„schwarz-rot-gold der suppendose. nation als marke“
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Mirna Zeman
Schwarz-Rot-Gold der Suppendose. Nation als Marke
(Printversion mit Abbildungen in: Matin Doll, Oliver Kohns (Hg.): Figurationen des Politischen. Band
1: Die Phänomenalität der Politik in der Gegenwart, Paderborn: Fink 2016, S. 409-439.)
Nationale Kategorien und Stereotype verlieren trotz der Integrationen und
Entgrenzungen auch in der spätkapitalistischen Moderne nicht an Bedeutung. Ganz
im Gegenteil. Die allgegenwärtigen Adressierungen und ›Anrufungen‹ der Subjekte
als nationale durch Wirtschaftskrisediskurse, ökonomische Dispositive, national
konnotierte Warenwelt und Produktkommunikation widerlegen die Thesen all jener
sozial- und kulturwissenschaftlichen Beobachter, die in den letzten Jahrzehnten die
wirtschaftliche und mediale Globalisierung als eine Freisetzung der Subjekte aus dem
Korsett traditioneller Ortsbezüge und den Bauplänen des marodierenden
Identitätstechnologen ›Nationalstaat‹ begrüßten. Das Prinzip des Nationalen feiert
weltweit seine Modernisierung durch eine Kommodifizierung und Eventisierung,
während sich das Marketing immer offenkundiger in die Konstruktionen des
Nationalen hinein ausbreitet. Dies bestätigt sich anschaulich in den zyklisch
wiederkehrenden Hypes um Fußballnationen, in der weltweit grassierenden
»Nationalisierung des Konsumalltags«1 und im globalen Trend des Nation Branding.
An wissenschaftlichen Arbeiten, die mit Schwerpunktsetzung auf einzelne Länder die
Neu-Aushandlungen des nationalen Prinzips im Kontext der neoliberalen Ökonomie
und Ideologie in den Fokus rücken, mangelt es mittlerweile nicht mehr und
inzwischen gibt es auch Studien genug, die die ›Schwarz-Rot-Goldisierung‹
Deutschlands anlässlich der Sportevents und der sie begleitenden Heimat- und
Vaterlandsdiskurse kritisch unter die Lupe nehmen.2 Die Forschungsergebnisse der
1 Oliver Kühnschelm, »Editorial: Die Nation im Alltag. Nationalisierende Potenziale von
Produktkommunikation«, in: ders. (Hg.), Nationalisierende Produktkommunikation,
Innsbruck/Wien/Bozen 2010, S. 5–15, hier: S. 9. 2 Vgl. u.a. Maximilian Jablonowski, »Mit einem kurzen Pass vom hässlichen Teutonen zur
selbstbewussten Nation. Normalismustheoretische Überlegungen zur Fußball-WM 2006«, in:
kultuRRevolution, Nr. 58 (2010), S. 80-87; Wolfram Breger, »Als wenn es (sie) nie gesprengt worden
wäre. Rekonstruktionsversuche einer deutschen ›Nation‹«, in: kultuRRevolution, Nr. 60 (2011), S. 16–
27; Dagmar Schediwy, Ganz entspannt in Schwarz-Rot-Gold? Der Neue deutsche Fußballpatriotismus
aus sozialpsychologischer Perspektive, Münster 2012; Irene Götz, Deutsche Identitäten. Die
Wiederentdeckung des Nationalen nach 1989, Köln/Weimar/Wien 2011; dies., »Zur Konjunktur des
Nationalen als polyvalenter Vergemeinschaftungsstrategie. Plädoyer für die Wiederentdeckung eines
Forschungsfeldes in der Europäischen Ethnologie«, in: Zeitschrift für Volkskunde 107.2 (2011),
S. 129–154; Projektgruppe Nationalismuskritik (Hg.), Irrsinn der Normalität. Aspekte der
2
neueren kritischen Nationalismusforschung möchte ich an dieser Stelle durch eine
international vergleichende Zugangsweise und einen Blick auf kommerziell-
korporative Spielarten des Nationalismus über die Fußballindustrie hinaus ergänzen,
die mit dem neoliberalen Kapitalismus systemisch zusammenhängen.
Konsum- und Konzernnationalismus
Durch Praktiken des Konsums ist das Individuum in der heutigen Gesellschaft
in ein iteratives doing nations verwickelt.3 Man kann feststellen, dass sich – ganz
Reartikulation des deutschen Nationalismus, Münster 2009, darin u.a. Johannah Caborn, »Die
›selbstbewußte Leichtigkeit‹ des neuen deutschen Seins. Geschichte und Selbstbewußtsein im neuen
Nationdiskurs«, S. 88–106; Jürgen Schwier, »Die Welt zu Gast bei Freunden – Fußball, nationale
Identität und der Standort Deutschland«, in: ders./Claus Leggewie (Hg.), Wettbewerbsspiele. Die
Inszenierung von Sport und Politik in den Medien, Frankfurt a. M. 2006, S. 79-105 sowie Claus
Leggewie, »Marke Deutschland – Sport als Medium kollektiver Identität im Globalisierungsprozess«,
in: ebd., S. 105–119. Zum ›neuen‹ Vaterlandsdiskurs vgl. auch Tanja Dückers, »Neuer Nationalismus?
Ein kritischer Rückblick auf das generationenübergreifende Phänomen des ›Party‹-Patriotismus seit der
Fußball-Weltmeisterschaft 2006«, in: Andrea Geier/Jan Süselbeck (Hg.), Konkurrenzen, Konflikte,
Kontinuitäten. Generationsfragen in der Literatur seit 1990, Göttingen 2009, S. 69–82. Zu
Nationalstereotypen in der Fußballberichterstattung vgl. Rolf Parr, »Zwischen Innovation und
Automatismus. Nationalstereotype in der Berichterstattung zur Fußball-WM 2010«, in: Tobias
Conradi/Gisela Ecker/Norbert Otto Eke/Florian Muhle (Hg.), Schemata und Praktiken, München 2012,
S. 117–140. 3 Neuere Praxistheorien – worunter ein Bündel von Ansätzen aus der Soziologie und den Cultural
Studies zu verstehen ist – teilen die Prämisse, dass soziale und kulturelle Phänomene weder als
ausschließlich diskursive Effekte noch als textuelle Konstrukte, sondern auch als Handlungsprozesse
(doing) gedacht werden müssen. Dieser neuformulierte Handlungsbegriff wird am Konzept
soziokultureller Praktiken – im Bourdieu’schen Sinn routinisierter Handlungsabläufe, die sich durch
Wiederholungen und ›Einschleifungen‹ verfestigen – entfaltet. Zur Praxistheorie vgl. u.a. Andreas
Reckwitz, »Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive«, in:
Zeitschrift für Soziologie 4.32 (2003), S. 282–301; ders., »Toward a Theory of Social Practices. A
Development in Culturalist Theorizing«, in: European Journal of Social Theory 5 (2002), S. 245–265;
Karl H. Hörning/Julia Reuter (Hg.), Doing Culture. Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur und
sozialer Praxis, Bielefeld 2004.
Das Konzept doing nations soll eine Forschungsrichtung signalisieren, die nationale Kategorien,
Stereotype und Symbole auch in ihrer prozeduralen Dimension unter die Lupe nimmt und neben der
ideellen Seite nationaler Vergemeinschaftung via Texte und Diskurse auch die Ebene der Praktiken und
Materialitäten berücksichtigt. Denn die symbolische Seite der Nation hat immer einen ›realen
Mitspieler‹: das Tatsächliche der Praxis, der Institutionen, der Alltagsroutinen, der (ökonomischen)
Reproduktionszyklen. Die Interdiskursanalyse – eine Forschungsrichtung, die generative Mechanismen
der nationalen Mythen, Kollektivsymbole, Stereotype und anderer kollektiver Sinn-Bilder
bemerkenswert präzise erfasst hat – hat längst erkannt, dass für die Herausbildung nationaler
Identitäten für die Beteiligten (und weitgehend auch für Forscher) opak bleibende
Kopplungsmechanismen zwischen alltäglicher Praxis und stereotypen Zuschreibungen verantwortlich
zeichnen (vgl. Ute Gerhard/Jürgen Link, »Zum Anteil der Kollektivsymbolik an den
Nationalstereotypen«, in: Jürgen Link/Wulf Wülfing (Hg.), Nationale Mythen und Symbole in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Identität,
Stuttgart 1991, S. 16–52). Diesen Mechanismen kann eine Nationalismusforschung gerecht werden, die
Zusammenhänge zwischen Diskursen, Institutionen, Praktiken und Materialitäten – das nationale
Dispositiv im Sinne Foucaults – in den Blick nimmt. Die Ausführungen zum doing nations folgen
Mirna Zeman, »Historische Alterität als gebrandete Identität: Imagologie und Praxeologie des Nation
Branding«, in: Davor Dukić (Hg.), History as a Foreign Country: Historical Imagery in South-Eastern
Europe/Geschichte als ein fremdes Land: Historische Bilder in Süd-Ost-Europa, Bonn 2014 (in
3
abgesehen von den Sportereignissen, den »nationalen Jubiläumsinszenierungen«4 und
der Tourismusindustrie – das Regime nationaler Symbole und Stereotype durch
produktkommunikative Materialisierungen und Einschreibungen in diverse
Konsumgüter verstärkt in unterschiedliche Bereiche des Alltags hinein verlängert.
