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Katzenbuch

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  • DORIS LESSINGS

    KATZENBUCH

    WILHELM HEYNE VERLAG MNCHEN

  • Das Buch Dem Thema Katze und Mensch oder: Mensch und Katze, je nachdem, wie man dieses uralte Verhltnis sehen will ist dieser Band gewidmet. Und da Katzen nicht nur Haus- tiere sind, sondern hchst bizarre und eigenwillige Persn- lichkeiten, mit denen es sich nicht immer ganz leicht lebt, mu nicht erst bewiesen werden. In vierzehn ungewhnli- chen Geschichten erzhlt Doris Lessing von den Katzen in ihrem Leben. Ob auf der Farm in Sdafrika oder in ihrem Londoner Stadthaus, Katzen gab es immer in ihrer Umge- bung. Die faszinierend schillernden Charaktere dieser eben- so anschmiegsamen wie eigensinnigen Wegbegleiter der groen Schriftstellerin finden in diesen Erzhlungen ihr hchst lebendiges Portrt. Die grundstzliche Frage aber, wer denn nun durch wen geprgt wurde der Mensch durch die Katze oder umgekehrt mu weiterhin offen bleiben. Die Autorin Doris Lessing, 1919 als Tochter eines britischen Offiziers in Persien geboren, wuchs in Rhodesien auf und siedelte 1949 nach England ber. Ihr autobiographisch geprgter Roman- zyklus Kinder der Gewalt, der zwischen 1952 und 1969 er- schien, brachte ihr Weltruhm. Die in London ansssige Schriftstellerin gehrt mit ihrem umfangreichen, sozial en- gagierten Werk seit langem zu den modernen Klassikern. Sie wurde 1981 mit dem sterreichischen Staatspreis fr europische Literatur ausgezeichnet, 1982 mit dem Shake- speare-Preis, und sie gilt seit einigen Jahren als aussichtsrei- che Kandidatin fr den Literaturnobelpreis. Im Wilhelm Heyne Verlag sind lieferbar: Das fnfte Kind (Bd. 01/8126), Das Tagebuch der Jane Somers (Bd. 01/8212), Die Liebesge- schichte der Jane Somers (Bd. 01/8125), Bericht ber die bedrohte Stadt (Bd. 01/8326), Jane Somers (Bd. 01/8677).

  • HEYNE ALLGEMEINE REIHE Nr. 01/8602

    Titel der Originalausgabe PARTICULARLY CATS

    Aus dem Englischen bersetzt von Ursula von Wiese

    Die Originalausgabe erschien 1967 im Verlag Michael Joseph Ltd.

    Copyright 1967 by Doris Lessing Productions Ltd. ber alle Rechte der deutschen Ausgabe verfgt

    die J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart 1981.

    Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, Mnchen Printed in Germany 1992

    Umschlagillustration: Toby Glanville, London Rckseitenillustration: Focus/Fay Godvin/Network, Hamburg

    Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schtz, Mnchen Satz: Schaber Datentechnik, Wels

    Druck und Bindung: Eisnerdruck, Berlin

    ISBN 3-453-06104-7

  • Meiner Tochter Jean Wisdom, die ein Leben mit Katzen liebt

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    Das Haus stand auf einem Hgel, und deshalb wa-

    ren die Falken, die Adler, die Raubvgel, die getragen von kreisenden Luftstrmen ber dem Busch schweb- ten, oft in Augenhhe, manchmal auch tiefer. Man sah auf sonnenglatte braune und schwarze Schwingen von fast zwei Metern Spannweite hinunter, die abkippten, wenn der Vogel in die Kurve glitt. Unten auf den Fel- dern konnte man ganz reglos in einer Ackerfurche lie- gen, mglichst an einer Stelle, wo der Pflug beim Wen- den tief eingeschnitten hatte, abgeschirmt durch Gras und Laub. Die Beine, trotz der Sonnenbrune zu bla neben dem rtlichbraunen Boden, muten mit Erde be- deckt oder in die Erde vergraben werden. Hoch oben kreisten ein Dutzend Vgel, die das Feld nach der win- zigen Bewegung einer Maus, eines Vogels oder eines Maulwurfs absuchten. Man whlte sich einen aus, viel- leicht einen genau ber sich; vielleicht bildete man sich einen Moment lang einen Blickaustausch, Aug in Auge, ein: das kalt starrende Vogelauge und das nchtern neugierige Menschenauge. Unter dem schmalen, ge- schohnlichen Leib, zwischen groen tragenden Schwingen waren die Krallen bereit. Eine halbe Minute spter, oder zwanzig Minuten spter, scho der Raub- vogel auf das kleine Geschpf herab, das er ausgewhlt hatte; dann hinauf und fort mit weitem, regelmigem Flgelschlag, hinter sich einen roten Staubwirbel und einen wilden, durchdringenden Geruch. Der Himmel war wie zuvor: ein weiter, blauer, lautloser Raum mit

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    verstreuten Gruppen kreisender Vgel. Aber oben auf dem Hgel konnte ein Falke ganz einfach seitlich aus dem Luftwirbel herunterschieen, auf dem er sich hatte treiben lassen, um seine Beute auszuwhlen eines unserer Hhner. Oder sogar hgelan fliegen, eine der Straen quer durch den Busch entlang, die ausgebreite- ten Schwingen vorsichtig vor berhngenden Zweigen schtzend: ein Vogel, der ganz sicher gegen seine Na- tur handelte, wenn er eine Luftstrae zwischen Bumen benutzte, anstatt durch die Luft senkrecht zur Erde zu stoen.

    Unsere Hhner waren wenigstens sahen ihre Feinde es so ein unerschpflicher Fleischvorrat fr die Falken, Eulen und Wildkatzen im Umkreis von Mei- len. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang bewegte sich das Hhnervolk auf der exponierten Hgelkuppe, gut sichtbar fr Ruber durch glnzendes schwarzes, braunes, weies Gefieder und hrbar durch dauerndes Gackern, Krhen, Kratzen und Scharren.

    Auf den Farmen in Afrika ist es blich, die Deckel der Paraffin- und Benzinkanister abzuschneiden und die gleienden Metallscheiben so anzubringen, da sie in der Sonne blitzen. Um die Vgel abzuschrecken, heit es. Aber ich habe einen Falken gesehen, der aus einem Baum kam und sich eine dicke, verschlafene Henne von ihrem Gelege holte, und das, obwohl Hun- de, Katzen und Menschen, schwarze wie weie, in der Nhe waren. Und einmal, als die Familie vor dem Haus Tee trank, waren ein Dutzend Leute Zeuge, wie ein halb ausgewachsenes Ktzchen im Schatten eines Bu- sches von einem herabstoenden Falken geschlagen wurde. In der langen, heien Mittagsstille konnte das pltzliche Kreischen oder Gackern oder Flgelschlagen bedeuten, da ein Raubvogel ein Huhn geholt hatte, oder da ein Hahn eine Henne getreten hatte. Es gab

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    allerdings genug Hhner. Und so viele Falken, da es keinen Sinn hatte, sie abzuschieen. Wann immer man auf dem Hgel stand und in den Himmel sah, kreiste dort mit Sicherheit ein Vogel, weniger als eine halbe Meile entfernt. Ein paar hundert Meter darunter husch- te ein kleiner Schattenfleck ber die Bume, ber die Felder. Wenn ich reglos unter einem Baum sa, beob- achtete ich, wie Tiere erstarrten oder in Deckung gin- gen, sobald der warnende Schatten groer Schwingen hoch ber ihnen sie berhrte oder auf Grsern, Blttern einen Augenblick lang das Licht auslschte. Nie war es nur ein einziger Raubvogel. Zwei, drei, vier Vgel krei- sten in einer Gruppe. Warum gerade dort? fragte man sich. Natrlich! Sie nutzten, wenn auch in unterschied- licher Hhe, denselben Luftwirbel. Etwas weiter ent- fernt, eine zweite Gruppe. Sah `man genau hin, so war der Himmel voll von schwarzen Punkten; oder, wenn das Sonnenlicht sie aufblitzen lie, von glnzenden Punkten, wie Falter in einem Lichtkegel, der aus einem Fenster fllt. In diesen Meilen blauer Luft wie viele Falken? Hunderte? Und jeder von ihnen imstande, die Entfernung zu unseren Hhnern in ein paar Minuten zurckzulegen.

    Also wurden die Falken nicht abgeschossen. Auer im Zorn. Ich wei noch, als das miauende Ktzchen in den Falkenklauen himmelwrts entschwand, lie meine Mutter das Gewehr hinterdrein knallen. Natrlich ver- gebens.

    Die Tagesstunden gehrten den Falken, Morgen- und Abenddmmerung hingegen den Eulen. Die Hhner wurden bei Sonnenuntergang in ihre Gehege ge- scheucht, whrend die Eulen noch aufbumten; und ei- ner verspteten, schlfrigen Eule konnte es gelingen, ein Huhn im ersten Morgenlicht zu erbeuten, wenn die Gehege geffnet wurden.

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    Falken bei Sonnenschein; Eulen in der Dmmerung; aber des Nachts Katzen, Wildkatzen.

    Und hier hatte es einen Sinn, ein Gewehr zu benut- zen. Die Raubvgel konnten sich frei Tausende von Meilen durch den Himmel bewegen. Eine Katze hatte einen Unterschlupf, einen Gefhrten, Junge minde- stens aber einen Unterschlupf. Wenn eine sich unseren Hgel als Wohnort aussuchte, erschossen wir sie. Kat- zen kamen nachts zu den Hhnergehegen und fanden unwahrscheinlich enge Lcken zwischen Wnden oder in Drahtzunen. Wildkatzen paarten sich mit unseren Katzen, lockten friedliche Hausmiezen ins gefhrliche Buschleben, fr das sie sich unserer berzeugung nach nicht eigneten. Wilde Katzen stellten das bequeme Da- sein unserer Tiere in Frage.

    Eines Tages sagte der Schwarze, der in der Kche ar- beitete, er habe in einem Baum auf halbem Wege hgel- ab eine Wildkatze gesehen. Mein Bruder war nicht da; deshalb nahm ich das 5,6-mm-Gewehr und suchte sie. Es war Mittag: nicht die Zeit fr Wildkatzen. Auf einem halbhohen Baum lag die Katze ausgestreckt auf einem Ast und fauchte. Ihre grnen Augen funkelten. Wild- katzen sind keine schnen Tiere. Sie haben ein hli- ches, struppiges, gelblichbraunes Fell. Und sie riechen abscheulich. Diese Katze hatte in den letzten zwlf Stunden ein Huhn gerissen. Der Boden unter dem Baum war mit weien Federn und mit Fleischstckchen bedeckt, die bereits stanken. Wir haten Wildkatzen, die fauchten und kratzten und zischten und uns ha- ten. Das war eine Wildkatze. Ich erscho sie. Sie fiel so- fort vom Ast und vor meine Fe, zuckte noch einmal, wirbelte weie Federn auf und lag reglos da. Normaler- weise htte ich den Kadaver an seinem rudigen, bel- riechenden Schwanz genommen und in einen nahen unbenutzten Brunnen geworfen. Aber irgend etwas an

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    dieser Katze machte mich stutzig. Ich bckte mich, um sie zu betrachten. Die Kopfform entsprach nicht der ei- ner Wildkatze; und das Fell war, obwohl struppig, zu weich fr eine Wildkatze. Ich mute es zugeben: Das war keine Wildkatze, es war eine unserer Katzen. Wir erkannten in diesem hlichen Kadaver Minnie, vor zwei Jahren eine liebenswrdige Hauskatze, die ver- schwunden war von einem Falken oder einer Eule geschlagen, wie wir annahmen. Minnie war zur Hlfte eine Perserkatze gewesen, ein sanftes, zrtliches Ge- schpf. Sie war dieser Hhnerdieb gewesen. Und un- weit der Stelle, wo sie gettet worden war, fanden wir einen Wurf wilder Ktzchen; aber diese waren tatsch- lich wild, und Menschen waren ihre Feinde: unsere Bei- ne und Arme, die zerbissen und zerkratzt wurden, wa- ren der Beweis. Also tteten wir sie. Vielmehr meine Mutter sorgte dafr, da sie gettet wurden; denn ir- gendein Hausgesetz, ber das ich mir erst viel spter Gedanken machte, verpflichtete sie zu dieser abscheuli- chen Arbeit.

    Wenn man ein wenig darber nachdenkt: es gab im- mer Katzen im Haus. Kein Tierarzt nher als Salisbury, siebzig Meilen entfernt. Ich erinnere mich nicht, da unsere Katzen sterilisiert wurden, Ktzinnen mit Si- cherheit nicht. Katzen bedeuten Ktzchen, jede Menge und regelmig. Irgend jemand mute die uner- wnschten Ktzchen beseitigen. Vielleicht die Afrika- ner, die im Haus und in der Kche arbeiteten? Ich wei noch gut, wie oft die Worte Bulala yena (Tte sie!) ertn- ten. Die verletzten und schwachen Tiere in Haus und Hof: Bulala yena!

    Aber im Haus gab es ein Gewehr und eine Pistole, und sie wurden von meiner Mutter benutzt.

