich nicht teilen, da er gerade dort
verantwortungsbewusste AkteurInnen sieht, die auch das nötige ethische Fundament mitbringen.
Dort kann Achtsamkeit tatsächlich ihr heilsames Potenzial ausspielen, auch wenn Poirier in
anderen Bereichen der Gesellschaft und vor allem in der Privatwirtschaft ebenfalls sehr skeptisch
gegenüber der breiten Achtsamkeitswelle ist; zu groß ist hier die Gefahr der bloßen Optimierung
von Produktivität und finanziellem Gewinn.416 In diesem – wirtschaftlichen – Bereich gibt er Purser
also recht.
Dieser Befund wird vom „Professor of Contemplative Education” am Brooklyn College
(New York City), David Forbes, nicht nur geteilt, sondern darüber hinaus hält er fest:
Individualistische Achtsamkeitspraxis ist sogar schädlich für unser Wohlbefinden. Er kritisiert die
Mindfulness-Industrie scharf und sagt, es geht in den meisten Bereichen fast nur um das Geld,
das damit gemacht wird.417 Er legt seine zentrale Aussage dar wie folgt:
As long as mindfulness is focused on the individual and not on our social situation, it will not help us
change the conditions that are making us unhappy, namely a hyper-competitive, ultra-individualistic
culture that separates and alienates us. Buddhists seek to let go of attachment to the myth of the private,
solid, unchanging self, and to promote universal compassion and end universal suffering.
But capitalist culture enforces the myth of the privatized, self-centered self. So unless mindfulness is
employed in the service of making the world a better place — then practicing can and does end up
serving to maintain the very self-centered, greedy, individualistic institutions and relationships that
contribute to the lack of connected presence, kindness, and compassion that contribute to our
unhappiness.418
Das Konzept dieser anti-sozialen Basis, auf welche die breite Achtsamkeitsbewegung laut Forbes
aufgebaut ist, ist nach seinen Ausführungen gut verständlich, jedoch führt Forbes nicht aus, was
414 Vgl. Purser, McMindfulness, 168–69. 415 Vgl. ebd., 174–75. 416 Vgl. Marc R. Poirier, „Mischief in the Marketplace for Mindfulness.“ In Magid; Rosenbaum, What's
Wrong with Mindfulness? (And What Isn't) (s. Anm. 319), 22. 417 Vgl. Sean Illing, „Meditation in America: capitalism is taking over mindfulness.“ Vox, 29.03.2019,
zuletzt geprüft am 31.08.2020, https://www.vox.com/science-and-health/2019/3/29/18264703/mindfulness-meditation-buddhism-david-forbes.
418 Ebd.
102
individualisierte Achtsamkeit genau von vielen Konzepten individualisierter klassischer
Psychotherapie unterscheidet, die ebenfalls als zu individualistisch und zu marktkonform gelten
könnten. Stattdessen wartet er aber mit einem interessanten Grundbefund zur Wirkweise des
Kapitalismus auf, welcher die Angewohnheit hat, die besten Ideen einer Kultur gewissermaßen
zu eigen zu machen und zu kommerzialisieren. Als Beispiele führt Forbes die Mode- Musik- und
Wellnessindustrie an, wobei Achtsamkeit einer der „letzten Opfer“ der Mühlen des Kapitalismus
die fortwährend neue Konsumprodukte produzieren, gewesen sein könnte.419 Forbes sagt
abschließend bezüglich gegenwärtiger Achtsamkeitsprodukte: “They help people adjust to the
status quo rather than helping to transform it.”420 Entgegen der gesundheitsfördernden Wirkung
von Achtsamkeit könnte sich Achtsamkeit demnach sogar beschleunigend auf das neoliberale
Karussell auswirken.
Die Soziologin Wagner, die zum Thema „Burnout in der Leistungsgesellschaft“ forscht,
sieht in der auf den ersten Blick gesunden Regulation der eigenen Emotionen durch Meditation
bei genauerer Betrachtung eine Optimierung von Emotionen, nicht nur um sich besser zu fühlen,
sondern gerade um sich besser vermarkten zu können. Sie führt dies so aus: „Und zugleich sind
natürlich nicht alle subjektiven Deutungen und emotionalen Zustände willkommen. Wer sich
ständig übellaunig oder ängstlich fühlt, hat schlechte Karten, seine Subjektivität in Wert zu
setzen.“ 421 Sozial anerkannt und wirtschaftlich gefragt ist hingegen, wer „emotive Zustände der
Begeisterung, des Enthusiasmus und der Motivation zu erzeugen in der Lage ist“422. Sogar die
Welt der Emotionen ist somit wirtschaftlichen Optimierungsbestrebungen unterworfen. Am
praktischen Beispiel des EEG Kopfbands Muse soll dies demonstriert werden. Einerseits trennt
Muse Mitbegründer Ariel Gartner sein säkulares Technologieprodukt klar von der religiös-
spirituellen Domäne, stellt andererseits aber auch klar, dass KundInnen durch das vermeintlich
mentale Feedback effektiver Lernen können:
„But technological tracking shouldn't be confused with nirvana. […] Muse doesn’t deliver you to
enlightenment, it is simply giving tangible feedback on what’s occurring in your own mind, so that you
can learn effectively. Muse enhances your metacognition, your ability to process your own thoughts,
and enables you to make choices around that knowledge.” 423
Allein die Tatsache jedoch, dass der Buddhismus ins Treffen geführt wird um die Wirkung dieses
Optimierungstools zu untermauern, verleitet zu der Annahme, der neoliberale Optimierungs- und
Verwertbarkeitsdiskurs bediene sich vollends aus dem Korb fernöstlicher Techniken der
Geistesschulung.
419 Illing, „Meditation in America: capitalism is taking over mindfulness“. 420 Ebd. 421 Wagner, „Arbeit, Burnout und der buddhistische Geist des Kapitalismus,“ 8. 422 Ebd. 423 Yoshiko Kandil, „Meditation apps proliferate, even if what they provide is not enlightenment“.
103
Folgendes, gerne zitiertes Statement des Dalai-Lama drückt eine tiefe buddhistische
Weisheit aus, läuft jedoch nach wissenschaftlich-westlich geprägter Lesart Gefahr, die geistige
Selbstoptimierung gemäß kapitalistischer Verwertungslogik weiter voran zu treiben:
Immer mehr Ärzte und Wissenschaftler stellen fest, dass unser geistiger Zustand sehr, sehr wichtig für
unsere Gesundheit ist. Ein gesunder Geist ist sehr stark mit einem gesunden Körper verbunden. Aber
ein gesunder Geist kann nicht durch Medikamente, Alkohol oder Drogen erzeugt werden. Ein gesunder
Geist kann nicht mit einer Injektion gegeben oder im Supermarkt gekauft werden. Ein gesunder Geist
muss vom Geist/Bewusstsein selbst entwickelt werden – in gewissem Umfang vom Glauben bzw.
Vertrauen, aber nein, nicht wirklich. Wirkliche Überzeugung kann nur durch Erforschung und
Untersuchung entstehen.424
Eine richtige Lesart wäre jedoch, das Gesagte tatsächlich aus der Perspektive beider Traditionen,
sowohl westlich als auch fernöstlich, zu betrachten. Auf diese Weise erschließt sich einem die
tiefere Bedeutung der kursiv gesetzten Begriffe „Erforschen“ und „Untersuchen“, welche sich
nicht nur auf einen rational wissenschaftlichen Prozess beziehen, sondern auch auf die vom
Dalai-Lama und im traditionellen Mönchsbuddhismus so geschätzte Praxis der analytischen
Meditation, welche im Kontext der konzentrativen Achtsamkeitspraxis keinen Platz findet. Die
wissenschaftliche und ärztliche Untermauerung der Wirkung von konzentrativer Meditation dient
daher oftmals eher als Werbung für das Medizinprodukt Achtsamkeit, als dass es einen
tatsächlichen Bewusstseinswandel – z.B.in Form einer Abkehr von exzessivem materiellem
Konsum oder von einer anderen Sucht – anstößt. Streng genommen wäre der tiefe
Bewusstseinswandel in einem System „Achtsamkeitsbusiness“ auch jenseits der bloßen
überzogener Erwartungen wohl auch gar nicht erwünscht, denn das Produkt soll ja weiterhin
nachgefragt werden.
4.5. Das Bild des Geistes im Gehirnscanner?
Bereits weiter oben wurde aufgezeigt, dass der vermeintliche Nachweis über die viel gepriesenen
Erfolge durch Meditation häufig auf neuesten technologischen Verfahren beruhen, welche die
Veränderung der Hirnaktivität in Bildern wiedergibt. Auch das EEG Stirnband Muse bedient sich
neuester Technologie um – in diesem Fall – elektrische Reaktionen des Gehirns rückzumelden.
Bei all diesen Versuchen die Effekte von Meditation in klare Worte und stichhaltige Daten zu
fassen, ist, wie ebenfalls schon festgestellt wurde, Vorsicht geboten: Denn das Gehirn entspricht
nicht dem Bewusstsein oder gar dem „Geist“ eines Menschen. Wohl aber taugen die Daten
gemäß der neoliberalen Bestrebung, die Wirklichkeit möglichst vollständig zu quantifizieren als
Überzeugungs- und Verkaufsargument für achtsamkeitsbasierte Meditation oder meditative
Alltagsübungen.
424 Dalai Lama, „Der Treffpunkt von Ost und West“. Eigene Kursivsetzung.
104
Der berühmte Historiker Yuval Harari, der selbst langjähriger Praktizierender
buddhistischer Meditation ist, lässt keinen Zweifel daran, dass wir als menschliche Spezies noch
keinerlei Ahnung davon haben, wie der Geist aus dem Gehirn emporsteigt („how the mind
emerges from the brain“425). Das Gehirn, führt er weiter aus, ist ein materielles Netzwerk
bestehend aus Neuronen, Synapsen und biochemischen Substanzen. Der Geist hingegen ist für
ihn ein Fluss an subjektiver Erfahrungen wie etwa Leid, Freude, Wut, und Liebe. Biologen
vermuten nur, dass das Gehirn irgendwie den Geist produziert, ohne genau zu wissen wie dies
geschieht.426 Es liegt nun auf der Hand, dass Gehirnströme nicht notwendigerweise etwas
aussagen über die Gefühle oder die Bewusstseinszustände die sich in diesem Moment dahinter
verbergen, oder wie Harari vielleicht sagen würde, daraus „emporsteigen“ („emerge“). Von
Geisteszuständen, die wesentlich vom Solar Plexus beeinflusst sein könnten, soll hier noch gar
nicht die Rede sein.
Marc Poirier, Professor für Rechtswissenschaften und Zen Lehrender, bestätigt, dass die
Befunde der Neurowissenschaften bezüglich der vielen Vorteile von Achtsamkeit und Meditation
nicht ausreichend sind um als echte Beweise zu dienen. Dass Teile des Gehirns nach
mehrwöchiger Meditation vielleicht stärker leuchten würden als zuvor, sagt er, ist spannend,
interessant und möglichweise wichtig, aber sagt uns nichts über das Verstehen und die
Erfahrungswelt der Praktizierenden. Ihre geistigen Entdeckungsreisen können durch EEG und
MRT Feedback nicht geleitet werden. Das Gehirn, stellt Poirier klar, ist nicht das Selbst („The
brain is not the self.“427). Außerdem können laut ihm wissenschaftliche Studien niemals ein Ersatz
sein für die maßgeschneiderte Unterstützung, die Praktiziereden von einer erfahrenen
Lehrperson erhalten oder innerhalb einer funktionierenden Sangha (buddhistische Gemeinschaft)
mit traditionellen Ritualen und gespeist durch umfassende, traditionelle Weisheit. Poirier geht
sogar so weit, die Wissenschaft und eine derart eingebettete meditative Erfahrung als etwas
gänzlich anderes zu bezeichnen.428
Der Philosoph und Ökonom Philip Kovce sieht die Messung von Hirnströmen als Beweis
für das „Funktionieren“ von Achtsamkeit und Meditation – für ihn eine „spirituell entkernte
Selbsttechnik“429 – ebenso kritisch. Er fragt sich, was genau an der Meditation wofür nützlich sein
soll und kommt zu dem Schluss, dass es zumeist um die Wartung der „Mensch-Maschine“ geht,
die nach kurzer meditativer Erholung wieder voll durchstarten kann „koste es, was es wolle“ und
führt dabei durch Achtsamkeitstrainings noch erfolgreicher gewordene Manager und
425 Yuval N. Harari, 21 Lessons for the 21st Century (London: Jonathan Cape, 2018). 426 Vgl. ebd. 427 Marc R. Poirier, „Mischief in the Marketplace for Mindfulness.“ In What's Wrong with Mindfulness?
(And What Isn't). 428 Ebd. 429 Philip Kovce, „Boom der Bewusstseinsindustrie: Mit Achtsamkeit besser funktionieren.“
Deutschlandfunk Kultur, zuletzt geprüft am 09.08.2020, https://www.deutschlandfunkkultur.de/boom-der-bewusstseinsindustrie-mit-achtsamkeit-besser.1005.de.html?dram:article_id=451116.
105
Versicherungsmakler an. Der „Leib- als auch Seelenapparat“ kommt hierbei jedoch einem bloßen
„Reiz-Reaktions-Roboter“ gleich, während Meditation, die auch inspiriert, statt nur funktioniert
(indem sie den Menschen innerhalb unseres vorherrschenden Systems noch funktionsfähiger
macht) natürlich schwer ein messbares Ergebnis liefern kann.430 Es drängt sich der Verdacht auf,
dass die neoliberal geschaffene mathematische Fiktion, es sei nur gut, was auch eindeutig als
„gut“ gemessen werden kann, die Angebots- wie auch die Nachfrageseite im
Achtsamkeitsbusiness durchdrungen hat und so ist der vermeintlich Ausnutzende in einem
solchen System selbst immer wieder auch der Ausgenutzte in einem sich drehenden Strudel der
da heißt: Effizienzsteigerung durch (Selbst)Optimierung.
4.6. Selbstoptimierung – The Aim of the Game?
Während in dieser Arbeit schon viel von Optimierung und Selbstoptimierung gemäß neoliberaler
Doktrin die Rede war, soll sich diesem Thema nun kurz explizit gewidmet werden. Anstelle des
direkten Weges, sei jedoch der Umweg über das buddhistische Pendant erlaubt, wenn Zen
Meister Sawaki Roshi (1880–1965) mit den Worten zitiert wird: „Zazen is good for nothing“431.
Obwohl dieses Zitat nicht ganz wörtlich zu verstehen ist – schließlich hätten Menschen sowie
auch der Buddha nie meditiert, wenn es wirklich für gar nichts sei432 – legt es doch die Grundsteine
für den buddhistischen Weg: Achtsamkeit ist nicht zu trennen von anderen Aspekten des Lebens,
sie ist nicht Mittel zu einem Zweck sondern bereits Zweck genug in sich. Oder, um ein mittlerweile
auch in der Alltagssprache oft verwendetes Sprichwort zu verwenden: „Der Weg ist das Ziel.“
Achtsamkeitsmeditation, die Dekonstruktion des Egos, das Mit-Allem-Sein, kommt auf gewisse
Weise schon Nirvana gleich;433 einfacher verständlich ist wahrscheinlich die negative Definition
von Nirvana: das Enden von Samsara (als sich ständig drehendes Rad des Leidens), was in
gewissen Momenten der meditativen Versenkung tatsächlich – wenn auch nur vorübergehend –
eintritt.
Ganz konkret wird die Bedeutung des Ausspruch, „Zazen is good for nothing“, im Kontext,
in dem er gefallen ist, klarer und die Relevanz für diese Arbeit noch deutlicher. Er bezieht sich
auf eine Erfahrung, die Roshi machte, als er, um als junger Mann etwas Geld für den Orden zu
verdienen, Blaubären pflückte. Als ein paar SchülerInnen, die sich über die Sommermonate
ebenfalls etwas Geld verdienen wollten, unabsichtlich immer wieder auch Hundsbeeren (engl.
dogberries) pflückten, die auch dort und da auf dem Feld wuchsen, sagte der Bauer: „Stop picking
those good-for-nothing dogberries!”. Er sagte dies, da Hundsbeeren im Vergleich zu Blaubeeren
430 Vgl. Kovce, „Boom der Bewusstseinsindustrie“. 431 Joel Agee, „Good for Nothing: A modern-day Zen master reflects on three generations of irreverent
teachings.“ Tricycle, 2014, https://tricycle.org/magazine/good-nothing/. 432 Vgl. ebd. 433 Vgl. Shigaraki, Sogar der Gute wird erlöst, um wie viel mehr der Böse, 54.
