wissen und expertenrollen. eine untersuchung der wissenschaftlichen politikberatung im agrarbereich
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Wissen und Expertenrollen.
Eine Untersuchung der wissenschaftlichen Politikberatung im Agrarbereich
Cordula Kropp
Der folgende Text setzt sich mit den Rollen auseinander, die politikberatende
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik
einnehmen, und mit den Formaten des Wissens und dem Umgang mit Wissensgrenzen, zu
denen diese Rollen in der Reflexiven Moderne führen. Dazu werden zuerst die Bedingungen
diskutiert, unter denen die Begegnungen von Wissenschaft und Politik stattfinden. Im
Anschluss an diese theoretischen Überlegungen zur Interaktion von Expertise und Politik
stelle ich die Expertenrollen vor, die wissenschaftliche Politikberater im von Risikoskandalen
geschüttelten Agrarbereich in der Beratungspraxis einnehmen1 (vgl. Kropp/Wagner 2008a).
Dabei steht zur Diskussion, inwiefern diese beratungspraktischen Expertenrollen die Chancen
der Ent- und Begrenzung von Wissen und Nichtwissen als je kontextabhängige Form der
Produktion von pragmatischem Orientierungswissen bestimmen.
Wissenschaft und Politik
Wissenschaft und Politik sind bekanntermaßen zwei gesellschaftliche Bereiche, in denen
Zustimmung und Legitimation über unterschiedliche Mechanismen gewonnen werden.
Folgen wir den grundlegenden Überlegungen von Niklas Luhmann (1986, 1997, 2000), so
zielen Operationen im Bereich der Politik auf (Wieder-) Wahl und Machtgewinn, im Bereich
der Wissenschaft hingegen führt die Orientierung an »Wahrheit« zu anschlussfähigen
Unterscheidungen. Deshalb, so lässt sich in aller Kürze die differenzierungstheoretische
Perspektive zusammenfassen, werden Entscheidungen in der Politik am Machterhalt orientiert
und mit dem durch Wählerstimmen gewonnenen Mandat legitimiert. In der Wissenschaft
hingegen ist Zustimmung am Erkenntnisfortschritt orientiert und wird nicht per Abstimmung,
sondern nach Sichtung der methodisch überprüfbaren Belege vergeben. Auch der empirische
Einwand, weder folgten die sozialen Praktiken der Wissensproduktion und -sicherung in der
Wissenschaft (allein) dieser idealtypischen Differenzierung (Latour/Woolgar 1979, Gieryn
1 Dies geschieht auf der Basis einer Untersuchung, die ich in enger Kooperation mit Peter Feindt und Jost Wagner im Rahmen des BMBF-finanzierten Projekts »Wissen für Entscheidungsprozesse: Ansätze zu einer dialogisch-reflexiven Schnittstellenkommunikation zwischen Wissenschaft und Politik« im Agrarbereich durchgeführt habe (vgl. Kropp/Wagner 2008b sowie Feindt/Freyer/Kropp/Wagner 2007).
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1999) noch sei das politische Mandat in einer von issenschaftlichen Kommissionen und
Gutachten geleiteten Politik vor der Herrschaft der Experten gefeit (zur Diskussion vgl.
Jasanoff/Wynne 1998, Weingart 2001, Bogner/Torgersen 2005), vermag das theoretisch
fundierte Argument nicht zu entkräften: Denn die Anerkennung von Entscheidungen muss
sich im einen wie im anderen Fall doch auf die zugrunde gelegten Systemrationalitäten der
Wahrheitsfindung hier und des Wählerwillens da beziehen.
Zudem gilt in der Moderne die vorangetriebene Arbeitsteilung und damit Trennung in
spezialisierte Funktionsbereiche als Erfolgsmodell. Schließlich hat sie dazu beigetragen,
sowohl die Wissenschaft der ursprünglichen Kontrolle durch Glaubenssätze und weltliche
Herrscher zu entziehen, als auch parallel dazu einen politischen Bereich zu etablieren, in dem
Entscheidungen über Ressourcenverteilungen und Handlungsbefugnisse zumindest
legitimatorisch mit der Überzeugung von Mehrheiten, nicht mit Zwang gleich welchen
Ursprungs begründet werden. In der Folge konnten in beiden Teilsystemen je verschiedene
Rationalitätsideale, Selektionskriterien und operative Leitbilder entstehen, die eigenlogisch
durch Komplexitätsreduktion eine Leistungssteigerung erlauben, die kommunikative
Anschlussfähigkeit dieser beiden »getrennten Welten« aber erschweren.
Die moderne Institutionalisierung von Wissenschaft und Politik (»Staat«) als weitgehend
unabhängige und getrennte Gesellschaftsbereiche beruhte dabei auf einem doppeltem
Leistungsversprechen: Es bestand im Anspruch, gegenüber dem als vormodern und
interessengebunden beschriebenen Ineinandergreifen von Herrschaft, Macht, Glauben und
Wissen durch die moderne Trennung in eigenlogische Funktionsbereiche überlegene
Problemlösungsangebote bereitzustellen und das Gemeinwohl gerade durch die Entgrenzung
des einen Bereichs aus der Vormundschaft des jeweils anderen zu mehren2. Als geradezu
selbstverständlicher Erfolg dieser gesellschaftlichen Modernisierung winkten im wörtlichen
Sinne »bahn-brechende« Leistungen, wenn erst die wissenschaftlich-technische Rationalität
der Aufklärung und die industrielle Entfesselung der Produktivkräfte die natürlich und sozial
gesetzten Grenzen überwunden hätten. Nicht nur Fortschritt und massendemokratischer
Wohlstand (vgl. Parsons 1975, Zapf 1986), auch »immerwährende Prosperität« (kritisch: Lutz
1984) und sogar das »Ende der Geschichte« (Fukuyama 1992) rückten in Reichweite (vgl. zur
»Moderne als Sozialmythos« Wehling 1992). Diese für moderne Gesellschaften konstitutive
2 Luhmann spricht diesbezüglich nicht von einem »Leistungsversprechen«, sondern von einer »Durchsetzungssemantik« (1997: 707) und beschreibt die sie begünstigenden historischen Konstellationen (ebd. 708ff.).
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Vorstellung eines Siegeszugs unparteilicher Rationalität auf der Basis entgrenzter
Funktionssysteme des Erkennens und Entscheidens kritisiert insbesondere Bruno Latour
(1995, 2001, 2005) und macht darauf aufmerksam, dass die Darstellung funktionsspezifischer
Rationalitäten (talk) als Deckmantel für deren kontinuierliche Vermischung (action) diene.
Bruno Latour (1995) zeichnet damit ein Bild von der modernen Gesellschaft, in dem die
technopolitische Gesellschaftsgestaltung auf der Hinterbühne gerade dadurch erfolgreich
bewerkstelligt werden könne, weil auf der Vorderbühne die Verantwortung zwischen den
getrennten Funktionssystemen von Wissenschaft und Politik mit ihren jeweils nur intern
anschlussfähigen Begründungen hin-und hergeschoben werde. Damit stellt sich die Frage,
was in jenen Schnittstellenbegegnungen der wissenschaftlichen Politikberatung geschieht, in
der die beiden Funktionssysteme – nur vordergründig oder in Anerkennung der tatsächlichen
Verflochtenheit – das Gespräch suchen. Welche Prozesse der Abgrenzung oder Entgrenzung
von Wissen lassen sich erkennen? In welcher Weise wird ein Wissen um Grenzen – des
Wissens und des Umgangs mit Wissensgrenzen – bearbeitet? Lassen sich tatsächlich
Differenzen von talk und action, von Vorder-und Hinterbühne identifizieren und wie äußern
sich die Akteure dazu? Bevor die Prozesse der Schnittstellenkommunikation zwischen
Wissenschaft und Politik näher betrachtet werden, zeichne ich zunächst einige der
diesbezüglich bereits zu Klassikern gewordenen Überlegungen nach und diskutiere sie vor
dem Horizont gegenwärtiger Probleme im »Zeitalter der Ungewissheit« (Nowotny et al. 2004;
Nowotny 2005).
Die Kooperation von Wissenschaft und Politik im Zeitalter der Ungewissheit
Wissenschaft und Politik galten im modernen Weltbild als Produktionsstätten von
technischem Fortschritt hier und sozialer Ordnung und Sicherheit da – so zumindest die
überspitzte Darstellung industriemoderner Mythen (vgl. Lyotard 1979). Diese arbeitsteilige
Selbstverständlichkeit ist zunächst durch die Rede von der ökologischen Krise in den 1970er
Jahren, dann auch in anderen Bereichen durch die kontinuierliche Selbstkonfrontation der
Moderne mit den von ihr produzierten Selbstgefährdungen (Beck 1987, 2007) und schließlich
durch den weltweiten Austausch von nun gar nicht mehr eindeutigen und
selbstverständlichen, sondern unhintergehbar pluralen und kontextabhängigen Gewissheiten
und Begründungsformen (Beck 1997, Beck/Lau 2004) in die Krise gekommenen. Parallel
dazu wurde auch das zunächst umstandslos vorausgesetzte, komplementäre Zusammenspiel
von Wissenschaft und Politik nach dem Modell des »speaking truth to power« (bspw.
Schelsky 1965) in Frage gestellt, für »transscience questions« (Weinberg 1972)
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problematisiert und geriet unter den generellen Verdacht einer wechselseitigen Überformung
(Weingart 1983, 2001).
