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Eva Engelbert ausgewählte Arbeiten 2007-2014

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Eva Engelbertausgewählte Arbeiten

2007-2014

In the field

MUSA Museum Startgalerie Artothek 4. bis 28. Februar 2014

In der Ausstellung werden parallel entstandene Arbeiten präsentiert, in denen scheinbar Entferntes zueinander in Beziehung gesetzt und die dadurch auftauchende Kulissenhaftigkeit untersucht wird.

Die Fotografien “Tokyo Blue” und “Congo Blue” zeigen inmitten des Wiener Nordbahnhofgeländes – einst wichtigster Bahnhof der Monarchie und heute Ort des Übergangs von der Brache zum neuen Stadtteil – aufgespannte blaue Farb-folien. Ein Teil des Bildes wird so gefiltert: Hinter der farbigen Folie schimmern die Konturen der Neubauten durch, die die freie Fläche stetig kleiner werden lassen. Über die Namensherkunft der Blautöne “Tokyo Blue” und “Congo Blue” (Produkte eines gängigen Filtersystems für Lichtdesign, Fotografie und Architektur) ist kein direktes Wissen vorhanden. Sie sind lediglich “great effect colors”, denen scheinbar kontextlos ein Ort zugeschrieben wird. Welches Blau hätte der Ort der Aufnahme, würde man ihn zu einer Farbe machen? Und welches fotografische Abbild dieses Ortes entsteht, wenn das Licht künstlich verändert wird? Die Konstruktion erinnert an eine Hintergrundwand im Fotostudio – in diesem Fall ist sie, platziert in der Baulücke, das Sujet selbst: eine Projektionsfläche des Aufbruchs und der Weite (?).

Die Sujets meiner “zoologischen” Feldforschung sind die als ‘exotisch’ bezeichneten Tierskulpturen aus Beton, Stein oder Bronze, die in den 50er und 60er Jahren als von der Stadt Wien in Auftrag gegebene “Kunst am Bau” in vielen Ge-meindebauten aufgestellt wurden und sich unter Motive wie die “Vier Jahreszeiten” oder “Kinderspiele” mischten. Meist anachronistisch – nicht im Dialog mit der zeitgenössischen Kunst der damaligen Zeit – thematisieren sie eine Phantasie der „Ferne“, die zugleich domestiziert wurde. Verstreut über die ganze Stadt, oftmals hinter Lifteinbauten oder sonstigen architektonischen Ergänzungen versteckt, überleben sie still die Zeit. Der Elefant von Christa Vogelmayer verwächst mit dem Nadelstrauch, die spielenden Löwen von Alfred Hrdlicka sinken langsam in den Boden und der Seelöwe des Bildhau-ers Othmar Jarmer wurde vor kurzem versetzt, da der Gemeindebau in der Darnautgasse nicht mehr sanierbar ist und abgerissen wird. Der leere Sockel vor dem baufälligen Gebäude formt ein Monument des Verschwindens, ohne wirklich zu verschwinden. Ich suche die Tierskulpturen auf und versammle sie. Es entsteht eine historische wie gegenwärtige Kartographie von “‘exotisch’-heimatlichen” Requisiten: die fotografische Serie “Versammlung”.

Die mit “Zugvogel” betitelte Arbeit zeigt auf einem Beton-Sockel den Überrest einer gestohlenen Gänse-Brunnenskulp-tur des Bildhauers Alois Heidel von 1958/59, die einst zusammen mit zwei anderen Gänsen im Johann-Kaps-Hof im 20.Bezirk stand. Die bronzene Bodenplatte mit den abgeschnittenen Gänse-Füßen und eine unversehrte Gans befinden sich seit dem Diebstahl im Depot des MUSA. Dessen Funktion als Archiv wird deutlich gemacht, aber auch die Frage aufgeworfen, ob es sinnvoll ist, Kunstobjekte vor zu großer Zugänglichkeit und damit auch der Gefahr durch Vandalismus zu schützen, indem man sie ihrer eigentlichen Bestimmung als Kunst im öffentlichen Raum entzieht.

Maßgetreu den Stufen der vereinheitlichten Gemeindebaustiege nachgebaut, dient eine modellhafte Treppe als Prä-sentationsfläche für typische Zimmerpflanzen mit ursprünglich tropischer Herkunft. Die Pflanzen der zentralen Installation

“Musa tropicana” * sind Leihgaben von MitarbeiterInnen aus den Büros der Magistratsabteilung 18 für Stadtplanung und Stadtentwicklung und der MA 21 für Stadtteilplanung und Flächennutzung, die in den Etagen oberhalb des Ausstellung-sraums gelegen sind. Beamtentum, Magistratsdschungel und White Cube treffen einander.

* “Musa” ist die wissenschaftliche Bezeichnung für Banane; als “Musa tropicana” werden häufig Zierbananen-Pflanzen im Handel vertrieben).

links: Installationsansicht, “Musa tropicana”, “Congo Blue” und “Tokyo Blue”

Musa tropicanaInstallation, Holz tw. lackiert, Topf-Pflanzen~ 75 × 110 × 140 cm, 2014

rechts:aus der Serie Versammlung, C-Print, 26 × 34,6 cm, 2013Zugvogel, Betonsockel und Skulptur von A.Heidel, 2014

Tokyo Blue, Analoger C-Print, 125 × 100 cm, 2013

Zugvogel, Überrest einer Skulptur des Bildhauers Alois Heidel auf Betonsockel Bronze, 18 × 20,5 cm, 1958/59

Beton, 26 × 28,5 cm, 2014

VersammlungSerie aus 34 C-Prints, gerahmt

je 26 × 34,6 cm, 2013

green / white

green / white ist eine kollaborative Installation mit zwei Teilen von Eva Engelbert und Katrin Hornek. Zum einen besteht sie aus einer Fotostellwand mit Aussparungen für Kopf und Arm, auf die eine Reproduktion der Arbeit ”incomplete open cube 6/13, 1974” von Sol LeWitt tapeziert ist. In der Benutzung bildet der Körper der BesucherIn mit dem Abbild des Kubus eine melancholische Gemeinschaft, schwebend zwischen Nostalgie und Science Fiction. Wie die offene Würfelstruktur platziert am Waldrand, verstärkt diese Verbindung die Ortslosigkeit der weißen Körper als Triumph der Moderne. Zum anderen zeigt das – auf die Innenseite eines verzerrten Sockel-Objekts projizierte – Video den Versuch mit grünem Obst / Gemüse als malerisches Hilfsmittel eine perfekte weiße Fläche zu erzielen. Anspielend auf die politischen Taktiken des green- und white washings (ökologische Farce und Vertuschung von Vergehen) werden diese Prozesse auf die Kunstwelt übertragen. In dem kulissenhaften Changieren der beiden Installationsteile zwischen weiß und grün, zwischen innen und außen stel-len die KünsterInnen den erneuten Versuch an, Nadelbäume mit white cubes zu konfrontieren.

white washingSockelobjekt mit Früchten, Holz, Lack, Dispersion, ~ 107 × 86 × 107 cm / HD-Video, 5 min. 35 sec., 2013

melancholic communityInkjet-Druck auf Holz, 120 × 200 cm, 2013

Take space (Work-in-progress)

Prozesse des Konstruierens, Dekonstruierens, der Versuch, sich oder etwas zu bewegen, zu codieren und zu decodieren bilden die Ausgangspunkte der Serie. Als Fotografie, Spur, Abdruck im Raum treffen hier verschiedenene Methoden des Inszenatorischen, Kulisse, Stellwand, und interventionistische Demontagemomente aufeinander.