106
keinen wirtschaftlichen Wert hatten. Der spätere Zen Meister Roshi leitete daraus ab, dass,
obwohl Hundsbeeren keinen Marktwert haben, sie dennoch schön sind und als Zweck ihre
Existenz – ihr bloßes Sein – vollkommen ausreichend ist. Aus diesem Erlebnis und dessen
Interpretation wurde später „good-for-nothing zazen“. 434
Ganz anders verhält es sich mit weiten Teilen der gegenwärtigen Achtsamkeitsbewegung,
die gemäß der kapitalistisch-neoliberalen Verwertungslogik sehr wohl auf ein
vermarktungsfähiges Produkt abzielt. Dieses Produkt ist sowohl „gut für“ Firmen, welche
Achtsamkeitsprogramme für ihre Angestellten anbieten, da sich deren Output nach einem typisch
achtwöchigen Training erhöht, als auch für Individuen, zumindest insofern es ihre gesteigerte
Leistungsfähigkeit – vor allem ihre Konzentrationsfähigkeit – betrifft. Purser spricht hier von
„mentalem Kapital“435, welches eine gänzlich neue Art des Kapitals darstellt. Die Subjektivität der
Angestellten wird im neoliberalen Kontext in Richtung Selbstoptimierung umgeformt und
Achtsamkeitsmeditation bietet sich als perfektes Werkzeug an, um möglichst effizient am eignen
Selbst zu basteln und mit Stress bestmöglich klar zu kommen.436
Wie Purser ausführt, ist dies in der Geschichte der Unternehmenskultur nichts Neues. Er
führt als besonders berühmtes Beispiel den Harvard Psychiater Elton Mayo an, der in den 1920er
Jahren von General Electric engagiert wurde um etwas gegen die Unzufriedenheit und
Beschwerden der ArbeiterInnen zu unternehmen. Mayo pathologisierte in Folge die Beschwerden
als „emotionale Reaktionen, welche nicht ernst genommen werden sollten“ und stellte die
ArbeiterInnen als irrational, unreif, hysterisch und an Selbstkontrolle mangelnd dar und gab somit
ihnen selbst die Verantwortung für ihre Unzufriedenheit. In höchstem Maße interessant ist Mayos
Befund, dass manche ArbeiterInnen besonders anfällig für Zerstreutheit oder Gedankenkreisen
(„mind wandering“437) waren; jene Symptome, die heutzutage besonders gut durch
Achtsamkeitsmeditation bekämpft werden könnten. Der düstere soziale Kontext der
ArbeiterInnen und schlechte Arbeitsbedingungen hingegen schloss Mayo nicht in seinen Befund
mit ein, wie auch fast 100 Jahre später soziale Realitäten oft außen vor gelassen werden.438
Stressresistenz als Teil des Humankapitals ist in den letzten Jahrzehnten ein wichtiger
Produktionsfaktor geworden und eine geradezu explodierende Glückswissenschaft versucht sich
in der Bereitstellung sogenannter „Coping-Strategien“. Die Neurowissenschaften bieten hierbei
den vielversprechendsten Ansatz, indem sie es schaffen, Stimmungen und Gefühle zumindest
teilweise zu entschlüsseln – insofern, als dass bestimmte mentale Techniken wie etwa die
Achtsamkeitsmeditation eine bestimmte Reaktion hervorruft. Deshalb, betont Purser, hat die
neurowissenschaftliche Erforschung von Meditation wie sie vor allem Richard Davidson betreibt
434 Agee, „Good for Nothing“. 435 Purser, McMindfulness. 436 Vgl. ebd., 106–7. 437 Ebd. 438 Vgl. ebd.
107
einen enormen neoliberalen Wert. Jeremy Bentham, so Purser weiter, hätte sich die Achtsamkeit
wohl Zeit seines Lebens als ultimatives utilitaristisches Werkzeug nicht einmal erträumen können,
ein Werkzeug, das Byung-Chul Han „neoliberale Psychopolitik“439 nennt.440
Diesbezüglich schreibt die Lifestyle-Autorin Pandora Sykes, dass das Konzept der
Selbstoptimierung im letzten Jahrzehnt die Idee, dass wir in unseren Körpern gefangen sind,
attackiert und wir uns „upgraden konnen wie Smartphones“441; dass wir uns außerdem und auch
deshalb geradezu mit einer Epidemie des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms konfrontiert sehen,
dem mit Achtsamkeitstraining begegnet wird. Nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch die
breiteren gesellschaftlichen Strukturen, scheinen vom Subjekt zu verlangen, dass es sich ständig
anpasst, sich ständig dem neuesten „Upgrade“ unterwirft. Sykes rückt in ihren Ausführungen
auch traditionell buddhistische Lehrende in den Mittelpunkt, wenn sie betont, dass buddhistische
Mönche selbst geteilter Meinung sind, ob die Antwort auf die mannigfaltigen Stressoren unserer
Zeit in einem abgespeckten, entkernten Buddhismus liegen kann. Als Beispiele führt sie den
amerikanischen Mönch Bhikku Bhodi an, der eindringlich davor warnt, dass buddhistische
Praktiken „ohne scharfe Sozialkritik“ Gefahr laufen noch verstärkend auf den derzeitigen durch
Massenkonsum geprägten Kapitalismus einzuwirken (siehe auch letztes Hauptkapitel 5. Kapitel
zu einem „Sozial Engagierten Buddhismus“ unten). Gelong Thubten hingegen, der Autor von A
Monk's Guide to Happiness442, warnt zwar vor einer Entkoppelung von Achtsamkeit und
Mitgefühl, sieht jedoch auch keine Lösung darin, der breiten Masse sozusagen „säkularisierte
buddhistische Prinzipien“ und den Weg zur „Entdeckung eines ruhigen Geistes“
vorzuenthalten443. Sykes trifft überraschenderweise den Kern der vorliegenden Masterarbeit,
indem sie ihrem Buch über Lifestyle-Themen bezüglich der Komplikationen des (post)modernem
Leben noch viele weitere für diese Arbeit zentrale Aspekte thematisiert.
In Bezug auf die Arbeitswelt schreibt Sykes beispielsweise, dass Firmen zunehmend auch
in die Pausengestaltung ihrer MitarbeiterInnen eingreifen indem sie einige Nahrungsmittel gratis
anbieten, um die Produktivität ihrer MitarbeiterInnen weiter zu steigern. Sykes führt als Beispiele
die Marken Huel und Soylent an, welche durch ihr Pulver in kleinen Beuteln ganze Mahlzeiten
ersetzten sollen. Die eigene Produktbeschreibung der Marke Huel laut ihrer Homepage ist wie
folgt:
„Deine vollwertige Mahlzeit. Schon ab 1,82 € pro Portion. Statt Stress gönnst du dir jetzt Huel zum
Mittag. Hol dir all deine Kohlenhydrate, Proteine, Ballaststoffe, Fette sowie 26 Vitamine und
Mineralstoffe mit einer praktischen Mahlzeit. Gesund essen und Zeit sparen? Geht klar! […] Spar dir
439 Byung-Chul Han, Psychopolitics: Neoliberalism and New Technologies of Power (London: Verso,
2017). 440 Vgl. Purser, McMindfulness, 127. 441 Pandora Sykes, How Do We Know We're Doing It Right: & other essays on modern life (London:
Hutchinson, 2020). 442 Gelong Thubten, A Monk's Guide to Happiness: Meditation in the 21st Century, First U.S. edition (New
York: St. Martin's Essentials, 2020). 443 Sykes, How Do We Know We're Doing It Right.
108
ganze 5 Stunden pro Woche: Ersetze von Montag bis Freitag das Mittagessen durch Huel. Mach
Schluss mit nervigen Lunchboxen. Und mit Fast Food oder belegten Brötchen zum Mittagessen. Pack
einfach einen Beutel Huel in deinen Büroschrank oder ins Auto. Schon hast du mittags immer eine
superschnelle und gesunde Mahlzeit parat. Das heißt: mehr Zeit für die wichtigen Dinge.“444
Sykes befürchtet, dass die von Huel in der letzten Zeile angesprochenen „wichtigen Dinge“
einfach noch mehr Erwerbsarbeit sein könnte und sie fragt sich ob die indirekte Bewerbung des
Lebens einer*s Workaholic nicht ebenso ungesund und wahrscheinlich sogar
produktivitätsmindernd ist?445 Abseits der Ergänzungen von Sykes drängt sich außerdem die
Frage auf, ob nicht auch eine herzhaft schmeckende, wenn vielleicht auch nicht zu gesunde,
Zwischenmahlzeit, vielleicht gemeinsam mit einer Kollegin oder einem Kollegen eingenommen,
„wichtig“ und gut sein kann?
Des Weiteren Sykes deckt Sykes auf, dass sich sogar das Konzept Self-Care – also sich
um sich selbst zu kümmern, sich etwas Gutes zu tun – mittlerweile zu einer Art
optimierungsbedürftigen Kategorie entwickelt hat im Dunstkreis dessen selbst Schlaf mittlerweile
optimal erholsam sein sollte. Das alle Bereiche des Lebens übergreifende Optimierungsstreben
bezeichnet Byung-Chul Han bekanntlich etwas weiter oben als “neoliberale Psychopolitik“446 und
in einer ähnlichen Tonalität schreibt Sykes, dass auch die Freizeit, in der sich Personen erholen
und die Batterien aufladen sollten, eine Art Politikum des vergleichenden, privaten Schneller-
Weiter-Hoher geworden ist: „You must have something shiny and bright to show for how you
spend your time and that something is you - so that self-care is now the key to self-optimisation“.
Dem Wellnesskonzept, so sagt sie weiter, liegt die Idee zugrunde, dass wir gebrochene,
dysfunktionale Wesen sind, die ständig Optimierung bedürfen. Der Mensch ist im Grunde
eigentlich nicht genug: „We need fixing and wellness tells us that this fix can come from within, if
we find the right tools, or listen to the right gurus.”447 Dies führt uns unweigerlich einerseits zur
oberflächlicheren Achtsamkeitspraxis eines „McMindfulness“-Achtsamkeitsbusiness,
andererseits jedoch auch zum traditionellen Buddhimus zurück: Ersteres läuft Gefahr lediglich die
Symptome zu verdrängen, während Letzteres von einem Menschenbild ausgeht, in welchem die
Person die Vollkommenheit als Buddhanatur bereits in sich trägt und auf jeden Fall schon einmal
als Mensch genug ist, wie sie/er nun einmal ist (siehe 4.6 und. „Zazen is good for nothing“ oben).
Magid und Poirier beschreiben die Rolle, die Achtsamkeit im Kontext der neoliberalen
Selbstoptimierung spielt, ebenfalls als eine Art zweischneidendes Schwert. Rein konzentrative
Meditation und oberflächliche Achtsamkeitspraxis im Dienste der Selbstoptimierung und Therapie
riskiert die uralten buddhistischen Techniken einer nachhaltigen, stillen Exploration des Geistes
und des Bewusstseins ins Gegenteil zu verkehren, indem der Erfahrungsprozess durch die
444 Huel Homepage., „Huel - Die weltweit führende Marke für vollwertige Komplettnahrung.“ Zuletzt
geprüft am 11.02.2021, https://de.huel.com/. 445 Sykes, How Do We Know We're Doing It Right. 446 Han, Psychopolitics. 447 Sykes, How Do We Know We're Doing It Right.
109
Optimierungspraxis behindert oder gänzlich verhindert wird. Achtsamkeit zur Selbstoptimierung
– oder in der Diktion der AutorInnen „gewinnorientierte Achtsamkeitspraxis“ („practice as gain“448)
- operiert nämlich innerhalb eines dem westlichen Individuum vertrauten Rahmens eines
abgetrennten Selbst sowie diesbezügliche Macht- und Kontrollverhältnisse, innerhalb dessen ein
„ich“ immer nach etwas sucht, das „gebrochen oder unzufriedenstellend, oder nicht vorhanden
scheint“ ([…] „an I seeks to x something […] that is broken or unsatisfactory, or gain something
that is currently missing”449). Die AutorInnen bezeichnen diesen Ansatz auch als “Workshop-
Ansatz” hinsichtlich Meditation, der per buddhistischer Definition gar keine wirklich tiefgreifenden
Veränderungen bringen kann, schließlich weist auch das angestrebte Produkt konträr zu den
Wunschvorstellungen letztlich – nach buddhistischer Überzeugung – keine permanente Substanz
auf.450
Sykes abschließende Worte zum Themenkomplex der kontemporären Selbstoptimierung
könnten erstaunlicherweise beinahe von einem oder einer traditionell buddhistischen
Praktizierenden so ähnlich getätigt werden:
Self-care has become default way to maintain a sense of control in a chaotic world. I don't think the
world has necessarily become more chaotic, but the idea of choice certainly has - there are so many
options thrown at us daily, from both the marketplace on the internet - and amidst this chaos of choice,
we double down: less willing to relinquish control over ourselves, our bodies, our careers. We are so
terrified of things slipping from our grasp. […] It strikes me that what we should be seeking is not self-
care, but self-respect. Dignity and faith in ourselves which is more than skin-deep451
Die Furcht des Menschen die Kontrolle über Dinge zu verlieren, dem Chaos nicht mehr
Herr zu sein, geleitet sie oder ihn in einen Teufelskreis der Kontrollbestrebungen, welche
nunmehr mithilfe von buddhistisch inspirierter Meditation auch immer tiefer das eigene Denken
betreffen. Dabei wäre vielleicht zunächst gerade Selbst-Respekt, also die grundlegende
Wertschätzung des „Ich“ – „Ich bin genug“ – der Ausgangspunkt für eine tiefgründige, analytisch-
meditative Exploration der zwangsläufig veränderlichen und letztlich leeren Natur des Selbst,
welches auch niemals den Moment überdauernde Kontrolle über irgendetwas haben kann.
4.7. Achtsamkeit und Meditation in Schulen
Ebenfalls ein zweischneidiges Schwert stellt das Thema Meditation in Bildungseinrichtungen dar.
Innerhalb weniger Seiten seien hier das Für und Wider kurz umrissen und wie auch bei anderen
Aspekten innerhalb des Themenkomplexes Achtsamkeit und Meditation sind die Ansichten selbst
448 Barry Magid und Marc R. Poirier, „The Three Shaky Pillars of Western Buddhism: Deracination,
Secularization, and Instrumentalization.“ In Magid; Rosenbaum, What's Wrong with Mindfulness? (And What Isn't) (s. Anm. 319).
449 Ebd. 450 Vgl. ebd. 451 Sykes, How Do We Know We're Doing It Right.
110
innerhalb traditionell-buddhistischer Kreise geteilt. Das Thema Meditation in Schulen würde sich
für eine eigne Masterarbeit anbieten, da viele Einzelaspekte es wert wären, ihnen eine weitaus
detailliertere Betrachtung zukommen zu lassen; immerhin vereint das Thema praktisch-
fachdidaktische sowie erziehungsphilosophische Perspektiven vor dem Hintergrund, dass in der
Schule von heute die KonsumentInnen und ProduzentInnen von morgen gebildet werden. Die
zentrale Frage, um die sich die folgenden Seiten drehen werden und die notwendigerweise
unbeantwortet bleiben muss, ist jedoch: Wozu genau soll achtsamkeitsbasierte Meditation in
Schulen eingesetzt werden?
Zunächst sei Ronald Pursers Frontalangriff auf Achtsamkeitsprogramme in Schulen
dargelegt, bevor das Thema differenzierter beleuchtet wird. Purser sieht überall auf der Welt den
gleichen strategischen Rahmen im Einsatz, wenn es um die Einführung von
Achtsamkeitsprogrammen in Schulen geht. Als Legitimation steht stets das Versprechen,
psychische Gesundheitsprobleme zu verringern und emotionelle Selbstdisziplin, Konzentration
und sogar die „ausführende Gehirnfunktion“ („executive brain function“) zu stärken. Auch wird
dabei stets auf die durch die Neurowissenschaften erbrachten Beweise verwiesen, während
zeitglich eine Distanzierung zur buddhistischen Religion erfolgt.452
Die Bandbreite an Kritik ist groß. Zunächst stellt Purser die Frage, ob wissenschaftliche
Beweise die Religion so einfach überschreiben, oder gar ausradieren können? Und die Antwort
ist auch ganz offiziell nein. Im US-amerikanischen Kontext jedenfalls gab es bereits
Verfassungsklagen gegen die Ausübung jeglicher achtsamkeitsbasierter Techniken, aufgrund
des Vorwurfes klandestiner religiöser Indoktrination.453 Des Weiteren kommt es laut Purser zu
einer Viktimisierung der Kinder, welche von den Autoritäten als fragil, verletzlich, dysfunktional
und als „Risikogruppe“ gesehen werden, die von ablenkenden Emotionen „gerettet“ wurde.
Purser sieht hierbei sogar eine unterschwellig autoritäre Praxis am Werk, Kinder als willenlose,
ruhig dasitzende BefehlsempfängerInnen zu dressieren.454 Wie so oft in seinem Werk lässt der
Autor Polemik walten, übertreibt dabei vielleicht gewollt, zeigt dabei jedoch auf problematische
Felder, die tatsächlich eine genaueren Blicks bedürfen. Es ist nämlich wohl legitim zu
hinterfragen, ob eine für den Staat relativ kostengünstige Achtsamkeitsintervention einerseits für
SchülerInnen, die an Angstzuständen und Depressionen leiden und sich selbst gefährden
könnten, die probate Intervention darstellt und ob andererseits einfach aufmüpfige Kinder und
Jugendliche solch einer Intervention überhaupt bedürfen. Die allermeisten Ursachen für jene
Gruppe von SchülerInnen mit ernsten psychischen Auffälligkeiten bleiben jedenfalls im
Achtsamkeitssetting unbehandelt – Ursachen, die oftmals im soziökonomischen Milieu der
Herkunftsfamilie liegen. Für diese Gruppe ist Pursers Vorwurf wohl legitim, wenn er der gelebten
Achtsamkeitspraxis in Schulen unterstellt, sie würden dazu beitragen, dass SchülerInnen die
452 Vgl. Purser, McMindfulness., 134. 453 Vgl. ebd., 142–43.. 454 Vgl. ebd., 135.
111
Probleme der äußeren Welt ignorieren und sie stattdessen tief in ihrem Innersten begraben. Das
Wegmeditieren von Wut und das vom Buddhismus geliehene nicht-wertende Akzeptieren von
Realitäten – hier zumeist Frustrationen – lehrt SchülerInnen vielleicht sich auf ihre Arbeit zu
konzentrieren; es lehrt ihnen jedoch gewiss nicht, Ursache und Wirkung in sozialen,
ökonomischen und institutionellen Strukturen zu durchschauen und Veränderungen
anzustoßen455.
