Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
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2 Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
2.1 Die Bedeutung der stadtökologischen Grundbildung für die Lehramtsausbildung
„Der Sinn von Bildung ist, die Welt und sich in der Welt zu verstehen“2. Um dieses Ziel zu
erreichen, ist es wichtig, über konstantes und beständiges Grundlagenwissen zu verfügen,
wobei Grundbildung als „Voraussetzung für das menschliche Handeln“3 verstanden wird. Die
Sicherstellung dieser Grundbildung ist eine der wesentlichen Aufgaben, die nach der PISA-
Studie formuliert wurde.
Ein Teil der allgemeinen Bildung umfasst auch den mathematisch-naturwissenschaftlichen
Bereich, dessen erstes Ziel bei der Entwicklung von mathematisch-naturwissenschaftlicher
Bildung die Aneignung von Grundwissen und Kenntnissen über die Nutzung von
naturwissenschaftlichen Arbeitsmethoden ist. In einer zweiten Aufgabe wird die Vermittlung
von „interdisziplinären Verbindungen“4 in naturwissenschaftlicher und
gesellschaftswissenschaftlicher Sicht gesehen. Ein wichtiges Ziel der naturwissenschaftlichen
Grundbildung (vgl. Kap. 2.3) ist, einen Beitrag für das Problematisieren alltäglicher Raum-
und Zeiterfahrungen zu leisten, denn nur in der aktiven Auseinandersetzung mit dem eigenen
Lebensumfeld kann ein nachhaltiger Bildungserfolg im naturwissenschaftlichen Bereich
erreicht werden (GRÄBER u. NENTWIG 2002, KONRAD-ADENAUER-STIFTUNG 2003).
Eine der alltäglichsten Raumerfahrung, über die Menschen verfügen, ist das Handeln im
städtischen Raum. Da die Stadt für über 80 %5 (1997/98) der Menschen der Hauptlebensraum
ist, wird deutlich, dass der Lerngegenstand Stadt mit seinen Merkmalen, Strukturen und
ökologischen Beziehungen eine große Bedeutung besitzt. Dies zeigt auch die Entwicklung der
fachwissenschaftlichen Forschungsrichtungen der Geoökologie und der Stadtökologie in den
letzten Jahren (vgl. Kap. 2.2). Aufgrund der städtischen Lebenssituation, sei es durch den
Wohnort oder den Arbeits- und Ausbildungsort, haben die meisten deutschen Erwachsenen
und Jugendlichen ständigen Kontakt zum urbanen Geoökosystem. Somit knüpft dieses Thema
auch an Schülererfahrungen an und stellt damit ein wichtiges Kriterium für die Auswahl von
Themen für den Geographieunterricht dar (ARBEITSGRUPPE CURRICULUM 2000+ 2003,
GEMEINDEBUND 2003).
2 KONRAD-ADENAUER-STIFTUNG 2003. S. 4. 3 GRÄBER, NENTWIG u. NICOLSON 2002. S. 137. 4 KONRAD-ADENAUER-STIFTUNG 2003. S. 5. 5 Die Angabe von 80 % ist im europäischen Raum auf alle Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohner bezogen.
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
10
In diesem Zusammenhang wird auch auf die von Häußler (1999) erstellten Merkmale für die
Auswahl eines Lerngegenstandes im naturwissenschaftlichen Unterricht verwiesen, die an
dieser Stelle auf den konkreten Lerninhalt Stadtökologie Bezug nehmen:
• Orientierung an den Bezugswissenschaften (Geoökologie und Stadtökologie)
• Orientierung an der Lebenssituation (Hauptlebensraum Stadt)
• Orientierung am kollektiven Sachverstand der Experten (aktuelle Forschungsrichtung
Stadtökologie)
• Orientierung an den Interessen von Jugendlichen (Hauptlebensraum Stadt, Nahraum)
• Orientierung an einem Allgemeinbildungskonzept (Hauptlebensraum Stadt,
Zukunftsorientierung im Sinne der Nachhaltigkeit) (GRÄBER, NENTWIG u.
NICOLSON 2002).
Da die Behandlung der Stadtökologie bzw. des Stadtökosystems aus den oben genannten
Gründen innerhalb des Geographieunterrichts mittlerweile einen festen Platz einnimmt (vgl.
Kap. 2.4), ist es notwendig, während der Lehramtsausbildung eine gute fachwissenschaftliche
und fachdidaktische Ausbildung innerhalb dieses Fachgebietes zu gewährleisten. Dies kann
den aktuellen fachwissenschaftlichen Diskussionen und Forderungen nach nur über eine
stadtökologische Grundbildung als Teil der naturwissenschaftlichen Grundbildung, wie sie als
Konsequenz nach den Ergebnissen der PISA-Studie gefordert wird, erfolgen. Bevor jedoch
auf die Fragestellung der stadtökologischen Grundbildung und ihre Erreichbarkeit
eingegangen wird, soll zunächst eine fachliche Einführung in den Forschungsbereich
Stadtökologie und deren Gegenstand - das Stadtökosystem - gegeben werden, um ein besseres
Verständnis für die folgenden Kapitel zu ermöglichen.
2.2 Der fachwissenschaftliche Hintergrund: Stadtökologie und Stadtökosystem
2.2.1 Die Entwicklung der Stadtökologie
Im Rahmen der Geoökologie stellt die Stadtökologie einen der jüngsten Forschungsbereiche
dar. Gründe für die relativ späte Integration der Stadt in die Ökosystem-Forschung lagen in
den sich scheinbar ausschließenden Begriffen „Stadt“ und „Ökologie“. Die früher gängige
Behauptung jede Großstadt sei generell lebensfeindlich, blieb für lange Zeit unwidersprochen.
Diese Annahme von der Stadt als lebensfeindlicher Raum hatte ihren Ursprung in der
Bioökologie (ADAM 1988, WITTIG u. SUKOPP 1998).
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
11
Der Ökologie-Begriff selbst wurde erstmals von Haeckel (1866), wie folgt, beschrieben:
„Unter Ökologie verstehen wir die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des
Organismus’ zur umgebenen Außenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle
Existenzbedingungen rechnen können.“6 Im Mittelpunkt der Untersuchungen standen die
Lebensweisen und -bedingungen von Pflanzen und Tieren (MEURER 1997, WITTIG u.
SUKOPP 1998).
Der Begriff Stadtökologie kam in der Mitte des 20. Jahrhunderts auf. Nachdem sich die
Ökologie von einer rein biologischen Disziplin zu einer ganzheitlichen Betrachtung von
Zusammenhängen, Wechselbeziehungen und Grundprinzipien natürlicher Ökosysteme
gewandelt hatte, wandte man diese Erkenntnisse auch auf naturferne Lebensräume an. Dazu
zählt auch die heute dominierende Siedlungsform des Industriezeitalters - die Stadt. Das
Interesse richtete sich zunächst nur vereinzelt auf Städte hinsichtlich der Untersuchungen von
Flora und Fauna zu Vorkommen und Verbreitung. Durch die infolge des II. Weltkrieges
vorhandenen Zerstörungen in den Städten entwickelte sich die Trümmerflora als eine
besondere Form der Vegetation. Diese stand zeitweise im Mittelpunkt der stadtökologischen
Untersuchungen, z. B. Scholz (1956) (FRIEDRICHS u. HOLLAENDER 1999, WITTIG u.
SUKOPP 1998).
Nachdem der lange Zeit vorherrschende Irrtum - die Stadt sei artenarm - ausgeräumt wurde,
setzte vor ca. 35 Jahren eine intensive ökologische Untersuchung der Städte ein. Dabei
wurden Regelmäßigkeiten in Artenvorkommen, -verbreitung und -zusammensetzung von
Pflanzen und Tieren im städtischen Raum festgestellt, welche jene des Umlandes häufig
übertrafen (FRIEDRICHS u. HOLLAENDER 1999). Umfangreiche bioökologische
Untersuchungen in Halle und Halle-Neustadt führte KLOTZ 1984 durch.
Lange standen bioökologische Forschungen innerhalb der Stadt im Mittelpunkt und noch
heute wird die Stadtökologie teilweise als Aufgabenfeld der Biologie verstanden (RITTER
1995, WITTIG u. SUKOPP 1998). „Stadtökologie [...] [im engeren Sinne] ist diejenige
Teildisziplin der Ökologie, die sich mit den städtischen Biozönosen, Biotopen und
Ökosystemen, ihren Organismen und Standortbedingungen sowie mit Struktur, Funktion und
Geschichte urbaner Ökosysteme beschäftigt.“7 Parallel bemühten sich aber u. a. die
Geographie, Geoökologie und Klimatologie um den Forschungsgegenstand der Stadtökologie. 6 HAECKEL 1866. S. 286. 7 WITTIG u. SUKOPP 1998. S. 2.