Take space # 1 (Briliant), Pigmentdruck, 20 × 30 cm, 2013rechts: Take space # 2 (Lost dimensions), Pigmentdruck, 30 × 40 cm, 2013

Welcome to European Union – Grenzverhandlungen am Rande Europas

Ein Ausstellungsprojekt von Eva Engelbert, Alena Pfoser & Mitgliedern des Fotoklub NarvaGalerie IG Bildende Kunst, Wien21.März bis 3. Mai 2013

Rahmenveranstaltungen:

9.April 2013Grenzen und (Im)mobilität – FilmprogrammClemens von Wedemeyer – ‚Otjesd / Leaving’ (2005)Volxtheater Karawane – ‚publiXtheatrecaravan.mov’ (2002)Isa Rosenberger – ‚Nový Most’ (2008)Aurelia Mihai ’...si cel moldovean’ / ‚... and the Moldavian one’ (2008)

25. April 2013 Refugees und das EU-Grenzregime: (Un-)Rechtslagen, Forderungen, StrategienDiskussionsabend mit Ronald Frühwirt (Jurist, Zeitschrift Juridikum), Alexandra König (Politikwissenschaftlerin) und Ju-dith Ruderstaller (Juristin), moderiert von Paula Pfoser (Redakteurin MALMOE).

zu Beginn: Screening einer Auswahl von Videoaufnahmen aus den ersten Wochen des Refugee Protestcamp Vienna (autonomes, temporäres Medienkollektiv zusammen mit dem Refugee Camp Wien)

Ausstellungsansichten Galerie IG Bildende Kunst

”Freie Mobilität” und ”Festung Europa” sind die widersprüchlichen Schlagworte, die zur Charakterisierung des europäis-chen Grenzregimes gebraucht werden. Während ausgewählte Gruppen Nutzen von der Freizügigkeit im Inneren ziehen und ihre Pässe auch die äußeren Grenzen der EU leicht überwindbar machen, wird auf der anderen Seite dicht gemacht. Wie aber erscheint die EU-Außengrenze jenen, die heute am Rande Europas leben und deren Lebenswelten und ökono-mische und soziale Netzwerke bis vor kurzem nicht von Zäunen und Grenzposten gestört wurden?

Das Ausstellungsprojekt ”Welcome to European Union” beschäftigt sich mit den lokalen Verhandlungen der neuen EU-Außengrenze zwischen Estland und Russland. Seinen Titel borgt es von Souvenirs, Kühlschrankmagneten und Schnapsgläsern, die auf einem Festival in der estnischen Grenzstadt Narva verkauft werden: “Welcome to European Un-ion” beinhaltet ein Versprechen auf gastgeberische Offenheit und Zugang zum größeren geographischen und politischen Raum ”Europa” nach der Osterweiterung. Aber es hat sich ein Fehler eingeschlichen, ein Riss im Willkommensgruß. Der kleine Übersetzungsfehler, ein fehlender Artikel, gibt Anlass dazu auch auf einer symbolischen Ebene über die Translation von EUropa in einen lokalen Kontext nachzudenken: Was bedeutet EUropa für die Menschen vor Ort? Wer hat räumlich und symbolisch Zugang zu dem Verheißenen – wer ist willkommen und wer muss draußen bleiben?

Mikrokosmos für die kritische Grenzuntersuchung sind die zwei Städte Narva (est) und Ivangorod (rus), die durch eine Brücke miteinander verbunden sind und lange Zeit einen sozialen Raum bildeten. Während der Sowjetzeit teilten sich die zwei Industriestädte, in denen fast ausschliesslich russischsprachige Siedler_innen und deren Nachkommen leben, u.a. den Friedhof, das Busnetz und die Wasserversorgung. Viele Menschen wohnten auf der einen und arbeiteten auf der anderen Seite des Narover Flusses. Der Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft bedeutete für Narva und Ivangorod nicht nur den Niedergang der Fabriken und folglich Abwanderung, sondern stellte auch die dichten sozialen Netzwerke in Frage. Grenzkontrollen und Visapflicht erschwerten die Kontakte, gleichzeitig schaffte die Grenze aber auch neue Optionen und Einkommensmöglichkeiten.

Die in der Ausstellung vertretenen Videos, Installationen und Fotografien setzen sich ausgehend vom Lokalen kritisch mit dem Phänomen „Grenze“ auseinander. Die Arbeiten beschäftigen sich mit den Orten und Situationen, an denen die Grenze sichtbar wird – an Plätzen im öffentlichen Raum („Grenzkarte“) und in alltäglichen ökonomischen Kreisläufen (”Zucker und Benzin”). Sie untersuchen die vielfältigen Weisen, wie Akteur_innen die politischen Veränderungen und neuen Regulierungen verhandeln, reproduzieren und unterlaufen (”Winter”, ”Common Places”) und fragen nach der Her-stellung von Differenz und deren Aufhebung (”How to build a bridge”) und dem Zustand des Dazwischen-Seins (”Narova”).

Die Arbeiten haben zum Ziel, die ”falsche Einfachheit” (Balibar 2002), die die Vorstellung der Grenze als Linie suggeri-ert, in Frage zu stellen und ein Bild eines dynamischen und umstrittenen Grenzraumes mit multiplen Verbindungen sowie Ein- und Ausschlüssen zu zeichnen. Während es natürlich Machtasymmetrien in der Gestaltung und Verhandelbarkeit von Grenze gibt, präsentiert sich diese dennoch als gelebter Raum, der sowohl Einschränkungen aufweist als auch Han-dlungsmöglichkeiten bereithält.

Das Projekt basiert auf einer mehrere Monate andauernden Zusammenarbeit der Sozialwissenschafterin Alena Pfoser, der Künstlerin Eva Engelbert und den Mitgliedern des Narva Fotoklubs Sergei Barankov, Valery Boltushin, Oksana Kipjat-kova, Irina Kivimäe, Igor Kostyuk, Anton Lukinskij, Elena Shtshekotihina, Olga Shustrova, Jaanus Siim, Tatjana Upeniek und Irina Vasilieva.

Text: Eva Engelbert, Alena Pfoser

How to build a bridge

HD-Video, 5 min. 8 sec., 2012

Seit vielen Jahren baut Fjodor Schansin an einem saalfüllenden Modell von Alt-Narva, der Stadt vor der beinahe gänzli-chen Zerstörung im zweiten Weltkrieg. Mit handwerklicher Präzision fertigt er Kirchen, Häuser und Türme.Auf unsere Frage zeigt der Modellbaumeister wie man aus Karton, Papier und Kleister eine Brücke baut. How to build a bridge versteht sich als augenzwinkernde Gebrauchsanweisung: Angelehnt an Do-It-Yourself-Videos, wird hier von Fio-dors flinken Händen vorgeführt, wie man im Handumdrehen Verbindendes herstellen kann.