Als alternative Konzeption von Achtsamkeit, welche ermächtigend und ermutigend auf die
SchülerInnen wirken soll, führt Purser Thich Nhat Hanhs Verständnis von Achtsamkeit ins
Treffen, der Achtsamkeit stets in Verbindung mit Aktion sieht.456 In der folgenden Passage spricht
Hanh über die Geburtsstunde eines, wie er sagt, „Engagierten Buddhismus, im Vietnam der
Kriegsjahre:
When bombs begin to fall on people, you cannot stay in the meditation hall all of the time. Meditation is
about the awareness of what is going on-not only in your body and in your feelings, but all around you.
When I was a novice in Vietnam, we young monks witnessed the suffering caused by the war. So we
were very eager to practice Buddhism in such a way that we could bring it into society. That was not
easy because the tradition does not directly offer Engaged Buddhism. So we had to do it by ourselves.
That was the birth of Engaged Buddhism. Buddhism has to do with your daily life, with your suffering
and with the suffering of the people around you. You have to learn how to help a wounded child while
still practicing mindful breathing. You should not allow yourself to get lost in action. Action should be
meditation at the same time.457
Dieses von Thich Nhat Hanh 2003 getätigte Zitat wurde hier in Gegensatz zu der Widergabe
Ronald Pursers in voller Länge wiedergegeben, da Purser die Verweise auf den Engagierten
Buddhismus aussparte (siehe auch Kapitel 4 unten). Was Pursers breite und polemisch frontale
Kritik an den Achtsamkeitsübungen in Schulen nämlich tatsächlich zu einem großen Teil
diskreditiert ist das Faktum, dass er die oben genannten Tendenzen zur Passivität, Verdrängung
und Weltflucht zwar häufig im Zusammenhang mit kontemporärer Achtsamkeitspraxis sieht, aber
er auch zahlreiche andere Ausformungen des Buddhismus zu wahrscheinlich jeder Zeit ihrer
2500 Jahre alten Geschichte nennen hätte können.
Zutreffender scheint jedoch Pursers Befund, SchülerInnen sollen sich mithilfe der
Achtsamkeitsmeditation besser auf sich selbst und den vorgegebenen Stoff konzentrieren, um
die zahlreichen und immer häufiger werdenden standardisierten Tests möglichst erfolgreich zu
bewältigen.458 Vordefinierte Kompetenzen deren Erreichen oder – schlimmer – Nichterreichen
viel Stress und Selbstzweifel auslöst dienen gemäß Purser459, aber auch Bourdieu460, dem
455 Vgl. Purser, McMindfulness, 135. 456 Vgl. ebd., 141. 457 John Malkin, „In Engaged Buddhism, Peace Begins with You: Thich Nhat Hanh, who originated
Engaged Buddhism, in an interview with John Malkin.“ Lion's Roar, 01.07.2003, zuletzt geprüft am 11.02.2021, https://www.lionsroar.com/in-engaged-buddhism-peace-begins-with-you/.
458 Vgl.Purser, McMindfulness, 141. 459 Vgl. ebd. 460 Vgl. Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer,“ 410–11.
112
Neoliberalismus, in dem vollkommen außer Acht gelassen wird, dass manche SchülerInnen diese
Kompetenzen aufgrund gesellschaftsbedingter Ungleichheiten viel leichter erreichen als
andere461 – und achtsamkeitsbasiertes Stressmanagement in Schulen trägt wenig bis nichts
dazu bei, diese gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten zu verändern.
Das folgende Beispiel aus gänzlich anderem gesellschaftlichen sowie historischen
Kontext hilft, den Befund zu fundieren. Als sich der Neoliberalismus noch in der
„Formierungsphase“ (siehe Kapitel 2 oben) befand und weder global noch im Westen seine
Wirkmächtigkeit auch nur im Ansatz entfaltet hatte, erlebt Zen Meister Shohaku Okumura im
Japan der 1960er Jahre als Schüler, wie er sagt, eine „Maschinenexistenz – diese Art von
zielorientierter, gieriger Lebensweise“ – zu der er eine Alternative finden wollte. Denn die Schule,
so führt er weiter aus, war „eine Fabrik, die Teile für die Maschine“ (Japan im Wiederaufbau)
produzierte. Shokaku sollte hart lernen und eine prestigeträchtige Universität besuchen um einen
guten Job zu erlangen, für welchen es wieder hart zu arbeiten galt. Doch er konnte hierin keinen
Sinn finden und wandte sich fortan der Philosophie, Religion und Literatur zu.462 Es ist schwer
vorstellbar, dass sich mehr als 50 Jahre später westliche Bildungsinstitutionen gerade wieder
unter dem Einfluss fernöstlicher Beruhigungstechniken zu jenen „money making machines“
verwandeln, vor denen Shokaku geflüchtet ist. Und obwohl dieser Verdacht übertrieben scheint,
kritisiert auch Jackson in ihrem Beitrag „Must children sit still? The dark biopolitics of mindfulness
and yoga in education“ Achtsamkeitspraxis in Schulen, zu denen für sie maßgeblich auch Yoga
gehört, als Praxis zur Beibehaltung des kapitalistisch-konsumorientierten Status Quo mit all
seinen sozialen Ungerechtigkeiten.463
Liz Jackson, Associate Professor und Direktorin des Comparative Education Research
Centre an der University of Hong Kong, geht in ihrer Kritik so weit, dass sie sagt, „Mindfulness at
Schools“ entfernt sich philosophisch von buddhistischen Prinzipien, welche nicht einfach nur
Jetztbezogenheit und Nichtwerten sind. Die in schulische Achtsamkeitspraxis eingebetteten
Prinzipien entstammen viel mehr der „Positiven Psychologie“, welche vorsehen, dass negative
Emotionen, wie Wut oder Stress vermieden werden sollten und positive Emotionen, wie Ruhe
und Zufriedenheit gestärkt gehören. Die bildungspolitische Intervention orientiert sich dabei an
den Bedürfnissen der Lehrenden und der Schule als System, nicht an den Bedürfnissen der
SchülerInnen, welche lernen sollten, mit anderen als ethische AkteurInnen in Kontakt und wenn
nötig auch in Konflikt zu treten. Es gibt Situationen, so Jackson weiter, in denen sollten Kinder
wütend oder beleidigt sein. Gerade moralische Bestürzung über Schlechtes in der Welt sollten
461 Vgl. Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer,“ 411. 462 Vgl. Agee, „Good for Nothing“. 463 Vgl. Liz Jackson, „Must children sit still? The dark biopolitics of mindfulness and yoga in education.“
Educational Philosophy and Theory 52, Nr. 2 (2020), doi:10.1080/00131857.2019.1595326.
113
nicht vermieden werden und nicht durch politische oder soziale Passivität und Apathie ersetzt
werden.464
Zen Lehrender und Jusprofessor Marc Poirier hat hingegen weniger Bedenken bezüglich
des breiten Einsatzes von Achtsamkeitspraktiken in schulischen Kontext und vergleicht sie mit
Achtsamkeitsprogrammen, wie sie im medizinischen Kontext schon seit Jahrzehnten eingesetzt
werden. Er erwähnt auch, dass diese Programme dort maßgeblich dank der Mühen Jon Kabat-
Zinns gute Dienste leisten würden; schließlich sind offizielle MBSR-Programme dem prinzipiellen
Ethos des „Heilens“ oder zumindest des „Nicht-Schadens“ verschrieben, wurden sie doch auch
am „Center for Mindfulness in Medicine, Health Care, and Society“ an der Massachusetts Medical
School konzipiert und sehen eine spezielle Zertifizierung für MBSR-TrainerInnen vor. Die
Begeisterung für Achtsamkeitsinterventionen in Schulen hält sich jedoch auch bei Poirier in
Grenzen. Er fasst die Entwicklung mit den folgenden Worten zusammen: „Kabat-Zinns very
successful secularization of Buddhist practices is protected from the worst effects of
commodication, to some extent, by a preexisting professional ethos in the health care fields;
[…]”465 Eine Empfehlung sieht demnach anders aus. Poirier vergleicht die kapitalistisch
motivierten Verstümmelungen buddhistischer Achtsamkeit im unternehmerischen Kontext mit
den Achtsamkeitsprogrammen in Schulen und fasst zusammen, dass in Ersterem jegliche
ethische Komponente fehlt und dass dort sogar AchtsamkeitstrainerInnen zu bezahlten
BefehlsempfängerInnen des unternehmerischen Managements mutieren um produktivere
Arbeitskräfte zu produzieren.466
Der Journalist Brian Resnick, der sich in seinen Recherchen zum Artikel, „Is mindfulness
meditation good for kids? Here’s what the science actually says.“, mehr als ein duzend Studien
und riesige Metastudien zum Themenkomplex analysierte, hat vor allem starke Zweifel, was den
medizinischen-psychologischen Effekt von Achtsamkeit in Schulen betrifft. Er beschreibt ähnliche
methodische Fehler und Unklarheiten, wie sie auch schon in dieser Arbeit zuvor eingehend
beschrieben wurden467 und stellt außerdem fest, dass im schulischen Kontext noch weniger
Einigkeit darüber herrscht, was genau unter Achtsamkeit/Mindfulness zu verstehen sei. Als
krassestes Beispiel nennt er eine Studie, in der Kinder 15 Minuten lang malen mussten und dies
als „achtsame Intervention“ dargestellt wurde.468
Resnick, der hinsichtlich der Marke „Achtsamkeit“ sowie ihres Potentials, neoliberale
Denkmuster zu verstärken, wenig kritisch ist, räumt zumindest ein, dass auch Unternehmen, die
das Produkt vertreten, natürlich großes Interesse an der weiteren Verbreitung von
464 Vgl. Jackson, „Must children sit still? The dark biopolitics of mindfulness and yoga in education“. 465 Marc R. Poirier, „Mischief in the Marketplace for Mindfulness.“ In What's Wrong with Mindfulness?
(And What Isn't). 466 Vgl. ebd. 467 Darunter am vordringlichsten: Was ist die aktive, wirksame „Zutat“ in Achtsamkeit, die sie von anderen
stressreduzierenden Interventionen bzw. Placebos unterscheidet? (siehe 4.4 oben) 468 Vgl. Resnick, „Is mindfulness meditation good for kids? Here’s what the science actually says“.
114
Achtsamkeitsprogrammen an Schulen haben. Schließlich endet sein Beitrag mit einer Art
Checkliste469, die sich Eltern bezüglich Achtsamkeitsprogrammen in Schulen stellen sollten und
welche hier stark verkürzt im englischen Original wiedergegeben wird:
• Is mindfulness instruction replacing another, potentially more valuable, activity or resource?
• How much does the program cost? Where is the budget coming from?
• How much training do the instructors have? […] Are the instructors used to the classroom setting?
• Do the instructors practice mindfulness in their own lives?
• Are the instructors using a mindfulness practice with a strong evidence base like mindfulness-based stress reduction (MBSR)?
• Have the practices been fully secularized? Will the students learn about Buddhist origins of the techniques? (This might be more of a sticking point for some parents more than others.)
• Is there a quiet space for the training? Distractions will make it a waste of time.
• Is it being used to control behavior or to reduce anxiety? 470
Abschließend zu diesem Exkurs in die Schulwelt sollte festgehalten werden, dass die Motive,
Achtsamkeit in Schulen einzusetzen, mannigfaltig sind, da die Vorteile oberflächlich betrachtet
auf der Hand liegen, wobei in der folgenden Aufzählung auch die Gegenargumente sozusagen
mitgeliefert werden (AiS steht für „Achtsamkeit in Schulen“) sollen:
• AiS ist zumeist recht kostengünstig für den Staat, die Region oder Kommune, dem die
Schulbehörde untersteht in Relation zu der Bandbreite und Anzahl an Kindern, die erreicht
werden.
• Ruhigere SchülerInnen sind angenehmer für LehrerInnen und das Schulsystem
insgesamt.
• Beruhigte SchülerInnen sind tatsächlich aufnahmefähiger im stofflichen Lernen – jedoch
auch unkritischer und weniger diskussionswillig.
• Zumindest zertifizierte MBSR und vielleicht auch ähnliche Programme könnten tatsächlich
die wachsenden Angstzustände und Depressionen von SchülerInnen vermeiden helfen.
• Achtsamkeit knüpft jedoch nicht bei den Ursachen für psychisch auffälliges Verhalten an
– Probleme werden nicht in ihrem historischen, sozialen, ökonomischen und
institutionellen Wirkungsgefüge betrachtet.
• Probleme der SchülerInnen werden dadurch – typisch neoliberal – internalisiert
(Betroffenen Kinder/Jugendlichen denken sich häufig: „Ich bin nicht genug, so wie ich bin.“
„Ich muss mich bloß richtig anstrengen und mich um meine Defizite kümmern, um dann
auch als Mensch zu genügen; also muss ich die standardisierten Kompetenzen für den
Arbeitsmarkt um jeden Preis erwerben!“).
• AiS hinterfragt den Status Quo von sozioökonomischen Klassen innerhalb der
Gesellschaft nicht und festigt ihn womöglich noch.
• Studien zur Wirkung von AiS sind äußerst mangelhaft.
469 Vgl.Resnick, „Is mindfulness meditation good for kids? Here’s what the science actually says“. 470 Vgl.ebd.
115
• Eine durch buddhistische Ethik untermauerte und sozusagen „vollumfängliche“
Achtsamkeitspraxis ist im institutionellen Kontext von öffentlichen Bildungseinrichtungen
entweder verboten oder zumindest praktisch aus anderen Gründen nicht umsetzbar (z.B.:
durch den Wiederstand der Eltern).
4.8. Meditieren für effizienteres Töten?
Dieser Exkurs soll zeigen, dass zumindest buddhistisch inspirierte Meditation tatsächlich
missbräuchlich verwendet werden kann. Welches Thema würde sich besser hierfür anbieten, als
das Thema Gewalt und Krieg? Innerhalb in den Lehren des Buddha hat dieses Thema explizit
gar keinen Platz, wiewohl unterschiedliche Konzeptionen des Buddhismus, eingebettet in den
jeweiligen historischen Kontext, praktisch sehr kreativ mit den Prinzipien Gewaltlosigkeit und
Tötungsverbot umgegangen sind.471 Wird jedoch Bezug genommen auf die als ursprünglich
verstandene Lehre des Buddha, wie sie im zweiten Hauptkapitel (siehe 3. oben) dargestellt
wurde, kann Achtsamkeit nie dazu verwendet werden, effizienter Gewalt anzuwenden. Der
Missbrauch in diesem Bereich verdeutlicht wie kein anderer Vergleich, dass
Achtsamkeitsmeditation auch in anderen Bereichen für „unheilsame“ Taten, sprich ethisch
„falsch“, eingesetzt werden kann; wenig überraschend sind im Rahmen dieser Arbeit neoliberal-
kapitalistische Belange gemeint, obwohl sogar dieses Unterkapitel nicht streng von dem
Hauptziel dieser Arbeit getrennt werden kann; denn kapitalistisch verwertbare
Effizienzsteigerung und Optimierungen im Gewaltbereich überschneiden sich: Effizientere
Gewaltanwendung ist auch kostengünstiger.
Das unter BörsianerInnen beliebte deutsche Handelsblatt verdeutlicht die Wertneutralität,
die sich hinter buddhistisch inspirierter konzentrativer Meditation verbirgt, wenn es den Autor des
Werkes Evolving Dharma: Meditation, Buddhism, and the Next Generation of Enlightenment472,
Jay Michaelson, mit folgenden Worten zitiert: „Meditation hatte diesen Ruf, eine Hippie-Sache zu
sein – etwas für Leute, die mit besonders sanfter Stimme reden. […] Samurais haben meditiert,
um besser töten zu konnen.“ Die Zeitschrift ergänzt, dass auch Kamikaze-Piloten Meditation
praktizierten und erinnert dabei an ein besonders unrühmliches Kapitel im japanischen
Buddhismus, welchem Brian Victoria mit Zen at War473 ein ganzes Buch gewidmet hat. Die
kalifornische Zen Lehrende und Zivilrechtsaktivistin Joan Hailfax bringt die Ambiguität in
471 Vgl. Thomas Klatt, „Keine vollige Gewaltlosigkeit - Auch Buddhisten kennen menschliche Konflikte.“
Deutschlandfunk Kultur, zuletzt geprüft am 12.02.2021, https://www.deutschlandfunk.de/keine-voellige-gewaltlosigkeit-auch-buddhisten-kennen.886.de.html?dram:article_id=308008.
472 Jay Michaelson, Evolving Dharma: Meditation, Buddhism, and the Next Generation of Enlightenment (Berkeley, California: Evolver Editions, 2013).