    Schlangen zum Beispiel berlieen wir gewhnlich ihr. Wir hatten immer Schlangen. Das klingt drama-

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    tisch, und vermutlich war es das auch; aber sie gehr- ten zu unserem Leben. Ich frchtete sie lngst nicht so wie die Spinnen riesengroe, verschiedenartige und unzhlbare, die mir das Leben schwermachten. Es gab Kobras, schwarze Mambas, Puffottern und Nachtvi- pern. Und eine besonders unangenehme Spezies, die sogenannte Boemslang, die sich gewhnlich um einen Ast, einen Verandapfosten oder um etwas vom Boden Aufragendes wand und allen Strenfrieden ins Gesicht spuckte. Sie ist oft gerade in Augenhhe, so da die Getroffenen blind werden. Aber in den ganzen zwanzig Jahren mit Schlangen ereignete sich nur ein einziger schlimmer Fall, als eine Boemslang meinem Bruder in die Augen spuckte. Sein Augenlicht wurde von einem Afrikaner gerettet, der eine Eingeborenenmedizin ver- wendete.

    Alarmgeschrei jedoch ertnte fortwhrend. Eine Schlange in der Kche oder auf der Veranda; oder im Ezimmer, berall, so schien es. Einmal hob ich um ein Haar eine Nachtviper auf, weil ich sie fr einen Strang Stopfwolle hielt. Aber sie bekam als erste Angst, und ihr Zischen rettete uns beide: Ich rannte, und sie ent- kam. Einmal kroch eine Schlange in den Sekretr, des- sen Fcher mit Papieren vollgestopft waren. Es dauerte Stunden, bis meine Mutter und die Diener das Tier her- ausgescheucht hatten, so da sie es erschieen konnte. Einmal verkroch sich eine Mamba in der Vorratshtte unter der Kornkiste. Meine Mutter mute sich auf die Seite legen und sie aus dreiig Zentimetern Entfernung erschieen.

    Eine Schlange im Holzsto lste Alarm aus; und ich verursachte den Tod einer Lieblingskatze, weil ich sag- te, ich htte die Schlange zwischen zwei Scheiten hin- einkriechen sehen. In Wirklichkeit war es der Schwanz der Katze gewesen. Meine Mutter scho auf etwas

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    Graues, das sich bewegte; und schreiend kam die Katze hervor mit aufgerissener Seite, blutig und zerfetzt. Sie wlzte sich zwischen den Holzsplittern und schrie, und ihr kleines blutendes Herz war durch die zarten, zer- splitterten Rippen zu sehen. Sie starb, whrend meine Mutter sie weinend streichelte. Die Kobra hatte sich in- zwischen ein paar Meter entfernt um eine Latte gewun- den.

    Einmal gab es einen groen Aufruhr, Rufen und Schreien; und auf einem steinigen Weg zwischen Hibis- kusbschen und Christusdorn kmpfte eine Katze mit einer geschmeidigen, tanzenden Schlange. Die Schlan- ge glitt in die meterbreite Dornenhecke und blieb dort, ihre glitzernden Augen auf die Katze gerichtet, die sich ihr nicht nhern konnte. Die Katze blieb den ganzen Nachmittag dort, umkreiste das Dornengestrpp, in dem sich die Schlange verbarg, fauchte, miaute. Aber als es dunkelte, entkam die Schlange ungehindert.

    Aufzuckende Erinnerungen, Geschichten ohne An- fang und ohne Ende. Was wurde aus der Katze, die auf dem Bett meiner Mutter lag, wimmernd vor Schmer- zen, die Augen geschwollen, weil sie von einer spuk- kenden Schlange getroffen worden war? Oder aus der Katze, die schreiend ins Haus kam, die prallvollen Zit- zen ber den Boden schleppend? Wir wollten nach ih- ren Jungen in einer Kiste in Werkzeugschuppen sehen, aber sie waren verschwunden; und der Diener, der die Spuren im Staub um die Kiste untersuchte, sagte: Nyoka. Eine Schlange.

    In der Kindheit tauchen Menschen, Tiere, Ereignisse auf, werden hingenommen, verschwinden, ohne da Erklrungen geboten oder verlangt werden.

    Doch wenn ich jetzt an die Katzen zurckdenke, stndig Katzen, hundert Erlebnisse mit Katzen, Jahre und Jahre mit Katzen, staune ich ber die viele Arbeit,

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    die sie verursacht haben mssen. Jetzt in London habe ich zwei Katzen; und oft genug sage ich: Wie unsinnig, da man sich wegen zwei kleiner Tiere so viel Mhe und Sorge macht.

    Diese ganze Arbeit mute von meiner Mutter bewl- tigt werden. Farmarbeit fr den Mann; Hausarbeit fr die Frau, auch wenn die Arbeit im Haus sehr viel m- hevoller ist als die bliche Hausarbeit in einer Stadt. Es war auch deshalb ihre Arbeit, weil jedem die Arbeit zu- fllt, die seiner Natur entspricht. Sie war gtig, ver- nnftig, klug. Sie war vor allem in jeder Hinsicht prak- tisch. Und mehr noch: Sie gehrte zu den Menschen, die den Lauf des Lebens verstehen; und sich ihm fgen. Keine leichte Rolle.

    Mein Vater kannte sich ebenfalls gut aus; er war Bau- er. Aber seine Haltung war wie ein Protest; wenn etwas getan werden mute, Schritte unternommen werden muten, wurde ein endgltiger Entschlu gefat und meine Mutter fate ihn. Damit ist wohl alles erle- digt, nehme ich an! sagte er dann ironisch und verr- gert, aber gleichzeitig auch bewundernd. Natur, sag- te er weiter und gab sich geschlagen, ist ja schn und gut, wenn man sie unter Kontrolle hat.

    Aber meine Mutter, fr die Natur nicht nur das eige- ne Element, sondern auch Pflicht und Brde bedeutete, verschwendete keine Zeit mit sentimentalem Philoso- phieren: Fr dich ist also alles schn und gut, sagte sie dann; scherzhaft um jeden Preis; aber eigentlich vorwurfsvoll, denn natrlich ertrnkte mein Vater nicht die Ktzchen, ttete nicht die Schlangen, schlachtete nicht die kranken Hhner, rucherte nicht die Nester der Termiten mit brennendem Schwefel aus: Mein Va- ter mochte Termiten und beobachtete sie gern.

    Um so schwerer ist es zu verstehen, wie es eigent- lich zu dem schrecklichen Wochenende kam, an dem

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    ich mit meinem Vater allein war mit ungefhr vierzig Katzen.

    Das einzige, was mir von dieser Zeit in Erinnerung geblieben ist, gleichsam als Entschuldigung, ist die Be- merkung: Sie ist weichherzig geworden und kann kei- ne Katze mehr ertrnken.

    Dies wurde ungeduldig, gereizt gesagt und von mir mit kalter Wut. Damals lag ich im Kampf mit meiner Mutter, einem Kampf bis aufs Blut, einem Kampf ums berleben, und vielleicht hatte es etwas damit zu tun; ich wei es nicht. Aber heute frage ich mich beunruhigt, was fr ein Bruch in ihrem Selbstbe- wutsein stattgefunden hat. Oder war es einfach Pro- test? Welche seelischen Nte zeigten sich auf diese Wei- se? Was hat sie eigentlich in jenem Jahr gesagt, als sie keine Katzen ertrnken wollte, keine Katzen tten woll- te, die gettet werden muten? Und schlielich, warum ging sie fort und lie uns beide allein, obwohl sie genau wute, ja gewut haben mute, denn dies wurde stn- dig lautstark angedroht, was geschehen wrde?

    Die ein Jahr oder weniger dauernde Weigerung meiner Mutter, ihre Aufgaben als Schiedsrichterin wahrzunehmen, abzuwgen zwischen Vernunft und sinnloser Wucherung der Natur, bewirkte, da das Haus, die Schuppen ringsum, das Buschland um die Farm mit Katzen berschwemmt waren. Katzen jeden Alters; zahme, halbzahme und wilde Katzen; rudige, kranke und verkrppelte Katzen. Noch schlimmer, ein halbes Dutzend war trchtig. Nichts bewahrte unsere Farm davor, innerhalb weniger Wochen das Schlacht- feld fr hundert Katzen zu werden. Irgend etwas mu- te geschehen. Mein Vater sagte es. Ich sagte es. Die Dienstboten sagten es. Meine Mutter prete die Lippen zusammen, sagte nichts, sondern ging fort. Bevor sie ging, verabschiedete sie sich von ihrem Liebling, einer

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    alten getigerten Katze, von der alle abstammten. Sie streichelte sie zrtlich und weinte. Daran erinnere ich mich, auch an das Gefhl meiner Ohnmacht, weil ich diese hilflosen Trnen nicht verstehen konnte.

    Sowie sie fort war, sagte mein Vater mehrmals: Al- so, es mu sein, nicht wahr? Ja, es mute sein; also rief er den Tierarzt in der Stadt an. Das war keine ganz einfache Sache. Die Telephonleitung teilten wir mit zwanzig anderen Farmern. Man mute warten, bis der Klatsch und der Austausch von Neuigkeiten beendet waren; dann das Amt anrufen; dann um die Verbin- dung mit der Stadt bitten. Das Amt rief zurck, sobald eine Leitung frei war. Das konnte ein, zwei Stunden dauern. Es war noch schlimmer, zu warten, weil man stndig die Katzen sah und wnschte, die ganze hli- che Angelegenheit wre berstanden. Wir saen ne- beneinander auf dem Tisch im Wohnzimmer, whrend wir auf unseren Anruf warteten. Endlich erreichten wir den Tierarzt, der sagte, am wenigsten grausam sei es, ausgewachsene Katzen mit Chloroform zu tten. Die nchste Apotheke war in Sinoia, aber die Apotheke war bers Wochenende geschlossen. Von Sinoia aus riefen wir einen Apotheker in Salisbury an und baten ihn, uns am nchsten Tage mit dem Zug eine groe Fla- sche Chloroform zu schicken. Er sagte, er wolle es ver- suchen. An diesem Abend saen wir vor dem Haus un- ter den Sternen; dort verbrachten wir immer die Aben- de, wenn es nicht regnete. Wir waren unglcklich, zor- nig, schuldbewut. Wir gingen frh ins Bett, damit die Zeit verstrich. Der folgende Tag war ein Samstag. Wir fuhren zum Bahnhof, aber das Chloroform war nicht gekommen. Am Sonntag warf eine Katze sechs Junge. Alle waren verkrppelt: Jedes hatte irgendeinen Defekt. Inzucht, erklrte mein Vater. Wenn das stimmt, dann ist es erstaunlich, da aus einigen gesunden Tieren in

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    knapp einem Jahr eine ganze Schar krnkelnder Krp- pel entstehen konnte. Ein Diener schaffte die Jungen fort, und wieder verbrachten wir einen unglcklichen Tag. Am Montag fuhren wir zum Bahnhof, und diesmal kehrten wir mit dem Chloroform zurck. Meine Mutter wrde am Abend heimkommen. Wir nahmen eine gro- e luftdichte Keksdose und setzten eine alte, traurige, kranke Katze hinein, zusammen mit einem chloroform- getrnkten Wattebausch. Ich empfehle dieses Verfahren nicht. Der Tierarzt hatte gesagt, es ginge ganz schnell; aber das war nicht der Fall.

    Schlielich wurden die Katzen eingefangen und in ein Zimmer gesperrt. Mein Vater ging mit seiner Pistole aus dem Ersten Weltkrieg hinein; zuverlssiger als ein Gewehr, sagte er. Die Pistole krachte, und wieder und wieder und wieder. Die Katzen, die noch frei herumlie- fen, ahnten ihr Schicksal und flchteten schreiend durch den Busch vor den Verfolgern. Einmal kam mein Vater aus dem Zimmer, leichenbla, die Lippen zornig zusammengepret und die Augen feucht. Er bergab sich. Dann fluchte er, kehrte in das Zimmer zurck, und die Knallerei ging weiter. Endlich kam er heraus. Die Diener gingen hinein und trugen die Kadaver zu dem unbenutzten Brunnen.

    Einige Katzen waren entkommen drei kehrten nie mehr zum Mordhaus zurck; vermutlich haben sie den Lebenskampf in der Wildnis aufgenommen. Als meine Mutter von ihrer Reise zurckkehrte und der Nachbar, der sie hergefahren hatte, gegangen war, ging sie still und wortlos durch das Haus, wo jetzt nur noch eine einzige Katze war, ihr alter Liebling, die auf ihrem Bett schlief. Meine Mutter hatte nicht darum gebeten, diese Katze zu schonen, denn sie war alt und krnklich. Den- noch suchte sie sie; und lange Zeit sa sie bei ihr, strei- chelte sie und sprach mit ihr. Dann kam sie auf die Ve-

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    randa. Hier sa mein Vater, und hier sa ich: zwei Mr- der, die sich auch so fhlten. Sie setzte sich. Er drehte sich eine Zigarette. Seine Hnde zitterten immer noch. Er blickte sie an und sagte: Das darf nie wieder vor- kommen.

    Und es kam nie mehr vor, vermute ich.