Common Places (Fotoklub Narva)

Pigmentdrucke, 29,7 × 42 cm, 2012

a: Valery Boltushin fotografiert Adelina Sokolovab: Jaanus Siim fotografiert Valery Boltushinc: Elena Shtshekotihina fotografiert Irina Irina Kivimäed: Irina Kivimäe fotografiert Elena Shtshekotihinae: Olga Shustrova fotografiert ihre Freundin Natashaf: Irina Vasilieva fotografiert Aleksandr Vasilievg: Oksana Kipjatkova fotografiert ihre Tochterh: Anton Lukinski fotografiert Igor Kostyuki: Tatjana Upeniek fotografiert das Paar Ivan und Ksenijaj: Sergei Barankov fotografiert Jaanus Siimk: Valery Boltushin fotografiert Marianna Boltushina

Common Places ist eine fotografische (Selbst-)Untersuchung des Grenzraums, die das Alltägliche und Vertraute in den Mittelpunkt rückt. Im Rahmen der Gemeinschaftsarbeit fotografierten sich Mitglieder des Fotoklub Narva gegenseitig oder ihre FreundInnen und Familienmitglieder vor persönlich bedeutsamen Orten im öffentlichen Raum. Die Portraits und Texte zeigen vertraute Plätze, die als Reflexions- und Inszenierungsorte über das Leben in der Stadt und die eigene Identität dienen und die durchzogen sind von politischen Veränderungen, dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes, Nationalisierung und Europäisierung.

Narova

HD-Video, 7 min., 2012 (3-Kanal-Installation)

Narova zeigt eine Bootsfahrt am gleichnamigen Grenzfluss: Zwei Kameras filmen die Ufer (rechts Ivangorod, Russland– links Narva und die EU) bis die Narova in den Finnischen Meerbusen mündet. Begleitet wird die Fahrt vom Akkordeon-spiel von Mart Pung, Freizeitakkordeonist aus Narva, der auf die Frage, ob er ein Seemannslied kenne, die Melodie des internationalen Sehnsuchtsliedes ”My Bonnie Lies over the Ocean” anstimmt. Narova spielt mit Sehnsüchten, auf Reisen zu gehen und Grenzen bewohnbar zu machen und der Spannung zwischen der visuellen Banalität der EU-Außengrenze und dem Wissen um ihre Festigkeit und emotionale Aufgeladenheit.

Winter

HD-Video, 9 min. 50 sec., 2013

Entlang des Narova Flusses aufgenommene Videobilder – von Narva nach Ivangorod und umgekehrt – zeigen tiefver-schneite und wie eingefroren wirkende Grenzlandschaften. Dazu erzählen vier Personen aus ihrem Leben und ihrem Umgang mit der Grenze: eine Frau, die durch die Grenze von ihrem Mann getrennt wurde, eine Schmugglerin, ein junger Mann aus Ivangorod und ein Mann, der täglich von Narva nach Ivangorod zur Arbeit pendelt. Die eingefrorene Landschaft wird durch die Stimmen zu einem dynamischen Feld, in dem die andere Seite wandelnden Bedeutungen unterliegt und mal als Symbol des schmerzhaften Verlusts, mal als alltägliche Einnahmequelle und willkommener Zugang zu Europa erscheint.

Zucker und Benzin

Installation (Zuckerskulptur 40 × 40 cm, Wandregal aus Holz und Metall, Rechnungen), 2013Foto oben: Skizze

Die Arbeit beschäftigt sich mit den Kreisläufen alltäglichen Wirtschaftens im Grenzland und Vorstellungen vom Leben auf der ”anderen Seite”. Da Benzin in Russland billiger ist und Zucker angeblich süßer als in Estland, überqueren viele BewohnerInnen von Narva regelmäßig die Grenze. Ein im Hypermarkt ”Prisma” (Narva) gekaufter Benzinkanister dient als Gussform für ein Objekt aus russischem Zucker, der in Form eines 10kg Sacks über die Grenze gebracht wurde.

Grenzkarte

Installation (C-Print 75 × 124,7 cm , Tisch & Hocker aus Holz, Plexiglas und Zuckersack, Textsammlung), 2013

Die Arbeit zeigt die Diversität und Multilokalität von Grenze auf dem geographisch begrenzten Raum zwischen Narva und Ivangorod. Sie stellt ausgewählte Orte in beiden Städten dar, an denen sich die Grenze lokal manifestiert und verhandelt wird: u.a. den Parkplatz am Stadtrand, auf dem Autos auf ihre Erlaubnis zur Grenzpassage warten; den Friedhof, auf dem BewohnerInnen beider Städte begraben wurden; die Krenholm-Fabrik, in der man zusammen gearbeitet hatte; die neuen Orte des Handels und Konsums, die von den wachsenden Preisdifferenzen leben. Im Tisch, auf dem die Karte tapeziert ist, befindet sich auch eine Textsammlung zum Thema der Ausstellung.

Mit Eva Engelbert und Katrin Hornek wurden zwei junge Künstlerinnen eingeladen, eine Gruppenausstellung zu konzipieren, die von ihren eigenen Produktionsweisen und sozialen Beziehungen im Kunstfeld ausgeht. Es handelt sich hier also nicht um die eingeübte Funktionsteilung in KuratorIn nen und KünstlerInnen und auch nicht in erster Linie um die Auswahl künstlerischer Positionen zu einem bestimmten Thema, sondern um den Versuch der räumlich-ästhetischen Abbildung von existierenden und gewachsenen Arbeitszusammenhängen und geteilten Denkräumen.

Arbeit und Lebensunterhalt junger KünstlerInnen, vor allem jener, die nicht markt affin produzieren, sind heute zu einem guten Teil durch Stipendien, Studienaufenthalte und Residency-Programme strukturiert. Aus den damit verbundenen wechselnden Orten, sozialen Umfeldern und persönlichen Kontakten resultieren zumindest zwei Phänomene: ein schnell sich ausbreitendes Netz aus internationalen Künstlerfreund- und -bekanntschaften, deren Bedeutung häufig über die von lokalen Szenen hinauswächst. Aber auch das Paradox, sich an wechselnden Orten auf spezifische Problemstellungen einzulassen und dazu Arbeiten zu entwickeln, deren Bedeutung dann an anderen Orten fragwürdig zu werden scheint. Eva Engelbert und Katrin Hornek integrieren beide Punkte in ihr Ausstellungskonzept. Die eingeladenen KünstlerInnen sind Teil jenes Netzes aus ProduzentInnen, die einander meist an dritten Orten und kanalisiert durch Förderprogramme kennengelernt haben. Für das selbst organisierte Zusammentreffen in ihrer Ausstellung orientieren sich die kuratierenden KünstlerInnen an Fragen wie: Was passiert auf dem Weg zwischen einem realen Ort, dem durch die künstlerische Arbeit geschaffenen Raum und dem Ausstellungsraum? Ist der Kunstraum fiktiv? Welcher Raum wird durch den Transport von Ortsspezifität kreiert? Wird lokaler Kontext zur Kulisse und dadurch entpolitisiert? Ist zeitgenössische Kunst so mobil wie ihre KünstlerInnen?

Relevant wird hier die Frage nach der Ortsbezogenheit künstlerischer Arbeiten beziehungsweise den Bedingungen der Möglichkeit ihrer räumlichen und zeitlichen Übersetzung. Während die Thematisierung der «Site Specificy» in einigen konzeptuellen Strömungen seit den 1960-er Jahren stark an eine kritische Reflexion des Galerieraums und des Kunst-werks als einer Handelsware geknüpft war, stellt sich diese Frage heute teilweise anders. Mit den erwähnten Strukturen, die die Ortsbezogenheit künstlerischer Praxis geradezu fordern, büßt die «Site Specificy» einiges von ihrem Nimbus des Kritischen ein, und künstlerische Selbstverortung verlangt ein Nachdenken über die Probleme des Weiterlebens und Weiterentwickelns ortsbezogener Arbeiten unter diesen Bedingungen.