Demgegenüber brachte Jürgen Habermas (1969) im Rahmen seiner idealtypischen
Unterscheidung von drei Modellen der Politikberatung das synthetisierende, »pragmatistische
Modell« in die Diskussion, das bis heute die Debatte über die Expertenrolle in der
wissenschaftlichen Politikberatung strukturiert (vgl. Falk et al. 2006, Renn 2007 sowie May
in diesem Band). Während das »technokratische« Modell den politischen Bereich zur
Exekutive des wissenschaftlich-technischen Sachverstands mache, das »dezisionistische«
spiegelbildlich die Instrumentalisierung des Expertenwissens für politische
Entscheidungsprozesse konzeptualisiere, denkt das pragmatistische Modell einen iterativen,
dialogischen Prozess vor. In diesem entwickeln Entscheider und Experten in einem
voraussetzungsreichen »Übersetzungsprozess zwischen Wissenschaft und Politik« (Habermas
1969: 137) Antworten auf Entscheidungsprobleme. Und zwar geschehe dies, und dieser
insgesamt wenig rezipierte Hinweis erscheint unter der hier verfolgten Fragestellung
wesentlich, vor dem Hintergrund einer »Dauerkommunikation zwischen den politisch in
Anspruch genommenen Wissenschaften und einer informierten Öffentlichkeit« (Habermas
1969: 130). Habermas sensibilisiert also in seinen Ausführungen zum einen für die
schrittweise Sondierung, problemorientierte Weiterentwicklung und kontinuierlich an
teilsystemübergreifender Bearbeitung orientierte Entwicklung eines von den Vertretern des
politischen wie des wissenschaftlichen Bereichs mehr oder weniger geteilten
Problemverständnisses, das auf beiden Seiten erst im Zuge dieses Austauschs zur Artikulation
kommt. Zum anderen betont er die Rolle der Öffentlichkeit in diesem Prozess:
»Der Übersetzungsprozess zwischen Wissenschaft und Politik ist in letzter Instanz auf
öffentliche Meinung bezogen. Diese Beziehung ist ihm nicht, etwa mit Rücksicht auf die
geltenden Normen einer Verfassung, äußerlich; sie ergibt sich vielmehr immanent zwingend
aus den Erfordernissen der Konfrontation technischen Wissens und Könnens mit einem
traditionsabhängigen Selbstverständnis, aus dessen Horizont die Bedürfnisse als Ziele
interpretiert und die Ziele in Gestalt von Werten hypostasiert werden.« (Habermas 1969: 137,
Hervorh. im Original).
Erweitert man diesen richtungsweisenden Text um die 40 Jahre Erfahrung in der
Weltrisikogesellschaft, gerät insbesondere »die Suche nach der verlorenen Sicherheit« (Beck
2007) durch die öffentliche Anerkennung a) der Kontingenz von Gewissheiten und b) der
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dringenden Auseinandersetzung mit bis dato ausgeblendeten Alternativen der
Gesellschaftsentwicklung in den Fokus – und dies nicht erst in der gegenwärtigen Finanz-und
Wirtschaftskrise. Die Öffentlichkeit der späten 1960er und 1970er Jahre begann sich gerade
zu wandeln: Die ökologische Frage wurde virulent, aber auch andere ausgeblendete Dritte
gerieten in die Aufmerksamkeit einer zunächst vom Wirtschaftswachstum hypnotisierten
Öffentlichkeit, etwa die Produktivität weiblicher Hausarbeit, die Ausbeutung der
kolonialisierten Entwicklungsländer und die möglichen Vorwürfe zukünftiger Generationen.
»Die Gespräche der Staatsbürger untereinander« (Habermas ebd.) zersetzen seither sukzessive
den zunächst unhinterfragten Fortschrittskonsens und bereiteten der Entstehung einer neuen
regulativen Idee den Boden, die seit dem »Erdgipfel« in Rio de Janeiro 1992 (UNCED, UN
Conference on Environment and Development) weltweit unter der wenig anschlussfähigen
Etikette »Nachhaltige Entwicklung« an Bedeutung gewinnt.
Das Vertrauen in die Funktionalität der spezialisierten Teilbereiche, in die Legitimität ihrer
Ceteris-paribus-Prämissen und die nationalstaatlichen Scheuklappen ist unter
weltrisikogesellschaftlichen Bedingungen erodiert und öffnet in der entstehenden
»Weltbürgergesellschaft« (Beck 2007: 154) die öffentliche Meinung für Deutungsangebote,
die gerade das wissenschaftlich-technische Wissen und Können und das ihm zur Seite
gestellte politische Selbstverständnis mit anderen Bezugspunkten und Geltungskriterien
konfrontieren3. Die Pluralisierung der implizit zugrunde gelegten Geltungskriterien durch
verschiedene Ansätze der Erkenntniskritik, aber auch durch die vielfältigen Erfahrungen mit
nicht-intendierten Folgen beiderlei Leistungsversprechen untergraben in den Öffentlichkeiten
den auf Wissenschaft und Politik gerichteten Erkenntnis- und Steuerungsoptimismus. Der
davon in Gang gesetzte Prozess der Aushöhlung des wissenschaftlichen wie des politischen
Leistungsanspruchs unterwirft bis in die Prozesse der wissenschaftlichen Politikberatung
hinein den Modus Operandi der Beratung – und zwar vielfach noch vor der
gegenstandsbezogenen Auseinandersetzung – heftigen Debatten um die zugrunde gelegten
Spielregeln und Gesellschaftskonzepte. Diese neue Situation ließ sich zum
3 Es sei nicht verschwiegen, dass Habermas die Anwendung des pragmatistischen Modells aufgrund des von ihm ein Jahr zuvor beschriebenen »Strukturwandel[s] der Öffentlichkeit« (1968) pessimistisch einschätzte: »Die Entpolitisierung der Masse der Bevölkerung und der Zerfall einer politischen Öffentlichkeit sind Bestandteile eines Herrschaftssystems, das dazu tendiert, praktische Fragen aus der öffentlichen Diskussion auszuschließen. Der bürokratisierten Ausübung der Herrschaft entspricht vielmehr eine demonstrative Öffentlichkeit, die bei einer mediatisierten Bevölkerung für Zustimmung sorgt« (1969: 138f.).
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Jahrtausendwechsel im Anschluss an die Doppelkrise von »Rinderwahnsinn« (BSE) und
Maul-und-Klausenseuche besonders gut im Agrarbereich erforschen.
Das Misstrauen der Öffentlichkeit und der Medien in die Lösungskapazitäten von
Wissenschaft und Politik erreichte hier in der Folge der Krisen um BSE und Nitrofen im
Sommer 2001 einen neuen Höhepunkt. Insbesondere die apokalyptischen Bilder von
gewaltigen Scheiterhaufen, auf denen Rinder zu Abertausenden nach politischer Vorgabe
verbrannt wurden, weil sie durch die für den Menschen ungefährliche Maul-und Klauen-
Seuche von Ansteckung bedroht waren, stellten die Wissens- und Entscheidungskriterien in
Frage. Zur Debatte stand einmal mehr das Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik in
den schwierigen Prozessen der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung unter
Bedingungen von unübersehbarer Bewertungsambivalenz, aber auch von Komplexität und
wissenschaftlich nicht auszuräumender Unsicherheit. Zur Debatte stand aber auch, ob und wie
es in Wissenschaft und Politik zumindest künftig gelingen könne, die je eigenen
Binnenrationalitäten wie auch die Hegemonie marktwirtschaftlicher Überlegungen zu
überwinden, um neue natur-, tier- und verbrauchergerechte Entscheidungskriterien zu
entwickeln. Damit wurde öffentlich Kritik sowohl an der politischen Entscheidungspraxis als
auch am wissenschaftlichen Umgang mit Ungewissheit bzw. der Risikoproblematik geübt,
auch an der klientelistischen Agrarpolitik und vor allem an dem allzu betriebsblinden
Festhalten an nur einer Entwicklungsperspektive, nämlich der Sicherung der
Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten durch daran orientierte Produktivitätssteigerungen
und Standards. Auch wissenschaftliche Studien kamen zu dem Ergebnis, dass die
Agrarskandale der vergangenen Jahre die vielfach beschriebenen Missstände der
herkömmlichen Formen der Erzeugung und Kommunikation von wissenschaftlichem Wissen
noch einmal paradigmatisch vor Augen geführt haben (vgl. Adam 1998, Dressel 2002,
Böschen/Viehöver/Zinn 2002). Für diese Autoren zeigte sich an den Skandalen überdeutlich,
dass die Agrarforschung allzu spezialisierten, naturwissenschaftlichen Fragestellungen folge,
die sich vorwiegend an der Weiterentwicklung einzelner Technologien, an einem bestimmten
Entwicklungsparadigma und den damit verknüpften Interessen der Agrarlobby orientiere, die
damit verbundenen Folgeprobleme und Risiken aber ausblende.
Mit der Programmatik der »Agrarwende« hat die damalige rot-grüne Regierungspolitik die
mediale Skandalisierung der agrarpolitischen Praktiken als »window of opportunity« genutzt,
um eine entscheidende Kurskorrektur in Richtung auf eine multifunktionale, nachhaltige
Landwirtschaft einzuleiten. In der Konsequenz geriet der gesamte Bereich unter erheblichen
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Veränderungs-und Legitimationsdruck. Institutionell wurde dies unter anderem durch die
Neugründung des Bundesinstituts für Risikobewertung und des Bundesamtes für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit dokumentiert, deren zentrale Aufgabe in der
Sensibilisierung für die Nebenfolgenproblematik und konkreter für den Verbraucherschutz
liegt. Diese »tief greifende Neuorientierung« wurde vom damaligen Bundeskanzler Gerhard
Schröder, seiner neuen Agrarministerin Renate Künast und dem Mediendiskurs im Rahmen
der gewählten Wende- Rhetorik als Abkehr von »industriellen Produktionsweisen« in der
Landwirtschaft gerahmt. Tatsächlich rief der Bundeskanzler nur sechs Tage, nachdem am 24.