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    Ich war wtend ber die Massenvernichtung der Kat-

    zen, weil sie htte vermieden werden knnen; aber ich erinnere mich nicht, traurig gewesen zu sein. Dagegen war ich gefeit, denn einige Jahre zuvor, als Elfjhrige, hatte ich mir wegen des Todes einer Katze die Augen ausgeweint. Damals hatte ich mir angesichts des kal- ten, schweren Kadavers, der gestern noch das feder- leichte Geschpf gewesen war, gesagt: Nie wieder. Aber das hatte ich schon einmal geschworen, und ich wute es. Als ich drei Jahre alt war, erzhlten meine El- tern, ging ich mit dem Kindermdchen in Teheran spa- zieren und las trotz ihres Protestes ein halbverhunger- tes Ktzchen von der Strae auf und brachte es nach Hause. Das sei mein Ktzchen, soll ich gesagt haben, und ich kmpfte darum, als man es nicht im Haus auf- nehmen wollte. Man wusch es mit Permanganat, weil es schmutzig war; und danach schlief es auf meinem Bett. Ich lie es mir um keinen Preis wegnehmen. Aber natrlich geschah es, denn meine Familie verlie Per- sien, und die Katze blieb zurck. Oder vielleicht ist sie gestorben. Vielleicht aber wie soll ich es wissen? Je- denfalls hatte vor langer Zeit ein kleines Mdchen um eine Katze gekmpft, die ihr Tag und Nacht Gesell- schaft leistete; und dann hat sie sie verloren.

    Nach einer gewissen Zeit und fr manche kann das in sehr jungen Jahren sein gibt es keine neuen Menschen, Tiere, Trume, Gesichter, Ereignisse: Alles hat sich schon einmal zugetragen, sie sind schon frher

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    erschienen, unter anderen Masken, mit anderen Klei- dern, von anderer Nationalitt, anderer Farbe; aber im- mer das gleiche, und alles ist ein Echo und eine Wie- derholung; und es gibt auch keinen Kummer, der nicht die Wiederholung von etwas lngst Vergessenem ist, der sich in groer Seelenqual ausdrckt, in Tagen voll Trnen, Einsamkeit, Erkenntnis des Verlustes und das alles wegen einer kleinen, dnnen, sterbenden Katze.

    In jenem Winter wurde ich krank. Das kam ungele- gen, weil mein groes Zimmer getncht werden sollte. Ich wurde in die Kammer am Ende des Hauses ge- steckt. Das Haus, das beinahe, aber nicht genau auf der Hgelkuppe stand, sah immer aus, als drohe es in die Maisfelder unten abzurutschen. Dieses winzige Zim- mer, das nur wie ein schmaler Streifen am Ende des Hauses war, hatte eine Tr, die immer offenstand, und Fenster, die immer offenstanden, trotz des windigen, kalten Juli mit seinem unendlichen hellen klaren Blau. Der Himmel voller Sonne; die Felder von der Sonne be- schienen. Aber kalt, sehr kalt. Die Katze, eine blulich- graue Perserkatze, kam schnurrend auf mein Bett und leistete mir whrend meiner Krankheit Gesellschaft, a mit mir, teilte mein Kissen, schlief bei mir. Wenn ich am Morgen aufwachte, lag mein Gesicht auf eiskaltem Lei- nen; die Oberseite der Felldecke auf dem Bett war kalt; der Geruch nach frischer Farbe, der von nebenan kam, war kalt und sauber; der Wind, der drauen den Staub aufwirbelte, war kalt aber in meiner Armbeuge lag etwas Leichtes, Schnurrendes, Warmes, die Katze, mei- ne Freundin.

    Hinter dem Hause war ein Holzzuber in die Erde eingelassen, in dem das Waschwasser aus dem Bade- zimmer aufgefangen wurde. Auf unserer Farm gab es keine Wasserleitung: Das Wasser wurde mit einem

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    Ochsenwagen von einem mehrere Meilen entfernten Brunnen geholt, wenn man es brauchte. Whrend der Trockenmonate hatten wir fr den Garten nur das schmutzige Badewasser. In diesen Zuber fiel die Katze, als er voll heiem Wasser war. Sie schrie, wurde her- ausgezogen in dem eisigen Wind, in Permanganat ge- waschen, denn in dem Seifenwasser schwammen halb- verweste Bltter und Staub, wurde getrocknet und zu mir ins Bett gelegt. Aber sie nieste und hustete und wurde dann fieberhei. Sie hatte Lungenentzndung. Wir gaben ihr an Medikamenten, was wir im Haus hat- ten, doch damals kannte man noch keine Antibiotika, und so starb sie. Eine Woche lang lag sie schnurrend in meinem Arm; sie hatte ein heiseres, zitterndes Stimm- chen, das immer schwcher wurde und schlielich ver- stummte; sie leckte mir die Hand; sie ffnete die groen grnen Augen, wenn ich sie beim Namen nannte und anflehte, am Leben zu bleiben; sie schlo die Augen, starb und wurde in den tiefen Brunnen geworfen ber dreiig Meter tief , der ausgetrocknet war, weil das unterirdisch flieende Wasser in einem Jahr seinen Lauf gendert hatte, so da aus dem vermeintlich uner- schpflichen Brunnen ein trockener, zerklfteter Schacht geworden war, der bald zur Hlfte mit Abfall, Bchsen und Kadavern gefllt war.

    Das war's also. Nie wieder. Und jahrelang verglich ich die Katzen meiner Freunde, die Katzen in Lden, die Katzen auf Farmen, die Katzen auf der Strae, die Katzen auf Mauern, die Katzen aus der Erinnerung mit dem sanften, blaugrauen, schnurrenden Geschpf, das fr mich die Katze war, die Katze, die nie ersetzt wer- den konnte.

    Und auerdem erlaubte mein Leben einige Jahre lang keinen unntigen Zierrat, keine Besonderheiten. Kat- zen hatten keinen Platz in einem Leben, das immer von

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    Ort zu Ort wechselte, von Zimmer zu Zimmer. Eine Katze braucht ebensosehr einen eigenen Platz wie ei- nen eigenen Menschen.

    Und so hatte mein Leben erst fnfundzwanzig Jahre spter Raum fr eine Katze.

  • 23

    Das war in einer groen hlichen Wohnung in

    Earls Court. Was wir brauchten, entschieden wir, war eine zhe, unkomplizierte, anspruchslose Katze, die sich in dem offensichtlich wie sich bei jedem Blick nach hinten hinaus zeigte wilden Machtkampf ent- lang der Mauern und in den Hfen behaupten konnte. Sie sollte Muse und Ratten fangen und im brigen fressen, was ihr vorgesetzt wurde. Sie sollte nicht rein- rassig und infolgedessen auch nicht heikel sein.

    Diese Bedingungen hatten natrlich nichts mit Lon- don zu tun, sie gehrten zu Afrika. Auf der Farm zum Beispiel bekamen die Katzen warme Milch, wenn die Eimer vom Melken heraufgebracht wurden; Lieblings- katzen bekamen ein paar Bissen vom Tisch; aber sie be- kamen nie Fleisch das fingen sie sich selbst. Wenn sie krank wurden und nach ein paar Tagen nicht ge- sund waren, wurden sie gettet. Und auf einer Farm kann man ein Dutzend Katzen halten, ohne berhaupt an ein Katzenklo zu denken. Und was die Machtkmp- fe betraf, so wurden diese um ein Kissen ausgetragen, um einen Stuhl, eine Kiste in einem Winkel der Scheu- ne, einen Baum, einen Platz im Schatten. Sie grenzten ihre Gebiete gegeneinander ab, gegen die wilden Kat- zen und die Hunde. Eine Farm ist offenes Terrain, und darum wird hier viel mehr gekmpft als in der Stadt, wo einer Katze oder zwei Katzen ein Haus oder eine Wohnung gehren, die sie gegen Besucher oder Ein- dringlinge verteidigen. Wie diese beiden Katzen sich

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    innerhalb des abgegrenzten Gebietes gegeneinander verhalten, das ist eine andere Sache. Aber die Verteidi- gungslinie gegen Fremde ist die Hintertr. Eine meiner Freundinnen in London mute wochenlang eine Kat- zenkiste im Haus aufstellen, weil ihr Kater von einem Dutzend anderer belagert wurde, die ringsum auf den Mauern und Bumen auf der Lauer lagen, um ihm den Garaus zu machen. Dann wendete sich das Kriegs- glck, und der Kater konnte wieder Ansprche auf sei- nen eigenen Garten erheben.

    Meine Katze war eine halb ausgewachsene schwarz- weie Ktzin unbekannter Herkunft, garantiert stuben- rein und zutraulich. Sie war ein nettes Tier, aber ich liebte sie nicht; tat es auch spter nie; kurz, ich sperrte mich gegen sie. Ich fand sie neurotisch, berngstlich, nervs; doch das war ungerecht, denn das Leben einer Stadtkatze ist so unnatrlich, da sie niemals die Unab- hngigkeit entwickelt, die eine Landkatze hat. Es strte mich, da sie auf die Heimkehr der Menschen wartete wie ein Hund; da sie im selben Zimmer sein wollte und Aufmerksamkeit verlangte wie ein Hund; da sie beim Werfen menschliche Hilfe ntig hatte. Was ih- re Ernhrung betraf, so gewann sie diese Schlacht schon in der ersten Woche. Sie fra nie, nicht ein einzi- ges Mal, etwas anderes als gebratene Kalbsleber und gednsteten Wittling. Wie war sie auf diesen Ge- schmack gekommen? Ich fragte ihre ehemalige Besitze- rin, die es natrlich nicht wute. Ich setzte ihr Dosen- futter vor und Speisereste vom Tisch; aber erst als wir Leber aen, zeigte sie Interesse. Leber mute es sein. Und sie fra Leber nur, wenn sie in Butter gebraten war. Einmal beschlo ich, sie hungern zu lassen, bis sie nachgab. Lcherlich, da eine Katze gefttert wird mit etc., etc., wenn Menschen in anderen Teilen der Welt hungern, etc. Fnf Tage lang setzte ich ihr Katzennah-

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    rung vor, setzte ihr Bissen unserer eigenen Mahlzeit vor. Fnf Tage lang betrachtete sie kritisch den Teller und wandte sich ab. Jeden Abend nahm ich das alte Futter weg, ffnete eine neue Bchse, fllte ihren Milchnapf. Sie sprang herbei, um zu sehen, was ich ihr hingestellt hatte, nahm ein bichen Milch, spazierte da- von. Sie wurde dnner. Sie mu groen Hunger gehabt haben. Aber am Ende war ich diejenige, die klein bei- gab.

    Auf der Rckseite dieses groen Hauses fhrte eine Holztreppe vom ersten Stock hinunter zum Hof. Hier sa sie, konnte ein halbes Dutzend Hfe berwachen, die Strae und einen Schuppen. Als sie neu zu uns ge- kommen war, kamen Kater aus der ganzen Umgebung, um den Neuankmmling zu begutachten. Sie sa auf der obersten Stufe, jederzeit bereit, in die Wohnung zu flchten, wenn sie zu nahe kamen. Sie war halb so gro wie die dicken lauernden Kater. Viel zu jung, dachte ich, um trchtig zu werden; aber bevor sie aus- gewachsen war, war sie schon trchtig, und es war nicht gut fr sie, Junge zu haben, wenn sie selbst noch so jung war.

    Das bringt mich auf unsere alte Freundin die Na- tur. Die es angeblich so gut wei. Wird eine freilebende Katze trchtig, bevor sie ausgewachsen ist? Wirft sie vier- bis fnfmal im Jahr, jedesmal sechs Junge? Natr- lich vertilgt die Katze nicht nur Muse und Ratten; sie selbst dient den Falken als Nahrung, die in der Luft ber den Bumen liegen, wo sie sich mit ihren Jungen verbirgt. Ein Ktzchen, das sich in seiner ersten Neu- gier aus dem Schutz hervorwagt, wird in den Klauen eines Raubvogels verschwinden. Sehr wahrscheinlich wird eine Katze, die mit Nahrungssuche fr sich und die Jungen beschftigt ist, nur ein Junges beschtzen knnen, hchstens zwei. Es ist bekannt, da eine Haus-

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    katze es kaum merkt, wenn man ihr von ihren fnf oder sechs Jungen zwei wegnimmt; sie jammert, sucht sie kurze Zeit, und dann hat sie vergessen. Aber wenn sie zwei Junge hat und eins davon vor dem normalen Zeitpunkt von sechs Wochen verschwindet, dann gert sie in verzweifelte Angst und sucht es berall im Haus. Sind ein Wurf von sechs Ktzchen in einem warmen Korb in einem Stadthaus vielleicht Nahrung fr Adler und Falke, nur eben am falschen Ort? Aber wie wenig anpassungsfhig, wie starr ist die Natur: Wenn Katzen seit so vielen Jahrhunderten die Gefhrten des Men- schen sind, htte sich die Natur nicht anpassen kn- nen, wenigstens etwas abweichen knnen von der Re- gel: fnf bis sechs Ktzchen pro Wurf, viermal im Jahr? Der erste Wurf dieser Katze wurde mit groem Ge- jammer angekndigt. Sie wute, da etwas geschehen wrde, und sorgte dafr, da jemand da war, wenn es geschah. Auf der Farm zogen sich die Katzen zum Wer- fen in einen wohlverborgenen, dunklen Winkel zurck; und einen Monat spter erschienen sie wieder mit ih- rem Nachwuchs, um die Jungen mit den Milchschs- seln vertraut zu machen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einer unserer Farmkatzen ein Wurflager vorbe- reitet zu haben. Der schwarzweien Katze wurden Kr- be, Schrankbden angeboten. Nichts davon schien ihr zuzusagen, sondern sie folgte uns zwei Tage vor dem Werfen auf Schritt und Tritt, rieb sich an unseren Bei- nen und miaute. Als die Wehen begannen, war sie in der Kche, weil sich hier Menschen aufhielten. Kaltes blaues Linoleum und darauf eine dicke Katze, die um Aufmerksamkeit miaute, ngstlich schnurrte, die Men- schen nicht aus den Augen lie, falls diese fortgingen. Wir holten einen Korb, setzten sie hinein und gingen hinaus, um etwas zu tun. Sie folgte uns. Es war also klar, da wir bei ihr bleiben muten. Die Wehen dauer-

  • 27

    ten Stunden und Stunden. Endlich erschien das erste Junge, aber es lag verkehrt. Einer hielt die Katze fest, ein anderer zog an den schlpfrigen Hinterbeinen des Jungen. Es kam heraus, doch der Kopf blieb stecken. Die Katze bi um sich und kratzte und schrie. Durch ei- ne Kontraktion wurde das Junge ausgestoen, und so- fort fuhr die vor Schmerz halb irrsinnige Katze herum und bi das Junge in den Nacken, und es starb. Als die vier anderen Jungen geworfen waren, zeigte sich, da das erste das grte und krftigste gewesen war. Diese Katze warf sechsmal, und jeder Wurf hatte fnf Junge, und sie ttete jedesmal das Erstgeborene des Wurfs, weil es ihr solche Schmerzen bereitete. Davon abgese- hen war sie eine gute Mutter.

