heidelberger, m. - natur und erfahrung
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Natur und Erfahrung
Michael Heidelberger
1. Die Legende vom Erfahrungsprinzip
Im 16. und 17. Jahrhundert haben sich die Naturwissenschaften entscheidend gewandelt.
Unsere Kultur hat mit dieser Wandlung eine Richtung eingeschlagen, der sie auch heute noch
folgt. Das naturwissenschaftliche Denken hat seitdem ungeahnte Ausmaße angenommen.
Welche Bedingungen sind es, die diesen Wandel ermöglicht haben?
Als Hauptgrund wird immer wieder die Entdeckung und konsequente Anwendung des
Erfahrungsprinzips genannt: Man meint, dass erst, als man in der Renaissance daran ging, die
Natur zu beobachten und Experimente durchzuführen, echte Naturwissenschaft entstehen
konnte. Das Erfahrungsprinzip habe sich nach dieser Auffassung erst in schwierigem Kampf
durchsetzen müssen gegen die aristotelische und scholastische Philosophie, die an
Spekulation, Dogma und Metaphysik festhielten und nichts von der Erfahrung wissen wollten.
Schaut man sich jedoch die Quellen der in Frage stehenden Epochen näher an, so stellt
man fest, dass diese Erklärung eine Legende ist. Sie ist in zweierlei Hinsicht unrichtig: Es
zeigt sich einerseits, dass auch Aristoteles und die Scholastiker mit Nachdruck vom
Naturforscher den Bezug zur Erfahrung fordern und dass auch schon im Mittelalter
experimentiert wurde. Und auf der anderen Seite wird klar, dass auch die neue
Naturwissenschaft wesentlich von metaphysischen, sogar magischen, Denkweisen und
Überzeugungen her ihren Ausgang nahm und auch späterhin durch sie beeinflusst war.
Einige Texte aus der Zeit sollen dies im Folgenden plausibel machen. Es soll gezeigt
werden, dass nicht erst in der Renaissance die Leistung von Erfahrung für die Wissenschaften
entdeckt worden ist, vielmehr, dass sich die Auffassungen darüber, was Erfahrung, was
Beobachtung und Experiment sind, mit der beginnenden Neuzeit geändert haben¹. Erfahrung
ist nicht eindeutig, sondern hat im Laufe der Geschichte verschiedene Formen, Qualitäten und
Bewertungen angenommen. Während für den aristotelisch-scholastischen Erfahrungsbegriff
die alltägliche Sinneserfahrung bestimmend ist, wird sie in der Renaissance zu einem
Hindernis, das es zu überwinden galt. Der Prozess dieser Überwindung, oder besser: dieser
theoretischen Umformung, entsteht nicht durch Abkehr von metaphysischen Vorstellungen
überhaupt, sondern wird erst durch spezielle metaphysische Annahmen ermöglicht.
2. Die Erfahrung in der aristotelischen und scholastischen Philosophie
In den Schriften des Aristoteles (384-322 v.Chr.) finden sich zahlreiche Hinweise, die seine
angebliche Erfahrungsfeindlichkeit widerlegen. So schreibt er zum Beispiel in «De caelo»
(Über den Himmel), es sei nicht ratsam, «den Beobachtungen … Gewalt anzutun und zu
versuchen, sie den eigenen Theorien und Meinungen anzupassen … und zur Bestätigung nach
der Theorie statt nach den Tatsachen zu sehen».¹ª Jede Erkenntnis hängt nach Aristoteles
letztlich vom Gebrauch unserer Sinne ab. Viele gleiche Sinneswahrnehmungen (z.B. «Dieser
Stein, den ich jetzt loslasse, fällt nach unten zur Erde. Ebenso jener Stein usw.») führen zu
einer «Erinnerung» («Wenn immer ich Steine losgelassen habe, so fielen sie nach unten zur
Erde»). Die Erinnerung schließlich führt zur Erfahrung («Steine fallen senkrecht nach
unten»). Die Erfahrung selbst ist dann der notwendige Ausgangspunkt für die Abstraktion der
allgemeinen Aspekte, d.h., des Wesens der sinnlich wahrgenommenen Erscheinungen («Das
Wesen der Dinge, die aus dem Element Erde sind, ist einmal die ihnen natürliche
Bewegungsart, die immer geradlinig ist und außerdem ihr natürlicher Ort, der Mittelpunkt der
Erde»). Erst diese abstrahierten Begriffe führen, neben anderen Methoden, zum Wissen über
die Natur, d.h. zur Kenntnis der natürlichen Ursachen («die Ursache dafür, dass ein Stein sich
bewegt, wenn man ihn – ohne ihn zu werfen – loslässt, liegt in seinem Bestreben, seinen
natürlichen Ort zu erreichen»). Wir finden diese Lehre des Aristoteles hauptsächlich in seinen
«Analytica posteriora» (Zweite Analytik):
«Die Geschöpfe besitzen von Natur aus die Unterscheidungskraft, die man Wahrnehmen [aisthanomai] nennt.
Aus diesem Wahrnehmungsvermögen entsteht bei manchen Geschöpfen etwas Bleibendes, bei anderen nicht.