473 Brian Daizen Victoria, Zen at War, 2. ed., War and peace library (Lanham, Md.: Rowman & Littlefield, 2006).
116
Achtsamkeitsmeditation so auf den Punkt: „Man kann Menschen mit Meditation zu
Scharfschützen ausbilden.“474
Der Begründer des Engagierten Buddhismus, Thich Nhat Hanh, jedoch sieht in der
Anwendung von Achtsamkeitspraxis für Scharfschützen und ähnliche gewaltbezogene Gebiete
keine echte buddhistische Achtsamkeit am Werk. Thich Nhat Hanh versteht unter dem Wort
„Achtsamkeit“ auch immer einen Miteinbezug buddhistischer Werte, wie er hier ausführt:
Jetzt hat das Militär in den USA die Achtsamkeit entdeckt, um das Geschäft des Tötens zu verbessern.
Und es gibt diejenigen unter uns, die sich weigern, unter diesen Bedingungen Achtsamkeit zu lehren,
weil sie sagen, Achtsamkeit darf nicht dazu verwendet werden, dass Menschen sich noch mehr
bereichern oder dass beim Töten geholfen wird. Doch wenn ihr wahre Achtsamkeit praktiziert, braucht
ihr keine Angst zu haben. Diese Praxis gibt den Menschen einen echten Geschmack von Freude und
Glück. Und wenn sie einmal diesen Geschmack von Freude und Glück erfahren haben, werden sie ihre
Absichten ändern. […] Menschen können sich nicht so etwas wie die Achtsamkeit des Schießens
vorstellen. „Ich atme ein und weiß, der Feind ist da. Ich atme aus und drücke ab.“ Das ist keine
Achtsamkeit; sie ist nicht dazu da, damit ihr euch besser konzentrieren konnt, um jemanden zu toten.
Wenn es tatsächlich Rechte Achtsamkeit ist, dann erkennt ihr alle anderen sieben Elemente des Edlen
Achtfachen Pfads in ihr.475
Dieses Verständnis von Achtsamkeit, welches Thich Nhat Hanh hier offenbart, ist unter
BuddhistInnen nicht unumstritten, dreht sie sich letztlich vielleicht doch nur um eine
terminologische Feinheit, die jedoch „rechte Achtsamkeit“ („vollwertig“ buddhistische) von
„bloßer“ Achtsamkeit (jegliche Art von westlich-säkularer konzentrativer Meditation) trennt. Dies
wird beispielsweise deutlich, wenn Farias und Wikholm eine Frau eines neuseeländischen
Meditationszentrum zitieren, die auf einen Mönch verweist, der ihr sagte, dass nur der gesamte
„Edle Achtfache Weg des Buddha“ ein heilsames Leben ermogliche, während bloße Achtsamkeit,
verstanden als Konzentrationsübung, Soldaten es ebenso ermögliche, effektiver zu töten476.
Purser verdeutlicht genau den gleichen Unterschied, wenn er von
„Aufmerksamkeitskontrolle“ (etwa für SoldatInnen) versus buddhistischer „rechter Achtsamkeit“
(„right Mindfulness“) spricht. Letztere hat das Ziel Mitgefühl und gesunde (buddhistisch:
„heilsame“) Geisteszustände zu entwickeln sowie nicht schädliche Fertigkeiten, die in den Dienst
aller gefühlsbegabter Lebewesen gestellt werden – sogar jener, welche als „Feinde“ („enemies“)
wahrgenommen werden477. Bezug nehmend auf niemand geringeren als den Buddha selbst (und
die von ihm als original angenommen Reden), betont Purser, dass Buddha nicht etwa die
Möglichkeit eines (auch militärisch ausgetragenen) menschlichen Konflikts kategorisch
ausschloss; er hätte jedoch nie einem Soldaten beigebracht, wie er noch effizienter töten könnte.
474 Handelsblatt, „Wenn Wall-Street-Profis meditieren:“. 475 Thich Nhat Hanh, „Es gibt keine Achtsamkeit des Totens.“ Buddhismus Aktuell 2016/1 (2016), zuletzt
geprüft am 27.10.2020, https://buddhismus-aktuell.de/artikel/ausgaben/20161/es-gibt-keine-achtsamkeit-des-toetens.html.
476 Vgl. Farias und Wikholm, The Buddha Pill. 477 Vgl. Purser, McMindfulness. S. 174-175.
117
Stattdessen leitete er Könige und Generäle an, die Ursachen des Entstehens von Konflikt und
Gewalt genauestens zu studieren und beriet sie, diese zu vermeiden.478
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Optimierung von SoldatInnen durch
buddhistisch begründete Meditation nichts Neues und sicherlich kein ursprünglich neoliberales
Projekt ist. Gewiss, in der Vergangenheit war die finanzielle Kosteneinsparung kein primärer
Grund für militärisches Achtsamkeitstraining, wie dies heute etwa beim US Militär der Fall ist479,
sondern eine Art Gehirnwäsche Menschen überhaupt erst dazu zu bringen, sich selbst derart zu
vergessen, um als eine menschliche Tötungsmaschine zu agieren. Brian Victoria, der Autor des
oben schon erwähnten Buches Zen at War, schildert ausführlich, wie durch buddhistisch
inspirierte Meditation im 2. Weltkrieg junge japanische Soldaten zu effektiveren, weil
emotionsloseren Tötungsorganen zu Land sowie im Himmel (Kamikaze-Piloten, die auf ihren
Selbstmordmissionen dabei sich selbst vergessen mussten) geformt wurden. Außerdem erwähnt
er japanische Mörder in den 1930-ern, die erst gestärkt durch Shamatha (oder „samadhi“;
konzentrative Meditation) und eingeschult durch Zen Gelehrte, die Tötung des Finanzministers
ausführen konnten. Einer der Mörder erklärte gemäß Victoria vor Gericht:
After starting my practice of Zen, I entered a state of samadhi the likes of which I had never experienced
before. I felt my spirit become unified, really unified, and when I opened my eyes from their half-closed
meditative position I noticed the smoke from the incense curling up and touching the ceiling. At this point
it suddenly came to me — I would be able to carry out [the killing] that night.480
Ein aktuelleres Beispiel, welches jedoch aus einem ähnlichen Gedankengut entspringt, ist der
norwegische Terrorist Anders Breivik, der 22. Juli 2011 bei einem Bombenanschlag in Oslo und
bei einem anschließenden Amoklauf im Zuge eines Ferienlagers auf der Insel Utøya insgesamt
77 Menschen tötete. Auffallend war, dass Breivik es schaffte, sich sowohl während des Attentats
als auch in seinen eignen Erzählungen zum Tathergang emotional maximal zu distanzieren. Es
wurde festgestellt, dass Breivik sich durch buddhistisch inspirierte Meditation auf seine
unbeschreiblich kaltblütige Tötungsmission (32 seiner Opfer waren Kinder und Jugendliche)
vorbereitet hatte. Vishvapani Blomfield, Autor des hier zitierten Guardian-Artikels, unterstreicht,
dass Meditation hier für Breivik ein bloßes Werkzeug war, um relativ ungehindert durch
emotionale Vorgänge an sein blutiges Ziel zu gelangen – das Ziel hingegen war bestimmt durch
die rassistische Geisteshaltung Breiviks, die durch die buddhistisch inspirierte Mediationstechnik
keineswegs gelindert wurde. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass Breivik
auch aufputschende und die Konzentration fördernde Medikamente zu sich genommen hatte.
Dennoch: bei seinen Vernehmungen gab Breivik zu Protokoll, dass er sich selbst als japanischen
478 Vgl. Purser, McMindfulness. 479 Vgl. ebd. 480 Brian D. Victoria, „Teaching Buddhism and Violence.“ In Teaching religion and violence, hrsg. v. Brian
K. Pennington, Teaching religious studies series (New York: Oxford University Press, 2012).
118
Krieger am Weg zur durch Zen angeleiteten Erleuchtung sah und sieht – denn der Attentäter geht
in seiner Zelle weiterhin seiner Zen Meditation nach.481
Blomfield stellt dem gegenüber, dass bereits der Buddha über die dem Menschen
zugrunde liegenden, ihn/sie antreibenden Weltanschauungen und Glaubenssysteme Bescheid
gewusst haben soll und somit „Rechtes Verstehen“ an den Beginn seines „Achtfachen Pfades“
gestellt hat: Er hat zum Ziel richtige Gesinnung von falscher zu unterscheiden. Blomfield streicht
hervor, dass auch diesem Achtfachen Pfad eine deutliche Doktrin innewohnt, wo doch der so
genannte Buddhismus als äußerst undogmatisch gesehen wird und gegen jede Indoktrination
erhaben zu sein scheint. Jedoch weist er ebenso darauf hin, dass ein zu frühes Loslassen dieser
Lehren vorherrschende Ideologien und Denkweisen nur noch verstärkt. Zumal die erste der
grundlegenden Fünf Tugendregeln (oder „Fünf Übungsregeln“; Pali: panca sila) des Buddha
schon besagt, nicht zu töten. Der Guardian Artikel schließt mit folgendem, ebenso für die
vorliegende Masterarbeit zentralen Satz: „Its effects, for good or ill, depend on the system of
values that guide how a person uses it.“482 Der dem Menschen tief innewohnende Wertekompass
also wird die Richtung bestimmen, in die sich dieser nun durch Meditation gestärkte Mensch bloß
noch schneller bewegen kann.
Sogar Matthieu Ricard gibt mittlerweile zu bedenken, dass „Achtsamkeit alleine“
(„Mindfulness alone“) nicht genug sein kann, um einen besseren – oder, wie er sagt,
„fürsorglicheren“ – Menschen aus jemandem zu machen: In einer Art terminologischem
Minenfeld, das im Laufe der (post)modernen „Buddhismen“ um den Begriff
„Mindfulness/Achtsamkeit“ entstanden ist, schlägt Ricard nun um nichts weniger vor, als dass
echte buddhistische oder eben traditionell „rechte“ Achtsamkeit von nun an als „fürsorgende“
Achtsamkeit bezeichnet werden soll, um, wie er weiter sagt, die Achtsamkeitsrevolution auch an
eine altruistische Revolution zu knüpfen.483
4.9. Meditieren für den Neoliberalismus? – Der Versuch einer Antwort
Mit dieser von Ricard getätigten Einschränkung kann zum Abschluss des gegenwärtigen
Hauptkapitels bemerkt werden: Im Namen der „Achtsamkeit“/“Mindfulness“ bzw. buddhistisch
begründeten Meditation ist nicht nur stärker fokussiertes Hypertrading an der Börse oder
kompromisslosere (Selbst-)Ausbeutung im Wirtschaftsleben, sondern auch effizienteres Töten
481 Vgl. Vishvapani Blomfield, „Anders Behring Breivik used meditation to kill – he's not the first.“ The
Guardian, 22.05.2012, zuletzt geprüft am 28.03.2021, https://www.theguardian.com/commentisfree/belief/2012/may/22/anders-behring-breivik-meditation.
482 Ebd. 483 Vgl.Matthieu Ricard, „Caring Mindfulness.“ Zuletzt geprüft am 28.03.2021,
https://www.huffpost.com/entry/caring-mindfulness_b_7118906.
119
möglich. Jedoch schließt echte/rechte/fürsorgende buddhistische Achtsamkeit, basierend auf den
fünf Übungsregeln des Buddha sowie seinem Achtfachen Pfad, all dies aus.
Vielleicht kann in historischer Perspektive gesagt werden, dass die aus dem
buddhistischen Kontext gerissenen Praktiken und Bewegungen, die bezüglich ihrer Terminologie
kaum mehr zu überblicken und zu klassifizieren sind (z.B.: „Nur-Achtsamkeit“; „säkulare
Achtsamkeit“; „Achtsamkeitsbusiness“/“McMindfulness“; „bloße Achtsamkeit“, etc.) den
„heilsamen“ Zweck erfüllen, die ethischen Vorzüge eines „vollwertigen“ Buddhismus (bestehend
aus Buddha, Dharma und Sangha) wieder stärker ins Blickfeld zu rücken. Unter diesem
Blickwinkel weist Zizek zunächst zurecht auf das dem Buddhismus innewohnende Potential hin,
die im Neoliberalismus so typischen Ökonomisierung aller Lebensbereiche sogar noch zu
verstärken. Doch Zizek meint einen verstümmelten Buddhismus, keinen gesunden Buddhismus,
der durchaus an die gegenwärtige Zeit angepasst zur Erlösung aller leidensfähiger Wesen durch
solch urbuddhistische Prinzipien wie „Nichtschaden“, „Mitgefühl“ und „liebende Güte“ beitragen
soll und kann.
Letztlich wird es auch daran liegen, die Verblendung, die es da und dort auch in
buddhistischen und buddhistisch inspirierten Sphären gibt (z.B.: Buddhismus lediglich gesehen
als Beruhigungspille und Weltflucht; Achtsamkeitspraktiken als bloße Selbstoptimierung; etc.),
durch eigene – vielleicht auch meditative – Erkenntnis und durch offenes Hören der KritikerInnen
von außen abzustreifen und durch das somit schwindende Ego hindurch das große,
interdependente Ganze zu sehen. Hierauf folgernd wird nun im letzten Hauptkapitel abschließend
kurz umrissen, wie kontemporär gelebte Buddhismen und buddhistisch inspirierte Praktiken zu
einer gerechteren Welt, ganz entgegen der neoliberalen bloßen Nutzenmaximierung als
Selbstzweck, beitragen können und könnten.
120
5. Hin zu einem „Sozialen Buddhismus“?
5.1. Vorbemerkungen
Der Theologe Koivulahti (Universität von Helsinki) schreibt bezüglich Zizeks Befürchtung, dass
buddhistisch inspirierte Praktiken und ein moderner Buddhismus selbst perfekte Handlanger des
Kapitalismus484 sein könnten, zahlreiche buddhistische Organisationen gegenüberstehen, die
ganz im Gegensatz zum neoliberalen Dogma das Gemeinwohl der Gesellschaft ins Zentrum ihrer
Bemühungen stellen. Koivulahti beginnt zunächst jedoch mit einem historischen Beispiel, um zu
zeigen, dass der Buddhismus keineswegs so eskapistisch ist und war, wie Zizek dies gerne
darstellt. Der Autor führt Zen Mönche an, die sich weigerten, die kaiserlichen Weg der Allianz mit
den Nationalsozialisten zu gehen. Das prominenteste und extremste Beispiel ist dies des Soto
Zen Mönchs Uchiyma Gudo. Er vertrat sogar im faschistischen Japan des 2. Weltkriegs die
Auffassung, dass ein vollkommen gelebtes Dharma einem perfekten Sozialismus entsprach, in
dem die gesamte Menschheit ohne jeden Privatbesitz in einer Art weltweiten buddhistisch-
sozialistischen Sangha leben würden. Diese Sichtweise kostete ihm letztendlich auch das Leben.
Vor seiner Exekution schrieb er in einer seiner als subversiv und verräterisch gebrandmarkten
Schriften:
As a propagator of Buddhism I teach that ‘all sentient beings have the Buddha nature’ and that ‘within
the Dharma there is equality, with neither superior nor inferior.’ Furthermore, I teach that ‘all sentient
beings are my children.’ Having taken these golden words as the basis of my faith, I discovered that
they are in complete agreement with the principles of socialism. It was thus that I became a believer in
socialism.485
Koivulahti weist auf den Ursprung der in dieser Passage getätigten Zitate hin, nämlich einmal
das Lotus-Sutra (“All sentient beings are my children.“) und zum Zweiten das Diamant-Sutra
(„Within the Dharma there is equality, with neither superior nor inferior.’’). Für den Autor sind dies
hinreichende Beweise, dass auch der Buddhismus, ganz im Gegenteil zu Zizeks Befund, den
Keim des Aktivismus für eine bessere Welt in sich trägt.486 Des Weiteren zitiert der finnische
Theologe487 den japanischen Philosophen der Kyoto Schule Abe, der in seinen Schriften
hervorstreicht, dass BuddhistInnen durch wahre mahakaruna, oder wahres „großes Mitgefühl“,
die Fähigkeit haben, das Leiden von anderen wahrhaft mitzuleiden und ihm auch lebendig zu
begegnen488. Zizeks Kritik am Buddhismus wird in der Folge auf bereits historisch
484 Vgl. Toni J. Koivulahti, „Compassionate apocalypse: Slavoj Žižek and Buddhism.“ Critical Research on
Religion 5, Nr. 1 (2016): 44, doi:10.1177/2050303216676521. 485 Victoria, „Japanese Corporate Zen,“ 63. 486 Vgl. Koivulahti, „Compassionate apocalypse: Slavoj Žižek and Buddhism,“ 43. 487 Vgl. ebd., 44. 488 Masao Abe und William R. LaFleur, Hrsg., Zen and Western Thought, 1st paperback ed. (Honolulu:
University of Hawaii Press, 1989).
121
missverständliche Interpretationen des Buddhismus beziehungsweise auf die vielleicht
absichtlich simplizistische Lesart des slowenischen Philosophen zurückgeführt.489
Weit weniger extreme und ideologisch unverdächtige Beispiele als dieses historische des
Gudu und seiner Vision eines buddhistischen Sozialismus haben sich unter dem Überbegriff
„Engagierter Buddhismus“ zusammengefunden. Dies ist eine moderne Form des Buddhismus,
welche vor allem soziale (und manchmal auch ökologische) Aspekte in den Fokus ihres Denkens
und Handelns rücken (deshalb auch oft als „Sozial Engagierter Buddhismus“ bezeichnet).