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
12
Die Erforschung der Ökosysteme und ihrer Stoffkreisläufe und Energieflüsse war in der
modernen Ökologieforschung nicht mehr nur durch Biologen zu bewältigen. Jedoch bewegten
sich die Naturwissenschaften zunächst innerhalb ihrer wissenschaftlichen Fragestellungen und
Aufgabenfelder. Der interdisziplinäre Bezug zwischen der Bio- und Geoökologie entstand nur
zögernd. Erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts rückten „die ökologischen
Charakteristika des Gesamtlebensraumes Großstadt systematisch“8 in das Blickfeld. „Wenn
man die Stadtökologie im Rahmen der naturwissenschaftlichen Tradition betrachtet, dann
handelt es sich um die Untersuchung des Lebensraumes Stadt mit Methoden der Ökologie,
ähnlich wie andere Lebensräume in der Agrarökologie, der Waldökologie, der Limnologie
oder der marinen Ökologie einer eigenen Betrachtung unterzogen werden.“9
Im Gegensatz zum naturwissenschaftlichen Zugang zur Stadtökologie, wie er in Europa
praktiziert wurde, entwickelte sich in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts in Amerika der
„urban-ecology“-Forschungsansatz, der sozialwissenschaftlich ausgerichtet war. Die
„Chicagoer Schule“ ging der Fragestellung nach dem Zusammenhang zwischen Stadt und
Gesellschaft nach und legte damit einen ganz anderen Stadtökologiebegriff zugrunde als die
Europäer.10
Die europäischen und amerikanischen Richtungen der Stadtökologie mussten einen
gemeinsamen Ansatz finden, denn es wurde deutlich, dass eine Beschäftigung mit der
Ökologie des künstlich geschaffenen menschlichen Siedlungsraumes nicht ohne soziale
Fragestellungen erfolgen konnte. Durch die Einbeziehung der Humanökologie11 - als
interdisziplinärer Fachbereich zwischen Sozial-, Wirtschafts- sowie Geo- und
Biowissenschaften - in die Stadtökologie wurde eine erweiterte Sichtweise erreicht. Durch die
Verbindung zwischen Natur- und Anthroposphäre kann gerade in der angewandten
Stadtökologie eine sinnvolle Zusammenarbeit erfolgen. SUKOPP u. WITTIG 1998 schätzen
8 RITTER 1995. S. 13. 9 WITTIG u. SUKOPP 1998. S. 6. 10 Hauptvertreter der „Chicagoer Schule“ waren Robert E. Park, E. Burgess und R. Mc Kenzie. Sie betonten den Zusammenhang zwischen räumlichem Verhalten, Wahrnehmung, Bewertung und der Stadt. In der Untersuchung „The City“ thematisierten sie die sozialen und räumlichen Verdrängungsmechanismen der Stadt. Der Zugang zu wissenschaftlichen Themenbereichen ist eng an die gesellschaftliche Realität angelehnt. Die Analyse stadträumlicher Segregation und Verteilung wurde zum Markenzeichen der „Chicagoer Schule“ (FISCHER-ROSENTHAL 1998). 11 „Die Humanökologie versteht sich als eine Wissenschaft von der Struktur und von den Funktionen der durch Menschen im zunehmenden Maße veränderten Natur; sie untersucht die Systemeigenschaften der Ökosphäre, die Wechselwirkungen und Veränderungen der Systemelemente sowie das Ausmaß der Abhängigkeiten des Menschen von seiner natürlichen Umgebung“ (RITTER 1995. S. 13, Freye 1986. S. 15).
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
13
jedoch die Situation sehr kritisch ein, da keine Einigung hinsichtlich des
Forschungsgegenstandes und der Methoden existiert.
In diesem Zusammenhang kann die Stadtökologie als Fachgebiet verstanden werden, „das den
Gesamtfunktionszusammenhang Stadt - im Sinne eines Ökosystems - als eine im Raum
manifestierte Funktionseinheit betrachtet, die in sich zwar auch noch räumlich und funktional
differenziert ist, aber insgesamt eine einheitliche Entwicklungs- und Funktionstendenz
aufweist“12. Städte, besonders die Verdichtungsräume, werden als Ökosystemkomplexe
gesehen. „Zentraler Forschungsgegenstand der Stadtökologie ist der Ökosystemkomplex
Stadt, wobei aber im Gegensatz zur klassischen Ökologie der Anwendungsbezug stärker im
Vordergrund steht.“13 Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die MAB (Man-and
Biophere)-Projekte, die Metropolen wie London, Paris, Rom, New York, Wien und Berlin in
den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellten. Die von Duvigneaud und Denayer-De-Smet
(1977) erstellte Analyse für Brüssel zeigte erstmals die Stadt mit all ihren Vernetzungen und
Rückwirkungen als komplexes Stadtökosystem (BREUSTE 1996, MEURER 1997, WITTIG
u. SUKOPP 1998).
Primäres Ziel der Stadtökologie ist, das Ökosystem Stadt möglichst menschenfreundlich zu
gestalten (GEMEINSCHAFTSWERK ARBEIT UND UMWELT e. V. 1999b, WITTIG u.
SUKOPP 1998). In diesem Zusammenhang soll die folgende Definition für die vorliegende
Arbeit verwendet werden. „Stadtökologie [...] [im weiteren Sinne] ist ein integriertes Arbeiten
mehrerer Wissenschaften aus unterschiedlichen Bereichen und von Planung mit dem Ziel
einer Verbesserung der Lebensbedingungen und einer dauerhaften umweltverträglichen
Stadtentwicklung.“14 Der Gegenstand der Stadtökologie ist das Ökosystem Stadt.
2.2.2 Das Stadtökosystem – der Inhalt der Stadtökologie
Zu den wichtigsten Zielen bzw. Aufgaben der Stadtökologie in Mitteleuropa zählen nach
Solfrian (1995) folgende Aufgaben:
„1. Erhaltung und Wiederherstellung von gesunden Lebensverhältnissen für die Bewohner,
ökologische Vernetzung von Stadt und Umland, unbebauten und freien Flächen sowie von
Wohn-, Freizeit- und Berufsumfeld
12 LESER 1991. S. 428. 13 MEURER 1997. S. 551. 14 WITTIG u. SUKOPP 1998. S. 2.
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
14
2. Revitalisierung und Stabilisierung des Ökosystems Stadt durch Abbau von
Risikopotentialen
3. Umgestaltung von Industriebrachen und aufgegebener Großindustrie als Wohn- und
Freizeitlandschaft dritter Hand
4. Verbesserung der Mobilitätsbedürfnisse der Stadtbewohner durch zukunftsweisende
Lösungen.“15
Aus diesen Zielen werden Probleme, wie Lärmbelastung, Luftverunreinigung, Gefährdung
der Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallbeseitigung und die Schädigung von Natur und
Landschaft, des gegenwärtigen Ökosystems Stadt deutlich. Das heißt, das anthropogen
geschaffene urbane Ökosystem weist größte Belastungen der existierenden Ökosysteme auf
und ist damit sehr weit vom Erhalt des ökologischen Gleichgewichtes entfernt (KOLB 1999,
BENDER, KORBY, KÜMMERLE, RUHREN, STEIN u. VIEHOF 1996). Im städtischen
Ökosystem, verglichen mit einem natürlichen bzw. naturnahen Ökosystem, sind Prinzipien
„[...] - wie z. B. ökologische Stabilität und Elastizität, ungestörte Stoffkreisläufe und
energetische Autarkie – nicht gegeben [...]“16. Deshalb existiert die ideale ökologische Stadt
nicht.
Das Ökosystem Stadt als typischer Vertreter des urbanen industriellen Ökosystems17 ist durch
„die Funktion und den Einfluß des Menschen“ geprägt. Die zunehmende Flächenversiegelung
hat die Verdrängung von natürlichen und naturnahen Ökosystemen oder -elementen zur
Folge. Weiterhin werden abiotische Faktoren, wie Klima, Wasser und Boden, in ihrer
Funktions- und Wirkungsweise beeinflusst. Die für natürliche und naturnahe Ökosysteme
gegebene Selbstregulierung von Stoff- und Wasserkreisläufen sowie Energieflüssen
funktioniert im urbanen Raum nicht oder nur ansatzweise. Städtische Ökosysteme sind nur
durch die Zufuhr von Energie aus angrenzenden Teilsystemen existenzfähig. Es besteht
zwischen der Stadt und anderen Teilräumen (mit zum Teil großen Distanzen zur individuellen
15 INGENMEY 1995. S. 27. 16 MEURER 1997. S. 552. 17 Nach Ellenberg (1973) lassen sich zwei Gruppen von Ökosystemen unterscheiden, wobei der Energie[fluss] das ausschlaggebende Kriterium dieser Einteilung darstellt:
1. Natürliche und naturnahe Ökosysteme Die für das Ökosystem lebensnotwendige Energiezufuhr erfolgt durch die Sonneneinstrahlung. Beispiele sind Seen, Hochgebirge und Wälder.
