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TIMKEHET TEFFERA Historische Tonaufnahmen aus Axum, Äthiopien Sammlung: Kaschke 1906 BAND I: D A R S T E L L U N G E N Berlin 2002

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TIMKEHET TEFFERA

Historische Tonaufnahmen aus Axum, Äthiopien Sammlung: Kaschke 1906

BAND I: D A R S T E L L U N G E N

Berlin 2002

TIMKEHET TEFFERA

Historische Tonaufnahmen aus Axum Äthiopien Sammlung: Kaschke 1906

BAND I: D A R S T E L L U N G E N

Berlin 2002

Inhaltsverzeichnis

Band 1 Darstellungen

Einführung 1

Allgemeines zu der Sammlung 1 Allgemeines zur Art der Transkriptionen und zu den angegebenen Qiñitoc [Tonreihen]

2

Zu den Transkriptionsmethoden und Gesangstexten 3 Analyse der Walzenaufnahmen im Einzelnen

6

Walzenaufnahme 1 7 Walzenaufnahme 2 8 Walzenaufnahme 3 18 Walzenaufnahme 4 19 Walzenaufnahme 5 20 Walzenaufnahme 6 22 Walzenaufnahme 7 25 Walzenaufnahme 8 27 Walzenaufnahme 9 und 10 30 Walzenaufnahme 11 30 Walzenaufnahme 12 31 Walzenaufnahme 13 32 Walzenaufnahme 14 34 Walzenaufnahme 15 34 Walzenaufnahme 16 38 Walzenaufnahme 17 und 18 39 Walzenaufnahme 19 44 Walzenaufnahme 20 46 Walzenaufnahme 21 50 Walzenaufnahme 22 51 Walzenaufnahme 23 52 Walzenaufnahme24 53 Walzenaufnahme 25 54 Walzenaufnahme 26 54 Walzenaufnahme 27 56 Walzenaufnahme 28 57 Walzenaufnahme 29 58 Walzenaufnahme 30 60 Walzenaufnahme 31 61 Walzenaufnahme 32 61 Walzenaufnahme 33 62 Walzenaufnahme 34 66 Walzenaufnahme 35 und 36 69 Walzenaufnahme 37 70

Zusammenfassung 72 Tabellarische Aufstellung der Walzensammlung 72

Literatur 79

Einführung: Allgemeines Die Walzensammlung „Kaschke-Abessinien“ beinhaltet insgesamt 37 Tonaufnahmen, die 1906 in Axum, Äthiopien1 entstanden sind. Die Aufnahmen beinhalten traditionelle Gesänge überwi egend in Tigriña und Amariña. Zwei weitere Gesänge „mohamedanischer Schüler in einer Koranschule“ (Walzenaufnahmen 13 und 14; IDs 6 und 7) wurden in arabischer Sprache ausgeführt. Es sind Gesänge, die sowohl solistisch als auch im Wechsel zwischen einem Vorsänger und einer Gruppe vorgetragen werden, u.a. Liebes-, Kriegs-, Jagd-, Hochzeits-, Feiertags- und Unterhaltungsgesänge. Die zur Begleitung von einem Teil der Gesänge verwendeten Musikinstrumente sind zum einen die einsaitige Kasten-Spießlaute Masinqo2 und zum anderen die Trommel Kebero3. Weitere Begleitungen wurden durch das Klatschen und das Trillern (Walzenaufnahmen 8 und 11, Ids 3 und 4) ausgeführt. Ferner sind zwei auf der Flöte, Washint, gespielte Instrumentalstücke in der Sammlung enthalten. Qiñit-Tonreihen und die Transkription der Musikstücke Bis auf die Walzenaufnahmen 13 und 14 stammen alle anderen Gesänge und Instrumentalstücke aus den Qiñitoc (Plural von Qiñit) nach vorgegebenen Regeln gestimmte und meist aufsteigende fünfstufige Tonreihen mit festgelegten typischen Intervallen. Dieses System wurde nicht aus der oral überlieferten Tradition hergeleitet, sondern es wurde erst 1966 in der Yared-Musikhochschule, Addis Abeba, insbesondere durch Lehrer im Fach „Traditionelle Musik“ als pädagogisch-praktische Lehrmethode entwickelt, um eine einfachere Handhabung der vermittelten Inhalte zu ermöglichen. Daher ist diese Terminologie möglicherweise nicht über die äthiopische Hauptstadt, Addis Abeba, hinaus verbreitet und als solche unter vielen praktischen Musiker nicht bekannt. Dennoch entspricht die Ordnung der Qiñitoc in diversen Kulturen - insbesondere im Zentralen Hochland und in Nordäthiopien – den gebräuchlichen Musikrepertoires und soll auch hier so angegeben werden (vgl.

1 Äthiopien wurde zu Anfang ihrer Geschichte als Abessinien bekannt. Hinsichtlich der äthiopischen Geschichte

siehe u.a. Bartnicki 1978; Budge 1928; Buxton 1970; Conti-Rossini 1928; Gourlander 1944 und Ullendorf 1960.

2 Die Sologesänge der Walzenaufnahmen 5 und 6; IDs 2 und 34/35 werden mit der einsaitigen Kastenspießlaute Masinqo begleitet, die insbesondere in den Musikkulturen der Tigray und Amara bei den Azmariwoc (wandernde Musiker) zur Begleitung weltlicher Gesänge verwendet wird. Der Resonator besteht aus vier rechteckigen Holzbrettern, die zu einer Rhombusgestalt zusammengeleimt werden. Anschließend wird die obere Öffnung mit Ziegen- oder Schafsfell bespannt, während die Rückseite mit Holzplatten abgedeckt wird. Der hölzerne Spieß wird durch den Kasten senkrecht gesteckt. Die Saite der Masinqo wird von der oberen Spitze, wo der drehbare ebenfalls hölzerne Wirbel sich befindet, bis zu dem aus dem Resonanzkörper herausragenden Teil des Spießes angebracht und festgebunden. Meistens wird gedrehtes Roßhaar als Material verwendet. In der Mitte des Resonators wird ein Steg auf der gespannten Felldecke angebracht und dient dazu, die Saite hochzuheben. Beim Spielen wird ein aus Holz hergestellter, gekrümmter Bogen verwendet, dessen Saite (ebenfalls aus Roßhaar) an beiden Enden des Bogens befestigt wird.

3 Die zweifellige Zylindertrommel Kebero dient als Begleitinstrument in den Tigriña-Gesängen: z.B. Walzenaufnahmen 8, 11 und 12; IDs 3, 4 und 5. Sie spielt auch heute eine sehr wichtige Rolle in den Gesängen der Tigray und zwar nicht nur zur Aufrechterhaltung des rhythmischen Verlaufs in einem Gesang, sondern auch zur Ausschmückung der gesamten Atmosphäre. Die Kebero hat einen durchschnittlichen Durchmesser von ca. 50 - 65cm mit einer Höhe von 60 - 70cm. Beim Spielen wird sie an einem Band um den Hals und die Schultern getragen. Beim Kebero-Spiel wird nur die eine Seite der Fellbespannung geschlagen.

Teffera 2001). Aus der Systematik gehen vier Qiñitoc hervor, die a) Tizia; b) Bati; c) Anchi Hoye Lene und d) Ambassel genannt werden. Abgesehen von oft vorkommenden Oktavwiederholungen, die gewöhnlich beim Stimmen von Musikinstrumenten, beim Singen und beim Wechsel der Stimmlage auftreten, basiert auch das Musikrepertoire dieser Sammlung auf diesen in der Tradition verwendeten Qiñitoc. Die am Anfang einer Partitur angebrachten Vorzeichen, die lediglich der Vereinfachung der Transkription dienen sollen, sind von dem europäisch behaftetem Musikverständnis zu abstrahieren. Beispielsweise kann zwar ein ohne Vorzeichen transkribiertes Stück automatisch als G-Dur verstanden und angenommen werden, aber dies ist nicht der Fall. Es erscheinen in der Regel nur die jeweils angegebenen Tonstufen des vorgezeichneten Qiñit. Somit sind die in jeder Partitur dominierenden Zentral- bzw. Schlußtöne von dem Aspekt des fünfstufigen Qiñit ausgehend zu verstehen und zu erwarten. Die Rolle der einzelnen, einem Qiñit zugeordneten Tonstufen, unterscheidet sich funktional von einem Musikstück zum anderen. Sie erfüllen dementsprechend verschiedene Funktionen als Zentraltöne, Ausgangs- oder Schlussßtöne in der melodischen Strukturbildung. Die verschiedenen Qiñitoc schreiben diese festliegenden Funktionen nicht in einem konkreten Gesang vor. Anhand einer gegebenen groben Melodiestruktur werden individuell unterschiedliche Melodievarianten frei gestaltet, die in vielen Fällen den Oktavraum überschreiten. Daher können auch innerhalb eines Gesangs oder eines Instrumentalstückes die Funktionen der Tonstufen eines Qiñit unterschiedlich sein bzw. sich von Abschnitt zu Abschnitt verändern.

Transkriptionmethoden und Gesangstexte Der Zustand der Walzensammlung ist trotz seines fast 100-jährigen Alters gut erhalten. Dennoch sind bisweilen der Anfang, die Mitte oder das Ende einer Reihe von Aufnahmen kaum hörbar. Dies betrifft sowohl die melodische Bewegung als auch den Gesangstext. Insbesondere jedoch sind begleitende Musikinstrumente fast gar nicht zu hören, so dass in diesen Gesängen meistens nur der Vokalpart in Noten wiedergegeben werden konnte wie etwa Walzenaufnahme 6. Für die Transkription der Musikstücke wurde die europäische Notation verwendet, da sie ein bewährtes Mittel ist, klangliche Vorstellungen von nicht notierter Musik bildhaft zu erstellen. Bei einem Großteil der Aufnahmen wurden markante Text- bzw. Gesangsgliederungen entsprechend zeilenweise wiedergegeben. Diese gezielte Methode ermöglicht nicht nur eine Übersicht einzelner Zeilen bzw. Zeilenkombinationen, sondern man kann dadurch auch die melodischen, metrorhythmischen und textlichen Gestaltungen optisch besser darzustellen. So können sowie Unterschiede als auch auffallende Gemeinsamkeiten eingehend untersucht werden (siehe z.B. die Transkriptionen der Walzenaufnahmen 6, 12, 13, 19, 29, 30, 31, 34, 37 und 34). In den Wechselgesängen gibt die Partitur – je nach der Besetzung - von oben nach unten den Vorsänger (Gesangsleiter), die ihn gesanglich begleitende Gruppe, das rhythmische Klatschmuster, das Trillern und letztendlich den Trommelschlag an. Da uns hier keine analytischen Filmaufnahmen zur Verfügung stehen, kann die Rollenverteilung der linken und rechten Hand für das Trommelschlagmuster nicht festgestellt werden. Diesbezüglich werden in den Partituren auch keine Angaben gemacht.

Gesänge, die melodisch und/oder rhythmisch eindeutig unabhängig voneinander gestaltete Abläufe aufweisen, sind in Gesangsabschnitten unterteilt worden, wobei der Beginn eines jeden Abschnittes entsprechend mit Abschnitt 1, 2...usw. angegeben wird (Abbildung 1): Abbildung 1

Des Weiteren sind einige Gesänge in „Refrain“ und „Verszeilen“ untergliedert. Dies bezieht sich vielmehr auf dem inhaltlichen Verlauf des Gesangstextes. In vielen Gesängen sind die Refrainzeilen melodisch und textinhaltlich identisch und sie sind zyklisch aufgebaut. Die Verszeilen dagegen sind stets mit neuen Textzeilen und gelegentlichen Melodievariationen ausgestattet. Eine oft vorkommende Eigenschaft der Refrains besteht darin, dass sie aus relativ kurzen melodisch-textlichen Strukturen mit meistens drei Gesangszeilen bestehen, während die Verszeilen sich aus mehreren Gesangszeilen zusammensetzen können. So stellen beispielsweise die ersten sechs Gesangszeilen der Walzenaufnahme 19 den Refrain dar. Ein Refrain besitzt jeweils drei Zeilen, so dass hier von einer Wiederholung die Rede ist. Ähnliches gilt für die Walzenaufnahmen 30, 31 und 34. Dabei weisen die Melodieabläufe sowohl der Refrain- als auch der Verszeilen von ihrer allgemeinen Strukturen her jeweils markante Ähnlichkeiten auf. Ein Teil der Gesänge etwa Walzenaufnahmen 8, 11, 12 sowie der 1. Abschnitt der Walzenaufnahme 13 gehört zu den Zeilenwechselgesängen. Eine weitere Gruppe von Gesängen ist den Rufwechselgesängen zuzuordnen; z.B. Walzenaufnahme 13 ab Abschnitt 2. Die Partituren wurden soweit wie möglich mit Gesangstexten in den Originalsschriften, Amariña oder Tigriña, ausgestattet. Diese erscheinen unter den jeweiligen Noten und zwar im Silben-Ton-Verhältnis (Abbildung 2). Die auf ein Wort fallenden Tonstufen wurden miteinander verbunden, solange sie innerhalb einer metrischen Einheit (quasi innerhalb eines fiktiv angegebenen Taktes) auftauchen. Abbildung 2: Ausschnitt aus der Walzenaufnahme 20

Bei einer Reihe von Gesängen fehlt allerdings der Text in den Transkriptionen. Hier handelt es sich um Gesangstexte, die entweder sprachlich, z.B. Walzenaufnahmen 13 und 14, oder akustisch etwa in den Walzenaufnahmen 23, 28, 29, 30, 31 und 37, nicht verstanden und entsprechend wiedergegeben werden konnten. Die Gründe dafür hängen meistens mit aufnahmetechnischen Voraussetzungen zusammen. Diese können beispielsweise überdeckende Geräuschkomponente; Übersteuerungen und/oder aufnahmebedingte Unterbrechungen sein. Wie in Abbildung 3 demonstriert wird, sind solche Stellen in den jeweiligen Notenbeispielen entsprechend mit Sternchen *** gekennzeichnet.

Abbildung 3: Ausschnitt aus der Walzenaufnahme 26

Diejenigen Stellen, wo akustisch unhörbare Gesangstexte vorkommen, sind in den Partituren mit

diesem Zeichen ### angegeben (Abbildung 4).

Abbildung 4: Ausschnitt aus der Walzenaufnahme 30

Neben den soweit erläuterten Tonaufnahmen, standen uns die original notierten Gesangstexte. Diese entstanden im Zuge der vor Ort durchgeführten Aufnahmen Erich Kaschkes. Die Schreibweise dieser Texte lässt allerdings vermuten, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit sogar parallel zu den Aufnahmen protokolliert wurden. Es ist nicht anzunehmen, dass sie von einem Einheimischen Äthiopiern4 niedergeschrieben sein könnten, sondern eher von einem Europäer. In diesem Zusammenhang kommt der Äthiopinist, Enno Littmann, in Frage, dem Kaschke während seiner Expedition in Abessinien begleitete. Littmann könnte sich eventuell mit dem Protokollieren der Gesangstexte beschäftigt haben5. Eine nähere Untersuchung im Verlauf der Transkriptionsarbeiten einzelner Musikstücke ergab jedoch, dass diese Texte zum größten Teil vielmehr auf inhaltliche Beschreibungen basieren und so mit den faktisch vorgesungenen Texten teilweise oder gar nicht übereinstimmen. Dies ist vor allem bei der Gegenüberstellung des gesungenen und des mir zur Verfügung stehenden Originaltextes vieler Gesänge zu erkennen (vgl. u.a. Walzenaufnahmen 6, 15, 17, 18, 20, 21, 30 und 33 mit den jeweiligen Texten). Bei einem eingehenden Vergleich konnte festgestellt werden, dass in den niedergeschriebenen Texten entweder einige bzw. mehrere Wörter oder Textzeilen fehlen, oder zusätzliche Zeilen niedergeschrieben worden sind, die in den Gesängen letztlich nicht benutzt wurden.

4 Man kann vermuten, dass zwar zum Zeitpunkt der Walzenaufnahmen die alte äthiopische Schrift Ge’ez

vorwiegend von Priestern beherrscht wurde, die zuvor eine intensive Ausbildung in religiösen Schulen (kirchliche Gesänge inklusive Lesen und Schreiben) erfolgreich beendet haben könnten, aber es ist nicht vorstellbar, dass Erich Kaschke bei seinen Tonaufnahmen von einem Priester unterstützt wurde.

5 Ich führte diesbezüglich mit mit Dr. Susanne Ziegler, Mitarbeiterin des Ethnologischen Museums von Berlin und Verantwortliche für die Walzensammlungen des Berliner Phonogrammarchivs, ein ausführliches Gespräch. Sie gab mit alle möglichen grundlegenden Informationen über Erich Kaschkes Expedition mit Enno Littmann nach Abessinien. An dieser Stelle möchte ich bei Dr. Ziegler für diese Informationen herzlich bedanken.

Außerdem sind die Texte vorwiegend fortlaufend hintereinander niedergeschrieben, obwohl die meisten Gesänge aus reimenden Verszeilen bestehen. Auch hier existieren bei der Gegenüberstellung beider Teile ein Reihe von Abweichungen. Dennoch fungierten diese Texte während der Analysearbeit der vorliegenden Tonsammlung insofern als wichtiges Basismaterial, weil ansonsten akustisch unhörbare Stellen in den Gesängen oft nicht identifiziert und verstanden worden wären. Nicht zuletzt konnte aus der Gesamtheit dieser Walzensammlung festgestellt werden, dass zahlreiche Gesänge mit relativ begrenzten Texten ausgestattet sind. Analyse der Walzenaufnahmen im Einzelnen Im Folgenden werden die Walzenaufnahmen im Einzelnen näher in Betracht genommen. Die in Tabellen dargestellten Gesangstexte beziehen sich lediglich auf die in den Aufnahmen tatsächlich zu hörenden Texte. Die einzelnen Spalten sind zumeist nach Gesangszeilen (Gz), nach Vorsänger und Chorgruppe (V/G), den melodischen Formeln wie z.B. a, b, a1, b2...usw., der Originalschrift Amariña oder Tigriña, der Umschrift, der Übersetzung und der korrespondierenden Taktnummern geordnet. Dabei sind Takte als metrische Einheiten zu verstehen, die die Zählzeiten angeben. Die innere Struktur der „Takte“ entspricht jedoch nicht in jedem Fall den dynamischen Attributen in der europäischen Notation (vgl. Teffera 2001: 17-18). Im Hinblick auf dem neutralen Begriff „melodische Formel“ wurde besonderer Wert gelegt, weil es sich hauptsächlich um gesamtheitlich gedachte musikalische Sinneinheiten handelt, die formelhaft tradiert werden und bestimmten Austausch- und Verknüpfungsprinzipien unterliegen (vgl. ebenda: 138). Nicht übersetzbare Zeilen werden in der Spalte Übersetzung mit dem Wort Redundanz gekennzeichnet, das sich nur auf die primäre textinhaltliche Perspektive bezieht. Redundanzen haben dennoch eine wichtige musikalische und auch sprachgliedernde Funktion (vgl. ebenda: 161-162). Alle Redundanzwörter oder -silben sind im Text kursiv angegeben, um sie von den übersetzbaren Texten unterscheiden zu können. In der Spalte Umschrift wurden alle Wörter klein geschrieben, da die Originalsprache aus Silben+Konsonant-Symbolen besteht und somit keine Groß- und Kleinschreibungsregeln existieren. Zur Gegenüberstellung folgt der gesungenen Textdarstellung der aus dem Forschungsmaterial entnommene Originaltext. Nach der Erläuterung des Textes folgt die Angabe des entsprechenden Qiñit, soweit die Partitur einem der bereits erläuterten Qiñitoc zugeordnet werden kann. Anschließend wird der musikalische Aspekt der jeweiligen Walzenaufnahme analysiert.

Walzenaufnahme 1; ID 32, Aufnahme: Erich Kaschke, Axum 1906 Repertoire: Wechselgesang einer Knabengruppe Abbildung 5: gesungener Text, Walzenaufnahme 1

Gz V/G mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte Abschnitt 1

1 V a ኦሆ ያ ወደይ ጉመየ oho ya weday gumeye (Redundanz) 1 – 3 2 G b አሀይ ጉመ ahay gumey (Redundanz) 3 – 4 3 V a1 ሆያ ጉመ ሚንቲ አቱ hoya gumey minti atu nicht übersetzbar 25 - 27 4 G b አሀይ ጉመየ ahay gumey (Redundanz) 27 - 28 5 V a2 አደ ገላ ሸቶል ይመሰቱ ade gala šitol yimesitu6 Schwert der Galla... 29 - 31 6 G b አሀይ ጉመየ ahay gumey (Redundanz) 31 - 32

Abschnitt 2 7 V b1 ሀይ ጉመየ hay gumey (Redundanz) 50 8 G b አሀይ ጉመየ ahay gumey (Redundanz)... usw. 50 - 51

Abbildung 6: ursprünglich niedergeschriebener Text zur Walzenaufnahme 1

Der Gesangstext ist von Redundanzwörtern wie „gumeye, hoya und ahay“ dominiert, die in fast allen Zeilen vorkommen. Der Gesang wird von einer Gruppe von Knaben im Wechsel ausgeführt. Dabei leitet einer der Knaben den Gesang, während der Rest der Gruppe ihn begleitet. Die Zeilenstrukturen sowie die melodisch-rhythmische Gestaltung lassen sich in zwei Gesangsabschnitte untergliedern. Dies ist auch im Notenbeispiel entsprechend zu beobachten. Kurz nach Beginn des Gesangs wechselt der Vorsänger in eine höhere Stimmlage (Takt 18), die er dann bis zum Ende des Gesanges beibehält7. Die in der Melodie verwendeten Tonstufen, werden dem Tizita-Qiñit (Abbildung 7) zugeordnet.

6 Die Wörter minti atu und yimesitu sind nicht übersetzbar. Im Gesang hört man sie deutlich und auch im

Originaltext sind sie in gleicher Weise geschrieben. 7 Vermutlich war für ihn die anfängliche Stimmlage zu tief.