Beim Genuss des ›deutschen‹ Biers, beim Einkauf beim ›Türken‹ um die Ecke, bei
den beiläufigen Erkundungen des ›schwedischen Nationalcharakters‹ im Möbelhaus
IKEA, beim Kochen mit ›griechischem‹ Olivenöl oder bei der Anschaffung des Autos
made in Germany werden im ökonomischen Rahmen des globalen Kapitalismus
nationale Kategorien wortwörtlich inkorporiert, gemacht und performativ beglaubigt.
Die Prozesse des doing nations via global kursierende commodities laufen auch dann
ab, wenn in politischen Mediendiskursen direkte Anrufungen durch nationale
Symbole aus dem einen oder anderen Grund ausbleiben. Michael Billig prägte für die
Form des Nationalismus, die sich beiläufig und unspektakulär durch alltägliche
Essgewohnheiten oder Konsumpraktiken, durch subtiles Fahnenzeigen in den
Wetterprognosen und plakatives Fahnenschwenken bei Sportwettbewerben
stabilisiert, den Begriff banal nationalism.5 Man könnte bezüglich des
Konsumnationalismus der Gegenwart in Anlehnung an Jean-Paul Sartres Modell der
»seriellen Kollektivität«6 von der nationalen Serialität sprechen, worunter eine Form
Vorbereitung) sowie dies., »Nation und Serialität«, in: Hannelore Bublitz/Irina Kaldrack/Theo
Röhle/Mirna Zeman (Hg.), Automatismen – Selbst-Technologien, München 2013, S. 275–288. 4 Irene Götz, Deutsche Identitäten (wie Anm. 2), S. 169. Zur Konjunktur nationaler
Jubiläumsfeierlichkeiten in Deutschland im Allgemeinen und zur Euphemisierung, Feuilletonisierung
und Eventisierung des Hermannschlacht-Mythos im Rahmen des ›Varusschlacht‹-Jubiläums 2009 im
Besonderen siehe Kálmán Kovács, »Varusschlacht 2009«, in: Reiner Hillenbrand (Hg.), Erbauendes
Spiel – Unendliche Spur. Festschrift für Zoltán Szendi, Wien 2010, 555–567. 5 Michael Billig, Banal Nationalism, London 1995. Eine gelungene Verknüpfung des Banal-
Nationalism-Konzepts mit dem Modell der Repräsentation (im Sinne »einer Fiktionen gebärenden
Kraft« bzw. der imaginären Dimension der Nation) liegt in einem Beitrag von Oliver Kohns vor. Siehe
seinen Beitrag: »Diskurse der ›nationalen Identität‹ in Deutschland: Der Fall Sarrazin aus
kulturwissenschaftlicher Perspektive«, in: kultuRRevolution, Nr. 60 (2011), S. 28–35. 6 Das Modell der seriellen Kollektivität hat Jean-Paul Sartre in den 1960er Jahren in der Kritik der
dialektischen Vernunft vorlegt. Sartre macht dem individuell handelnden Subjekt die autonome
›Autorschaft‹ seiner kollektiven Zugehörigkeit strittig, indem er ihn zum unfreiwilligen Mitglied einer
unbewussten, nicht-selbstbewussten Kollektivitätsform macht, die er »Serie« nennt (vgl. Jean Paul
Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, Bd. 1.: Theorie der gesellschaftlichen Praxis, Reinbek bei
Hamburg 1967, S. 270–367). Im Unterschied zu »Gruppen« entstehen »Serien« laut Sartre nicht
aufgrund eines gemeinsamen Projektes oder gemeinsamen Interesses der Einzelnen, vielmehr
strukturieren sie sich ›hinter dem Rücken‹ der Beteiligten durch eine von Vielen anonym und
ungewollt erzeugte praktisch-materielle Realität (beispielsweise die eines Verkehrsstaus, die der
Massenmedien, die des Marktes oder die des Klimawandels), mittels derer die Konsequenzen der
Handlungen Einzelner auch die Anderen erreichen. Die vereinzelten und einander fremd bleibenden
Serien-Mitglieder scharen sich routinemäßig um geteilte und gemeinsam erzeugte Objekte, Praktiken,
Strukturen und werden durch diese auf eine nicht intendierte Weise miteinander identisch und
wechselseitig für einander relevant. Von der Folie der Sartre’schen Überlegungen zur seriellen
Kollektivität (und der »Nation« als einer Kollektivitätsform, deren Mitglieder durch gemeinsame
4
von a-politischer, nicht-selbstbewusster Kollektivität zu verstehen ist, die im
Unterschied zur Kollektivitätsform Gruppe durch kein gemeinsames zielgerichtetes
Handeln oder Programm hervorgebracht wird, sondern durch Objekte des Ge- und
Verbrauchs.7 Wenn Akteure im Alltag ›indisch‹ essen gehen, sich in T-Shirts mit dem
Schweizer Kreuz kleiden oder den ›französischen‹ Wein trinken, so verfolgen sie
damit weder ein gemeinsames Projekt noch identifizieren sie sich unbedingt mit der
nationalen Weltordnung. Sie verfügen nicht zwingend über eine gemeinsame
nationale Geschichte oder Identifikation. Sie reihen sich aber, meistens unterhalb des
Bewusstseins-Radars entlang national codierter Objekte und Praktiken auf.
Die nationale Kollektivität wird in Deutschland seit gut 20 Jahren durch »das
ganze Feston des Sichtbaren und Sagbaren«8 werbemedial forciert und im
Konsumalltag rituell eingeübt. Zur Zeit des Verfassens dieses Artikels etwa führt der
deutsche Handelskonzern Rewe-Group unter dem Motto »Schwarz. Rot. Toll« die
Werbe- und Sammelaktion »Unser Deutschland: Eine Liebeserklärung in 180
Erfindung und unbeabsichtigte Wechselseitigkeiten über das »praktisch-inerte Feld«
zusammengehalten werden) lässt sich der Bogen schlagen zu Theorien und Modellen, die die Logik des
Seriellen und des Imaginären als grundlegende Substrate der Kollektivität beschreiben. In die Nähe der
Sartre’schen Ausführungen lassen sich etwa Benedict Andersons Überlegungen zu den »imagined
communities« der Nationen verorten. Simultane Vergemeinschaftung von Millionen von Menschen in
vorgestellte Gemeinschaften der Nationen wird laut Anderson durch »unbegrenzte Serialität« (unbound
seriality) der Massenmedien sowie durch die »begrenzte Serialität« (bound seriality) des Zensus und
der Statistik ermöglicht. Der erste Typ von Serialität nähert sich den Subjekten aus Richtung der
Printmedien, laut Anderson vor allem Zeitungen und anderen populärkulturellen Formaten, die – qua
Aufhebung der Unterschiede zwischen lokalen und internationalen Ereignissen, durch eine
Standardisierung des Vokabulars, der alltäglichen Universalien des sozialen Denkens und der
Symbolik, die alle Sprachen durchsetzt – die Vorstellung von Verortbarkeit und Austauschbarkeit der
Ereignisse, Menschen, Dinge in universellen, unbegrenzt fortschreitenden Serien herstellen. Die
zweite, »begrenzte« Form von Serialität, die aus Richtung Staats-Maschinerie und Mathematik kommt,
schert die Subjekte über denselben Kamm und vereinigt ihre Körper zur quantifizierbaren Totalität der
Bevölkerung. Anderson verortet den Ursprung dieser zweiten Form der Serialität in staatlichen
Einrichtungen wie Volkszählungen und Wahlen, die zählbare, verbindende, geschlossene, sich
entgegenstehende Zensusgruppen, Mehrheiten und Minderheiten, »seitenlange Reihen identischer
Ganzen« hervorbringen, formale Entitäten, die im Laufe der Zeit weitreichende Identitäts- und
Realitätseffekte entwickeln (vgl. Benedict Anderson, »Nationalism, Identity, and the World-in-Motion:
On the Logics of Seriality«, in: Pheng Cheah/Bruce Robbins (Hg.), Cosmopolitics. Thinking and
Feeling Beyond the Nation, Minneapolis, MN 1998, S. 117–134). Der Zusammenhang zwischen
statistischen Dispositiven und dem Imaginären – den massenmedial vermittelten Kollektivsymbolen
bzw. intersubjektiv geteilten Sinn-Bildern – steht auch in der Theorie des Normalismus, die Jürgen
Link vorgelegt hat, im Mittelpunkt (vgl. Jürgen Link, Versuch über den Normalismus. Wie Normalität
produziert wird, Wiesbaden 1997). Zu den hier kurz referierten Modellen der (nationalen)
Kollektivbildung im Überblick siehe Hannelore Bublitz/Irina Kaldrack/Theo Röhle/Mirna Zeman,
»Einleitung« in: dies., Automatismen – Selbst-Technologien (wie Anm. 3), S. 9–41, hier: S. 25–33. 7 Die folgenden Ausführungen basieren auf Zeman, »Nation und Serialität« (wie Anm. 3). 8 Michel Foucault, »Worte und Bilder«, in: ders., Schriften in 4 Bänden. Dits et Ecrits. Band I. 1954–
969, Frankfurt a. M. 2001, S. 794-797, zitiert nach Sabine Maasen/Torsten Mayerhauser/Cornelia
Renggli, »Bild-Diskurs-Analyse«, in: dies. (Hg.), Bilder als Diskurse. Bilddiskurse, Göttingen 2006,