2. Städtisch-industrielle Ökosysteme Dieses Ökosystem ist nicht mehr in der Lage sich hinsichtlich der Energie- und Stoffbilanz natürlich und selbständig zu regulieren. Durch eine anthropogen geregelte Energiezugabe (z. B. Kohle, Öl, Gas, Holz, Kern- und Wasserkraftenergie) wird das Bestehen des städtisch-industriellen Ökosystems gesichert (ADAM 1988, ELLENBERG 1973).
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
15
Stadt) ein ständiger Austausch. Das System Stadt in seiner hohen Komplexität und mit seinen
Teilkomplexen wurde immer wieder in Modellen dargestellt. Hervorgehoben werden soll der
schon genannte Ansatz von Duvigneaud und Denayer-De-Smet (1977), der zum ersten Mal
die ökologischen und ökonomischen Austauschvorgänge in einer konkreten Stadt, hier
Brüssel, betrachtet. Modellhaft wurden die vielen komplexen Verknüpfungen und
Vernetzungen dargestellt (Abb. 1).
Abb. 1: Energie- und Stoffflüsse im urbanen Ökosystem Brüssel. Verändert nach Duvigneaud und
Denayer-De-Smet, 1977 (MEURER 1997)
In Anlehnung an LESER 1991 wird unter einem Stadtökosystem folgendes verstanden: „Die
Funktionseinheit eines real vorhandenen Ausschnittes aus der Geobiosphäre, der ein sich [...]
regulierendes, aber ausschließlich anthropogen gesteuertes urban-industrielles
Wirkungsgefüge naturbürtiger (aber nicht mehr natürlicher) abiotischer und biotischer sowie
materiell manifestierter anthropogener Faktoren bildet, das als ein stets offenes stoffliches und
energetisches System mit einem dynamischen Gleichgewicht bezeichnet werden kann, das nur
aufrecht gehalten werden kann, wenn eine permanente Energiezufuhr in den verschiedensten
Formen erfolgt. Als Regler, die für die Stadtökosystemfunktionen entscheidend sind, treten
die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhältnisse auf, die teileigenständige
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
16
Subsysteme im Stadtökosystem bilden können, die aber zugleich das Stadtökosystem zu
wesentlichen Teilen präsentieren.“18
2.3 Die stadtökologische Grundbildung als Teil der naturwissenschaftlichen
Grundbildung (Scientific Literacy)
Das oben erläuterte Gebiet der Stadtökologie erfährt aufgrund seiner Entwicklung aus der
Bioökologie im deutschsprachigen Raum eine vorwiegend naturwissenschaftliche
Ausrichtung. In diesem Sinne wird die Stadtökologie als Teil der Geoökologie in dieser
Arbeit auch als vorwiegend naturwissenschaftlich orientierter Bildungs- und
Forschungszweig mit stark integrativem Charakter verstanden. Deshalb wird zur Herleitung
des Konzeptes der stadtökologischen Grundbildung auf die intensiv geführte Diskussion um
die naturwissenschaftliche Grundbildung zurückgegriffen, da die Stadtökologie als ein Teil
der Naturwissenschaften betrachtet wird.
Der Begriff „Scientific Literacy“ (deutsch: naturwissenschaftliche Grundbildung) wurde zum
erstem Mal von dem Amerikaner Bybee (1952) verwendet und anschließend mehrfach
definiert, wie z. B. durch Hurd u. Gallagher (1966), Showalter (1974), National Science
Teachers Association (NSTA) (1982), Rutherford u. Ahlgren (1989) und National Science
Education Standards (NSES) (1996). Gemeinsam haben alle Beschreibungsversuche folgende
Inhalte von Scientific Literacy:
• Wesen, Konzepte, Prozesse,
• Werte von Naturwissenschaften,
• gesellschaftliche Rolle sowie Interesse an der Naturwissenschaft und
• naturwissenschaftliche Fertigkeiten (BYBEE 2002).
Unter Scientific Literacy (naturwissenschaftliche Grundbildung) versteht die Science
Functional Expert Group der OECD/PISA „die Fähigkeit, naturwissenschaftliches Wissen
anzuwenden, naturwissenschaftliche Fragen zu erkennen und aus Belegen Schlussfolgerungen
zu ziehen, um Entscheidungen zu verstehen und zu treffen, [welche] die natürliche Welt und
die durch menschliches Handeln an ihr vorgenommenen Veränderungen betreffen.“19 Dabei
spielt neben den einzelnen Fachkenntnissen besonders die Verknüpfung, Vernetzung und
18 LESER 1991. S. 428. 19 BAUMERT, KLIEME, NEUBRAND, PRENZEL, SCHIEFELE, SCHNEIDER, TILLMANN u. WEIß 2002. S. 3.
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
17
Systematisierung derselben eine entscheidende Rolle (TILLMANN u. WEIß 2002). Bezogen
auf die stadtökologische Grundbildung gelten dieselben Beschreibungen unter der speziellen
Betrachtung des städtischen Raumes unter Einbeziehung des Umlandes und entfernter
Geoökosysteme.
Laut Miller (1996) zählen zur naturwissenschaftlichen Grundbildung naturwissenschaftliche
Inhalte, naturwissenschaftliche Erkenntnismethoden und das Verständnis für die
Naturwissenschaft als soziale Unternehmung (GRÄBER u. NENTWIG 2002). Für die
stadtökologische Grundbildung heißt dies, dass neben den stadtökologischen Inhalten auch
Erkenntnismethoden, wie die Geoökosystemanalyse, und das Verständnis für die Stadt als
soziales System entwickelt werden sollen.
Diese Überlegungen decken sich mit dem Bestreben der deutschen Pädagogik, der
allgemeinen Didaktik, der Fachdidaktik und der Schulcurricula, Wissens-, Könnens- und
Sozial- bzw. Selbstkompetenz zu entwickeln. Dabei zeichnen sich deutsche Schülerinnen und
Schüler durch Vorkenntnisse und elementare Fachkenntnisse der Naturwissenschaften aus.
Defizite bestehen jedoch im Bereich der Anwendung, der Übertragung auf andere Inhalte und
das Umstrukturieren von Problemstellungen (GRÄBER u. NENTWIG 2002).
Dass die einzelnen Kompetenzen mittlerweile in vielen deutschen Lehrplänen und
Rahmenrichtlinien bei der Formulierung von Zielen und Qualifikationen ihren festen Platz
gefunden haben, zeigt ihre Notwendigkeit, wie auch die Ergebnisse der PISA-Studie
beweisen. Dabei kommt bei der Formulierung von Anforderungen und Zielsetzungen
innerhalb der naturwissenschaftlichen Grundbildung dem Konzept der fächerübergreifenden
Kompetenzen (CCC - cross curricular competencies) eine besondere Bedeutung zu. Jedoch
sollte keine explizite Trennung zwischen fachspezifischen und fächerübergreifenden
Kompetenzen vorgenommen werden. Scientific Literacy und damit stadtökologische
Grundbildung (urban-ecological Literacy) ist eine Bündelung von Kompetenzen, deren
Schnittmenge das Ziel naturwissenschaftlichen Unterrichts ist. „Fächerübergreifende
Kompetenzen sind situations- und inhaltsunabhängig definierte Fähigkeiten, die in
verschiedenen Fächern bzw. Lerngebieten gefordert und/oder gefördert werden, [und] bei der
Bewältigung komplexer, ganzheitlicher Anforderungen von Bedeutung sind [sowie] auf
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
18
neuartige, nicht explizit im Curriculum enthaltene Aufgabenstellungen transferiert werden“20
(DUISMANN 2000, GRÄBER, NENTWIG u. NICOLSON 2002).
Die Frage ist nun, mit welchen Mitteln kann eine stadtökologische Grundbildung zielgerichtet
und organisiert in der Lehramtsausbildung erreicht werden, um eine zukunftsgerechte
Qualifikation für die spätere Tätigkeit zu sichern. Auch dabei kann auf die Vorschläge nach
der PISA-Studie zurückgegriffen werden, die sich wiederum am nordamerikanischen, aber
auch am skandinavischen Bildungssystem orientieren. Diese fordern für die Entwicklung
einer Grundbildung die Festlegung von Kerncurricula, welche durch die Formulierung von
Bildungsstandards spezifiziert werden. In den folgenden Ausführungen sollen für die
stadtökologische Grundbildung ein Kerncurriculum und Bildungsstandards festgelegt werden,
die dann am Beispiel der Konzeption eines stadtökologischen Erkenntnispfades ihre
Umsetzung finden. Abschließend werden die Bildungsstandards hinsichtlich ihrer
Erreichbarkeit durch Testverfahren überprüft (Abb. 2) (SALDERN u. PAULSEN 2003).