Die Beiträge der teilnehmenden KünstlerInnen zu «A Sense of Place» generieren in der Ausstellung ein Zusammentref-fen von künstlerischen Argumenten zu den genannten Problemen der Ortsbezogenheit und «Transportfähigkeit» bestim-mter Methoden. Johanna Tinzl und Stefan Flunger (A) lassen den Text ihres Videos «Der Zaun ist europäisch», das sie an der marokkanisch-spanischen Grenze mit dem Kommentar eines spanischen Taxifahrers gedreht haben, von einem Taxifahrer aus Kärnten neu sprechen und stellen so eine Verbindung von Grenz- und Migrationspolitiken an den Rändern und im Inneren Europas her. Karin Hasselberg (S) präsentiert den skulpturalen Forschungsstand ihrer Überlegungen zur Möglichkeit eines «any site specific object», welches an jedem Ausstellungsort funktionieren würde, neben einem Video aus ihrer «Hole Series», das die physischen Interventionen der Künstlerin in das Erdreich diverser Ausstellungsorte do-kumentiert. Die Videoarbeit «Nomads» von Kay Walkowiak (A) zeigt acht Sequenzen indischer Straßenszenen, in denen ein weißer Kubus, der als Sockel, minimalis tisches Kunstwerk oder modernistisches Architekturzitat gelesen werden kann, von einer Fahrradrikscha über den Boden geschleift wird. Ann Guillaume (F), die sich in ihrem Video «Ancestral Voices» am Beispiel der griechischen Antike mit dem touristischen und wissenschaftlichen Transport von Geschichte und Kultur beschäftigt, präsentiert auf einer Transportpalette den abgenommenen und transportgerecht gefalteten Vorhang des kunstraum lakeside.

Ungewöhnlich für eine Gruppenausstellung junger und konzeptuell orientierter Kunst ist die Einbeziehung des 79-jäh-rigen Salzburger Bildhauers Josef Zenzmaier, dessen überlebensgroße Bronzeskulptur des Paracelsus vor dem Kun-straum seine temporäre Aufstellung findet. Als Beispiel eines traditionellen Skulpturbegriffs hat Zenzmaiers Paracelsus seine Folgerichtigkeit im Projektzusammenhang durch die besondere Geschichte des für einen konkreten Ort (Uni Salz-burg) in Auftrag gegebenen Werks, welches sich in einem jahrzehntelangen Produktionsprozess und Differenzen zwis-chen Künstler und Auftraggebern gleichsam entortet hat. In unmittelbarer Nähe zu Zenzmaiers Skulptur bespielt Hannes Zebedin (A) die Litfaßsäule vor dem Ausstellungsraum mit einer Arbeit zu den Bewegungsstrategien der Kärntner Parti-sanInnen während der Nazi zeit und ihren Taktiken zwischen Geheimhaltung und politischer Propaganda.

Eva Engelbert und Katrin Hornek (A) haben, inspiriert von einem Internetspiel zur globalen Kommunikation, eine künstlerische «Klammer» geschaffen: In einem Akt des überzogenen Globalismus spannt ihr «Earth Sandwich» die Erd-kugel zwischen zwei Semmelhälften, je eine im kunstraum lakeside und im Chatham Islands Museum am gegenüber-liegenden Punkt des Globus im Südpazifik. Das Museum selbst ist im Kunstraum durch Informationsmaterialien und die Fotografie der Semmelhälfte vertreten, der Kunstraum im Chatham Islands Museum durch seine Programmhefte und das Foto der anderen Semmelhälfte. Aus dem Zusammentreffen der einzelnen Arbeiten in «A Sense of Place» sollte sich eine Diskussion über den Ortssinn zeitgenössischer Kunst entwickeln.

Text: Christian Kravagna, Hedwig Saxenhuber

A sense of place

Ausstellung kuratiert von Eva Engelbert und Katrin HornekKunstraum Lakeside, Klagenfurt18. Oktober bis 30. November 2012

Teilnehmende KünstlerInnen: Eva Engelbert, Ann Guillaume, Karin Hasselberg, Katrin Hornek, Johanna Tinzl / Stefan Flunger, Kay Walkowiak, Hannes Zebedin, Josef Zenzmaier

Rahmenveranstaltung: 14.11.2012Anna Kim liest aus ihrem Essay “Invasionen des Privaten”

1 - Ann Guillaume “Ancestral Voices – Reaktualisierung”, DV-Video, PVC-Skulptur, C-Print, Paletten mit Intarsien, Vorhang, 2011/20122 - Kay Walkowiak “Nomads”, HD-Video, 20113 - Hannes Zebedin “Dort, wo die Krähen sitzen bleiben.”, SW-Kopien (Historische Flugblätter der Kärntner PartisanInnen 1938-1945), Lockvogel (Rabenkrähe), Laub, 2012

1 - Josef Zenzmaier “Paracelsus”, Bronzeskulptur, konzipiert für den Innenhof der Universität Salzburg, deponiert im Lager des Salzburg Museums, derzeitiger Aufenthaltsort Lakeside Park Klagenfurt, 1985-20102 - Karin Hasselberg “Considering the Any Site Specific Potential of a Transparent Object”, Glas, Podest, 2011-20123 - Johanna Tinzl / Stefan Flunger “La valla es europeo (Der Zaun ist europäisch).”, HD-Video, 2011

Eva Engelbert, Katrin Hornek “(Institutional) Earth Sandwich”, 2 C-Prints 50 × 36,7 cm, 2 Semmelhälften, Informations-materialien Chatham Islands Museum (NZ), Kunstraum Lakeside (A), 2012

Carsid

Video 05’14’’, Loop2012(in Zusammenarbeit mit Paula Pfoser)

Carsid, eine belgische Stahlproduktionsfirma, ist mit einem Werk in der Industriezone von Charleroi angesiedelt. Aufgr-und seiner mangelnden Rentabilität wurde der Standort 2008 geschlossen und die 800 Beschäftigten entlassen. Das Gelände der Firma, auf das wir bei unserer ersten Stadtwanderung stießen, liegt nun brach: eine schwarze Fläche, Schlacke, Kohleerde, verfallene Betonruinen und überwachsene Hügel. Im Hintergrund die Industrieruinen und, noch weiter hinten, die Stadt.

Das Tableau-Video zeigt Spuren von Leben an diesem verlassenen Ort – ferngesteuerte Geländewägen, die sich ihren Weg um und über gebaute Strukturen bahnen. Langsam fährt von rechts ein Auto ein, gefolgt von zwei weiteren Vehikeln und ihren Besitzern. Sie fahren und stehen herum, springen, bleiben stecken und verschwinden schließlich aus dem Bild, bis der Video-Loop erneut beginnt.

Das in Carsid gezeigt Brachland steht paradigmatisch für postindustrielle Gebiete, die übrig bleiben, wenn das Kapital zu anderen Produktionsstätten abwandert. Die Spuren der vergangenen Produktion sind im urbanen Raum sichtbar und funktionieren als Symbole für den heutigen Niedergang. Doch Menschen bewohnen weiterhin diese Orte; sie benützen, gestalten und restrukturieren ihre Stadt und verleihen ihr Bedeutung. Während die großen Maschinen still stehen, fahren kleine herum und erkunden das Territorium.

diese Seite: Installationsansicht Palais des Expositions, Charleroiim Rahmen der Ausstellung “Ville en abîme – Hotel Charleroi” (31. August bis 9. September 2012)

rechts: Stills

Postmoderne Verwirrung

C-Print, 100 × 130 cm2012

Die Fotografie zeigt den ehemaligen Sitzungssaal des Bank Austria Hauptgebäudes im ersten Wiener Gemeindebezirk, in dem sich Sessel zu einem Haufen türmen: Die Anordnung bricht mit gängigen Sitzordnungen und versucht stattdessen darzustellen, wie eng verknüpft, diffus und trotzdem deutlich sichtbar Machthierachien, Positionen und Entscheidungs-prozesse sind. Wer sieht hier noch, was und weshalb etwas passiert? Wer ist oben/unten und wie stabil ist dieser Ort?

detours

Video10’15’’, Loop2011

Detours ist eine filmische Weiterführung der Installation “Il est interdit d´interdire”. Das Video lehnt sich an die situatio-nistische Technik des Détournement an und spielt zugleich mit ihr. Es zeigt die Künstlerin beim Versuch eine unlesbare Botschaft zu dekodieren. Dieser Versuch wird immer mehr zum Spiel mit Abstraktion und Form, zu einer Choreographie.