S. 7–26, hier: S. 11.
5
Stickern« durch.9 Pro 10 Euro Einkaufswert erhalten die Kunden der
Supermarktketten Rewe, Penny und nahkauf ein Päckchen mit 5 Klebebildern, die das
Typische der Nation darstellen. Das Sticker-Päckchen wie das Deckblatt des
dazugehörenden Sammelalbums ziert das Logo der Kampagne: eine Bildkollage, die
ein blondes Mädchen mit dem Brandenburger Tor im Hintergrund umgeben von
Ludwig van Beethoven-Briefmarke, einem Apfel, einem Teddy-Bär, einem Fußball
und einem Gartenzwerg zeigt. Das dargestellte Mädchen trägt eine Deutschlandfahne
geschminkt auf den Bäckchen, eine andere in den ausgestreckten Armen gegen
Himmel gereckt (vgl. Abb. 1). »Vom Ampelmännchen bis zum Zoologischen Garten
begeistert UNSER DEUTSCHLAND jeden – denn Deutschland ist multikulturell!«,10
verspricht ergänzend die Facebook-Seite der Kampagne, die sich im WWW auch in
ein Online-Spiel hineinverlängert, in dem »kleine und große Sammelfans ihre neu
erworbenen Deutschland-Kenntnisse«11 testen können.
Der deutsche Handelskonzern Rewe ist längst kein Einzelfall. Viele weitere
Unternehmen haben erkannt, dass das Repositorium der nationalen Symbolik als
Vehikel der produktkommunikativen Mehrwertzeugung und der Anpassung der
global verkauften Produkte an die lokalen Märkte und Kulturen eine wichtige
wirtschaftliche Ressource darstellt. Global agierende Großunternehmen wie Adidas,
Nike und Coca-Cola überführen nationale Authentizitätsfiktionen in das ökonomische
Imaginäre der eigenen brands.12 In der neueren Forschung, die sich mit den
Zusammenhängen zwischen Globalisierung, Nationalismus und Sport befasst, werden
solche Eingriffe der transnationalen Konzerne in die symbolische Orchestrierung der
nationalen Kollektivität mit dem Terminus corporate nationalism bezeichnet:
»The concept of corporate nationalism is associated with the strategies
used by transnational corporations (TNCs) to localize within different
national contexts. TNCs face a wide range of challenges in negotiating
the global–local nexus (Morley & Robins, 1995) including linguistic,
9 Vgl. Rewe Markt GmbH, »So viel Spaß macht Deutschland«, http://www.rewe.de/besser-
einkaufen/aktionen/unser-deutschland.html, zuletzt aufgerufen am 12.05.2013. 10 Rewe Markt GmbH, »Unser Deutschland. Facebook-Seite«,
https://apps.facebook.com/unser_deutschland/?rsrc=landingpage, zuletzt aufgerufen am 15.05.2013. 11 Penny Markt GmbH, »Unser Deutschland: Eine Liebeserklärung in 180 Stickern. REWE, PENNY
und nahkauf starten bundesweite Sammelspaßaktion«,
http://www.penny.de/unternehmen/presse/presse-details/article/unser-deutschland-eine-
liebeserklaerung-in-180-stickern/; Vgl. auch Penny Markt GmbH, »Unser Deutschland. Deutschland
entdecken«, http://unserdeutschland.penny.de/deutschland-entdecken, zuletzt aufgerufen am
15.05.2013. 12 Vgl. Michael L. Silk/David Andrews/C. L. Cole (Hg.), Sport and Corporate Nationalisms,
Oxford/New York 2005; siehe auch Jay Scherer/Steve Jackson (Hg.), Globalization, Sports and
Corporate Nationalism: The New Cultural Economy of The New Zealand All Blacks, Bern 2010.
6
cultural, and political barriers. So, how do TNCs, including those
related to sport, engage in global localization or what Robertson (1995)
refers to as ›glocalization‹? One increasingly prevalent and popular
form of glocalization is a process known as corporate nationalism.
According to Silk, Andrews, and Cole (2005, p. 7), as a result of
corporate nationalism, ›the nation and national culture have become
principal (albeit perhaps unwilling) accomplices, as global capitalism
seeks to, quite literally, capitalize upon the nation as a source of
collective identification and differentiation.‹ In order to capture the
role of advertising as both a form of cultural communication and
colonization, Jackson (2004, p. 20) conceptualizes corporate
nationalism as ›the process by which corporations (both local and
global) use the currency of ›the nation‹, that is, its symbols, images,
stereotypes, collective identities and memories as part of their overall
branding strategy.‹«13
Darüber hinaus setzt der in den Globalisierungsdiskursen so oft totgesagte
Hauptakteur der alten Weltordnung – der Staat – zunehmend auf eine Inszenierung
eigener Alleinstellungsmerkmale als wirtschaftlicher Standort und bringt sich als
brand neu hervor:
»Die Wort-Bild-Marke ›Deutschland – Land der Ideen‹ ist durch die
Initiative weltweit als Ländermarke eingetragen und geschützt worden.
Damit kein anderes Land sagen kann: ›Wir sind auch das Land der
Ideen‹. Dieser Schritt ist weltweit einzigartig. Mit ›Deutschland – Land
der Ideen‹ hat erstmals eine Marke unter anderem Marketing und
Öffentlichkeitsarbeit für ein ganzes Land als Dienstleistung
angemeldet. Die internationale Anerkennung des Markenschutzes
schafft so einen zusätzlichen Nutzen der Marke.«14
Die weltweite Zunahme der Projekte und Kampagnen der Ländervermarktung lässt
die Vermutung aufkommen, dass sich der Nationalstaat die Unternehmensphilosophie
der Corporate Identity zum Vorbild nimmt und sich – wie Jason Weidner treffend
bemerkt – den neoliberalen Technologien des Selbst anpasst,15 indem er sich zum
Unternehmer und Manager desjenigen Kapitals macht, der in einer
differenzökonomisch tickenden Marktwirtschaft und Eventkultur besonders
schwerwiegend ist: des eigenen Images. Die öffentlichen Exzesse des
13 Steven Jackson, »Reflections on Communication and Sport: On Advertising and Promotional
Culture« in: Communication & Sport 1.1/2 (2013), S. 100–112, hier: S. 105f.,
http://com.sagepub.com/content/1/1-2/100, zuletzt aufgerufen am 12.05.2013. 14 Deutschland – Land der Ideen. Land der Ideen Management GmbH, »Marke/Marke weltweit
geschützt«, http://nschbo.de/initiative/marke/eine-einmalige-marke, zuletzt aufgerufen am 12.05.2013. 15 Jason Weidner, »Nation Branding, Technologies of the Self, and the Political Subject of the Nation-
State«,
http://www.academia.edu/2638249/Nation_branding_technologies_of_the_self_and_the_political_subj
ect_of_the_nation-state, zuletzt aufgerufen am 12.05.2013.
7
Alltagsnationalismus in Deutschland müssen im Kontext des weltweit wachsenden
Trends, der unter der Bezeichnung Nation Branding bekannt ist, gesehen und
analysiert werden. Unter Nation Branding ist ein Set von Diskursen und Praktiken zu
verstehen, das darauf abzielt, einer Nation oder einem Nationalstaat ein mit einer
Handelsmarke vergleichbares Image zu verschaffen.16 Die Verfechter des Konzeptes
gehen davon aus, dass Staaten, Nationen und Regionen, die miteinander um
Investitionen, Arbeitskräfte, Touristen und politischen Einfluss konkurrieren, genauso
wie privatwirtschaftliche Unternehmen Marketingabteilungen benötigen, welche sich
konsequent um Aufbau und Management kapitalkonformer Fremd- und Eigenbilder
in den Köpfen nationaler und internationaler Zielgruppen zu kümmern haben.17 Da
sich die Imagepflege und das neoliberale storytelling über Nationen als Marken vor
allem an Werbeaktionen in den öffentlichen Räumen bemerkbar machen, nimmt
meine Analyse ihren Anfang an einem solchen Ort, konkreter am Frankfurter
Flughafen.
Nation Branding
In Christian Krachts Roman Faserland von 1995 landet der drogenverkaterte
Erzähler in Frankfurt am Main und wird dort mit der phantasmagorischen Wirkung
des airport advertising konfrontiert:
»Es wird einem einiges vorgegaukelt auf diesem Flughafen, so eine
große Welt, die im Innersten von Mannesmann und Brown Boveri und
Siemens zusammengehalten wird, weil ja überall diese
hintergrundbeleuchteten Reklameschilder hängen, die die
ankommenden Geschäftsleute darauf hinweisen sollen, was für ein
großartiger Industriestandort Deutschland ist.«18
An der Stärkung der ›korporatio-nationalen‹ Symbiose im Medium der Werbung,
über die Krachts Erzähler sinniert, arbeitete Mitte der 90er Jahre im Auftrag des ZDF
16 Vgl. Mirna Zeman, »Käufliche Stereotype, trinkbare Sagen, vermarktete Nationen. Zu Kroaten,
Krabat-Schnaps und Krawatte«, in: Maik Bierwirth/Oliver Leistert/Renate Wieser (Hg.), Ungeplante
Strukturen. Tausch und Zirkulation, München 2010, S. 235–252. Zu Nation Branding siehe auch Nadia
Kaneva (Hg.), Branding Post-Communist Nations. Marketizing National Identities in the ›New‹
Europe, New York/London 2012; Götz, »Zur Konjunktur des Nationalen« (wie Anm. 2), S. 147–150;
dies., Deutsche Identitäten (wie Anm. 2), S. 209–215 sowie 328–331. Siehe auch Melissa Aronczyk:
Branding the Nation. The Global Business of National Identity, New York 2013. 17 Zu den weltweiten Kampagnen aus der Sicht der Nation-Branding-Verfechter und -Praktiker vgl. u.a.