5.2. Der Buddha als „sozial Engagierter“?
Johannes Litsch, einer der führenden Vertreter und Verbreiter eines „Engagierten Buddhismus“
im deutschsprachigen Raum, bildet auf seiner Internetseite zunächst prominent folgendes Zitat
des historischen Buddha ab: „‘Auf mich selbst achtend, achte ich auf den anderen, Auf den
anderen achtend, achte ich auf mich selbst.‘”490 Dieses Zitat weist bereits in die Richtung, in
welche engagierte BuddhistInnen in ihren Bemühungen gehen: Keineswegs weltabgewandt,
eskapistisch oder nur um das eigene Erwachen bemüht, versuchen (sozial) engagierte
BuddhistInnen, die Welt „besser“ (genauer: „heilsamer“) zu machen, indem sie andere
Lebewesen ein Stück näher ans Erwachen führen und das Leid in der Welt insgesamt lindern.
Bhikku Bhodi schreibt hierzu in der Einleitung zu seinem voluminösen Übersetzungswerk der als
original angenommen Reden des Buddha In Buddha’s Words, dass schon der historische Buddha
bemüht war, die sozialen Kontexte, in die seine HörerInnen eingebettet waren, in seine
Überlegungen miteinzubeziehen:
[…] the ancient discourses of the Pāli Canon clearly show us how the Buddha’s wisdom and compassion
reached into the very depths of mundane life, providing ordinary people with guidelines for proper
conduct and right understanding. Far from being a creed for a monastic élite, ancient Buddhism involved
the close collaboration of householders and monastics in the twin tasks of maintaining the Buddha’s
teachings and assisting one another in their efforts to walk the path to the extinction of suffering.[…]
[The Dhamma] could never have done this if it had not directly addressed their earnest efforts to combine
social and family obligations with an aspiration to realize the highest.491
Mit „highest“ ist hier das Erwachen gemeint. Diesbezüglich führt Litsch an anderer Stelle aus,
dass der Buddha vor seinem vollständigen Erwachen noch eine Frage zu klären hatte; nämlich
ob es reicht, selbst kein Leiden mehr zu erfahren, oder ob die eigene Erwachung nicht auch
miteinschießt, kein Leid mehr zu erzeugen? Gemäß Litsch und vielen anderen BuddhistInnen
sowie buddhistisch geprägten Menschen kam der Buddha zum Schluss, dass es einem Buddha
489 Vgl. Koivulahti, „Compassionate apocalypse: Slavoj Žižek and Buddhism,“ 44. 490 Franz-Johannes Litsch, „Engagierter Buddhismus.“ Zuletzt geprüft am 14.05.2021,
https://www.buddha-netz.org/.: Pali Kanon, Satipatthana Samyutta, Nr. 19 491 Bodhi, In the Buddha's Words.
122
nur darum gehen kann, am Weg zur eigenen Erwachung an der Erwachung anderer in
empfindsamer Wesen teilzuhaben.492
Sulak Sivaraksa (oder kurz „Sulak“), einer der weltweiten Begründer eines Engagierten
Buddhismus, schreibt vor diesem Hintergrund, dass der Buddha von seinen AnhängerInnen in
der Geschichte auch und vor allem anders, nämlich eskapistischer, interpretiert wurde. Laut ihm
ist der Vorwurf, dass der Buddhismus eine die Weltabgewandtheit fördernde Religion sei,
mitunter in Teilen noch immer zutreffend und deshalb gehört das buddhistische Verständnis von
„Erwachung“ (oder hier „Erleuchtung“) dahin gehend erweitert, dass Erleuchtung nicht immer nur
interne Erleuchtung ist. Er schreibt wörtlich, dass der Buddhismus hier bislang „schwach“ („weak“)
493 gewesen ist. Im Gegensatz zu bloßer innerer Erleuchtung, muss es auch darum gehen, ein
echtes Verständnis über das Selbst und die Gesellschaft herzustellen. Was er damit meint, führt
er wie folgt aus:
If your society is unjust, exploitative, and violent, how do you respond? With all the paramitas [or
"perfections"] of a Bodhisattva, one dedicated to the liberation of all beings: humbly, seriously, without
much attachment, with awareness, with vigor, with patience, with a great vow to change things. [4] But
Buddhists have too often been ‘goody-goodies’ and not really responded to all the suffering in society.494
In diesem Appell, buddhistische Weisheit (Pali: panna; oder Sanskrit: prajñā) wie auch das
Bodhisattva-Ideal aus dem Mahayana (siehe 3.4.2 oben 5.2.1 unten um moderne Komponenten
zu erweitern, schließt er auch eines der zentralsten Elemente des Buddhismus mit ein: das Leiden
und die Gründe für das Leiden (die erste und zweite der „Vier Noblen Wahrheiten“ des Buddha).
Das Leiden der Menschen, so Sulak, war zu Lebzeiten des Buddha zweifelsohne
furchtbar, jedoch waren die Ursachen nicht so komplex wie heute. Somit muss auch die Lehre
des bedingten Entstehens aller Phänomene viel komplexer sein, als zu Buddhas Zeit. Sulak öffnet
die ohnehin schon als recht undogmatisch geltende buddhistische Philosophie noch weiter: „We
Buddhists need help from the social scientists: from sociologists, psychologists, anthropologists,
etcetera. We should be very open and translate the findings of these disciplines into Buddhist
understandings.”495 Diese und andere modernen Wissenschaften sind jedoch mit besonderer
Vorsicht als bloße Hilfen heranzuziehen und müssen immer dazu dienen, gemäß der
buddhistischen Kernlehre, gegen Gier, Hass und Verblendung anzukämpfen. Ganz ohne diese
Öffnung hingegen, läuft der Buddhismus selbst Gefahr zur Verblendung beizutragen. Ohne eine
Antwort auf soziale Realitäten, führt Sulak in ebenso klaren Worten fort, wird der Buddhismus zu
einer Art Eskapismus für die Mittelschicht.496
492 Vgl. Litsch, „Was ist Buddhismus?“. 493 Donald Rothenberg, „A Thai perspective on socially engaged Buddhism:: A conversation with Sulak
Sivaraksa.“ ReVision, zuletzt geprüft am 14.05.2021, http://ccbs.ntu.edu.tw/FULLTEXT/JR-ADM/rothberg.htm.
494 Ebd. (eckige Klammern im Original) 495 Ebd. 496 Vgl. ebd.
123
Sulak sollte so 1992 das Dilemma des Buddhismus hinsichtlich „McMindfulness“ oder
Achtsamkeitsbusiness bereits vorhersehen: Einerseits erfreuen sich buddhistisch inspirierte
Praktiken weltweit einer nie dagewesen Beliebtheit, andererseits laufen diese Praktiken Gefahr,
die Verblendung der Menschen noch zu verstärken (z.B.: Wellness-Eskapismus, Egozentriertheit,
Selbstoptimierung innerhalb des neoliberalen, auf Massenkonsum orientieren Systems). In
Sulaks Worten klingt das wie folgt:
Buddhist, if one is not radical and does not work to eliminate suffering, one may end up only taking a
little bit of Buddhism for one's individual ego. But Buddhism is not often radical; it coexists too easily
with capitalism and consumerism. If Buddhism is not radical here in the United States, it will one day
simply become a kind of Americanism and not make much of a contribution, just as Buddhism is often
a mere decoration in Japan.”497
Für Sulak ist es also gerade die soziale Komponente, die einen lebendigen echten Buddhismus
im Westen wie im Osten ausmacht und ihn davor bewahrt, zur bloßen Dekoration – vielleicht im
Sinne einer verstaubten Statue des Buddha – zu verkommen.
David Loy, der ähnlich wie Sulak die moderne, psychologisierte Form der Werbung und
den damit in Verbindung stehenden Konsumismus als zentrale Beispiele kontemporärer
“Verblendung” anführt498, verweist in diesem Zusammenhang auf die Herausforderung für
BuddhistInnen, herauszufinden, die wirkungsvollsten buddhistischen Lehren auf die heutige Welt
anzuwenden. Er verweist hierbei ebenso auf den Buddha, der seine Lehren nicht dogmatisch,
sondern nur als yana (Pali/Saskrit: Fahrzeug) verstanden hat, um den Weg zur Erleuchtung
zurück zu legen – oftmals in der Literatur verglichen mit eine Fähre, mithilfe derer die Überfahrt
vom leiderfüllten Leben hin zum Ufer der Erleuchtung bestritten wird. Ähnlich ausdrucksstark ist
der Begriff der “geschickten Mittel” (“skillful means”; Sanskrit: upaya): Er verweist zum einen auf
die Flexibilität des Buddha selbst in seinen Lehrreden, aber auch auf die Mannigfalltigkeit der
konkrete Anwednungsbeispiele seiner Lehrern.499 Loy vertritt dabei die vielleicht auf den ersten
Blick gewagte Ansicht, dass wenn diese Lehren als Werkzeug nicht mehr ausreichen würden, um
die kontemporären globalen Krisen zu verstehen und dagegen vorzugehen, so müsste selbst
dieses Werkzeug ersetzt werden, schließlich sei gerade auch die Unbeständigkeit/Impermanenz
(“impermanence”) ein zentrales Prinzip im Buddhismus.500 Bei genauerer Betrachtung jedoch, ist
selbst eine der zentralsten Figuren fast aller kontemporärrer Buddhismen, der mitfühlende
Bodhisattva, der so lange unerwacht bleibt, bis alle Wesen Erwachung finden mögen, eine
Erweiterung der ursprünglichen Lehren des Buddha.501
497 Rothenberg, „A Thai perspective on socially engaged Buddhism:“. 498 Loy, Money, Sex, War, Karma, 151–52.: “[…] our collective awareness has become trapped and
manipulated.” 499 Vgl. ebd., 146. 500Vgl. ebd., 84. 501 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 151.
124
5.2.1. Engagierter Buddhismus und das Mahayana „Bodhisattva Ideal“
Auch das Bild des Bodhisattva kann im Spannungsfeld zwischen rein individueller, innerer
Befreiung und dem Streben nach außen hin zum Mitwirken an der Befreiung aller fühlenden
Wesen gesehen werden. Während der Terminus Bodhisattva ursprünglich lediglich ‚jemand,
der/die sich der Erlangung der Erleuchtung verschrieben hat‘ ausdrückte und somit auch nur die
eigene Erleuchtung gemeint sein konnte, erfuhr der/die Bodhisattva im Mahayana Buddhismus
die heute vorherrschende Bedeutung: Jemand, der/die sich am Weg zur perfekten Buddhanatur
befindet und die Aufgabe hat, anderen Wesen durch eine mitfühlende Lebensweise zu helfen,
und dabei die eigenen Weisheit zu vertiefen.502
Loy umschreibt die Aufgabe eines Buddhisten oder einer Buddhistin mit abgelegtem
Mahayana Bodhisattva-Gelübde mit den folgenden Worten: “The point of the bodhisattva path is
that none of us can be fully awakened until everyone ‘else’ is too. If we are not really separate
from each other, our destinies cannot really be separated from each other, either.”503 Die
Schwierigkeiten und die Komplexität der gegenwärtigen Weltsituation erfordern es, so führt Loy
weiter aus, dass sich das Mitgefühl der Bodhisattvas in politisch engagierterer Weise ausdrücken
muss. Während der Autor an anderer Stelle den geringen Einfluss, den Buddhistinnen auf das
Weltgeschehen haben werden, einräumt und sozial engagierte BuddhistInnen als bloß ein
Ziegelstein in einer Wand voll anderer sozialer Bewegungen bezeichnet,504 schreibt er auch, dass
gerade die Einübung in eine buddhistisch-spirituelle Praxis eine Besonderheit darstellt: Sie kann
der Schlüssel sein gegen Erschöpfung und Burnout, Phänomene die ansonsten im Umfeld der
sozialen AktivistInnen weit verbreitet sind.505 Insgesamt, sagt Loy in einer Art Ausblick, ist der
Buddhismus entgegen anders lautender – und durchaus berechtigter – Kritik, extrem gut
geeignet, sich sozialer und okologischer Probleme anzunehmen: „Buddhism provides a wonderful
archetype that can bring individual and social transformation together: the bodhisattva.
Bodhisattvas have a double practice—as they deconstruct and reconstruct themselves, they also
work for social and ecological change.”506
Auch Brodbeck sieht in der buddhistisch-spirituellen Praxis der individuellen Meditation
einen wirkmächtige BegleiterIn im sozialen Engagement. Er schreibt, dass Buddha die
regelmäßige Meditation empfahl, “um sich gegen die stets neu aufflammenden Impulse des
Eigeninteresses zu wappnen“507. Brodbeck trennt jedoch klar die „konzentrative“ (oder wie er sagt
502 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 151. 503 Loy, Money, Sex, War, Karma, 145. 504 Vgl. ebd., 152. 505 Vgl. ebd., 145. 506 David Loy, „Buddhists Must Awaken to the Ecological Crisis.“ Lion's Roar, 21.04.2020, zuletzt geprüft
am 11.11.2020, https://www.lionsroar.com/can-we-awaken-to-the-ecological-crisis/.; der einen solchen Buddhismus in diesem Artikel „sozial erwachten Buddhismus“ („sociallly awakened Buddhism“) nennt.
507 Karl-Heinz Brodbeck, „Sozial engagierter Buddhismus.“ Zur Debatte - Themen der Katholischen Akademie in Bayern 08/2012 (2012): 21, zuletzt geprüft am 13.05.2021, https://www.kath-akademie-bayern.de/dokumentation/debatten/debatte/gesamtheft-82012.html.
125
„stille“) Meditation, zu der auch die äußerst populär gewordene Atembeobachtung zählt, von der
„analytischen“ (oder „kontemplativen“), die unter anderem der Relativierung des eigenen Egos
dient. Letztere erfordert gemäß Brodbeck weit mehr Ausdauer und Ernsthaftigkeit.508 Außerdem
umfasst die mittlerweile oft zum Modewort verkommene Achtsamkeit laut Brodbeck auch andere
Lebewesen und „muss zur Achtung anderer, zum Mitgefühl werden“509, was wiederum durch
analytische Meditation erleichtert wird. Unterbewusste Triebkräfte, die als sich Gewohnheiten im
Handeln manifestieren – über dieses Wissen verfügte der Buddhismus schon seit jeher – können
durch buddhistische Meditation in ein Handeln aus Mitgefühl verwandelt werden.
Diese Verbindung von tiefer Einsicht aufgrund individueller Geistesschulung (Meditation)
und kollektivem Mitgefühl, ganz gemäß des Lebens eines oder einer Bodhisattva, begründet eine
Ethik, die laut Brodbeck sogar an Kants Kategorischen Imperativ erinnert:
Wer sich egoistisch gegen die gegenseitige Abhängigkeit der Menschen untereinander und von der
Natur verschließt, der gefährdet das gesamte soziale Zusammenleben. Solch ein Verhalten ist nicht
universalisierbar. Deshalb ist der je andere stets als Subjekt – Kant sagt in seiner Metaphysik der Sitten:
‚als Zweck, nicht nur als Mittel‘ – zu betrachten, dem man mitfühlend, durch Mitfreude und Mitleid
verbunden ist.510
Der Autor fasst zusammen, dass die buddhistische Allverbundenheit jedoch streng genommen
„keine moralische Norm mehr darstellt, sondern zur Erfahrung wird“511 Auch Loy bekräftigt, dass
abseits von moralischen Regeln, das eigene Erwachen nicht vom Erwachen eines anderen
unterschieden werden kann, dass man in einer Welt des Leidens, selbst diese Welt ist; eine
Interpretation des Bodhisattva-Ideals, entgegen tradierten Lesarten, ist somit, dass das
Erwachen erst durch die Hilfe für andere bewerkstelligt werden kann.512
Ein Mitglied des buddhistischen Triratna Ordens (vormals: Friends of the Western
Buddhist Order), Dharmapriya, zitiert in diesem Zusammenhang die Yogachara-Schule, die von
„Umkehr oder Umdrehen im tiefsten Sitz des Bewusstseins“,513 spricht. Dharmapriya stellt
außerdem klar, dass die Meditation ihre Wirkung ohne ein ethisch-heilsames Leben nicht voll
entfalten kann und umgekehrt. Er gibt das konkrete Beispiel der Meditation über die liebevoller
Güte: „Wenn wir 30 Minuten am Tag auf dem Kissen sitzen und anschließend voller Misstrauen
und unterschwelliger Aggression durch den übrigen Tag laufen: Wie wahrscheinlich ist es, dass
auf dem Kissen etwas passiert? Und selbst wenn etwas passiert – wozu? […] Alles greift
ineinander“ 514, wiederholt er die zentrale urbuddhistische Weisheit in seinen eigenen Worten und
508 Vgl. Brodbeck, „Sozial engagierter Buddhismus,“ 20. 509 Ebd. 510 Ebd. 511 Ebd. 512 Vgl. Loy, Money, Sex, War, Karma, 82. 513 Buddhismus Aktuell, „Eine Umkehr im tiefsten Sitz des Bewusstseins.“ Buddhismus Aktuell 2020,
Nr. 3 (2020), zuletzt geprüft am 02.09.2020, https://buddhismus-aktuell.de/artikel/ausgaben/202003-transformation/eine-umkehr-im-tiefsten-sitz-des-bewusstseins.html.