Abbildung 7: Tizita-Qiñit, Walzenaufnahme 1

Trotz des Stimmlagenwechsels bleibt die Qiñit–Tonreihe die gleiche, weil die Melodiebewegung lediglich die dieser Qiñit gehörenden Tonstufen und Intervallen nutzt. Der Tonvorrat erstreckt sich durch diesen Stimmlagenwechsel über eine Oktave hinaus von d’ - g’’. Auch wenn der hier in Klammern gesetzte Ton c’ in dem Gesang nicht vorkommt, ist er als Ausgangston gedacht, um sich die weiteren Tonstufen des Qiñit und seine Intervalle vorstellen zu können. Anstelle des Tones c’ kommt der Oktavton c’’ vor. Insbesondere erscheint er nach dem anfänglichen Stimmlagenwechsel stets als Schlußton der einzelnen Zeilen. Dies gilt für alle Gesangszeilen sowohl des Vorsängers als auch die der ihn begleitenden Gruppe. Abschnitt 1 – Der erste Abschnitt ist als Rufwechselgesang gestaltet. So wird die vom Vorsänger angefangene Melodie- und Textzeile von der Gruppe ergänzt. Im Vergleich zu den Gesangszeilen des Vorsängers, sind die Antwort- bzw. Responszeilen kurz und durchgehend wiederkehrend, die melodisch und rhythmisch bis zum Ende des Gesanges unverändert bleiben. Dagegen fügt der Vorsänger in seinen Gesangszeilen melodische Varianten hinzu (siehe Gz. 3 und 5). Abschnitt 2 – Der zweite Abschnitt weist die Struktur eines Zeilenwechselgesanges auf. So wird zuvor vom Vorsänger ausgeführte Gesangszeile fast genauso von der begleitenden Gruppe wiederholt. Diese Zeilen können beliebig oft wiederholt werden, wobei letztendlich der Vorsänger es bestimmt. So werden sie z.B. in den Takten 50 – 59 fünfmal und in den Takten 68 – 75 viermal wiederholt. Walzenaufnahme 2; ID 1, Aufnahme: Erich Kaschke, 19.01.1906 Repertoire: Wechselgesang von Knaben Abbildung 8: gesungener Text Gz V/G mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte 1 V a ሆህያያ hohi ya ya (Redundanz) 1 – 2 2 G b ሆያ hoya (Redundanz) 2 3 V a1 ሆህያያ hohi ya ya (Redundanz) 3 – 4 4 G b ሆያ hoya (Redundanz) 4 5 V a ህዬ በሉ hiye belu Sagt „Hiye“ 5 – 6 6 G b ሆያ hoya (Redundanz) 6 7 V a ተቀበሉ teqebelu Begleitet den Gesang 7 – 8 8 G b ሆያ hoya (Redundanz) 8 9 V a ጸዕዳ ደዕሮ sa’ida da’iro Den weisen Baum- 17 – 18

10 G b ሆያ hoya (Redundanz) 18 11 V a መንፈገሮ menfegero wer hat ihn kaputt gemacht? 19 – 20 12 G b ሆያ hoya (Redundanz) 20 13 V a2 አብ አዲ ጻንዲ ab adi sadi In der Gegend Adi Sadi 23 – 24 14 G b ሆያ hoya (Redundanz) 24 15 V a ምጽራ ፋዲ miTra fadi Ihre Scheide pfeift 25 – 26 16 G b ሆያ hoya (Redundanz) 26 17 V a2 አብ ጉንዲ አጋም ab gundi agam Der Ast des Agam Baumes 33 – 34

18 G b ሆያ hoya (Redundanz) 34 19 V a ምጽራ ልጉዋም miTra liguam Ihre Scheide ist fest 35 – 36 20 G b ሆያ hoya (Redundanz) 36 21 V a2 አብ ወዲ ሽንፋ ab awdi šinfa’a Auf der šinfa’a Getreide 41 – 42 22 G b ሆያ hoya (Redundanz) 42 23 V a ምጽራፋፋ miTra fafa Ihre Scheide ist vertrocknet 43 – 44 24 G b ሆያ hoya (Redundanz) 44 25 V a አታ ሰላም ata selam Der dunkelhäutigen Frau- 59 – 60 26 G b ሆያ hoya (Redundanz) 60 27 V a ስህን በላ sihin bela sag ihr sie soll warten. 61 – 62 28 G b ሆያ hoya (Redundanz) 62 29 V a አታ ቀያሐ ita qeyaha Der hellhäutigen Frau- 63 – 64 30 G b ሆያ hoya (Redundanz) 64 31 V a ምነ ዕበላ ni’i bela sag ihr sie soll kommen. 65 – 66 32 G b ሆያ hoya (Redundanz) 66

V/G =Vorsänger/Gruppe; Gz. = Gesangszeile; mF = melodische Formel Abbildung 9: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 2

Obwohl es nicht feststellbar ist, zu welchem Anlass dieser Gesang stattfand, wird er traditionsgemäß von Knaben im Alter von ca. 14 bis 17 Jahren und/oder von erwachsenen Männern ab ca. 18 Jahren in jeweils getrennten Altersgruppen zu dem christlich-orthodoxen Feiertag Buhe vorgetragen. Das Buhe Fest wird im Juli, dem 11. Monat des äthiopischen Kalenders, gefeiert. Jedoch entstand die Aufnahe laut Ansagetext am 19. Januar 1906, einem ganz normalen Tag, so dass man davon ausgehen kann, dass es sich hier höchstwahrscheinlich um eine zufällige und spontane Aufnahme handelt. Es lässt sich vermuten, dass der Gesang von einer Gruppe von Hirten ausgeführt wurde. Ein Teil des Gesangstextes enthält recht profane Inhalte, wie u.a. in der Übersetzung der Gesangzeilen 15, 19 und 23 zu sehen ist, die im traditionell überlieferten Gesang eher nicht vorkommt bzw. sehr unwahrscheinlich ist. Das Buhe Fest findet nicht nur in der Tigray-Kultur statt, sondern in weiten Teilen Äthiopien und zwar überall dort, wo der christliche Glauben praktiziert wird. Abgesehen von den hin und wieder vorkommenden vulgären Textinhalten, gehört dieser Gesang auch heute zum traditionellen Musikrepertoire der Tigray. Der Text besteht vorwiegend aus Silben wie ho, hi, ya und ye, die nicht übersetzt werden können. In bestimmten Abständen singt der Vorsänger reimende Verszeile wie z.B. in den Takten 17 und 18 reimen mit den Takten 19 und 20 oder Takte 23 und 24 mit 25 und 26, wobei die begleitende Gruppe fortwährend gleich bleibende, kurze, zweisilbige Phrasen in den Responszeilen ausführt, z.B. ho-ya in den Takten 2, 4 und 6. Der Gesang besitzt die Intervallverhältnisse der Tizita-Qiñit. Von den fünf Tonstufen der Qiñit, kommen vier im Gesang vor. Diese sind a’, h’ und d’’ und e’’, während die dritte Tonstufe fis’ gar

nicht genutzt wird. Die jeweils in Klammern gesetzten Tonstufen d’ und e’ werden eine Oktave höher gesungen. Sie werden hier bewusst angegeben (Abbildung 10), um die Intervallverhältnisse der Qiñit besser darzustellen. Abbildung 10: Tizita-Qiñit, Walzenaufnahme 2

Die sechste Tonstufe, die in der Regel eine Oktave höher als den Grundton liegt wird zwar auch in anderen Gesängen oft nicht gebraucht, sie spielt dennoch eine weichtige Rolle insbesondere beim Stimmen von Musikinstrumenten. In diesem Gesang kommen nur an wenigen Stellen Melodievariationen vor, die vom Vorsänger gestaltet werden, so z.B. in den Takten 1 und 2, 3 und 4 und 23 und 24. Im Allgemeinen weist der Gesang Ähnlichkeiten mit dem Buhe-Gesang der Amara auf. Hier singen auch Knaben bzw. Erwachsene zum Anlass des Feiertages ein funktional gebundenes Lied. Daher besitzt auch der Gesang der Knaben in der Walzeaufnahme 2 einen verwandten Inhalt und eine analoge Funktion mit dem aus der Amara Kultur bekannten Feiertagslied. Der einzige Unterschied liegt in den Sprachen Tigrina und Amariña. Der in der Musiktradition der Tigray verwendete eigentliche Gesangstext ist in der folgenden Tabelle zu beobachten (Abbildung 11). Abbildung 11: Text zum Buhe Gesang: Musikkultur der Tigray Gz V/G mF Originalschrift Umschrift Übersetzung 1 V a ሆዬ ሆዬ hoye hoye (Redundanz) 2 G b ሆዬ hoye (Redundanz) 3 V a ሆዬ ሆዬ hoye hoye (Redundanz) 4 G b ሆዬ hoye (Redundanz) 5 V a ሆዬ በሉ hoye belu Sagt hoye 6 G b ሆዬ hoye (Redundanz) 7 V a ተቀበሉ teqebelu Begleitet den Gesang 8 G b ሆዬ hoye (Redundanz) 9 V ሆዬ ዝበልና hoye zibelna Wir, die „hoye“ rufen

10 G b ሆዬ hoye (Redundanz) 11 V a ዓመት የቆየና amet yeqoyena Möge Gott uns bis zum nächsten Jahr beschützen 12 G b ሆዬ hoye (Redundanz) 13 V a ሆዬ ዝበሉ hoye zey belu Diejenigen, die nicht “hoye“ rufen 14 G b ሆዬ hoye (Redundanz) 15 V a ዓመት ይማ,ሉ amet yimahlelu Sollen beichten 16 G b ሆዬ hoye (Redundanz) ... usw. Der metrorhythmische Verlauf ist hier anders gestaltet. Das in der folgenden Abbildung 12 veranschaulichte Notenbeispiel dieses Gesanges ist heute immer noch als ein Buhe-Lied bei den

Tigray in Gebrauch8. Eine Besonderheit besteht daring, dass die Melodie gewöhnlich auf einer Tonstufe beginnt und endet (hier die Tonstufe f’). Die Struktur des Gesanges verläuft ebenso und bis zum Ende in dieser Form ausgeführt wird. Abbildung 12: Buhe Lied der Tigray (aktuelle Version)

Bei den Amara wird der soweit beschriebene Gesang der Tigray zum selben Anlass ausgeführt und ist als „Hoya Hoye“ bekannt. Im Vergleich zu dem in Tigriña vorgetragenen Gesang wird er hier jedoch aus unterschiedlich gestalteten melodisch, rhythmisch und textlichen Abschnitten aufgebaut. Außerdem wird er nicht in der Tizita, sondern in der Bati-Qiñit ausgeführt9 (Abbildung 13): Abbildung 13: Bati-Qiñit, Vergleichsmaterial

Im Folgenden werden diese Gesangsabschnitte der Reihe nach analog zu den vergleichbaren Notenbeispielen dargestellt (siehe Abbildung 14 - 25):

8 An dieser Stelle möchte ich Abebe Bayru, Angehöriger der Tigray-Gemeinschaft, für die ausführliche

Informationen über die melodisch-rhythmische und textliche Struktur dieses Gesangs und über die Musik der Tigray im Allgemeinen danken.

9 An dieser Stelle sei bemerkt, dass alle Qiñit-Tonreihen in der Regel aufsteigender Reihenfolge gedacht werden. Die Intervallverhältnisse basieren auch darauf.

Abbildung 14: Text zum Hoya Hoye-Gesang (vgl. auch Teffera 2001: 33-36)

Originalschrift

Umschrift Übersetzung Takte

1. Abschnitt አሲዮ ቤሌማ asiyõ belema (Redundanz) 1 – 2 ኦሆሆ o ho ho (Redundanz) 2 – 3 አሀይ በል ahay bel Sag ahay - (Redundanz), 3 – 4 የቤሌማ ጥጃ yebelema tija belema's Kalb, 4 – 6 ኦሆሆ o ho ho (Redundanz) 6 – 7 አሀይ በል ahay bel Sag ahay - (Redundanz), 7 – 8 አብረን እንንጫጫ abren inincaca lasst uns gemeinsam toben! 8 – 10 ኦሆሆ o ho ho (Redundanz) 10 – 11 አሀይ በል ahay bel Sag ahay - (Redundanz), 11 – 12 Abbildung 15: Buhe-Lied: Hoya Hoye; Abschnitt 1

Abbildung 16: Buhe-Lied: Hoya Hoye, Gesangsabschnitt 2

Originalschrift

Umschrift Übersetzung Takte

ክፈት በለው በሩን kifet belewu beruni Sag ihm, er soll das Tor aufmachen, 13 – 17 የጌታዬን yegetayeni das meines Herrn. ክፈት በለው በሩን kifet belewu beruni Sag ihm, er soll das Tor aufmachen, 17 – 20 የጌታዬን yegetayeni das meines Herrn.

Abbildung 17: Buhe-Lied: Hoya Hoye; Gesangsabschnitt 2

Abbildung 18: Buhe-Lied: Hoya Hoye; Abschnitt 3

Originalschrift

Umschrift Übersetzung Takte

ሆያ ሆዬ hoya hoye (Redundanz) 21 – 22 ሆ ho! (Redundanz) 22 ሆያ ሆዬ hoya hoye (Redundanz) 23 – 24 ሆ ho! (Redundanz) 24 እዚያ ማዶ izia mado Dort drüben 25 – 26 ሆ Ho! (Redundanz) 26 ጭስ ይጨሳል cis yicesal qualmt es. 27 – 28 ሆ ho! (Redundanz) 28 አጋፋሪ agafari Ein Diener 29 – 30 ሆ hõ! (Redundanz) 30 ይደግሳል yidegisal feiert ein Fest. 31 – 32 ሆ ho! (Redundanz) 32 ያችን ድግስ yacin digis Auf diesem Fest 33 – 34 ሆ ho! (Redundanz) 34 ውጬ ውጬ wuce wuce aß und aß ich. 35 – 36 ሆ ho! (Redundanz) 36 በድንክ አልጋ bedink alga Auf ein kleines Bett 37 – 38 ሆ ho! (Redundanz) 38 ተገልብጬ tegelbice begab ich mich. 39 – 40 ሆ ho! (Redundanz) 40 ድንክ አልጋዋ dink algawa Das kleine Bett 41 – 42 ሆ ho! (Redundanz) 42 አመለኛ ameleña war ungemütlich. 43 – 44 ሆ ho! (Redundanz) 44 ያለ አንድ ሰው yale and sewu Für mehr als eine Person 45 – 46 ሆ ho! (Redundanz) 47 አታስተኛ atasteña passt es nicht. 48 – 49 ሆ ho! (Redundanz) 50

Abbildung 19: Buhe-Lied: Hoya Hoye; Abschnitt 3

Abbildung 20: Buhe-Lied: Hoya Hoye; Abschnitt 3

Originalschrift

Umschrift Übersetzung Takte

ሆያ ሆዬ ጉዴ hoya hoye gude Hoya hoye ; Oh ! Meine Güte, 49 – 50 ብ…ን ብ…ን ይላል ሆዴ birwan birwan yilal hode Geldschein, Geldschein,

sagt mir mein Bauch. 50 – 52

ሆያ ሆዬ ጉዴ hoya hoye gude Hoya hoye; Oh ! Meine Güte, 53 – 54 ብ…ን ብ…ን ይላል ሆዴ birwan birwan yilal hode Geldschein; Geldschein

sagt mir mein Bauch10. 54 - 56

10 Der Inhalt der gesamten Gesangszeile bedeutet soviel wie „ich sehne mich nach Geld“.

Abbildung 21: Buhe-Lied: Hoya Hoye; Abschnitt 4

Das Buhe-Lied wird auch hier als Wechselgesang ausgeführt. Als Begleitinstrumente dienen dünne, ca. 1m lange Schlagstöcke, die auf den Boden gestoßen werden. Diese spielen somit für die Aufrechterhaltung des rhythmischen Grundablaufes eine wichtige Rolle und außerdem schmücken sie den jeweiligen Gesang aus. Abschnitt 1: Der erste Abschnitt ist von Synkopen dominiert und verläuft melodisch und rhythmisch gleichmäßig von Takt 1 bis 12. Durch diesen Gesangsabschnitt kündigt die Gruppe traditionsgemäß von einer bestimmten Entfernung aus ihre Ankunft an. Der Vorsänger trägt variierte Verszeilen vor, die er beliebig oft wiederholen kann, bis er und die Gruppe am Hauseingang ankommen. Abschnitt 2: Unmittelbar nach der Ankunft schreitet der Vorsänger zum zweiten Gesangsabschnitt über, der mit einer festgelegten Handlung verbunden ist. Dabei bittet die Gruppe gesanglich um das Öffnen des Hauseinganges etwa in den Takten 13 - 27, so dass sie hineintreten und direkt vor dem Hausherrn und seiner Familie den Gesang fortführen kann. Abschnitt 3: Im dritten Abschnitt wie etwa in den Takten 28 bis 55 sind alle Gesangszeilen einheitlich gestaltet und beginnen somit immer auf der betonten Zählzeit. Abschnitt 4: Der vierte Abschnitt ist ein Refrainwechselgesang, der zwei bis dreimal wiederholt gesungen werden kann, wobei dies ebenfalls vom Vorsänger bestimmt wird. Weitere Verszeilen, die zusätzlich zu diesem Gesangsabschnitt gehören, sind beispielsweise die folgenden (Abbildung 22): Abbildung 22: Buhe-Lied: Hoya Hoye; Abschnitt 4

Originalschrift Umschrift Übersetzung ሆይሻ ሎሚታ hoyiša lomita (Redundanz) ልምጣ ወይ ወደማታ limta wey wedemata Soll ich am Abend vorbeikommen? ሆያ ሆዬ ነው hoya hoye newu (Redundanz) የምንለው yeminilewu Sagen wir. ሆያ ሆዬ ዝና hoya hoye zina (Redundanz) ተው ስጠኝ ድገምና tewu siteñ digemina Bitte gib mir noch einmal (der

Hausherr wird gebeten) !

Je nach der Gestaltung der einzelnen Verszeilen, finden Melodievariationen im Rahmen der gegebenen Struktur statt. Der vierte Gesangsabschnitt, Takte 56 bis 63, fungiert im Allgemeinen als gesanglicher Abschluss zum vorangegangenen, dritten Gesangsabschnitt. Abschnitte 5 und 6: Nachdem die jeweilige Familie auf den Gesang reagiert und darauf folgend die Gabe, z.B. Geld oder nur zu dieser Feier gebackene so genannte Mulmul-Brote, ausgeteilt hat11, singt die Gruppe aus Dankbarkeit die Abschnitte 5 und 6 (Abbildung 23): Abbildung 23: Buhe-Lied: Hoya Hoye; Abschnitte 5 und 6 Abschnitt 5

Originalschrift

Umschrift Übersetzung Takte

ዓመት አውድ ዓመት amet awud amet Jahr, Feiertag, Jahr 57 – 59 ድገምና digemina Komm wieder- 59 – 60 ዓመት amet Jahr! 60 – 61 ድገምና digemina Komm wieder- 61 – 62 የጌታዬ ቤት yegetaye beti Im Haus meines Herren. 62 – 64 ድገምና digemina Komm wieder- 64 – 65 ዓመት ameti Jahr! 65 – 66 ድገምና digemina Komm wieder- 66 – 67 ወርቅ ይዝነብበት werq yiznebibeti Möge Gold regnen! 67 – 69 ድገምና digemina Komm wieder- 69 – 70 ዓመት ameti Jahr! 70 – 71 ድገምና digemina Komm wieder- 71 - 72 Abschnitt 6 ክበር በስንዴ ክበር በጤፍ ምቀኛህ ይርገፍ

kiber bäsinde kiber beteffi miqeñah yirgefi

Werde reich mit Weizen! Werde reich mit teff12! Tod deinen Feinden!

73 - 78

ክበር በስንዴ ክበር በጤፍ ምቀኛህ ይርገፍ

kiber bäsinde kiber beteffi miqeñah yirgefi

Werde reich mit Weizen! Werde reich mit teff! Tod deinen Feinden!

79 - 82

11 Das Maß der Geschenke hängt von dem sozialen Status der jeweiligen Familie ab. In der Regel ist auch

keiner gezwungen, die singende Gruppe zu beschenken. Des Öfteren kommt es auch vor, dass mehrere Gesangsgruppen im Verlauf des Tages vor den Hauseingängen singen. Dann kann die Familie der Gruppe Bescheid sagen, dass sie bereits eine davor anwesende Gruppe bereits beschenkt hat.

12 Der Inhalt richtet sich an eine männliche Person. Teff ist eine Getreidesorte, die in Äthiopien zu einem der Grundnahrungsmittel gehört.

Abbildung 24: Buhe Lied: Hoya Hoye; Abschnitt 5 (siehe auch Abbildung 23)

Abbildung 25: Buhe Lied: Hoya Hoye; Abschnitt 6 (siehe auch Abbildung 23)

Walzenaufnahme 3; ID 30, Aufnahme: Erich Kaschke 19.01.1906 Axum Repertoire: Gesang-Solo und Chor Diese Walzenaufnahme ist laut des Ansagetextes auf der Oberfläche mit der Nr. 20 beschriftet, jedoch konnte anhand des Originalgesangstextes, der ebenfalls mit der Nr. 3 gekennzeichnet ist, eine Übereinstimmung mit dem vorgetragenen Text festgestellt werden. Daher ist diese Walzenaufnahme als 3. Aufnahme richtig. Dieselbe Aufnahme ist noch mal unter der ID 31 zu hören. Abbildung 26: gesungener Text

Gz V/G Originalschrift Umschrift Übersetzung 1 V ላለይ (4x) Laley (4x) (Redundanz) 2 ላሎዬ (5x) Laloye (5x) (Redundanz) 3 በታ,!ተይ በቲ በታ,!ንደይ betahitey beti betahindey Meine Geliebte....... 4 ትውስቲና በቲ በታ,!ንደይ tiwustina beti betahindey .............. 5 ላሎዬ (5x) Laloye (5x) (Redundanz) 6 በታ,!ተይ በዓልቲ

ሐዉልቲ betahitey be’alti hawulti

Meine Schönheit aus der „Hawulti“ Gegend

7 ወሸን ክሰድ ወሸን አጸብዕተቲ

wešen kised wešen asbi’iti

Die mit dem schönen Hals und den schönen Fingern.

8 ምሳሕ ገጋደዳ ድራር ደገዝማቲ

misah gada dirar degezmati

Du bist das Mittagessen eines Häuptlings und das Abendbrot eines „Dejazmac“ (hoher militärischer Rang)

9 ሰብ ዶ የለን ነሺ ለቲ ሞቲ

Sebdo yelen neshi leti moti

Gibt es keinen anderen? Warum musst Du sterben?

10 ላለይ (5x) Laloye (5x) (Redundanz) 11 G ላሎዬ (5x) Laloye (5x) (Redundanz)... usw.

Abbildung 27: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 3

Bei Wechselgesang handelt es sich vermutlich um gleiche Knabengruppe, die in den Walzenaufnahmen 1 und 2 vorkommen. Die hier verwendeten Tonstufen stellen die Bati-Qiñit dar (Abbildung 28): Abbildung 28: Bati-Qiñit, Walzenaufnahme 3

Der als Ausgangston dieser Qiñit verwendete Ton d’ spielt in der melodischen Strukturbildung eine wichtige Rolle. Er wird auch als Schlußton in mehreren Gesangszeilen verwendet. Im der Partitur ist generell ein zyklisch gestaltetet Melodieablauf erkennbar, der auch von dem Gesangstext (Verszeilenstruktur) abhängig ist. Der Gesang ist freimetrisch gestaltet. Der Vorsänger trägt zuerst eine strophische Zeile vor, die von der begleitenden Gruppe ergänzt wird (siehe z.B. Takt 1 gefolgt von den Takten 2 und 3 oder Takt 4 gefolgt von den Takten 5 - 7 usw.). Diese Gesangszeilen bestehen ausschließlich aus Redundanzen wie „la-le-ye“. In bestimmten Abständen hört man die Responszeilen, die die vom Vorsänger ausgeführten Gesangszeilen wiederholt, wie etwa in den Takten 14 und 15. Die vorgegebene Stimmlage stellt für die Unisono singende Gruppe offensichtlich eine gewisse Schwierigkeit dar. Dennoch wurde in der Transkription der vorstellbare Melodieverlauf niedergeschrieben, da aus der musikkulturellen Erfahrung her, eine Responszeile im Unisono zu erwarten ist. Walzenaufnahme 4; ID 33, Aufnahme: Erich Kaschke 19.01.1906 Axum Repertoire: Wechselgesang (Knaben) Dieser Gesang ist mit der Walzenaufnahme 37 zu vergleichen. Es handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um dieselben Akteure und um ein eventuell wiederholt gesungenes oder auf dem Datenträger noch mal kopiertes Stück. Aufgrund dessen wurde er nicht transkribiert (warum nicht?). Abbildung 29: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 4; vgl. Walzenaufnahme 37

Walzenaufnahme 5; ID 35, Aufnahme: Erich Kaschke, 19.01.1906 Axum Repertoire: Sologesang mit Masinqo Begleitung Im Folgenden wird der Gesang erläutert, der zum Empfang des deutschen Diplomaten, Friedrich Rosen, am 19.01.1906 in Axum aufgenommen wurde. Abbildung 30: gesungener Text Gz mF Originalschrift Umschrift Übersetzung 1 a ደግነት ደግ ነው

መቼም አይወረስ deginet deg new mecem ayiweres

Großzügigkeit ist gut- sie wird nie vererbt

2 a1 ደግነት ደግ ነው መቼም አይወረስ

deginet deg new mecem ayiweres

Großzügigkeit ist gut- sie wird nie vererbt

3 b ከዳዊት ጀምሮ ሰለሞን ድረስ

ke dawit jemiro selemon dires

Von Dawid- bis Solomon.

4 b1 ከዳዊት ጀምሮ ሰለሞን ድረስ

ke dawit jemiro selemon dires

Von Dawid- bis Solomon.

5 c ገዳሙ ገዳይ ና ና gedamu geday na na... (Redundanz) 6 d ቀድሞም ሲለን ነበር

ፍካሬ እየሱስ qedmom silen neber fikare yesusi

Schon früher sagte uns- das Buch Jesu

7 d በፀሐይ መውጫ ነው ንጉ| የሚነግ|

betsehay mewuca new nigus yeminegsi

Ein Kaiser wird gekrönt- auf der Sonnenseite.