Keith Dinnie, Nation Branding. Concepts, Issues, Practice, London u.a. 2008; Simon Anholt,
»Foreword«, in: The Journal of Brand Management 9.4/5 (2002), S. 229-240; Wally Olins, Marke,
Marke, Marke. Den Brand stärken, Frankfurt a. M./New York 2004. 18 Christian Kracht, Faserland, München 1995, S. 65.
8
die Londoner Branding-Agentur »Wolff Olins«, die sonst für Unternehmen wie
British Telecom und General Motors Image-Kampagnen entwirft.19 »Wollf Olins«
entwickelte damals eine Strategie, die u.a. darauf abzielte, das Image des Standorts
Deutschland im In- und Ausland aufzupolieren.20 Der Plan des Aufbaus einer DE-
Marke sah u.a. vor, das Schwarz der Deutschlandfahne durch Blau zu ersetzen, um
dadurch »das neue Bewußtsein der nationalen Existenz im Umfeld europäischer
Kooperation und Integration zum Ausdruck zu bringen«.21 Die althergebrachten
Assoziationen Deutschlands mit der Autoindustrie und der Technik beabsichtigte
»Wolff Olins« durch neue, Emotionen auslösende, coolere, hippere Merkmale zu
ergänzen. Der Nation-Rebranding-Vorschlag der Agentur legte damals u.a. nahe, dem
Ruf der emotional unterkühlten Deutschen durch Bilder der Love Parade
entgegenzuwirken und ihnen ein neues Image der ›Party-Nation‹ zu verpassen (Vgl.
Abb. 2). Elemente des Szenarios waren weiterhin eine spärlich bekleidete Claudia
Schiffer, die sich auf einer Briefmarke präsentierte (Vgl. Abb. 3).22 Bezüglich dieses
Rebranding-Plans berichtet das Business-Webzine Cap-Online im Jahr 1999: »A
national brand steering committee is proposed which will organize research,
addressing sceptics who might find such a task too herculean. Wolff Olins believes
the plan could be implemented by the middle of 2000.«23 Und tatsächlich: Mitte 2000,
im Vorfeld der Fußball-WM in Deutschland wurde unter der Schirmherrschaft der
Bundesregierung und des BDI eine Reihe massenmedialer Nation-Branding-Projekte
unter dem Dach der Kampagne »Deutschland – Land der Ideen« gestartet, die bis
heute allesamt ein kosmopolitisches, innovatives, effizientes, zukunftorientiertes,
19 Vgl. dazu Dinnie, Nation Branding (wie Anm. 17), S. 24 sowie Aaron König, »Blau, Rot. Gold!
Deutschland braucht ein neues Image. Londoner Experten haben es entworfen«, in: Die Zeit (31.12.
1999), http://www.zeit.de/1999/02/199902.neues_deutschlan.xml, zuletzt aufgerufen am 15.05.2013;
vgl. auch http://www.wolffolins.com/. 20 Vgl. Götz, Deutsche Identitäten (wie Anm. 2), S. 209–215; vgl. auch Paul Vinogradoff, Wolff Olins:
DEbatte. Deutschland als globale Marke, München 1999. 21 Vinogradoff, Wolff Olins: DEbatte (wie Anm. 20), S. 75. Vgl. auch JY&A Media, a division of Jack
Yan & Associates, »Deutschland Europa«, in: CAPOnline, http://jyanet.com/cap/1999/0310fe1.htm
und http://jyanet.com/cap/1999/0310fe2.htm, zuletzt aufgerufen am 15.05.2013. 22 Vgl. Henning Hoff, »Post aus London: We've got Goethe, we've got Schiller!«, in: perlentaucher.de.
Das Kulturmagazin (08.07.2003), http://www.perlentaucher.de/post-aus-london/weve-got-goethe-
weve-got-schiller.html, zuletzt aufgerufen am 16.05.2013. Siehe auch den mit »Deutschland Europa«
betitelten Bilder-Teil in Vinogradoff, Wolf Olins: DEbatte (wie Anm. 20). Zur politischen und
ökonomischen Inanspruchnahme der Bilder der Körper der Models im Rahmen der Branding-
Kampagnen mit Bezug auf Schiffer-Briefmarke vgl. Silke Wenk, »Weibliche Schönheit und Politik
oder: Models, Misses und Nation in der Ära der Globalisierung«, in: Münsteraner Arbeitskreis für
Gender Studies (Hg.), Von schönen und anderen Geschlechtern. Schönheit in den Gender Studies,
Frankfurt am Main 2004. 23 Zitiert nach JY&A Media, »Deutschland Europa« (wie Anm. 21), hier
http://jyanet.com/cap/1999/0310fe2.htm, zuletzt aufgerufen am 15.05.2013.
9
cooles, schönes und liebenswertes Deutschland heraufbeschwören.24 Die Deutschen
werden dabei u.a. mit den Attributen Einfallsreichtum, schöpferische Leidenschaft
und visionäres Denken gebrandmarkt, selbstverständlich unter Einsatz der bewährten
Dichter-und-Denker-Diskurse. Die Pläne der Londoner Strategen mit Claudia Schiffer
in der Hauptrolle haben sich 2006 realisiert, denn damals investierte das Model ihr
Image- und Genderkapital in die Werbung für vaterländische businesses. Die Land-
der-Ideen-Initiative »Invest in Germany«25 mit Schiffer in der Hauptrolle zielte auf
eine ›Weichspülung‹ des technizistisch-mechanistisch gefärbten Deutschlandbildes
durch die assoziativen Merkmale ›Weiblichkeit‹, ›Sexiness‹, ›Kosmopolitismus‹, die
der Modeikone zugeschrieben werden. Das in die deutsche Flagge umhüllte
Topmodell (vgl. Abb. 4a und 4b) war auf den überdimensionierten Plakaten in den
zentralen U-Bahnstationen sowie in diversen kulturellen Institutionen (Museen,
Gothe-Institute) im In- und Ausland zu sehen. Sie warben mit den Sprüchen wie
»Invest in Germany, Boys« und »Come on over to my place« für Investitionen in das
Heimatland des Models.26 Seit etwa 2005 jagt eine Land-der-Ideen-Kampagne die
nächste und der Nation-Branding-Trend macht sich auch im Ausland überall
bemerkbar. Montenegro brandet sich grün,27 Großbritannien beansprucht coolness,28
Ägypten bewirbt sich als Land »Where It All Began« und Malaysia ist »Truly
Asia«.29 Die Gruppe der ›Nationen-Charakterologen‹, die für die Erfindungen solcher
24 Vgl. »Deutschland – Land der Ideen«, http://www.land-der-ideen.de/, zuletzt aufgerufen am
15.05.2013. 25 Vgl. Deutschland – Land der Ideen. Land der Ideen Management GmbH, »Invest in Germany – Land
of Ideas«, http://www.land-der-ideen.de/projektarchiv/invest-germany/invest-germany-land-ideas,
zuletzt aufgerufen am 15.05.2013. 26 Das Plakat mit dem Schiffer-Foto des Starfotografen Peter Lindbergh »Invest in Germany, Boys«
wurde 2011 im Rahmen der Ausstellung »Heimatkunde« im Jüdischen Museum in Berlin gezeigt (vgl.
Deutschland – Land der Ideen. Land der Ideen Management GmbH, »Ausstellung ›Heimatkunde‹ im
Jüdischen Museum«, http://www.land-der-ideen.de/presse/meldung/ausstellung-heimatkunde-im-
juedischen-museum, zuletzt aufgerufen am 15.05.2013). 27 Vgl. u.a. Anriela Vitic/Greg Ringer, »Branding Post-conflict Destinations: Recreating Montenegro
after the Disegration of Yugoslavia«, in: Journal of Travel & Tourism Marketing 23 (2007), S. 127–
137. 28 Zu der Initiative »Cool Britannia«, die zum Zweck der Stärkung nationaler Identität und der Image-
Modernisierung des Vereinigten Königreichs von Tony Blair und New Labour im Jahr 1997 ins Leben
gerufen wurde siehe Dinnie, Nation Branding (wie Anm. 17), S. 30; vgl. u.a. auch Charlotte Werther,
»Rebranding Britain: Cool Britannia, the Millennium Dome and the 2012 Olympics«, in: Moderna
språk 1 (2011), S. 1–14, http://ojs.ub.gu.se/ojs/index.php/modernasprak/article/view/664/616, zuletzt
aufgerufen am 15.05.2013. 29 Die letzten zwei Beispiele nach Nadia Kaneva, »Nation Branding in Post-Communist Europe.