514 Ebd.
126
bekräftigt nochmals, dass auch das Leben außerhalb der Mediation von Achtsamkeit und
liebender Güte geprägt sein muss, um die Meditation voll zu entfalten.515 Und um kurz auf Loy
und seine Aussage, der (soziale) Engagierte Buddhismus sei nur ein Ziegel in einer Wand voll
sozialer Bewegungen, zurückzukommen, sei hier angefügt, dass auch Christian Felber abseits
jedweder Religion oder Spiritualität in seinem Buch zur „Gemeinwohlokonomie“ davon spricht,
dass die Menschheit in Zukunft „systematisch Empathie, Kooperation, Solidarität, und
Großzügigkeit lernen“516 könne. Schließlich ist auch die Meditation und die Einübung von
Verhaltensmustern im Alltag ein Er- und Umlernen sowie Verstärken von Denk- und
Handlungsweisen.
Letztlich betont Karlheinz Brodbeck abermals das große soziale Potential, das dem
Wirkungsgeflecht von buddhistisch-meditativen Praktiken einerseits sowie dem aktiven Leben der
buddhistischen Einsicht in die Interdependenz aller Dinge517 andererseits innewohnt. Relativ frei
von persönlichen Begierden, kann so auch das Verständnis in den Wirkungskomplex politisch-
ökonomischer Prozesse vertieft werden und die tiefe Einsicht gewonnen werden, dass “die
Verblendung zur sozialen Institution geworden ist“. Notwendigerweise wird so eine “Analyse der
verblendeten Denkformen zugleich zu einer Kritik der herrschenden Denkformen“518. Als
untermauerndes Beispiel betont er, dass der Buddha selbst sich sehr kritisch bezüglich der
Lehren der “hinduistischen” (würde man heutzutage sagen) Veden geäußert hat. Die Mithilfe zur
Beseitigung der kollektiven Verblendung, die dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem als
Grundlage dient, ist für Brodbeck ein konkretes Aufgabenfeld für (sozial) engagierte
BuddhistInnen519, wie Buddha selbst es als Aufgabe sah, sich gegen das Kastensystem
auszusprechen.
5.2.2. Die Begründer eines Engagierten Buddhismus und INEB
Beim „Engagierten Buddhismus“ handelt es sich um eine moderne, organisierte Form des
Buddhismus, welcher quer durch die drei großen traditionellen Schulen des Buddhismus,
Theravada, Mahayana und Vajrayana, verläuft. Dies wird beispielsweise beim Blick auf das
„Internationale Netzwerk engagierter Buddhisten“ (engl.: International Network of Engaged
Buddhists; INEB) deutlich, welches 1989 in Thailand von je einem Vertreter der klassischen
Richtungen gegründet wurde. Für die Schule des Theravada war dies Buddhadasa Bhikkhu (ein
thailändischer Abt), für die Mahayana-Schule war es der vietnamesische Zenlehrer sowie
Friedensaktivist Thich Nhat Hanh, und für den Vajrayana-Buddhismus der gegenwärtige Dalai
Lama Tenzin Gyatso. Stellvertretend für den deutschen Sprachraum seien hier die Laien
515 Vgl. Buddhismus Aktuell, „Eine Umkehr im tiefsten Sitz des Bewusstseins“. 516 Christian Felber, Die Gemeinwohl-Ökonomie: Eine demokratische Alternative wächst, 2. Aufl.
(Darmstadt: Zsolnay, 2014/17), 191. 517 Vgl.Karl-Heinz Brodbeck, „Buddhismus: Geschichte, Lehre und Ethik.“ In Wege der Religion, 15. 518 Vgl. ebd. Kursiv im Original. 519 Vgl. Brodbeck, „Sozial engagierter Buddhismus,“ 21.
127
Johannes Litsch und Karl-Heinz Brodbeck, die auch in dieser Arbeit oft zitiert werden, erwähnt,
da sie durch ihre Schriften viel zur Bekanntheit des Engagierten Buddhismus beitragen.520 Es ist
jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass das INEB nicht gleichzusetzten ist mit einem breiteren
„engagierten Buddhismus“, zu dem sich auch viele weitere Organisationen zählen (z.B. die Tzu
Chi Foundation in Taiwan; das Buddhist Peace Fellowship; der Zen Peacemaker Order; etc.)
Wie die Gastprofessorin für Buddhismus und Dialog in modernen Gesellschaften an der
Universität Hamburg, Dr. Carola Roloff, erklärt, ist der Terminus „Engagierter Buddhismus“
jedoch zunächst einmal untrennbar mit dem Namen Thich Nhat Hanh verbunden. Sie beschreibt
Hanhs spezifische Auffassung der Lehren des Buddha so, dass das lange Verweilen auf dem
Meditationskissen nicht ausreicht, um das Dharma zu leben. Gesellschaftskritisch nach außen zu
gehen, ohne die Ruhe nach innen und seine Friedfertigkeit zu verlieren, das ist für Hanh
buddhistische Praxis.521 Phap Dung, einer der ältesten Schüler Thich Nhat Hanhs beschreibt die
positiven Auswirkungen traditioneller buddhistischer Meditation auf soziale Aspekte so:
„Meditation is not just praying; no, you’re cultivating this so you can offer it to others. When you
sit with someone who’s calm, you can become calm. If you sit with someone who’s agitated and
hateful, you can become agitated and hateful.”522 Er beschreibt die Meditation dabei als Nahrung
für Geist und Herz und wie der physische Körper Nährstoffe braucht, so benötigen dies auch der
innere Frieden, die Gutmütigkeit und die geistige Klarheit des Menschen.523
Thich Nhat Hanhs Idee eines sozial engagierten Buddhismus entsprang den Wirren des
Vietnamkriegs und seit seiner Zeit im Exil im Westen (vor allem in Frankreich), welche 1973
begann, war er oft die inspirierende Schlüsselfigur für den Beginn vieler anderer sozial
engagierter buddhistischer Gruppierungen.524 Er selbst gründete in den 1960er Jahren die
„School of Youth for Social Servies“, die sehr aktiv denen half, die vom Krieg betroffen waren,
und später „Tiep Hiem“, bekannter unter dem Namen „Order of Interbeing“ (zu Deutsch:
„Intersein-Orden“, IO). „Intersein“, oder „Zwischensein“, bedeutet vorwiegend die Achtsamkeit
dafür zu entwickeln, wie alles in der Welt miteinander verbunden ist, sich daher gegenseitig
bedingt und die Wichtigkeit einer friedvollen und ökologisch verträglichen Lebensführung.525 Laut
Harvey ist ein typisches Symbol hierfür, auf das Hanh selbst oft verweist, jenes eines Blattes
520 Vgl. Hans S. J. Waldenfels, „Mehr als Innerlichkeit. Sozialethische Tendenzen im Buddhismus - Ein
Statement.“ Zur Debatte - Themen der Katholischen Akademie in Bayern 08/2012 (2012): 23, zuletzt geprüft am 13.05.2021, https://www.kath-akademie-bayern.de/dokumentation/debatten/debatte/gesamtheft-82012.html.
521 Vgl. Hendrik Hortz, „Engagierter Buddhismus: Im Gespräch mit Dr. Carola Roloff, Gastprofessorin für Buddhismus und Dialog in modernen Gesellschaften an der Universität Hamburg, und Hendrik Hortz, Herausgeber der Ursache\Wirkung. Sie sprechen über Buddhismus, der sich sozial und politisch engagiert.“ Ursache\Wirkung, zuletzt geprüft am 14.05.2021, https://www.ursachewirkung.com/diskurs/3748-engagierter-buddhismus.
522 Barclay, „A Buddhist monk explains mindfulness for times of conflict“. 523 Vgl. ebd. 524 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 435–36. 525 Vgl. ebd., 412.
128
Papier, dessen Fasern vom einem Baum kommen, welcher nur durch Sonnenlicht und
Regenwasser wachsen konnte – und von dessen gesundem Wachstum der Holzfäller abhängig
ist. All diese Bestandteile also (Baum, Sonnenlicht, Regenwasser, Holzfäller) und noch viele
weitere sind in einem Blatt Papier enthalten.526
Die zentralen buddhistischen Werte Mitgefühl und „Nichtschaden“ (oft auch
„Gewaltlosigkeit“; Sanskrit: ahimsā) werden im Engagierten Buddhismus nicht nur meditativ
kontempliert oder innerhalb von Klostermauern gelebt, sondern finden aktive Anwendung im
breiteren sozialen Kontext. Waldenfels fasst die breite Palette an Tätigkeitsbereichen des
Engagierten Buddhismus wie folgt zusammen:
• Förderung des Schutzes und der Bewahrung der ökologischen Lebensbedingungen des
Menschen und der Existenzrechte von Tieren, Pflanzen und natürlichen Ökosystemen.
• Praktische Hilfe, Unterstützung und Solidarität für Menschen, die sich in materieller Not,
wirtschaftlicher Ausweglosigkeit oder Unterentwicklung, sozialer oder gesundheitlicher
Hilflosigkeit befinden.
• Engagement für die Würde und Rechte politisch, ethnisch, religiös oder geschlechtlich verfolgter
oder diskriminierter Menschen und Völker.
• Arbeit an der Überwindung der Wurzeln von Hass, Krieg und Gewalt, Beteiligung an weltweiten
Friedens- und Versöhnungs-Aktivitäten, Förderung von Lernprozessen zur unmittelbaren
Konfliktbewältigung.
• Unterstützung der therapeutischen und sozialen Tätigkeiten von Psychologen, Ärzten,
Heilpraktikern, Pädagogen, Sozialarbeitern und Sterbebegleitern und jedes mitfühlenden
Menschen.
• Förderung gemeinschaftlicher Lebensformen, von Wirtschaftsverhältnissen ohne Ausbeutung,
Verschwendung und entfremdete Arbeit und von gesellschaftlichen Strukturen, die auf Achtung
und Solidarität beruhen.
• Beteiligung am gleichwertigen, offenen und kritischen Dialog aller Schulen des Buddhismus, aller
Religionen der Menschheit sowie aller Bemühungen um die Befreiung und Verwirklichung des
Menschen.527
Roloff und Hortz sprechen sogar von einer „buddhistischen Variante zur Befreiungstheologie“528
als Engagement für die Unterdrückten, welche sich jedoch seit den 1960er Jahren ausgeweitet
hat.
Wie in der gerade erfolgten Aufzählung bereits erwähnt umschließt der Engagierte
Buddhismus mittlerweile feministische sowie umweltethische Fragestellungen und breite
gesellschaftliche Themen. Als besonderen Einsatz für die Einhaltung der Menschanrechte führen
die AutorInnen nebst Thich Nhat Hhanh selbst auch den Dalai Lama und den im Jahre 1993
verstorbenen thailändischen Mönchen Buddhadasa an529. Karl-Heinz Brodbeck erwähnt in seinen
einführenden Worten zu einem sozial engagierten Buddhismus außerdem Bhimrao Ranji
Ambedkar (1891-1956), der in Indien durch sein Engagement für die Kaste der Unberührbaren
526 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 149. 527 Waldenfels, „Mehr als Innerlichkeit. Sozialethische Tendenzen im Buddhismus - Ein Statement,“ 23. 528 Hortz, „Engagierter Buddhismus“. 529 Vgl. ebd.
129
(Dalits) den Buddhismus auch in seiner eigentlichen Ursprungsregion wieder populär machte530.
An dieser Stelle sei kurz daran erinnert, dass auch der Buddha vor ungefähr 2500 Jahren die
Überwindung des Kastensystems als einen seiner zentralsten Aufgaben sah. Ein weiterer von
Brodbeck erwähnter sozial engagierter Buddhist ist der thailändische Mönch P.A. Payutto, der
das Werk des oben genannten Lehrers Buddhadasa durch Überlegungen bezüglich einer
buddhistischen Ökonomie fortführt531. Als aktuelles Beispiel breitenwirksamer Organisationen
des Engagierten Buddhismus erwähnen Roloff und Hortz die 1966 von einer Nonne gegründete
Tzu Chi Foundation in Taiwan. Sie hat nicht nur viel zur Popularität eines humanistischen
Buddhismus in Taiwan beigetragen, sondern ist mit ca. 50 Millionen ehrenamtlichen Mitgliedern
auch die weltweit größte buddhistisch inspirierte Wohltätigkeitsorganisation. Die Organisation hält
sogar einen besonderen Beraterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten
Nationen.532
5.3. Buddhistische Sozial- und Wirtschaftskritik des Status Quo
Ein Kernelement, das alle buddhistische Schulen oder Gruppierungen teilen, ist die „Lehre vom
bedingten Entstehen“: Alles ist für sich selbst genommen Nichts und entsteht erst im
Zusammenwirken mit Anderem. Ein beliebtes Beispiel um diese buddhistisches Denkweise zu
veranschaulichen ist die vordergründige Dualität in den Begriffspaaren Mutter/Tochter und
Vater/Kind. Die Mutter kann begrifflich klar von der Tochter unterschieden werden, dennoch
entsteht die konkrete Mutter erst durch die konkrete Tochter und der konkrete Vater erst durch
den konkreten Sohn – und umgekehrt. Auch Thich Nhat Hanh demonstriert weiter oben (siehe
5.2.2 oben) in seinem mittlerweile klassischen Beispiel des Blattes Papier und dass es von der
Ressource Baum bis hin zum Holzfäller (und natürlich noch unendlich viel darüber hinaus)
eindrücklich, was unter „bedingtem Entstehen“ gemeint ist.
Im Kontext außerbuddhistischer Gelehrter schreibt der Theologe und Ethiker Leopold
Neuhold von der Universität Graz, dass wirtschaftliches Handeln in vielen Punkten nicht auf
Wirtschaft zu beschränken ist und es in ein umfassendes Konzept des Handelns
miteinzubeziehen ist. Ganz im Gegensatz zum neoliberalen Denken, in dem soziale Realitäten
aus wirtschaftlichen Überlegungen ausgeklammert werden (siehe Hauptkapitel 1), bekundet
Neuhold, dass „das Wirtschaftliche ein Teil des Sozialen (ist)“533. Die Worte Neuholds kommen
übersetzt in eine buddhistischere Denkart sehr nahe an das Bild eines unendlichen Netzwerkes
von mehr oder weniger wohl überlegten menschlichen Entscheidungen und bewusstem sowie
530 Vgl. Brodbeck, „Sozial engagierter Buddhismus,“ 19. 531 Vgl. ebd. 532 Vgl. Hortz, „Engagierter Buddhismus“. 533 Leopold Neuhold, „Friss oder stirb: Ethik in der Wirtschaft - ortlos?!“ In Mensch - Gruppe -
Gesellschaft: Von bunten Wiesen und deren Gärtnerinnen bzw. Gärtnern; Festschrift für Manfred Prisching zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Christian Brünner et al. (Graz, Wien: NWV, 2010), 255.
130
unbewusstem menschlichen Handelns und ähnlich wie die sozial engagierten Buddhisten in
diesem Kapitel, sieht Neuhold die Ethik als das notwenige Fundament für dieses Handeln an:
Letztlich ist „Ethik […] eine Funktionsbedingung für die Wirtschaft selbst“ 534 – Wirtschaften oder
miteinander handeln muss somit auf einer Ethik beruhen, wie dies auch engagierte BuddhistInnen
in aller Öffentlichkeit weit abseits ihres Meditationskissens betonen.
Die Wirtschaftsethik des Vaddhaka Linn („Going Beyond Capitalism“) 535 beispielsweise
steht in einer Linie mit dem buddhistischen Ziel, Leiden zum Erlöschen zu bringen. Bloß sieht er
als seine Aufgabe, dazu beizutragen, das gesamte Leiden der empfindsamen Wesen auf der
Erde zu beenden und auch Bedingungen herzustellen, dass Menschen das Meiste aus ihrem
Potential machen können. Zu Beginn seines Vortrages, welcher auch in publizierter Form vorliegt,
fragt er sich:
Is there something in the nature of neoliberal capitalism that prevents progress towards an economic
system that reduces suffering and allows each individual person to fulfil their human potential, whilst
preserving and protecting the environment?536
Er verneint die erste Frage, bejaht Letztere und kommt zu dem Schluss, dass BuddhistInnen
aktiver an der Änderung des Status Quo beteiligt sein sollten. An dieser Stelle ist es wichtig darauf
hinzuweisen, dass Linn selbst sich zunächst von Zizeks Kritik am Buddhismus angegriffen gefühlt
hatte, sich letztlich aber dadurch noch stärker mit buddhistischen Werten, dem Zustand der Welt
und deren Verhältnis zueinander auseinandersetzte. Für Linn, wie auch für Michael Sandel (den
er zitiert), ist Altruismus ein Muskel, den es zu trainieren gilt:
“[…] altruism, generosity, solidarity, and civic spirit are not like commodities that are depleted with use.
They are more like muscles that develop and grow stronger with exercise. One of the defects of a
market-driven society is that it lets these virtues languish. To renew our public life we need to exercise
them more strenuously.”537
BuddhistInnen, so Linn, fällt durch ihre besonderes Wissen über die kognitive Wirkmächtigkeit
von Meditation und ihr Können, diese zu praktizieren, eine besondere Rolle in diesem Training
zu, denn auch der Buddha wusste schon, dass „die“ Wirtschaft etwas Menschengemachtes, ein
psychologisches Konstrukt ist. Bezugnehmend auf den historischen Buddha schreibt Linn:
Of course the Buddha lived 2,500 years ago, far removed from modern capitalism. But he was an
astute observer of the emerging economy of the Ganges plains, being very familiar with the activities
of farmers, merchants, traders and crafts people. He gave advice to rulers on their social and
economic policies. And he had unrivalled insight into human nature, and the causes of suffering.538
534 Leopold Neuhold, „Friss oder stirb: Ethik in der Wirtschaft - ortlos?!“ In Mensch - Gruppe -
Gesellschaft, 255. 535 Vaddhaka, „Going Beyond Capitalism - A Buddhist Perspective.“ Zuletzt geprüft am 13.08.2020,
https://docs.google.com/file/d/0B9zvO-PYI8InMVNWZ1JmbmNNclk/edit. 536 Ebd. 537 Michael J. Sandel, What Money Can't Buy: The Moral Limits of Markets (London: Penguin, 2013). 538 Vaddhaka, „Going Beyond Capitalism - A Buddhist Perspective“.