Konzeption des stadtökolo-gischen Erkennt-nispfades
Bildungs-standards und Kompetenz-stufenmodell
Kerncurriculum(Themen und Inhalte)
Testverfahren
Abb. 2: Entwicklung und Erreichen von Bildungsstandards für die stadtökologische Grundbildung
Dabei kann diese Arbeit nur einen Diskussionsbeitrag innerhalb der Bildungsdebatte
darstellen und ist als Vorschlag für die weiterführenden Überlegungen zu verstehen, denn
„selbstverständlich bedarf es längerer Entwicklungsarbeit, bis endgültige Bildungsstandards
vorliegen können“21.
Bevor jedoch die Bildungsstandards und das dazugehörige Kerncurriculum für die
stadtökologische Grundbildung entwickelt werden, sollen zunächst die universitären und
schulischen Voraussetzungen hinsichtlich ihrer Bedeutung für die stadtökologische
Grundbildung in der Lehramtsausbildung beleuchtet werden.
20 GRÄBER, NENTWIG u. NICOLSON 2002. S. 136. 21 BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2003. S. 15.
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
19
2.4 Die universitären und schulischen Voraussetzungen
Um einen Beitrag zur Verbesserung der Lehramtsausbildung im Fachbereich Stadtökologie zu
erreichen, ist, wie schon kurz erwähnt, die Formulierung von Bildungsstandards und
Kerncurriculum zur stadtökologischen Grundbildung nach neuesten Überlegungen nötig.
Jedoch hat die Recherche von Studienprogrammen an Universitäten ergeben, dass in
Deutschland noch keine Bildungsstandards für die stadtökologische Grundbildung innerhalb
der Lehramtsausbildung existieren.
Weiterhin ist es wichtig, die Eingangsvoraussetzungen der Studierenden im
Lehramtsstudiengang zu beachten. Dazu wurden im Oktober 2003 im Proseminar Didaktik 80
Lehramtsstudierende anonym und schriftlich befragt (Anhang 1). Dabei wurden quantitativ
die Herkunft und die Geographiekursbelegung der Befragten erfasst. Es konnte festgestellt
werden, dass der größte Teil der Studienanfängerinnen und -anfänger aus Sachsen-Anhalt
(33) und den angrenzenden Bundesländer Sachsen (21) und Thüringen (9) kommen (Abb. 3).
3
6
1
2
3
1
21
33
1
9 Thüringen
Schleswig-Holstein
Sachsen-Anhalt
Sachsen
Nordrhein-Westfalen
Niedersachsen
Mecklenburg-Vorpommern
Bremen
Brandenburg
Berlin
Abb. 3: Herkunftsbundesländer der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Didaktik-Proseminare im
Wintersemester 2003/04 (n = 80)
Insgesamt haben bis auf sechs Ausnahmen alle Befragten von 2000 bis 2003 das Abitur
abgelegt. Die quantitative Erfassung der Kursbelegung ergab, dass der Großteil von 59
Studierenden im Fach Geographie bzw. Erdkunde einen Grundkurs und 6 Studierende einen
Leistungskurs belegt hatten. Jedoch ist überraschend, dass sich 15 Studierende ohne die
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
20
Belegung des Faches Geographie in der gymnasialen Oberstufe für ein Lehramtsstudium in
diesem Fach entschieden haben.
Aus der Analyse der Rahmenrichtlinien und Lehrpläne der deutschen Bundesländern ergibt
sich für die gymnasiale Oberstufe im Fach Geographie bzw. Erdkunde, dass die Inhalte der
Stadtökologie fast überall sowohl im Grund- als auch im Leistungskurs thematisiert werden
(Anhang 2). Festzuhalten ist, dass in einigen Bundesländern, wie z. B. in Sachsen-Anhalt,
Thüringen, Sachsen und Bremen die Stadt als (Geo)ökosystem aufgeführt wird. In anderen
Bundesländer werden Teilaspekte des Stadtökosystems erfasst, wie z. B. das „Stadtklima“ in
Baden-Württemberg oder der „Zusammenhang von Grünflächen und Stadtklima als
Grundlage für ökologische Stadtplanung“ sowie „Menschengerechte Stadt, was ist das?“ in
Nordrhein-Westfalen (KULTUSMINISTERIUM DES LANDES SACHSEN-ANHALT 2003,
MINISTERIUM FÜR KULTUS, JUGEND UND SPORT BADEN-WÜRTTEMBERG 2001,
MINISTERIUM FÜR SCHULE UND WEITERBILDUNG, WISSENSCHAFT UND
FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN 1999, SÄCHSISCHES
STAATSMINISTERIUM FÜR KULTUS 2001, SENATOR FÜR BILDUNG UND
WISSENSCHAFT BREMEN 2001, THÜRINGER KULTUSMINISTERIUM 1999).
Neben dem Unterrichtsfach Geographie ist es erforderlich, den Blick auf andere
Unterrichtsfächer des mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Bereichs einerseits
und des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes andererseits zu richten, um die
gesellschaftlichen komplexen Strukturen des Stadtökosystems im Geographieunterricht
darzustellen. Aber auch das künstlerische Aufgabenfeld liefert wertvolle Inhalte für den
Geographieunterricht. Deshalb kommt gerade in der geoökologischen Ausbildung dem
fächerübergreifenden Ansatz eine große Bedeutung zu. Durch die Bereitstellung von
speziellen Vorkenntnissen aus anderen Fachbereichen kann der Geographieunterricht entlastet
werden und die Einordnung in räumliche Zusammenhänge bzw. die Darstellung von
einzelnen Sachverhalten im System stehen im Vordergrund. Somit wird die Geographie ihrem
Ruf als Zentrierungsfach (RICHTER 1997) gerecht. Am Beispiel der Rahmenrichtlinien
Sachsen-Anhalts wurden die Fachinhalte aufgeführt, die Vorkenntnisse für die Geographie
zum Thema Stadtökologie bereitstellen (Abb. 4).
Mit dem Bezug zu anderen Fächern können die Lernenden die Mehrperspektivität des
Lerninhaltes Stadtökologie erkennen und den systemaren Ansatz bewusst erfassen. Durch die
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
21
Anwendung des Themas auf einen konkreten geographischen Raum wird damit ein
wesentlicher Beitrag zur Vermittlung der Lebens- und Alltagswelt der Lernenden geleistet
(RICHTER 1997, HAUBRICH 1993).
Biologie
Ökologie und Umweltschutz- Wirkung von Umweltfaktoren auf die Organismen- Struktur und Funktionen von Ökosystemen- Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt
Chemie
- Schwefeldioxid als Luftschadstoff- Bedeutung von Salzen- Kohlenstoff und anorganische Ver- bindungen des Kohlenstoffs- Stickstoff - Element des Lebens- Bedeutung von Puffersystemen- Energetik chemischer Reaktionen- Seifen - Waschmittel - Tenside
Physik- Energie in Natur und Technik- Energieversorgung - Situation, Problem und Perspektiven
Technik
- Planen, Modellieren, Bauen und Erhalten- Bau und Umwelt in der Region
Geschichte
- Bürgerliches Leben in wilhelminischer Zeit, Gründerzeit- Industrialisierung und Umwelt- Neues Bauen neues Wohnen - Wohnungsbau im Bauhausstil (wp)- Zunahme von Freizeit - Kleingarten- vereine (wp)- Konjunkturen und Krisen im Industri- alisierungsprozess der Neuzeit (Umweltzerstörung als neue Heraus- forderung)- Methoden: Architektur als Quelle nutzen historische Fotos untersuchen
Wirtschaft
- ökologische Konsequenzen wirtschaft- lichen Handelns - Umweltbelastung durch Konsum (Entstehung, Gebrauch und Entsorgung von Produkten)- Umwelt als Wirtschaftsfaktor (Recycling, Rekultivierung
- Wohnbauten, -bedürfnisse, -bedingungen und -formen- Bauelemente, -weisen, -aufgaben- Gestaltete Umwelt - Architektur als Gesamtkunstwerk- Architektur und Gesellschaft - Denkmal- schutz und -pflege- Park und Garten als künstlerische Form der Naturaneignung
Fächerübergreifende Themen in der Sekundarstufe I
- ökologisch verantwortungsvoller Umgang mit natürlichen Ressourcen - Kl. 7/8: Luft, Wasser und Boden als natürliche Lebensgrundlage (Ch, Bio, Ph, Geo) - Kl. 9/10: Ökologisch verantwortlich mit Ressourcen umgehen (Ph, Bio, Geo, EU, Astro)- Gesundes Leben - Kl. 7/8: Sicher und gesund durch den Straßenverkehr (Ph, Bio, Ma, VE) - Kl 9/10: Demokratie im Nahraum - nachhaltige Raumentwicklung (Sk, Geo, Deu, Ku)
Mathematisch-naturwissenschaftlich-technisches Aufgabenfeld
Sprachlich-künstlerisches Aufgabenfeld
GesellschaftswissenschaftlichesAufgabenfeld
Bereitstellung von wesentlichen Inhalten aus anderen Unterrichtsfächernzum Thema “Stadtökosystem” im Fach Geographie (Gymnasium)
Abb. 4: Inhalte zum Thema Stadtökosystem, die von anderen Unterrichtsfächern für das Fach Geographie bereitgestellt werden, dargestellt auf der Grundlage der Rahmenrichtlinien von Sachsen-Anhalt (KULTUSMINISTERIUM DES LANDES SACHSEN-ANHALT 1999a, 1999b, 1999c, 1999d, 1999e, 1999f, 2003)
Nachdem festgestellt wurde, dass in der gymnasialen Kursstufe das Thema Stadtökologie
bzw. Stadtökosystem in den Lehrplänen und Rahmenrichtlinien festgeschrieben ist und die
Mehrzahl der Studierenden auch einen Grund- oder Leistungskurs belegt hat, konnte mit
Vorkenntnissen auf diesem Fachgebiet zu Studienbeginn gerechnet werden, da auch das
Abiturjahr nicht weit zurücklag.