November 2000 eine BSE-Erkrankung bei einem in Deutschland geborenen Kalb festgestellt
worden war, dazu auf, die Krise zu nutzen, »um eine Perspektive für eine andere,
verbraucherfreundliche Landwirtschaft zu entwickeln, also weg von den Agrarfabriken zu
kommen« (Plenarprotokoll des Dt. Bundestags 14/137, S. 13446). Der »vorsorgende
Verbraucherschutz« wurde zum politischen Primat erklärt (vgl. Künast 2001) und erzwang
auch in der politikberatenden Ressortforschung die Auseinandersetzung mit – bis dahin
weitgehend marginalisierten – Perspektiven aus dem Kontext des ökologischen Landbaus und
an Nachhaltigkeit orientierter Landnutzungssysteme. Während bisher die Forschung
maßgeblich die Industrialisierung und Intensivierung der Landwirtschaft unterstützt hatte,
wurde ihr nun der Auftrag zuteil, eine ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft zu forcieren
und den Verbraucherschutz zu stärken (vgl. Nieberg 2006). Von Seiten der Forschung wurden
die neuen Schwerpunktsetzungen zum Teil massiv abgelehnt (Jahrbuch Ökologie 2002a),
zum Teil nachdrücklich begrüßt (Jahrbuch Ökologie 2002b). Die öffentlich ausgetragene
Kontroverse machte sichtbar, dass die wissenschaftliche Politikberatung schon vor der
Agrarwende über kein einheitliches Paradigma verfügte, sondern in ähnlicher Weise von
gegensätzlichen Problemwahrnehmungen und Werthaltungen geprägt war wie die politische
Arena selbst. Schon bald nach der politischen Neuausrichtung zentraler Organe der
politischen Entscheidungsfindung wurden gleichermaßen in den politischen Behörden wie in
den Ressortforschungseinrichtungen und insbesondere in den drei neuen wissenschaftlichen
Beiräten4 des umbenannten Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft virulente Such- und Orientierungsprozesse sichtbar, in denen um neue
4 Im Laufe des Jahres 2003 wurden drei neue wissenschaftliche Beiräte im Landwirtschaftsministerium etabliert: Neben einem Beirat für Agrarpolitik, Nachhaltigen Landbewirtschaftung und der Entwicklung ländlicher Räume wurden ein Beirat für Verbraucher- und Ernährungspolitik und ein Beirat für Biodiversität und Genetische Ressourcen eingerichtet. Die Beiräte sind gehalten, ihre Arbeit miteinander abzustimmen. Zudem gab es zumindest bis 2006 personelle Überschneidungen.
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integrative Leitlinien und Rahmenlegungen für die gemeinsame Erarbeitung von Handlungs-
und Entscheidungswissen gerungen und gestritten wurde.
Ob die proklamierte »Agrarwende« und die davon ausgelösten Veränderungen in der
Agrarforschung wie in der Schnittstellenkommunikation von Wissenschaft und Politik nur
vorübergehende Phänomene, konjunkturelle Reaktionen auf öffentliche Skandaldiskurse
waren, oder ob die Verunsicherung von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit zu einer
langfristigen Herausbildung neuer institutioneller Formen einer dialogisch-reflexiven
Wissenskommunikation führt, bleibt weiterhin eine offene Frage (vgl. Kropp/Schiller/Wagner
2007). Auf jeden Fall bot sich eine exemplarische Untersuchung von Expertenrollen in der
wissenschaftlichen Politikberatung unter Bedingungen der Reflexiven Moderne im
Agrarbereich an, weil in diesem Sektor beide Funktionsbereiche durch die von den
Risikoskandalen ausgelösten Funktions- und Legitimationskrisen (vgl. Kropp/Wagner 2005)
in besonderem Maße unter Druck standen, ihr Handeln und ihre Orientierungen neu zu
legitimieren und sich für neue Anforderungen und Leitbilder zu öffnen. Im Zuge der stärkeren
politischen Gewichtung von Umwelt-, Tier-und Verbraucherschutzinteressen stellten sich
insbesondere drei Fragen für die Schnittstellenkommunikation zwischen Wissenschaft und
Politik:
• Wie können sich der politische Prozess und die auf Politikberatung zielende Forschung für
ungewollte Nebenfolgen, Nichtwissen und Risiken sensibilisieren und die neuen
gesellschaftlichen Anforderungen an umfassendere Beurteilungsperspektiven integrieren?
• Inwieweit entstehen in den Prozessen der Wissenserzeugung und der
Wissenskommunikation stärker reflexive, dialogische und folgensensiblere Verfahren, die zu
einem bewussten Umgang mit den Grenzen des Wissens führen (vgl. Wagner/Kropp 2007)?
• Und in welchen Prozessen der Schnittstellenkommunikation können sich offenere Formen
der Wissenserzeugung und -kommunikation für einen reflexiven Umgang mit Unsicherheiten
und Bewertungsambivalenzen in der Politikgestaltung für ein so komplexes Handlungsfeld
wie das der Landwirtschaft entwickeln?
Dass nicht alleine der Agrarbereich mit den Problemen unauflösbar verschiedener
Perspektiven und Bewertungsmaßstäbe, erhöhter Komplexität und unabschließbarer
Nebenfolgen konfrontiert ist, sondern in pluralistischen Gesellschaften im globalen Zeitalter
generell besondere Anforderungen an die wissenschaftliche Politikberatung gestellt sind, zeigt
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die neu entflammte Debatte zur Expertise in der Politik (Heinrichs 2002, Bechmann/Hronsky
2003, Maasen/Weingart 2005, Mayntz et al. 2008 sowie Weingart/Lentsch 2008). Ein
Resultat dieser neuerlichen Betrachtung sind viele aktuelle Untersuchungen der Interaktion
von Wissenschaft und Politik, in denen die ambivalenten Folgen der verschiedenen
Orientierungsmuster und Selektionskriterien, aber auch der neue Charakter von Expertise
jenseits einer sich selbst verbietenden Haltung von Autorität und Objektivität deutlich werden
(Falk et al. 2006, Collins/Evans 2007, Pielke 2007, Kropp/Wagner 2008,
Bogner/Menz/Schumm 2008, Patzwald 2008, Buchholz 2008).
Dennoch gilt »Wissen« weiterhin als zentraler Bezugs- und Angelpunkt von Prozessen der
Entscheidungsfindung in modernen Gesellschaften – noch können »Werte« diesen Platz nicht
zurückerobern. Dabei ist es heute eine soziologische Binsenweisheit, dass – anders als es
noch Karl Mannheim oder Daniel Bell erwartet hatten – mit dem Mehr an Wissen keinesfalls
ein Mehr an »Gewissheit« und Entscheidungssicherheit gewonnen werden kann, sondern eher
das Nichtwissen deutlicher hervortritt (vgl. detailliert Wehling in diesem Band). Der
Einbezug von Expertenwissen in die Entwicklung und Begründung politischer
Entscheidungen ist aber nach wie vor zumindest legitimatorisch unverzichtbar – insbesondere
dort, wo weit reichende Entscheidungen zu komplexen Zusammenhängen unter
Veränderungsdruck anstehen. In der politischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung
wird wissenschaftliches Wissen daher trotz der Kritik und Relativierung seiner Erzeugungs-
und Geltungsansprüche als überlegene Grundlage der politischen Beurteilung und
Problemlösungsfindung markiert.
Zugleich stellt sich seine politische Verwendung im Zuge einer in der Reflexiven Moderne
auf die Wissenschaften übertragenen »Religionskritik« (Ulrich Wengenroth) nach einigen
stärker technokratisch orientierten Jahrzehnten und entgegen der These einer enger
werdenden Koppelung beider gesellschaftlichen Teilbereiche autonomer dar (Kropp/Wagner
2008a, Bogner/Menz/Schumm 2008 und auch Beck/Bonss 1984). So ist in Politik, Medizin,
Jedermanns Alltag und nun auch in den Finanzwelten bekannt, dass mit der Zahl der
befragten Experten auch die Zahl der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte, der
Bewertungsperspektiven, möglichen Risiken und erkannten Nichtwissensbereiche, kurz die
Unsicherheit wächst. Empirisch wird daher schnell evident, dass eine wissenschaftliche
Politikberatung zum Scheitern verurteilt ist, die sich auf das Formulieren belastbarer Befunde
und das Referat über Fachwissen beschränkt. Der aktuell großen Nachfrage nach
wissenschaftlicher Politikberatung kann es schließlich nicht länger um den Transfer von
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offensichtlich plural und umstrittener gewordenen wissenschaftlichen Kenntnissen in die
Praxis gehen, sondern um das Aufzeigen von Handlungsperspektiven im Angesicht dieser
Vielstimmigkeit und um Orientierung in einer insgesamt als komplexer, dynamischer und
kontingenter erlebten Welt.
Expertenrollen aus der Sicht von Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft
Jedoch wird die Einschätzung, dass den Inhalt der Expertenrolle in der Reflexiven Moderne
daher die Perspektivenöffnung und die entscheidungsorientierte Sichtung weniger von Wissen
als von verschiedenen Wissensangeboten und Nichtwissenskenntnissen bestimmen müssten,
nicht von allen Beteiligten fraglos geteilt. So konstatieren auch Renate Martinsen und Dieter
Rehfeld sehr vorsichtig: »Die Frage, ob die ratsuchende Politik eher an substanziellen
Empfehlungen für anstehende Probleme oder an der Eröffnung alternativer Deutungsoptionen
interessiert sei, ist sicherlich in hohem Grade kontextbezogen zu beantworten, d.h. sie dürfte
abhängig sein von konkreten institutionellen Beratungssettings sowie von der Dynamik des
sozio-strukturellen Wandels« (Martinsen/Rehfeld 2006: 56).
Vor diesem Hintergrund habe ich gemeinsam mit Jost Wagner in den Jahren 2005 – 2007
verschiedene teilnehmende Beobachtungen, insgesamt 39 offene Interviews mit
wissenschaftlichen Politikberatern und Entscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung
sowie eine von uns mit Vertretern dieser Bereiche durchgeführte Konferenz unter der
Fragestellung ausgewertet, unter welchen institutionellen Bedingungen (»Beratungssettings«)
und im Rahmen welcher Handlungsorientierungen wissenschaftliche Experten Wissen und
Nichtwissen in die Prozesse der politischen Willensbildung und Entscheidungsfindung
kommunizieren und inwiefern diese Expertise dort aufgegriffen wird. Dabei zeigten sich
deutliche Unterschiede in der Aufbereitung, Formulierung und Verwendung des von den
Wissenschaftlern und Experten in Kooperation mit dem politischen Bereich angebotenen
(Deutungs-) Wissens und Nichtwissens je nachdem, welche Funktionalität dem
Expertenwissen von der wissenschaftlichen und politischen Seite zugeschrieben wurde
(Kropp/Wagner 2008a). Auf der Grundlage unserer Auswertung konnten wir schließlich die
These formulieren, dass in den untersuchten Prozessen der Schnittstellenkommunikation die
Vertreter beider Bereiche in bestimmte »Rollen« mit dazugehörigen Handlungsorientierungen
und -erwartungen gedrängt werden, die den Austausch von »Wissen« und die Thematisierung
von »Grenzen des Wissens« in besonderer und vermutlich auch auf andere Bereiche
übertragbarer Weise bestimmen.