Identities, Markets, and Democracy«, in: dies. (Hg.), Branding Post-Communist Nations (wie Anm.
16), S. 5–22, hier: S. 5. Mit dem Slogan »See where it all began« wird inzwischen auch die jüngste
ägyptische Revolution tourismusindustriell vermarktet. Siehe dazu Jessica Braun, »Die Vermarktung
des ägyptischen Aufstands. Die Revolution wird zur Sehenswürdigkeit: Neben Statuen und
Hieroglyphen wirbt der ägyptische Stand auf der ITB mit dem Tahrir-Platz«, In: Zeit Online
10
Kernbotschaften zuständig ist, nennt man in der Branding-Literatur meistens schlicht
Stakeholders – darunter zu verstehen sind einflussreiche Leute des Landes,
Regierungsvertreter, wichtige Personae aus dem Wirtschafts-, Tourismus- und
Marketingbereich. Wenn es mit der Strategieplanung oder der
nationalcharakterologischen Diagnostik nicht so gut läuft, kann auch der eine oder
andere so genannte Identity Consultant herbeigeholt werden. So nennen sich nämlich
die für das Nation Branding spezialisierten Experten. Es scheint sogar fast so, als
wenn diese Branding-Aufträge immer von denselben Agenturen erledigt würden,
denn die Ergebnisse – ob CNN-Werbespots, Logos, Plakate oder Landart-
Installationen – sehen trotz der Absicht der Herstellung von Differenz verblüffend
ähnlich aus. Auffallend ist die Vorliebe der ›Brandologen‹ für Installationen
überdimensionierter Skulpturen in öffentlichen Räumen: In den Sommermonaten
2006 erinnerten etwa sechs riesige Skulpturen in der Stadtmitte Berlins an
bahnbrechende Ideen der Deutschen: u.a. an den modernen Fußballschuh, das
Automobil und den modernen Buchdruck (vgl. Abb. 5).30 In Kroatien wurde 2003 im
Rahmen einer Branding-Kampagne, die die Erfindung der Krawatte für Kroaten
reklamiert, das römische Amphitheater in Pula in Anwesenheit und mit finanzieller
Unterstützung unterschiedlicher politischer Akteure zum Träger einer um die 800
Meter langen »größten Krawatte der Welt« (vgl. Abb. 6a).31 Die kroatische Krawatte
materialisierte sich inzwischen auch im Kornfeld, durch ein Land-Art-Projekt, im
Rahmen dessen gemeinsam für die nationale Sache geerntet wurde – Getreide sowie
öffentliche Aufmerksamkeit (vgl. Abb. 6b).32 Die weitaus skurrilsten Meldungen
kommen jedoch aus dem ex-jugoslawischen Mazedonien. Dieses Land rüstet mit den
Slogans »Willkommen in der Wiege der Zivilisation« und »Skopje. Alexander der
(10.03.2011), http://www.zeit.de/reisen/2011-03/itb-aegypten-werbung/komplettansicht, zuletzt
aufgerufen am 15.05.2013. 30 Siehe Deutschland – Land der Ideen. Land der Ideen Management GmbH, »Walk of Ideas«,
http://www.land-der-ideen.de/projektarchiv/walk-ideas/walk-ideas, zuletzt aufgerufen am 16.05.2013.
Das Design der Walk-of-Ideas- und Invest-in-Germany-Kampagne unterschreibt die Agentur
Scholtz&Friends, vgl. http://www.s-f.com/group/en/creation/cases/deutschland/246/, zuletzt aufgerufen
am 16.05.2013. 31 Dino Bedrina, »Uspješno izvedena spektakularna umjetnička instalacija ›Kravata oko Arene‹«,
http://tie-store.net/news/index.php?lang=hr, zuletzt aufgerufen am 16.05.2013. Zu weiteren Branding-
Projekten in Kroatien siehe http://academia-cravatica.hr/cravat/, zuletzt aufgerufen am 16.05.2013.
Siehe dazu auch Zeman, »Käufliche Stereotype« (wie Anm. 16). 32 Vgl. Academia Cravatica, »Realised Projects. The Tie in The Rye«, http://academia-
cravatica.hr/projects/realised/the_tie_in_the_rye/, zuletzt aufgerufen am 16.05.2013.
11
Große« auf.33 Bis 2014 sollen diese Motti durch ein pompöses städtebauliches Projekt
im barock-neoklassischen Stil zu Ehren der Vergangenheit der Mazedonier
architektonisch-skulptural umgesetzt werden. Das Zentrum der Stadt wird mit so
vielen Monumenten bebaut, dass man aufpassen muss, wo man hintritt.34 Zentrale
Figur des Bauprojekts ist eine 28 Meter hohe Statue Alexanders des Großen (vgl.
Abb. 7). Dutzende Neubauten und zahlreiche Renovierungen gehören zu diesem
gigantomanischen Nation-Branding-Projekt,35 an dessen Umsetzung die dortige
Regierung trotz aller Kritik festhält. Spätestens beim Anblick der Bilder (vgl. Abb. 8)
aus dem Promovideo MACEDONIA TIMELESS CAPITAL SKOPJE 2014 kommt einem
totalitaristische Ästhetik in den Sinn.36
Diese scheint auch Wally Olins, der ehemalige Chef der Londoner Agentur
»Wolff Olins«, zu schätzen; vor der autoritären Implementierung der Branding-Pläne,
wie dies in Mazedonien geschieht, warnt er jedoch entschlossen. So heißt es in seinem
Buch Marke, Marke, Marke. Den Brand stärken:
»Autoritäre Staatspropaganda war im 20. Jahrhundert die Domäne der
Nationalsozialisten und Kommunisten, und selbst wenn daraus
33 Vgl. Jasna Koteska, »Troubles with History: Skopje 2014«, in: ARTMarginsOnline (29.11.2011),
http://artmargins.com/index.php/2-articles/655-troubles-with-history-skopje-2014, zuletzt aufgerufen
am 16.05.2013. Nela Lazarević, »Skopje 2014: Antikes Mazedonien-Makeover«, in: cafebabel.com.
Das Europamagazin, 30.08.2011, http://www.cafebabel.de/article/38543/skopje-2014-antikes-
architektur-makeover.html, zuletzt aufgerufen am 16.05.2013; siehe auch Andrew Graan,
»Counterfeiting the Nation? Skopje 2014 and the Politics of Nation Branding in Macedonia«, in:
Cultural Anthropology, 28.1 (2013), S. 161-179, http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1548-
1360.2012.01179.x/pdf, zuletzt aufgerufen am 16.05.2013. 34 Wolf Oschlies, »Makedonien leidet unter einer Flut ungeliebter Denkmäler«, in: Eurasisches
Magazin (2.08.2011), http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Makedonien-leidet-unter-einer-Flut-
ungeliebter-Denkmaeler/20110809, zuletzt aufgerufen am 16.05.2013. 35 Andrew Graan schreibt dazu: »Begun in 2010, when the project is completed Skopje’s center will
include a new philharmonic hall, a new national theater, three new government buildings, a new
business center, a new church, three new museums, two new hotels, a triumphal arch, two new bridges,
and over 20 new bronze and marble statues of national historical figures. In effect, Skopje 2014 aims to
redefine the city’s urban character in only four short years. New buildings – almost exclusively in
baroque and neoclassical style – will obscure the modernist construction of the socialist period and the
Ottoman-era architecture that indexes the city’s Muslim heritage […]. Instead, the project promises
Skopje a new image, one that will deliver Macedonia a properly ›European‹ capital, at once attractive
to outsiders and worthy of national pride. In its grandeur and purpose, Skopje 2014 represents much
more than a postsocialist iteration of 19th- and 20th-century nation building. Although the structures
that constitute Skopje 2014 do symbolize a particular nationalist ideology, government sponsors have
portrayed Skopje 2014 as an investment in Macedonia’s international recognizability and
competitiveness in a global marketplace. Specifically the project has been positioned as the cornerstone
of broader government efforts to construct a nation brand, and a positive image, for the country among
desired international publics. Through Skopje 2014’s architectural spectacle, Macedonian political
leaders seek not only monuments to their political authority at home but also engines of economic
value and ›soft power‹ on the world stage.« (Andrew Graan, »Counterfeiting the Nation« (wie Anm.
33), S. 161f.) 36 MACEDONIA TIMELESS CAPITAL SKOPJE 2014, Werbevideo,
http://www.youtube.com/watch?v=iybmt-iLysU, zuletzt aufgerufen am 22.05.2013.