8 e ጀርመን ደረሰልን እያደር አዲስ

germen dereselin iyader adisi

Der Deutsche ist zu uns gekommen- jedes mal ist es neu.

9 d1 ጀርመን ደረሰልን እያደር አዲስ

germen dereselin iyader adisi

Der Deutsche ist zu uns gekommen- jedes mal ist es neu.

10 f ከርሱ አይደለም ወይ የጥንት ቀሚስ

kesu aydelem wey yetint qemisi

Es ist doch von ihm- das ehemalige Kleid.

11 c1 ገዳሙ ገዳይ ና ና gedamu geday nana (Redundanz)... usw. Abbildung 31: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 5

Am Anfang des Gesanges sind Hörner zu hören, die lang angehaltene Töne erzeugen. Nach einer Weile beginnt vermutlich ein Azmari, wandernder Musiker13 mit einem Sologesang an. Höchstwahrscheinlich begleitet sich dieser auf der einsaitigen Kastenspießlaute Masinqo, die allerdings wegen der lauten Hörner kaum zu hören ist. Wie es aus dem in den Abbildungen 30 und 31 dargestellten Gesangstext und dessen Übersetzung ersichtlich wird, singt der Azmari auch über den „deutschen“ Gast. Die Verszeilen scheinen spontan erfunden worden zu sein, dennoch entsprechen sie den gegebenen Anlaß wie z.B. in den Gesangszeilen 8 bis 10 (Abbildung 30) festzustellen ist14. Der Azmari fügt zwischen den Verszeilen Redundanzsilben und -wörter hinzu, die ihn möglicherweise einerseits Bedenkzeit geben, sich an weitere, neue Texte zu erinnern, oder als zusätzliche textliche und melodische Ornamentierung dienen können. Dieser freimetrisch gestaltete Gesang ist in der Amariña-Sprache ausgeführt. Die vorkommenden Tonstufen nutzen die Tizita-Qiñit (Abbildung 32): Abbildung 32: Tizita-Qiñit, Walzenaufnahme 5

Abbildung 33 veranschaulicht den Anfang dieses in Noten niedergeschriebenen Gesangs und zwar von den geblasenen Hörnern bis zum Ende der 1. Strophe. Diese kann als eine repräsentative melodische Struktur für die restlichen Strophen dienen.

13 Abgesehen von seinem variationsreichen Gesangsstil, ist der Azmari auch für seine aus dem Stegreif

improvisierten, spontanen und unterhaltsamen Texte bekannt, die das alltägliche Leben und aktuelle soziale, politische und kulturelle Ereignisse zum Inhalt haben. Dadurch wird er auch seitens des Publikums bewundert und zum weiteren Gesang animiert.

14 Manche seiner Texte sind von ihrem Inhalt her vollkommen zusammenhangslos, eine Erscheinung, die in vielen Unterhaltungs- und Liebesgesängen insbesondere der Amara anzutreffen ist. Trotz ihrer Zusammenhangslosigkeit, werden sie jedoch von den Zuhörern mit großer Begeisterung genossen. Meistens reimen sich die Verszeilen, die entweder aus zwei, vier oder mehreren Zeilen aufgebaut werden.

Abbildung 33: Notenbeispiel Walzenaufnahme 5; ID 35

Walzenaufnahme 6; ID 2, Aufnahme: Erich Kaschke, 19.06.1906 Axum Repertoire: Sologesang mit Masinqo Begleitung Abbildung 34: gesungener Text, Walzenaufnahme 6

Gz mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte 1 a ሸብላላ ዳለች ይቀመጥና šeblala dalec yiqemetina Sitzend auf einem grauen Pferd 1 2 b ጥልፍ በላዩ ይደረብና tilf belayu yideribina Seine Tracht anziehend 2 3 c የሚቆምለት ማን

ሰው አለና yemiqomilet man sew alena

Wer steht für ihn gerade? 3

4 d ማን ሰው አለና ማን ሰው አለና

man sew alena man sew alena

Wen gibt es, wen gibt es? 4

5 I Masinqo Zwischenspiel 5 6 e እ e e 6 7 f እ የሚቆምለት ማን

ሰው አለና (e) Yemiqomilet man sew alena

(e) Wer steht für ihn gerade? 7

8 g ሽጉጥ በግራ ይታጠቅና ጎራዴ በቀኝ

šigut begira yitateqina gorade beqeñi

Links steckt er seine Pistole und rechts sein Schwert

8

9 h ይታጠቅና yitateqina Steckt er (die Pistole) 9 10 i እ ጎፍላ በላዩ

ይደርብና (e) gofla belayu yideribina

Sein Gewandt zieht er drüber 10

11 c1 እ የሚቆምለት ማን ሰው አለና

(e) yemiqomilet man sew alena

Wen hat er, der sich für ihn einsetzt

11

12 j ማን ሰው አለና man sew alena Wen gibt es? 12 13 j1 ምነው ጌትዬ minew getiye Was ist, mein Herr? 13 14 I Masinqo Zwischenspiel 14 15 k ምነው ጌትዬ ክፉ ነገር minew getiye kifu neger Was ist, mein Herr, etwas

Schlimmes... 15

16 l ጭው ሰሲል መሬት እንጉር ሲል አÆ*ራው ሲጮህ ሐረር

ciwu sil meret ingur sil abwarawu sicoh harer

Wenn der Boden schwindet, der Staub hochgeht und Harar15 schreit

16

17 f1 አይዋጋም ወይ የቤት አሽከር ayiwagam wey yebet ašker

Warum kämpft nicht ein Hausdiener?

17

18 j2 እ (ን)ማሙ ልጄ a (n)imamu lije (Redundanz) 18 19 j3 ዘውዛዋ ጉዴ zewuzawa gude (Redundanz) 19 20 j 3 ተው ቻለው ሆዴ tewu calewu hode Bitte verkrafte es, mein Herz 20 21 j 4 እ እንጎድ እንጎዱ e ingod ingodu (Redundanz) 21 22 j 5 አምስት ጋሞች amist gamoc Fünf ... 22 23 j 6 ጠብ የለመዱ teb jelemedu die sich stets bekämpften 23 24 j 7 እንዴት ነህ ጀርመን አረንዛ

ሆዱ indet neh germen arenza hodu

Wie geht es Dir „du Deutscher“, der Herzensgute

24

25 በናት ባባቱ መስጠት ልማዱ መስጠት ልማዱ

benat babatu mestet limadu mestet limadu

Das Geben hat er von seiner Mutter und seinem Vater geerbt

25

26 j 4 ዘውዛዋ ጉዴ zewuzawa gude (Redundanz) 26 27 j 4 ምነው ጌትዬ minew getiye Was ist los, mein Herr? 27 28 k1

k2

አንጋሎ አንጋሎ ለንግሊዝ ጣለኝ ከወራት እንጂ ከሰው ጠብ የለኝ

angalo angalo ke’ingilis taleñi kewerat inji kesewu teb yeleñi

Geschlagen, geschlagen, lag ich den Engländern zu Füssen Mein Problem sind die Monate und nicht die Menschen

28

29 m በጃኖ መግጃ ደረቴን በለኝ

bejano megja dereten beleñi

Schlag mich auf die Brust mit .???

29

30 m1 በአስር ብር ደረቴን በለኝ basir bir dereten beleñi Schlag mich auf die Brust mit 10 Birr16

30

31 j 4 እ ጀግና ና ልጄ e jegna na lije Du Held, komm her 31 32 j 4 እ (ን)ማሙ ልጄ e (n)imamu lije Du Held, komm her 32 33 n በበቅሎ መግጃ ደረቴን

በለኝ bebeqlo megja dereten beleñi

Schlag mich mit der Pferdepeitsche auf die Brust

33

34 II Masinqo Zwischenspiel 34 35 o እ እማሙ ብዙ ጎበዝ

ነው ሴት የምትወልደው e imamuni bizu gobez new set yemitweldewu

(Redundanz) viele Helden gebärt eine Frau

35

36 I Masinqo Zwischenspiel 36 37 p ብዙ ጎበዝ ነው ሴት

የምትወልደው bizu gobez new set yemitweldewu

Viele Helden gebärt eine Frau 37

38 q አንዱ ቤት ለቤት የሚያወደውደው

andu bet lebet yemiawedewudewu

Der eine bleibt zu Hause17 38

39 q1 አንዱ ከዚያ ላይ ክብ የሚንደው

andu kezia layi kib’ yeminidewu

Der andere, der große Taten vollbringen kann.

39

40 III Masinqo Zwischenspiel 40 41 q2 እ ያባ ባሕር ልጅ ተሰማ

ናደው eyaba bahir lij tesema nadewu

Aba Bahir’s sohn Tesema Nadew (Name eines Helden)

41

42 q3 ተሰማ ናደው tesema nadewu Tesema Nadewu 42

15 Die Menschen der Stadt Harar (Südostäthiopien) schreiben um Hilfe. 16 Die äthiopische Währung. Der Sänger bittet mit anderen Worten um Belohnung. 17 Der Angsthaase bleibt zu Hause.

43 q4 እሳት እሳቱን እሳት ወለደው isat isatun isat weledewu Der Feurige, aus dem Feuer Geborene

43

44 IV Masinqo Zwischenspiel 44 45 r የቡሬ አሽከር አባ

ግራኝ yebure ašker aba girañi

Bure’s Bedienstete Aba Girañi (Name)

45

46 q4 እንደ ሐምሌ ውሀ መጣ ሲዋኝ

inde hamle wuha meta siwañi

Er kam angeschwommen wie das Wasser des Hamle (= Juli) Monates

46

47 s የቡሬስ አሽከር ተስፋዬ ህንጣሎ ***ልቤ እንዳልለው

yebures ašker Tesfaye Hintalo *** libe indalilewu

Bure’s Bediensteter Tesfaye Hintalo (Name) .......

47

48 s1 ፍቅሩነ ነው እንጂ ጠቡን ማን ችሎ

fikrun newu inji tebun man cilo

Nur seine Liebe ist schön, einen Kampf mit ihm erträgt man nicht

48

49 I Masinqo Zwischenspiel 49 Abbildung 35: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 6

Der in den Abbildungen 34/35 dargestellter, freimetrischer Sologesang wird in der Amariña–Sprache ausgeführt. Ähnlich wie in der Walzenaufnahme 5 ist auch hier die Masinqo als Begleitinstrument im Hintergrund leider sehr schwach zu hören. Daher konnten die Instrumentalzeilen nur teilweise in Noten wiedergegeben werden (siehe Notenbeispiel u.a. die Takte 5 und 14).

Der Gesangsstil gehört ebenfalls zum Musikrepertoire des traditionellen Azmaris. Der Textinhalt berichtet von Kriegsereignissen und von Heldentaten, aber es werden auch während der Musikaufführung anwesende Personen gelobt bzw. gepriesen. Beispielsweise erwähnt der Sänger im Takt 24 eine Person, vermutlich Erich Kaschke, den er mit dem Wort „Germen“, „der Deutsche“, bezeichnet. Die meisten Verszeilen reimen (siehe u. a. Gesangszeilen 1, 2 und 3). Die in diesem Gesang verwendete Tonreihe ist in der Abbildung 36 zu sehen: Abbildung 36: Tizita-Qiñit, Walzenaufnahme 6

Die Melodiezeilen weisen eine gewisse wiederkehrende melodisch-rhythmische Struktur auf, die unterschiedlich gestaltet wird. Die charakteristischen Merkmale sind - Die melismatisch gestalteten Gesangszeilenenden, in denen mehrere Tonstufen auf einer Silbe gesungen werden, wie etwa in den Takten 1, und 15, und - Gesangszeilen, in denen überwiegend nur eine Tonstufe dominiert, die zugleich als Zentraltonstufe dient wie in den Takten 7 und 8 beobachtet werden kann. Die nach Verszeilen gegliederten Gesangszeilen sind unterschiedlich lang. Im Gesangstext sind auch nicht übersetzbare, jedoch für die Melodiegestaltung wichtige Redundanzen enthalten: z.B. in den Takten 6 und am Anfang der Takte 7 und 9 – mit der Silbe ‚e‘ - sowie in den Takten 13 und 18. Gesänge wie diese werden bis zur gegenwärtigen Zeit in ähnlicher Form von den Azmaris vorgetragen. Selbstverständlich sind im Laufe der Zeit Veränderungen im Gesangsstil sowie in der Aufführungspraxis aufgetreten, aber die wichtigsten Merkmale, die den Gesangsstil des Azmari darstellen, sind erhalten geblieben. Azmari-Gesänge werden nicht nur bei den Amara und Tigray, sondern auch in vielen anderen Musikkulturen Zentraläthiopiens in ähnlicher Form und Funktion ausgeführt. In der Vergangenheit wurde der Azmari vorwiegend zur privaten Unterhaltung auf dem Hof sowie bei wohlhabenden Familien bestellt. Manche Höfe besaßen sogar eine oder mehrere Azmariwoc, die zu beliebigen Zeiten ihre Musik ausführten. Heutzutage sind Auftritte des Azmari in traditionellen Kneipen, genannt Tej bzw. Azmari-Betoc, im Kreis eines privaten Publikums, auf Hochzeitsfeiern anzutreffen. Die Höhe seiner Gage unterscheidet sich von Ort zu Ort (z.B. Stadt/Land). Der Azmari wird des Weiteren auch für seine unerschöpflichen Melodievariationen vor allem von erfahrenen Zuhörern bewundert. Beim Ornamentieren von bereits existierenden Melodien wird der entsprechende Qiñit nicht verlassen. Die Dauer eines Gesanges wird vom Azmari selbst bestimmt, der je nach der gegebenen Situation entscheidet, ob er ihn fortsetzt, oder ihn beendet.

Walzenaufnahme 7; ID 36, Aufnahme: Erich Kaschke, 06.02.1906 Axum Repertoire: Hochzeitslied im Wechsel Abbildung 37: gesungener Text - Walzenaufnahme 7 Gz V/G mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte 1 V a መናዊተይ መን,!ናንዶ menawite minihinanido 1 – 3 2 G b ሰብ መናዊዬ seb menawiye 3 – 5 3 V a1 ላለይ (5x) laley (5x) (Redundanz) 5 – 7 4 G b ሰብ መናዊዬ seb menawiye 7 – 9 5 V a1 ላለይ (3x) laley (3x) (Redundanz) 9 – 11 6 G b ሰብ መናዊዬ seb menawiye 11 – 13 7 V c ፈታዊይ በዓልቲ fetawitey be’alti meqele 13 – 15 8 G b ሰብ መናዊዬ seb menawiye 15 – 17 9 V c1 ዓይና ፉሩይ ስና

ጉራማይለይ ayna furuy sina guramayle

17 – 19

10 G b ሰብ መናዊዬ seb menawiye 19 – 21 11 V a1 ዓይነብርን ንአ,! aynebirin ni’ahi lemide 21 – 23 12 G b ሰብ መናዊዬ seb menawiye 23 - 25 13 V c2 ፈታዊተይ በዓልቲ ገዛና fetawitey be’alti gezana 25 – 27 14 G b ሰብ መናዊዬ seb menawiye 27 – 29 15 V c1 ፀጉሪ ርዕሳ ልክዕ ምስ

እዘና sequri ri’isa liki’i mis izina

29 – 31

16 G b ሰብ መናዊዬ seb menawiye 17 V c3 ላለይ (3x) laleye (3x) (Redundanz) 31 – 33 18 G b ሰብ መናዊዬ seb menawiye 33 - 35

Abbildung 38: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 7

Bei dieser Walzenaufnahme scheint es sich um ein traditionelles Hochzeitslied zu handeln, das eventuell von einer erfahrenen Berufsgruppe in Tigriña gesungen wird, die zum diesem Anlass bestellt wurde. Die hier vorkommenden Tonstufen stellen die Bati Qiñit dar. Abbildung 39: Bait-Qiñit, Walzenaufnahme 7

Als Ausgangston dient der Ton e’, der eine wichtige Rolle in der melodischen Strukturbildung spielt, insbesondere als Schlusswendung in den einzelnen Gesangszeilen. Es handelt sich um einen Wechselgesang, der von Trommel und Händeklatschen begleitet wird und verhältnismäßig lange vorgetragen wird. Während der Vorsänger stets neue Strophen vorsingt, trägt die ihn begleitende Gruppe fortwährend kurze Textzeilen vor, die melodisch und rhythmisch bis zum Gesangsende unverändert bleiben (siehe u.a. Takte 3 – 5 und 7 – 9). Der in Abbildung 38 dargestellte Originaltext weist inhaltlich auffallende Gemeinsamkeiten mit dem tatsächlich gesungenen Text auf, jedoch stimmen die Reihenfolgen nicht überein. Bisweilen sind zusätzliche Wörter bzw. Textzeilen im Originaltext niedergeschrieben worden, die im gesungenen Text an keiner Stelle vorkommen. Das Klatschmuster sowie der Einzelnschlagmuster der Trommel fallen mit der schweren Zählzeit zusammen.

Walzenaufnahme 8; ID 3, Aufnahme: Erich Kaschke 1906, Axum Repertoire: Hochzeitsgesang im Wechsel Abbildung 40: gesungener Text, Walzenaufnahme 8 Gz V/G mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte 1 V a ማይ ዶሎዬ?

ማይ ዶሎዬ? ሎዬ?

mai do loye18? mai do loye? loye?

Gibt es Wasser? Gibt es Wasser? Gibt es?

1 –2 3 – 6

2 G a1 ማይ ዶሎዬ? ማይ ዶሎዬ? ሎዬ?

mai do loye? mai do loye loye?

Gibt es Wasser? Gibt es Wasser? Gibt es?

6 – 7 8 - 11

3 V a2 ማይ ዶሎዬ? ማይ ዶሎዬ? ሎዬ?

mai do loye? areqi do loye loye?

Gibt es Schnaps? Gibt es Wasser? Gibt es?

81 – 82 83 – 86

4 G a3 ማይ ዶሎዬ? ማይ ዶሎዬ? ሎዬ?

mai do loye? areqi do loye loye?

Gibt es Wasser? Gibt es Wasser? Gibt es?

86 – 87 87 – 91 ....usw.

Abbildung 41: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 8

Dieser zum traditionellen Hochzeitsfest der Tigray vorgetragener Gesang kann der Gruppe der Zeilenwechselgesänge zugeordnet werden. Auch heute wird er in ähnlicher Form zu solchen Anlässen ausgeführt. Der Melodieverlauf nutzt die Tonhöhen und Intervallverhältnissen der Tizita-Qiñit mit dem Ton es’ als Ausgangston (Abbildung 42): Abbildung 42: Tizita-Qiñit, Walzenaufnahme 8

In der Partitur sind vorwiegend die ersten drei Tonstufen, es’, f’ und g’ vertreten, während die vierte Tonstufe b’ verhältnismäßig selten vorkommt. Dagegen wird der Ton c’’, der fünfte Ton der Qiñit, an keiner Stelle verwendet, so dass der Tonvorrat sich nur von es’ – b’ erstreckt.

18 Das Wort „loye“ ist eine melodisch bedingte Abkürzung von „alewoye“.

Der Gesang besitzt von Anfang bis Ende einen strikten zyklischen melodisch-textlichen Verlauf. Der Vorsänger gestaltet seine Melodiezeilen unterschiedlich, während die Gruppe mit sehr beschränkten Melodievariationen das gesamte Lied hindurch dieselben Responszeilen singt (vgl. u.a. die Takte 1 bis 6 und 11 bis 16 des Vorsängers mit den Takten 6 bis 11 und 16 bis 21 der Gruppe). Traditionsgemäß wird dieser Hochzeitsgesang im Haus der Brautfamilie vorgetragen und ist mit einer Handlung verbunden. Der Text „mai do loye („alewoye“), was soviel bedeutet wie „Haben Sie Wasser?“ oder „Gibt es Wasser?“, bleibt bis auf eine einzige Stelle, den Takten 81 bis 85 mit dem Text „areqi do alewoye“ = „Haben Sie Schnaps? oder Gibt es Schnaps?“, unverändert. Durch den Gesangsinhalt, der eine Forderung gegenüber der Brautfamilie in sich birgt, erwartet die singende Gruppe eine Beköstigung seitens der Brautfamilie, die diesen Moment erwartet hat und darauf vorbereitet ist, die Gäste zu bewirten. Nach einer Weile werden speziell zu diesem Anlass vorbereitetes Essen und Getränke wie etwa lokal gebrautes Biert oder Wein serviert. Trotz der ständig wiederkehrenden, relativ monoton erklingenden Melodiezeilen und des beschränken Textes, dauert der Gesang in der Regel recht lange. Dieses Phänomen weist darauf hin, dass sowohl die Gesangsteilnehmer als auch die zunächst unbeteiligten Menschen den Gesang mit Freude wahrnehmen, weil eher das gesamte Geschehen (d.h. der Tanz, das Klatschen, die Gestik und Mimik und weitere damit verbundene Handlungen), das von Musik begleitet wird, von Bedeutung ist19. Der Vorsänger gestaltet seine Melodiezeilen zwar variiert, dennoch bleibt er im Rahmen der groben Melodiestruktur (vgl. Takt 1 - 5 mit den Takten 11-16 und 51-56). Im Gegensatz dazu sind die Responszeilen der ihn begleitenden Gruppe relativ gleichmäßig aufgebaut. Das Klatschen und der Trommelschlag beginnen erst im 7. Takt. Im Gegensatz zum Klatschen, das fast ohne Unterbrechung bis zum Ende des Gesanges ausgeführt wird, ist der Trommelschlag in den Takten 17 bis 24 sowie 41 bis 43 ausgesetzt. Es lässt sich hier vermuten, dass der Trommler entweder mit dem Gesangsablauf nicht in Übereinstimmung gekommen ist, oder er nicht ausdauernd fähig ist, den Trommelschlag richtig auszuführen. Allerdings handelt es sich hierbei um eine relativ alte Aufnahme, so dass man nicht genau nachvollziehen kann, ob die Unterbrechungen möglicherweise mit der Aufnahmequalität zusammenhängen, da die Trommel ohnehin schlecht zu hören ist. In diesem Zusammenhang soll auch angedeutet werden, dass der kurze Einzelschlag, der mit der betonten Zählzeit zusammenfällt, nicht dem typischen Schlagmuster entspricht, das für die Begleitung der traditionellen Gesänge der Tigray verwendet wird (Abbildung 43).

19 Solche Phänomene sind auch in den Musiktraditionenen der Amara zu beobachten. Dies ist beispielsweise

auch anhand der funktionsgebundenen und nicht funktionsgebundenen Hochzeitsgesängen und anderen Musikgattungen feststellbar, bei denen gewöhnlich eine große Anzahl von Menschen daran teilnimmt. Somit gibt es ähnliche, melodisch und textlich festgelegte und vor allem für den unerfahrenen Zuhörer recht monoton erklingende Gesänge. Von den mit der Musiktradition vertrauten Teilnehmern werden die Gesänge mit Begeisterung wahrgenommen und keineswegs als langweilig empfunden. Im Gegenteil, im Verlauf eines solchen Wechselgesanges beteiligen sich zunehmend mehr Menschen, die zunächst nur als passive Teilnehmer das musikalische Geschehen beobachtet haben.