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In der Untersuchung zeigte sich die Rolle und Bedeutung von wissenschaftlicher Expertise als
»institutionelle Kompetenz der Konstruktion von Wirklichkeit« (Hitzler 1994) unter
risikogesellschaftlichen Bedingungen grundsätzlich in Frage gestellt: Politiker beurteilten sie
mitunter leichtfertig als »verzichtbar«, »beliebig« oder »generell wenig hilfreich« – nicht
selten, um im nächsten Satz zu berichten, wie sie demgegenüber im informellen Gespräch bei
ihnen persönlich bekannten Wissenschaftlern Erkundigungen einziehen (dazu später mehr).
Während bei den parteienpolitisch geprägten Befragten fast durchgängig eine große Distanz
zur Wissenschaft geäußert und auch verteidigt wird (»wenn ich den Koalitionsvertrag kenne,
brauche ich keine Wissenschaft«), arbeiten Vertreter der politischen Administration vielerorts
eng mit der Agrarwissenschaft zusammen. Die öffentliche Meinung zur Expertise in der
Politik mag differenzierter sein, als dies von den Medien repräsentiert werden kann. Dort aber
werden große Vorbehalte gegenüber der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik
kolportiert. So befürchte die Öffentlichkeit insbesondere eine geheime Allianz der beratenden
Wissenschaftler wahlweise mit der Politik oder der Wirtschaft. Ihre Interessen des
Verbraucherschutzes und der an Zukunftsfähigkeit orientierten Gestaltung der Landwirtschaft
wähne sie – insbesondere in Zeiten der Krise – in dieser Kooperation verraten. Dabei wird
den kritischen Öffentlichkeiten eine deutliche Nähe zu »Gegenexperten« nachgesagt und sie
scheinen eher solchen Experten zu vertrauen, die nicht aus den großen Einrichtungen
stammen.
Die Experten selbst nehmen die »Legitimationskrise« der politikberatenden Wissenschaft
ebenfalls wahr, bewerten sie in unseren Interviews aber unterschiedlich. Zum einen werden
gestiegene Anforderungen an die Verbreitung ihrer Erkenntnisse unter dem nun auch in die
Wissenschaften übertragenen Diktat des Marktes beklagt. So müssten Wissenschaftler immer
häufiger als »Unternehmer ihrer Forschungsperspektive« auftreten. Zum anderen werden neue
Zumutungen der öffentlichkeitswirksamen Darstellung und Inszenierung von Expertise
betont, um unter Bedingungen stärker umkämpfter Aufmerksamkeit überhaupt Gehör zu
finden. Auch im Gespräch mit Politikern sei es häufig schwierig, das vorhandene Wissen mit
der notwendigen Umsicht aufzubereiten: »hier sind kleinere Brötchen gefragt« (Interview).
Schließlich berichten sie von einer die effektive Politikberatung erschwerenden
Perspektivenvielfalt und Konkurrenz mit weiteren Anbietern. Immerhin konkurrieren im
untersuchten Feld Vertreter der Universitäten, Fachhochschulen,
Ressortforschungseinrichtungen und freie »ThinkTanks« um knapper werdende Mittel und
schwindende Anerkennung eines historisch seit jeher stark auf Politik-und Praxisberatung
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ausgerichteten Wissensangebots. Zudem, so unsere Informanten, drohten die verschiedenen
»Mutterdisziplinen« wie bspw. Biologie, Pflanzenzucht, Ökonomie die
anwendungsorientiertere »Agrarwissenschaft« schon wegen der hier schlechteren
Publikationschancen hinter sich zu lassen und erschwerten in ihrer dynamischen Entwicklung
den Blick auf größere Zusammenhänge, den die agrarwissenschaftliche Politikberatung aber
verlange. Schließlich käme die explosionsartige Vermehrung von auf die Landwirtschaft
bezogener Expertise im Europa der 25 hinzu.
Jenseits dieser ihrem eigenen Tun äußerlichen Rahmenbedingungen zeigen sich in der
Auswertung der Gespräche jedoch auch sehr verschiedene interne Selbstverständnisse bei den
wissenschaftlichen Beratern und Beraterinnen. Sie definieren ihre Expertenrolle verschieden
und sehen in der Konsequenz auch unterschiedliche Erwartungen an sie herangetragen. Die
vergleichende Auswertung erlaubte schließlich die Typisierung von drei verschiedenen
Interpretationsformen der auf die agrarwissenschaftliche Politikberatung zielenden
Expertenrolle (vgl. Kropp/Wagner 2008a: 182f.):
• »Experten als Dienstleister«: In dieser Haltung greifen politikberatende
Agrarwissenschaftler direkt politisch formulierte Zielvorstellungen und Handlungsvorgaben
auf und übersetzen sie im Selbstverständnis einer »Hilfstruppe der Politik« (Interview) in
wissenschaftlich bearbeitbare Forschungsfragen. Dabei geht es um die wissenschaftliche
Begleitung und Kommentierung politischer Konzepte sowie um die Untersuchung ihrer
Realisierungsbedingungen. Insbesondere in Ressortforschungseinrichtungen verstehen sich
die Befragten solchermaßen als »wissenschaftliche Dienstleister der Politik« (Interview) und
nehmen in der Folge politische Fragestellungen nicht nur auf, sondern antizipieren diese
bereits. Aber auch Experten aus den Universitäten zielen in der in ihrem Selbstverständnis
»per se anwendungsorientierten Querschnittsdisziplin« (Interview) durch die Vorbereitung
problemorientierter Antworten auf politische Entwicklungen und Fragestellungen auf
Legitimität im Fachkollegium und in der Öffentlichkeit. Im Ergebnis sind ihre
Forschungsentscheidungen stark darauf bezogen, Informationen und technisches Wissen zu
unterschiedlichen landwirtschaftlichen Fragen zu sammeln und im Rückgriff auf groß
angelegte Monitoringsysteme auch kurzfristig bereitstellen zu können. Viele
Entscheidungsträger aus Politik und Verwaltung honorieren diese analytischen
Beschreibungsleistungen. Zugleich beklagen sie, man sei vielfach zwar »gut informiert,
allerdings noch lange nicht beraten« (Interview). Zwar verfüge man über einen breiten
Beratungsapparat, im Ergebnis habe man aber ein recht unübersichtliches System der
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Wissensproduktion, das die eigentliche politische Erwartung nach Übersicht und Orientierung
– gerade angesichts eines vor allem international nicht mehr überschaubaren
Deutungsangebots – nicht erfülle.
• »Wissenschaftler als Konzeptunternehmer«: Eine andere Interpretation der Expertenrolle
führt auf Seiten der Wissenschaft zu der handlungsleitenden Erwartung, gerade aus der
Distanz zu politischen Zielvorstellungen fruchtbare Beiträge leisten zu können. Die Vertreter
dieser Interpretation der Expertenrolle setzen die gegenwärtige Politikformulierung »zunächst
in Klammern« (Interview) und gehen demgegenüber stärker von in der Wissenschaft
formulierten Problemdefinitionen oder in der eigenen agrarischen Praxis gewonnenen
Relevanzsetzungen aus. Sie vergleichen diese Problemverständnisse mit den Diskursen der
politischen Arena und investieren vor allem in alternative Ideen und Konzepte, die noch nicht
auf der politischen Agenda stehen. Dabei hoffen sie, dass die Kenntnisse über Wissenslücken
und Risiken in der Zukunft von der Politik aufgegriffen werden und dann möglicherweise
auch der eigenen Karriere zugute kommen: »Ein Wissenschaftler ist wie ein Unternehmer, der
Produktlinien entwickelt, in der Hoffnung, dass sie irgendwann ein Renner werden, dass die
Zukunft das Problem wahrnimmt und Lösungen braucht.« (Interview)
Auf politischer Seite führt eine solche Positionierung unter Umständen dazu, dass der
jeweilige Wissenschaftler nur beauftragt wird, wenn Interesse an dem von ihm vertretenen
Konzept, nicht aber an einer generellen Einschätzung besteht: »Wenn ich weiß, da arbeitet ein
Wissenschaftler auf einem bestimmten Gebiet, der hat die und die Position und dem gebe ich
ein Gutachten, weiß ich auch ungefähr, was bei diesem Gutachten rauskommt.« (Interview)
Damit wird in den Augen der Politik die um ihrer vermeintlichen Unabhängigkeit
nachgefragte Expertise offensichtlich wählbar. Zum anderen liegt diesem Verständnis der
Expertenrolle auf Seiten der Wissenschaftler die Einschätzung zugrunde, dass
wissenschaftliche Berater »Politikkonzepte kreativ vorbereiten, ausgestalten und empfehlen
würden. In der Regel werden sie jedoch politisch motivierte strategische Neuausrichtungen
kommentieren müssen und Wege zu deren Realisierung erarbeiten, ohne die politischen
Vorgaben in jedem Fall als richtig zu erachten« (Köpke 2007: 117) – so ein erfahrener
Experte.
• »Wissenschaftler als Gegenexperten«: Schließlich lässt sich eine dritte Form der
Ausgestaltung der wissenschaftlichen Beraterrolle identifizieren, die explizit die Kritik am
herrschenden Paradigma betont und nach konzeptionellen Alternativen sucht – beispielsweise
14
zur vorherrschenden Weltmarktorientierung. Dieser Expertentypus stand in der Entwicklung
der Einsichten in die wissenspolitischen Dynamiken der Reflexiven Moderne Pate (vgl. Beck
1987 sowie van den Daele 1996). Insbesondere Dissidenten des wissenschaftlichen
Mainstreams verkörperten die neuen Spannungen in einer pluralisierten Wissenschaft. Dabei
wurde schon früh deutlich, dass es in dieser Expertenrolle, die heute auch der
wissenschaftliche Mainstream zulässt, nicht nur um (begrenztes) Fakten-, sondern auch um
(entgrenztes) Deutungswissen geht. So wird und wurde beispielsweise auch in den
Kerneinrichtungen der politikberatenden Agrarforschung längst zum ökologischen Landbau
geforscht – nicht zuletzt, um die dominanten Perspektiven anhand grundsätzlich anders
ausgerichteter landwirtschaftlicher Praktiken und Methoden fundiert kritisieren zu können.