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Meisterwerke wie die Filme von Leni Riefenstahl und die Prachtbauten
des faschistischen Italiens entstanden, muss dieser Versuchung
widerstanden werden. Die Welt braucht im 21. Jahrhundert keine
modernen Riefenstahls, die Propagandafilme á [sic!] la Der Triumph
des Willens drehen. Das Wesen der neuen Branding Programme ist der
lokale Zeitgeist, den sowohl die Menschen wie auch die
Organisationen spüren können, der sie erfasst und dazu inspiriert, aus
freien Stücken auf den fahrenden Wagen aufzuspringen. Zwang
funktioniert nicht, da die nationale Identität nicht aus einigen wenigen
bedeutsamen Ereignissen, sondern aus einer Vielzahl einzelner
Botschaften mit einenden Inhalten besteht.«37
Und tatsächlich: Die Anzahl der Menschen und Organisationen, die in Deutschland in
den letzten Jahren »aus freien Stücken auf den fahrenden Zug« aufsprangen, ist
überwältigend. Von den Fußballfans über neupatriotische Wortmeldungen aus der
Boulevardpresse bis hin zu den Meinungsmachern in den so genannten
Qualitätsmedien: Viele Stimmen beschwören im Einklang mit dem brandologisch-
neoliberalen Mantra der Zukunftsorientierung das neue, liebenswerte Deutschland
herauf und arbeiten dem Reputationsmanagement des Landes und des nationalen
Prinzips zu. Die öffentliche Forcierung des angeblich ›normalen‹, ›gesunden‹,
›fröhlichen‹, ›ironischen‹ deutschen ›Fußballpatriotismus‹ scheint ein Effekt der
brandologischen Bemühungen zu sein. So warb im WM-Jahr 2006 der Ostberliner
Autor Thomas Brussig in der Süddeutschen für das positive Image Deutschlands und
den guten Ruf der deutschen Vaterlandsliebe und nahm dabei ebenfalls auf die mehr
als problematische Nazi-Regisseurin strikt ablehnend Bezug:
»Der alte Patriotismus ist tot, endgültig. […] Der heutige Patriotismus
wird sich vom alten Patriotismus in dem Maße unterscheiden, wie das
heutige Deutschland von dem alten. Und so hat die jetzige
Fußballweltmeisterschaft mit den Olympischen Spielen von 1936 so
viel gemein wie Beckenbauer mit Hitler, wie Sönke Wortmann mit
Leni Riefenstahl. […] Stolz auf Deutschland zu sein, ohne auch nur
ansatzweise zum Nazi zu mutieren – es geht. Oh, welch Wunder! Es ist
die Erfahrung einer durchgehenden deutschen Harmlosigkeit, die es
mir erlaubt, jetzt auch mal fähnleinschwenkend zu feiern.«38
37 Wolf Olins, Marke, Marke. Den Brand stärken. Aus dem Englischen von Birgit Hofmann. Frankfurt
a. M./New York 2004, S. 148. 38 Kommentar von Thomas Brussig in der Süddeutschen Zeitung vom 19.06.2006 zitiert nach
Schediwy, Ganz entspannt (wie Anm. 2), S. 86; Kursivierungen des Originals entfernt.
13
Wenn die Schriftsteller Thomas Brussig, Feridun Zaimoğlu und Kathrin Passig in der
Presse das »Wunderland Deutschland«39 und das ›Wir-sind-nicht-Riefenstahl-
Identitätsmodell‹ promoten, so betreiben sie gewollt oder ungewollt Nation-
Rebranding für interne Targetkreise – die Deutschen selbst. In ihren Rezepten für das
neue deutsche Selbstimage erkennt man das Wolff Olins’sche Party-Nation-Konstrukt
von 1999 wieder.40 Und auch am ›brandologischen‹ Postulat nach einem Mehr an
emotionalen Ingredienzen im deutschen Nationalcharakter wird fleißig
weitergestrickt: u.a. mit Metaphern einer ›unverkrampften‹ Vaterlandsliebe. Der
Trend wird durch eine wachsende Anzahl an Publikationen genährt, die mit einer
unverkennbar nationalen Ansprache operieren und positive Deutschland-Stereotype
durchexerzieren, katalogisieren, beschreiben, fotografieren, pflegen und propagieren.
Im Medium der Schrift tut dies etwa der Bestseller Die deutsche Seele, in dem Thea
Dorn und Richard Wagner in kollektiv-geistestypologischer Manier und mit dem
Nationalpathos des 19. Jahrhunderts die Topoi des Deutschtums durchdeklinieren.41
Die Rebranding-Agenda wird auch in dem von Andrea Gothe herausgegebenen
Fotoband Made in Germany aus 2008 umgesetzt.42 Für die Zusammenstellung des
Bandes wurden namhafte Fotokünstler gebeten, »im weitesten Sinne Deutsches
abzubilden«.43 Die einzige Vorgabe war: »Die Arbeiten sollten eine positive
Botschaft transportieren.«44
Schließlich verdient auch die vielfach gefeierte ZDF-Heimat-
Dokumentationsreihe TERRA X: DEUTSCHLAND VON OBEN im Kontext des Nation-
Branding erwähnt zu werden.45 Unter Einsatz von Hubschraubern und Flugzeugen,
39 Feridun Zaimoğlu, »Wunderland Deutschland. Liebesbekenntnis eines türkisch-stämmigen
Deutschen«, in: Die Politische Meinung, Nr. 447 (2007), S. 22-23. Vgl. dazu Dückers, »Neuer
Nationalismus« (wie Anm. 2), S. 70. 40 Zum Beispiel in den Aussagen der Autorin Kathrin Passig zum »postpatriotischen Partyotismus«:
»[W]enn irgendetwas an einem neuen Patriotismus wirklich anders ist, dann, dass es sich nicht mehr
um einen Verfassungspatriotismus oder D-Mark-Patriotismus handelt, sondern um eine Art Wellness-
Patriotismus: Er ist unscharf definiert, tut niemanden weh und ist weit unter Trinkstärke verdünnt.«
(Kathrin Passig, zit. n. Dückers, »Neuer Nationalismus« [wie Anm. 2], S. 70) 41 Thea Dorn/Richard Wagner, Die deutsche Seele, München 2011. 42 Andrea Gothe (Hg.), Made in Germany, Heidelberg 2008. 43 Jan Weiler, »Vorwort«, in: Gothe (Hg.), Made in Germany (wie Anm. 42), ohne Seitenangabe. 44 »Literatur: Das ist Deutschland«, in: impulse. Das Unternehmer-Magazin (29.05.2008),
www.impulse.de/lifestyle/:Literatur--Das-ist-Deutschland/1003536.html, zuletzt aufgerufen am
15.6.2012; die Seite war im Mai 2013 nicht mehr verfügbar. 45 TERRA X: DEUTSCHLAND VON OBEN (Deutschland, seit 2010). Regie: Petra Höfer und Freddie
Röckenhaus. Siehe u.a. »Deutsche Landschaften von oben. Terra X blickt auf die unterschiedlichen
Landstriche unserer Heimat«“, http://www.zdf.de/Terra-X/Deutsche-Landschaften-von-oben-
5442798.html, zuletzt aufgerufen am 22.05.2013. Die Geschäftsführung der colourFIELD tell-a-vision
14
Hochauflösungs- und Zoomkameras, Satellitenbildern, GPS-Tracking-Technologie,
Google-Maps und unterschiedlicher Techniken der Visualisierung und Ästhetisierung
statistischer Daten wird in dieser Dokumentation das ›Wunderland Deutschland‹ aus
der Vogel-, bisweilen sogar aus der Adlerperspektive gezeigt. Das heraldische
Zeichen und einstige Sinnbild Deutschlands wird nämlich in die Filmbilder des realen
Adlers übersetzt, der mit einer an seinem Gefieder befestigten Kamera sein und
›unser‹ wunderschönes Deutschland von oben filmt. Pünktlich zum EM-Auftakt 2012
kam diese Best-Of-Galerie an Aufnahmen in einer Filmversion in die deutschen
Kinos.46
Ich ziehe ein vorläufiges Fazit: Nation-Branding folgt der Logik der
Mehrwertakkumulation aus der Produktion positiver nationaler Stereotypie und diese
diktiert, dass unerwünschte Konnotationen, die Ländern anhaften und Inputs, die die
Ländermarke auf irgendeine Weise schädigen können, getilgt bzw. abgewehrt werden
müssen. Dies geschieht durch Ausklammern bzw. Unsichtbarmachen, konkreter:
durch »fehlende Thematisierung und Visualisierung«.47 Auffallend ist, dass sich mit
Nation Branding in Deutschland eine Maschinerie profiliert, die unter fast
vollkommener Ausklammerung der NS-Zeit konsequent, repetitiv und in
unterschiedlichen Modi und Medien gegen den Erinnerungsdiskurs über die
faschistischen Verbrechen anerzählt.48 Nicht nur in diesem Punkt konvergieren die
kommunikativen Tätigkeiten der Nation-Branding-Praktiker mit dem Diskurs
neupatriotischer Meinungsmacher à la Brussig und Dorn/Wagner. Die einen wie die
anderen ziehen einen Schlussstrich unter angeblich erfolgreich abgeschlossene
Vergangenheitsbewältigung und arbeiten einer Entpolitisierung, Eventisierung und
Veralltäglichung des nationalen Prinzips und der Normalisierung des Nationalismus
weigerte sich, die Nutzungs- und Druckfreigabe von Fotomaterial aus ihrer Produktion »Deutschland
von oben« in der vorliegenden Publikation zu erteilen. 46 DEUTSCHLAND VON OBEN. DER KINOFILM (Deutschland 2012). 47 Ina Markova, »Die NS-Zeit im Schulgeschichtsbuch: Österreichische Bilddiskurse der 1950er
Jahre«, in: Christoph Naumann/Corinna Erk (Hg.), Gegenbilder – literarisch/filmisch/fotografisch,
Bamberg 2013, S. 211-235, hier: S. 216. Der Werbetexter, Kolumnist und Schriftsteller Jan Weiler
formuliert etwa in seinem Vorwort zum Photobuch Made in Germany: »Sie sehen weder allfällige
Harzt IV-Bebilderungen noch die zum Glück aus der Mode geratene Spießerhäme vergangener
Jahre.«(Jan Weiler, »Vorwort« [wie Anm. 43], ohne Seitenangabe) 48 Die fehlenden bzw. problematischen Bezüge auf die NS-Zeit in den Werbekampagnen »Du bist
Deutschland« und »Deutschland – Land-der-Ideen« haben Johanna Caborn (wie Anm. 2) und Dagmar
Schediwy (wie Anm. 2) kritisiert. Auf der Internetseite der Marketing-Offensive »Walk of Ideas«, die
die ruhmreiche Geschichte der deutschen Erfindungen mittels überdimensionierter Skulpturen
rekapituliert, wird zwar mit einem Halbsatz die Bücherverbrennung der Nazi-Zeit erwähnt, dies wirke
jedoch laut Schedywi »wie ein kleiner Lapsus in einer über 500-jährigen ruhmreichen Geschichte der
Bücherkultur in Deutschland.« (Schedywi, Ganz entspannt [wie Anm. 2], S. 73)
15
zu. Nicht minder problematisch ist die Entwicklung in den südosteuropäischen
Ländern. Kroaten und Serben hatten kaum Zeit, die jüngsten nationalistischen
Verbrechen diskursiv zu denormalisieren und schon programmiert die neoliberale
Nation-Branding-Propaganda ihre – mit Jürgen Link gesagt – »inneren
Bildschirm[e]«.49
Gegenbilder
Doch wie allen gouvernementalen Praktiken so wohnt auch Praxis der
Vermarktung der Nationen eine – wie Ludwig Pongratz sagt – »innere Brüchigkeit«50
inne. Nation Branding scheint »beiläufig oder wider Willen« das zu befördern, »was
der Kontrollabsicht widerstreitet«,51 nämlich erstens die Ländermarkeninflation und
zweitens »die Bereitschaft und Fähigkeit zum kritischen Einspruch«.52 Von einer
Markeninflation sprechen die Ökonomen dann, wenn immer mehr Marken und
Nachahmerprodukte in immer kürzeren Abständen auf den Markt kommen. In den
letzten Jahrzehnten hat sich das nationale Prinzip als durchaus marktfähig erwiesen.