Il est interdit d´interdire

Holz, Sprayfarbe, 2m20cm x 1m75cmInstallation im Rahmen der Ausstellung “Le choix de Paris”Cité Internationale des Arts Paris, November 2011

“Il est interdit d´interdire”, eine Parole der Situationistischen Internationale, die häufig während der Protest-Bewegung im Mai ´68 im Pariser Stadtraum zu sehen war, wird auf eine Holzpalisade – die eine Tür im Ausstellungsraum blockiert/verdeckt – gesprayt, danach dekonstruiert und dadurch unlesbar gemacht. Nur durch einen Blick auf den Titel der Arbeit weiß der Betrachter, die Betrachterin was zuvor auf der Bretterwand geschrieben stand. Die Arbeit ist eine Reflexion über die Aktualität einstiger Ideale, die Codes von Bewegungen und Geschichtsschreibung.

Installationsansichten Galerie Eugen Lendl Graz

Hallo, wir würden Sie gerne beschenken. Bonjour, on aimerait bien vous faire un cadeau.

C-Prints, Laserdrucke, Wandzeichnung, Bücherstapel, Dia-Projektioneine Installation im Rahmen der Ausstellung “contemporaryarchive”17.09. – 05.11.2011, Galerie Eugen Lendl Graz(in Zusammenarbeit mit Ovidiu Anton)

Ausgangspunkt der Arbeit ist das über viele Jahre gewachsene Archiv/Antiquariat des Galeristen Eugen Lendl. Die Räum-lichkeiten der Galerie liegen im ersten Stock des Grazer Palais Lengheimb, eine Etage darüber betritt man eine kulturhis-torische Parallelwelt. In einem schwer zugänglichen Durcheinander stapeln sich Schichten von Geschichte(n). Gemeinsam mit Eugen Lendl wählten wir 16 Objekte aus, die uns repräsentativ für seine Sammlung erschienen und von denen er sich trennen konnte. Wir nahmen diese Dinge und die damit verbundenen Geschichten auf eine vor uns liegen-de Autofahrt von Wien nach Paris mit. Am Weg verschenkten wir sie an ausgewählte Personen mit der Aufforderung, uns wissen zu lassen welches Leben das Objekt nach seiner Übergabe führt, in welche Aktionen es eingebunden wird, welche Spuren es hinterlässt, welche Gedanken es hervorruft …Die Installation “Hallo, wir würden Sie gerne beschenken. Bonjour, on aimerait bien vous faire un cadeau.” ist eine Kombination aus diesen Antworten, aus den Fotografien der Objekte und der Dokumentation der Reise in Form einer Wandzeichnung und einer Dia-Projektion.

“Bau-Entwurfslehre” von E.Neufert / Ausgabe von 1939,geschenkt an Robert Müller in Basel am 30.August.2011unten: seine Antwort

Fotos, Magazin und Entwurfsskizze des Architekten Hans Karl Zisser, geschenkt an Anna Soucek in Wien am 26.August.2011

Siebdruck “Nikolo” von Edgar Tezak, geschenkt an Hemma Artigues in Paris am 7.August.2011

To do today

Malereien, Acryl auf Leinwand, 2011

ToDo-Listen junger Kunstschaffender, schnelle handschriftliche Notizen, werden in einem langsamen, zeitintensiven Pro-zess auf die Leinwand und ins Bild übertragen. Die Dekontextualisierung der Aufzeichnungen in Form von Malereien ist ein Nachdenken über die Schaffung von Sinn und (Kunst-)Geschichte. Der Wert künstlerischer Arbeit wird in Bezug zu einem allgemeinen Arbeitsbegriff untersucht.

Geld, Acryl auf Leinwand, 70 × 70 cm, 2011Taxi, Acryl auf Leinwand, 90 × 70 cm, 2011

Wurst, Acryl auf Leinwand, 80 × 40 cm, 2011

vorige Seite: Installationsansicht mo.ë Wien James Bond, Acryl auf Leinwand, 90 × 70 cm, 2011Kunsttheorie, Acryl auf Leinwand, 80 × 80 cm, 2011

Sushi, Acryl auf Leinwand, 50 × 50 cm, 2011

Tomorrow – Galerie 5020

03.03.2011 – 02.04.2011Ausstellung in der Galerie 5020, Salzburg

“A small pamphlet, titled “Not Utopia Yet”, had been left on each of our beds. It lowered expectations for the visitor program and detailed the joining process. After the visitor period ended, the community took a vote: You could be accepted, rejected, or asked to visit for another three weeks.” (J.C. Hallman)

diese Seite: Not Utopia Yet, Bleistift auf Papier, 90 × 128cm, 2011nächste Seite: InstallationsansichtenKonstruktionsversuche, Requisitenwagen der Salzburger Festspiele, div. Materialien

Luc Boltanski und Ève Chiapello in Der neue Geist des Kapitalismus vorgetragen haben. Hier wird spezifisch auch der “Künstlerkritik” (also den Avantgarden der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) am Kapitalismus und der von ihm produzierten Defizite des menschli-chen und sozialen Lebens eine maßgebliche Funktion für die postfordistische Erneuerung des kapitalistischen Systems zugeschrieben, die aus der Aufnahme dieser Kritik ihre Kraft gewinnt. Man müsste an dieser Stelle vielleicht noch einmal auf das Ruinöse der Ge-schäftslokale in den Bildern Prestige und Paradies zurückkommen. Schließlich sind es nicht irgendwelche Lokale, sondern modernis-tische Pavillons, in denen das Zukunftsversprechen der Moderne mit der Erbärmlichkeit kapitalistischer Wunschproduktion und ihrer Phrasen in zumindest temporären Verwüstungen zusammenfallen.

Ich möchte von hier aus aber den Sprung zu dem Kernstück dieser Ausstellung machen, ohne deshalb die bisher angesprochenen Arbeiten nur als Einleitung zu dem Film Tomorrow zu betrachten. Allerdings gelingt dem Film meiner Ansicht nach, vieles von dem zu verbinden, was die übrigen Arbeiten ansprechen. Darüber hinaus geht der Film tatsächlich einen Schritt weiter, wenn er nicht mehr unbedingt Alternativen des Denkens und Gestaltens von Zukunft anspricht, sondern sehr aktuell etwas auf den Punkt bringt, was der britische Kulturwissenschaftler Raymond Williams vor einem halben Jahrhundert als “structures of feeling” definiert hatte. Ich denke, dass es sich dabei um einen äußerst produktiven Begriff handelt, der nicht einfach einen allgemeinen “Zeitgeist” meint, sondern zu begreifen versucht, wie sich bestimmte politische und gesellschaftliche Gegebenheiten in den Erfahrungen, Gefühlen und Perspektiven von gesellschaftlichen Gruppen niederschlagen.