Zur Aufgabendefinition solcher kritischen bzw. »eigenverantwortlich an
gesamtgesellschaftlichen Zielvorstellungen orientierte[n]« (Köpke 2007: 118) Politikberater
gehört, wie ein weiterer Befragter im Konferenzband ausführt, aus Verantwortung gegenüber
der Öffentlichkeit, »nicht nur eine konkrete Nachfrage von Seiten der Politik zu erfüllen, …
[sondern auch] Fehler auf der konstitutionellen Ebene aufzudecken, Anregungen für die
öffentliche Politikdebatte zu geben und auch Kritik am eingeengten Blickwinkel von
Interessengruppen oder auch vom Fachministerium zu üben« (Thoroe 2007: 105)
Dieses Selbstverständnis der Expertenrolle wird von der Vorstellung motiviert, durch die
eigene Expertise in der Politik Veränderungsprozesse anzustoßen. Dem entspricht, dass derlei
Gegenexpertise nicht nur von der politischen Administration, sondern häufig auch von
Opposition oder Nichtregierungsorganisationen nachgefragt wird. Die Befürchtung einer
»politischen Instrumentalisierung der Experten« wird dabei besonders häufig geäußert.
Die Typologie macht sichtbar, dass die verschiedenen Definitionen der Expertenrolle
gleichermaßen zu »Politisierung« und zu »Verwissenschaftlichung« von Expertise in je
unterschiedlichen »Mischungsverhältnissen« führen. Dementsprechend kommentiert ein
befragter Wissenschaftler seine Darstellung der problemorientierten Zuspitzung und
Aufbereitung wissenschaftlichen Wissens in beratender Intention mit den Worten: »Na ja, wir
sind da – nicht ein Zwischending, aber ein Beides-Ding. [...] Wir sind jetzt nicht rein
Wissenschaftler und auch nicht Politiker.« (Interview). Damit bestätigt er die Befunde von
Renate Mayntz: »Die Trennung von Wissenschaft und Politik, von wissenschaftlichem
Wissen und politischen Leitbildern (›facts and values‹), ist eine Konstellation, die in der
Beratungspraxis in Reinform kaum anzutreffen ist…« (Mayntz 1994: 17f.).
15
Überraschenderweise erweisen sich das Verständnis von »Expertise« und die daraus
abgeleiteten Erwartungen an das eigene Handeln bei den befragten Agrarexperten kaum von
deren institutionellen Hintergründen und den hier organisatorisch vorgegebenen Leitbildern
bestimmt. Vielmehr betonen die meisten Befragten, in der Themen- und Methodenwahl über
große Spielräume zu verfügen und nicht unter institutionellen Beschränkungen zu leiden. Es
sei aber schwierig, innerhalb der vielfach aufgegliederten Agrarforschung Überschneidungen
und Doppelforschungen zu vermeiden bzw. auch über Bundesländergrenzen hinweg das auf
Politikberatung zielende Forschungsgeschehen zu koordinieren.
Die Untersuchung macht damit bereits an dieser Stelle zweierlei deutlich: Erstens wird weder
das technokratische Modell einer verwissenschaftlichten Politik noch das einer politisierten
Wissenschaft den vielfältigen Interpretationen der Expertenrolle, ihrer gegenstandsbezogenen
Ausgestaltung und den zugrunde gelegten Möglichkeiten im untersuchten Feld gerecht.
Tatsächlich sind die Momente der Schnittstellenkommunikation von Wissenschaft und Politik
vielfältig: In einem mehr oder weniger diskontinuierlichen, iterativen Prozess werden dabei
auf beiden Seiten Gelegenheiten genutzt, um getreu dem eigenen Verständnis Einfluss auf die
Entwicklung von Politikkonzepten zu nehmen – sei es durch deren wissenschaftliche
Exploration im Sinne der politisch formulierten Interessen oder durch deren
eigenverantwortliche Kommentierung, Erweiterung oder Kritik. Welches Grundverständnis
der Beratungsrolle die Experten dabei an den Tag legen, ist empirisch weniger von
vorgegebenen Forschungsrahmenplänen, organisatorischen Strategien oder dem jeweiligen
Gegenstand abhängig als von biographisch-sozialisatorischen Erfahrungen. Wissenschaftler
und wissenschaftliche Berater zeigen sich dabei oftmals von frühen universitären Erfahrungen
und im Karriereverlauf verfestigten konzeptionellen Denkgebäuden geleitet, die als eine Art
»intellektuelle Ehe« die Aufmerksamkeitshorizonte, Bewertungsschemata und Netzwerke
prägen. Diese bestimmen nicht nur, welche Art von Wissen produziert wird, sondern auch,
nach welchen Kriterien die Wissenschaftler die gesellschaftliche Welt der Landwirtschaft
deuten und politische Empfehlungen erarbeiten.
Zweitens bestehen offensichtlich Spielräume der Ausgestaltung der Expertenrolle, in deren
Rahmen der politischen Entscheidungsfindung gleichermaßen »substanzielle[n]
Empfehlungen für anstehende Probleme« und die »Eröffnung alternativer Deutungsoptionen«
(vgl. Martinsen/Rehfeld 2006: 56) angeboten werden können. Ein genauerer Blick in die
Interaktionen der Schnittstellenkommunikation, der im nächsten Abschnitt folgt, lässt
16
allerdings erkennen, dass diese Spielräume wesentlich vom politischen Prozess und seinen
Notwendigkeiten geprägt sind.
Expertenrollen im politischen Prozess
Zunächst wird eine über weite Strecken inhaltlich überraschend unspezifische Nachfrage der
Politikberatung erkennbar, so dass die Politikkonzepte im Rahmen vielfältiger Interaktionen
von Politik, Öffentlichkeit und Wissenschaft durch Beiträge aller Seiten entwickelt,
sukzessive konkretisiert und erst nach und nach ausformuliert werden. Dies geschieht nicht in
einem luftleeren Raum, sondern in starker Prägung durch politische Pfadabhängigkeiten,
durch Bewegungen in der politischen Landschaft und nach Maßgabe von politischen
Gelegenheiten und politikexternen Impulsen, die im untersuchten Sektor niemals auf die
Nationalgesellschaft beschränkt gesehen werden können. Die zwar diskontinuierliche und auf
personeller und thematischer Ebene mitunter gebrochene Dauerkommunikation von
Agrarwissenschaft und Agrarpolitik, die nicht zuletzt von einer häufigen Kreuzung der
Biographien ihrer Vertreter geprägt ist, führt dabei nicht zu einer »Verwendung«
wissenschaftlicher Expertise, sondern zu einer typisierbaren »Verwandlung«
wissenschaftlichen Wissens (ähnlich Beck/Bonss 1984). In diesen Prozessen der
Meinungsbildung und Entscheidungsfindung ko-evoluieren die wechselseitigen Beiträge in
starker Abhängigkeit der institutionell definierten Beratungssettings und der von ihnen
bestimmten Leistungserwartungen. Im Rahmen gemeinsamer Anpassungs- und
Konstruktionsleistungen entsteht dabei »über die Köpfe der Beteiligten hinweg« ein Wissen
dritter Art, dessen Formulierungs- und Geltungsbedingungen je nach Setting unterschiedliche
Formen der Ent- und Begrenzung bedingen. So lassen sich die oben dargestellten
Verständnisse und Leitbilder der Expertenrollen und die mit ihnen einhergehenden
Wissensformate entlang der Rahmenbedingungen weiter differenzieren, die durch den
politischen Prozess gegeben sind.
Das Alltagsgeschäft wissenschaftlicher Politikberatung ist vielschichtig und umfasst
ineinander greifende Prozesse und Situationen des Austauschs. Diese lassen sich in der von
uns durchgeführten Untersuchung anhand der Begrifflichkeiten des idealtypischen Modells
vom »Politikzyklus« mit den Phasen des Agenda Settings, der Politikformulierung, der
Entscheidungsfindung, der Politikumsetzung und -bewertung beschreiben (zu dessen
Entwicklung und Kritik vgl. Jann/Wegrich 2003). Damit wird zwar konzeptionell die
Typisierung der Beratungshintergründe nach funktionsspezifischen Phasen im
17
Beratungsprozess genutzt, ohne zugleich jedoch die unterstellte zeitliche Ordnung oder die
funktionale Rationalität dieser Phasen als generalisierbares Muster zu bestätigen. Auch wenn
das Problemlösen im politischen Bereich darüber hinaus von einer großen Zahl weiterer
Umstände und Kontingenzen gezeichnet ist, verdeutlicht dieses holzschnittartige Modell als
Interpretationsfolie genutzt doch, dass die Beurteilung der »Brauchbarkeit« von Expertise
(»usable knowledge«) nicht nur davon abhängt, was in den Beratungsprozess von wem und
mit welchen Orientierungen eingespeist wird (Ravetz 1987), sondern ganz wesentlich auch
davon, unter welchen institutionellen Bedingungen es lanciert wird.
Die institutionellen Kontexte der wissenschaftlichen Politikberatung bilden keine neutrale
Bühne, sondern setzen rekonstruierbare Handlungsrestriktionen, aber auch Handlungsanreize
und öffnen Handlungsoptionen in bestimmter Weise. Als institutioneller Kontext legen sie der
Kooperation von Wissenschaft und Politik »Regelsysteme« in Form von Verfahrensnormen,
Ressourcen und Relationen zugrunde (Mayntz/Scharpf 1995). Sie strukturieren die
Handlungsverläufe derart, dass beispielsweise unter Bedingungen des »Agenda Setting« oder
der »Politikformulierung« andere Entscheidungen und Strategien erleichtert oder beschränkt
werden als in der »Politikumsetzung«. Je nach »Öffentlichkeit« und »Formalisierungsgrad«
des Beratungssettings, so ein deutliches Ergebnis der Untersuchung, erwarten die Beteiligten
entsprechend Verschiedenes von einander und sind in unterschiedlichem Maße bereit, die
Kontextabhängigkeit und den Konstruktionscharakter gleichermaßen des Expertenwissens
wie der Politikkonzepte zu offenbaren. Die Beratungshintergründe als institutionelle
Kontexte, die im Folgenden anhand der oben genannten Phasen des Politikzyklus typisierend
beschrieben werden, und die in ihnen je geltenden Regelsysteme definieren also
Handlungserwartungen, konstituieren die Akteure sowie deren Konstellationen zueinander
und prägen die wechselseitigen Wahrnehmungen. Durch sie sind verschiedene »Formate« des
Wissens und Deutens für die Interaktionen nahe gelegt, die in den unterschiedlichen
Konstellationen auch die Chancen eines reflexiven Dialogs bedingen.