Abbildung 43: Ausschnitt aus der Walzenaufnahme 8

Gewöhnlich wird ein quasi-auftaktiges Zweiermuster (Abbildung 44) und in anderen Zusammenhängen auch ein Dreierschlagmuster benutzt. Abbildung 44: Ausschnitt aus der Walzenaufnahme 12

Walzenaufnahmen 9 und 10 In dieser Sammlung sind keine Walzenaufnahmen enthalten, die mit den Nummern 9 und 10 angegeben sind, jedoch existieren zwei kurze Originaltexte in der Tigriña-Sprache die mit diesen Nummern gekennzeichnet sind und im Folgenden nacheinander gezeigt werden (Abbildungen 45 und 46): Abbildung 45: Text Nr. 9 aus dem Originalmaterial

Abbildung 46: Text Nr. 10 aus dem Originalmaterial

Walzenaufnahme 11; ID 4, Aufnahme: Erich Kaschke, 06.02.1906 Axum Repertoire: Wechselgesang Abbildung 47: gesungener Text - Walzenaufnahme 11

Gz V/G mF Umschrift Übersetzung Takte 1 V a la loye laley laloye (Redundanz) 1 – 4 2 b laloye laley laley (Redundanz) 4 – 7 3 G a la loye laley laloye (Redundanz) 7 -10 4 b laloye laley laley (Redundanz) 10 – 13

weitere Verszeilen 5 V a1 kurincite weredete ???? 49 – 52 6 b kijite medaloyte 52 - 55 7 G a la loye laley laloye (Redundanz) 55 – 58 8 b laloye medaloye (Redundanz) ....usw. 58 - 61

Abbildung 48: ursprünglich notierter Text Walzenaufnahme 11

Der Gesang wird im Tizita-Qiñit gesungen, dessen Tonstufen wie folgt aussehen (Abbildung 49): Abbildung 49: Tizita-Qiñit, Walzenaufnahme 11

Es ist ein in Tigriña ausgeführter Zeilenwechselgesang, der von seiner Struktur her mit der Walzenaufnahme 8 identisch ist (siehe Notenbeispiel). Der Gesangstext besteht fast ausschließlich aus Redundanzsilben. An einer Stelle werden Verszeilen hinzugefügt (siehe Takt 49 – 52; Vorsängerpart). Die Gruppe singt von Anfang bis zum Ende des Liedes stets dieselbe Responszeile. Weitere Begleitungen sind wie gewöhnlich das Klatschen, das Trommeln und das Trillern. Der rhythmische Verlauf des Klatschens und des Trommelschlags sind ebenso identisch mit der Walzenaufnahme 8.

Ferner kommen geringfügige Melodievariationen vor, die vom Vorsänger gestaltet werden (vgl. u.a. Takte 1-7 mit 13-19 und 49-55). Walzenaufnahme 12; ID 5, Aufnahme: Erich Kaschke, 06.02.1906 Axum Repertoire: Wechselgesang Abbildung 50: gesungener Text, Walzenaufnahme 12

Gz V/G mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte 1 V a ሐደረዬ hadareye Meine Ehe 1 – 2

b በሊ ሐደረዬ beli hadareye Sag meine Ehe 3 – 4 c በሊ ሐደረዬ beli hadareye Sag meine Ehe 4 – 6

2 G a ሐደረዬ hadareye Meine Ehe 6 – 7 b በሊ ሐደረዬ beli hadareye Sag meine Ehe 8 – 9 c1 በሊ ሐደረዬ beli hadareye Sag meine Ehe 9 – 11

3 V a1 ሐደረዬ hadareye Meine Ehe 11 – 12 b በሊ ሐደረዬ beli hadareye Sag meine Ehe 13 – 14 c1 በሊ ሐደረዬ beli hadareye Sag meine Ehe 14 – 16

4 G a ሐደረዬ hadareye Meine Ehe 16 – 17 b በሊ ሐደረዬ beli hadareye Sag meine Ehe 18 – 19 c በሊ ሐደረዬ beli hadareye Sag meine Ehe 19 - 21

Verszeilen 5 V a1 እንተ ናይ ዕውነት inte nay iwunet 41 – 42

b1 አረቄ ናይ እምነት areqe nay imnet 43 – 44 c ሐደረይ ዳ በለይ hadarey da beley 44 – 46

6 a2 አታ ጎይታይ ata goytay 91 – 92 d በሊሃ ጎይታዬ beliha goytaye 93 - 94 c በሊሃ ጎይታዬ beli hadareye ...usw. 94 - 96

Abbildung 51: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 11

Der Gesang wird in der Bati-Qiñit vorgetragen, wobei die ersten zwei Tonhöhen Gis und gis’ als Ausgangstöne betrachtet werden können. Abbildung 52: Bati-Qiñit, Walzenaufnahme 12

Von der gesamten Struktur her, lässt sich dieser Gesang zu der Gruppe der Zeilenwechselgesänge zuordnen. Es wurden Ähnlichkeiten mit den Walzenaufnahmen 8 und 11, in der Gesamtbesetzung sowie im metrischen Verlauf festgestellt. Von der groben Struktur her wiederholen sich auch die gleichen Gesangszeilen, die an bestimmten Stellen melodisch und textlich variiert werden. Im Vergleich zu den vorangegangenen Walzenaufnahmen 8 und 11 ist hier das Schlagmuster der Trommel anders gestaltet (siehe Notenbeispiel). An der Stelle des Einzelschlages, der in den Walzenaufnahmen 8 und 11 vorkommt und jeweils mit der schweren Zählzeit zusammenfällt, wurden in hier kurze auftaktige Doppelschläge verwendet. Der erste Schlag fällt mit der schweren Zählzeit zusammen, während der zweite mit dem dritten Schlag des Dreiertaktes in Übereinstimmung kommt. Das Klatschmuster dagegen bleibt dasselbe wie in den oben genannten zwei Walzenaufnahmen und zwar ein Einzelschlag auf der schweren Zählzeit. Walzenaufnahme 13; ID 6, Aufnahme: Erich Kaschke, 06.02.1906 Axum Repertoire: Korangesang im Wechsel Der hier der gesungene Text konnte nicht niedergeschrieben werden, weil die „arabische“ Sprache mir leider nicht bekannt ist. Abbildung 53 stellt jedoch den Originaltext dar: Abbildung 53: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 13

Die Aufnahmequalität dieses Wechselgesanges ist sehr schlecht, wobei die Responszeilen der begleitenden Gruppe mehr betroffen sind. Im Kaschkes Forschungsmaterial ist er als „mohammedanische Schüler/Vorsänger und Gruppe, sehr bekannte Koransure“ beschrieben. Eine ausführliche Befragung von erfahrenen Zuhörern ergab, dass sowohl am Anfang als auch in den weiteren Textzeilen der Allah begrüßt und in diesem Zusammenhang auch der Name des Propheten Mohammed erwähnt wird. Der Text stammt jedoch nicht direkt aus einer Koransure. Die vortragenden sind „mohammedanische Schüler“. Man kann deshalb davon ausgehen, dass die Aufnahme möglicherweise in einer Koranschule durchgeführt sein könnte. Es ist in weiten Teilen Äthiopiens aber auch auf der ganzen Welt bekannt, dass in muslimischen Kulturen traditionsgemäß Kinder schon im jungen Alter religiöse Schulen besuchen, um den heiligen Koran zu erlernen. Dabei werden nicht nur

aus dem Koran stammende religiöse Texte gelesen und geübt, sondern zugleich auch die arabische Schrift. Aufgrund dessen könnte bei diesem Gesang also vielmehr der pädagogische Aspekt im Vordergrund stehen. Es ist ferner anzunehmen, dass die ständige Wiederholung von Phrasen und die Vielschichtigkeit der Melodik, Rhythmik und Metrik weniger mit einem Korangebet in Zusammenhang steht, weil im Gebet solche sich wiederholenden und monoton erklingende Phrasen laut Befragung keineswegs vorkommen. Wie aus der Transkription ersichtlich wird, ist der Gesang in mehrere Abschnitte untergliedert, die melodisch, metrisch und rhythmisch sowie vom Tempo her markante Unterschiede aufweisen und somit als in sich abgeschlossene Abschnitte verstanden werden können. Der Tonvorrat erstreckt sich vom e’ - b’, jedoch kommen die Tonstufen g’, a’, b’ und h’, die besonders ab dem zweiten Abschnitt unterschiedlich gestaltet werden, am häufigsten vor. Abschnitt 1: ist ein Zeilenwechselgesang, der sich insgesamt aus 8 Melodiephrasen zusammensetzt, wobei der Vorsänger und die Gruppe jeweils vier Melodiephrasen im Wechsel vortragen. Jede Phrase wird zuerst von dem Vorsänger gesungen und danach von der begleitenden Gruppe sie in fast gleicher Weise wiederholt. Abschnitt 2: kann als Rufwechselgesang mit einem „Ruf-Antwort-Schema“ klassifiziert werden. Dieser bildet durch seine relativ kurzen Melodie- und Textphrasen und die gegenseitige Ergänzung Vorsänger/Gruppe ein vollkommenes Ganzes. Der Vorsänger fügt zu der sich stets wiederholenden Dreiergruppe „g-a-a“ neue Textzeilen hinzu, während die Gruppe textlich und melodisch gleich bleibende Responszeilen singt, die aus einer Zweiergruppe besteht. Verglichen mit dem ersten Abschnitt, dauert der zweite relativ länger. Auch das Tempo weicht vom ersten Abschnitt ab. Abschnitt 3: stellt ebenfalls aus einem Ruf-Antwort-Schema dar. Die Melodiebewegung weist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem zweiten Abschnitt auf, jedoch unterscheidet er sich diesem durch seinen metrischen Verlauf und sein eindeutig schnelles Tempo. Die einzelnen Melodiephrasen des Vorsängers sind immer mit einem neuen Textinhalt verknüpft. Dagegen trägt die Gruppe kurze Phrasen mit unverändertem Text vor. Es sind lediglich zwei Tonstufen und zwar g’ und a’, im gesamten Abschnitt in Gebrauch, wobei der Ton a’ häufiger vorkommt. Abschnitt 4: ist ein Rufwechselgesang, der im Vergleich zu den vorangegangenen Abschnitten in einem 6/8 Takt aufgebaut ist. Die hier verwendeten Töne sind g’, a’, und b’. Die Melodiephrasen fallen kürzer aus. Die drei am häufigsten verwendeten Tonstufen des gesamten Stückes g’, a’, und b’ bilden den Mittelpunkt der melodischen Gestaltung. Abschnitt 7: Rufwechselgesang. Walzenaufnahme 14; ID 7, Aufnahme: 06.02.1906 Axum

Korangesang im Wechsel, Fortsetzung von Walzenaufnahme 1320 Dieser Gesang ist laut des Ansagetexts am Anfang eine Fortsetzung der vorangegangenen Walzenaufnahme 13. Daher weist er entsprechende Ähnlichkeiten im melodischen und teilweise auch rhythmischen Verlauf auf. Im Gegensatz zur Walzenaufnahme 13 kommt hier nur ein Zeilenwechselgesang vor mit einem relativ langsamen Tempo. Der Tonvorrat ist kleiner und erstreckt sich somit von f’ - ais’. Bei dem Text könnte es eventuell sich um ein Lobgebet, ein Gedicht religiösen Inhalts oder eine Erzählung über den Propheten Mohammed handeln. Der Gesang lässt sich in zwei melodisch, rhythmisch und textlich markante Abschnitte untergliedern. Der erste Abschnitt besitzt kurze Melodiephrasen, wie z.B. in den Takten 1 – 5. Dagegen bestehen die zweiten Abschnitte jeweils aus relativ langen Gesangszeilen wie beispielsweise in den Takten 14 und 16 zu beobachten ist. Die Melodiebewegung neigt eher zu einem Sprechgesang und der Text wird - im Vergleich zum ersten Abschnitt - in einem schnellen Tempo ohne Unterbrechung vorgetragen. In den Melodiezeilen dominiert der Ton gis’. Der Gesang der begleitenden Gruppe ist - genau wie in der Walzenaufnahme 13 - kaum zu hören (Diese Stellen wurden entsprechend mit 1* vermerkt). Insbesondere betrifft dies die Gesangszeilen der zweiten Abschnitte. Vermutlich könnte es sich um einen Unisonogesang handeln. Die Transkription dieser Zeilen war äußerst mühsam. Deshalb sind die notierten Tonstufen nicht als einwandfrei zu bezeichnen, da bisweilen beträchtliche Schwankungen und störende Geräusche zu hören sind. Beim genaueren Zuhören (wenn dies technisch möglich wäre) könnten sogar erhebliche Abweichungen im gesamten melodischen, metrorhythmischen und textlichen Ablauf festgestellt werden. Walzenaufnahme 15; ID 8, Aufnahme: Erich Kaschke, 07.03.1906 Axum Repertoire: solistischer Kriegsgesang In diesem Musikstück geht es um einen Kriegsgesang21. Zunächst ist es allerdings sehr wichtig Allgemeines über die traditionellen Kriegsgesänge der Amara und Tigray zu berichten: Kriegsgesänge sind in vielen Kulturen Äthiopiens anzutreffen. Sie werden, soweit bekannt, in den Musikkulturen der Amara und Tigray in der Regel ohne Instrumentalbegleitungen ausgeführt. Sie gehören für gewöhnlich zu den Männergesängen schlechthin, obgleich es kein Tabu ist, dass Frauen gelegentlich auch teilnehmen. Die hier besprochenen Kriegsgesänge haben sich im Laufe der Geschichte in ihrer Ausführungsart und ihrer musikalischen Struktur lokal und regional verändert, jedoch grundlegende Identifikationsmerkmale sind bis heute erhalten geblieben.

20 Im Gegensatz zu den anderen Gesängen dieser Sammlung können die Walzenaufnahmen 13 und 14 keiner der

Qiñit-Tonreihe zugeordnet werden. Der mit der Nr. 14 versehene Gesangstext aus dem Originalmaterial entspricht nicht der uns zur Verfügung stehenden Walzenaufnahme 14.

21 In der gesamten Sammlung sind insgesamt 5 Kriegs- und Jagdgesänge in den Amariña- und Tigriña-Sprachen enthalten, die sowohl melodisch aufgebaute als auch rezitative Gestaltungstrukturen innehaben. Die weiteren 4 Walzenaufnahmen, die in ihrer Reihenfolge beschrieben werden, sind 16, 23, 24 und 33.

Bei den Amara und Tigray werden Kriegsgesänge sowohl solistisch als auch als Wechselgesänge ausgeführt. In der Regel finden sie entweder auf dem Weg in einem bevorstehenden Krieg statt, um Soldaten bzw. Krieger auf einen physischen und psychischen Kampf einzustimmen. Sie können auch nach einem bereits erfolgten Sieg zur Beglückwünschung oder zum Andenken an gefallene Soldaten gesungen werden. Des Weiteren sind Kriegsgesänge auch bei großen staatlichen Feierlichkeiten und Volksfesten anzutreffen, um einer Persönlichkeit oder einem historischen Datum zu gedenken. Kriegsgesänge besitzen fest- auch frei-metrisierte Strukturen mit eigentümlichen, melodischen und metrorhythmischen Gesangsstilen. Es sind im Rahmen der Kriegsgesänge hauptsächlich drei Stile bekannt, die als Qerera, Fukera und Fanno bekannt sind. Sie unterscheiden sich voneinander in ihrer Darstellungsart, ihrem Textinhalt sowie in ihrer Funktion. Kebede (1971: 66 – 69) beschreibt sie so:

“Kerera – which includes animated soldier songs aimed to inspire the singer or the listening warrior into fearless action of bravery. Fukera – a kind of song which uses a comparative technique in order to magnify the achievements of the patriot. The hero is heaped with exaggerated praises while the enemies are downright ridiculed. Fanno – a sentimental kind of song which recounts the deeds of heroes who have died on the field of combat. It is more or less a song in memorian”.

Im Gegensatz zu den bereits genannten Stile, die entweder solistisch oder als Wechselgesangt ausgeführt werden, handelt es sich bei dem Fukera-Stil um einen Rezitationsgesang, der entweder in bestimmten Abständen oder ganz zum Schluss eines Kriegsliedes stattfindet. Der Fukere wird ausschließlich solistisch vorgetragen. Die melodische und rhythmische Bewegung sowie die textliche Akzentuierung des Fukera können sich individuell sehr stark variieren. Doch bestehen unvermeidliche Identifizierungsmerkmale, die von jeden Ausführenden eingehalten werden müssen, vor allem in der Art des Rezitierens und der Körperbewegung. Eine markante Ähnlichkeit von Rezitationsgesängen besteht insbesondere darin, dass die Texte in einem schnellen Tempo und nahezu ohne Unterbrechung mit viel Emotion vorgetragen werden. Dabei wird trotzdem meistens eine gewisse festmetrische Struktur aufrechterhalten. Ihre Melodien operieren gewöhnlich mit maximal drei Tonstufen. Im Allgemeinen bestehen die in den Kriegsgesängen benutzten Texte aus reimende Verse, die 2 bis zu 10 Zeilen lang sein können. Es gibt sowohl lange, z.B. 12-silbige als auch relativ kurze, z.B. 6-silbige, Verszeilen. Auch der Inhalt spielt eine wesentliche Rolle. Kriegsgesänge werden nicht nur von einer Person solistisch ausgeführt, sondern es kommen mehrere Teilnehmer zusammen, die den jeweiligen Sänger in verschiedenster Form begleiten. Insbesondere während eines Fukera gehört die Körperbewegung zum wichtigen Bestandteil. So läuft der Aufführende während des Rezitierens mit hektischen Schritten hin und her und stellt symbolisch einen Helden bzw. heldenhafte Taten dar. In seiner Hand trägt er zumeist entweder ein Gewehr, ein Schwert oder/und eine Speer, um seine Kampfbereitschaft deutlich zum Ausdruck zu bringen. Es gibt aber auch Bewegungsabläufe, die entweder paarweise oder von mehreren Teilnehmern zum selben Zeitpunkt stattfinden. Dazu gehören bestimmte Gestik und Mimik, etwa starke Gesichtsausdrücke wie ein ernstes Gesicht oder aufgerissene Augen. Somit sind hier Musik und Bewegung unmittelbar miteinander verbunden.

Unter den traditionell bekannten Kriegsgesängen der Amara ist der als Shilela22 bekannte Gesangstyp sehr weit verbreitetet. Da Kriegsgesänge zumeist mit charakteristischen Körperbewegungen begleitet werden, wäre in Bezug auf die hier beschriebenen Musikbeispielen eine analytische Filmaufnahme sehr angebracht, um eine genauere Untersuchung von dem jeweiligen Gesang und den damit verknüpften Körperbewegungen zu durchfürhung zu können, denn die hin und wieder auftretenden Unterbrechungen im Verlauf dieser Gesänge (z.B. Walzenaufnahme 15), könnten möglicherweise mit den Körperbewegungen in Zusammenhang stehen. Walzenaufnahme 15: Der Gesang setzt sich aus mehreren sich überwiegend reimenden Strophen zusammen, deren Endsilben anhand der Unterstreichung und Fettmarkierung in der Spalte Umschrift, zu sehen sind. In der ersten Spalte sind die zusammengehörenden, meist aus 4-zeiligen Versen mit 1, 2, 3 und 4 angegeben. Die Strophen 10 und 11 sind dagegen unvollständig, somit fehlen die letzten zwei Verszeilen, die die angefangene Zeile zu Ende führen würden. Strophe 9 besteht nur aus drei Zeilen. Die in der ersten Spalte der Textdarstellung jeweils mit diesem *** Zeichen versehenen Zeilen zeigen die zusätzlich gesungene Redundanzsilben und –Wörter, die in den meisten traditionellen Gesängen der Amara als Mittel zur Erweiterung bzw. Verlängerung von Melodie- und Textzeilen benutzt werden. Dabei handelt es sich in der Regel um solistisch ausgeführte Unterhaltungs- und Liebesgesänge Abbildung 54: gesungener Text - Walzenaufnahme 15

Vz Originalschrift Umschrift Übersetzung Strophe 1

1 እናንት ወንድሞቼ inant wendimoce Ihr, meine Brüder- 2 እንዳትሆኑ መና indathonu mena passt auf euch auf- 3 ሌት ይመጡ ቀን ይመጡ let yimetu qen yimetu Ob sie (die Feinde) nachts oder tagsüber

kommen, 4 የሚያውቅ የለምና yemiyawuq yelemina weiß niemand.

*** እናንት ወንድሞቼ inant wendimoce Ihr, meine Brüder- Strophe 2

1 እንዲህ ብለን ብለን indih bilen bilen Nachdem wir so viel geredet haben, 2 የቀረን እንደሆን yeqeren indehon und dieses nicht in die Tat umsetzen, 3 የÙሮ ባቄላ yegwaro baqela sind wir wie Gartenbohnen, 4 እንኮለሌ መሆን inkolele mehon aus denen nichts wird.

Strophe 3 1 እናንት ወንድሞቼ inant wendimoce Ihr, meine Brüder- 2 የእናንተን አላውቅም yenanten alawuqim Von euch weiß ich nichts 3 ምንም ዝናብ ቢሆን minim zinab bihon Auch wenn es regnet- 4 ፊቴን ዙሬ አልወድቅም fiten zure alwedqim werde ich nicht rückwärts fallen.

22 Der Begriff Shilela stammt aus dem Verb meshelel und bedeutet soviel wie prahlen bzw. über Heldentaten

erzählen. Er weist auf eine weit zurückliegende Geschichte zurück. Seit der Entstehung des äthiopischen Staates im 1. Jahrhundert, haben mehrere Kriege stattgefunden, die sowohl mit äußeren Invasionen, z.B. Italien im Jahre 1936, als auch mit Binnenkriegen, z.B. Religionskrieg zwischen Moslems und Christen im 7. Jahrhundert, verbunden sind und die gleichzeitig zur Entwicklung und Verbreitung dieses Gesangsstils viel beigetragen haben.

Strophe 4 1 እንደው ተንከባሉ indewu tenkebalo Nach viel Mühe- 2 ድልድል ያገኛል dilidil yageñal findet er das, wonach er sucht. 3 የከፋው ወንድ ልጅ yekefawu wend lij Warum wünscht sich ein trauriger Mann 4 ምነው ሞት ይመኛል minewu mot yimeñal seinen Tod?

Strophe 5 1 እየደፈረሰ iyedeferese Das Wasser ist beschmutzt 2 የታችኛው ውሃ yetaciñawu wuha da unten 3 ምን መከሰቻ አለው min mekeseca alewu Wohin kann ein Mensch gehen- 4 ሰው ያለ በረሃ sewu yale bereha als sich in die Wüste zu begeben

*** ጃሎ መገን jalo megen (Redundanz) Strophe 6

1 እናንት ወንድሞቼ inant wendimoce Ihr, meine Brüder- 2 በሉ ጠና ጠና belu tena tena seid getröstet. 3 ሌት ይመጡ ቀን ይመጡ let yimetu qen yimetu Ob sie nachts oder tagsüber kommen, 4 የሚያውቅ የለምና yemiyawuq yelemina weiß niemand.

Strophe 7 1 ምን ነካው ተፈሪ min nekawu Teferi Was ist los mit Teferi (Name) - 2 ተቆረጠ ልቡ teqorete libu sein Herz ist gebrochen. 3 እንµ*ንስ ለባዶ inkwanis lebado Seine Tapferkeit reiche sogar 4 ይበቃል ለዘጠኝ yibeqal lezeteñi für neun Menschen.

Strophe 8 1 ምን ነካው ተፈሪ min nekawu Teferi Was ist los mit Teferi- 2 አንተስ የለፋህ antes yelefahi er hatte sich viel bemüht. 3 አሽከሮችህ ነበር ašikerocih neberi Deine Diener sind schwach- 4 አንተ አንበሳ ነህ ante anbessa nehi du bist ein Löwe.

Strophe 9 1 ዋርካው ዘሞ ዘሞ warkawu zemo zemo Der Baum biegt sich, biegt sich 2 አይቀርም ወንድ ልጅ ayqerim wend lij Ein Held bleibt nicht still- 3 ልቡን ታሞ ታሞ libun tamo tamo mit gebrochenem, gebrochenem Herz.

*** ***

በለው ዛፉን በለው ዛፉን

belewu zafun belewu zafun

Schlag den Baum. Schlag den Baum.

Strophe 10 1 ዛፉማ ሲቆረጥ zafuma siqoret Wenn der Baum abgeschnitten wird- 2 ይረግፍ የለም ወይ? yiregif yelem wey fällt er doch runter?

*** ጃሎ ጃሎ jalo jalo (Redundanz) Strophe 10 (Wiederholung)

1 ዛፉማ ሲቆረጥ zafuma siqoret Wenn der Baum abgeschnitten wird- 2 ይረግፍ የለም ወይ? yiregif yelem werdo fällt er doch runter?