    Der Vater war ein sehr groer schwarzer Kater, mit dem sie sich, wenn sie rollig war, im Hof wlzte; und der sonst auf der untersten Stufe der Holztreppe sa und sich putzte, whrend sie auf der obersten Stufe sa und sich ebenfalls putzte. Sie wollte nicht, da er in die Wohnung kam verjagte ihn. Als die Jungen soweit waren, da sie ihren Weg in den Hof finden konnten, saen sie auf den Stufen, eins, zwei, drei, vier, alle schwarz und wei gefleckt, und sahen voll Angst auf den groen lauernden Kater. Schlielich ging die Mut- ter als erste, den Schwanz hoch aufgerichtet, ohne den schwarzen Kater zu beachten. Die Ktzchen folgten ihr, vorbei an ihm. Im Hof lehrte sie sie Reinlichkeit, wh- rend er zuschaute. Dann kam sie als erste die Stufen herauf; und sie kamen hinterdrein, eins, zwei, drei, vier.

    Sie wollten nichts fressen auer gebratener Leber und gednstetem Wittling; dies verheimlichte ich vor ihren potentiellen Besitzern.

    Muse waren fr diese Katze und fr alle ihre Jungen nur ein Gegenstand milder Neugier.

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    Die Wohnung hatte eine Besonderheit, die ich in kei- nem anderen Londoner Haus wieder gesehen habe. Ir- gend jemand hatte aus der Kchenwand ein Dutzend Ziegelsteine herausgebrochen, auen ein Gitter und in- nen eine Tr angebracht; so war eine Art eingebauter Vorratsschrank entstanden, nicht ganz hygienisch, wenn man will, aber er ersetzte die frher bliche Vor- ratskammer. Hier konnten Brot und Kse entsprechend khl, aber nicht zu kalt aufbewahrt werden, so da sie feucht blieben. In diese Minivorratskammer jedoch ka- men Muse. Sie lebten in den Mauern und hatten sich daran gewhnt, alle Furcht vor Menschen bis auf einen ganz kleinen Rest abzulegen. Wenn ich unvermutet in die Kche kam und dort eine Maus fand, sah sie mich mit ihren glnzenden Augen an und wartete, da ich ging. Wenn ich blieb und mich still verhielt, beachtete sie mich nicht weiter und setzte ihre Nahrungssuche fort. Wenn ich Lrm machte oder etwas nach ihr warf, schlpfte sie in die Wand, aber ohne berstrzte Hast.

    Ich brachte es nicht bers Herz, eine Mausefalle fr diese zutraulichen Tiere aufzustellen; hingegen fand ich, da eine Katze sozusagen ein faires Mittel war. Aber die Katze hatte bisher die Muse nicht beachtet. Eines Tages kam ich in die Kche und sah, wie die Kat- ze auf dem Kchentisch lag und zwei Muse auf dem Fuboden beobachtete.

    Vielleicht wrden ihre Jungen die angeblich natrli- chen Instinkte in ihr wecken? Bald darauf warf sie, und als die Jungen alt genug waren, um die Treppe hinun- terzulaufen, holte ich die Katze und die vier Jungen in die Kche, rumte alles Ebare fort und schlo sie ber Nacht ein. Ich kam gegen Morgen herunter, um ein Glas Wasser zu trinken, machte Licht und sah die Katze ausgestreckt am Boden, wie sie ihre Jungen, eins, zwei, drei vier, sugte, whrend einen halben Meter entfernt

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    eine Maus den Kopf hob irritiert durch das Licht, nicht durch die Katze. Die Maus lief nicht einmal weg, sondern wartete darauf, da ich ging.

    Die Katze mochte oder duldete die Gesellschaft von Musen; und sie entwaffnete einen etwas dummen Hund aus der Etage unter uns, der im Begriff war, sie zu jagen, dann kapitulierte, weil sie, in offensichtlicher Unkenntnis, da Hunde Feinde waren, schnurrend um seine Beine strich. Er wurde ihr Freund und der Freund aller ihrer Jungen. Aber einmal zeigte sie Angst, als sie htte gelassen bleiben sollen, falls Katzen Geschpfe der Nacht sind, vertraut mit der Dunkelheit.

    Eines Nachmittags senkte sich Nacht ber London. Ich stand am Kchenfenster und trank mit einem Besu- cher Kaffee, als die Luft dunkel und schmutzig wurde und die Straenbeleuchtung aufflammte. Vom hellen Tageslicht zur vlligen Dunkelheit dauerte es hchstens zehn Minuten. Uns packte die Angst. Hatten wir das Zeitgefhl verloren? War die Bombe irgendwo explo- diert und berdeckte unsere Erde mit einer Schmutz- wolke? Ist in einer dieser Todesfabriken, mit denen die- se hbsche Insel berst ist, durch einen Unfall tdli- ches Gas entwichen? Waren das also vielleicht unsere letzten Minuten? Keine Ahnung, so standen wir am Fenster und sahen zu. Es war ein schwerer, atemberau- bender, schwefelgelber Himmel, eine gelblich-schwrz- liche Dunkelheit; und die Luft brannte in der Kehle wie die Luft in einem Bergwerksschacht nach einer Explo- sion.

    Es war auergewhnlich still. In kritischen Augen- blicken ist diese abwartende Ruhe Londons erste Reak- tion und beunruhigt mehr als jede andere.

    Die Katze sa zitternd auf dem Tisch. Ab und zu lie sie einen Laut vernehmen kein Miauen, sondern ei- nen Klageton, eine fragende Klage. Als sie aufgenom-

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    men und gestreichelt wurde, wehrte sie sich, sprang auf den Boden, kroch dann regelrecht die Treppe hinauf und verbarg sich unter einem Bett, wo sie zitternd lag. Genau wie ein Hund.

    Eine halbe Stunde spter hob sich die Dunkelheit. Gegenlufige Winde hatten die schmutzigen Ausdn- stungen der Stadt, die normalerweise nach oben stei- gen und verteilt werden, unter einer soliden, vllig be- wegungslosen Luftschicht eingefangen. Dann wehte ein anderer Wind, brachte die Luftmasse in Bewegung, und die Stadt atmete wieder.

    Die Katze blieb den ganzen Nachmittag unter dem Bett. Als sie endlich hinuntergelockt wurde in ein kla- res, frisches Abendlicht, hockte sie sich auf das Fenster- brett und beobachtete, wie die Dunkelheit herabsank die normale Dunkelheit. Dann putzte sie sich und brachte ihr struppiges und angstvoll gestrubtes Fell in Ordnung, trank etwas Milch und wurde wieder sie selbst.

    Kurz bevor ich diese Wohnung aufgab, mute ich bers Wochenende verreisen, und eine Freundin ber- nahm die Katze. Als ich zurckkehrte, war die Katze in Behandlung eines Tierarztes wegen eines Becken- bruchs. Das Haus hatte ein flaches Dach vor einem gro- en Fenster, auf dem sie sich zu sonnen pflegte. Aus ir- gendeinem Grund fiel sie von diesem Dach drei Stock- werke tief auf einen gepflasterten Weg. Sie mu er- schreckt worden sein. Jedenfalls mute sie gettet wer- den, und ich entschied, da es verkehrt war, in London Katzen zu halten.

    Das nchste Haus, in dem ich wohnte, eignete sich nicht fr Katzen. Es war ein Wohnblock mit sechs klei- nen Wohnungen, eine ber der andern, aufgereiht ent- lang einer kalten Steintreppe. Kein Hof oder Garten: die nchste Grnflche war wahrscheinlich der Regent's

  • 31

    Park, eine halbe Meile entfernt. Eine Umgebung, unge- eignet fr Katzen, wrde man meinen: Aber eine groe schildpattfarbene Katze schmckte das Eckfenster eines Lebensmittelhndlers; und er sagte, die Katze schliefe dort nachts allein. Und wenn er Ferien mache, schaffe er sie auf die Strae, wo sie fr sich selbst sorgen msse. Es hatte keinen Zweck, ihm Vorhaltungen zu machen, denn er fragte: Sehe sie nicht gesund und zufrieden aus? Ja, das stimmte. Und so lebte sie seit fnf Jahren.

    Ein paar Monate hauste im Treppenhaus eine groe schwarze Katze, die anscheinend niemandem gehrte. Sie wollte einem von uns gehren. Sie sa immer ab- wartend da, bis eine Tr geffnet wurde, weil jemand hinein- oder hinausging, und miaute dann, aber vor- sichtig, wie jemand, der schon zu oft zurckgewiesen worden ist. Sie trank ein wenig Milch, fra ein paar Bis- sen, strich um die Beine und bat so, bleiben zu drfen. Aber ohne Nachdruck oder auch ohne Hoffnung. Nie- mand forderte sie zum Bleiben auf. Es gab das Problem der Sauberkeit wie immer. Niemand wollte diese Treppe mit einer stinkenden Katzenkiste zu den Mlleimern hinunterlaufen. Und auerdem wre es dem Hausbesit- zer nicht recht gewesen. Im brigen versuchten wir uns mit dem Gedanken zu trsten, da sie wahrscheinlich zu einem der Lden gehrte und uns nur besuchte. So wurde sie blo gefttert.

    Tagsber sa sie auf dem Brgersteig und beobachte- te den Straenverkehr oder ging in den Geschften ein und aus: eine alte Stadtkatze; eine nette Katze; eine Katze ohne Ansprche.

    An der Ecke war ein Platz, auf dem drei Obst- und Gemsekarren standen, die drei alten Leuten gehrten: zwei Brdern, einem dicken Bruder und einem dnnen Bruder, und der Frau des dicken, die ebenfalls dick war. Es waren kleine Leute, einen Meter fnfzig gro, und

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    immer machten sie Witze und immer ber das Wetter. Wenn die Katze sie besuchte, sa sie unter einem Kar- ren und fra Stckchen von ihren Butterbroten. Die kleine, rundliche Frau, die rote Backen hatte, so rot, da sie schwrzlich wirkten, und die mit dem kleinen, rund- lichen Bruder verheiratet war, sagte, sie wrde die Kat- ze mit nach Hause nehmen, aber sie befrchtete, ihre ei- gene Tibby wrde nicht begeistert sein. Der kleine, dn- ne Bruder, der nie geheiratet hatte und der bei ihnen lebte, witzelte, da er die Katze mitnehmen knne zur Gesellschaft und sie gegen Tibby verteidigen wrde: Ein Mann, der keine Frau habe, brauche eine Katze. Ich glaube, er htte es getan; aber er starb pltzlich an Hitz- schlag. Bei jedem Wetter waren diese drei Leute immer in alle mglichen Tcher, Jacken, Pullover, Mntel ein- gehllt. Der dnne Bruder trug unweigerlich einen Mantel ber einer dicken Schicht Kleider. Wenn das Thermometer mehr als dreizehn Grad anzeigte, klagte er ber die Hitzewelle, und ihm mache die Hitze schwer zu schaffen. Ich riet ihm, nicht so viel anzuziehen, da- mit ihm nicht so hei sei. Aber diese Einstellung zu Kleidung war ganz offensichtlich fremd fr ihn: Es ver- unsicherte ihn. In einem Jahr hatten wir eine lange Schnwetterperiode, eine richtige Londoner Hitzewelle. Jeden Tag kam ich auf eine Strae hinunter, die heiter, warm, freundlich war, mit sommerlich gekleideten Menschen. Aber die kleinen alten Leute trugen immer noch ihre Kopftcher und Schals und ihre Pullover. Die alte Frau bekam immer rtere Backen. Sie machten die ganze Zeit Witze ber die Hitze. Zu ihren Fen, im Schatten unter dem Karren, lag die Katze zwischen hin- untergefallenen Pflaumen und welkenden Salatblttern. Gegen Ende der zweiten heien Woche starb der unver- heiratete Bruder an Hitzschlag, und damit waren die Chancen der Katze auf ein Zuhause vorbei.