Jedoch hat die schriftliche Erfassung von Grundkenntnissen zur Stadtökologie und zum
Stadtökosystem leider gezeigt, dass die Befragten zum Teil keine oder geringe Vorkenntnisse
besitzen22. Als exemplarisches Beispiel wird hier der Bekanntheitsgrad zu einzelnen
grundlegenden Begriffen aufgeführt (Tab. 2).
22 Auf die Ursachen der geringen schulischen Vorkenntnisse zum Thema Stadtökologie bzw. Stadtökosystem kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
22
Tab. 2: Grundkenntnisse zu ausgewählten Begriffen der 80 befragten Studierenden des
1. Semesters innerhalb des Lehramtsstudiengangs 2003/04
Bekanntheit von Begriffen Geoökologie Stadtökologie Flächenverbrauch bekannt 51 41 37 unbekannt 26 36 39 keine Angabe 3 3 4
Der aus diesen Analyseergebnissen resultierende Widerspruch, dass einerseits Inhalte zur
Stadtökologie in den Rahmenrichtlinien bzw. Lehrplänen festgeschrieben sind und
andererseits bei einem Großteil der Studierenden keine oder geringe Grundkenntnisse
vorhanden sind, bedarf einer Lösung. Um ein erfolgreiches Studium auf dem Gebiet der
Stadtökologie zu ermöglichen, ist es nötig ein gleiches Studieneingangsniveau für alle
Studierenden zu schaffen, damit für alle Studierenden ein erfolgreicher Übergang von der
Gymnasialbildung zu den universitären Lehrveranstaltungen im Bereich Stadtökologie
gewährleistet werden kann.
Aus diesem Grund ist es sinnvoll das Studieneingangsniveau im Bereich Stadtökologie
festzulegen, das auf der Abiturstufe basiert. Die anschließenden Vorlesungen, Seminare und
Übungen bauen auf diesem Bildungsstand auf. Mit Hilfe der festgelegten Grundkenntnisse,
die als Studienvoraussetzung angesehen werden können, wird dem Studierenden die
Möglichkeit gegeben, das erforderliche Niveau durch die selbständige Aneignung der
fehlenden Kenntnisse zu erreichen. Dieses Ziel verfolgt die vorliegende Arbeit, indem für die
Stadtökologie Bildungsstandards erstellt werden, welche als Studieneingangsniveau innerhalb
der Stadtökologie fungieren. Im Anschluss wird das Kerncurriculum festgelegt.
2.5 Bildungsstandards für die stadtökologische Grundbildung
Nachdem viele Vorschläge und Schlagworte als Antwort auf die Ergebnisse der PISA-Studie
erschienen sind, welche sich durch unterschiedlichste Ansätze auszeichnen und kaum eine
einheitliche gedankliche Struktur besitzen, besteht zunächst, wie oben ausgeführt, Einigkeit
über das Erreichen von Grundbildung als Ziel der Allgemeinbildung. Das Erreichen der
stadtökologischen Grundbildung ist ein wichtiger Teil dabei, da hier, wie auch in den
klassischen Naturwissenschaften, die größten Defizite (vgl. Kap. 2.4) auf Seiten der
Studierenden zu Studienbeginn bestehen (BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
23
FORSCHUNG 2003, GRÄBER u. NENTWIG 2002, KONRAD-ADENAUER-STIFTUNG
2003). Aus diesen Gründen ist es zunächst nötig, Bildungsstandards zu erstellen, welche die
Grundlage für die Festlegung eines Kerncurriculums und deren Erreichbarkeit bildet. Diese
Bildungsstandards und das sich darauf aufbauende Kerncurriculum können dann als das
Minimalniveau der Lehramtsstudierenden zu Studienbeginn im Unterrichtsfach Geographie
angesehen werden, da die schulischen Voraussetzungen dafür gegeben sind (vgl. Kap. 2. 4).
Erste Schwierigkeiten bei der Entwicklung von neuen Konzeptionen für eine
Qualitätsverbesserung im deutschen Bildungssystem ergeben sich schon aus dem
Begriffsgebrauch. Definitorisch werden viele Begriffe, wie Bildungsstandards und
Kerncurriculum, im Zuge der geführten Diskussionen nicht sauber von einander getrennt, was
wiederum mit der Übernahme dieser Begriffe aus dem amerikanischen Sprachgebrauch zu tun
hat (BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2003, SALDERN u.
PAULSEN 2003).
Das deutsche Schulsystem wurde bisher durch sogenannte „Inputs“, wie Rahmenrichtlinien,
Haushaltspläne oder Prüfungsrichtlinien, bestimmt. Nun sollen zusätzlich die Leistungen von
Bildungseinrichtungen sowie die Lernergebnisse von Lernenden als „Outputs“ in die
zukünftige Bildungspolitik einbezogen werden. Dazu gehören Kompetenzen, Qualifikationen,
Wissensstrukturen, Einstellungen, Überzeugungen und Werthaltungen, welche
Grundvoraussetzungen für ein selbständiges lebenslanges Lernen sind.
Um die bestehenden Bildungsunterschiede zu beseitigen und die Leistungen
länderübergreifend vergleichbar zu machen, hat die Kultusministerkonferenz (KMK) am 25.
Juli 2002 beschlossen, nationale Bildungsstandards für (Kern)-Fächer und bestimmte
Jahrgangsstufen bzw. Abschlussklassen zu entwickeln. Gleichzeitig muss jedoch den Ländern
aufgrund der föderalistischen Struktur die Freiheit gelassen werden, auf welchem Weg die
Bildungsziele erreicht werden sollen (FINACIAL TIMES DEUTSCHLAND 2003a, 2003b).
„Nationale Bildungsstandards formulieren verbindliche Anforderungen an das Lehren und
Lernen in der Schule. Sie stellen damit innerhalb der Gesamtheit der Anstrengungen zur
Sicherung und Steigerung der Qualität schulischer Arbeit ein zentrales Gelenkstück dar.
Bildungsstandards benennen präzise, verständlich und fokussiert die wesentlichen Ziele der
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
24
pädagogischen Arbeit, ausgedrückt als gewünschte Lernergebnisse der Schülerinnen und
Schüler“23.
Bildungsstandards orientieren sich an allgemeinen Bildungszielen und benennen
Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler erwerben müssen, um die genannten
Bildungsziele zu erreichen. Dabei spielt die Abstufung der Leistungsanforderungen
hinsichtlich der Jahrgangsstufen eine besondere Rolle. WEINERT 2001 versteht unter dem
Kompetenzbegriff „die bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven
Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen
motivationalen, volitionalen [willentliche Steuerung von Handlungen und
Handlungsabsichten] und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in
variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“24.
Gleichzeitig formulieren Bildungsstandards allgemein gehaltene aber gleichzeitig konkrete
Aussagen über die Ausbildung von Sach-, Methoden- und Sozialkompetenzen zu bestimmten
Themen bzw. Unterrichtsfächern. Diese Zielstellungen betreffen jedoch nicht nur den
erfolgreichen Abschluss der Bildungslaufbahn, sondern beziehen sich auch auf die Fähigkeit
lebenslang weiterzulernen und die Anforderungen in Beruf und Alltag zu bewältigen
(BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2003).
Aufgrund der Ergebnisse von internationalen Schülerleistungsvergleichen, z. B. PISA (vgl.
Kap. 2.1) wurde deutlich, dass die Lehr- und Lernprozesse im deutschen Bildungssystem
teilweise nicht mehr zeitgemäß sind. Um eine Qualitätsverbesserung in den Schulen zu
erreichen, nimmt die Lehrerausbildung hinsichtlich der Vorbereitung auf die zukünftigen
schulischen Aufgaben und Anforderungen eine sehr wichtige Stellung ein.