Elio Pellin und Elisabeth Ryter schreiben beispielsweise über deutlich um sich
greifende Anleihen der Wirtschaft beim staatlichen Hoheitszeichen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft: »Man könnte den ganzen Haushalt und das Büro
mit Artikeln bestücken, die mit einem Schweizer Kreuz versehen sind, und dabei wäre
die Wahl offen zwischen teuren Designobjekten und billigeren Ausführungen, die für
den Massenkonsum produziert werden.«53 Hand in Hand mit der Vermarktung der
Länder geht eine Nationalisierung der Konsumkultur, die sich wiederum der
Kontrolle der Länderreputationsmanager zunehmend entzieht. Eine inflationäre
Ausschmückung von Waren mit dem Schweizer Kreuz etwa macht nicht nur den
kommunikativen Bemühungen um das Prestige der Ländermarke »Schweiz« einen
Strich durch die Rechnung. Sie läuft auch dem Country-Of-Origin-Effekt entgegen,
49 Jürgen Link, »Zum Anteil der medialen Kollektivsymbolik an der Normalisierung der
Einwanderung«, in: Maasen/Mayerhauser/Renggli, Bilder als Diskurse (wie Anm. 8), S. 53-70, hier: S.
54. 50 Ludwig A. Pongratz: »Selbst-Technologien und Kontrollgesellschaft. Gouvernementale Praktiken in
pädagogischen Feldern«, in: Bublitz/Kaldrack/Röhle/Zeman, Automatismen – Selbst-Technologien
(wie Anm. 3), S. 221-235, hier: S. 221. 51 Ebd., S. 232. 52 Ebd., S. 221. 53 Elio Pellin/Elisabeth Ryter, »Die Schweiz als Marke? Grenzen des Markenkonzepts«, in: Kai-Uwe
Hellmann/Rüdiger Pichler (Hg.), Ausweitung der Markenzone. Interdisziplinäre Zugänge zur
Erforschung des Markenwesens, Wiesbaden 2005, S. 189-203, hier: S. 189f.
16
von dem ausgewählte Schweizer Produkte schon lange profitieren. Der drohenden
Gefahr einer Erosion des Gütesiegels Swiss-made durch Vermassung qua
Nationalisierung der Konsumkultur begegnet ein Gesetzgebungsprojekt des
Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum:
»Als unmittelbare Folge des zunehmenden Erfolges der ›Swissness‹
haben die missbräuchlichen Verwendungen im In- und Ausland
gleichermaßen zugenommen. Die Postulate Fetz und Hutter hatten den
Bundesrat beauftragt zu prüfen, mit welchen gesetzgeberischen und
anderen Maßnahmen die Bezeichnung ›Schweiz‹ und das
Schweizerkreuz besser gegen Missbräuche geschützt werden können
und bilden die Grundlage für das Projekt ›Swissness‹.«54
Internationale Fussballwettbewerbe haben sich als Katalysatoren der Erosion des
made-in-Effekts im vergangenen Jahzehnt mehrfach bewährt. Gummibärchen, Tic-
Tac-Lutschdragées, m&m’s und Coca-Cola zeigen immer wieder Flagge und dies tut
auch das Bier der Schwalenberger Brauzunft.55 Hatte man noch gedacht, dass die
Zungen, die sich zu Hochzeiten vergangener Fußballfieber durch das Genießen der
Chupa-Chups-Lollis schwarz-rot-golden färbten, der kurioseste Austragungsort der
produktkommunikativen Werbung für die nationale Sache sind, überraschte uns im
Vorfeld der EM 2012 in den deutschen Apotheken ein noch merkwürdigeres
Erzeugnis der wirtschaftsnationalen Werbeallianz. Dort wurde nämlich mit einer
Broschüre, die den typischen Verlauf der Prostata-Erkrankung unter Rückgriff auf die
Fußball-Kollektivsymbolik schildert, für ›Prostagutt® forte‹ des
Pharmaunternehmens Schwabe GmbH mit nationalen Farben geworben (vgl. Abb.
9).56 Inzwischen zählt die deutsche Trikolore und die sogenannte »Deutschlandkuh«
(vgl. Abb. 10) zum festen Bestandteil der Reklame für die »faire Milch« regionaler
Produzenten.57
54 Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum, »Swissness: Schutz der Bezeichnung ›Schweiz‹ und
des Schweizerkreuzes«, https://www.ige.ch/?id=320, zuletzt aufgerufen am 19.05.2013. 55 Die Brauerei aus Schwalenberg in Ostwestfalen braut und zapft seit 2009 den schwarz-rot-goldenen
Gerstensaft, das so genannte »Deutschlandbier«. Siehe http://www.fan-
bier.de/informationen/index.html, zuletzt aufgerufen am 19.05.2013. 56 Vgl. die Werbebroschüre von Dr. Wilmar Schwabe GmbH & Co. KG, »Die Fußball-EM genießen –
mit Prostagutt® forte 160/180 mg. Weniger müssen müssen«. 57 Vgl. »Die faire Milch«, http://www.diefairemilch.de/index.html, zuletzt aufgerufen am 19.05.2013;
siehe auch »Mit einer Deutschland-Kuh auf Tour für faire Milch«, in: Hessische/Niedersächsische
Allgemeine (18.03.2011), http://www.hna.de/lokales/fritzlar-homberg/tour-faire-milch-1166419.html,
zuletzt aufgerufen am 19.05.2013.
17
Da das Nation-Branding-Netzwerk nicht über administrative Verfügungen,
sondern über flexibel gehandhabte Steuerungsmechanismen, über sanfte Lenkung
geknüpft wird, kann diese Technologie auch solche Akteure, die beabsichtigt oder
unbeabsichtigt die lächerliche Absurdität des ubiquitären Flagge-Zeigens zur Schau
stellen, nicht ausschließen. Nation-Branding setzt auf eine aktive, selbst gewählte und
gewollte Integration der Individuen und Organisationen in seine strategisch
organisierten Kontexte. Dies ruft Konkurrenznarrative auf den Plan und eröffnet
Freiräume für private Nation-Branding-Kampagnen kleinerer Unternehmen, die in der
Hoffnung auf ökonomische Vorteile ebenfalls auf Ländermarken und Nation-
Branding setzen. Das veranschaulicht ein Werbeclip für das Schnellrestaurant
»Čobanov odmor« (zu Deutsch: »Hirtenpause«) aus Serbien, in dem in einer Art
historischem re-enactment die pastorale Vergangenheit Serbiens nachgespielt wird,
während die Off-Stimme folgende Werbestory vorträgt:
»Anlässlich des 10jährigen Jubiläums seines Restaurants im Belgrader
Viertel ›Karaburma‹ startet das Belgrader Unternehmen Djuričić die
serbische Fastfood-Kette mit dem geschützten Namen ›Hirtenpause‹.
