hermann denz (1949–2008)

4
Nachruf Nachruf NACHRUF Helmut Staubmann/Meinrad Ziegler Hermann Denz (1949–2008) Helmut Staubmann/Meinrad Ziegler Hermann Denz, a. Univ.-Prof. am Institut für Soziologie der Universität Inns- bruck, ist am 12. Jänner dieses Jahres an einer Krebserkrankung gestorben, gegen die er mehrere Jahre versucht hatte anzukämpfen. Seit 1992 wirkte er als Dozent am Innsbrucker Soziologie-Institut. In der Periode von 2001 bis 2003 war er in der Funktion des Institutsvorstandes tätig. Hermann Denz begründete in Innsbruck einen Forschungsschwerpunkt zu Methoden der empirischen Soziologie und baute diesen professionell aus. Er verstand es, das Institut in ein Netzwerk internationaler und international an- erkannter Forschung einzubinden. Seine Methodenkompetenz floss wesent- lich in eine Reihe von Studien zum Wertewandel ein, die in Kooperationspro- jekten mit Anton Pelinka, Emmerich Talos und Paul Zulehner entstanden sind. In Innsbruck war er in den letzten Jahren maßgeblich an der Entwicklung der Curricula für ein BA- und ein MA-Studium für Soziologie beteiligt. 2005, ein Jahr nach seiner Erkrankung, ließ er sich vom Dienst an der Universität Inns- bruck freistellen, um eine Professur für Theorie der Sozialarbeit und empiri- sche Sozialforschung an der Fachhochschule Vorarlberg in Bregenz zu über- nehmen. Es gab die explizite Absicht, ab dem Wintersemester 2008 wieder nach Innsbruck zurückzukehren. 1949 wurde Hermann Denz in Lingenau in Vorarlberg geboren. Er war der Erstgeborene einer kinderreichen Familie aus dem ländlichen Arbeitermilieu. Nach der Matura in Bregenz begann er das Studium der Sozial- und Wirt- schaftswissenschaften zunächst an der Universität in Innsbruck. Danach übersiedelte er nach Linz. Dort gehörte er zu einem der ersten Jahrgänge, die an der Ende der 1960er Jahre neu gegründeten Universität für Sozial-, Wirt- schafts- und Rechtswissenschaften das Fach Soziologie studiert haben. Nach Abschluss des Studiums ging Hermann Denz 1971 für ein Jahr als Assistent an die Universität Trier, kehrte jedoch 1972 nach Linz zurück. Hier wurde er auch 1982 habilitiert. Im Studienjahr 1983/84 hatte er eine Vertretungsprofessur an der Universität Eichstätt inne. Von 1985 bis 1992 war Hermann Denz am In- teruniversitären Forschungsinstitut für Fernstudien in Bregenz tätig und kam dann an das Institut für Soziologie an der Universität Innsbruck. Die Jahre in Linz gehörten wohl zu jener Zeit, die Hermann Denz als Sozio- logen am stärksten geprägt haben. Die Universität in Linz war neu, das dort 108

Upload: helmut-staubmann

Post on 15-Jul-2016

217 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Hermann Denz (1949–2008)

Nachruf NachrufNACHRUF

Helmut Staubmann/Meinrad Ziegler

Hermann Denz (1949–2008)

Helmut Staubmann/Meinrad Ziegler

Hermann Denz, a. Univ.-Prof. am Institut für Soziologie der Universität Inns-bruck, ist am 12. Jänner dieses Jahres an einer Krebserkrankung gestorben,gegen die er mehrere Jahre versucht hatte anzukämpfen. Seit 1992 wirkte erals Dozent am Innsbrucker Soziologie-Institut. In der Periode von 2001 bis2003 war er in der Funktion des Institutsvorstandes tätig.

Hermann Denz begründete in Innsbruck einen Forschungsschwerpunkt zuMethoden der empirischen Soziologie und baute diesen professionell aus. Erverstand es, das Institut in ein Netzwerk internationaler und international an-erkannter Forschung einzubinden. Seine Methodenkompetenz floss wesent-lich in eine Reihe von Studien zum Wertewandel ein, die in Kooperationspro-jekten mit Anton Pelinka, Emmerich Talos und Paul Zulehner entstanden sind.In Innsbruck war er in den letzten Jahren maßgeblich an der Entwicklung derCurricula für ein BA- und ein MA-Studium für Soziologie beteiligt. 2005, einJahr nach seiner Erkrankung, ließ er sich vom Dienst an der Universität Inns-bruck freistellen, um eine Professur für Theorie der Sozialarbeit und empiri-sche Sozialforschung an der Fachhochschule Vorarlberg in Bregenz zu über-nehmen. Es gab die explizite Absicht, ab dem Wintersemester 2008 wiedernach Innsbruck zurückzukehren.