Problemwahrnehmung und Agenda Setting
Viele Wissenschaftler begreifen die Sensibilisierung und frühzeitige Alarmierung vor
absehbaren Problemlagen und Schwierigkeiten als wichtige Aufgabe der Wissenschaft. In den
Augen von Politikern spielen sie aber gegenüber dem Votum von Lobbyisten im Agenda
Setting nur eine nachgeordnete Rolle. Tatsächlich gelingt es Wissenschaftlern – die Antennen
der Politik sind auf mächtige landwirtschaftliche Interessengruppen, die Medien und die
18
Öffentlichkeit ausgerichtet – höchst selten, mit ihren Einschätzungen und Prognosen zu
Entwicklungstrends und Risiken den politischen Prozess zu beeinflussen. Wo Wissenschaft
nicht als Verkünderin unumstößlicher Gesetzmäßigkeiten auftreten kann, sondern als
Anwältin umstrittener Deutungen (in den Rollen von »Konzeptunternehmern« und
»Gegenexperten«) spricht und öffentliche Diskurse aufgreift, fällt es ihr schwer, im medialen
Ringen um Aufmerksamkeit »Lufthoheit« (Interview) zu gewinnen. Wissenschaftler
übersehen zudem, dass im Agenda Setting ihr als »Prophezeiung« zugeschnittenes Wissen nur
dann von der Politik aufgenommen wird, wenn es an den politischen Diskurs anschlussfähig
ist und sich in die Ergebnisstruktur vorangegangener Verteilungskämpfe und Entscheidungen
fügt.
Die Wissenschaftler reagieren auf ihre geringen Erfolge im Agenda Setting damit, dass sie
einerseits die medialen Selektionskriterien beklagen und andererseits im Rahmen
strategischer Koalitionsbildung und öffentlichkeitsnaher Zuspitzung die Resonanz ihrer
Deutungen zu verbessern versuchen. So erklärt ein hochrangiger Experte: »Ich denke zwei bis
drei Institute, und ich selbst zähle meines auch zu dieser Gruppe, sehen einen gewissen
Ehrgeiz darin, Fragestellungen, die als entscheidend erkannt wurden, dann tatsächlich auch zu
transportieren und in einer Debatte die Lufthoheit zu gewinnen.« (Interview)
Indem die Wissenschaftler ihr Expertenwissen an politischer Relevanz orientiert entgrenzen
und (noch) unsichere Befunde und Einschätzungen in die öffentliche Debatte tragen, begeben
sie sich bis an den Rand des wissenschaftlichen Habitus und gelangen auf ein ihnen fremdes
Terrain, indem sie die weitere Verwendung ihrer Darstellungen kaum kontrollieren können,
nun da die »boundaries« (Gieryn 1999) eingerissen sind. Die angebotenen
Deutungsleistungen erfahren in der Verarbeitung durch die Medien eine weitere Anpassung
an die hier geltenden Kriterien (der Neuheit, der Skandalisierung und pop-politischen
Einbettung). In der Folge nehmen vielen Experten ihre Beziehungen zu Medien und
Öffentlichkeit als enttäuschend, erratisch und trügerisch wahr – und bleiben doch an deren
Erhalt und Aufbau interessiert!
Die Politik reagiert nur zurückhaltend auf wissenschaftlich lancierte Themen, weil jede neue
Fragestellung zunächst unbequem ist: Es müssen knappe Ressourcen mobilisiert und
umgeschichtet und in ihren noch unbekannten Wirkungen auf die Wählergunst ausgelotet
werden. Deshalb gelingt es bestenfalls herausragenden und charismatischen
Wissenschaftlerpersönlichkeiten neue Themen und alternative Sichtweisen auf die politische
19
Tagesordnung zu setzen – und dies nur, wenn sie die Sprachspiele von Medien und Politik
beherrschen und im Verbund mit Meinungsgleichen als (gesellschafts-) politischer Akteur
auftreten (vgl. »epistemic communities«, Haas 1992). Dabei zeigen auch weitere
Untersuchungen zur Schnittstelle von Wissenschaft und Politik (Rieder 2007), dass die
Konstruktion eines wissenschaftlichen »Konsenses« die Chancen eines Konzepts auf der
politischen Agenda erhöhen, so dass engagierte Wissenschaftler dazu neigen,
»Diskursallianzen« zu schmieden, durch die strittige Interpretationen nivelliert und
abweichende Deutungen marginalisiert werden.
Politikformulierung
Hat ein Thema den Sprung auf die politische Agenda geschafft oder erfährt es eine
Neurahmung, gilt die Phase der nun folgenden Politikformulierung als »große Stunde der
Wissenschaft« (Interview). Diese bleibt allerdings der medialen Öffentlichkeit im
Allgemeinen, den Politikern oft und manchmal selbst den einbezogenen Wissenschaftlern
verborgen, weil sie informell abläuft. Im Rahmen der entscheidungsvorbereitenden
Politikformulierung betätigen sich Wissenschaftler als »Politikflüsterer«, die in Gesprächen
mit Politikern oder Verwaltungsfachleuten in unterschiedlichen Kontexten um ihre Meinung
gebeten werden. Mit ihren Einschätzungen tragen sie dazu bei, den Rahmen des
Entscheidungsproblems für die weitere politische Debatte abzustecken (Framing). Sie nehmen
damit aktiv an der Definition der zukünftig als relevant betrachteten Wissensbestände teil,
jedoch jenseits offizieller politischer Prozesse. Oftmals können Wissenschaftler hierbei
Perspektiven zur Sprache bringen, für die in den anderen Formaten der Politikberatung kein
Ort gefunden werden kann. Inwieweit Wissensgrenzen berücksichtigt werden und wie mit
diesen im Weiteren umgegangen wird, entscheidet sich oft in diesen unscharfen Settings.
Die zugrundeliegenden Begegnungen von Wissenschaft und Politik zeigen sich in den
Prozessen der Politikformulierung meist nicht in der Form offizieller Anfragen an dafür
ausgewiesene Experten, sondern in Gesprächen am Rande von Veranstaltungen, in Momenten
der telefonischen Ratsuche bei persönlich bekannten Wissenschaftlern und in
Randgesprächen in inhaltlich definierten Arbeitsgruppen. Sie werden vielfach von den
Beteiligten selbst nicht zur wissenschaftlichen Politikberatung gezählt und profitieren ganz
wesentlich von der faktischen Absenz der Öffentlichkeit, die aber in ihren imaginierten
Erwartungen und Ansprüchen apräsentiert wird. Gerade die Unsichtbarkeit und von
Regelsystemen entlastete Ausgestaltung der Expertenrolle wird von beiden Seiten als Chance
20
wahrgenommen. »Die freie Politikberatung ist ein Feld für sich. Im Grunde läuft sie über
Weiterempfehlung, über Kontakte und sehr viel auch über Diskretion. Man kann viele Dinge
nur erarbeiten, wenn man auch wirklich an die relevanten Papiere rankommt. Wenn das nicht
der Fall ist, dann kann man es im Grunde fast schon lassen.« (Interview)
Die Untersuchung zeigt, dass sich informelle Anfragen aus dem politisch-administrativen
Bereich meist an bekannte oder vertraute Wissenschaftler richten, zu denen bereits Kontakte
aus gemeinsamen Studientagen oder früheren Arbeitszusammenhängen bestehen. Ziel ist es,
schnell und unkompliziert einen Überblick über die Themenlage zu bekommen. Die Wahl des
Gesprächspartners folgt dabei dem Gespür, welcher Experte die relevanten Fragen rasch und
verständlich beantworten kann und dabei Verständnis für die politische Verarbeitung von
Sachverstand aufbringt. Ob der ausgewählte Ansprechpartner die wissenschaftlich
einschlägige Expertise dabei angemessen repräsentiert oder seine Einschätzungen methodisch
absichert, bleibt bei dieser Auswahl nachrangig. Diese Art des Wissensaustauschs findet vor
allem mündlich und informell statt und erlaubt daher die Kommunikation auch ungesicherter
Einschätzungen und Beurteilungen auf beiden Seiten. Risiken und Ungewissheiten kommen
zur Sprache, da in diesen Begegnungen jenseits der Öffentlichkeit nicht mit de-
legitimierenden Konsequenzen gerechnet werden muss.
Dieser Austausch ist für die gesamte wissenschaftliche Politikberatung deshalb so wichtig,
weil hier der Rahmen für die weitere Behandlung des Themas gesetzt wird,
Bearbeitungsperspektiven und Konzepte selektiert und Sensibilitäten geschaffen werden.
Dazu werden Vor- und Nachteile abgewogen, Ansätze für gute Problemlösungen erörtert und
schlechte verworfen, mögliche Koalitionäre ins Auge gefasst und Gegner ins Visier
genommen. Wissen und Nichtwissen erscheinen nicht als distinkt und benennbar, sondern in
der Form tastender Orientierungsversuche vor noch unklarem Hintergrund. Vertraulichkeit ist
beiderseits Bedingung. Denn auch die Wissenschaftler äußern sich hierbei in einer Weise, die
nicht von wissenschaftlichen Standards angeleitet ist: Sie antworten im Verständnis
»privater« (Interview) Unterstützungsleistungen auf Fragen, für die sie unter Umständen
unzureichend vorbereitet sind, geben auch unsichere Einschätzungen ab und betten Fakten in
Kontexte und Hintergründe ein, die später in keinem Gutachten mehr auftauchen werden. Sie
übernehmen die Rolle von Interpreten und »Wegweisern« (Interview). Faktisch erhalten sie
über die informellen Gespräche eine einflussreichere Beratungsfunktion, als ihnen die spätere
Produktion von wissenschaftlichen Gutachten und Stellungnahmen bieten wird. So berichten
viele Befragte davon, wie sie erst in solchen Gesprächen ihren Erkenntnissen und
21
Interpretationen Gehör verschaffen konnten. Ihre Bedeutung bleibt aber weitgehend
unsichtbar und wird nicht personell zugerechnet.