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    Ein paar Wochen lang hatte sie Glck und wurde im Pub aufgenommen. Das kam daher, weil Lucy, die Pro- stituierte, die im untersten Stock des Hauses wohnte, abends in dieses Pub ging. Sie nahm die Katze mit hin- ein und sa auf einem Barschemel in einer Ecke, die Katze auf dem Schemel daneben. Lucy war eine nette Frau, sehr beliebt in dem Pub; und jeder, den sie sich aussuchte, um ihn spter mit hinaufzunehmen, wurde freundlich behandelt. Wenn ich dorthin ging, um mir Zigaretten oder etwas zu trinken zu holen, saen Lucy und die Katze da. Lucys Verehrer, die zahlreich und aus allen Teilen der Welt waren, alte Kunden und neue und jeden Alters, zahlten ihr Getrnke und berredeten den Wirt und seine Frau, der Katze Milch und Kartoffelchips zu geben. Aber die Attraktion einer Katze in einer Knei- pe mu an Reiz verloren haben, denn bald besuchte Lu- cy das Pub ohne die Katze.

    Als die kalte Jahreszeit und die frhen Abende be- gannen, war die Katze stets schon im Treppenhaus, be- vor die Haustr geschlossen wurde. Sie schlief in dem wrmsten Winkel, den sie auf diesen unwirtlichen, kah- len Steinstufen finden konnte. Wenn es sehr kalt war, nahm der eine oder andere Hausbewohner sie fr die Nacht auf; und am Morgen bedankte sie sich, indem sie um die Beine strich. Dann keine Katze mehr. Der Haus- verwalter erklrte trotzig, er habe sie zum Tierschutz- verein gebracht, um sie einschlfern zu lassen. Eines Nachts war die Wartezeit, bis die Tr am Morgen geff- net wurde, zu lang gewesen, und sie hatte das Treppen- haus beschmutzt. Er lasse sich das nicht gefallen, sagte der Hausverwalter. Schlimm genug, hinter uns sauber- machen zu mssen, er denke nicht daran, jetzt auch noch hinter Katzen sauberzumachen.

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    Spter zog ich in ein Haus in einem Katzenrevier. Die

    Huser sind alt, und sie haben schmale Grten mit Mauern. Durch das Hinterfenster sieht man ein Dut- zend Mauern jeder Gre und Hhe nach der einen Seite und ein Dutzend Mauern, Bume, Gras, Stru- cher nach der anderen Seite. Es gibt ein kleines Theater mit stufenfrmigen Dchern. Katzen gedeihen hier. Es gibt immer Katzen auf den Mauern, Dchern und in den Grten, die ein vielfltiges, geheimnisvolles Leben fhren, hnlich dem von Kindern, das nach unvorstell- baren geheimen Regeln verluft, die Erwachsene nie er- raten.

    Ich wute, es wrde eine Katze ins Haus kommen. So wie man einfach wei, wenn ein Haus zu gerumig ist, werden sich Leute finden, die darin wohnen, eben- so sicher mssen in Husern Katzen sein. Aber eine Zeitlang wies ich die verschiedenen Katzen ab, die ka- men und herumschnffelten, um zu sehen, was das fr ein Haus war.

    Den ganzen schrecklichen Winter von 1962 wurden der Garten und das Dach ber der rckseitigen Veranda von einem alten schwarzweien Kater besucht. Er sa im nassen Schnee auf dem Dach; er schlich ber den gefrorenen Boden; wenn die Hintertr kurz geffnet wurde, sa er genau davor und schaute in die Wrme. Er war richtig hlich, mit einem weien Fleck ber dem einen Auge, einem zerfetzten Ohr und dem leicht geffneten, sabbernden Maul. Aber er war kein Streu-

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    ner. Er hatte ein gutes Zuhause in einem der Nachbar- huser, und warum er nicht dort blieb, schien niemand zu wissen.

    Dieser Winter war auerdem ein Anschauungsunter- richt fr den auerordentlichen und freiwillig prakti- zierten Langmut der Englnder.

    Die Huser in dieser Gegend gehren grtenteils dem London County Council, und in der ersten Woche des Klteeinbruchs platzten die eingefrorenen Leitun- gen, und die Leute hatten kein Wasser. Das Leitungs- netz blieb zugefroren. Die Behrden ffneten eine Hauptleitung an der Straenecke, und wochenlang machten die Frauen mit Krgen und Kannen in ihren Hausschuhen den Weg durch kncheltiefen Schnee- matsch, um Wasser zu holen. Die Hausschuhe trugen sie, um sich zu wrmen. Der Matsch und das Eis wur- den nicht vom Brgersteig entfernt. Sie holten das Wasser aus einer Leitung, die mehrmals kaputtging, und sie sagten, es habe an heiem Wasser nur gegeben, was sie selbst auf dem Herd eine Woche lang, zwei Wo- chen lang, schlielich drei, vier und fnf Wochen lang heigemacht htten. Natrlich gab es kein heies Was- ser fr ein Bad. Auf die Frage, weshalb sie sich nicht beschwerten schlielich zahlten sie Miete, zahlten fr warmes und kaltes Wasser , antworteten sie, im County Council wisse man ber die geplatzte Leitung Bescheid, unternehme jedoch nichts. Man habe erklrt, es herrsche eine Kltewelle: dieser Feststellung stimm- ten sie zu. Ihr Ton war anklagend, aber insgeheim wa- ren sie zufrieden, wie es bei diesem Volk immer ist, wenn es unter vermeintlichen Naturkatastrophen lei- det.

    In dem Eckladen verbrachten ein alter Mann, eine Frau mittleren Alters und ein Kind die Tage dieses Win- ters. Durch die Tiefkhltruhe war es im Laden noch

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    klter als drauen; die Tr stand immer offen, so da der eisige Schnee hereintrieb. Es gab berhaupt keine Heizung. Der alte Mann bekam eine Brustfellentzn- dung und lag zwei Monate im Krankenhaus. Danach war er so geschwcht und anfllig, da er den Laden im Frhjahr verkaufen mute. Das Kind sa auf dem Steinboden und weinte ununterbrochen vor Klte und wurde von der Mutter geschlagen, die hinter dem La- dentisch in einem leichten Wollkleid, Mnnersocken und einer dnnen Jacke stand und klagte, wie schreck- lich das alles sei, whrend sie schniefte und ihre Finger vor Frost anschwollen. Der alte Mann nebenan, der auf dem Markt als Lasttrger arbeitete, rutschte vor seiner Haustr auf dem Eis aus, verletzte sich am Rcken und lebte wochenlang von Arbeitslosenuntersttzung. In diesem Haus, das zehn Leute beherbergte, darunter zwei Kinder, gab es einen einzigen elektrischen Ofen, um der Klte zu begegnen. Drei Bewohner kamen ins Krankenhaus, einer mit Lungenentzndung.

    Und die Leitungen blieben geborsten, versiegelt mit bizarren Eisstalaktiten; die Brgersteige blieben Eisbah- nen; und die Behrden unternahmen nichts. In den brgerlichen Wohnvierteln wurde der Schnee auf den Straen natrlich jedesmal sofort weggerumt, und die Behrden reagierten auf die Forderungen der verrger- ten Bewohner, die ihr Recht verlangten und mit Prozes- sen drohten. In unserer Gegend standen es die Leute bis zum Frhjahr durch.

    Wenn man von Menschen umgeben war, die so wit- terungsabhngig wie Hhlenmenschen vor zehntau- send Jahren waren, verlor die Eigenart eines alten Ka- ters, der seine Nchte auf einem vereisten Dach ver- brachte, an Bedeutung.

    Mitten in diesem Winter wurde Freunden ein Ktz- chen angeboten. Bekannte von ihnen hatten eine Siam-

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    katze, und die hatte von einem Straenkater Junge. Die Bastarde wurden weggegeben. Ihre Wohnung ist win- zig, und beide arbeiteten den ganzen Tag; doch als sie das Ktzchen sahen, konnten sie nicht widerstehen. Am ersten Wochenende ftterten sie es mit Hummer- suppe aus der Bchse und mit Hhnerfrikassee, und es strte ihre ehelichen Nchte, weil es am Hals oder we- nigstens in Hautfhlung mit H., dem Mann, schlafen mute. S., seine Frau, sagte am Telephon, sie sei im Be- griff, die Liebe ihres Mannes an eine Katze zu verlieren, genau wie die Ehefrau bei Colette. Am Montag gingen beide zur Arbeit und berlieen das Ktzchen sich selbst; als sie heimkamen, war es traurig und klagte, weil es den ganzen Tag allein gewesen war. Sie sagten, sie wollten es zu uns bringen. Das taten sie dann auch.

    Das Ktzchen war sechs Wochen alt. Es war entzk- kend, ein zierliches Mrchenktzchen, dessen siamesi- sche Abstammung sich in der Gesichtsform, den Oh- ren, dem Schwanz und in den feinen Krperlinien zeig- te. Der Rcken war gestrmt: Von oben oder von hinten war es ein hbsches Tigerktzchen in Grau und Creme. Aber Brust und Bauch waren rauchiggolden, im Ton der Siamesen, mit schwarzen Halbbndern am Hals. Das Gesicht war mit Schwarz gezeichnet feine dunkle Ringe um die Augen, feine dunkle Streifen auf den Bak- ken, ein cremefarbenes Nschen mit schwarzgernder- ter rosa Spitze. Von vorn, die schlanken Pfoten gerade aufgesetzt, war sie ein exotisch schnes Tier. Es hockte, ein winziges Ding, mitten auf einem gelben Teppich, umgeben von fnf Bewunderern, ohne sich im gering- sten vor uns zu frchten. Dann strich es in der Woh- nung umher, inspizierte jeden Zoll, kletterte auf mein Bett, kroch unter ein Laken und war daheim.

    Beim Abschied sagte S.: Keine Minute zu frh, sonst htte ich berhaupt keinen Mann mehr gehabt.

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    Und er seufzte, es gebe nichts Angenehmeres, als von einer zarten rosa Katzenzunge geweckt zu werden.

    Das Ktzchen ging oder vielmehr hopste die Treppe hinunter, denn jede Stufe war doppelt so hoch wie es selbst: zuerst die Vorderpfoten, dann ein Hopser mit den Hinterpfoten; Vorderpfoten, dann hops die Hinter- pfoten. Es besichtigte das untere Stockwerk, ver- schmhte die Bchsennahrung, die ihm angeboten wurde, und verlangte nach einem Katzenklo, indem es danach miaute. Von Hobelspnen wollte es nichts wis- sen, aber Zeitungspapierfetzen waren annehmbar, sag- te seine gezierte Haltung, wenn es sonst nichts anderes gab. Es gab nichts anderes: Der Boden drauen war hartgefroren.

    Katzenfutter aus der Dose wollte sie nicht fressen. Sie weigerte sich. Und ich wollte sie nicht mit Hum- mersuppe und Hhnerfleisch fttern. Wir einigten uns auf gehacktes Rindfleisch.

    Sie war in bezug auf Futter immer so heikel wie ein unverheirateter Gourmet. Das wird schlimmer, je lter sie wird. Schon als junge Katze konnte sie Verdru oder Freude oder ihre Absicht, zu schmollen, ausdrk- ken, je nachdem, was sie fra, zur Hlfte fra oder ab- lehnte. Ihre Fregewohnheiten sprechen eine deutliche Sprache.

    Aber ich glaube, es ist einfach auch mglich, da man sie zu frh von der Mutter weggenommen hat. Wenn ich den Katzenfachleuten mit allem Respekt sa- gen darf, mglicherweise irren sie sich, wenn sie be- haupten, ein Junges drfe die Mutter auf den Tag ge- nau nach sechs Wochen verlassen. Dieses Ktzchen war sechs Wochen alt, keinen Tag lter, als es von seiner Mutter fortgenommen wurde. Im Grund war sein wh- lerisches Gebaren dem Futter gegenber die neuroti- sche Feindseligkeit, das Mitrauen eines Kindes, das

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    Schwierigkeiten beim Essen macht. Sie mute fressen, das wute sie; also fra sie. Aber sie hat nie mit Freude gefressen, nie aus Lust am Fressen. Und ein weiteres Merkmal teilte sie mit Menschen, die nicht gengend mtterliche Wrme erfahren haben. Noch jetzt kriecht sie instinktiv unter eine Zeitung oder in eine Schachtel oder einen Korb alles, was Schutz bietet, alles, was zudeckt. Auerdem ist sie leicht beleidigt, schmollt gern. Und sie ist sehr feige.

    Ktzchen, die sieben oder acht Wochen bei der Mut- ter bleiben, fressen problemlos, sie haben Vertrauen. Aber sie sind natrlich nicht so interessant.