1949 wurde Hermann Denz in Lingenau in Vorarlberg geboren. Er war derErstgeborene einer kinderreichen Familie aus dem ländlichen Arbeitermilieu.Nach der Matura in Bregenz begann er das Studium der Sozial- und Wirt-schaftswissenschaften zunächst an der Universität in Innsbruck. Danachübersiedelte er nach Linz. Dort gehörte er zu einem der ersten Jahrgänge, diean der Ende der 1960er Jahre neu gegründeten Universität für Sozial-, Wirt-schafts- und Rechtswissenschaften das Fach Soziologie studiert haben. NachAbschluss des Studiums ging Hermann Denz 1971 für ein Jahr als Assistent andie Universität Trier, kehrte jedoch 1972 nach Linz zurück. Hier wurde er auch1982 habilitiert. Im Studienjahr 1983/84 hatte er eine Vertretungsprofessuran der Universität Eichstätt inne. Von 1985 bis 1992 war Hermann Denz am In-teruniversitären Forschungsinstitut für Fernstudien in Bregenz tätig und kamdann an das Institut für Soziologie an der Universität Innsbruck.

Die Jahre in Linz gehörten wohl zu jener Zeit, die Hermann Denz als Sozio-logen am stärksten geprägt haben. Die Universität in Linz war neu, das dort

108

Page 2: Hermann Denz (1949–2008)

eingerichtete Fach Soziologie war außerhalb Wiens noch weitgehend unbe-kannt. Mit seiner sozialwissenschaftlichen Ausrichtung hatte es eine starkeAnziehungskraft auf die politisierte Studentengeneration dieser Zeit. Es gabeine Stimmung dafür, mit den Mitteln der wissenschaftlich begründeten Ver-nunft Demokratie in Wirtschaft und Politik zu tragen. Vermutlich hat das dazubeigetragen, dass sich in Linz eine Gruppe von Sozial- und Wirtschaftswis-senschaftern gefunden hat, die in einer Form von „Pioniergeist“ miteinanderverbunden war. Der Geist des Aufbruchs in der Soziologie und der empiri-schen Sozialforschung wurde durch die in diesen Jahren neu eingerichtetenMöglichkeiten gefördert, mittels Rechenmaschinen enorme Datenmengen zuverarbeiten.

Charakteristisch für das Engagement von Hermann Denz und für sein Be-streben, sich Wissenschaft theoretisch und auch handwerklich anzueignen,war die Tatsache, dass er einer der wenigen war, die damals die „Operator“-Prüfung gemacht haben. Damit erwarb er die Fähigkeit und die Berechti-gung, die Maschinen selbst zu bedienen und zu kontrollieren. Legendär sinddie Erzählungen über die Nächte, die er mit Kolleginnen und Kollegen im Re-chenzentrum der Universität verbrachte. Dort wurden aktuelle Daten mitneuesten Modellen durchgerechnet, dort wurde die Bedeutung und Interpre-tation der Daten diskutiert.

In der Habilitation aus dem Jahr 1982 mit dem Titel Analyse latenter Struk-turen findet sich ein Satz, den wir als Beschreibung dieser Jahre nehmen kön-nen: „. . . die empirischen Zeiten waren sehr mathematisch geworden und dieEuphorie war angesichts der eleganten Auswertungsmethoden groß.“ Stecktin diesen Worten nicht mehr als die Deskription eines Zeitgeistes? Ist hiernicht auch ein Anflug von einer persönlichen Distanzierung von diesem Zeit-geist zu spüren? Fest steht, dass Hermann Denz sich von der Eleganz der neu-en Methoden letztlich nicht verführen ließ. Seine Arbeit mit Daten war zu-gleich immer auch theoretisch orientiert. Je länger er sich in die empirischeSozialforschung vertiefte, desto stärker trat sein Interesse an gesellschafts-theoretischen Fragestellungen auch in den Publikationen hervor. Analysen zurSozialstruktur verknüpfte er mit Fragen nach den normativen Grundlagen derGesellschaft, insbesondere mit Fragen nach den Kräften der sozialen Bindungund Integration und deren Wandel. Exemplarisch nennen wir an dieser Stelledas Buch Vom Untertan zum Freiheitskünstler – eine Kulturdiagnose (ge-meinsam mit Paul Zulehner, Martina Beham und Christian Friesl, Freiburg/Basel/Wien 1992) und Solidarität – Option für Freiheitsverlierer (gemeinsammit Paul Zulehner, Anton Pelinka und Emmerich Talos, Innsbruck 1996).

Hermann Denz wollte nicht auf seine methodische Kompetenz reduziertwerden. Die empirische Sozialforschung war für ihn ein soziologisches Pro-gramm, sein Weg, soziale Wirklichkeit zu verstehen. Deshalb sprach er in denletzten Jahren mehr von der „empirischen Soziologie“ und weniger von einer

Nachruf

109

Page 3: Hermann Denz (1949–2008)

empirischen Sozialforschung, und dementsprechend lautet auch der Titel sei-nes jüngsten Lehrbuchs Grundlagen der empirischen Soziologie (Münster2003). Das Anliegen, über den Weg des strengen empirischen Datenbezugsan die tieferen, nicht beobachtbaren Strukturen der gesellschaftlichen Reali-tät heranzukommen, stellt sich für uns als große Kontinuität in der Arbeit vonHermann Denz dar. Schon in der Habilitation von 1982 ging es um die Suchenach etwas, was uns die Daten auf den ersten Blick nicht erschließen undvermitteln können. Mit einem „sozialwissenschaftlichen Messmodell“ (wie esim Untertitel hieß) sollten jene latenten Strukturen gefunden werden, die hin-ter den unmittelbaren Erscheinungen liegen.