Entscheidungsfindung
Ganz anders in der Phase der Entscheidungsfindung, in der die wissenschaftliche Beratung
formalisiert wird. Für die entscheidungsbezogenen Debatten erwartet die Politik von der
Wissenschaft unstrittige, harte Fakten zur Durchsetzung bereits entworfener Strategien.
Expertise wird zur Rationalisierung und zur Legitimation und Akzeptanzbeschaffung
politischer Entscheidungen (oder Nicht-Entscheidungen) instrumentalisiert, die Experten
müssen nun in eine autoritative Rolle schlüpfen. In der politischen Auseinandersetzung wird
Wissenschaft in öffenlichkeitsorientierten Debatten weniger für die Beratung als für die
Überzeugung benötigt, denn nun muss nicht Erkenntnisgewinn, sondern politische Macht
errungen werden. Dazu muss sie »wasserfest« (Interview) sein, darf ihren
Konstruktionscharakter nicht zeigen. Der Anspruch öffnet vor allem für quantitative,
aggregierte Ceteris-Paribus-Darstellungen von Wissen den Weg, die ihrerseits in der
sozialwissenschaftlichen Analyse als »Modus-1« und wenig »sozial robust« kritisiert werden
(Nowotny et al. 2001). Nichtwissen und Ungewissheit haben nun keinen Raum. Gerade die
mühsam hergestellte »Fraglosigkeit« von wissenschaftlichen Statements und Gutachten, die
oftmals nur durch mehrfache Überarbeitung und Rücknahme aller Konjunktive erreicht wird,
macht sie einerseits »brauchbar« und andererseits kritisierbar.
Wissenschaftliche Expertise findet ihren Weg in parlamentarische Anträge, Ausschüsse,
Anhörungen und Gesetzesentwürfe über Studien, Gutachten, Gegengutachten,
Stellungnahmen und Gegenexpertisen. Die mediale Berichterstattung sichert die öffentliche
Aufmerksamkeit. Diese nutzt die politische Opposition, um auch Politikalternativen ins
Gespräch zu bringen. Politischen Erfolg versprechen in dieser Phase wissenschaftlich
legitimierte Zahlen und empirische Daten. Sie munitionieren den öffentlichen
Schlagabtausch. Um unter diesen Bedingungen den wissenschaftlichen Ruf vor
Beschädigungen zu wahren, klammern die Experten möglichst all das aus ihren Aussagen aus,
was der gegnerischen Position als Quelle für den Nachweis von Unsicherheit oder
Missinterpretation dienen könnte. In der Phase der Entscheidungsfindung erlangen solche
Disziplinen leichter politisches Gehör, die mit quantifizierenden Erklärungsmodellen
aufwarten und über abschließbare Untersuchungsräume berichten können, wie z.B.
Agrarökonomie oder Molekularbiologie. Disziplinen aber, die eher qualifizierend
22
argumentieren und komplexe Wirkungszusammenhänge bearbeiten (z.B. Agrarsoziologie
oder Ökologie), haben es in diesen Beratungssettings schwerer.
Wissenschaft muss bei der Entscheidungsfindung als Exegetin von Sachzusammenhängen
auftreten und mit dem Gestus der Eindeutigkeit und Bestimmtheit sprechen. Ihre Aussagen
werden aber sogleich von Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit einer wertenden
Interpretation unterzogen. Dies führt zu Irritationen auf Seiten der Wissenschaft wie der
Politik: Wissenschaftler beklagen den Missbrauch für politische Überzeugungszwecke,
Politiker bemängeln die Ausdeutbarkeit des präsentierten Wissens und beanstanden, dass eine
strittige Wissenschaft – »Wissenschaft ohne Wahrheit« – für die Politik an Nützlichkeit
verliere (vgl. Martinsen/Rehfeld 2006).
Das zeigt sich auch in den Interviews: »Bei Anhörungen beantragt jede Fraktion ihre
Wissenschaftler. Und ich könnte Ihnen schon, bevor die den Saal betreten haben, sagen, was
für eine Meinung sie vertreten. Bei dieser Gegenüberstellung lässt sich schon das eine oder
andere bloßlegen, da die Wissenschaftler die verschiedene Lehrmeinungen vertreten, sich
untereinander kennen und sich gegenseitig vorhalten können, wo jeweils die Lücken in der
Argumentation der anderen Seite sind.« (Politiker im Interview) »Im Gutachten zur Zukunft
der Nutztierhaltung hat der Beirat versucht, viele Aspekte einzubeziehen und nicht einseitig
zu argumentieren, sondern gerade dualistisch auch das »Sowohl-als-auch« immer mit zu
benennen. In der öffentlichen Debatte sucht sich dann aber jeder das raus, was er gebrauchen
kann, nutzt es für seine Zwecke und verkürzt damit den Ansatz. Damit verpufft die Wirkung
des Gutachtens auch ein Stück weit« (Wissenschaftler im Interview)
Politikumsetzung
Entscheidungen beenden weder den politischen Prozess noch dessen wissenschaftliche
Unterstützung und Begleitung. Sie müssen vielmehr politisch-administrativ umgesetzt und als
objektivierte »Sachzwänge« in bindenden Normen, Verfahrensvorschriften, Verordnungen
und Richtlinien verankert werden. Expertise übernimmt besonders hierbei die Funktion
unabhängig-neutraler und normierender Dienstleistung. Dabei verfügt der Agrarbereich über
einen besonders umfangreichen Apparat der Ressortforschung: So war die Herausbildung der
Agrarwissenschaften als eigenständiger Disziplin eng verwoben mit dem Ziel der
Industrialisierung und Modernisierung des landwirtschaftlichen Bereiches. Damit gingen
besondere Formen der Institutionalisierung von wissenschaftlichen Beratungseinrichtungen
einher und bis heute findet ein beachtlicher Teil der Forschung in den dem
23
Landwirtschaftsministerium unterstellten Ressortforschungseinrichtungen statt. Deren
Aufgaben liegen neben Forschung in der Politikberatung und der Erbringung
forschungsbasierter Dienstleistungen, beispielsweise der Prüfung, Zulassung und
Regelsetzung. Wissenschaftlicher Expertenrat gilt im Agrarbereich zweifach als Ressource
von Autorität und Vernunft. Zum einen wird mit der Vokabel »wissenschaftlich« seit den
1950er Jahren vor allem ein solches Wissen als »objektiv« – das heißt »nicht ideologisch« –
und »überlegen« (Interview) markiert, durch dessen Inhalt und methodisch-systematische
Produktion sich die Beteiligten einen »modernen« Zugriff auf die Welt versprechen. Zum
anderen rechtfertigt die wissenschaftliche Beratung eine protektionistische Politik in ihren
Entscheidungen, die sonst als Lobbyismus wahrgenommen würde (vgl.
Henrichsmeyer/Witzke 1991). Beide Traditionen prägen die Rollenverständnisse der Experten
insbesondere in ihren Leistungen für die Politikumsetzung.
Dafür müssen die Rollen von Politik und Wissenschaft deutlich markiert und klar
unterschieden werden. In dieser vermeintlich »technischen« Phase werden die
Agrarverhältnisse neu geordnet, indem die Begründungen für Entscheidungen nachgeliefert,
Ansprüche definiert und beispielsweise über Richtwerte, Zuordnungen und Klassifikationen
knappe Güter verteilt werden. Wissenschaft wird dabei in doppelter Weise zur
Normenlieferantin: Zum einen begründet sie Höchst- und Grenzwerte, Klassen und
Unterscheidungen, zum anderen erledigt sie die Übersetzung der Politikentscheidungen in
ökonomische und untergesetzliche Normen, insbesondere in Ressortforschungseinrichtungen
und nachgeordneten Fachbehörden. Sie verfügt dabei de facto – insbesondere im
Agrarbereich – über eine erhebliche Gestaltungskraft (»regulatory science«, Jasanoff 1990).
Diese wird allenfalls in der Fachwelt debattiert, erfährt jedoch keine öffentliche
Aufmerksamkeit, die sich bereits anderen Themen zugewendet hat. »Wenn man sich in
Deutschland auf eine Prämienhöhe einigt, wird von mir erwartet, dass ich diese dann
wissenschaftlich belege. Dabei könnte ich in vielen Fällen sagen, dass auch viele andere
Prämienhöhen u.a. aufgrund unterschiedlicher Standortbedingungen gerechtfertigt sind und
belegt werden könnten. Ein Stück weit bin ich dann Dienstleister. Der Wert wurde aus
verschiedenen Gründen politisch so festgelegt und ich soll wissenschaftlich begründen,
warum dieser Wert gerechtfertigt ist.« (Interview)
Wenn in der Literatur kritisch nach der Legitimation von wissenschaftlicher Politikgestaltung
gefragt wird, so bezieht sich diese Sorge um die »Herrschaft der Experten« meist auf die
24
politische Entscheidungsfindung. Unsere Studie legt jedoch nahe, dass sie bezüglich der meist
unbeachteten Politikumsetzung besonders berechtigt wäre.
Politikbewertung
Politikbewertung geschieht im Kreuzungspunkt divergierender Interessen. Deshalb sehen
Politik und Verwaltung es oft nicht gerne, wenn geschlossene Debatten wieder geöffnet
werden. Wissenschaft hingegen, insbesondere solche Disziplinen, die in die Politikberatung
kaum oder gar nicht involviert sind, kann sich relativ unbelastet mit Fragen der Politikgenese
und der Politikfolgen befassen. Sie nimmt bei der Politikbewertung die Rolle des distanziert-
kritischen Kommentators ein und bringt nun ein reiches Arsenal der Evaluations- und
Implementationsforschung zum Einsatz.