    Als Jungtier schlief diese Katze nie auf dem Bett. Sie wartete, bis ich darin lag, dann spazierte sie ber mich hinweg und erforschte die Mglichkeiten. Sie kroch vllig unter die Decke zu den Fen oder neben die Schulter oder unters Kopfkissen. Wenn ich mich zu sehr bewegte, zog sie gekrnkt um und lie ihren rger merken.

    Wenn ich das Bett machte, war es ihre grte Freude, mit hineingepackt zu werden; und sie blieb oft stun- denlang ganz zufrieden zwischen den Decken, sichtbar als ein winziger Hgel. Wenn man das Buckelchen streichelte, schnurrte und miaute es. Aber sie kam nur hervor, wenn es sein mute.

    Der Hgel bewegte sich dann quer bers Bett, zger- te am Rand. Mit einem ngstlichen Miau sprang sie auf den Boden. In ihrer Wrde verletzt, putzte sie sich ha- stig, und die gelben Augen starrten bse auf die Zu- schauer, die einen Fehler begingen, wenn sie lachten. Dann, jedes Haar Ausdruck ihres Selbstbewutseins, stolzierte sie auf eine Bhne mehr im Mittelpunkt.

    Zeit fr das whlerische, nrglerische Fressen. Zeit fr die Erdkiste eine ebenso zierliche Vorfhrung. Zeit fr die Pflege des weichen Fells. Und Zeit frs

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    Spielen, das nie um seiner selbst willen stattfand son- dern nur, wenn sie Zuschauer hatte.

    Sie war so eitel und sich ihrer selbst so bewut wie ein hbsches Mdchen, das auer seiner Schnheit kei- ne Vorzge hat: die Haltung von Krper und Kopf stets kontrolliert eine Haltung, die wie eine Maske ist- nein, nein, das bin ich, die frechen Brste, die gelang- weilten, feindseligen Augen immer auf der Lauer nach Bewunderung.

    Eine Katze in dem Alter, wo sie, wre sie ein Mensch, Kleider und Frisur wie Waffen trge, doch mit einer Zuversicht, da sie jederzeit, wenn sie wollte in die verzrtelte Kindheit zurckfallen knnte, sollte ihr die Rolle zu lstig werden eine Katze, die in stolzer Pose und wie eine Prinzessin im Haus umherstolziert und dann mde, ein wenig verlegen sich unter einer Zeitung oder hinter einem Kissen verbarg und von die- sem sicheren Schlupfwinkel aus die Welt betrachtete. Ihr niedlichster Trick, den sie meistens einsetzte, um Gesellschaft zu bekommen, bestand darin, unter einem Sofa auf dem Rcken liegend sich mit schnellen schar - fen Rucken der Pfoten hervorzuziehen, dann innezu- halten und das elegante Kpfchen zur Seite zu legen die gelben Augen halb geschlossen, und auf Beifall zu warten. O schnes Ktzchen! Ses Tierchen! Hb- sche Katze! Daraufhin gab sie eine neue Vorstellung. Oder wenn sie die richtige Unterlage hatte, den gel- en Teppich, ein blaues Kissen, legte sie sich auf den dicken und wlzte sich langsam mit angezogenen Pfo- ten und zurckgelegtem Kopf, so da Brust und Bauch sichtbar waren, cremefarben und fein gezeichnet mit schwarzen Flecken wie ein Leopard, als wre sie eine zierliche Subspezies des Leoparden. 0 schnes Ktz- chen, oh, du bist so schn! Und so trieb sie es weiter bis die Komplimente verstummten.

  • 41

    Oder sie sa auf der hinteren Veranda, aber nicht auf dem Tisch, der keinerlei Schmuck aufwies, sondern auf einem kleinen Stnder mit Narzissen- und Hyazinthen- tpfen. Sie sa in Positur zwischen blauen und weien Blumen, bis sie bemerkt und bewundert wurde. Nicht nur von uns natrlich; sondern auch von dem rheuma- tischen alten Kater, der, eine grimmige Mahnung eines viel hrteren Lebens, durch den Garten strich, wo die Erde immer noch frosthart war. Er sah eine hbsche halbausgewachsene Katze hinter dem Glas. Sie sah ihn an. Sie hob den Kopf, hierhin und dorthin; bi ein Stckchen von der Hyazinthe ab, lie es fallen; leckte sich nachlssig das Fell; dann, mit einem frechen Blick ber die Schulter, sprang sie hinunter und kam ins Zimmer, weg aus seinem Blickfeld. Oder, wenn sie auf einem Arm oder einer Schulter die Treppe hinaufgetra- gen wurde, warf sie einen Blick aus dem Fenster auf den armen alten Kerl, der so still dasa, da wir manchmal dachten, er sei tot und steifgefroren. Wenn die Sonne am Mittag etwas wrmer wurde und er sich putzte, waren wir erleichtert. Manchmal beobachtete sie ihn vom Fenster aus, aber ihr Leben spielte sich im- mer noch in den Armen, Betten, Kissen und Winkeln der Menschen ab.

    Dann kam der Frhling, die Hintertr wurde geff- net, das Katzenklo wurde zum Glck berflssig, und der Garten wurde ihr Reich. Sie war sechs Monate alt, voll ausgewachsen nach dem Gesichtspunkt der Natur.

    Sie war so hbsch damals, so vollkommen: sogar schner als jene Katze, die, wie ich vor vielen Jahren ge- schworen hatte, niemals ihresgleichen haben wrde. Natrlich hat sie auch ihresgleichen nie gehabt; denn je- ne Katze war ganz Zurckhaltung, Zartheit, Wrme und Anmut gewesen deshalb hatte sie, wie es die

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    Mrchen und die alten Frauen erzhlen, jung sterben mssen.

    Unsere Katze, die Prinzessin, war und ist immer noch wunderschn, aber man kann es nicht leugnen, sie ist ein selbstschtiges Biest.

    Die Kater reihten sich auf den Gartenmauern auf. Zu- erst der dstere alte Winterkater, der Knig der Grten. Dann ein hbscher Schwarzweier von nebenan, allem Anschein nach sein Sohn. Ein kampfvernarbter Tiger- kater. Ein grauweier Kater, der von seiner Niederlage so berzeugt war, da er nie von der Mauer herunter- kam. Und ein schneidiger junger Tiger, den sie offen- sichtlich bewunderte. Zwecklos, der alte Knig war noch unbesiegt. Als sie hinausstolzierte, den Schwanz hochgereckt, so tat, als beachtete sie keinen von ihnen, aber dabei den schnen jungen Tiger beobachtete, sprang er zu ihr hinunter, doch der Winterkater brauch- te sich nur ein wenig auf der Mauer zu bewegen, und der junge Kater sprang zurck in die Sicherheit. Das ging so wochenlang.

    Inzwischen kamen H. und S., um ihren ehemaligen Liebling zu besuchen. S. fand es ungerecht, da die Prinzessin nicht ihre eigene Wahl treffen sollte; und H. sagte, das sei durchaus in Ordnung; eine Prinzessin msse einen Knig bekommen, mochte er auch alt und hlich sein. Er hat solche Wrde, sagte H.; er ist so imponierend; und er hat sich durch sein nobles Aus- harren im langen Winter die hbsche junge Katze ver- dient.

    Inzwischen hatten wir dem hlichen Kater den Na- men Mephistopheles gegeben. (Bei sich zu Hause wur- de er Billy genannt, wie wir erfuhren.) Unsere Katze hatte verschiedene Namen, aber keiner pate. Melissa und Franny; Marilyn und Sappho; Circe und Ayesha und Suzette. Aber beim Sprechen, beim Kosen miaute

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    und schnurrte sie bei langsilbigen Adjektiven schne, se Mieze.

    An einem sehr heien Wochenende, dem einzigen in einem sonst khlen Sommer, wenn ich mich richtig er- innere, wurde sie rollig.

    H. und S. kamen am Sonntag zum Essen, und wir sa- en hinten auf der Veranda und beobachteten die Ent- scheidungen der Natur. Unsere Entscheidung war es nicht und ebensowenig die unserer Katze.

    Zwei Nchte lang hatten die Kmpfe im Garten ange- dauert, schreckliche Kmpfe, klagende und heulende und schreiende Kater. Whrenddessen hatte die graue Prinzessin am Fuende meines Bettes gesessen und mit gespitzten, beweglichen Ohren ins Dunkel gelauscht, die Schwanzspitze leise hin und her bewegend.

    An jenem Sonntag war nur Mephistopheles zu se- hen. Die graue Katze wlzte sich ekstatisch quer durch den Garten. Sie kam zu uns, rollte sich zu unseren F- en und bi zu. Sie raste den Baum am Ende des Gar- tens hinauf und hinunter. Sie wlzte sich und schrie und rief und forderte auf.

    Die abscheulichste Zurschaustellung der Lust, die ich jemals gesehen habe, sagte S. und beobachtete H., der in unsere Katze verliebt war.

    Arme Katze, sagte H., Wenn ich Mephistopheles wre, wrde ich dich nicht so schlecht behandeln.

    Du bist widerlich, H., sagte S. Wenn ich das er- zhlte, kein Mensch wrde mir glauben, aber ich habe immer gesagt, da du unmglich bist.

    So. Das hast du also schon immer gesagt, sagte H. darauf und streichelte die ekstatische Katze.

    Es war ein sehr heier Tag, wir hatten zum Essen viel Wein getrunken, und das Liebesspiel setzte sich den ganzen Nachmittag fort.

    Endlich sprang Mephistopheles von der Mauer hin-

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    unter, wo die graue Katze sich zappelnd wlzte aber er war ungeschickt.

    O mein Gott, sagte H., der wirklich litt. Das ist unverzeihlich.

    S. beobachtete gespannt die Qualen unserer Katze und uerte dramatisch und deutlich ihre Zweifel, ob sich Sex berhaupt lohne. Schaut euch das an, sagte sie. Das sind wir. Genauso sind wir.

    So sind wir ganz und gar nicht, sagte H. Mephi- stopheles ist so. Man sollte ihn erschieen.

    Sofort erschieen, sagten wir einmtig; oder wenig- stens einsperren, damit der junge Tiger von nebenan seine Chance htte.

    Aber der schne junge Kater war nirgends zu sehen. Wir tranken weiter Wein; die Sonne schien weiter; un- sere Prinzessin tanzte, wlzte sich, scho den Baum hinauf und hinunter, und als endlich alles gut ging, packte sie der alte Knig wieder und wieder.

    Er ist nur zu alt fr sie, sagte H. O mein Gott, sagte S. Ich mu dich nach Hause

    bringen. Sonst erbarmst du dich noch der Katze, jede Wette.

    Ich wnschte, ich knnte es, sagte H. Was fr ein schnes Tier, was fr ein entzckendes Geschpf, welch eine Prinzessin! Sie ist zu schade fr einen Kater. Ich kann das nicht mit ansehen.

    Am folgenden Tage kehrte der Winter zurck; der Garten war kalt und na; und die graue Katze nahm wieder ihr hochmtiges, verwhntes Wesen an. Und der alte Knig lag, immer noch Sieger ber alle anderen, auf der Mauer im stetig fallenden englischen Regen.

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    Die graue Katze nahm ihre Trchtigkeit leicht.

    Sie fegte durch den Garten, den Baum hinauf und hin- unter; wieder und wieder; der Sinn dieses Tuns schien in dem einen Moment zu liegen, in dem sie, an den Baum geklammert, den Kopf wandte, die Augen halb- geschlossen, um Beifall entgegenzunehmen. Sie sprang die Treppe hinunter, drei, vier Stufen auf einmal. Sie hangelte sich unter dem Sofa ber den Fuboden. Und da sie die Erfahrung gemacht hatte, da jeder, der sie zum erstenmal sah, sofort in Begeisterung geriet Oh, was fr eine schne Katze! , sa sie in vorteilhafter Pose bei der Haustr, wenn Gste kamen.

    Dann, als sie sich durch das Gelnder zwngen woll- te, um eine Treppe tiefer zu springen, stellte sie fest, da es nicht ging. Sie versuchte es nochmals, es ging nicht. Sie war gedemtigt, gab vor, es berhaupt nicht versucht zu haben, sondern den lngeren Weg um die Biegung der Treppe zu bevorzugen.

    Das Tempo baumauf und baumab wurde langsamer, dann gab sie auf.

    Und als sich die Ktzchen in ihrem Leib bewegten, war sie berrascht, verstimmt.

    Gewhnlich schnffelt eine Katze etwa zwei Wochen vor dem Werfen in Schrnken und Winkeln herum pr- fend, ablehnend, whlend. Diese Katze tat nichts der- gleichen. Ich rumte die Schuhe aus dem Schlafzim- merschrank und zeigte ihr den geschtzten, dunklen, bequemen Platz. Sie ging hinein und wieder hinaus. Andere Stellen wurden ihr angeboten. Es lag nicht dar-

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    an, da sie ihr mifielen; sie schien einfach nicht zu wissen, was geschah.

    Einen Tag vor der Geburt whlte sie sich auf einem Sessel in ein paar alte Zeitungen, aber die Bewegungen waren automatisch, keineswegs zielgerichtet. Irgendei- ne Drse, oder was immer, hatte gesprochen und Be- wegungen veranlat; sie gehorchte, aber was sie tat, hing nicht mit einem instinktiven Wissen zusammen, wenigstens schien es so, denn sie wiederholte es nicht.