*** ጃሎ መገን jaloye megen (Redundanz) *** ይረግፍ የለም ወይ? yiregif yelem werdo Fällt er (der Baum) doch runter? *** ጃሎ መገን jaloye megen (Redundanz) *** በሉ (4x) belu (4x) Sagt etwas...

Strophe 11 1 ወንድ ልጅ ተወልዶ wend lij teweldo Wenn ein Junge- 2 ካልተባለ አጅሬ kaltebale ajire nicht zum Helden wird.

Abbildung 55: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 15 bzw. 32

Dieser rezitierte Gesang ist freimetrisch gestaltet. Der Sänger tendiert allerdings bisweilen zur Bildung einer melismatischen Melodie, die eine ungefähre zyklische Struktur aufweist. Allerdings sind die darin verwendeten Tonstufen so unklar, dass hier keine eindeutige Qiñit–Tonreihe festgelegt werden kann. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Sänger eventuell wenig Erfahrung mit Kriegsgesängen haben könnte, aber dazu kommt auch seine völlig ungeeignete Stimme in Frage. So erzeugt er bestimmte Tonstufen an mehreren Stellen fast „schreiend“, weil er möglicherweise nicht in der Lage ist, sie mühelos wiederzugeben. Es ist zu vermuten, dass dieses Musikstück aus der Sicht eines erfahrenen Zuhörers kein repräsentatives Beispiel für einen Kriegsgesang darstellt. Im Notenbeispiel ist nur der rhythmische Verlauf wiedergegeben. Dies beinhaltet die ersten zwei Strophen, die in dem oben vorgestellten Text (Abbildung 54) zu sehen sind.

Walzenaufnahme 16; ID 9, Aufnahme: Erich Kaschke, 07.03.1906 Axum Repertoire: Kriegsgesang/Rezitation Bei dieser Walzenaufnahme handelt es sich ebenso um einen Rezitationsgesang, der in Amariña ausgeführt wird. Der Text wird in einem schnellen Tempo fast ohne Unterbrechungen (bis auf notwendige Atempausen des Sängers) vorgetragen, so wie bei den vorhergehenden Musikbeispielen. Die Aufnahmequalität ist leider sehr schlecht. Daher sind nur einige Wörter oder Teile von Textzeilen zu hören. Der in Abbildung 56 dargestellte Originaltext berichtet über Kriegsschauplätze wie etwa Metema, Kriegssituationen und Helden wie Tsehay Yohannes und Alula (bekannte Helden aus der äthiopischen Kriegsgeschichte) sowie ihre heldenhafte Taten. Aufgrund der schlechten Aufnahmequalität und den möglicherweise damit zusammenhängenden ständigen Unterbrechungen, wurde dieses Musikstück nicht transkribiert. Vom Tempo und von dem rhythmischen Verlauf her ist es trotzdem mit der Walzenaufnahme 33, Gesangsabschnitt 2 zu vergleichen. Abbildung 56: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 16

Walzenaufnahmen 17 und 18; IDs 10 und 11, Aufnahme: Erich Kaschke 11.02.1906 Axum Repertoire: Unterhaltungs- und Liebesgesang/Solo Bei den hier beschriebenen zwei Musikstücken handelt es sich vermutlich um ein und denselben Gesang, der von ein und demselben Sänger in der Amariña–Sprache ausgeführt wird. Zunächst werden die Texte beider Walzenaufnahmen nacheinander veranschaulicht: Abbildung 57: gesungener Text, Walzenaufnahme 17

Gz mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takt

1 a ዋ እልሸ የለም ወይ? ዋ እልሸ የለም ወይ?

wa iliši yelem weyi? wa iliši yelem weyi?

Nenne ich Dich nicht „wa“ 23? Nenne ich Dich nicht „wa“?

1 – 5

2 b ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ ዋ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye wa iliši yelem weyi

Godadaye, godadaye Nenne ich Dich nicht „wa“?

5 – 11

3 a1 ምነው ደግሞ አካሌ? ምነው ደግሞ አካሌ?

minewu degmo akale? minew degmo akale?

Was ist los, meine Liebe? Was ist los, meine Liebe?

11 – 15

4 b ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ ዋ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye wa iliši yelem weyi?

Meine Schöne24, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

15 – 21

5 a2 ዋ እልሻለሁ እንጂ ማን ልበልሽ ደግሞ

wa ilišalehu inji man libeliši degmo?

Ich nenne Dich „wa“, wie soll ich Dich denn sonst nennen?

22 – 26

6 b ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ ዋ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye wa iliši yelem weyi?

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

26 – 32

7 a3 እናንተም (4x) inantem (4x) Ihr, ihr, ihr, ihr (4x; Pluralform) 33 - 37 8 b ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ

ዋ እልሸ የለም ወይ? godadaye, godadaye wa iliši yelem weyi?

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

38 – 44

9 a4 ምነው ምነው

minewu degmo akale? minew degmo akale?

Was ist los, meine Liebe? Was ist los, meine Liebe?

45 – 49

10 b ጎዳዲት ጎዳዲት እልሸ የለም ወይ?

godadit, godadit iliši yelem weyi?

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

50 – 56

11 a5 ዋ እልሸ የለም ወይ? ማን ልበልሽ ደግሞ

wa ilišalehu inji man libeliši degmo?

Ich nenne Dich „wa“, wie soll ich Dich denn sonst nennen?

57 – 61

12 a6 እልሻለሁ እንጆ ማን ልበልሽ ደግሞ

ilišalehu inji man libeliši degmo?

Ich nenne Dich „wa“, wie soll ich Dich denn sonst nennen?

62 – 66

13 a7 ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ ዋ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye wa iliši yelem weyi?

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

66 – 72

14 a6 ገዳይ ደግሞ አካሌ ገዳይ ደግሞ አካሌ

geday degmo akale geday degmo akale

Held25, meine Liebe Held, meine Liebe

73 – 77

15 c አይደለሁ ጉማሬ ባሕሩን አልጥሰው

aydelehu gumare bahirun altisewu

Ich bin kein Nilpferd und kann den See nicht überqueren

78 – 82

16 d ላሞራው ላኪልኝ ለሚመላለሰው

le’amorawu lakiliñi lemimelalesewu

Schick mir die Nachricht über den Raben, der hin und her fliegt

83 – 87

17 b ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ ዋ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye wa iliši yelem weyi?

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

87 – 93

23 Das Wort „wa“ besitzt literarisch überhaupt keine Bedeutung. Es ist auch kein Eigenname. 24 Die Bezeichnung „meine Schöne“ ist zwar keine direkte Übersetzung für das Wort „godadaye“, aber mit

dem hiesigen Gesangsinhalt ist eine weibliche Person, die Geliebte, die Freundin und die Ehefrau, gemeint, die vom Sänger beschönigend dargestellt wird.

25 Das Wort „geday“ wird in Liebes- und Unterhaltungsgesängen der Amara sehr oft verwendet. Literarisch bedeutet es „Held“, aber in diesen Gesängen bezieht es sich nicht auf irgendwelche Helden bzw. Heldentaten, sondern es wird lediglich als Ergänzung von Textzeilen bzw. Ausschmückung dieser verwendet.

18 a9 እንዲህ ያለ ነገር አያስወድደኝም

indih yale neger ayaswedideñim

So etwas mag ich nicht.

94 – 98

19 a10 ትቀሪያለሽ እንጂ እኔስ ግድ የለኝም

tiqerialeši inji ines gid yeleñim

Du kannst mir gestohlen bleiben, mir ist es egal.

99 – 103

20 b ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ ዋ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye wa iliši yelem weyi

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

103 – 109

21 a3 አይደለሁ ጉማሬ ባሕሩን አልጥሰው

aydelehu gumare bahirun altisewu

Ich bin kein Nilpferd und kann den See nicht überqueren

110 – 114

22 a11 ላሞራው ላኪልኝ ለሚመላለሰው

le’amorawu lakiliñi lemimelalesewu

Schick er/sie/es mir über den Raben, der hin und her fliegt

115 – 119

23 ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ ዋ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye wa iliši yelem weyi

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

119 – 125

24 a3 ምነው ምነው ምነው ምነው ምነው ምነው

minewu, minewu, minewu, minewu, minewu, minewu?

Was ist los? (6x) 126 – 130

25 c1 የዘንድሮስ ሌባ በድን አደረገኝ

yezendiros leba bedin aderegeñi

Die Diebe heutzutage haben mich gelähmt26.

131 – 135

26 a12 አንገaን ታቅፌ ሙርÈ* ላይ ያረደኝ

angetwan taqife murtwa layi yaredeñi

Während ich ihren Hals umarmte, stahl er mir ihre Scheide27.

136 – 140

27 b ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ ዋ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye wa iliši yelem weyi

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

140 – 146

28 a3-1 እልሸ የለም ወይ? እልሸ የለም ወይ?

iliši yelem weyi? iliši yelem weyi?

Nenne ich Dich nicht? Nenne ich Dich nicht?

147 – 151

29 b ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ ዋ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye wa iliši yelem weyi

Meine Schöne, meine Schöne, nenne ich Dich nicht?

151 – 157

30 a3-2 እንዲህ ያለ ነገር በማን ደርሶ ያውቃል

indih yale neger beman derso yawqal?

Wo ist so etwas schon mal passiert?

158 – 162

31 a13 ውሽማዬ ታሞ ባሌ ይጨነቃል

wušimaye tamo bale yiceneqal

Mein Geliebter ist krank und mein Mann macht sich Sorgen?

163 – 167

32 a13 ምን ያስጨንቀዋል የመንደሩን ሰው?

min yasceniqewal yemenderun sewu

Warum lästern die Nachbarn darüber?

168 – 172

33 a14 የመጣውን ዕዳ እኔው ልችለው

yemetawun ida inewu licilewu

Um das mich erwartende Problem, werde ich mich selbst kümmern.

173 – 177

34 b ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ ዋ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye wa iliši yelem weyi

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

178 – 183

35 a9 ደበረ ታቦር ገበያ ይውላል ዕንቁላል

debre Tabor gebeya yiwulal inqulal

Auf dem Markt in Debre Tabor gibt es Eier.

184 – 188

36 d5 የባል ትንሽ የለው ያኮራ ይሆናል

yebal tiniši yelewu yikora yihonal

Es gibt keinen kleinen Mann28, vielleicht ist er hochnäsig.

189 – 193

37 b ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ ዋ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye wa iliši yelem weyi

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

194 – 200

26 Inhaltlich bedeutet es „Der Dieb hat mich reingelegt bzw. betrogen. 27 Inhaltlich bedeutet es „Er (der Dieb) hat meine Ehefrau verführt“. 28 Inhaltlich bedeutet es „Es gibt keinen Mann, den man unterschätzen muss“.

Abbildung 58: gesungener Text - Walzenaufnahme 18

Gz mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takt

1 a ዋ እልሸ የለም ወይ?

ዋ እልሸ የለም ወይ? wa iliši yelem weyi? wa iliši yelem weyi?

Nenne ich Dich nicht „wa“? Nenne ich Dich nicht „wa“?

1 – 5

2 b ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ ዋ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye wa iliši yelem weyi

Godadaye, godadaye Nenne ich Dich nicht „wa“?

5 – 11

3 a1 ውጫሌ ላይ ሆኖ ይታያል ገደገድ

wuchale lay hono yitayal meqele

Von Wuchale aus sieht man Meqelle

11 – 15

4 a2 ……. ….. Text unhörbar ................. 16 - 20 5 b1 ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ

እልሸ የለም ወይ? godadaye, godadaye iliši yelem weyi

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

20 - 26

6 a1 ውጫሌ ላይ ሆኖ ይታያል ገደገድ

wuchale lay hono yitayal gedeged’

Von Wuchale aus sieht man dem Gedeged

27 - 31

7 a2 ሽንÈ* ዘወርዋራ እንደ ሮ መንገድ

šintwa zewerwara inde gwaro menged

Ihre Taille is flexibel wie eine Seitengasse.

32 – 36

8 b1 ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye iliši yelem weyi

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

36 - 42

9 a3 እልሸ የለም ወይ? እልሸ የለም ወይ?

iliši yelem weyi? iliši yelem weyi?

Nenne ich Dich nicht? Nenne ich Dich nicht?

43 – 47

10 b1 ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye iliši yelem weyi

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

47 – 53

11 a ዋ እልሸ የለም ወይ? ዋ እልሸ የለም ወይ?

wa iliši yelem weyi? wa iliši yelem weyi?

Nenne ich Dich nicht „wa“? Nenne ich Dich nicht „wa“?

54 - 58

12 b1 ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye iliši yelem weyi

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

58 – 64

13 a4 አፋፍ ለአፋፍ ስሄድ ገደል እፈራለሁ

afaf le’afaf sihed gedel iferalehu

Wenn ich auf dem Hügel bin, bekomme ich Angst vor dem Tal

65 – 69

14 a5 የጠላት እናት ነኝ ብድን እወዳለሁ

yetelat inat neñi bidin iwedalehu

Ich bin Mutter des Feindes und möchte gerettet werden.

70 – 74

15 a6 የዘንድሮስ ሌባ በድን አደረገኝ

yezendiros leba bedin aderegeñi

Die Diebe heutzutage haben mich gelähmt.

75 – 79

16 c አንገaን ታቅፌ ሙርÈ* ላይ ያረደኝ

angetwan taqife murtwa layi yaredeñi

Während ich ihren Hals umarmte, stahl er mir ihre Scheide.

80 – 84

17 b1 ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ እልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye iliši yelem weyi

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

84 – 90

18 a7 አሻግሬ እያየሁ ማዶ ማዶውን

ašagire iyayehu mado madowuni

Ich beobachte dort drüben, dort drüben

91 – 95

19 a8 ዓይኔ ድር አወጣ ያልፈተለውን

ayne dir aweta yalfetelewuni

Mein Auge produzierte Garn, den ich nicht gesponnen habe

96 – 100

20 b1 ጎዳዳዬ ጎዳዳዬ ልሸ የለም ወይ?

godadaye, godadaye iliši yelem weyi

Meine Schöne, meine Schöne Nenne ich Dich nicht „wa“?

100 - 106

Abbildung 59: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahmen 17 und 18

Obwohl beide Gesänge von ihrer melodischen und metrorhythmischen Strukturen sowie von ihrem textinhaltlichen Verlauf her miteinander identisch sind, wurden sie in unterschiedlichen Stimmlagen, jedoch in derselben Bati-Qiñit ausgeführt (Abbildungen 60 und 61). Dies deutet darauf hin, dass laut Ansagetext die Aufnahmen tatsächlich am gleichen Tag vorgenommen wurden (Aufnahmedatum ist der 11.02.1906), aber zu unterschiedlicher Uhr- bzw. Tageszeit. Abbildung 60: Bati Qiñit, Walzenaufnahme 17

Abbildung 61: Bati Qiñit, Walzenaufnahme 18

Von ihrer Struktur her sollten beide Gesänge an und für sich in Form eines Wechselgesangs (Vorsänger und begleitende Gruppe) ausgeführt werden. Allerdings ist es hier nicht der Fall. Trotzdem erfolgte die Transkription in Notenlinien, um eine symbolisch getrennte Rollenverteilung Vorsänger/ begleitenden Gruppe bildhaft darzustellen (d.h. obere Notenlinie = Vorsänger; untere Notenlinie = Gruppe).

Es ist aber nicht falsch diesen Gesang solistisch vorzutragen, aber es entstehen gesangstechnische Probleme. Wäre dieser Gesang im Wechsel zwischen Gesangsleiter und Chor vorgetragen, würden in der Regel kaum Pausen zustande kommen, wie diese zum Beispiel in den Takten 5 und 6, 10 und 11, 37 und 38 und 49 und 50 festgestellt werden kann. Der solistische Sänger braucht selbstverständlich Atempausen, die somit dazu führen, dass diese unerwarteten Lücken automatisch hervorrufen. Die Melodiezeilen tragen einen zyklischen Charakter mit analogen melodischen Formeln. Auch Textzeilen wie „wa iliši yelem weyi?“ und „godadaye“ (Abbildung 58, Zeilen 1, 2, 5, 8 und 9) kehren immer wieder zurück wie unter anderem jeweils am Ende der 2-zeiligen Strophen. In beiden Gesängen werden alle in den oben dargestellten Qiñitoc vorkommenden Tonstufen genutzt, bis auf die Oktavwiederholungen der jeweiligen Grundtöne (siehe die in Klammern gesetzten Tonstufen; Abbildungen 60 und 61). Im Vergleich zu den in der unteren Notenlinie niedergeschriebenen Gesangszeilen, werden die in der oberen Notenlinie dargestellten Gesangszeilen verschiedenartig gestaltet. Dieses Phänomen weist darauf hin, dass der Vorsängerpart – wie es auch in vielen anderen Gesängen bekannt ist – melodisch relativ frei variiert werden kann, als der der begleitenden Gruppe. Die in der jeweils zweiten Spalte der Textdarstellungen angegebenen melodischen Formeln tragen einerseits einen eröffnenden Charakter, der – abgesehen von den Melodievariationen - stets mit dem Formel ‚a’ versehen wird und andererseits einen Finalcharakter, der zur Gruppe ‚b’ zählt. Beispielsweise trägt die Melodiezeile der Takte 1 - 5 im Notenbeispiel der Walzenaufnahme 17 einen eröffnenden Charakter, der oft auf dem Ton f’ endet (Abbildung 62). Bei einigen wenigen Stellen wie in den Takten 82, 114, 135 und 193, endet die Zeile auf der Ton es’. Abbildung 62: Ausschnitt aus der Walzenaufnahme 17, Takte 1 – 5

Dagegen weist die melodische Formel der Takte 5 - 11 auf einem Schlusscharakter hin, dessen Ende mit dem Ton b, dem Ausgangston der Qiñit-Tonreihe, markiert wird (Abbildung 63). Abbildung 63: Ausschnitt aus der Walzenaufnahme 17, Takte 5 – 11

Walzenaufnahme 19; ID 12, Aufnahme: Erich Kaschke, 19.02.1906 Axum Repertoire: Jagdlied/Solo (vgl. Walzenaufnahme 30; ID 22) Abbildung 64: gesungener Text - Walzenaufnahme 19

Gz mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte Refrain

1 a አዶ ወሸባዬ ado wešebaye (Redundanz) 1 – 5 2 b አዶ ወሸባዬ ado wešebaye (Redundanz) 6 – 10 3 c ፍናናው ሲያዞር ገዳዬ finanawu siazor gedaye ... der Jäger 11 – 16 4 a1 አዶ ወሸባዬ

አዶ ወሸባ ado wešebaye, ado wešeba

(Redundanz) (Redundanz)

18 – 23

5 b1 አዶ ወሸባዬ ado wešebaye (Redundanz) 24 – 27 6 c1 ኮረምቱ ሲያዞር ገዳዬ koremtu siazor gedaye ... der Jäger? 28 – 32

Verszeilen 7 a እስቲ አይምሰላችሁ isti ayimselacewu Lasst sie nicht denken- 33 – 37 8 b የተልባ ፍትፍት yetelba fitfiti es sei ein Brei aus…? 38 – 41 9 c1 አዳኝ ወሸባ ጉሮዬ adañi wešeba guroye Der Jäger, der Tötende 42 – 46

10 a2 እስቲ አይምሰላችሁ isti ayimselacewu Lasst sie nicht denken- 47 – 51 11 b2 የተልባ ፍትፍት yetelba fitfiti es sei ein Brei aus...? 52 – 55 12 a2 ........... ........... 56 – 60 13 b ........... ........... 61 – 64 14 c1 አዳኝ ወሸባ ገዳዬ adañi wešeba gedaye Der Jäger, der Tötende 65 - 69 15 a2 የመንደር ጥንብ አንሳ yemender tinb ansa Der Rabe der Nachbarschaft 70 – 74 16 b2 የመንደር ጠብደል yemender tebdeli Der Dicke aus der

Nachbarschaft 75 – 78

17 a2 የመንደር ጥንብ አንሳ yemender tinb ansa Der Rabe der Nachbarschaft 79 – 83 18 b የመንደሩ...... yemenderu....... Der .....? aus der Nachbarschaft 84 – 87 19 c1 አዳኝ ወሸባ ጉሮዬ adañi wešeba guroye Der Jäger, der Tötende 88 – 92 20 a የመንደር ጥንብ አንሳ yemender tinb ansa Der Rabe der Nachbarschaft 93 – 97 21 b ............ ............ ............ 98 – 102 22 c1 አዳኝ ወሸባ ገዳዬ adañi wešeba gedaye Der Jäger, der Tötende. 103 –107 23 a ገዳዩ ሲመጣ gedayu simeta Wenn der Tötende kommt- 108 –112 24 b ከበሮ መምታቱ kebero memtatu schlägt er Trommel. 113 - 117 25 c1 አዳኝ ወሸባ ገዳዬ adañi wešeba gedaye Der Jäger, der Tötende 118 – 122

Refrain 26 a ጉሮዬ ጉሮዬ guroye guroye (Redundanz) 123 – 127 27 b ጉሮዬ ጉሮዬ guroye guroye (Redundanz) 128 – 132 28 c1 አዳኝ ወሸባ ገዳዬ adañi wešeba gedaye Der Jäger, der Tötende. 133 – 137 Verszeilen 29 a ከዚያ ከበረሃው kezia keberehawu Aus dieser Wüste 138 – 142 30 b ከሸመሉ ድድ kešimelu didi Unter dem Schwert- 143 – 147 31 c1 አዳኝ ወሸባ ጉሮዬ adañi wešeba guroye Der Jäger, der Tötende. 148 – 152 32 a እንጥፊልኝ የለም antifiliñi yelem gibt es keine Betten- 153 – 157 33 b አንተረሽኘ የለም anterišiñi yelem keine Kopfkissen 158 – 162 34 c1 አዳኝ ወሸባ ገዳዬ adañi wešeba gedaye Der Jäger, der Tötende. 163 – 167 Refrain 35 a ጉሮዬ ጉሮዬ guroye guroye (Redundanz) 168 – 172 36 b ጉሮዬ ጉሮዬ guroye guroye (Redundanz) 173 – 177 37 c1 አዳኝ ወሸባ ገዳዬ guro wešeba gedaye .......... der Tötende. 178 – 182 Verszeilen 38 a ጉሮው ሲያውደመድም gurowu siawudemedim Wenn er rauscht 183 – 187 39 b ፍናናው ሲያነፋ fenanawu sianefa Wenn sein Horn bläst 188 – 192 40 c1 አዳኝ ወሸባ ጉሮዬ adañi wešeba guroye Der Jäger, der Tötende. 193 – 197 41 a ጉሮው ሲያውደመድም gurowu siawudemedim Wenn er rauscht 198 - 202 42 a ፍናናው ሲያነፋ fenanawu sianefa wenn sein Horn bläst 203 – 206 43 a3 ጉሮው ሲያውደመድም gurowu siawudemedim Wenn er rauscht 207 – 210

44 a3 ደረስኩልህ የሚል dereskulih yemil’ Keiner eilt zur Hilfe- 211 – 214 45 a3 በለው በለው የሚል belewu belewu yemil keiner regt den Kampf an 215 – 218 46 B አወይ ትንሽ ወንድም aweyi tiniši wendim Schade, dass es den jüngeren

Bruder nicht gibt29 219 – 223

47 c1 አዳኝ ወሸባ ገዳዬ adañi wešeba gedaye Der Jäger, der Tötende. 224 – 228 Refrain 48 A ጉሮዬ ጉሮዬ guroye guroye (Redundanz) 229 – 233 49 B ጉሮዬ ጉሮዬ guroye guroye (Redundanz) 234 – 238 50 G1 አዳኝ ወሸባ ገዳዬ guro wešeba gedaye .................. der Tötende. 239 – 243 Verszeilen 38 A እንዲህ ያለ ነገር indih yale neger So etwas- 244 – 248 52 B3 አያስወድደኝም ayaswedideñim mag ich nicht. 249 – 253 53 G1 አዳኝ ወሸባ ገዳዬ adañi wešeba gedaye Der Jäger, der Tötende. 254 – 258 54 ........... ........... ......................... 259 – 262 55 A የሚኖረው ኑሮ yeminorewu nuro Sein Leben- 263 – 267 56 A መተማ ይገላል metema yigelali In Metema (Ortsname) tötet er. 268 – 272 57 B በደስታ ላይ ኑሮ bedesta layi nuro Die Freude am Leben. 273 – 277 58 G1 አዳኝ ወሸባ ገዳዬ adañi wešeba gedaye Der Jäger, der Tötende. 278 – 282 Refrain 59 A ጉሮዬ ጉሮዬ guroye guroye (Redundanz) 283 – 287 60 B ጉሮዬ ጉሮዬ guroye guroye (Redundanz) 288 – 292 61 G1 አዳኝ ወሸባ ገዳዬ adañi wešeba gedaye .................. der Tötende. 293 - 297 Abbildung 65: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 19