Der Film Tomorrow macht manches ganz deutlich und lässt anderes ziemlich offen. Jedenfalls sehen wir eine Gruppe von jungen Leuten, die sich sehr konzentriert auf etwas vorbereiten. In einer weitläufigen Wohnung sind einige dabei zu schneidern, zu entwerfen, zu schweißen; andere schreiben Texte und suchen oder versenden Informationen; wieder andere unterziehen sich einem körperlichen Training. Die subjektive Kamera führt uns durch eine unendlich erscheinende Abfolge von Räumen, in denen Rucksäcke und Zelte gestapelt sind, in denen Vorräte und Lager angelegt sind und inspiziert werden, und nach all den arbeitsteilig organisierten Tätigkeiten Zusammenkünfte stattfinden, bei denen geplant und debattiert wird. Wer dem Film über eine etwas längere Zeit folgt, erkennt, dass man immer wieder dieselben Räume begeht und mit den verschiedenen Gruppen konfrontiert wird, dass aber keine Situation sich exakt wiederholt, sondern in einer potenziell unendlichen Variation zu sehen ist. Dies deutet darauf hin, dass wir nicht nur einen Tag in den Aktivitäten dieser Gruppe mitverfolgen, sondern sie über einen längeren Zeitraum beobachten. Wir spüren auf der einen Seite die höchst konzentrierte und nach Fähigkeiten organisierte Vorbereitung auf eine Handlung, die im Geist und in den Intentionen der Gruppe geschehen soll. Andererseits können wir auch den Eindruck einer in sich geschlossenen Welt gewinnen, in der zwar alles gut durchdacht und strategisch angelegt ist, aber der Moment der Aktion bis in unbestimmte Zeit aufgeschoben bleibt. Genau darin liegt meiner Ansicht nach die Qualität dieses Films. Nämlich in der sehr unmittelbaren Konfrontation mit der Frage: wann geschieht tatsächlich etwas Relevantes bis Entscheidendes, oder wie lange dauert es, bis es eventuell dazu kommt? Diese Frage ist gerade von größter Aktualität, wenn man etwa auf die jüngsten Entwicklungen in Tunesien, Ägypten und Libyen blickt. Die Gleich-zeitigkeit der Revolten in diesen Ländern bzw. der Modellcharakter der einen Bewegung für die andere demonstriert ganz unmittelbar die Macht der Imagination für ein aktuelles Handeln, auch wenn es die Motivation dafür schon seit Jahrzehnten gegeben hätte. Es sind eben nicht nur die realen politischen und Lebensbedingungen, die radikales Handeln herausfordern, sondern die Imagination der Möglichkeit solchen Handelns. Der Film von Eva Engelbert bezieht sich in keiner Weise auf diese jüngsten Ereignisse. Abgesehen davon, dass dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt und aus europäischer Perspektive eher fragwürdig wäre, ist der politische Abstrakti-onsgrad von Tomorrow einfach zu hoch. Wenn man die jungen Leute in diesem Film sieht, die recht eindeutig einem kulturellen oder studentischen Milieu zuzuordnen sind, wie sehr dieses auch politisiert sein mag, kann man aber an eine Ausgangslage denken, die nicht von den politischen Bedingungen, aber von der Form her mit den Initiativen in Nordafrika vergleichbar ist. Als im Herbst 2009 scheinbar ganz plötzlich die Studentenproteste in Wien losgingen und sich auf ganz Österreich und auf andere europäische Länder ausweiteten, war dies einige Wochen zuvor noch nicht im Raum des Möglichen gestanden. Ein anderes “Morgen” nicht nur zu denken, sondern ihm durch sehr konkrete Ereignisse imaginative Kraft des Handelns zu übertragen, ist etwas, das nicht einfach geplant werden kann. Im Film selbst wird ein solcher Moment, der eine Bewegung des Protests oder der Revolte entzündet, nicht sichtbar. Wir haben es hier mit einer politischen Generation zu tun, die sich mit der künstlerischen Kritik allein nicht zufrieden gibt. Da steht mehr im Raum, vielleicht auch Radikales, das – noch nicht – Gestalt angenommen hat. Die gespannte Atmosphäre in Tomorrow erinnert z.B. an das Manifest Der kommende Aufstand des Unsichtbaren Komitees. Als Kunstwerk zielt Tomorrow aber weniger auf unmittelbare Agitation, wie etwa das erwähnte Manifest, sondern auf das genaue Erfassen von Gefühlsstrukturen einer Generation.

(Überarbeitete Fassung der Eröffnungsrede zur Ausstellung von Eva Engelbert in der Galerie 5020 im März 2011)

News from NowhereChristian Kravagna

Die Ausstellung von Eva Engelbert trägt den Titel Tomorrow. Bei näherem Hinsehen handelt sie aber eindeutig vom Heute. Es ist nicht der falsche Titel zur richtigen Ausstellung, um den es mir geht, wenn ich mit diesem scheinbaren Widerspruch beginne. Ich würde darin vielmehr einen Hinweis darauf sehen, dass sich Eva Engelbert in ihren Arbeiten immer wieder mit der Frage beschäftigt, wie verschiedene Gruppen in der unmittelbaren Gegenwart auf unterschiedliche Art und Weise einer bestimmten Herausforderung begegnen. Was das für eine Herausforderung ist, erschließt sich, denke ich, wenn man sich die einzelnen Bilder und Texte in dieser Ausstellung vor Augen führt.

Not Utopia Yet, eine relativ großformatige Beistiftzeichnung, die nichts als die drei Wörter des Titels in geometrisierten Block-buchstaben zeigt, verweist uns gleich am Eingang der Ausstellung auf eine Zukunft, ein anderes Leben, wahrscheinlich eine bessere oder gerechtere Welt, die eben noch nicht verwirklicht ist. Das “Noch nicht” spricht also von einem Jetzt als Zustand des Wartens, der Erwartung, der Hoffnung oder auch der Ungeduld in Bezug auf die Verwirklichung einer Alternative. Andere Arbeiten spezifizieren dann im großen Ausstellungsraum diverse Möglichkeiten, dieses „Noch Nicht“ des anderen Ortes oder anderen Lebens in der Ge-genwart zu praktizieren, wie vorläufig das auch immer sein mag. Neben den fotografischen Arbeiten findet sich hier ein Objekt aus Sperrholz mit dem ausgestanzten Schriftzug “If it ever arrives, I´ll invite you all to my home there”. Mit exakt denselben Maßen wie Not Utopia Yet steht die Sperrholzarbeit mit dem Titel If offensichtlich in direkter Verbindung zu der Bleistiftzeichnung. Sie markiert ein Modell der Sehnsucht in der passiven Version, sie imaginiert ein Ideal von Gemeinschaft (you all) und Gastfreundschaft (I invite you), jedoch in einer beinahe eschatologischen Erwartungshaltung. Stoßen wir hier schon auf eine erste Desillusionierung gegenüber dem offenen utopischen Raum der Zeichnung? Jedenfalls deutet die Tatsache, dass die Sperrholzarbeit auf dem Boden stehend an die Wand gelehnt ist, auf eine weitere inhaltliche Verbindung zu Not Utopia Yet hin, die hier offensichtlich auch räumlich umgesetzt ist. Denn zu jener Zeichnung zitiert Eva Engelbert eine Passage aus einem Buch über utopische Projekte von J.C. Hallman, in welcher von einem Aufnahmeprozess in eine Gemeinschaft die Rede ist, ohne dass der Kontext deutlich würde: “A small pamphlet, titled ‚Not Utopia Yet’, had been left on each of our beds. It lowered expectations...” Die auf dem Boden platzierte Arbeit If hängt also buchstäblich die Erwar-tungen tiefer. Liegt es daran, dass aus einer derart konjunktivischen Formel wie “if it ever arrives...” kaum je ein Realisierungspotenzial zu gewinnen ist?