    Am Tag der Geburt hatte sie ungefhr drei Stunden lang Wehen, bevor es ihr bewut wurde. Sie sa auf dem Kchenboden, miaute verwundert, und als ich sie hinaufschickte zum Schrank, ging sie tatschlich. Sie blieb aber nicht dort. Sie trottete ziellos im Hause um- her, schnffelte in diesem letzten Stadium an ver- schiedenen mglichen Pltzen, verlor jedoch das Inter- esse und kam wieder in die Kche herunter. Sobald der Schmerz oder die ungewohnte Empfindung nachlie, verga sie sofort und wollte ihr gewohntes Leben wie- der beginnen das Leben eines verwhnten, bewun- derten Ktzchens. Das war sie ja auch eigentlich noch.

    Ich brachte sie nach oben und sorgte dafr, da sie im Schrank blieb. Sie wollte nicht. Sie reagierte ganz einfach nicht wie erwartet. Im Grund war es rhrend, absurd und komisch, und wir htten am liebsten ge- lacht. Als die Kontraktionen strker wurden, wurde sie bse. Als sie gegen Ende groe Schmerzen hatte, miau- te sie, aber es war ein protestierendes, zorniges Miau- en. Sie war wtend auf uns, weil wir billigten, was ihr geschah.

    Es ist faszinierend, die Geburt des ersten Jungen ei- ner Katze zu erleben, den Augenblick, wenn das winzi- ge, zappelnde Geschpf in seiner weien durchsichti- gen Hlle erschienen ist und die Katze die Hlle weg- leckt, die Nabelschnur abkaut und die Nachgeburt ver-

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    zehrt, alles so zierlich, so grndlich, so vollkommen, obwohl sie alles zum erstenmal macht. Immer entsteht zunchst eine Pause. Das Junge ist ausgestoen worden und liegt hinter der Katze. Die Katze blickt verstrt, drauf und dran zu fliehen, auf das neue Ding, das mit ihr verbunden ist; sie schaut nochmals, sie wei nicht, was es ist; dann setzt der Mechanismus ein, und sie ge- horcht, wird Mutter, schnurrt, ist glcklich.

    Bei dieser Katze gab es die lngste Pause, die ich je- mals erlebt habe, whrend sie das Junge betrachtete. Sie schaute es an, schaute mich an, bewegte sich ein wenig, um festzustellen, ob sie das Anhngsel loswer- den knne dann funktionierte es. Sie suberte das Ktzchen, tat alles, was von ihr erwartet wurde, schnurrte und dann stand sie auf, ging hinunter und setzte sich auf die rckwrtige Veranda und blickte auf den Garten hinaus. Das wre berstanden, schien sie zu denken. Dann kam die nchste Kontraktion, und sie drehte sich um und blickte mich an sie war rgerlich, wtend. Ihr Gesicht, ihre Krperhaltung sagten unmi- verstndlich: Das ist verdammt lstig. Geh hinauf! befahl ich. Hinauf! Sie ging schmollend. Sie kroch die Treppe mit zurckgelegten Ohren hinauf fast wie ein Hund, wenn er gescholten wird oder in Ungnade gefal- len ist; aber sie hatte nichts von der Unterwrfigkeit ei- nes Hundes. Im Gegenteil, sie rgerte sich ber mich und ber die ganze Sache. Als sie das erste Ktzchen wiedersah, erkannte sie es; abermals funktionierte der Mechanismus, und sie leckte es. Sie warf vier Junge, und dann legte sie sich schlafen, ein bezauberndes Bild: eine wunderschne Katze und vier saugende Ktzchen. Es war ein prchtiger Wurf. Das erste, ein Weibchen, ihr Abbild, sogar bis zu den feingezeichneten dunklen Ringen um die Augen, den schwarzen Halbbndern an Brust und Beinen, dem topasfarbenen schwach gefleck-

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    ten Bauch. Dann ein graublaues Ktzchen: spter wirk- te es bei bestimmter Beleuchtung tief purpur. Ein schwarzes Ktzchen, das sich zu einem schwarzen Ka- ter mit gelben Augen auswuchs, ganz Eleganz und Kraft. Und das Ktzchen des Vaters, genau wie er, ein ziemlich plumpes, ungrazises Ktzchen in Schwarz und Wei. Die ersten drei hatten die leichten, feinen Li- nien der Siam-Rasse.

    Als die Katze erwachte, betrachtete sie die Jungen, die jetzt schliefen, erhob sich, schttelte sich und stol- zierte hinunter. Sie trank etwas Milch, fra von dem ro- hen Fleisch, putzte sich von oben bis unten. Sie kehrte nicht zu den Jungen zurck.

    Als S. und H. kamen, um die Ktzchen zu bewun- dern, sa die Mutterkatze unten an der Treppe im Profil in Positur. Dann rannte sie aus dem Haus, ein paarmal den Baum hinauf und hinunter. Dann stieg sie zum obersten Stock hinauf und kam wieder herunter, indem sie durch das Gelnder jeweils auf die darunterliegende Treppe sprang. Dann strich sie schnurrend um H.s Beine,

    Du bist doch jetzt eine Mutter, sagte S. entsetzt, wieso bist du nicht bei deinen Jungen?

    Allem Anschein nach hatte sie die Jungen vergessen. Unerklrlicherweise hatte sie eine unangenehme Auf- gabe erfllen mssen; es war vorbei, und damit basta.

    Sie sprang und tobte durchs Haus, bis ich sie am spten Abend hinaufschickte. Sie wollte nicht gehen. Ich trug sie zu den Ktzchen hinauf. Unmutig kroch sie zu ihnen. Sie wollte sich nicht hinlegen, um sie zu su- gen. Ich zwang sie. Sowie ich den Rcken kehrte, ver- lie sie die Jungen. Ich sa daneben, whrend sie sie sugte.

    Ich ging, um mich fr die Nacht zurechtzumachen. Als ich ins Schlafzimmer zurckkam, lag sie unter mei-

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    ner Decke und schlief. Ich brachte sie zu den Jungen zurck. Sie betrachtete sie mit zurckgelegten Ohren, und wieder wre sie einfach davongelaufen, wenn ich nicht vor ihr gestanden und, eine unerbittliche Verkr- perung der Autoritt, auf die Ktzchen gezeigt htte. Sie stieg zu ihnen hinein, lie sich fallen, als wollte sie sagen: Wenn du unbedingt willst. Sowie die Ktzchen an ihren Zitzen saugten, meldete sich der Instinkt, wenn auch nicht sehr anhaltend, und sie schnurrte eine Weile.

    Whrend der ganzen Nacht schlich sie sich aus dem Schrank und zu ihrem gewohnten Platz auf meinem Bett. Jedesmal sorgte ich dafr, da sie zurckkehrte. Sobald ich eingeschlafen war, kam sie wieder, und die Ktzchen jammerten.

    Am Morgen hatte sie begriffen, da sie die Verant- wortung fr diese Ktzchen trug. Aber sie htte ihre Jungen der groen Mutter Natur zum Trotz ver- hungern lassen, wenn sie sich selbst berlassen geblie- ben wre.

    Als wir am folgenden Tag beim Mittagessen saen, kam die graue Katze mit einem Ktzchen im Maul in die Kche gelaufen. Sie legte es mitten auf den Fubo- den und ging wieder hinauf, um die anderen zu holen. Sie brachte alle vier herunter, eins nach dem andern; dann streckte sie sich mit ihnen auf dem Kchenboden aus. Sie wrde sich nicht ausschlieen lassen, hatte sie beschlossen; und den ganzen Monat, whrend die Ktzchen noch hilflos waren, erlebten wir, wo immer wir uns im Hause aufhielten, wie die graue Katze mit ihren Jungen ins Zimmer kam, sie auf eine Weise im Maul trug und schttelte, die entsetzlich lieblos wirkte. Wenn ich nachts aufwachte, lag sie reglos neben mir, und sie rhrte sich nicht und hoffte, ich wrde sie nicht bemerken. Wenn sie wute, da ich sie bemerkt hatte,

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    schnurrte sie, um mich zu erweichen, und leckte mir das Gesicht und bi mich in die Nase. Alles umsonst. Ich schickte sie zu ihren Jungen zurck, und sie ging schmollend.

    Kurz, sie war eine miserable Mutter. Wir schoben es auf ihre Jugend. Als ihre Jungen einen Tag alt waren, versuchte sie, mit ihnen zu spielen, wie es eine Katze mit vier bis fnf Wochen alten Ktzchen tun wrde. Ein winziges, blindes Knuel wurde mit den groen Hin- terpfoten herumgestoen und zrtlich-spielerisch ge- bissen, whrend es doch nur an die unwillig dargebote- nen Zitzen gelangen wollte. Ein trauriger Anblick, ge- wi: Und wir waren auch bse auf sie; und dann lach- ten wir, aber das machte die Sache nur schlimmer, denn was sie berhaupt nicht vertragen kann, ist aus- gelacht werden.

    Trotz der schlechten Behandlung war dieser erste Wurf entzckend, der schnste, der in diesem Haus zur Welt kam jedes Junge auf seine Weise bemerkens- wert, selbst das Ebenbild des alten Mephistopheles.

    Eines Tages kam ich nach oben und fand ihn im Schlafzimmer. Er betrachtete die Ktzchen. Die graue Katze war natrlich nicht da. Er hielt sich etwas ent- fernt, den Kopf vorgestreckt, wie blich mit offenem Maul. Aber er wollte ihnen nichts tun, er war nur neu- gierig.

    Da die Ktzchen so reizend waren, brachten wir sie sofort unter. Aber es war doch ein Unglckswurf. In- nerhalb von achtzehn Monaten stie allen etwas zu. Die vielgeliebte Katze, die das Ebenbild ihrer Mutter war, verschwand eines Tages und wurde nie mehr ge- sehen. Und der schwarzen Katze ging es ebenso. Jung- Mephistopheles wurde wegen seines Mutes und seiner Kraft Musefnger in einem Lagerhaus, starb jedoch an der Seuche. Die Purpurne, die selbst einen aueror-

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    dentlichen Wurf hatte, drei vollkommene Siamesen, cremefarben und mit rosa Augen, und drei gewhnli- che Gassenkatzen, verlor ihr Heim. Sie soll allerdings ein neues ganz in der Nhe gefunden haben.

    Die graue Katze, so beschlossen wir, sollte keine Jun- gen mehr bekommen. Sie eignete sich einfach nicht zur Mutterschaft. Aber es war zu spt. Sie war bereits wie- der trchtig. Nicht von Mephistopheles.

    Diese Gegend gilt bei den Katzendieben und -hnd- lern als Katzengegend. Ich glaube, sie fahren einfach herum und nehmen sich die Tiere, die ihnen gefallen und nicht sicher im Haus eingesperrt sind. Das ge- schieht in der Nacht; und es ist ein schlimmer Gedan- ke, wie die Diebe die Katzen still halten, damit ihre Be- sitzer nicht geweckt werden. Die Leute in meiner Stra- e verdchtigen die Krankenhuser in unserer Nach- barschaft. Diese Vivisektoren waren wieder zugange, sagen sie; und vielleicht haben sie recht. Jedenfalls ver- schwanden eines Nachts sechs Katzen, darunter auch Mephistopheles. Und jetzt bekam die graue Katze ihre Willen, nmlich den jungen Tigerkater mit der weien Satinweste.

    Wieder wurde sie von der Geburt berrascht, aber sie brauchte diesmal nicht so lange, sich zu fgen. Sie erhob sich vom Wochenbett und ging hinunter und w- re nicht zurckgekehrt, wenn man es ihr nicht befohlen htte; aber ich glaube, im ganzen hatte sie an ihrem zweiten Wurf Freude. Diesmal waren die Jungen ganz gewhnlich, eine recht hbsche Mischung von getiger- ten und weigestromten Ktzchen; aber sie hatten kei- ne Besonderheiten in Farbe oder Zeichnung, und es war schwieriger, sie unterzubringen.

    Herbst, die Wege dick mit braunen Blttern der gro- en Platane bedeckt; die Katze lehrte ihre vier Jungen Jagen, Anschleichen und Springen, whrend das Laub

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    durch die Luft wirbelte. Die Bltter spielten dabei die Rolle der Muse und Ratten und wurden dann ins Haus gebracht. Das eine Ktzchen pflegte sein Blatt sehr sorgfltig zu zerreien. Es hatte die merkwrdige Angewohnheit seiner Mutter geerbt: Sie kann eine hal- be Stunde damit verbringen, eine Zeitung systematisch mit den Zhnen zu zerfetzen, Stckchen um Stckchen. Ob das typisch fr Siamkatzen ist? Eine Freundin von mir hat zwei Siamesen. Wenn sie Rosen in der Woh- nung hat, holen sich die Katzen mit den Zhnen die Rosen aus der Vase, legen sie hin und reien die Bl- tenbltter nacheinander ab, als wren sie in eine wich- tige Arbeit vertieft. Vielleicht sollten in der freien Natur das Blatt, die Zeitung, die Rose Material fr ein Lager sein.