Die Anordnung der Bildungsstandards erfolgt zur differenzierten Darstellung der
Anforderungen innerhalb eines Kompetenzstufenmodells, was ausführlich in Kapitel 3
entwickelt und erläutert wird. Zur besseren Verdeutlichung der Niveauabstufungen innerhalb
der Bildungsstandards wird zunächst das Kerncurriculum für die stadtökologische
Grundbildung vorgestellt.
23 BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2003. S. 4. 24 WEINERT 2001. S. 27-28.
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
25
2.6 Das Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
Zum Verständnis werden zunächst allgemeingültige Aussagen zur Frage der Kerncurricula
getroffen, die anschließend auf die stadtökologische Grundbildung in der Lehramtsausbildung
bezogen werden.
Ein Curriculum des Bildungsgesamtplans (1973) bezeichnet eine umfassende Anweisung für
die Durchführung von Lernvorgängen, „die sich auf definierte und operationalisierte
Lernziele beziehen“25. Dazu zählen im wesentlichen:
1. Lernziele, welche die zu erreichenden Qualifikationen formulieren,
2. Inhalte, welche für die gestellten Ziele relevant sind,
3. Methoden, durch welche die geforderten Lernziele und Inhalte zu erreichen sind,
sowie
4. Testverfahren für die Überprüfung der Eignung der verwendeten Methoden, Inhalte
und damit des Erreichens der Lernziele (RINSCHEDE 2003).
Bildungsstandards und Kerncurriculum werden in engem Zusammenhang gesehen und als
„Elemente innerhalb eines Systems der Steigerung und Steuerung der Qualität des
Bildungssystems“26 verstanden. Kerncurricula sind Inputs, welche wesentliche Themen und
Inhalte formulieren, die in der Ausbildung eine wichtige Rolle spielen sollen, da sie
lebensbedeutenden Charakter besitzen. In der Tab. 3 wird ein Kerncurriculum auf der
Grundlage der bestehenden Rahmenrichtlinien und Lehrpläne der gymnasialen Oberstufe der
einzelnen Bundesländer für die stadtökologische Grundbildung zusammengestellt, wobei das
Kerncurriculum als inhaltliche Orientierungs- und Steuerungsgröße fungiert. Tab. 3: Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung Merkmale eines Kerncurriculums Exemplarisches Beispiel des
Kerncurriculums für die stadtökologische Grundbildung
Bestimmung eines obligatorischen Fächergefüges
Geographie als Raumwissenschaft
Benennung von zentralen Themen und Inhalten
Stadtökologie und Stadtökosystem
Kompetenzen (Sach- und Methodenkompetenz)
Ausstattung, Stoff- und Energieflüsse, Stadtklima, nachhaltige Stadtentwicklung, geoökologische Systemanalyse
25 RINSCHEDE 2003. S. 114. 26 BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2003. S. 95.
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
26
Angemerkt werden muss hier, dass die Angaben für die stadtökologische Grundbildung nur
ein Bestandteil eines Kerncurriculums für die Entwicklung einer allgemeinen Bildung
darstellen kann. Für alle Angaben eines Kerncurriculums gilt: sie sind das unentbehrliche
Minimum von Themen und Inhalten (BECKER u. BÖTTCHER 2001, BÖTTCHER 2003,
BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2003).
Für die erforderliche stadtökologische Grundbildung zu Beginn der Lehramtsausbildung ist
neben der Formulierung von Bildungsstandards die konkrete Festlegung eines
Kerncurriculums erforderlich, indem konkrete Lerninhalte festgelegt werden. Als Inhalt, der
für alle Studierende im 1. Semester für den Lernbereich Stadtökologie verbindlich sein soll,
werden zunächst folgende Grundbegriffe vorgeschlagen27, die anschließend definiert werden
(Abb. 5):
Grundbegriffe zum Thema „Stadtökologie/Stadtökosystem“
Geoökosystem/Geoökologie
Stadtökosystem/Stadtökologie
Flächen-nutzung/
Stadt-klima
Stadtstruktur-(typen)
Urbani-sierung
Stadt-planung
Städtische Stoff- und Energie-flüsse
Ver-siegelung
Abb. 5: Begriffsschema zum Themenbereich Stadtökologie/Stadtökosystem
Stadtökologie: [...] [im engeren Sinne] ist diejenige Teildisziplin der Ökologie, die sich mit
den städtischen Biozönosen, Biotopen und Ökosystemen, ihren Organismen und
Standortbedingungen sowie mit Struktur, Funktion und Geschichte urbaner Ökosysteme
beschäftigt.
Stadtökologie: [...] [im weiteren Sinne] ist ein integriertes Arbeiten mehrerer
Wissenschaften aus unterschiedlichen Bereichen und von Planung mit dem Ziel einer
Verbesserung der Lebensbedingungen und einer dauerhaften umweltverträglichen
Stadtentwicklung. (WITTIG u. SUKOPP 1998. S. 2.)
27 In Absprache mit Herrn Prof. Dr. M. Frühauf und Herrn Dr. M. Sauerwein des Fachgebietes Geoökologie am Institut für Geographie der MLU Halle-Wittenberg.
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
27
Das Stadtökosystem ist die Funktionseinheit eines real vorhandenen Ausschnittes aus der
Geobiosphäre, der ein sich selbst regulierendes, aber ausschließlich anthropogen gesteuertes
urban-industrielles Wirkungsgefüge naturbürtiger (aber nicht mehr natürlicher) abiotischer
und biotischer sowie materiell manifestierter anthropogener Faktoren bildet, als ein stets
offenes stoffliches und energetisches System mit einem dynamischen Gleichgewicht
bezeichnet werden kann, wenn eine permanente Energiezufuhr erfolgt. (LESER 1991. S. 428.)
Die Geoökologie ist die Nachbarwissenschaft der Bioökologie, die sich aus geographisch-
geowissenschaftlicher Sicht mit dem Landschaftshaushalt in seiner räumlichen Ausprägung
beschäftigt. Gegenstand der Geoökologie ist vor allem das Geoökosystem. (LESER 1991. S. 137.)
Ein Geoökosystem ist die Funktionseinheit eines real vorhandenen räumlichen Ausschnitts
aus der Geobiosphäre, des Geotops, die ein selbstregulierendes Wirkungsgefüge abiotischer
und darauf eingestellter biotischer Faktoren bildet, das als ein stets offenes stoffliches und
energetisches System mit einem dynamischen Gleichgewicht bezeichnet werden kann. (LESER 1991. S. 141.)
Urbanisierung ist die Ausbreitung und Übernahme städtischer Verhaltensweisen, die
bestimmte räumliche Strukturen und Prozesse bewirken. (FRAEDRICH 1997b. S. 153.)
Als Flächennutzung wird Art und Maß der Beanspruchung von Grund und Boden für
spezielle Zwecke bezeichnet. Zu unterscheiden ist zwischen baulicher Nutzung
(Wohnbauflächen, gewerblichen Bauflächen, Verkehrsflächen u. a.) und freiraumbezogener
Nutzung (Grünflächen, Wald, Flächen für die Landwirtschaft u. a.). (UMWELTBUNDESAMT o. J.)
Stadtstruktur wird durch physiognomische, soziale und funktionale Elemente, [welche] [...]
die Gesamtheit des städtischen Raumes ausmachen, gebildet. (FRAEDRICH 1997b. S. 153.)
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
28
Stadtstrukturtypen sind Flächen vergleichbarer typischer, deutlich voneinander
physiognomisch unterscheidbarer Ausstattung und Konfiguration von Bebauung und
Freiflächen. Sie sind weitgehend homogen bezüglich Art, Dichte und Flächenanteilen der
Bebauung und der verschiedenen Ausprägungen der Freiflächen. Beispiele für
Stadtstrukturtypen sind geschlossene Blockrandbebauung, Einzel- und Reihenhausbebauung
mit Hausgärten sowie Villenbebauung mit Parkgärten. (BREUSTE, MEUER u. VOGT 2002. S. 37.)
Energiefluss (Energietransfer) ist die Energieaufnahme[, -umwandlung] und -weitergabe
durch ein Ökosystem. (SCHAEFER 2003. S. 91.)
Stofffluss ist die Aufnahme, Speicherung und Weitergabe von Stoffen durch Organismen
oder ökologische Systeme. (SCHAEFER 2003. S. 329.)