In der Frage des Verhältnisses von Manifestem und Latentem geht es nichtnur um Soziologie, hier äußert sich ein ganz spezifischer Zugang zur Welt.Hermann Denz war auch in anderen Bereichen nicht bereit, die Oberflächefür das Ganze zu halten. Wobei er beide Sphären nicht für voneinander ge-trennt hielt: Er verfolgte eine Vorstellung von Transzendenz, die nicht derWelt, wie sie uns gegeben ist, entgegen gestellt ist oder sich über die Imma-nenz der Welt geringschätzig hinweg setzt. Seine Idee war, die Tatsachenunserer alltäglichen Welt zu nutzen, um einen Zugang zu den tieferen Schich-ten des sozialen Lebens zu finden, also mit dem Denken und Handeln in deralltäglichen Welt über diese hinauszugehen.

Im Rahmen von verschiedenen Ausstellungen im Frauenmuseum Hittisauim Bregenzerwald konnte er diese Vorstellungen in Projekten, die gemeinsammit Elisabeth Stöckler entstanden sind, realisieren. Mythos und Alltag – einesozialgeschichtliche Installation (2000) und Göttin – Hexe – Heilerin. Zu ei-ner Kulturgeschichte weiblicher Magie (2004) sind zwei dieser Projekte.Diese Vorstellung von Oberfläche und Tiefe, von Immanenz und Transzen-denz als Lebensprinzip war auch in der persönlichen Bekanntschaft und inder kollegialen Zusammenarbeit als ein Grundmoment der Person HermanDenz zu spüren.

Und sie ist auch eingewoben in den Umgang mit seiner Krankheit und demsich abzeichnenden Tod. Hermann Denz widmete sich bis zuletzt seinen For-schungs- und Lehraufgaben. Für ihn selbst war das wichtig, weil er aus derArbeit einen guten Teil jener Energien bezog, die ihm auch in den letzten Mo-naten und Wochen eine eindrucksvolle Lebendigkeit und Scharfsinnigkeitverliehen. Am Tag vor seinem Tod, so wurde es uns berichtet, hat er eine sei-ner Studentinnen telefonisch beraten und einen weiteren Termin für ihre Be-treuung reserviert. Den Studierenden an der Fachhochschule Vorarlberg ver-mittelte er mit seinem durch die Krebstherapie geschwächten Körper und dergleichzeitigen geistigen Präsenz eine wichtige Erfahrung darüber, wie instabildie Grenze zwischen Leben und Tod sein kann.

Der akademischen Welt wird Hermann Denz durch seine zahlreichen wis-senschaftlichen Leistungen, die in vielen Publikationen dokumentiert sind, in

Nachruf

110

Page 4: Hermann Denz (1949–2008)

Erinnerung bleiben. Daneben sind noch zwei andere Züge an seiner Personals Soziologe und als Intellektueller hervorzuheben, die es besonders wertwären, bewahrt zu werden: Er war erstens immer offen für Kooperationenund Unterstützung gegenüber Kolleginnen und Kollegen, stellte großzügigsein Wissen und seine Fähigkeiten zur Verfügung. Auch viele Freunde außer-halb der Universität, in Initiativen und sozialen Bewegungen, erlebten dieseOffenheit. Den Studierenden gegenüber war es ihm möglich, stets eine für-sorgliche, hilfsbereite und motivierende Haltung aufzubringen. Zweitens hater seine Arbeit für die Wissenschaft immer als einen Beitrag für eine bessereGesellschaft verstanden. Er tat sich schwer mit der Vorstellung, dass wissen-schaftliche Arbeit in erster Linie einer Karriere dienen sollte. Es gab einegroße Fähigkeit, sich als Person zu dezentrieren, nicht so sehr als kognitiveLeistung, sondern mehr – entsprechend seiner sozialen Herkunft – als habitu-elle Disposition.

In beiden Haltungen war Hermann Denz ein Kontrastprogramm zu den vor-herrschenden akademischen Gepflogenheiten. Aber diese Haltungen sindkaum dokumentiert, nur seinen unmittelbaren Kolleginnen und Kollegen zu-gänglich. Hoffen können wir auf das kommunikative Gedächtnis jener, die mitihm nicht nur gearbeitet, sondern auch andere Facetten des Lebens geteilthaben, um diese Erinnerungen an Hermann Denz lebendig zu halten.

Nachruf

111