131
Was jedoch nicht menschengemacht ist, ist die Gier, die dem Konstrukt zur Erlangung von immer
mehr zugrunde liegt. Eine Antwort auf die Frage, wie die gegenwärtige Wirtschafts- und
Sozialordnung transformiert werden könnte liegt für Linn auf der Hand: Indem die dem Menschen
innewohnende Gier durch buddhistische Meditation – wenn auch nicht zum Erlöschen gebracht
– zumindest verringert wird. So könnten weite Teile der Menschheit aus einem Lebensnarrativ
gerissen – oder erweckt – werden, der laut Tim Jackson häufig so aussieht: “It’s a story about us,
people, being persuaded to spend money we don’t have, on things we don’t need, to create
impressions that don’t last, on people that we don’t care about.”539
Meditation, stellt Linn klar, ist zwar wichtig um der Verblendung, die durch moderne
Werbung auch noch fast dauerhaft auf den Menschen einprasselt, zu begegnen, jedoch sei sie
nur, „one brick in the search for overcoming suffering“. Die andere Seite der buddhistischen
Medaille sieht Linn darin, nach „außen“ zu gehen und sich aktiv mit der wirtschaftlichen und
sozialen Umwelt auseinanderzusetzten; ansonsten laufen auch BuddhistInnen Gefahr, von den
vorherrschenden gesellschaftlichen Normen überrollt zu werden (wie dies wohl oft für
BuddhistInnen im sogenannten „McMindfulness“ Achtsamkeitsbusiness der Fall war und ist).
Ähnlich dem Befund Neuholds weiter oben, schreibt Linn: „Economics is not a science. Behind
every economic theory and policy lies a set of values. The discipline of economics, however it is
dressed up in mathematical models, is based upon political and moral choices.” Er fügt fast
nahtlos hinzu: “We, as Buddhists, are well placed to bring out the ethical and moral choices, and
to argue for the values of generosity, kindness and compassion, and against the values of
selfishness and greed.”540
In diesem Zusammenhang spricht sich Purser, entgegen der „McMindfulness“ des
kapitalistisch orientierten Achtsamkeitsbusiness für eine Art „Social Mindfulness“ 541 aus. Diese
Art der Achtsamkeit soll - wie es auch die Engagierten Buddhisten und der Ansatz der
Conscientious Mindfulness von Bodhi (siehe nächste Seite) tun – die Interdependenzen alles
Seins zum Ausgangspunkt nehmen. Die Ziele der „Social Mindfulness“ sollten regenerativ sein
und helfen, verlorene Solidarität und soziale Bindung wiederherzustellen, die der Neoliberalismus
verwüstet hat. Sie beinhalten kein Versprechen der Macht durch Selbstoptimierung und dient
stattdessen Gemeinschaften, in dem sie die Verbindungen von persönlicher, sozialen und
ökologischer Befreiung voll Rechenschaft trägt.542 Purser verweist auf die von Kevin Healey
vorgebrachte Idee der „Civic Mindfulness“543, welche zum Programm hat, eine Art kollektive
539 Tim Jackson, „Transcript of 'An Economic Reality Check'.“ TED Ideas Worth Spreading, zuletzt geprüft
am 11.07.2021, https://www.ted.com/talks/tim_jackson_an_economic_reality_check/transcript#t-407722.
540 Vaddhaka, „Going Beyond Capitalism - A Buddhist Perspective“. 541 Purser, McMindfulness., 190. 542 Vgl. ebd., 190-191. 543 Kevin Healey, „Searching for Integrity: The Politics of Mindfulness in the Digital Economy.“ Nomos
Journal, zuletzt geprüft am 10.05.2021, https://nomosjournal.org/2013/08/searching-for-integrity/.
132
Aufmerksamkeit (der Gesellschaft) auf geteilte Verantwortung (von allen AkteurInnen der
Gesellschaft) wiederherzustellen. Healey kritisiert vor allem Googles Search-Inside-Yourself
Achtsamkeitstraining, aber darüber hinaus viele weitere Beispiele von unternehmensspezifischen
Achtsamkeitsprogrammen, welche laut ihm buddhistische Achtsamkeit viel mehr an die
Unternehmensziele anpassen, als die Unternehmensziele an vollwertig buddhistische
Philosophie: „Strong institutional structures tend to bend contemplative practice to their own ends
rather than bending themselves toward a practice.“544
„Social Mindfulness“, führt Purser weiter aus, braucht neue LehrerInnen, die fähig sind,
das moderne, komplexe oder „verworrene“ Leiden („entangled suffering“) anzugehen. Um
Solidarität und Widerstandsfähigkeit in neoliberalen Zeiten zu lehren gehört auch, soziopolitische
und historische Fakten zu verstehen. Etwas plakativ formuliert, wie dies ganz der generellen
Tonalität Pursers entspricht, fordert er, dass diese soziale Art der Achtsamkeit den „Opfern der
neoliberalen Ausbeutung“ hilft, den „unmenschlichen Anforderungen des Kapitalismus zu
widerstehen“ 545. Das Ziel sei: “[A]n individual and collective ‘conscience explosion’, converting
exhaustion, depression and burnout into constructive forms of activism.”546. Verbal weniger
extrem als Purser („conscience explosion“, also zu Deutsch “Gewissensexplosion”) jedoch
inhaltlich ähnlich, sieht selbst Bhikkhu Bodhi – eigentlich traditioneller Theravamönch und viel
gepriesener Übersetzter der als original angeommenen Buddha-Suttas – die Aufgabe eines
kontemporären Buddhismus darin, “conscientious compassion” (also ein auf Gewissen
basierendes Mitgefühl) zu verbreiten:
A collective voice might emerge that could well set in motion the forces needed to articulate and embody
a new paradigm rooted in the intrinsic dignity of the person and the interdependence of all life on Earth.
Such collaboration could serve to promote the alternative values that offer sane alternatives to our free-
market imperatives of corporatism, eploitation, etraction, consumerism, and toic economic growth.547
Ron Purser sieht in Bhodis Vorstoß eine neue buddhistische Vision erweckt und spricht sogar
wörtlich von einem “achtsamen Äquivalent der Befreieungstheologie”548. Der Vergleich ist nicht
von der Hand zu weisen und Bhodi selbst dient hierfür auch als praktisches Beispiel, ist er doch
der Gründer und Vorstand der “Buddhist Global Relief” (BGR). Die humanitäre Organisation
spezialisiert sich mittlerweile auf die Themen Klimawandel und aktive Hungerhilfe549.
Abschließend soll noch einmal der Blick auf Thich Nhat Hanh, der bekanntlich von vielen
als Vater des Engagierten Buddhismus gesehen wird, fallen und auf die Mönche, Nonnen und
Lehrerenden, die sein Engagement fortführen (Hanh zog sich 2014 nach einem Schlaganfall
544 Vgl. Healey, „Searching for Integrity: The Politics of Mindfulness in the Digital Economy“. 545 Purser, McMindfulness., 190 546 Ebd. 190 547 Raymond Lam, „Conscientious Compassion.“ Tricycle, 20.08.2015, zuletzt geprüft am 10.05.2021,
https://tricycle.org/trikedaily/conscientious-compassion/. 548 Purser, McMindfulness., 191. 549 Vgl. Lam, „Conscientious Compassion“.
133
vollkommen zurück550). Zur Erinnerung: Hanhs soziales Wirken begann maßgelblich während des
Vietnamkrieges in den 1960er Jahren und er sagte diesbezüglich auch hinsichtlich der Rolle des
Buddhismus:
Engaged Buddhism is just Buddhism. When bombs begin to fall on people, you cannot stay in the
meditation hall all of the time. Meditation is about the awareness of what is going on-not only in your
body and in your feelings, but all around you. […] You have to learn how to help a wounded child while
still practicing mindful breathing. You should not allow yourself to get lost in action. Action should be
meditation at the same time.551
Thich Nhat Hanh wurde von Martin Luther King Jr. Für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen,
erhielt zahlreiche Friedenspreise und schrieb in seinem Leben mehr als 100 Bücher. Nach 9/11
sprach er breitenwirksam über Mitgefühl und Versöhnung und führte geneinsame Retreats mit
PalästinenserInnen, Israelis und US PolizistInnen durch. Außerdem setzte er sich mit stark für
das Zustandekommen des Pariser Klimaabkommen ein. Hanh, der 1982 in Südfrankreich das
Kloster und Retreatzentrum Plum Village gründete, gilt als maßgeblicher Brückenbauer zwischen
den traditionellen Buddhismen des fernen „Ostens“ und einem weniger traditionellen „westlichen“
Buddhismus.552
Einer seiner ältesten Schüler, Phap Dung, erklärt, dass es hinter dem Aktivismus im
Engagierten Buddhismus stets um die Eingrenzung von negativen Emotionen und die
Kultivierung von Mitgefühl geht. Er vergleicht den wütenden Geist mit einem Haus, das in
Flammen steht. Niemand würde sich zuerst auf den Weg machen, den Verursacher des Feuers
zu finden und ihn zu stellen, sondern immer zunächst das Feuer löschen. Als kollektive Energie
(einer Gruppe, Gesellschaft, etc.), fährt Dung fort, können etwa Furcht und Wut sehr destruktiv
sein. Mitgefühl hingegen kann sehr hilfreich sein, denn es erzeugt auch Verständnis für die
andere, vermeintlich gegnerische Seite, da man erkennt, selbst ein Teil der anderen Seite zu
sein. So wirkt es ansteckend, wie auch Furcht und Wut ansteckend wirken. Folgendes Zitat deutet
auf Ähnliches : „When you sit with someone who’s calm, you can become calm. If you sit with
someone who’s agitated and hateful, you can become agitated and hateful.”553 Und er führt weiter
aus:
The thing is that left and right were never separate. Your right hand maybe has done a lot of awful things
— like smashing trees, destroying the forest. But when the right hand gets hurt, your left hand comes to
its assistance, grabs and holds it without hesitation. This is the way we engage in politics — we try not
to see other as separate from us; they are us. We get out there and try to heal but we don’t cause more
harm.554
550 Vgl. Barclay, „A Buddhist monk explains mindfulness for times of conflict“. 551 Malkin, „In Engaged Buddhism, Peace Begins with You“. Siehe 4.7. oben für eine längere Version
dieses Zitats. 552 Vgl. ebd. 553 Ebd. 554 Ebd.
134
Ganz in diesem Sinne führen die NachfolgerInnen von Thich Nhaht Hhanh – Ordinierte wie Laien
– das buddhistische Engagement für eine friedlichere Welt fort. Sie und viele andere engagierte
BuddhistInnen abseits der genauen Schule zeigen dabei, dass ein Buddhismus mehr sein kann
– und dies in vielen Aspekten auch schon seit Buddha war – als eine passive, der Welt
abgewandte Religion, in der es nur um die individuelle Erlösung durch möglichst abgeschiedenes
und langes Verweilen auf dem Mediationskissen geht.
135
6. Schluss
Im ersten Hauptkapitel wurde zunächst der Begriff Kapitalismus auf seine derzeitig
vorherrschende Form, den Neoliberalismus, eingegrenzt. Eine wirtschafts- und sozialethisch
kritische Betrachtung rückte dabei in den Vordergrund eines (zeit)historischen Überblicks, der auf
Philipp Thers Werk Der Neoliberalismus555 basiert. Dabei wurde vor allem auf die profunden
Analysen des Neoliberalismus durch Philipp Nordmann, Noam Chomsky, sowie Pierre Bourdieu
zurückgegriffen um nicht nur zentrale Wesensmerkmale des Wirtschafssystems Neoliberalismus
herauszuarbeiten, sondern gezielt auf die problematischen Folgewirkungen auf Gesellschaft und
Individuum hinzuweisen. Diese problematischen Wesensmerkmale seien in den folgenden
Absätzen nochmals kurz dargelegt.
Aus einer wirtschaftstheoretischen Perspektive lautet die Prämisse des Neoliberalismus,
dass der von staatlichen Einflüssen entfesselte Markt am besten imstande ist, seine
schöpferischen Kräfte zu entfalten. Dies impliziert die Rolle eines schwachen Staates, der das
Gemeinwesen nur insofern fördern solle, als es die rechtstaatliche Funktion und diese im
Besonderen hinsichtlich des Schutzes von Privateigentum nötig macht. Der Neoliberalismus
basiert dabei auf einem Menschenbild, gemäß welchem „rational und autonom agierende
Staatsbürger mit ihrem individuellen Gewinnstreben den allgemeinen Wohlstand mehren“556.
Verweise auf den im klassischen Wirtschaftsliberalismus geborenen „Homo Oeconomicus“ und
Adam Smiths mittlerweile parareligiose Formel von der „unsichtbaren Hand” sind selten explizit,
liegen dem Neoliberalismus aber implizit zu Grunde557.
Hinsichtlich dieser fast geheimnisvollen, sich selbst regulierenden Kräfte des Marktes
spricht Pierre Bourdieu von einer reinen „mathematischen Fiktion“ („mathematical fiction“) und
einer eindrucksvollen Abstraktion („formidable abstraction“) der Wirklichkeit. Es wird daher auch
von einer im Neoliberalismus so typischen „Quantifizierung der Wirklichkeit“ gesprochen, welche
die Realität in Zahlen auszudrücken versucht und, gemäß Bourdieu, in der Annahme der strikten
Rationalität der Individuen in ihrer Abstraktion die wirklichen ökonomischen und sozialen
Zustände der AkteurInnen ausklammert.558 Staatstheoretisch sind diese AkteurInnen, die
BürgerInnen, gemäß neoliberaler Ideologie vor allem KonsumentInnen, die durch ihr
Konsumverhalten einen gewissen Wohlstand für eine breite Masse bedingen. Das Wort „rational“
erinnert dabei unweigerlich an die Errungenschaften der Aufklärung und sei daher im Lichte einer
allgemeinen Wissenschaftsgläubigkeit als einzig wahres und daher richtiges Modell
anzuerkennen. Das planmäßige Ausklammern von sozialen Realitäten sei hier nochmals
hervorgehoben.
555 Ther, „Der Neoliberalismus“. 556 Ebd., 3. 557 Ebd. 558 Vgl. Bourdieu, „The Essence of Neoliberalism“.
136
Der Neoliberalismus ist aber auch als kommunikatives – und letztlich geradezu als
manipulativ-kommunikationspsychologisches – Phänomen zu verstehen. Die zunächst noch
„fatalistische Botschaft“ (die „Alternativ-“ oder „Ausweglosigkeit“ bezüglich des Systems
Neoliberalismus) wird dabei in eine Befreiungsbotschaft verwandelt, indem sich der
Neoliberalismus lexikalischer Spielereien um die positiv konnotierten Wörter Freiheit, Befreiung,
und Deregulierung bedient“559. Regierungen und deren Bevölkerungen sollten ihrer „Freiheit“
nicht ordnungspolitisch eingeschränkt werden. Gerade die Auswirkungen des Neoliberalismus
gehen jedoch über die Wirtschaftspolitik hinaus und stellen sich dar in verringerten staatlichen
Leistungen, steigender sozialer und regionaler Ungleichheit sowie politischen Gegenreaktionen,
vor allem dem Populismus. Die Gesellschaft hingegen, die bereits laut Margarete Thatcher nicht
existiert, verkommt gemäß Nordmann im Neoliberalismus zu einer bloßen „Leerstelle“ 560.
Außerdem ist der Neoliberalismus beides, Begleiterscheinung und Antriebskraft der
Globalisierung und umschließt in seinem Narrativ das Ziel und Versprechen einer Modernisierung
oder „Westernisierung“, gelenkt durch die parareligiosen „Märkte“, vorwiegend bestehend aus
dem internationalen Finanzkapital. Innerhalb dieses Diskurses fühlt sich der Einzelne sehr klein
und schwach, ist aber gleichzeitig Träger von Veränderungen. Der Begriff der
Selbsttransformation scheint hier passend, wobei die Reaktionen auf neoliberale
Schocktherapien (Stichwort „Austeritätspolitik“), auf den generellen Rückzug des Staates, und
auf die alternativlose Ausweglosigkeit innerhalb des Spektrums subversivem Widerstand bis zur
übereifrigen Anpassung pendelt561. All dies gipfelt in der Überbetonung des Individuums gemäß
dem Bilde der „Ich-AG“ oder des Slogans „anything goes“ – zwei Modelle, die gleichsam
euphorisierend wie Angst machend wirken können. Nicht umsonst sieht sich das „Selbst“
aufgrund dieser äußeren Einflüsse gezwungen, sich zu optimieren oder sich mithilfe eines
Anästhetikums zu betäuben, manchmal beides. Immer aber sieht sich das Individuum selbst
verantwortlich für Erfolg oder Scheitern, ohne sich dem eigenen Eingebettet-Sein in einen
soziohistorischen Kontext bewusst zu werden: Frei nach Francis Fukuyama ist das Ende der
Geschichte mit dem vermeintlich besten aller Systeme bereits gekommen, wodurch es sich nicht
lohnt, über Alternativen nachzudenken.