Im Gesang kommen die folgenden Tonstufen vor, die die Tizita-Qiñit repräsentieren: Abbildung 66: Tizita-Qiñit, Walzenaufnahme 19

Gesungen wird dieses Jagdlied in Amariña. Der Textinhalt stellt den Jäger als Held dar und lobt ihn für seine Tapferkeit. Das überwiegende Teil dieses Gesangstextes wurde nicht Wort für Wort übersetzt. Es wurde versucht, den Inhalt, um den es sich hier handelt „die Preisung eines Jägers“ sinngemäß wiederzugeben. Ein Teil des Textes setzt sich aus Redundanzwörtern wie etwa „guroye

29 Vermutlich den Bruder des Helden.

und wešebaye“ zusammen, die auch für den rhythmischen und melodischen Gesangsablauf Bedeutung tragen. Es handelt sich hierbei oft um unersetzbare und eigentlich bedeutungslose Redundanzen, die in bestimmten Abständen in Form von einem Zyklus immer wieder auftauchen und entweder in die Refrain-, Vers- oder Strophenzeilen integriert werden, abhängig davon wie der Gesang strukturiert ist. Es gibt keine festen Regeln, wann diese als Übergang zum neuen Text verwendeten Redundanzen verwendet werden (vgl. auch Beschreibung und Analyse der Walzenaufnahme 15). Zwischen dem tatsächlich gesungenen und den aus dem Originaltextmaterial entnommenen Texten sind nur einige Übereinstimmungen feststellbar was soviel bedeutet, dass der Originaltext zum einen vollkommen durcheinander niedergeschrieben wurde und zum anderen mehrere Zeilen fehlen, die sonst in dem Gesang vorkommen. Walzenaufnahme 20; ID 13, Aufnahme: Erich Kaschke, 11.02.1906 Axum Repertoire: sakraler Preisgesang/Solo In dem vorliegenden sakralen Preisgesang wird die erste Gesangszeile zuerst in einer tiefen Stimmlage ausgeführt. Dies könnte eventuell mit der Aufnahmequalität zusammenhängen. Ab der zweiten Gesangszeile ist eine höhere Stimmlage zu vermerken, die dann bis zum Ende des Gesanges erhalten bleibt. Die in der Melodie verwendeten Tonhöhen bilden die Tonreihe Anci-Hoye-Lene Qiñit (Abbildung 67): Abbildung 67: Anci-Hoye-Lene Qiñit, Walzenaufnahme 20

Die Tonstufe h fungiert dabei als Grundton. Im Text handelt es sich im Allgemeinen um die Schöpfungsgeschichte vom ersten Tag an, dem Montag, bis zum siebenten Tag, dem Sonntag. An zahlreichen Stellen fehlen Wörter oder ganze Textzeilen, die leider akustisch nicht hörbar sind. Besonders bei diesen unvollständigen Zeilen wurde daher auf die Übersetzung verzichtet, da diese keinen Sinn ergeben würde (siehe Abbildung 68). Religiöse Preisgesänge finden auch heute in den christlich-orthodoxen Gemeinschaften Äthiopiens statt. Es sind fast ausschließlich Sologesänge. In der Regel werden sie von der Kastenleier Begena begleitet werden, die zumeist von dem Sänger selbst gespielt wird. In früheren Zeiten war die Begena nur innerhalb der Kirche in Gebrauch, während sie heutzutage auch außerhalb der Kirche genutzt wird, jedoch nur für die Begleitung von religiösen Sologesängen. Diese Gesänge sind besonders während der großen Fastenmonate vor Ostern zu hören. Dieses Musikstück scheint allerding ohne eine Instrumentalbegleitung ausgeführt worden zu sein.

52

Abbildung 68: gesungener Text, Walzenaufnahme 20 Gz mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte

1 a በስመ አብ ወልድ መንፈስ ቅዱስ አሃዱ

አምላክ besime ab weld menfes qidus ahadu amlak

Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes

1

2 a1 መኖራቸው ከጥንቱ የአብ ልጆች menoracew ketintu ye’ab lijoc Lebten schon seit Ewigkeit, die Kinder Gottes 2 3 b መንፈስ ቅዱስ .... አንድ ናቸው menfes kidus ..... andi nacewu Heiliger Geist ....... sind sie eins 3 4 c በአካል .... በስም አንድ ናቸው be’akal .... besimi andi nacewu In Fleisch.... im Namen sind sie eins 4 5 b1 በአካል .... በስም አንድ ናቸው be’akal .... besimi andi nacewu In Fleisch.... im Namen sind sie eins 5 6 d እግዚአብሄር … በዚህ ሙያው igziabher … bezih muyawu Gott ...durch seiner Schöpfung 6 7 b ቅደመ ዓለም ሲኖሩ ዓለም ነበር kidme alem sinoru alem neber’ Als sie vor der Schöpfung der Welt lebten war es

paradiesisch 7

8 e እሁድን መፍጠር ጀመሩ ፍጥረት ihudini mefter jemeru fitreti Am Sonntag fingen sie mit der Schöpfung des Menschen an

8

9 b2 ስላልፈጠሩ ፍጥረት አስቀድመው silalfeteru fitreti asqedimewu Weil sie noch keinen Menschen vorher schufen 9 10 c1 ሰማይና ምድርን ሰሩት ሰባተኛ semayina midrin seruti sebateña Himmel und Erde schufen sie am siebenten Tag- 10 11 b3 ………………… አረንጣ ………………… arateña am vierten30 11 12 d1 ውሃ እና ነፋስ እሳት በአርምሞ wuha ina nefas isati be’armimo Wasser, Luft und Feuer schufen sie mit Ruhe 12 13 b4 ይህንን ሁሉ ፈጥረው ተናገሩ yihinin hulu fetrewu tenageru Nachdem sie all dies schufen, sagten sie: 13 14 d2 ሌሊቱን ብርሃን ስለሆን ሰኞ ዕለት lelitun birhan selehon seño ileti Weil die Nacht zum Montag hell erleuchtet war 14 15 b5 ውሃ ከፈሉ ከሶስት አንዱን ትተው wuha kefelu kesosti andun titewu haben sie das Wasser in drei Teile geteilt 15 16 d3 አንዱን ቀበሩት ከምድር አንዱን ወስደው andun qeberut kemidri andun wesdewu Eine Wasserleitung gruben sie in die Erde, eine

nahmen sie 16

17 b5 አማይ አረጉት ጠፈሩን ማክሰኞን semay aregut’ teferini makseñoni Sie verwandelten die Erde zum Himmel 17 18 d4 …………….. ዕሮብ ዕለት …………….. rob ileti ………….. am Mittwoch 18 19 b6 ……………. ……………. .................... 19 20 d5 እጅ |ራ ሲሰሩ ክዋክብት iji sira siseru kiwakibti Sterne machten ihr Handwerk 20 21 b5 ፀሐይ ጨረቃ ፈጠሩ ሐሙስን sehay cereqa feteru hamusuni Sonne und Mond schufen sie am Donnerstag 21 22 d6 ……………. ……………. ……………. 22 23 b7 ክንፍ ያላቸው ነገር የማይበሩ kinf yalacewu negeri yemaiberu Manche mit Flügeln und manche ohne 23 24 d7 ሚሄዱት በእግር ዓርብ ዕለት mihedutim be’igiri arbi ileti Sie gehen zu Fuß am Freitag 24 25 b7 አዳም የኛን አባት ሊከልለው adam yeñan abati likelilewu Adam, unseren Vater, wollte er (Gott?) beschützen 25 26 d8 በአምሳላቸው ሰሩት…….. be’amsalacewu seruti …….. Sie schufen ihn wie er.......... 26 27 b8 የፍጥረታቸው ፍጻሜ በሰባት ቀን yefitretacewu fisame besebat’ qeni Am siebenten Tag war das Ende der Schöpfung 27 28 d9 ዳርቻ ሆነ ቅዳሜ በእሳት ቀን darica hone qidame bsebat qeni Das Ende war am Samstag, nach sieben Tagen 28

30 eine „inhaltliche“ Gesangskorrektur

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29 d9 ዳርቻ ሆነ ቅዳሜ darica hone qidame Das Ende war am Samstag 29 30 ? ...... ......አሃዱ አምላክ …………….. ahadu amlak ................der einzige Gott 30 31 d8 እግዚአብሄር...... ለክርስቶስ igziab’her ...... lekiristos’ Gott ............... Christus 31 32 b2 ለሰማያዊው ንጉ|........ lesemayawiwu nigusi........ Für den Gott im Himmel 32 33 d10 ..................ለአባታችን .................. labatacin’ ..................für unseren Vater 33 34 b5 ለኛ መከራ ሊያድን ወርÄ*ል leña mekera liadini werdwal........ Kam zu uns, um uns von unserem Leid zu retten 34 35 d10 ................. ................... ............... 35 36 b5 ................. ................... ............... 36 37 d11 ................. ................... ................ 37 38 b7 ................. .................. ................. 38 39 d12 ............ላምና አህያ ........lamina ahiya ………….Kuh und Esel 39 40 b9 በአንድ ነበሩ ሁለቱ............ be’and neberu huletu............ Sie waren zusammen.......... 40 41 d13 መንገዱ ሰባ ሰገድ............ mengedu seba segedi............... Die Straße war............ 41 42 b2 ................. .................. .................. 42 43 d14 ................. ................. ................. 43 44 b10 ቀድሞ ነቢያት ያሉቱ መድሐኒታችን qedmo nebiyat yalutu medanitacin’ Zuvor der Prophet genannte, unser Vater 44 45 d15 ................. ................. .................... 45

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Abbildung 69: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 20

Walzenaufnahme 21; ID 14, Aufnahme: Erich Kaschke, 07.03.1906 Axum Repertoire: solistisches Liebeslied Abbildung 70: gesungener Text, Walzenaufnahme 21 Gz mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte Abschnitt 1

1 a ......................... ......................... (nicht hörbare Zeile) 1 - 4 2 a ......................... ......................... (nicht hörbare Zeile) 5 – 8 3 b ምነው (5x) minewu (5x) Wieso? (5x) 9 – 12 4 b ምነው (5x) minewu (5x) Wieso? (5x) 13 – 16 5 c ሐዋተዬ መኒ<ናንዶ

ሰብ መናዊዬ hawateye meni henanin do seb menawiye

Meine Schwestern, liebt ihr mich nicht mehr? Menschen sind so!

17 – 20

Abschnitt 2 6 d በታ,!ተይ በዓልቲ

መ‚ለ betahiteyi be’alti meqele

Meine Liebe, die aus Meqelle

22 – 25

7 d አና ጽቡO ስና ጉራማይሌ

ana sibuq sina guramayle

Ihre Augen sind groß, ihre Zähne sehr schön

26 – 29

8 d አይሬአ,#ን ከማ,! ዝበለ

a’ireahun kemahi zibele

So wie Du habe ich nicht gesehen

30 – 33

9 d ምነው (5x) minewu (5x) Wieso? (5x) 34 – 37 10 c ሐዋተዬ መኒ<ናንዶ

ሰብ መናዊዬ hawateye meni henanin do seb menawiye

Meine Schwestern, liebt ihr mich nicht mehr? Menschen sind so!

38 – 42

55

Abschnitt 1 11 a1 ምነው (5x) minewu (5x) Wieso? (5x) 43 - 46 12 a2 ምነው (5x)

ሰብ መናዊዬ minewu (5x) seb menawiye

Wieso? (5x) 47 – 52

13 c ሐዋተዬ መኒ<ናንዶ ሰብ መናዊዬ

hawateye meni henanin do seb menawiye

Meine Schwestern, liebt ihr mich nicht mehr? Menschen sind so!

53 – 57

14 a አ,#ሱም ዓድ,! ማይ ኮሖ

aksum adehi may koho

Du aus Aksum aus Maikoho

58 – 61

15 a3 ደርግሰና ዚመስል ጨጨሖ dergisina zimesil ceciho Mit den schönen Zähnen 62 - 67 Abbildung 71: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 21

Der Sologesang wird in Tigriña ausgeführt. Die jeweils in Abschnitt 1 und 2 unterteilten melodischen Zyklen wiederholen sich stets bis zum Ende des Gesanges. Die vorkommenden Tonstufen beziehen sich auf der Bati-Qiñit (Abbildung 72): Abbildung 72: Bati-Qiñit, Walzenaufnahme 21

Walzenaufnahme 22; ID 37, Aufnahme: Erich Kaschke, 07.03.1906 Axum Repertoire: Wechselgesang Dieser in Tigriña vorgetragene Gesang ist von Redundanzwörtern wie laloye, gumaye und munaye dominiert. In bestimmten Abständen kommen Verszeilen vor, die nicht vollständig zu hören sind. Aufgrund dessen wurde der gesungene Text hier nicht dargestellt, jedoch der Originaltext aus dem Forschungsmaterial (Abbildung 70).

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Abbildung 73: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 22

Hier wird die Bati-Qiñit mit den folgenden Intervalverhältnissen genutzt (Abbildung 74): Abbildung 74: Bati Qiñit, Walzenaufnahme 22

Abbildung 75: Ausschnitt aus der Walzenaufnahme 22, ID 38

Walzenaufnahme 23, ID 15 , Aufnahme: Erich Kaschke, 07.02.1906 Axum Repertoire: Kriegsgesang/Rezitation Der hier vorgestellte Rezitationsgesang31 wird in Tigriña und teilweise auch in Amariña vorgetragen. In gewissen Abständen löst der Sänger einen langen „Schrei“ aus, der zum Ende hin melodisch absteigend verläuft. Dies ist allerdings nicht im negativen Sinne zu verstehen, da solche Lauten in den meisten Kriegsgesängen der Amara und Tigray zwischen den Gesängen vorkommen. Im Gesangstext werden historische Kriegsschauplätze wie Metema erwähnt und Helden gepriesen wie etwa hawi zeraf „Mein tapferer Bruder“, inwneteña gider wendu „der echte, tapfere Held“ usw. Im Hintergrund sind weitere Stimmen und emphatische Schreie wahrzunehmen, die wahrscheinlich von den am Gesang beteiligten Menschen ausgelöst werden. Das Originaltextmaterial, das mit den Nummern 23/24 angegeben ist, weist erhebliche Abweichungen mit dem gesungenen Text auf,

31 Der Gesangstext konnte aufgrund vieler Geräuche nicht schriftlich wiedergegeben werden.

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abgesehen von der völlig verschiedenen Reihenfolge. Er ist vielmehr mit dem Gesangstext der Walzenaufnahme 24 identisch. Walzenaufnahme 24, ID 16, Aufnahme: Erich Kaschke, 07.03.1906 Axum Repertoire: Kriegsgesang/Rezitation Hier wird ein freimetrischer Rezitationsgesang in Amariña ausgeführt. Um einen allgemeinen Eindruck über den Inhalt zu vermitteln, ist der gesungene Text im Folgenden zu betrachten. Im Vergleich zu anderen Gesangstexten, kommen hier keine reimenden Verszeilen vor: Abbildung 76: gesungener Text, Walzenaufnahme 24

Originalschrift Umschrift Übersetzung ወይፈን ገራፊ በሬ አሳራፊ weyfen gerafi bere asarafi Kalbschläger, Ochsenschlachter እውነተኛ ገበሬ iwuneteña gebere Echter Bauer ልማደኛወ ገና ወጣቱ limadeñawu gena wetatu Erfahrener, junger Mann በሰንጋ አውድማ የተፈጠረው besenga awudima yetefeterewu Geborener auf der Ernte des Ochsen እውነተኛ ገበሬ iwuneteña gebere Echter Bauer ልማደኛ ጋና ወጣት አሽከር limadeña gena wetat ašiker Erfahrener, junger Diener እውነተኛ ወንድም iwuneteña wendim Echter Bruder የነዚያ የàቾች ወንድም ye’inezia yemuwacoc wendim Bruder, der Toten እውነተኛ የምኒሊክ ትውልድ iwneteña ye minilik tiwulid Echter Diener Meneliks32 የምኒሊክ አሽከር ye minilik ašiker Menelik’s Diener የጉልት አሸከር yegult ašker Diener des Landbesitzers መተማ ከጭንቁ ለይ metema kecinqu lay In Metemaam Ort des Schreckens እንደ ጉሽ ጠላ ደሙ የሚፈላ inde guš tella demu yemifela Sein Adrenalin steigt wie Tella በኩርማን እንጀራ የሚያድረው bekurman injera yemiyadirewu Mit wenig Injera33 überlebt er አርዶ አላበቃም ardo alabeqam Er ist noch nicht mit dem Schlachten fertig ገሎ አልታየም gelo altayem Wurde er nicht beim Töten beobachtet? መተማ ላይ ገዳይ metema lay geday Tötender auf dem Schlachtfeld in Metema አድዋ ላይ ገዳይ adwa lay geday Tötender auf dem Schlachtfeld in Adwa አረብ ገዳይ areb geday Tötender von Araba ጎጃም ላይ ገዳይ gojjam lay geday Tötender auf dem Schlachtfeld in Gojjam በጎራዴ ገዳይ begorade geday Tötender mit Schwert ... usw. Der Originaltext stimmt zum größten Teil mit dem gesungenen Text überein und wird im Folgenden veranschaulicht (Abbildung 77):

32 Äthiopischer Führer von 1889 – 1913. 33 Traditionelles Fladenbrot aus Sauerteig.

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Abbildung 77: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 24

Walzenaufnahme 25; ID 17, Aufnahme: Erich Kaschke, 07.03.1906 Axum Repertoire: Unterhaltungsgesang Abbildung 78: gesungener Text, Walzenaufnahme 27 Gz mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte 1 a አበራሽ ናበይ ኢልኪ

ናበይ ናበይ aberaši nabey alki nabey nabey

Aberaši, wo bist Du? Wo? Wo?

1 - 8

2 b አበራሽ ናበይ ኢልኪ ናበይ ኢልኪ ናበይ

aberaši nabey alki nabey alki nabey

Aberaši, wo bist Du? Wo? Wo?

9 - 16

3 a1 ላሎዬ ላሎይ ላሎይ laloye laloy laloy (Redundanz)…usw. 17 - 24 Abbildung 79: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 27

Dieser Gesang wird solistisch vorgetragen und zwar in Tigriña. Sowohl die Text- als auch die Melodiezeilen sind begrenzt. Von Anfang bis zum Ende sind monotone Phrasen zu hören. Die zum diesem Gesang passende Qiñit ist Tizita (Abbildung 80): Abbildung 80: Tizita-Qiñit, Walzenaufnahme 25

Walzenaufnahme 26; ID 18, Aufnahme: Erich Kaschke, 07.03.1906 Axum Repertoire: Jagd- oder Soldatenlied

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Bei diesem Gesang handelt es sich laut Beschreibung um ein Jagd- oder Soldatenlied. Er wird solistisch und ohne Instrumentalbegleitung in Tigriña ausgeführt. Da der Text nicht zu hören ist, konnte er nicht schriftlich wiedergegeben werden. Ebenso fehlt der Originaltext in der Sammlung. Zyklische Melodiephrasen scheinen eine wesentliche Rolle zu spielen. Sie werden vom Sänger im Rahmen ihrer vorgegebenen Struktur verschiedenartig gestaltet. Dabei endet jede - überwiegend gleichmäßige - Melodiezeile auf die Tonstufe d (F-Schlüssel) bzw. auf d’, dem Ausgangston des hiesigen Tizita-Qiñit (Abbildung 81): Abbildung 81: Tizita-Qiñit, Walzenaufnahme 26

Wie es aus der Transkription in Abbildung 82 hervorgeht, setzt sich eine abgeschlossene Strophe jeweils aus drei aufeinander folgenden Phrasen zusammen. Dies betrifft die Takte 1 - 16 und 17 - 31. Der Beginn einer strophischen Zeile, die einen melodisch eröffnenden Charakter zeigt, wird jeweils durch die markante, aufsteigende Sequenz der Tonstufen (d’)-e’-fis’-g’ (Takte 1 bis 2) oder fis’-a’-h’ (Takte 17 und 18) gekennzeichnet. Im Vergleich hierzu tragen insbesondere diejenigen Gesangszeilen einen Finalcharakter, in denen der Sänger eine Oktave tiefer singt, so beispielsweise Takte 27 - 31, Gesangszeile 6. Abbildung 82: Ausschnitt aus der Walzenaufnahme 26

Walzenaufnahme 27; ID 19, Aufnahme: Erich Kaschke 07.03.1906 Axum Repertoire: Jagdlied/Solo

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Abbildung 83: gesungener Text - Walzenaufnahme 27 Gz mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte 1. Strophe

1 a %ረ ዓይናማው ና ና ere aynamawu na na Komm du Schöne komm komm 1 – 3 2 b %ረ ዓይናማው ና ና ere aynamawu na na Komm du Schöne komm komm 4 – 6 3 c ና ተµ*ሹ ና ና na tekwašu na na Komm du Schießer komm komm 7 – 9

2. Strophe 4 a ና መረዘኛው ና ና na merzeñawu na na Komm du Giftiger komm komm 10 – 12 5 b1 ና በረዙ ና ና na berezu na na Komm du „Held“ komm komm 13 – 15 6 c ተነስ ተµ*ሽ ና ና tenes tekwaši na na Steh auf du Schießer komm komm 16 - 18

Abbildung 84: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 27

Der Text ist – wie in mehreren Gesängen dieser Sammlung - ziemlich begrenzt. Bis auf einige wenige Veränderungen bleiben die in Abbildung 83 repräsentierten Gesangszeilen unverändert. Dieser, in Amariña ausgeführter Sologesang ist von seiner groben Melodiestruktur her mit der Walzenaufnahme 26 vergleichbar. Die jeweils in Dreier- Gruppen unterteilten Gesangszeilen sind miteinander verwandt und weisen auch analoge melodisch-rhythmische Strukturen auf (Abbildung 85). Abbildung 85: Ausschnitt aus der Walzenaufnahme 27

Die Melodiezeilen tragen einen eröffnenden Charakter, der jeweils in den ersten Gesangszeilen festzustellen ist. Die Melodie endet hier stets auf dem Ton a’. Folglich besitzen jeweils die zweiten Gesangszeilen einen Halbschlusscharakter und enden entweder auf die Tonstufen e’ oder fis’, zweite und dritte Tonhöhen der Qiñit. Im Vergleich zu den ersten zwei Gesangszeilen, besitzen die dritten Gesangszeilen jeweils eine Finalfunktion. Diese Enden stets auf dem Ton d’, dem Grundton der Qiñit. Walzenaufnahme 28; ID 20, Aufnahme: Erich Kaschke, 07.03.1906 Axum Repertoire: Jagdlied/Solo

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Dieser in Amariña ausgeführter Gesang weist auffallende Ähnlichkeiten mit dem der Walzenaufnahme 31. Der Großteil des gesungenen Textes ist kaum hörbar. Deshalb konnte er nicht schriftlich wiedergegeben werden. Es steht uns ferner auch kein notierter Text aus dem Originalforschungsmaterial zur Verfügung, den man als Stütze zum Verstehen des Textes verwenden könnte. Der Gesang wird der Bati-Qiñit zugeordnet (Abbildung 86): Abbildung 86: Bati-Qiñit, Walzenaufnahme 28