Das Stadtklima ist ein lokales Klima, welches sich in kleineren und größeren Städten und in
Ballungsräumen entwickelt. Das Stadtklima ist durch hohe Versiegelung, die das Windfeld
und den Strahlungshaushalt beeinflussenden Gebäudekörper, die zusätzliche
Wärmeproduktion der Stadt und den verunreinigungsbedingten Dunst geprägt. Das
Stadtklima zeichnet sich durch nächtliche Sommerwärme (höhere Wärmeaufnahme
überbauter Gebiete), relative Wintermilde (Wärmeproduktion), relative Luftruhe kombiniert
mit Zugigkeit in schneisenartigen Strukturen, häufigeren Dunst und Nebel (hohe
Konzentration an Kondensationskernen durch Luftverunreinigungen), etwas geringerer
Einstrahlung und Belastung der Luft mit Staub, Rauch und Abgasen aus. Die sommerlichen
und winterlichen Temperaturunterschiede zum Freiland können 1 - 3 K ausmachen.
(LESER 1997. S. 812 – 813.)
Als Versiegelung wird jegliche Art der Bodenbedeckung durch Gebäude, Straßenbeläge etc.
bezeichnet, welche mit dem Außerkraftsetzen der natürlichen Funktionen des Bodens z. B. als
Wasserspeicher oder -filter einhergehen. (Nagel 1997. S. 203.)
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
29
Stadtplanung ist die räumliche Planung auf der Ebene der Gemeinde (Ortsplanung), die
unterste Stufe der Raumplanung. Der Stadtplanung fällt die Aufgabe zu, die räumliche
Entwicklung einer Gemeinde zu lenken, vor allem ihre bauliche Entwicklung mit Hilfe von
Bauleitplänen im positiven Sinne zu beeinflussen. Als Institution (Stadtplanungsamt) ist sie
für die Durchführung der Stadtentwicklungsplanung zuständig. (LESER 1989. S. 237.)
Nachhaltige Entwicklung beschreibt eine inter- und intragenerationale Entwicklung, die den
Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeit künftiger
Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu
wählen. (SCHMITT 2002. S. 8.)
Dabei soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass dies nur Vorschläge sein können, die
keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, da der Schwerpunkt auf der Festlegung von
Grundbegriffen liegt, die je nach Schwerpunktsetzung innerhalb der Ausbildung variieren
können. Diese Grundbegriffe können dann um weitere Unterbegriffe ergänzt werden, die aber
über das Mindestmaß des festgelegten Studieneingangsniveaus hinausgehen. An dem Beispiel
des Begriffs „Stadtklima“ werden exemplarisch weitere Begriffe aufgeführt (Abb. 6), die
dann in den Lehrveranstaltungen während des Lehramtsstudiums eine Rolle spielen werden.
Stadtklima
Strahlungs-und Energie-haushalt
Wärmeinsel Anthropo-gene Wärme-produktion
Smog Städtische Nieder-schlags-verhältnisse
Gesundheit
z. B. :Bioklima,Aufnahme-pfad,Schadstoffe,Toxizität,Allergien,Gesund-heitsschä-digungen,...
z. B.:Oberflächen-struktur,Ver-siegelungs-grad,Bebauungs-dichte,Temperatur,Mikroklima,Tagesverlauf,...
z. B.:Emissionen,Immissionen,Abwärme,Luftverun-reinigungen,Abgase,Stäube,...
z. B. :Inversion,London-Smog,Los-Angeles-Smog,Ozon,vertikalerLuft-massen-austausch,...
z. B. :Konvektions-regen,Konden-sations-kerne,Nebel,Luftfeuchtig-keit,...
z. B. :Oberflächen-struktur,lokale Zirkulation,Flurwind,Frischluft-schneise,mechanisch induzierte Winde,...
z. B.:UV-Strah-lung,Aerosole,Albedo,Netto-wärme-gewinn,...
Städtische Windver-hältnisse
Abb. 6: Schema der Unterbegriffe zum Oberbegriff Stadtklima (ADAM 1988, BENDER, KORBY,
KÜMMERLE, RUHREN, STEIN u. VIEHOF 1996, FEZER 1995, KUTTLER 1998)
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
30
Mit zunehmender Unterteilung der Begrifflichkeiten nimmt auch die Komplexität zu, indem
Begriffe in unterschiedlichen Kategorien wiederholt auftreten. Durch die sich andeutenden
Beziehungen der einzelnen Begriffe bzw. Faktoren nähert sich der Studierende grundlegenden
Merkmalen und Prozessen, welche ebenfalls innerhalb des Stadtökosystems als Teil der
Bildungsstandards anzusehen sind, die auch im weiteren aufgeführt werden.
Raumausstattung
Ausstattung des Stadtökosystems
Das Stadtökosystem gehört zu den Geoökosystemen der Erde. Ein besonderes Merkmal des
Stadtökosystems ist die enge Verknüpfung von natürlich und anthropogen geprägten
Bereichen. Weiterhin existiert das Stadtökosystem nur durch das Wirken des Menschen. Zur
Selbstregulation ist das Stadtökosystem nicht fähig, es bedarf immer einer Einfuhr (Input) von
Biomasse, Energie, Wasser, Brennstoffen und Frischluft sowie einer Ausfuhr (Output) von
Müll, Abwasser und Abwärme bzw. Schadstoffen, um die Funktionsfähigkeit eines
Stadtökosystems zu gewährleisten. Die Stadt ist ein Stoff- sowie Energieumsatzraum und
Produktions-, Lebens- und Erholungsraum des Menschen, wodurch eine hohe
Bevölkerungskonzentration auf engem Raum typisch ist. (ADAM 1988, WITTIG u. SUKOPP 1998)
Merkmale des Stadtökosystems
• hoher Bebauungsgrad und Infrastruktureinrichtungen
• eigene klimatische Besonderheiten (Stadtklima)
• starke Beeinflussung der Bodenfunktion durch hohen Versiegelungsgrad, Nivellierung
sowie Entwicklung einer Kulturschicht
• Beeinflussung der Gewässerstruktur durch Kanalisation, Einleitungen, Übernutzung
und Verhinderung der Grundwasserneubildung durch Versiegelung
• veränderte Artenzusammensetzung bzw. veränderter Artenreichtum von Flora und
Fauna durch höhere Temperaturen und höhere Niederschläge als im Umland sowie
innerstädtische klimatische Kontraste
• ständige Veränderungen der Flächennutzung
• hohe Anzahl an Emissionsquellen (Abgase von Industrie und KFZ, Staub, Lärm) und
hohe Abwärmeerzeugung (Produktions- und Heizungsanlagen) (ADAM 1988, KOWLAKE 1997)
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
31
Dabei ist es dem Studierenden möglich, aus einfachen graphischen Darstellungen und/oder
Tabellen Informationen zu entnehmen. Ausgewählte Prozesse im Stadtökosystem
Stadtklima und Luftaustauschprozesse
Das Klima der Stadt wird in erster Linie vom Makroklima der atmosphärischen Zirkulation
bestimmt, jedoch weist die Stadt einige spezielle Klimaerscheinungen, besonders im meso-
und mikroklimatischen Bereich, auf. Ausschlaggebend ist die Bebauungsstruktur, denn durch
Gebäude, Straßen und andere technische Einrichtungen kommt es zu Verstärkungen und
Abschwächungen der Luftbewegungen und damit der Luftaustauschprozesse. Diese
Erscheinungen führen zum Wärmeinseleffekt, zur Veränderung der Windfelder und zu einer
Verstärkung der Schadstoffe in der Atmosphäre aus der Emission von Verkehr, Industrie und
privaten Haushalten. Durch diese Verunreinigungen treten Beeinflussungen des städtischen
Strahlungshaushalts auf, wie die Abnahme der Strahlungsdauer und -intensität durch die
städtische Dunstglocke und die Erwärmung der Stadtökosysteme gegenüber dem Umland
(Wärmeinsel). Smog ist eine weitere stadtklimatische Besonderheit, die zu einer starken
Beeinträchtigung der Gesundheit führen kann. Einerseits entsteht der London-Typ besonders
in den Wintermonaten durch hohe Emissionswerte und andererseits der Los-Angeles-Typ in
den Sommermonaten durch hohe Emissionswerte und UV-Strahlung, die zu einer erhöhten
Produktion von Ozon führen. Gemeinsam ist bei beiden Smogtypen die Inversionswetterlage.