Gemäß Bourdieu trägt die Vorstellung vom einsamen, ins Private gedrängten aber
dennoch freien Individuum zum Wettbewerb eines Jeden gegen Jeden (oder Jeden gegen Alle)
bei und zielt dabei die auf eine Schwächung oder Beseitigung des kollektiven Zusammenhalts
und kollektiver Solidarität ab.562 Die beiden Aspekte Selbstoptimierung und Weltflucht sind
zentrale Bestandteile dieses Systems und buddhistisch inspirierte Meditationsweisen scheinen in
den letzten Jahren immer mehr als Instrument zu deren Erreichung herangezogen zu werden;
559 Bourdieu in Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer,“ 412. 560 Nordmann, „Die neoliberale Gesellschaft.“ 3. 561 Vgl. Ther, „Der Neoliberalismus,“ 24. 562 Vgl. Kaiser, „Bourdieus Gegenfeuer,“ 411.
137
außerdem werden sie selbst dabei zur neoliberalen Ware, die mittlerweile maßgeblich durch
Smartphone-Meditations-Apps hunderte millionenfache Verbreitung findet.
Das zweite Hauptkapitel widmete sich daher dem Buddhismus in seiner breiten Diversität
und begab sich auf die Suche nach einer buddhistischen Kernlehre die ermöglicht, überhaupt erst
von dem Buddhismus oder buddhistisch zu sprechen. Preußger verdeutlicht in seinem
umfassenden Werk „Das buddhistische Ethik-Idiom“ bereits in der Einleitung, dass es eigentlich
keinen Buddhismus, sondern nur Buddhismen gibt, und dass die Mannigfaltigkeit der
buddhistischen Traditionen „wissenschaftlicher Commonsense“ ist.563 In der vorliegenden Arbeit
ist es hoffentlich trotz der teils überbordenden Komplexität und immensen Mannigfaltigkeit im
Zusammenhang mit dem Begriff „Buddhismus“ gelungen, einen gemeinsamen Rahmen für alle
tatsächlichen Buddhismen zu finden, die sich unter anderem von Strömungen abgrenzen, die
etwa als „Nur-Meditation“ bzw. „Nur-Achtsamkeit“ (oder „Mindfulness-Only“) bezeichnet werden
und als zentrales sowie oft auch einziges Grundprinzip die Konzentration auf den gegenwärtigen
Moment betonen.
Denn nach einer Betrachtung unterschiedlicher und mitunter in manchen Ausprägungen
recht gegensätzlicher buddhistischer Schulen kristallisierten sich dennoch Grundpfeiler heraus,
auf welchen jede der „vollwertigen“ oder „genuin“ buddhistischen Schulen ruht: Es ist dies zum
einen der vom Buddha Shakyamuni (oder der historische Buddha, Gautama Siddharta)
dargelegte und von allen Schulen übernommene „Edle Achtfache Pfad“. Er umfasst – in acht
Bestandteilen - Buddhas Dreiheit von Weisheit/Erkenntnis (Sanskrit: prajna), richtigem oder
ethischem Handeln (sila) und Meditation (dhyana), welche sich beim Fortschreiten auf dem Pfad
gegenseitig verstärken; so kommt es zu einer immer weiteren Vertiefung in allen drei
Bereichen.564 All dies wiederum basiert auf den „Vier Edlen Wahrheiten“ über das Leiden und die
Aufhebung des Leidens. Letztendlich gelangen Praktizierende (oder SchülerInnen) in allen
verschieden Schulen des Buddhismus zu den „Drei Kostbarkeiten“ (oder „Drei Juwelen“, auch
„Drei Edelsteinen“): Buddha, Dharma (Lehre des Buddha) und Sangha (Gemeinschaft des
Buddha).565
Am Ende des zweiten Hauptkapitels wurde vorausgeschickt, dass der Einsatz von
Meditation, welche vollkommen isoliert von den buddhistischen Kernlehren praktiziert wird,
ethisch problematisch ist. Hierunter ist Meditation zu verstehen, die weder zusammen praktiziert
wird mit Übungen in „Weisheit“ (prajna) und ethischem/richtigem Handeln (sila), noch
eingebunden ist in den breiteren Kontext der „Drei Kostbarkeiten“. In Anbetracht der immer breiter
werdenden westlichen Achtsamkeitsbewegung, die auch Wallstreet Bankern zur Beruhigung
nach fallenden Börsenkursen die Konzentration auf den eigenen Atem rät, schreibt Brodbeck im
563 Preußger, Das ›buddhistische Ethik‹-Idiom, 18. 564 Vgl. Harvey, An Introduction to Buddhism, 82. 565 Vgl. Shigaraki, Sogar der Gute wird erlöst, um wie viel mehr der Böse, 36.
138
Jahre 2016: „Ohne Erkenntnis [bzw. unmittelbar erfahrene Weisheit = prajna] wird die Ethik zur
bloß blind befolgten Moral, und ohne ethisches Handeln bleibt eine Meditation wirkungslos.”566
Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass auch frühbuddhistische Schulen, wie zum
Beispiel das Theravada (die einzige noch lebendige Form), durch ihre Idealvorstellung einer
asketischen, zurückgezogenen Lebensweise, an den gegenwärtigen neoliberalen Eskapismus
des Subjekts ins Private, mit dem Ziel „individueller Erlosung“ erinnern.
Am Ende dieses zweiten Hauptkapitels wird auch die zumindest teilweise Beantwortung
der zentrale Forschungsfrage – inwieweit buddhistische Konzepte dem derzeit vorherrschenden
kapitalistischen System Neoliberalismus als zusätzliche Verstärkung seiner Wirkmächtigkeit
dienen – vorweggenommen. Denn der Schlüssel hierzu liegt in der Zeitreise zum Ursprung des
sogenannten „Buddhistischen Modernismus“, ins Burma der britischen Kolonialherrschaft im
frühen 19. Jahrhundert. Es wurde deutlich, dass das, was heute oft als traditionell fernöstlich-
buddhistische Meditation verstanden wird, eigentlich schon immer eine östlich-westliche
Koproduktion war. Eine zentrale Erkenntnis dieser Arbeit ist somit, dass es nachrangig – ja fast
zu vernachlässigen – ist, ob die „Buddhismen“ traditionell ostlicher oder bereits neuerer,
westlicher Prägung sind. Viel aussagekräftiger in der Bewertung, ob es sich bei einer Schule oder
einer „Bewegung“ um eine relativ „vollwertige“ Ausprägung des Buddhismus handelt, ist das
Ausmaß der sogenannten „buddhistisch-modernistischen“ Komponente. Im Buddhistischen
Modernismus traten Dharma und Sangha in den Hintergrund oder verschwanden gänzlich,
während die ursprünglich nur für Mönche und Nonnen relevante buddhistische Meditation ins
Zentrum einer vermeintlich wissenschaftlich legitimierten Religion rückte.
Bei genauer historischer Betrachtung ist darüber hinaus der Begriff „der Buddhismus“
selbst eine europäische Erfindung. Er entstand als Reaktion traditioneller asiatischer Buddhisten
auf die Kolonialmächte: Einerseits reagierten diese Buddhisten auf die Erwartungshaltung der
Kolonialherren und -damen, die in einem auf Meditation fokussierten Buddhismus eine
wissenschaftlich bestätigte, übermächtige Spiritualität sahen, andererseits war die Erneuerung
und Vereinheitlichung buddhistischer Glaubenssysteme auch eine identitätsstiftende
Komponente für die Besetzten im Kampf gegen die Besatzer. Der Buddhismus und die sich
allmählich entwickelnde, ganz und gar nicht einheitliche, Richtung einer „Mindfulness-Only“ („Nur-
Achtsamkeit“) – also ein Buddhismus ohne religiös-mythologisches, archaisch wirkendes Beiwerk
– waren also schon seit ihrer Geburt zutiefst westlich gefärbt.
Im dritten und wesentlichsten aller Hauptkapitel begann die explizite Suche nach
wirtschafts- und in weiterer Folge sozialethischen Gefahren,die in einer aus dem
urbuddhistischen Kontext gerissenen Achtsamkeitspraxis liegen könnten. Exemplarisch seien
hier meditierende Banker der Hochfinanz (Goldman Sachs; etc.), selbst ernannte Achtsamkeits-
566 Brodbeck, „Achtsamkeit als ethische Praxis“.
139
Gurus im Silicon Valley (Google, etc.) und durch konzentrative Meditation gestärkte US-
amerikanische Scharfschützen genannt. Das heißt jedoch nicht, dass Praktizierende eines Nur-
Achtsamkeit-Ansatzes nicht viel Positives – in buddhistischer Diktion „Heilsames“ – erfahren
können. Gerade im therapeutischen Kontext ist „Achtsamkeit“ für viele Gesundheitssysteme vor
allem innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte nicht mehr wegzudenken (vor allem die
„Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion“ nach Jon Kabat-Zinn). In dieser Hinsicht werden derzeit
jedoch vor allem nicht adäquat ausgebildete TrainerInnen und überzogene Versprechungen
kritisiert, abseits offizieller – zertifizierter – Angebote. Außerdem scheint ein regelrechtes
Achtsamkeitsbusiness entstanden zu sein, welches Gefahr läuft, zur reinen „Cash-Cow“ zu
werden, die einerseits ihre buddhistischen Wurzeln verschweigt und verleugnet, andererseits
„den Buddhismus“ als Werbung missbraucht. Viele BuddhistInnen kritisieren zudem die
insgesamt sehr individualisierte und unsoziale Art der Praxis eines „Nur-Achtsamkeit-Ansatzes,
da die „Drei Juwelen“ (oder „Edelsteine“) des Buddhismus – Buddha, Dharma (die Lehrer des
Buddha) und Sangha (Gemeinschaft) – oft gänzlich fehlen.
Gerade der letzte der „drei Juwelen“, Sangha, geht in der neuesten Ausprägung der
geführten Mediation mittels Smartphone-Apps gänzlich verloren, selbst wenn eine spezifische
App annähernd authentische buddhistische Inhalte anbietet. Aber auch hier gilt zu bemerken,
dass technologiegestützte Meditationspraxis nicht notwendigerweise negativ sein muss, wie die
Zeit der sogenannten „Corona-Lockdowns“ gezeigt hat. Hier haben sich online Meetings über
Webcams auch unter „echten“ buddhistischen Gemeinschaften als äußerst nützlich erwiesen.
Hinsichtlich der immer populärer werdenden Meditationsapps weist Gurewitz dennoch kritisch auf
eine extreme Privatisierung und Entinstitutionalisierung buddhistisch inspirierter Meditation hin567.
Hier schließt sich die Brücke zum Neoliberalismus wohl am eindeutigsten: Probleme
werden individualisiert und privatisiert, das Selbst ist verantwortlich für den eignen Erfolg. Des
Weiteren erklimmt die Diskussion ein ganz anderes Niveau wenn davon ausgegangen wird, dass
betroffene Meditierende nicht nur das Potential der körperlichen und geistigen Optimierung
sehen, sondern auch das Gefühl haben, diese Jahrtausende alte Tradition könne sicherlich auch
im sozialen Aspekt nichts Schlechtes anrichten. Doch hier irrt die meditierende Person, wenn
legitime Forderungen an die soziale Umwelt einfach wegmeditiert werden, oder wenn KollegInnen
oder FreundInnen etwa die Meditation empfohlen wird anstatt, wie im Kapitel zitiert wurde, „des
Ganges zur Arbeiterkammer oder zum Arbeitsgericht“.568 Diesbezüglich trifft Zizeks Behauptung,
dank eines modernen Buddhismus mit der nötigen Distanz und Gelassenheit an den destruktiven
Dynamiken des Kapitalismus bestmöglich teilhaben zu können, dann voll zu, wenn Zizek jene
Strömungen meint, die gemäß der hier entstandenen Arbeit längst keinen vollwertigen
567 Vgl. Gurewitz, „Mindful of a Profit? A Critical Analysis of Meditation Apps in the Context of
Neoliberalism and Western Constructions of Religion,“ 7. 568 Wagner, „Arbeit, Burnout und der buddhistische Geist des Kapitalismus,“ 13.
140
Buddhismus mehr darstellen. Der Aspekt der reinen konzentrativen Meditation erweist sich also
als ethisch neutral und kann als Art Werkzeug für moralische als auch unmoralische Ziele
eingesetzt werden.
Das abschließende vierte Hauptkapitel nahm sich der zweiten Hauptfrage an: „Wo liegen
Potentiale im Buddhismus, zu einer gerechteren Welt beizutragen?“ In einer Art Ausblick wurden
sogleich kontemporäre Formen des Buddhismus genannt, die ganz gemäß den Kernlehren des
Buddha zur Leidminderung sowohl im meditierenden Individuum, als auch im sozialen Kontext
beitragen können und könnten. Dabei wurden Formen eines (sozial569) „Engagierten
Buddhismus“ vorgestellt, die einmal mehr (z. B INEB) und des Öfteren weniger institutionalisiert
aufbauend auf die „Lehre des bedingten Entstehens“ (oder: „die Lehre der Leere“) das
gemeinsame Ziel haben, durch aktives Handeln das Leiden auf der Welt zu verringern.
Engagierte BuddhistInnen folgen dabei dem im Mahayana-Buddhismus im 1. bis 2. Jhd. unserer
Zeitrechnung entstandenen Bodhisattva Ideal, wobei sich zunehmend selbst traditionelle
AnhängerInnen der frühbuddhistischen und recht asketischen Theravada Schule als engagierte
BuddhistInnen betätigen (z.B.: Bhikku Bhodi). Die regelmäßige Praxis beider großer
buddhistischer Meditationspraktiken (also konzentrativ und kontemplativ-analytisch) dient hierbei
nicht nur dem Fortschritt hinsichtlich der persönlichen Leidminderung, sondern auch als spirituell-
psychologisches Werkzeug andere Menschen auf ihrem Weg der Leidminderung anzuleiten und
zu begleiten sowie als konkrete Kraftquelle im (gewaltlosen!) Kampf für eine weniger leiderfüllte
Welt. 570
Ob sozial- und wirtschaftsethisch betrachtet die negativen Aspekte einer
„entbuddhifizierten“ Achtsamkeitspraxis tatsächlich derart schwer wiegen, sie zu einem
Handlanger des Neoliberalismus zu machen, kann nicht abschließend beantwortet werden. Die
Gefahr, die von einer ursprünglich buddhistisch-religiösen Praxis zur Relativierung bzw.
Dekonstruktion des Egos hin zur Befreiung von Leid, ausgeht, wenn sie als bloßes Optimierungs-
oder Beruhigungswerkzeug zur Stärkung des Egos eingesetzt wird, wurde im Laufe der Arbeit
augenscheinlich: Anstatt des Kultivierens von Mitgefühl und liebender Güte sowie des
Bewusstseins, das alles mit allem verbunden ist, wird das eigene Selbst auf das bessere
Funktionieren in einer neoliberalen Gesellschaft hin trainiert – sei durch den meditativ hoch
fokussierten Geist, oder durch die Betäubung hin zu einem passiv-eskapistischen Subjekt.
Letztlich ist es wiederum auch nicht ganz ausgeschlossen, dass das kontemporäre
„Achtsamkeitsbusiness“ und Ansätze der „Nur-Achtsamkeit“ zumindest die Eingangstür in die
Welt der „vollwertigeren“ Buddhismen, wo ethische Gesichtspunkte und eine lebendige
Gemeinschaft (Sangha) ebenso eine Rolle spielen, bedeuten können. Auch lassen immer mehr
kritische Stimmen von traditionell-buddhistischen Lehrerenden sowie Mönchen und Nonnen, als
569 Aber auch umweltethische Herausforderungen werden von engagierten BuddhistInnen oftmals zum
Ziel ihres Handelns. 570 Vgl.Resnick, „Is mindfulness meditation good for kids? Here’s what the science actually says“.
141
auch von westlich säkular-buddhistischen Lehrenden und selbst von Vertretern eines breiteren
Achtsamkeitsbusiness – wie etwas keinem geringeren als Jon Kabat-Zinn selbst – eine Tendenz
erkennen, dass die Gefahren eines neoliberal instrumentalisierten Buddhismus auf breiterer
Basis erkannt wurde.
Gerade diese neueste Phase der relativen Distanzierung von einst starken
BefürworterInnen einer religiös/philosophisch vom Buddhismus isolierten Achtsamkeitspraxis
bietet sich für weiterführende Forschung regelrecht an. Außerdem könnte weiterführende
Forschung dazu dienen, etwas mehr Einheitlichkeit in das terminologische Mienenfeld des
Achtsamkeits- und Meditationsvokabulars zu bringen, um zukünftige Diskussionen darüber zu
erleichtern. Jedenfalls gilt, dass das bloße Achtsamkeitsbusiness als auch vollwertigere
Buddhismen – darunter fernöstliche, wie westliche, traditionellere wie modernere Konzeptionen
– sich fortwährend gegenseitig bedingen und es sicherlich eine lohnende Tätigkeit darstellt, den
wissenschaftlichen Fokus auch weiter auf diesen Themenkomplex zu richten.
142
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