Zwei Fotografien mit den Titeln Paradies und Prestige zeigen leer stehende bzw. heruntergekommene Geschäftslokale, deren Na-men dem adressierten Konsumenten ein Versprechen machen, das – im Gegensatz zu “if it ever arrives” – augenblicklich einzulösen wäre, im Sinne des individuellen Selbstentwurfs im Rahmen der bestehenden Ordnung des kapitalistischen Systems. Setzt man den desolaten Zustand dieser Geschäfte, der wohl sinnbildlich zu verstehen ist, in Bezug zu anderen Bildern hier in der Ausstellung, dann tut sich – neben der großen Alternative zwischen utopischer Erwartung / Träumerei und konsumistischer Anrufung ein Spektrum an Praxismöglichkeiten auf. Ein Bild zeigt uns kleine Zelte mit Strickleitern, die an einem felsigen Abhang zu kleben scheinen. Sein Titel Robinsons skizziert den Bezugsrahmen des von einem größeren gesellschaftlichen Gefüge losgelösten individuellen oder ge-meinschaftlichen Aussteigerlebens in der Natur. Im Gegensatz zu diesem Modell, das uns an aktuelle Trends des “off-grid living” oder eines “post-consumer lifestyle” erinnert, ohne dabei explizit zu werden, verweist das Bild o.T. (Subversiv) auf eine andere Möglichkeit der aktiven Arbeit an der Aushöhlung von Grundfesten einer gesellschaftlichen Ordnung, mit der man nicht übereinstimmt. Die mit den Bildern Robinsons und o.T. verbundenen Handlungsoptionen entsprechen der klassischen Alternative der praktischen Gesell-schaftskritik in der Moderne. Für das 19. Jahrhundert hat dies etwa Mario Vargas Llosa in seinem Roman Das Paradies ist anderswo sehr plastisch dargelegt, dessen einzelne Kapitel abwechselnd den individualistischen Eskapismus Paul Gauguins, der in der Südsee “als Wilder unter Wilden leben” wollte, und den feministisch-sozialistischen Kampf seiner Großmutter Flora Tristan für eine radikal andere Gesellschaft behandeln. So scharf getrennt voneinander lassen sich die divergierenden Modelle einer politischen oder künstlerischen, kollektiv organisierten oder individualistischen Arbeit am Morgen jedoch nicht mehr begreifen. Darauf geben Eva Engelberts Bilder einige subtile Hinweise, wenn zum Beispiel dem Zurück-zur-Natur-Projekt der Robinsons durch die labile Position der Zelte eine absurde Note beigemengt ist. Vor allem aber, so denke ich, handelt das Bild o.T. mit dem in Versalien geschriebenen Wort “Subversiv” genau von jener Problematik, wenn es die fein säuberlich eingravierte Formel der Radikalität in einen Bezug zur Künstler-Rolle stellt. Das Bild zeigt ja nicht nur den Schriftzug, sondern auch die Spiegelung seiner Fotografin in einem Innenraum – wohl zu lesen als die Künstlerin in ihrem Atelier. Da ich selbst an einer Kunstakademie unterrichte, kann ich mir vorstellen, wie oft im Laufe eines Studiums eine junge Künstlerin – ganz im Unterschied zu den Zeiten Gauguins – mit Vorbildern und Ansprüchen subversiver künstlerischer Praxis konfrontiert ist, während sie zugleich erkennt, wie der Begriff in jedem dritten Pressetext zur diskursiven Formel gerinnt und die als “subversiv” geltende Geste zu einem Diplom mit Auszeichnung oder dem Beginn einer Galerien-Karriere führt. Es reicht natürlich nicht aus, die Problematik der Widersprüchlichkeit kritischer (oder eben “subversiver”) Praxis auf der individuellen Ebene oder der des Kunstsystems anzusiedeln. Man denkt angesichts einer Arbeit wie o.T. auch an neuere Analysen des Verhältnisses von Kritik, alternativen Modellen und der Überlebensfähigkeit des vorherrschenden politisch-ökonomischen Systems, wie sie etwa

Paradies, Pigmentdruck, 45 × 65,5 cm, 2011Prestige, Pigmentdruck, 45 × 65,5 cm, 2011

(Teile einer fortlaufenden Sammlung)If, Seekiefer-Sperrholz, 90 × 128 cm, 2011

o.T., C-Print, 44 × 60 cm, 2011I was here, C-Print, 80 × 100 cm, 2011

Stills aus “Tomorrow”

Tomorrow

Video16’20’’, Loop2011/2012

Ein nicht näher definiertes Kollektiv organisiert sich: In einer unübersichtlichen Räumlichkeit zeichnet man Pläne, konst-ruiert, sprayt, diskutiert, trainiert, verschickt Nachrichten – man bereitet sich auf morgen (“Tomorrow”) vor. Auf die Aktion? Die Revolte? Den Ausstieg? Das im Loop präsentierte Video weist schon innerhalb seiner Dauer Loop-Strukturen auf: Scheinbar Wiederholtes weicht doch von einander ab, Plätze werden beispielsweise getauscht. Wann ist morgen?

Happy Island I, C-Print, 41 × 54,7 cm, 2010

Happy Island

C-Prints, Markierungsnadeln, 2010 (in Zusammenarbeit mit Paula Pfoser)

Neben vermeintlich allgemein gültigen Kartierungen kommt auch das individuelle Mappen aka Urlaubsfotografie nicht aus der Mode: Dank Facebook sehen wir unsere zahlreichen FreundInnen und FreundInnen der FreundInnen zahlreich unter Palmen liegen, die Gipfel stürmen und die Weite der Wüste erkunden. Nach dem Motto “Been there, done that” unterstützt auch das neue Feature “Tripadviser” die öffentlich gemachte Globetrotterei. In alter Tradition stecken wir Na- deln auf die Fotos jener Orte, die andere bereist haben und pinnen die FreundInnen im Sinne der eigenen Raumaneig- nung weg. Zurück bleibt die leere Landschaft: die Wüste, Steppe, das Meer. Aus der Zusammensetzung der benadelten Bilder entsteht eine neue Karte: Projektionsfläche unser aller AussteigerInnenphantasien.

Installationsansicht Lust Gallery Wien

Trockentraining II, C-Print, 80 × 100 cm, 2010Trockentraining III, C-Print, 80 × 100 cm, 2010

Out Door C-Prints, 2010

Die Arbeit reflektiert individuelle Wünsche und Sehnsüchte nach einem Leben abseits der regulierenden Zivilisation. Prekäre Arbeitsverhältnisse, Flexibilität am Arbeitsmarkt, das Credo der Selbstvermarktung, Leistungsdruck und urbane Geschwindigkeit lassen Phantasien eines anderen Lebens entstehen. Utopien, bei denen das Dasein in und mit der Natur als Ideal inszeniert wird. Mit Hilfe von Kulissen werden Szenerien geschaffen, die eine Art von Trockentraining für den

“Ausstieg” darstellen.