Die Bewertung des agrarpolitischen Handelns hat nicht zuletzt durch die Agrarkrisen und
Lebensmittelskandale in der Öffentlichkeit an Stellenwert gewonnen. In den Augen von
Politik und Verwaltung gilt politisches Handeln aber dann als erfolgreich, wenn politische
Themen »erledigt« und die Debatten darüber beendet sind. Der evaluierenden Wissenschaft
hingegen geht es darum, Auswirkungen unter verschiedenen Perspektiven zu beschreiben,
kritisch zu bewerten und sie unter Umständen erneut zur Debatte zu stellen. Dies greifen zwar
Lobbies und Agraropposition gerne auf, die Analysen zur Politikbewertung aufmerksam in
Fachorganen und auf Kongressen verfolgen, um gegebenenfalls die Politik zur Neubefassung
oder Neuausrichtung des Themas zu bewegen. Entscheidungsträger unterstellen hingegen
mitunter eigennützige Motive: Wissenschaft dränge mit abgeschlossenen Themen in die
Öffentlichkeit und fordere weitere Forschungsmittel ein.
Diese erneute Begegnung von Wissenschaft und Politik produziert wieder andere
Wissensformate, denn in der Politikevaluation werden gezielt gesellschaftliche Leitbilder und
Zielsetzungen aufgegriffen und sozio-kulturell begründete Maßstäbe herangezogen. Das im
Rahmen der Entscheidungsfindung auf Unstrittigkeit und in der Politikumsetzung auf
Kodifizierbarkeit begrenzte Wissen wird nun neuerlich entgrenzt, an Geltungskriterien
orientiert, die in den Expertisen unter Umständen keine oder nur eine untergeordnete Rolle
spielten, und eröffnet eventuell eine neue Runde des Agenda Setting. Auch diese
Horizonterweiterung macht es den Beteiligten vielfach schwer, das nun generierte Wissen in
seiner gesellschaftsorientierten Formulierung auf die bis dato zur Debatte gestellten Konzepte
zu beziehen.
25
An den situationsabhängigen Facetten der Expertenrolle im politischen Prozess lassen sich
somit die »Passagen des Sachverstands« (Kropp/Wagner 2008b) erkennen. In deren Rahmen
kommen Wissen und Nichtwissen in den Gewändern kontextabhängiger Anforderungen an
und Artikulationen von Expertise in unterschiedlichen Formaten zum Ausdruck. Die
dargestellten Formen der institutionellen Einbettungen wissenschaftlicher Politikberatung im
Agrarbereich und ihre Folgen für Prozesse der Be- und Entgrenzung von Wissen sowie für
dessen »Passung« zu den jeweiligen Handlungsorientierungen der interagierenden Akteure
zeigen, inwiefern die Verwandlung der erarbeiteten Wissensangebote den Expertenrollen im
politischen Prozess genüge tut. Je häufiger dieser Prozess allerdings medial vorgeführt und
kommentiert wird, desto fatalere Wirkungen hat er auf das industriemodern geprägte
Verständnis eines arbeitsteiligen Zusammenspiels von Wissenschaft und Politik mit
eindeutigen Rollenvorgaben und -unterscheidungen. Die Nutzung dieser Unterscheidung im
politischen Prozess und ihre faktische Überwindung zehrt sukzessive deren
legitimitätsspendende Wirkung auf und stellt die politische Rolle wissenschaftlicher Experten
fundamental zur Debatte.
Expertenrollen als Ausdruck von wissenschaftlichen Vorder- und Hinterbühnen?
Im öffentlichen Raum führt das politische Spiel mit verschiedenen Expertenrollen im
politischen Prozess langfristig zur Entstehung neuer Verständnisse von Wissenschaft, die
sowohl den modernistischen »Aufklärungsanspruch« als auch das postmoderne
»Interpretenbild« hinter sich lassen. Diente einst die Rolle des Gegenexperten dazu, auf neue
Konflikte und Spannungen in der Wissenschaft aufmerksam zu machen und eine Erosion von
deren autoritativer Legitimität im Angesicht von nicht-intendierten Nebenfolgen und Risiken
anzukündigen, so zeigt die heute vorzufindende Vielfalt von Expertenrollen und das
souveräne Spiel der Wissenschaftler mit diesen, dass sich in der Wissenschaft längst ein
reflexives Verständnis von Wissen, seiner Objektivität, Exklusivität und Politisierbarkeit,
verbreitet hat. Mit der Entzauberung des omnipotenten wissenschaftlichen Beraters ist eine
Praxis salonfähig geworden, in deren Rahmen in der wissenschaftlichen Politikberatung – je
nach Gebot der Stunde – nun recht umstandslos wissenschaftlicher Sachverstand mit
gesundem Menschenverstand und eigener Anschauung gepaart wird, Experten sich hier als
medienfähige Propheten und da als seriöse Gutachter präsentieren und im Gespräch mit der
informierten Öffentlichkeit zwischen dem Referat über Fakten und deren interpretierender
Deutung changieren. Dabei führt die Pluralisierung von Paradigmen (sei es der
Weltmarktorientierung, der Orientierung an Nachhaltigkeit, der Ökologisierung, der
26
Internationalisierung, der Technisierung etc.) und je subdisziplinär konstituierten
Gegenstandswelten in der Agrarwissenschaft (vgl. DFG 2005), aber nicht nur hier, sondern
insbesondere im Gespräch mit Politik und Praxis zu einer kontinuierlichen Reorganisation
bislang handlungsleitender Unterscheidungen der Wissensproduktion. Dadurch werden die
Wissensgrenzen unschärfer, ihre Bedeutung kontextabhängiger und der Umgang mit diesen
autonomer.
In einer solchermaßen entgrenzten Wissenschaft scheint es als Resultat unserer Untersuchung
durchaus sinnvoll, zwischen wissenspolitischem talk und beratungspraktischer action zu
unterscheiden. So wie sich verschiedene Bühnen der Herstellung von Gewissheiten unter
Nutzung verschiedener Rollen und Requisiten abzeichnen, wird auch rekonstruierbar,
inwieweit die Prozesse der Abgrenzung von Expertise in ihren vielfältigen Formen zu immer
wieder neuen Strategien der Begrenzung, Begründung und Legitimation von durchaus
verschiedenen Wissensangeboten führen. Diese Pluralität der Wissensformate und der
zugrunde gelegten wissenschaftlichen Selbstverständnisse verdeutlicht das Reflexivwerden
von Expertise und die Entgrenzung von wissenschaftlichen Expertenrollen in der
Politikberatung: Die zur Beratung herangezogene Wissenschaft, die mitnichten einem
homogenen Gebäude mit integrativem Dach gleicht, hantiert gerade in ihren
grenzüberschreitenden Außenkontakten, in denen sich wissenschaftliche Experten einerseits
auf die Aura »der Wissenschaft« beziehen und diese Leitfiktion andererseits unmittelbar
nutzen, um auf den verschiedenen Hinterbühnen ihrer Beratungspraktiken – und vermutlich
nicht nur dort – höchst Unterschiedliches zu tun, mit einer neuen »post-epistemischen
Souveränität«5 (vgl. dazu Rouse ).
Mit Blick auf die Theorie der Reflexiven Moderne ergeben sich drei analytisch relevante
Konsequenzen: Erstens wird wissenschaftliches Wissen im Prozess der Politikberatung
gleichzeitig als legitimitätsspendende Ressource genutzt und als »Stimme unter vielen«
(Interview) wahrgenommen. Weit entfernt vom industriemodernen Anspruch der »ultima
ratio« oder der überlegenen Quelle moderner, und damit vernünftiger Entscheidungen, haben
sich die wissenschaftlichen Experten im untersuchten Bereich längst darauf eingelassen, ihre
5 Der Wissenschaftstheoretiker Joseph Rouse überträgt Foucaults Problematisierung des Souveränitätskonzeptes versuchsweise in die Naturwissenschaften und stellt zur Debatte, inwieweit auch die Generierung von wissenschaftlichem Wissen als dynamischer, strategischer und vor allem produktiver Prozess jenseits überkommener Souveränitätsmacht zu verstehen sei, der sowohl mit realistischen als auch mit relativistischen Verständnissen unvereinbar ist (vgl. Rouse 1993: 161).
27
Perspektiven mit allen Wenn- und-Abers, aber ohne erstmodernen Anspruch der
Letztgültigkeit einzubringen. Wie auch Böhle und Porschen (2010 in diesem Band) zeigen,
geht das jedoch nicht zwangsläufig mit der Relativierung des Überlegenheitsanspruchs einher
und beinhaltet eben auch die Möglichkeit, in der Phase der Entscheidungsfindung – auf der
Vorderbühne – die Aura wissenschaftlicher Objektivität zum Einsatz zu bringen! Zugleich
scheint die Agrarwissenschaften zweitens eine Art neue Nüchternheit erfasst zu haben, in der
nicht nur ein epistemisches Sowohl-als-auch, sondern auch inhaltliche Richtungswechsel und
widersprüchliche Einschätzungen selbst aus ein und derselben Beratungseinrichtung den
Aufbruch in eine »säkularisierte« Wissenschaftlichkeit (vgl. Wengenroth in diesem Band:
Ms., S. 9) anzeigen, die ohne die Institution zu diskreditieren stärker auf pragmatisches
Orientierungswissen bezogen ist. Dabei zeigt sich insbesondere in Situationen der
wissenschaftlichen Vorbereitung der Politikumsetzung eine deutliche Portion vergleichsweise
flexiblen Wissenschaftspragmatismus’. Schließlich geht mit der in der Politikberatung
unwiderruflich sichtbar werdenden Pluralisierung und Politisierung von Wissen und, wie
Wehling (2010 in diesem Band) verdeutlicht, damit zugleich von Nichtwissen eine verbreitete
Einsicht in die Temporalität und nur kontextbezogene Akzeptanz von wissenschaftlichen
Urteilen einher. Experten verfügen eben nur dann über Wissensangebote, wenn sie Teil einer
epistemischen Praxis an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik sind. Ihre so situierten
Wissensangebote können in den Augen der Beteiligten dazu beitragen, vernünftige
Entscheidungen zu finden, aber niemand erwartet mehr, dass sie diese ersetzen.
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