    Der grauen Katze machte es Spa, ihren Jungen die Kunst des Jagens beizubringen. Auf dem Land wren sie sicher gut ausgebildete Katzen geworden. Sie erzog sie auch zur Sauberkeit: Keines ihrer Ktzchen be- schmutzte jemals einen Winkel. Aber da sie immer noch Schwierigkeiten beim Fressen machte, zeigte sie kein Interesse, ihnen das Fressen beizubringen. Das lernten sie von selbst.

    Von diesem Wurf blieb ein Tier lnger bei uns als die anderen. Den Winter ber hatten wir zwei Katzen, die graue und ihren Sohn, einen bunten, brunlich-orange- gefleckten Kater mit einer Weste wie sein Vater.

    Die graue Katze wurde wieder zum Ktzchen, und die beiden spielten den ganzen Tag zusammen und schliefen eng angekuschelt. Der kleine Kater war viel grer als seine Mutter; aber sie kommandierte ihn her- um und verprgelte ihn, wenn er ihr Mifallen erregte. Sie konnten stundenlang daliegen und sich schnurrend gegenseitig das Gesicht lecken.

    Er war ein gewaltiger Fresser, er fra alles. Wir hoff-

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    ten, durch sein Beispiel wrde sie vernnftiger werden, aber sie blieb eigen. Sie lie ihn, ihr Junges, nach Kat- zenart stets zuerst trinken und fressen, whrend sie da- nebenhockte und zuschaute. Wenn er fertig war, ging sie hin, beschnffelte das Katzenfutter oder die Speise- reste und kam dann zu mir, um mich mit einem zarten Bi in die Wade zu erinnern, da sie nur Kaninchen, ro- hes Fleisch oder rohen Fisch fra, in kleinen Portionen und appetitlich auf einem sauberen Teller angerichtet.

    ber ihrem Futter, das ihr von Rechts wegen allein zustand, hockte sie eiferschtig, warf ihm finstere Blicke zu und fra ohne Hast eine bestimmte Menge, nie mehr. Sie frit selten alles auf, was ihr hingesetzt wird, fast immer lt sie etwas brig feine Tischmanieren, aber bei der Grauen will es mir scheinen, als htte dies seine Wurzel in einem aggressiven Trotz. Ich fresse dieses Futter nicht auf ich habe keinen Hunger, und du hast mir zuviel hingestellt, und es ist deine Schuld, wenn es verdirbt. Ich habe so viel zu fressen, das hier brau- che ich nicht zu fressen. Ich bin ein zartes, kostbares Geschpf und ber so gewhnliche Dinge wie Futter er- haben. Das letzte ist deutlich ihre Haltung.

    Der junge Kater fra auf, was sie briglie, ohne zu merken, da es besser war als sein eigenes Futter; und dann liefen sie fort, jagten sich durch Haus und Garten. Oder sie setzten sich auf das Fuende meines Bettes, schauten zum Fenster hinaus, putzten sich gegenseitig von Zeit zu Zeit und schnurrten.

    Dies war der Hhepunkt im Leben der grauen Katze, der Gipfel ihres Glckes und Charmes. Sie war nicht al- lein; ihr Gefhrte bedrohte sie nicht, weil sie ihn be- herrschte. Und sie war so schn wirklich wunder- schn.

    Am vorteilhaftesten sah sie aus, wenn sie auf dem Bett sa und hinausschaute. Die cremefarbenen, leicht-

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    gestreiften Vorderbeine standen auf silbrigen Pfoten ge- rade nebeneinander. Die Ohren mit einem leichten wei- en Rand, der wie Silber wirkte, waren gespitzt und be- wegten sich lauschend und aufmerksam nach vorn und hinten. Ihr Gesicht folgte wachsam jeder neuen Wahr- nehmung. Der Schwanz zuckte in einer anderen Dimen- sion, als ob die Spitze Mitteilungen empfinge, die von anderen Organen nicht aufgenommen werden konnten. Sie sa gelassen da, luftig, beobachtend, lauschend, fhlend, riechend, atmend, mit jeder Fiber, mit Fell, Schnurrhaaren, Ohren alles vibrierte zart. Wenn ein Fisch die Bewegung des Wassers verkrpert, ihr Form verleiht, dann ist die Katze Diagramm und Muster der so viel feineren Luft.

    O Katze! sagte ich wie im Gebet. Schne Katze! Kostbare Katze! Erlesene Katze! Seidige Katze! Katze wie eine weiche Eule, Katze mit Pfoten wie Falter, juwe- lengeschmckte Katze, wunderbare Katze! Katze, Kat- ze, Katze, Katze.

    Zuerst beachtete sie mich nicht; dann wandte sie ge- schmeidig und hochmtig den Kopf und schlo bei je- dem Lobeswort halb die Augen, fr jedes aufs neue. Und wenn ich aufhrte, ghnte sie trge und geziert und zeigte ein erdbeereisfarbenes Mulchen und eine aufgerollte rosige Zunge.

    Oder sie kauerte sich bedchtig hin und bannte mich mit ihren Augen. Ich blickte hinein, mandelfrmig und dunkel umrandet und darum wieder ein cremefarbener Strich. Unter jedem Auge ein dunkler Pinselstrich. Gr- ne, grne Augen; aber im Schatten von rauchigem Dun- kelgold eine dunkelugige Katze. Aber im Licht grn, ein klares, khles Smaragdgrn. Hinter den durchsich- tigen Augpfeln schimmerte ein Geder wie Schmetter- lingsflgel. Flgel gleich Juwelen: das Wesen des Flgels.

    Ein Wandelndes Blatt ist von einem Blatt nicht zu un-

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    terscheiden bei einem zuflligen Blick. Aber man schaue nher hin: Die Kopie eines Blattes ist mehr Blatt als das Blatt selbst gerippt, gedert, zart, als ob ein Goldschmied es gearbeitet htte, aber ein schalkhafter Goldschmied, so da das Insekt fast schon eine Parodie ist. Sieh nur die Flschung, sagt das Wandelnde Blatt: Gab es je ein so erlesenes Blatt wie mich? Sogar dort, wo ich die Unvollkommenheiten eines Blattes nachge- macht habe, bin ich vollkommen. Willst du je wieder ein gewhnliches Blatt ansehen, nachdem du mich gesehen hast, das Kunstwerk?

    In den Augen der grauen Katze lag der grne Jade- schimmer eines Schmetterlingsflgels, als ob ein Knst- ler gesagt htte: Was knnte so anmutig, so zierlich wie eine Katze sein? Was ein natrlicheres Luftgeschpf? Welches Luftwesen ist der Katze verwandt? Der Schmetterling, natrlich der Schmetterling! Und da, tief in den Katzenaugen, liegt dieser Gedanke, nur ange- deutet mit halbem Lachen, und verborgen hinter den Wimpernfransen, hinter dem feinen braunen Innenlid und den listigen Finten der Katzenkoketterie.

    Graue Katze, vollkommene, erlesene Knigin; graue Katze mit der Erinnerung an Leopard und Schlange; mit der hnlichkeit von Schmetterling und Eule; ein Minia- turlwe mit mrderischen Stahlkrallen; graue Katze vol- ler Geheimnisse, Verwandtschaften, Rtsel die graue Katze, achtzehn Monate alt, eine junge Matrone in ihrer Blte, bekam zum drittenmal Junge, diesmal von dem grauweien Kater, der sich whrend der Herrschaft des alten Knigs nicht von der Mauer heruntergetraut hatte. Sie bekam vier Junge, und ihr Sohn sa whrend der Geburt neben ihr und sah zu und leckte sie in den Pau- sen zwischen den Wehen und leckte die Ktzchen. Er wollte zu ihnen ins Nest, aber er bekam Ohrfeigen we- gen dieses Rckfalls in den Infantilismus.

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    Es war wieder Frhling, die Hintertr stand offen, und die graue Katze, ihr erwachsener Sohn und die vier Ktzchen genossen den Garten. Aber die graue Katze war lieber mit ihrem Sohn als mit den Ktzchen zu- sammen; ja, sie hatte abermals Ansto bei S. erregt, weil sie sofort, nachdem sie geworfen hatte, aufstand, sich von den Jungen entfernte und ihrem erwachsenen Sohn in die Arme fiel und sich mit ihm schnurrend auf dem Boden kugelte.

    Bei diesem Wurf bernahm er die Rolle des Vaters; er erzog sie ebenso wie sie.

    Inzwischen war schon am Horizont, bla und ver- schleiert, wie sich die Zukunft immer andeutet, ein Schatten des Schicksals aufgetaucht; das drohende En- de der kniglichen Alleinherrschaft der grauen Katze ber das Haus.

    Oben, in der Welt der Menschen, furchtbare Strme und Gefhlsbewegungen und Dramen; und mit dem Sommer kam ein schnes, trauriges, blondes Mdchen ins Haus, und es hatte eine kleine, hbsche, elegante, schwarze Katze, eigentlich noch ein halbes Ktzchen, und dieser Fremdling hauste im untersten Gescho, na- trlich nur vorbergehend, weil sie im Augenblick kein eigenes Heim hatte.

    Die kleine schwarze Katze hatte ein rotes Halsband und eine rote Leine, und in diesem Lebensstadium war sie nur ein Zubehr und eine dekorative Beigabe des hbschen Mdchens. Von der Knigin im oberen Stock-

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    werk wurde sie wohlweislich ferngehalten: Sie durften nicht zusammenkommen.

    Dann auf einmal nderte sich fr die graue Katze al- les. Ihr Sohn wurde jetzt von dem neuen Besitzer ange- fordert, dem wir ihn versprochen hatten, und wohnte in Kensington. Die vier Ktzchen kamen in ihre neue Umgebung. Und wir entschieden, es sei nun genug, sie sollte keine Jungen mehr bekommen.

    Damals wute ich nicht, was es heit, eine Katze ste- rilisieren zu lassen. Bekannte von mir hatten ihre Kat- zen und Kater unfruchtbar machen lassen. Der Tier- schutzverein, bei dem ich mich erkundigte, empfahl es nachdrcklich. Verstndlicherweise, denn dort mu man jede Woche Hunderte unerwnschter Katzen ein- schlfern, von denen es wahrscheinlich einmal Oh, was fr ein ses Ktzchen! geheien hatte bis sie ausgewachsen waren. Aber die Stimmen der Damen vom Tierschutzverein hatten genau den gleichen Ton wie die Stimme der Frau im Eckladen, die jedesmal, wenn ich ein gutes Zuhause fr meine Ktzchen such- te, zu mir sagte: Ist Ihre Katze immer noch nicht steri- lisiert? Das arme Ding, ich finde es grausam, sie das durchmachen zu lassen. Aber fr eine Katze ist es doch natrlich, Junge zu bekommen, antwortete ich, allerdings nicht ganz der Wahrheit entsprechend, da die graue Katze ja zu ihren Mutterpflichten gezwungen werden mute.

    Meine Beziehungen zu den Nachbarsfrauen betrafen hauptschlich Katzen verlorene oder zu Besuch kommende Katzen, Ktzchen, die von Kindern besucht wurden, oder Ktzchen, die weggegeben werden soll- ten. Und keine ist darunter, die nicht erklrt htte, es sei grausam, eine Katze werfen zu lassen und das beinahe zornig oder mit dem gleichen barschen Antago- nismus meiner Mutter: Fr dich ist ja alles in Ordnung!

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    Der alte Junggeselle, dem der Gemseladen an der Ecke gehrte jetzt ist der Laden wegen der Konkur- renz des Supermarktes geschlossen und weil er be- hauptete, es sei eigentlich ein Familienunternehmen und er habe keine Familie , ein dicker Mann, mit ebenso dunkelroten Backen wie die kleine alte Frau vom Obst- und Gemsekarren, sagte von den Frauen: Sie hren nie auf, Kinder zu kriegen, aber sorgen sie dann fr sie? Er hatte keine Kinder und war in bezug auf die anderer Leute sehr selbstgerecht.

    Hingegen hatte er eine alte Mutter von ber achtzig, die bettlgerig und vollstndig auf ihn angewiesen war. Sein Bruder und seine drei Schwestern waren verheira- tet und hatten Kinder; ihrer Meinung nach fiel es dem unverheirateten Bruder zu, fr die alte Mutter zu sor- gen, da ihnen ihre Kinder genug zu tun gaben.

    Er stand in seinem kleinen Laden hinter Steigen mit Steckrben, Kartoffeln, Zwiebeln, Karotten und Kohl anderes Gemse gibt es in solchen Straen hch- stens tiefgekhlt , sah die Kinder drauen herumtol- len und sagte unfreundliche Dinge ber ihre Mtter.

    Er war auch dafr, die graue Katze sterilisieren zu lassen. Zu viele Menschen auf der Welt, zu viele Tiere, zu wenig zu essen, niemand kauft heutzutage etwas, wie soll das alles enden?

    Ich rief drei Tierrzte an und fragte sie, ob es bei ei- ner Katze notwendig sei, Gebrmutter und Eileiter zu entfernen knnte man nicht die Eileiter abbinden und ihr wenigstens das Geschlecht lassen? Alle drei er- klrten nachdrcklich, am besten sei es, alles herauszu- nehme