Bis auf die gewöhnlich verwendete, freie Melodiegestaltung innerhalb eines vorgegebenen Rahrmens, sind auch hier analoge melodische und metrorhythmische Gesangszeilen zu erkennen. Der Gesang besteht aus Refrain und Strophe, wobei diese eher auf die textliche Unterteilung beruhen, d.h. von ihrer Melodik her weichen die Gesangszeilen beider Teile nur gering voneinander ab. Nach Beginn des 3-zeiligen Refrains folgt eine 6-zeilige Strophe. Sowohl die Refrain- als auch die Strophen sind unterschiedlich lang34, was soviel bedeutet, dass der Sänger sie offensichtlich beliebig oft singen oder kürzen kann. Der Großteil der Gesangszeilen besitzt einen melodisch eröffnenden Charakter. Ein Merkmal für die melodische Gestaltung dieser Gesangszeilen besteht darin, dass sie sich etwa in der Mitte der Zeile von der Tonstufe g’ zu der Tonstufe d’ (Takt 23 und 30) bewegen. Sie enden entweder auf der Tonstufe a’ oder g’ und sehen wie folgt aus (Abbildung 87): Abbildung 87: Ausschnitt aus der Walzenaufnahme 28

Die quasi als Schlusswendung zu betrachtenden Gesangszeilen dagegen treten nicht so häufig auf wie diejenigen Zeilen, die melodisch einen eröffnenden Charakter tragen. Außerdem sind sie lediglich in den Refrains enthalten. Dies ist an der markanten Tonverbindung f’ und g’ (Takt 70) festzustellen, die etwa in der Mitte der Zeile auftaucht. Des Weiteren spielt hier die Tonstufe g’ eine besondere zentrale Rolle im Vergleich zu den restlichen Gesangszeilen. Diese Schlusswendung wird wie folgt veranschaulicht (Abbildung 88):

34 Es gibt 2-8-zeilige Refrain- und 3-6-zeilige Stropenzeilen.

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Abbildung 88: Ausschnitt aus der Walzenaufnahme 28

Diese bislang beschriebenen Merkmale bzw. Gestaltungsprinzipien müssen keineswegs als Quasi-Regeln verstanden werden. Das heißt, der Gesang könnte selbst von demselben Sänger bei einer wiederholten Aufnahme vollkommen anders gestaltet werden. Somit könnten auch die dem Qiñit zugeordneten Tonstufen unterschiedliche Funktionen in der melodischen Strukturbildung erfüllen. Walzenaufnahme 29; ID 21, Aufnahme: Erich Kaschke, 07.03.1906 Axum Repertoire: Jagdlied/Solo Abbildung 89: gesungener Text, Walzenaufnahme 29 Gz mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte Refrain

1 a አያ ማሬ ገላ (2x) aya mare gela (2x) Honig von der Blüte des Körpers 1 – 7 2 b አዳኙ ገዳይ adañu geday Der tötende Jäger 8 – 10 3 c አኑ ገዳይ añu geday Der tötende Jäger 11 – 14 4 d አያ ማሬ ገላ aya mare gela Honig von der Blüte des Körpers 15 - 18 5 a1 አያ ማሬ ገላ (2x) aya mare gela (2x) Honig von der Blüte des Körpers 19 – 25 6 b አዳኙ ገዳይ adañu geday Der tötende Jäger 26 – 28 7 c አኑ ገዳይ añu geday Der tötende Jäger 29 – 32 8 d አያ ማሬ ገላ aya mare gela Honig von der Blüte des Körpers 33 – 36 9 a2 አያ ማሬ ገላ (2x) aya mare gela (2x) Honig von der Blüte des Körpers 37 – 43

10 b1 አዳኙ ገዳይ adañu geday Der tötende Jäger 44 – 46 11 c1 አኑ ገዳይ añu geday Der tötende Jäger 47 – 50 12 d አያ ማሬ ገላ aya mare gela Honig von der Blüte des Körpers 51 - 54

Abbildung 90: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 29

Der Gesangstext ist beschränkt und von ständig wiederkehrenden Zeilen dominiert, die die melodischen Formeln a-b-c-d sowie ihre Variationen beinhalten. Einige zusätzliche Zeilen, die nicht zu hören sind, wurden in der Partitur entsprechend mit dem ### Zeichen gekennzeichnet. Der Gesang wird solistisch in Amariña vorgetragen und zwar in der Qiñit-Tizita. Es werden alle fünf Tonreihen einschließlich der Oktavwiederholung des Grundtons, Tonstufe a’, in der melodischen Gestaltung genutzt, so dass sich dadurch der Tonvorrat bis zu einer Oktave erstreckt.

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Abbildung 91: Tizita-Qiñit, Walzenaufnahme 29

Basierend auf der Melodiebewegung wurde dieser Gesang in Refrain- und Verszeilen unterglieder, die ihre eigenen Merkmale aufweisen. Die Anzahl der Zeilen, die einen Zyklus darstellen, können unterschiedlich groß sein. Allerdings werden sie durch ihre melodischen Eigenheiten wie Halbschluss- und Schlusswendungen deutlich zum Ausdruck gebracht. Anhand der Melodiestrukturen ist feststellbar, dass ein Zyklus in der Regel zunächst mit einer siebentaktigen Gesangszeile beginnt, gefolgt von relativ kurzen, meist drei- bis viertaktigen Zeilen. Somit kann ein ganzer melodischer Zyklus aus drei bis sechs Gesangszeilen bestehen (In der Transkription sind die einzelnen Zyklen sowohl in den Refrains als auch in den Verszeilen optisch deutlich zu erkennen). Im Folgenden wird ein vierzeiliger Zyklus dargestellt: Abbildung 92: Ausschnitt aus der Walzenaufnahme 29: Refrain

Eine eindeutige Finalfunktion eines zyklischen Ablaufs wird vorwiegend in der letzten Zeile erzielt, mit dem Ausgangston der - für diesen Gesang zutreffenden –Tizita-Qiñit, die Tonstufe a, die auch im melodischen Verlauf dominiert. Hingegen werden diejenigen Zeilen, die melodisch eröffnende Funktionen tragen, zumeist durch den Ton e’, dem vierten Ton des Qiñit, hervorgebracht. Hinsichtlich der freien Melodievariation ist davon auszugehen, dass der Gesang stark ornamentiert ist. Es wurden beispielsweise die Refrains in den Takten 1 - 18 (Abbildung 92) und in den Takten 55 - 74 miteinander verglichen, bei denen zwar der gewöhnliche melodische und metro-rhythmische Rahmen unverändert bleibt, jedoch die Melodiegestaltungen beider Teile markante Unterschiede aufweisen. In gleicher Weise können auch weitere zyklische Teile verglichen werden.

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Walzenaufnahme 30; ID 22, Aufnahme: Erich Kaschke, 19.02.1906 Axum Repertoire: Jagdlied/Solo (vgl. auch Walzenaufnahme 19) Abbildung 93: gesungener Text - Walzenaufnahme 30 Gz mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte Refrain

1 b35 አዶ ወሸባዬ ado wešebaye (Redundanz) 1 – 5 2 c አዳኝ ወሸባ ጉሮዬ adañi wešeba guroye Der Jäger, der Killer 6 – 10 3 a ere wešebaye (Redundanz) 11 – 15 4 b1 %ረ ወሸባዬ ado wešebaye (Redundanz) 16 – 20 5 c አዶ ወሸባ ገዳዬ ado wešeba gedaye Der Jäger, der Killer 21 – 25 6 a1 አዳኝ ወሸባዬ adañi wešebaye Der Jäger 26 – 30 7 b2 አዳኝ ወሸባዬ adañi wešebaye Der Jäger 31 – 35 8 c አዶ ወሸባ ገዳዬ adañi wešeba guroye Der Jäger, der Killer 36 – 40

Verszeilen 9 d የበረሐ አውራሪስ yebereha (a)wuraris …. Der Wüste 41 – 44

10 e ሞኝ ነው ተላላ moñi newu telala Ist naiv und gutmütig 45 – 48 11 c አዳኝ ወሸባ ጉሮዬ adañi wešeba guroye Der Jäger, der Tötende 49 – 53 12 d ??? ??? ??? 54 – 57 13 e ??? ??? ??? 58 – 61 14 c አዳኝ ወሸባ ጉሮዬ adañi wešeba guroye Der Jäger, der Tötende 62 – 66

Refrain 15 a2 Ùሮ ወሸባዬ gwaro wešebaye Der Jäger 67 – 71 16 a3 Ùሮ ወሸባዬ gwaro wešebaye Der Jäger 72 – 76 17 c Ùሮ ወሸባ ገዳዬ gwaro wešeba gedaye Der Jäger, der Tötende 77 - 81

Abbildung 65: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 30

Der hier demonstrierte Gesang kann mit dem der Walzenaufnahme 19 verglichen werden. Im Grunde handelt es sich um den gleichen Gesang, welches in zwei unterschiedlichen Qiñitoc ausgeführt wird. In der Walzenaufnahme 19 kommt die Tizita-Qinit und in der Walzenaufnahme 30 die Anchi-Hoye-Lene-Qiñit vor.

35 Der Anfang des Gesanges fehlt.

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Walzenaufnahme 31; ID 23, Aufnahme: Erich Kaschke, 15.03.1906 Axum Repertoire: Jagdlied/Solo36 In Erich Kaschkes Auflistung wird darauf hingewiesen, dass dieser in Amariña ausgeführte Gesang als eine Fortsetzung der Walzenaufnahme 30 ist. Es ist zwar höchstwahrscheinlich derselbe Sänger, der beide Gesänge ausführt, dennoch sind es zwei verschiedene Musikstücke. Allerdings ist fast nur der Refrain akustisch zu verstehen. In den Takten 255 - 260 benutzt der Sänger unerwartet andere Tonstufen innerhalb der Tizita-Qiñit zu benutzen, die mit den bisherigen Tonstufen nicht übereinstimmen. Ab Takt 261 trägt er in der ursprünglich verwendeten Qiñit weiter bis zum Ende des Gesanges. Es ist zu vermuten, dass ein Wechsel der Qiñit in Verlauf eines Gesanges aus Versehen sich ergeben haben könnte. Ansonsten ist eine Qiñit-Änderung innerhalb eines musikalischen Stückes soweit bekannt in keinem Musikrepertoire der Amara bekannt. Für beide Gesänge gelten dieselben Tonstufen der Tizita-Qiñit, die in der Beschreibung der Walzenaufnahme 29 erläutert bzw. dargestellt worden ist (vgl. Abbildung 91). Prüfen, ob hier tatsächlich Walzenaufnahme 29 gemeint ist Die in Zeilenform demonstrierten Refrain- und Verszeilen sind von ihren Melodiebewegungen her fast identisch. Die Unterteilung in Refrain- und Verszeilen basiert lediglich auf dem Gesangstext. Walzenaufnahme 32; ID 24, Aufnahme: Erich Kaschke, 25.03.1906 Axum Repertoire: Unterhaltungs- Protestgesang/Solo Abbildung 94: gesungener Text, Walzenaufnahme 32

Originalschrift Umschrift Übersetzung መገኑ (2x) megenu (2x) (Redundanz) ተወኝ ቱሪናፋ teweñi turinafa (2x) Lass mich, du Schwätzer ከወሉም አትገኝ ከመብሉም አትጠፋ

kewulum atigeñi kemeblum atitefa

Bei Entscheidungen bist du nicht da, aber beim Essen bist du anwesend.

ጃሎ (5x) jalo (5x) (Redundanz) አሁን (2x) የት አለ ሎሌውን ወዳጅ (5x)

ahun (2x) yet ale lolewun wedaj (5x)

Wo gibt es jemanden, der seinen Diener gern hat.

እንደው በተለምዶ መከተል ነው እንጂ

indewu betelemdo meketel newu inji

So, wie gewöhnlich, folgt man ihm (=den Herren).

ጃሎ መገን (5x) jalo megen (5x) (Redundanz) ተወኝ ጌቶቼ ግፉ በዛ (3x)

teweñi getoce gifu beza (3x)

Oh, meine Herren, die Unterdrückung nimmt immer mehr zu.

በአንድ ብር ቆቅ እየተገዛ

band birr qoq iyetegeza

Mit einem Birr (=äth. Währung) kauft man sich Geflügel.

መረረኝ (2x) እንደሬት በለኝ እንደ ሳማ

merereñi (2x) inderet belañi inde samma

Es wird mir bitter wie Ret (=bittere Pflanze), es brennt mir wie Brennessel37

ያልረባባ ነገር ጆሮዬ እየሰማ

yalrebaba neger joroye iyesemma

Zu viel Unsinn hört mein Ohr.

ጃሎ (5x) jalo (5x) (Redundanz) አናንት ወንድሞቼ የእናንተን አላውቅም

inant wendimoce yenanten alawuqim

Ihr, meine Brüder, von euch weiss ich nichts.

36. 37 Es bedeutet soviel wie „Ich habe die Nase voll vom Leben“.

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ሆዴ ገና ቢሆን ፊቴን ዞሬ አላውቅም

hode gena bihon fiten zore alwedqim

Auch wenn mein Bauch nicht soweit ist, werde ich nicht auf dem Rücken fallen.

ወንድም ማለት ትግሬ ማለት

wendim malet tigre malet

Ein Bruder ist jemand, ein Tigray ist jemand,

ባልንጀራው ወድቆ ያንን ያነሳ ዕለት

balinjerawu wedqo yanin yanessa ilet

der seinen Kumpel auf die Beine bringt (hilft).

መገን megen (Redundanz) ሰንጋ ተንከባሎ ድልድል ያገኛል

senga tenkeballo dilidil yageñal

Wenn sich ein Ochse suhlt, hat er es gut.

የከፋው ወንድ ልጅ ምነው ሞት ይመኛል

yekefawu wend lij minewu mot yimeñal

Warum wünscht sich ein trauriger Mann seinen Tod?

ጃሎ መገን jalo megen (Redundanz) Der hier dargestellte Sologesang in Amariña, ähnelt dem Shilela, einem Kriegsgesangsstil. Der Textinhalt berichtet von der zu jener Zeit herrschenden Unterdrückung der Untertanen. Der Sänger gibt sich selbst als Opfer des Systems. Einige Zeilen reimen, dennoch tragen sie keine sinnergebende Bedeutung. Im Notenbeispiel wurde lediglich der erste Gesangszyklus zeilenweise transkribiert. Hier ist eindeutig zu sehen, dass der Großteil der melismatisch gestalteten Gesangszeilen mit wenig Text ausgestattet ist. Die Zeilen sind unterschiedlich lang, wobei ihre Länge offensichtlich von dem Sänger bestimmt wird. Die benutzten Tonstufen sind hier nicht als eindeutige Tonstufen zu betrachten, da an mehreren Stellen tonale Schwankungen feststellbar sind, die nicht zulassen, die für den Gesang zutreffende Qiñit zu ermitteln. An manchen Stellen singt der Sänger nahezu mit einer lauten und emotionsgeladenen Stimme. Dies könnte möglicherweise der Hauptgrund für die tonalen Schwankungen sein. Im Allgemeinen jedoch könnte eher die Qiñit-Tizita zu der Melodiebewegung dieses Gesangs als geeignet betrachtet werden. Walzenaufnahme 33, ID 25, Aufnahme: Erich Kaschke, 25.03.1906 Axum Repertoire: Kriegsgesang/Solo Dieser ebenfalls in Amariña vorgetrage Kriegsgesang, setzt sich - im Vergleich zu den bisherigen Rezitationsgesängen - aus zwei in sich abgeschlossene melodisch-rhythmische Abschnitte. Leider ist der Text insbesondere im Abschnitt 2 sehr schlecht zu hören. Daher konnte nur ein Teil hier vorgestellt werden. Die Reihenfolge entspricht nur teilweise dem gesungenen Text38.

38 Die Textzeilen im zweiten Abschnitt entsprechen nicht ganz der gesungenen Reihenfolge, da manche nicht zu

hören waren. Daher wurden hier nur die hörbaren Zeilen dargestellt.

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Abbildung 95: gesungener Text, Walzenaufnahme 33

Originalschrift Umschrift Übersetzung Abschnitt 1 ዋርካው ዘሞ ዘሞ warkawu zemo zemo Der Baum biegt sich mehr und mehr አይቀርም ወንድ ልጅ ልቡን ታሞ ታሞ

ayiqerim wend lij libun tamo tamo

Ein Held wird nicht ruhig bleiben, mit Herzschmerzen, Herzschmerzen

ጃሎ ጃሎ ጃሎ jalo jalo jalo (Redundanz) Abschnitt 2 ዘራፍ ዘራፍ zeraf zeraf (Redundanz) አካኪ ዘራፍ akaki zeraf (Redundanz) እርፍ ይበሉ irif yibelu (Redundanz) እርፍ ይተካ irif yiteka (Redundanz) አርዶ ያደረሰ ardo yadarese Der Tötende ፈርቶ ያልተመለሰ ferto yaltemelese Der Held የኮራ የተንጠራራ yekora yetenterara Der Stolze...usw. Abbildung 96: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 33

Die zu der Melodiebewegung dieses Gesanges zutreffende Qiñit ist Tizita (Abbildung 97) mit dem Ton f’ als Ausgangston.

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Abbildung 97: Tizita-Qiñit, Walzenaufnahme 33

Die am häufigsten verwendete Ton ist a’, der sowohl im Verlauf der Gesangszeilen als Zentralton fungiert als auch am Ende jeder Zeile als Schlusston erscheint. Im Vergleich zum zweiten Abschnitt, der einen engen Tonvorrat darstellt, erstreckt sich der Tonvorrat des ersten Abschnittes von g - a’. Es sei hier vermerkt, dass der Sänger an und für sich keine gute Stimme besitzt, die sich zu einem solchen, melismatisch aufgebauten Gesang eignet. An mehreren Stellen sind mikrotonale Abweichungen zu hören. Daher sind die verwendeten Tonstufen keineswegs als absolute Tonhöhen zu verstehen. Abschnitt 1: Der in der Abbildung 98 vorgestellte erste Gesangsabschnitt ist melismatisch aufgebaut und freimetrisch gestaltet, wobei das Tempo deutlich langsamer und die Verszeilen länger zu sein scheinen als in dem zweiten Gesangsabschnitt. Abbildung 98: Walzenaufnahme 33, Kriegsgesang/Solo, Abschnitt 1

Abschnitt 2: Der zweite Abschnitt (Abbildung 99) wird ausschließlich rezitiert. Im Vergleich zum ersten Abschnitt, wird er in einem deutlich schnellen Tempo ausgeführt. Aus dem Höreindruck kann man vermuten, dass der Sänger den Gesang mit voller Kraft und Emotion vorträgt. Es kommen sowohl kurze als auch lange Text- und Melodiezeilen vor. Die kurzen Gesangszeilen bestehen nur aus Redundanzwörtern. Die letzte Silbe jeder Zeile wird besonders betont. Dieser meist drei- bis fünfzeiliger Text kehrt, jeweils nach Beendigung der 1. Abschnitte immer wieder zurück. Aufgrund seines Rezitativen Charakters, basiert die Transkription nur auf dem rhythmischen Verlauf.

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Abbildung 99: Walzenaufnahme 33, Kriegsgesang/Solo, Abschnitt 2, ryhtmischer Ablauf

Walzenaufnahme 34; ID 26, Aufnahme: Erich Kaschke, 27.03.1906 Axum Repertoire: Liebes- und Unterhaltungsgesang/Solo In der Walzenaufnahme 34 wird ein Unterhaltungsgesang solistisch vorgetragen, der zur Musizierpraxis der Unterhaltungslieder gehört. In der folgenden Tabelle wird der Gesangstext dargestellt (Abbildung 100):

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Abbildung 100: gesungener Text - Walzenaufnahme 34 korrektur Gz mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte Refrain

1 a ite minewu ite minewu Du, was ist? Du, was ist? 1 – 7 2 b ite minewu ite minewu Du, was ist? Du, was ist? 8 – 13 3 c ite minewu wedaj indih newu Du, was ist los? Behandelt man einen Bekannten so? 14 – 19

Verszeilen 4 a ite minewu ite minewu Du, was ist? Du, was ist? 20 – 26 5 b1 minew minewu inde goru meda Was ist? Was ist? Wie die Wiese von Goru- 27 – 32 6 d ite minewu inde wediañawu Du, was ist? Dort drüben- 33 – 39 7 b2 ite minewu kamet and qen newu Du, was ist? Einmal im Jahr- 40 – 45 8 d1 ite minewu yemitigeñiwu Du, was ist? Trifft man dich. 46 – 52 9 b3 ite minewu minewu minewu Was ist? Was ist? Was ist? Was ist? 53 – 59

10 c ite minewu wedaj indih newu Was ist? Was ist? Behandelt man einen Bekannten so?

60 – 65

Refrain 11 a1 ite minewu minewu minewu Du, was ist? Was ist? Was ist? 66 – 72 12 b4 ite minewu minewu minewu Du, was ist? Was ist? Was ist? 73 – 79 13 c ite minewu wedaj indih newu Du, was ist? Behandelt man einen Bekannten so? 80 – 85

Verszeilen 14 a1 ite minewu ite minewu Du, was ist? Du, was ist? 86 – 92 15 b5 minew minewu aydelehu gumare Was ist? Du, was ist? Ich bein kein Nilpferd- 93 – 98 16 a2 ite minewu moferun altisewu Du, was ist? Ich kann den Pflug nicht zerbrechen - 99 – 105 17 b5 minew minewu le’amorawu lakilñi Was ist? Was ist? Schick mir mit der Möwe - 106 – 111 18 a3 ite minewu lemimelalesewu Du, was ist? die hin und her wandert. 112 – 118 19 b geday geday geday geday (Redundanz) 119 – 125 20 c ite minewu wedaj indih newu Du, was ist? Behandelt man einen Bekannten so? 126 – 131

21 a4 minewu minewu inde goru meda Du, was ist? Wie die Wiese in Goru- 132 – 138 22 b6 ite minewu inde wediañawu Du, was ist? Dort drüben- 139 – 145 23 a5 ite minewu kamet and qen newu Du, was ist? Einmal im Jahr- 146 – 152 24 b6 ite minewu yemitigeñiwu Du, was ist? Trifft man dich. 153 – 158 25 c ite minewu wedaj indih newu Du, was ist los? Behandelt man einen Bekannten so? 159 – 164

26 a7 ite minewu minewu minewu Du, was ist? Was ist? Was ist? 165 – 171 27 b6 ite minewu ambassel lay huno Du, was ist? Von Ambassel (Ortsname) aus- 172 – 177 28 a8 ite minewu yitayal wucale Du, was ist? Sieht man den Berg Wuchale- 178 – 184 29 b ite minewu ite minewu Du, was ist? Du, was ist? 185 – 190

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30 a2 ite minewu yimeslal kenferwa Du, was ist? Ihr Mund sieht aus- 191 – 197 31 b Ite minewu ite minewu Du, was ist? Du, was ist? 198 – 203 32 a9 Ite minewu lam yalayewu cele Du, was ist? Wie ein frisches Gras, das von Kühen

noch nicht entdeckt wurde. 204 – 210

33 b Ite minewu ite minewu Du, was ist? Du, was ist? 211 – 217 34 c Ite minewu wedaj indih newu Du, was ist? Behandelt man einen Bekannten so? 218 – 223

Refrain 35 a10 ite minewu ite minewu Du, was ist los? Du, was ist los? 224 – 230 36 b ite minewu ite minewu Du, was ist los? Du, was ist los? 231 – 237 37 c ite minewu wedaj indih newu Du, was ist los? Behandelt man einen Bekannten so? 238 – 243

Verszeilen 38 a11 ite minewu minew minewu Du, was ist? Was ist? Was ist? 244 – 250 39 b7 ite minew wucale lay huno Du, was ist? Von dem Berg Wuchale aus- 251 – 256 40 a12 ite minewu Yitayal gedeged Du, was ist? Sieht man Gedeged (Ortsbezeichnung)- 257 – 263 41 b6 ite minewu shintwa zewerwara Du, was ist? Ihre Taille sieht aus- 264 – 269 42 a13 ite minewu inde gwaro menged Du, was ist? Wie eine enge Gasse. 270 – 276 43 b4 ite minewu minew minewu Du, was ist? Was ist? Was ist? 277 – 283 44 c ite minewu wedaj indih newu Du, was ist los? Behandelt man einen Bekannten so? 284 – 289