Das Ziel der ›Hinterpause‹ ist es, preisgünstige Produkte von
beständiger Qualität und mit dem einzigartigen Geschmack der
authentisch serbischen Küche anzubieten: Einen wiedererkennbaren
serbischen brand. Haben Sie gewusst, dass auch wir schon lange vor
der großen Entdeckung von Kolumbus unsere schnelle – und was noch
wichtiger ist – gesunde Küche hatten. Gerade auf den serbischen
Weideplätzen finden sich die Ursprünge des heutigen fast food. Die
Natur der Hirtenarbeit forderte die Zubereitung der Mahlzeiten nach
dem Motto »Einpacken-und-Mitnehmen-auf-die-Weide«. Einer der
Hauptgründe dafür: Die Weideplätze lagen fern von den Häusern und
da die Hirten vor dem Sonnenuntergang nicht heimzukehren pflegten,
nahmen sie ihre Mahlzeiten eben in der Natur ein, im tiefen Schatten,
auf einen Baum gelehnt. 58
Dieser Clip verfolgt eine ausgeklügelte Strategie: Ein regionales Unternehmen dockt
an den Erfolg des global vermarkteten Konzeptes Fast Food an, beraubt es seines
Herkunftmarkers USA und kleidet es in eine neue konsumnationalistische
Authentizitätsfiktion ein: Die schnelle Küche wird zum serbischen brand. »Čobanov
odmor« meint es ernst und zieht dennoch, ebenso wie der Produzent von ›Prostagutt‹,
das ganze Nation-Branding-Prinzip unbeabsichtigt ins Lächerliche.
58Čobanov odmor [Promo film]. https://www.youtube.com/watch?v=lAF1MDEKIc4, zuletzt
aufgerufen am 20.05.2013; transkribiert und übersetzt von M.Z.; vgl. auch die Webseite des
Unternehmens »Čobanov odmor. Autentična srpska brza hrana«, http://cobanovodmor.com/, zuletzt
aufgerufen am 20.05.2013. Ausführlicher dazu: Zeman, »Historische Alterität« (wie Anm. 3).
18
Im Unterschied zu unbeabsichtigt parodistisch anmutenden Branding-Aktionen, die
die Logik der Ländervermarktung quasi automatisch selbst hervorbringt, gibt es auch
Beispiele für Gegen-Projekte, die dezidiert kritisch und bewusst auf Distanz zur
Nationalisierung des Konsums gehen. Etwa im Internet. Tim Sobczak postet auf
seinem »Wurstblog« eine aus dem Code des nationalisierenden Marketings heraus
›geklonte‹ Fake-Reklame für den »Schwarz-Rot-Golddarm« bzw. den »Streichwurst-
Fanschminkset«:59 Das gefälschte Werbeplakat (vgl. Abb. 11) ahmt qua farblicher
Zusammenstellung von Blutwurst (»Schwarz«), Bratwurst (»Rot«) und Weisswurst
(»Gold«) die deutsche Trikolore nach, simuliert durch den Satz »Wurst – die denkbar
deutscheste Gesichtsfarbe« einen ›echten‹ Werbespruch und stört somit – mit Martin
Doll gesprochen – »von innen heraus in actu«60 den nationalisierenden
Marketingdiskurs. Die Bloggerin Carolin Buchheim fotografiert Beispiele für den
Einsatz nationaler Farben in den Supermärkten, schneidet und scannt Ausschnitte von
Werbebeilagen aus Zeitungen und kombiniert das Ganze zu einer Collage, die als
»scheiss-rot-gold. i can't relax in deutschland« betitelt wird (vgl. Abb. 12).61 Solch
provokative Interventionen lassen sich in die Geschichte der Popliteratur
zurückverfolgen, etwa anhand einer Schimpftirade von Rolf Dieter Brinkmann aus
dem Jahr 1968, die mit »Deutschland verrecke«62 beginnt und – wie Moritz Baßler
formuliert – »Marken- und Unterhaltungsindustrie-Thesaurus«63 in Verbindung mit
einem »pubertären Revoluzzer-Vokabular«64 einsetzt, um Deutschland, seine Spießer
und ihre Waren- und Marketingwelt, inklusive »Langnese Eiskremekonfekt«,
»Palmolive-Frau«, »Onkel Tschibo«, »Wella für den Herren«,65 zum Teufel zu
schicken. Doch es gibt wohl kaum ein anderes lyrisches Contra zu all dem Dichten
der Identitätstechnologen, Neopatrioten und Brandologen, das so gut gelingt, wie
59»Schwarz-Rot-Golddarm«, http://www.wurstblog.de/aufschnitt/schwarz-rot-golddarm, zuletzt
aufgerufen am 20.05.2013. 60 Martin Doll, Fälschung und Fake. Zur diskurskritischen Dimension des Täuschens, Berlin 2012, S.
12. 61 Siehe http://scheissrotgold.blogspot.de/search?updated-min=2010-01-
01T00:00:00%2B01:00&updated-max=2011-01-01T00:00:00%2B01:00&max-results=45, zuletzt
aufgerufen am 4.8.14. 62 Rolf Dieter Brinkmann, Keiner weiß mehr [1968], zitiert nach Moritz Baßler, Der deutsche Pop-
Roman. Die neuen Archivisten, München 2002, S. 164. 63 Baßler, Der deutsche Pop-Roman (wie Anm. 62), S. 165. 64 Ebd. 65 Die letzteren Zitate von Brinkmann, Keiner weiß mehr [1968], zitiert nach Baßler, Der deutsche
Pop-Roman (wie Anm. 62), S. 164.
19
jenes von Otto Jägersberg, mit dessen »hymnischem Pastiche«66 »Nivea» von 1985
ich meinen Beitrag schließen möchte:
»Kein böses Wort über Nivea.
Nivea du linder Schleim
Du deutscher Schmier
Du Massenweiß
Nivea
ja du bist gut
Wir nehmen dich auch da
wo deine Werbung nicht hinkommt
Du hast die Haut meiner Frau
vor dem Austrocknen bewahrt
Ein Leben lang
Danke Nivea
du nasse Watte ohne Mätzchen
preisgerecht
Meine Mutter schwört auf Nivea
meine Tante Hilde schwört auf Nivea
Nein Bismarck der Schlinger drei Kotelletts zum Frühstück
roch nicht nach Nivea
aber der Kaiser liebte Nivea
und Hitler war Nivea-Fan
und Adenauer nahm Nivea nach den Rosen
Was würden sie auf eine einsame Insel mitnehmen
fragen sie immer wieder die Bücherbesitzer
O Nivea
Nivea
keine Nacht ohne Nivea
du Fett
ohne Reue
Nivea
du bist die Zärtlichkeit
zwischen uns
auf alte Art. «67
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Rewe-Sammelsticker, Quelle: Rewe-Supermarkt, Scan: Mirna Zeman, ©
Rewe.
Abb. 2: »Wolf Olins: MarkeDE: conservative«, Quelle: Paul Vinogradoff, Wolf Olins:
DEbatte. Deutschland als globale Marke, München 1999, ohne Seitenangabe.
66 Thomas Wegmann, Dichtung und Warenzeichen. Reklame im literarischen Feld 1850-2000,
Göttingen 2011, S. 534. 67 Otto Jägersberg, Wein, Liebe, Vaterland, Zürich 1993 [1985], S. 34f. Den Hinweis auf dieses
Gedicht fand ich in Wegmann, Dichtung und Warenzeichen (wie Anm. 66), S. 533f.
20
Abb. 3. »Briefmarke mit Claudia Schiffer«, Quelle: Paul Vinogradoff, Wolf Olins:
DEbatte. Deutschland als globale Marke, München 1999, ohne Seitenangabe.
Abb. 4a und 4b: »Schiffer-Plakat, Goethe Institut Ljubljana, 3.2. 2009«, Foto ©
Gerald Hühner.
Abb. 5: »Berlin, Park Spreebogen/Foto 2006« [Überdimensionale Skulptur »Der
moderne Fußballschuh«, Teil der temporären Kampagne »Deutschland – Land der
Ideen«]. Foto: Frank Silberbach (geb. 1958). Aus der Serie »Berliner Blicke«. ©
Frank Silberbach / akg-images.
Abb. 6a und 6b: »Krawatte um die Arena« und »Krawatte im Korn«, Quelle:
Academia Cravatica, http://academia-cravatica.hr/, Autor/©: Marijan Bušić
Abb. 7: »Skopje 2014: Alexander der Große«, Photo by Rašo,
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aleksandar_Makedonski_vo_Skopje_04.JP
G
Abb 8: »Timeless Capital Skopje. Screenshots«, Quelle:
http://www.youtube.com/watch?v=iybmt-iLysU.
Abb. 9: »Prostagutt Werbebroschüre« Quelle: Apotheke, © Dr. Wilmar Schwabe
GmbH, Scan: Mirna Zeman.
Abb. 10: »Deutschlandkuh«, Quelle: http://www.diefairemilch.de/presse.html.
Abb. 11: »Streichwurst-Fanschminkset«, Quelle: Tim Sobczak, »Wurstblog«
http://www.wurstblog.de/aufschnitt/schwarz-rot-golddarm.
Abb. 12: »scheiss-rot-gold«, Quelle: Carolin Buchheim, »scheiss-rot-gold i can't relax
in deutschland«, http://scheissrotgold.blogspot.de/search?updated-min=2010-01-
01T00:00:00%2B01:00&updated-max=2011-01-01T00:00:00%2B01:00&max-
results=45.