Um so wichtiger ist es im städtischen Ökosystem, den Luftaustausch durch entsprechende
Bebauung und die Anlage von Frischluftschneisen zu gewährleisten. ( ADAM 1988, FEZER 1995, KOWLAKE 1997) Energieversorgung von Städten
Früher waren Wasser und Holz die Hauptenergiequellen in den Städten, was sich jedoch
durch das Städtewachstum änderte. Der Energiebedarf stieg durch die hohe
Bevölkerungsdichte, die wirtschaftlichen Tätigkeiten und das Verkehrsaufkommen. Deshalb
müssen viele Energieträger in die Stadt eingeführt werden, wie z. B. Kohle, Erdöl, Benzin,
Diesel und Erdgas. Durch die Verbrennung dieser fossilen Rohstoffe kommt es zu einem
Energieumsatz, der auch zu einer Erwärmung des Stadtökosystems (Wärmeinsel) und dadurch
zu einer Außenwirkung über die Grenzen hinaus führt. Gleichzeitig treten Umweltbelastungen
(z. B. Schadstoffe und Aschen) im städtischen Ökosystem auf. Um diese Belastungen zu
verringern und den Ausnutzungsgrad von 30 % zu erhöhen, werden in Großkraftwerken
außerhalb oder am Rand der Städte die erforderlichen Energien bereitgestellt und über eine
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
32
zentrale Energieversorgung an die Abnehmer verteilt. Ebenso ist die zentrale
Wärmeerzeugung eine Möglichkeit der effizienteren Energienutzung. Durch
wärmedämmende Materialien beim Gebäudebau können Energiekosten gesenkt werden. (FEZER 1995, FRAEDRICH 1997a)
Wasserhaushalt in der Stadt
Die städtischen Fließgewässer sind Elemente des Stadtökosystems, die eine besonders
deutliche Verbindung zu angrenzenden Geoökosystemen herstellen. Denn ein Fluss
durchfließt aus einem anderen Geoökosystem (z. B. Waldökosystem, Agrarökosystem)
kommend die Stadt und verlässt sie in ein anderes Geoökosystem (z. B Agrarökosystem).
Somit werden Stoffe in die Stadt eingetragen (Input) und auch wieder hinausbefördert
(Output), wie z. B. Abwasser. Weiterhin vermindert sich durch die Versiegelung der Städte
und der damit verbundene Bau von Kanalisationen die Grundwasserneubildung und die
Evapotranspiration. Ebenso verändert sich der Wärmehaushalt und der Hochwasserabfluss in
den natürlichen Gewässern verstärkt sich. Durch den raschen Abfluss finden kaum noch
Reinigungsprozesse statt, woraus eine zusätzliche Verschmutzung der Gewässer folgt. (KOWLAKE 1997, SAUERBORN u. WOLF 2003)
Städtischer Verkehr
Der Stadtverkehr gehört zu den größten Problemen des 20. und 21. Jahrhunderts, obwohl
Städte schon immer Verkehrsknotenpunkte waren. Jedoch hat nach dem II. Weltkrieg die
Anzahl der Fahrzeuge, auch in den Innenstädten, stark zugenommen. Neben dieser
Entwicklung hat sich gleichfalls die mit dem Auto zurückgelegte Wegstrecke verdoppelt und
die Fußgänger- und Radfahrstrecken sind zurückgegangen. Über 50 % der mit dem Fahrzeug
zurückgelegten Wegstrecke in Innenstädten ist unter 5 km lang. Für diese Wegstrecken sind
die öffentlichen Verkehrsmittel oder der nichtmotorisierte Individualverkehr günstiger, denn
der Autoverkehr birgt eine große Anzahl von Nachteilen, wie die Verbrennung von fossilen
Ressourcen, der Schadstoffausstoß und die enorme mit dem Flächenverbrauch einhergehende
Versiegelung des Bodens im Zuge der Schaffung von Verkehrswegen. (FRAEDRICH 1997b, SAUERBORN u. WOLF 2003)
Warenein- und -ausfuhr (Stoffflüsse)
Das anspruchsvolle Kaufverhalten der Mitteleuropäer beeinträchtigt auch Geoökosysteme
außerhalb der Stadt. Durch die Globalisierungstendenzen erhöhen sich die Verkehrswege und
damit der Schadstoffausstoß, um Güter in die Städte zu bringen. Waren werden in die Stadt
gebracht, wobei auch Bau- und Brennstoffe eine bedeutende Rolle spielen. Während der
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
33
Nutzung dieser Güter im Stadtökosystem fällt teilweise Abwasser an, welches die Stadt über
die Kanalisation und das Klärwerk verlässt (z. B. Waschen von Kleidung). Teilweise erfolgt
die Ausfuhr über den Luftpfad (Schadstoffe, Ruß, Wärme) bei der Verbrennung von
Heizmaterial. Nach dem Gebrauch der Güter erfolgt der Output in der Regel über die
Abfallwirtschaft, welche Siedlungs-, Gewerbe-, Baustellenabfälle, Bauschutt sowie
Klärschlamm umfassen. Diese werden in einem anderen Geoökosystem (meist im Umland der
Stadt) deponiert. Ein Teil der Abfallstoffe wird wiederverwertet oder verbleibt als
Kulturschutt in der Stadt. (NATUR & KULTUR 1999, SAUERBORN u. WOLF 2003)
Die Studierenden können einzelne Prozesse innerhalb des stadtökologischen Geoökosystems
und Beziehungen zwischen dem Stadtökosystem und dem Umland erläutern. Durch die
Zunahme der in der Stadt ablaufenden Prozesse erhöht sich auch die Komplexität, welche die
Studierenden erörtern können. Dabei spielt die Fähigkeit der Entwicklung eines
stadtökologischen Modells eine wachsende Rolle, wobei sich die Studierenden der Methode
der Geoökosystemanalyse bedienen.
Methode: Geoökologische Systemanalyse für das Stadtökosystem Arbeitsschritte: 1. Beschreiben des derzeitigen Zustandes des Stadtraumes • Erfassen der wesentlichen städtischen Komponenten • Beschreiben von Wechselbeziehungen und -wirkungen innerhalb der Stadt und des
Umlandes 2. Herausarbeiten von Wechselwirkungen zwischen Mensch und Naturraum • Feststellen von Problemfeldern im Stadtökosystem • Wirkungen/Folgen für den Stadtraum und das angrenzende Umland • Bewerten der entstandenen Ergebnisse • Möglichkeiten des Umgangs mit den Bewertungsergebnissen 3. Vergleich zwischen unterschiedlichen Geoökosystemen (z. B. natürliches bzw.
halbnatürliches Geoökosystem) (KULTUSMINISTERIUM DES LANDES SACHSEN-ANHALT 2003, WEINERT 2003, ergänzt)
Insgesamt liegt der Schwerpunkt bei der Betrachtung von Stadtökosystemen auf der
Erörterung von Strukturen und Prozessen innerhalb eines konkreten Raumbeispiels.
Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
34
2.7 Fazit
Zusammenfassend können die formulierten Bildungsstandards für die stadtökologische
Grundbildung hinsichtlich der durch die Expertise aufgestellten Merkmale von guten
Bildungsstandards überprüft werden (Tab. 4) (BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG
UND FORSCHUNG 2003).
Tab. 4: Merkmale von Bildungsstandards mit Bezug zur stadtökologischen Grundbildung
Merkmale von Bildungsstandards Bildungsstandards und Kerncurriculum für die stadtökologische Grundbildung
1. Fachlichkeit Stadtökologie und Stadtökosystem 2. Fokussierung (nicht die gesamte Breite
des Lernbereichs, sondern die Konzentration auf den Kernbereich)
Grundbegriffe • Geoökologie, Geoökosystem • Stadtökologie, Stadtökosystem • Flächennutzung • Stadtklima • Stadtstruktur(typen) • Urbanisierung • Stadtplanung • Versiegelung • Stofffluss • Energiefluss • Nachhaltigkeit
Merkmale und Raumausstattung Prozesse
• Stadtklima und Luftaustauschprozesse • Energieversorgung in Städten • Wasserhaushalt in der Stadt • Städtischer Verkehr • Warenein- und -ausfuhr (Stoffflüsse)
Methode: Geoökologische Systemanalyse 3. Kumulativität (Kompetenzen, die in
einem bestimmten Zeitraum erreicht werden sollen)
Niveauanpassung zum Studienbeginn (wenige Wochen bis maximal ein Semester)
4. Verbindlichkeit (Mindestvoraussetzung für alle)
Alle Lehramtsstudierenden des 1. Semester im Fach Geographie unabhängig vom bisherigen Bildungsweg (Kursbelegung in der gymnasialen Oberstufe, Bundesland) müssen über diese Bildungsstandards verfügen.
5. Differenzierung (in Kompetenzstufen, die über und unter dem Mindestniveau liegen)
Kompetenzstufenmodell nach BYBEE (2002) mit drei festgelegten Anforderungsbereichen (vgl. Kap. 3)
6. Verständlichkeit (knapp, klar, nachvollziehbar formuliert)
Formulierung von konkreten Lerninhalten, die als die zu erwartenden Lernergebnisse anzusehen sind (Begriffe, Prozesse).
7. Realisierbarkeit (Herausforderung für die Lernenden, mit realistischem Aufwand erreichbar)
Möglichkeit des Selbststudiums mit Hilfe des stadtökologischen Erkenntnispfades (Homepage, Broschüre, Exkursion) (vgl. Kap. 6 u. 7)