45 a14 ite minewu minew minewu Du, was ist? Was ist? Was ist? 290 – 296 46 b8 ite minewu debre tabor gebeya Du, was ist? Auf dem Marktplatz von Debre Tabor- 297 – 302 47 a13 ite minewu debre tabor gebeya Du, was ist? Auf dem Marktplatz von Debre Tabor- 303 – 309 48 b8 ite minewu yiwulal inqulal Du, was ist? Gibt es Eier. 310 – 315 49 a11 ite minewu minewu minewu Du, was ist? Was ist? Was ist? 316 – 322 50 b ite minewu minewu minewu...usw. Du, was ist? Was ist? Was ist? 323 – 329

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Abbildung 101: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 15 bzw. 34

Der Gesang lässt sich in Refrain- und Verszeilen untergliedern, wobei diese Unterteilung sich nur auf die textinhaltliche Vorgabe bezieht. Ansonsten bleibt die grobe Melodiestruktur innerhalb ihres allgemeinen Rahmens bestehen, wie die melodischen Formeln es verdeutlichen. Im Text kommen die Gesangszeilen 1 - 3 häufig vor. Insbesondere auffallend ist das Wort „Ite“, eine Abkürzung des Wortes „Ihite“ [meine Schwester], das sich auf unterschiedliche weibliche Personen bezieht wie beispielsweise eine Bekannte, Freundin und/oder eine Verwandte. Mit anderen Worten steht die Verwendung dieses Wortes gewöhnlich ein Zeichen für eine enge freundschaftliche oder verwandschaftliche Beziehung. In der Übersetzung wurde dieses Wort als „Du“ angegeben, da sich aus dem Textinhalt nicht eindeutig erkennen lässt, welche Person damit genau gemeint ist, die Schwester? Die Geliebte? Die hier verwendeten Tonstufen bilden die Tizita-Qiñit wie folgt: Abbildung 102: Tizita-Qiñit, Walzenaufnahme 34

Walzenaufnahme 35 und 36; IDs 27 und 28; Aufnahme: Erich Kaschke, 01.04.1906 Axum Repertoire: Instrumentalmelodien auf der Flöte Washint/Solo In den Walzenaufnahmen 35 und 36 sind zwei – auf der Flöte Washint – ausgeführte Instrumentalstücke enthalten, die höchst wahrscheinlich von demselben Spieler in der Tizita-Qiñit ausgeführt wurden. Die in Frage kommenden Tonstufen sind e’-fis’-gis’-h’. Die Tonhöhen sind um eine Oktave höher gespielt sind als in der folgenden Abbildung 102 angegeben. Abbildung 103: Tizita-Qiñit, Walzenaufnahmen 35 und 36

Bei der Walzenaufnahme 35 handelt es sich um eine freimetrische Flötenmelodie. Aufgrund der schlechten Aufnahmequalität allerdings, konnte das Musikstück nicht in Noten wiedergegeben werden. Im Vergleich zur Walzenaufnahme 35 ist bei der Walzenaufnahme 36 eine festmetrische Flötenmelodie feststellbar, die in einem relativ schnellen Tempo verläuft. Das Musikstück setzt sich aus zwei melodisch unabhängigen Abschnitten zusammen. Die Melodiezeilen des ersten Abschnittes

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sind länger als die des zweiten. Im Notenbeispiel sind die ersten zwei Abschnitte zu sehen, die zyklisch verlaufen. Sie dienen als repräsentatives Beispiel für das gesamte Stück. Walzenaufnahme 37; ID 29, Aufnahme: 1.04.1906 Axum Wechselgesang Laut Kaschkes wird dieser Gesang als „Walzenaufnahme 1“ angegeben, obgleich in dem Ansagetext des Museummitarbeiters die Walzenaufnahme 37 gemeint ist. Der Originaltext (Abbildung 105) wurde auch mit dem Gesangstext verglichen. Es wurde festgestellt, dass er auch mit der Nummer 1 gekennzeichnet ist. Allerdings stimmt er mit diesem nicht überein. Abbildung 104: gesungener Text - Walzenaufnahme 37 Gz V/G mF Originalschrift Umschrift Übersetzung Takte Abschnitt 1 1 V a jaloye (3x) (Redundanz) 2 G b oho ho ho (Redundanz) 3 V c tewu jalo megen (Redundanz) 4 G d ante wendime

tešelem game Du mein Bruder-

wirst ein game (?) geschenkt bekommen

Abschnitt 2 5 V

d ante wendime

tešelem game Du mein Bruder-

wirst ein game geschenkt bekommen

6 G

d ante wendime tešelem game

Du mein Bruder- wirst ein game geschenkt bekommen

Abbildung 105: ursprünglich notierter Text, Walzenaufnahme 4; identisch mit Walzenaufnahme 37

Trotz der Tatsache, dass der Gesangstext recht begrenzt ist, wird er in der hier angegebenen Reihenfolge (Abbildung 104) in zyklischer Form oft wiederholt. Der Textinhalt bezieht sich auf ein Kriegslied. Das Wort „jalo“, der in Kriegsgesängen häufig verwendet wird, kommt auch hier vor. Der Gesang setzt sich des Weiteren aus zwei melodisch unterschiedlich aufgebaute Abschnitte zusammen, die im Notenbeispiel auch entsprechend gekennzeichnet sind. Abschnitt 1: In dem ersten Gesangsabschnitt ähnelt der Struktur eines Rufwechselgesangs, bei dem der Vorsänger und die Gruppe die ihnen zugeteilten gestalterischen Aufgaben gesanglich ausführen und sich somit gegenseitig ergänzen. Rufwechselgesänge der Amara weisen unterschiedliche Strukturen auf. Sie können entweder als Refrain oder Strophe auftreten. In diesem Fall kann man den ersten Gesangsabschnitt als Refrain betrachten.

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Abschnitt 2: Der zweite Gesangsabschnitt hingegen kann der Gruppe der Zeilenwechselgesänge zugeordnet werden. Der Vorsänger trägt zunächst eine ganze Melodiezeile vor, die von der begleitenden Gruppe melodisch, rhythmisch und textlich fast genauso wiederholt wird. Diese Struktur kann beliebig oft wiederholt werden. Trotz der Tatsache, dass der Vorsänger an bestimmten Stellen ein wenig verspätet seinen Gesangspart beginnt (siehe Takte 17 und 39 gekennzeichnet mit der Nr. 1*.), wurden diese Stellen ohne Pausen transkribiert, da es nicht sinngemäß wäre, solche – aus verschiedenen Gründen zustande kommenden - Lücken als Pausen zu kennzeichnen. Mit anderen Worten würde es nicht der eigentlichen Gestalt des Gesanges entsprechen. Die dem Melodieablauf entsprechende Qiñit ist hier Bati (Abbildung 106): Abbildung 106: Bait Qiñit, Walzenaufnahme 37

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Zusammenfassung Tabellarische Aufstellung der Walzensammlung In der folgenden Tabelle wird jede soweit ausführlich beschriebene Walzenaufnahme zusammenfassend nach seinem Titel, sofern dieser bekannt ist, seiner Zuordnung zur jeweiligen Qiñit-Tonreihe, seiner musikalisch-funktionale Bindung, seiner Besetzung und der entsprechend verwendeten Sprache (Tigriña oder Amariña) aufgelistet. Aus der Gesamtheit dieser Walzensammlung wird deutlich, dass 14 Gesänge in der Tizita, 10 in Bati, zwei in Anchi-Hoye-Lene-Qiñitoc ausgeführt worden sind. Des Weiteren sind 6 Gesänge enthalten, die keinem der vier traditionellen Qiñit–Tonreihen zugeordnet werden können. Zum einen handelt es sich um die Walzenaufnahmen 13 und 14, in denen laut Beschreibung „mohamedanische Schüler“ in „arabischer“ Sprache die Gesänge ausführen. Die hier genutzten Tonstufen entsprechen überhaupt nicht dem Prinzip der Qiñit-Systematik. Bei den restlichen Gesängen handelt es sich um Kriegs- oder Jagdlieder in den Walzenaufnahmen 15, 16, 23, 24 und 32, die überwiegend rezitiert werden. Auch die in diesen Gesängen verwendeten Melodiestrukturen weisen nicht eindeutig auf einer spezifischen Qiñit hin. Dies hängt vermutlich hauptsächlich damit zusammen, dass alle Gesänge von unerfahrenen Akteuren vorgetragen wurden, die ihre gesangliche Kunst nicht zufriedenstellend gestalten können. Dieses Phänomen gilt allerdings für den Großteil der vorliegenden Walzensammlung, bis auf einige wenige Ausnahmen mit guten und erfahrenen Sängern. Diese wurden in den Walzenaufnahmen 5 und 6 mit den Azmari-Gesängen und in der Walzenaufnahme 7 mit dem Wechselgesang von einer „professionellen“ traditionellen Musikgruppe festgestellt. 21 Gesänge wurden in Amariña, 14 in Tigriña und 2 Gesänge in arabischer Sprache vorgetragen. Es ist erstaunlich, dass die in Amariña ausgeführten Gesänge dominieren, obwohl in Axum vorwiegend Gesänge in der Tigriña-Sprache zu erwarten wären. Jedoch ist auch diese Feststellung ein Grund, um Nachforschungen anzustreben, inwieweit Amariña-Gesänge sowohl damals als auch gegenwärtig in diesem Teil Äthiopiens verwendet wurden und werden. Ist es möglich, dass die beteiligten Akteure, die die Amariña-Gesänge ausgeführt haben, selbst aus Tigray stammen, oder sind es tatsächlich Angehörige der Amara-Gemeinschaft, die aus ihren Wohnorten ausgewandert waren und in Axum lebten? 10 Gesänge wurden in Form von Wechselgesängen ausgeführt, während 25 Gesänge solistisch dargestellt wurden. Hinsichtlich begleitenden Chören oder Gruppen konnte man feststellen, dass sehr wenig vertreten sind. Lediglich in 5 Gesängen wurden Musikinstrumenten wie die Masinqo, die Doppelfelltrommel Kebero, Hörner (Instrumententyp unklar) sowie Klatschen und Trillern zur Begleitung eingesetzt. Als reine Instrumentalstücke kommen nur 2 Aufnahmen vor. Dies weist darauf hin, dass insgesamt in den Musikkulturen Zentraläthiopiens – vor allem bei den Tigray und Amara - die Instrumentalmusik sowohl zur damaligen Zeit als auch heutzutage kaum praktiziert wurde und wird. Eine Ausnahme, die nach wie vor in diesem Gebiet zu beobachten ist, ist das Washint-Spiel (Flötenspiel) der Hirten. Nahezu ausschließlich spielen die Hirten diese Flöte während der Aufsicht ihrer Herde, um sich die Langeweile zu vertreiben. Zum ihrem Repertoire gehören meistens melancholische Melodien, die aus bekannten Alltagsgesängen stammen und vom Spieler zum Spieler melodisch unterschiedlich variiert werden können.

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Aufnahmenummer/ Aufnahmedatum

Titel Qiñit gesungen in

Gesangsart

verwendete Gesangsbegleitungen

funktionale Bindung und Akteure

Amariña Tigriña andere Solo Gruppe39 1 *** Ahay Guma Tizita x x keine Kriegslied ausgeführt von einer

Gruppe von Kindern 2 19.01.1906 Hohiya Tizita x x x keine Gesang wird zum Anlaß des religiösen

Buhe-Festes entweder von Kindern oder von Erwachsenen im Wechsel gesungen; hier sind Kinder im Alter von ca. 10 –14 Jahren die Akteure

3 19.01.1906 Bati x x keine Gesang-Solo, dazwischen Gruppe; sowohl der Vorsänger als auch die in bestimmten Abständen zu hörenden Begleiter sind Kinder

4 1.04.1906 Jaloye Bati x x keine Kriegslied ausgeführt von einer Gruppe von Kindern

5 19.01.1906 Tizita

x x Hörner, Masinqo

Gesang wurde laut Ansagetext zum Empfang des deutschen Diplomaten Rosen gesungen; außer den am Anfang zu hörenden Hörnern führt auch ein Azmari solistisch einen Unterhaltungsgesang auf, der mit aktuellen Texten ausgestattet ist.

6 19.01.1906 Tizita x x Masinqo Ein Azmari singt in Begleitung mit seiner Masinqo ein Unterhaltungslied. Der Gesang kann zu jedem Anlaß gesungen werden.

7 06.02.1906 Menawite Bati x x Trommel, Klatschen Gesang wird zum Anlaß einer Hochzeit gesungen. Hier wird der Vorsänger von einer Gruppe begleitet. Es handelt sich um eine „professionelle“, traditionelle Berufsgruppe

8 .... 1906 Mai Do alewoye Tizita x x Trommel, Klatschen und Trillern

Gesang ist ebenfalls zeremoniell mit einem Hochzeitsfest verbunden. Hier

39 Die Bezeichnung Gruppe bezieht sich auf einem Wechselgesang.

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wird der Vorsänger von einer Gruppe begleitet.

9 x keine In der Sammlung ist keine Aufnahme mit der Nr. 9 enthalten, sondern lediglich ein kurzer Text aus dem Originalforschungsmaterial.

10 x keine In der Sammlung ist keine Aufnahme mit der Nr. 10 enthalten, sondern lediglich ein kurzer Text aus dem Originalforschungsmaterial.

11 06.02.1906 Laloye Tizita x x Trommel, Klatschen und Trillern

Unterhaltungsgesang, der zu jedem Anlaß ausgeführt werden kann.

12 06.02.1906 Hadereye x x Trommel, Klatschen und Trillern

Unterhaltungsgesang, der zu jedem Anlaß ausgeführt werden kann.

13 06.02.1906 keine40 x x keine Laut Beschreibung im Originalmaterial: mohammedanische Schüler; sehr bekannte Koranschule. Die Akteure sind Kinder, die den Gesang im Wechsel vortragen.

14 06.02.1906 s. Nr. 13 x x keine siehe Beschreibung in der Walzenaufnahme 13

15 07.02.1906 keine x x keine solistisch rezitierter, typischer Kriegsgesang; gewöhnlich wird der jeweilige Sänger während seiner gesanglichen Darstellung von weiteren am musikalischen Geschehen beteiligten Personen mit Gestik, Mimik und anderen Lauten animiert.

16 07.03.1906 keine x x keine siehe Beschreibung Beschreibung in der Walzenaufnahme 15

17 11.02.1906 Iliši yelem wey? Bati x x keine solistisch vorgetragenes Liebeslied, das eigentlich von seiner melodischen Struktur her im Wechsel zwischen einem Vorsänger und einer ihn begleitenden Gruppe ausgeführt wird.

18 11.02.1906 Iliši yelem wey? Bati x x keine siehe Beschreibung Beschreibung in

40 Für die Walzenaufnahmen 13 und 14 ist keine Zuordnung zu den Qiñitoc möglich.

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der Walzenaufnahme 17 19 19.02.1906 Ado Wešebaye Tizita x x keine solistisch dargestelltes Jagdlied (vgl.

auch Walzenaufnahme 30) 20 11.02.1906 Besime Ab Anci-Hoye-

Lene x x keine religiöser Preisgesang, der

insbesondere während der großen Fastenzeit vor dem Osterfest ausschließlich solistisch ausgeführt wird. In der Regel begleitet sich der Sänger selbst auf die Kastenleier Bägäna. Jedoch ist dies in dieser Aufnahme nicht der Fall.

21 07.03.1906 Menawite Bati x x keine Liebeslied, das von einem Knaben gesungen wird

22 07.03.1906 Bati x x keine beliebig austauschbares solistisches Unterhaltungslied

23 07.03.1906 Zeraf keine x x x keine freimetrisch gestaltetes Kriegslied 24 07.03.1906 keine x x keine freimetrisch gestalteter Rezitations-

gesang, der zum Repertoire der Kriegslieder gehört

25 07.03.1906 Aberaši Nabey alki Tizita x x keine Unterhaltungs- und Liebeslied 26 07.03.1906 Tizita x x keine Jagd- oder Soldatenlied 27 07.03.1906 x x keine Laut Notiz aus dem Originalprotokoll

handelt es sich hier um ein Jagdlied, das dann gesungen wird, wenn der Mann nach einem erzielten Sieg aus dem Krieg zurückkehrt

28 07.03.1906 Geday Menino Bati x x keine Jagdlied (vgl. auch Walzenaufnahme 31)

29 15.03.1906 Aya Mare Gela Tizita x x keine Laut Notiz aus dem Originalprotokoll: sehr bekanntes Jagdlied gesungen zur Begrüßung, wenn ein Mann einen Elephanten getötet hat und zurückkehrt

30 15.03.1906 Ado Wešebaye Anci-Hoye-Lene

x x keine solistisch dargestelltes Jagdlied (vgl. auch Walzenaufnahme 19)

31 15.03.1906 Geday Menino Bati x x keine solistisch dargestelltes Jagdlied (vgl. auch Walzenaufnahme 28)

32 25.03.1906 kein x x keine Unterhaltungsgesang teils rezitiert und

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teils gesungen 33 25.03.1906 Tizita x x keine Kriegslied teils rezitiert und teils

gesungen 34 27.03.1906 Ite Minew Tizita x x keine Liebes- und Unterhaltungslied 35 01.04.1906 Tizita x solistisches Instrumentalstück gespielt

auf der Flöte Washint 36 01.04.1906 Tizita x solistisches Instrumentalstück gespielt

auf der Flöte Washint 37 19.01.1906 Jaloye Bati x x keine Wechselgesang, der zu den

Kriegsliedern gehört, ausgeführt von einer Gruppe von Knaben

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Jede historische Sammlung besitzt einen hohen Wert sowohl für die Nachwelt der betreffenden Gemeinschaft als auch für die Entwicklung der wissenschaftlichen Forschung und seiner Dokumentation. Historische Materialien klären uns über die Vergangenzeit auf und ermöglichen der Wissenschaft, sie mit der Gegenwart zu vergleichen, d.h. alle auftretenden Veränderungen im Verlauf der Jahre, Jahrzehnte oder Jahrtausende festzustellen und sie zu begründen. Genauso ist die vorliegende Walzensammlung zu prüfen. Da uns in diesem Fall uns kaum schriftliche Beweise zur Verfügung stehen, die uns einen detaillierten Aufschluss über diese Tonaufnahmen und ihrer Entstehung geben, bleiben viele Fragen offen wie z.B. welche Motivation Erich Kaschke hatte, diese Sammlung aufzunehmen und welche Vorkenntnisse bzw. Voraussetzung er in der musikalischen und musikethnologischen Feldforschung besaß. Denn eine Feldforschung zum damaligen Zeitpunkt muss offensichtlich mit viel Anstrengung verbunden gewesen sein. Auch die Begleitumstände sollen unbedingt mit berücksichtigt werden, die im Verlauf der praktischen Durchsetzung Feldforschung vorgekommen sein mögen. Des Weiteren ist es wichtig Kenntnis darüber zu erlangen, ob Erich Kaschke aus verschiedenen Gründen die Unterstützung anderer - abgesehen von Enno Littmann - in Anspruch nehmen musste. Hat er während der Aufnahmen möglicherweise selber Druck ausgeübt, oder waren die Akteure von vorn herein kooperativ? Haben die Akteure ihre Bereitschaft zur musikalischen Darbietung aus Respekt zu dem Gast gezeigt und seinem Willen entsprochen ohne Gegenleistungen zu erhalten? Waren sie einfach stolz darauf, dass ihre Stimme, ihr Gesang, ihre Musik überhaupt mit Hilfe eines ihnen unbekannten technischen Geräts aufgenommen wurde? Kann es auch sein, dass all diese Akteure aufgrund des Befehls des damaligen Herrschers ihre Kooperation gezeigt haben? Es bleiben also viele interessante Fragen offen. Es bestehen nur begrenzte Möglichkeiten sich mit Hilfe des zur Verfügung stehenden Tonmaterials ein Bild zu verschaffen und demzufolge Feststellungen machen zu können. Aufgrund von mehrfachem Zuhören, das durch die Transkriptionsarbeit der einzelnen Walzenaufnahmen hervorgerufen werden konnte, kann man davon ausgehen, dass Erich Kaschke vermutlich nicht nur eine begrenzte Aufnahmemöglichkeit sondern auch ein begrenztes Aufnahmegebiet zur Verfügung stand. Das bedeutet auch, dass die Anzahl der an dieser Sammlung beteiligten Akteure, z.B. Sänger, gesangliche Begleiter (Chor/Gruppe) und Instrumentenspieler genauso eingeschränkt war. Dies trägt selbstverständlich dazu bei, dass das gesammelte Repertoire – aus meiner Sicht - nicht variationsreich ist. Es ist daran zu erkennen, dass zum Beispiel ein und derselbe Sänger verschiedene Gesängen etwa Unterhaltungslied und Kriegslied vorgetragen hat bzw. er ein und dasselbe Lied entweder am gleichen Tag hintereinander ausführte, z.B. Walzenaufnahmen 17 und 18 mit demselben Aufnahmedatum vom 11.02.1906. Oder er trug ein und dasselbe Lied zu unterschiedlichen Zeiten vor, z.B. Walzenaufnahmen 19, die am 19.02.1906 aufgenommen wurde und die Walzenaufnahme 30, Aufnahmedatum 15.03.190641. Warum sind die Texte begrenzt? Waren die Gesänge damals nur mit diesen Texten ausgestattet, oder hängt es vom jeweiligen Sänger ab, der vermutlich wenig Kenntnis über den betreffenden Gesang hat?

41 Walzen 32 und 33 werden vom selben Sänger vorgetragen. Man erkennt dies an der Stimmfärbung.

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Auch wenn es üblich ist, dass im Laufe der Zeit, zu bereits existierenden traditionellen Melodien immer neue Texte hinzugefügt werden, die z.B. im Repertoire des Azmari vorzufinden sind, bin ich der Ansicht, dass damals die Gesänge genauso wie heute mit viel Text verknüpft waren. Von diesem Standpunkt ausgehend kann man somit vermuten, dass die Darsteller nicht unbedingt alle Texte kannten, die zu den jeweiligen Gesang/Gesängen gehören. Handelt es sich bei den ausführenden Musikern nun um Amateure oder Professionelle? Es ist möglich, dass ein Sänger z.B. nur ein paar Unterhaltungsgesänge gut singen kann, während er im Ausführen von Kriegsgesängen nicht gut genug ist, weil seine Kenntnisse in diesem Zusammenhang vermutlich wenig ausgeprägt sind oder mit anderen Worten, weil ihm die Erfahrung fehlt. Bei der Untersuchung dieser Tonsammlung konnte auch in Erfahrung gebracht werden, dass eine Anzahl von Gesängen auch heute, mit wenig Veränderungen in der Melodik und Rhythmik sowie im Text, in fast gleicher Art und Weise ausgeführt werden. Als Beispiel seien die Walzenaufnahmen 2, 6 und 8 zu nennen. In diesem Zusammenhang ist eine erneute und gezielte Studie, eine so genannte „re-study“, vor Ort von wesentlicher Bedeutung. Diese Untersuchung soll einen konkreten Aufschluss über die musikalische Formbildung, die Strukturen in der Melodik, Metrik und Rhythmik, in den Gesangstexten sowie in den Instrumentalpraktiken der einzelnen Walzenaufnahmen zur Zeit ihrer Entstehung und in der Gegenwart geben, inwieweit sie im heutigen, musikalischen Alltag Verwendung haben, welche Rolle sie spielen, welche Veränderungen im Lauf der Zeit aufgetreten sind und wenn ja, wie diese zu begründen sind und zuletzt auch welchen Stellenwert sie in den Musiktraditionen der in den Gesängen vertretenen Amara- und Tigray-Volksgruppen besitzen.

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LITERATUR / REFERENZ

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_____: Musik zu Hochzeiten bei den Amamra im Zentralen Hochland Äthiopiens. Peter Lang, Frankfurt a.M. u.a. 2001. Ullendorf, Edward: The Ethiopians: An Introduction to Gountry and People, New York · Toronto 1960. Ziegler, Susanne: Historical sound Recordings from Ethiopia on Wax Gylinders. Paper presented at the 1st International Littmann conference “Archeology and History of the Horn of Africa”, München 2002, unveröffentlicht