Trockentraining I, C-Print, 57 × 70 cm, 2010o.T., C-Print, 57 × 70 cm, 2010WOU (Wildlife Observation Unit), C-Print, 94 × 79 cm, 2010

Robinsons, C-Print, 105 × 130 cm, 2010

Wilderness Storage

diverse Materialien, C-Prints ~ 3 × 5 mInstallation im Rahmen der Ausstellung “The Essence 2010”Künstlerhaus Wien, Juni 2010

Die in der Arbeit “Out Door” verwendeten Kulissenteile werden in der Trennwand eines Ausstellungsraums sichtbar. (Inszenierte) Wildnis wird aufbewahrt.

Installationsansichten Blaue Lagune Vösendorf

An Imaginary Birthday Party

Installation im Rahmen der Ausstellung “Hausstellung” Musterhaus-Siedlung “Blaue Lagune” Vösendorf, November 2009

Das Fertigteil-Haus “New Generation Bungalow” wird seinem Namen entsprechend für eine Kinder-Geburtstagsparty de-koriert. Künstlichkeit trifft auf Künstlichkeit, es entsteht eine eigenartige Mischform aus der Intimität eines privaten Festes, das an Intimität vermissen lässt, und der cleanen Atmosphäre eines zum Verkauf stehenden Musterhauses.

Installationsansichten MAK Wien

Kabinett – ein Rückzugsort

Installation im Rahmen der Ausstellung “The Essence 2007” MAK Wien, Juni 2007

Das Kabinett ist ein Raum von eigenartiger Dimension. Es befindet sich in einem 7 Meter hohen, 3 Meter langen und 1,80 Meter breiten Mauervorsprung, begehbar durch eine schmale, kaum erkennbare Seitentüre. Das Äußere des Kabinetts ist an die weiße, klare Ausstellungsarchitektur angepasst. Das Innere erzeugt durch braune Holzwände, das Licht ei-ner einzelnen Glühbirne, Möbelstücke, Pflanzen und andere Alltagsgegenstände wie Geschirr, Nahrungsmittel, Kleidung, Bücher, Telefon, laufender Fernseher und Radio die Privatheit einer fiktiven, abwesenden Person. Eine Person, die die Wand als Wohnung, Beobachtungsposten und /oder Arbeitsraum nutzt. Zugleich ist an einigen Stellen Konstruktion und Planung des Kabinetts sichtbar gemacht. Sofern vom Besucher entdeckt, erzählt der Raum die Geschichte seiner Bewoh-nerin oder seines Bewohners sowie seiner Entstehung.

Hier wird nur mir Liebe gekocht! – Rezepte und Geschichten aus dem Gemeindebau

ein Buch-Projekt mit BewohnerInnen des SchöpfwerksEva Engelbert, Marlene Hausegger, Tina Oberleitner, Roswitha Weingrill, 2006

Essen ist etwas Alltägliches, ein Ritual, es hält Leib und Seele zusammen, ist grundlegendes Bedürfnis und Genuss gleichermaßen. Vor allem aber hat gemeinsames Essen eine soziale Funktion, ist eine Zeit des Austauschs und der Kommunikation. Ein Jahr lang haben sich die vier Herausgeberinnen ausführlich mit den Ess- und Lebensgewohn-heiten von 20 Familien, allesamt BewohnerInnen der Gemeindebau-Siedlung “Am Schöpfwerk” im 12. Wiener Gemein-debezirk, befasst. Die gesammelten Rezepte, Momentaufnahmen und Lebensgeschichten ergeben ein mit Illustrationen, Zeichnungen, Collagen, Fotografien und Texten gestaltetes Buch, das im Folio-Verlag erschienen ist und am 7. Dezem-ber 2006 im Rahmen des “New Crowned Hope”-Festivals im Künstlerhaus präsentiert wurde.

Eva Engelbert / Marlene Hausegger / Tina Oberleitner / Roswitha WeingrillHier wird nur mit Liebe gekocht! - Rezepte und Geschichten aus dem GemeindebauFolio-Verlag 2006, ISBN 978-3-85256-357-2

Traiskirchen

ein Buch-Projekt von Eva Engelbert, Marlene Hausegger, Tina Oberleitner, Roswitha WeingrillMit einem Vorwort von Marlene Streeruwitz und Beiträgen von Andreas Babler, Karin Blum, Brigitte Hundegger, Anna Jermolaewa, Barbara Kurz und Manucher Zubin Raschidy, 2010

Immer sichtbar. Von allen Seiten ist “Traiskirchen” sichtbar und gerät erst bei der Einfahrt in den Ort Traiskirchen aus dem Blickfeld. Wie dieses “Traiskirchen” als Flüchtlingslager als Lager funktioniert. Wie ein Flüchtling zum Asylwerber oder Asylwerberin durch die Gesetzgebung verdreht nur essen darf, was auf den Tisch kommt und kein Essen auf das Zimmer mitnehmen darf. Wie das Regime im Lager abläuft und wer daran verdient. Wie das Verschwinden des Gebäudes aus dem Blickfeld in Traiskirchen zugleich die Einwanderung des Flüchtlingslagers in das Leben des Orts Traiskirchen bedeutet. Wie die Effizienzwirtschaft das Lager vom Ort endgültig abtrennt und was das Lager in den Leben der Traiskirchner und Traiskirchnerinnen bedeutet. Dass ein betretenes Schweigen das Lager umfängt oder herumgeredet wird, als handle es sich um etwas verboten Schmutziges. Als würde über etwas peinlich Körperliches gesprochen und es wird ja auch gleich Zensur ausgeübt, nachdem dann doch gesprochen wurde. Und. Wie immer geht es darum, dass alles das. Dass alles, was Traiskirchen bedeutet. Dass das gelebt werden muss. Von den Flüchtlingen, die mittlerweile Asylbewerber und Asylbewerberinnen heißen und sich nicht aus dem Bezirk Baden hinausbewegen dürfen. Mittelalterliche Bannung folgt auf die mittelalterliche Ausschließung durch die Zurichtung in einem Lagerleben, das wenig zivilisierte Aspekte an den Bewohnern verstärken wird. Was es bedeutet, wenn das Leben in Traiskirchen im Lager vergeht. Das haben Eva Engelbert, Marlene Hausegger, Tina Oberleitner und Roswitha Weingrill in ihrem Buch “Traiskirchen” eingefangen. Sie haben die Erforschung der Umstände, Gefühle und Wirklichkeiten in diesem Buch niedergelegt. Ein Panorama ergibt sich da, in dem alle rechtens handeln, aber für niemanden und auf keiner Seite ein Zustand von Sicherheit als Voraussetzung für Glück entstehen kann. Es ist die künstlerische Arbeit als Basis dieses Forschungsvorhabens, die es möglich macht, dieses Fehlen der Möglichkeit von Glück zu beschreiben. Staubig und trist. Das ist das Ergebnis für alle. Am Ende geht es vor allem für Traiskirchen staubig und trist aus. Das Konzept des Lagers sickert immer in die Umgebungen ein, weist dieses Buch nach. Und dass wir alle zur Umgebung gehören. Und dass wir daraus Schlüsse ziehen müssen und etwas tun müssen. Gegen den Staub und die Tristesse. Und sei es nur eine kleine Bibliothek, in der die Flüchtlinge sich wenigstens lesend beschäftigen können und nicht in ihren Zimmern sitzend, sich nicht einmal ihre gewohnte Nahrung verschaffend, der Zeit zusehen müssen und wie ihr Leben vergeht. (Text: Marlene Streeruwitz)

Eva Engelbert / Marlene Hausegger / Tina Oberleitner / Roswitha WeingrillTraiskirchen, Metroverlag 2010, ISBN 978-3-99300-015-8

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