Wenn oder sofern nichts Dauerhaftes bleibt, haben solche Geschöpfe keine andere Erkenntnismöglichkeit als das
Wahrnehmen. Wenn es ihnen aber gegeben ist, aus der Wahrnehmung eine bestimmte Spur in der Seele
zurückzubehalten, dann ist, wenn dies öfter vor sich geht, wieder ein Unterschied zu beobachten: Bei den einen
führt die Erinnerung hieran zum Denken, bei den anderen nicht. Aus der Wahrnehmung bildet sich, wie gesagt,
die Erinnerung, aus der Erinnerung, wenn sich derselbe Vorgang öfter wiederholt, die Erfahrung [empeiria]. Die
zahlenmäßig häufigen Erinnerungen führen nämlich zu einer einheitlichen Erfahrung. Aus der Erfahrung oder
aus dem von allen Erinnerungen in der Seele zurückgebliebenen Allgemeinen, das ist das eine neben dem vielen,
was in allen Wahrnehmungen dasselbe blieb, entsteht Können und Wissen; das Können, wenn es sich um die
Erzeugung, das Wissen, wenn es sich um das Sein handelt. Diese Fähigkeiten sind uns nicht fertig angeboren
noch sind sie aus noch erkenntniskräftigeren abgeleitet, sondern sie stammen nur aus der Wahrnehmung» …²
«Es ist einzusehen, dass da, wo eine Wahrnehmung fehlt, auch ein Wissen fortfällt, das man nun nicht mehr
erfassen kann, wenn anders wir durch Erfahrung oder durch Beweis lernen. Nun beruht der Beweis auf
allgemeinen Sätzen, die Erfahrung auf den Teilerkenntnissen. Aber man kann das Allgemeine gar nicht
betrachten, es sei denn durch Erfahrung … Erfahrung aber kann man ohne Wahrnehmung nicht haben. Die
Erfahrung nämlich geht auf das einzelne, und man kann ja das Wissen nicht bekommen, weder aus dem
Allgemeinen ohne Erfahrung noch aus der Erfahrung ohne Wahrnehmung.»³
Die Forderung nach Berücksichtigung der Beobachtung erhebt Aristoteles auch
wiederholt in seinen mehr naturwissenschaftlichen Betrachtungen. In den beiden folgenden
Zitaten betont er, wie wichtig die Erfahrung für die Astronomie und die Biologie ist:
«Es ist Sache der Erfahrung, die Voraussetzungen auf jedem einzelnen Gebiet zu schaffen, z.B. der
astronomischen Erfahrung für die astronomische Wissenschaft. Denn erst nachdem die Erscheinungen
hinlänglich beobachtet waren, fand man daraufhin die Lehrsätze der Astronomie. Ähnlich ist es auf jedem Gebiet
des Könnens und Wissens. Erst wenn die Beobachtungen über jeden einzelnen Gegenstand vorliegen, kann es
unsere Aufgabe sein, die Beweise durchsichtig zu machen. Nur wenn nichts von dem übersehen wird, was die
Forschung an wirklichen Tatsachen herausgebracht hat, werden wir es in der Hand haben, für jeden Gegenstand,
für den es überhaupt einen Beweis gibt, diesen auch zu finden und durchzuführen, und wo es der Natur der
Sache nach keinen Beweis gibt, dies klar zu machen.»4
«Aus Vernunftgründen also scheint die Entwicklung der Bienen in dieser Weise vor sich zu gehen, aber
auch nach dem, was jetzt wirklich an Vorgängen und Tatsachen beobachtet worden ist. Diese sind nur noch nicht
hinreichend bekannt, aber wenn wieder einmal etwas bekannt wird, dann soll man sich auf die Beobachtung
mehr verlassen als auf die Vernunftgründe, auf diese überhaupt nur, wenn sie mit den Erscheinungen im
Einklang sind. Ein Zeichen, dass sie nicht aus Paarung entstehen, ist auch der Umstand, dass die Brut in den
Honigwaben so klein erscheint …»5
Wir können also mit Recht sagen, dass die aristotelische Naturlehre nicht
empiriefeindlich war, sondern im Gegenteil größtes Vertrauen in die Sinneserfahrung setzte
und von ihr ihren Ausgang nahm.
Erfahrung heißt für die aristotelische Philosophie so viel wie alltägliche Erfahrung, die
jeder Mensch unter normalen Bedingungen mit seinen Sinnen machen kann. Die aristotelische
Philosophie wollte vor allem eine Philosophie des gesunden Menschenverstandes sein; daher
ihre große Plausibilität, ihre Anziehungskraft und ihr immenser Erfolg. Im Gegensatz dazu
steht die neuzeitliche Naturwissenschaft, die sich hauptsächlich auf solche Erfahrungen stützt,
die man nur unter nichtalltäglichen Bedingungen gewinnen kann und die erst nach
Verarbeitung dieser künstlichen Erfahrungen zu Erklärungen der Alltagserfahrungen gelangt.
Der Unterschied zwischen den beiden Sehweisen betrifft also hauptsächlich die Bewertung
und die Zulässigkeit von Erfahrungsquellen. Für die aristotelische Physik ist Erfahrung nur
das, was der passive Beobachter an der sich selbst überlassenen Natur wahrnimmt. Wenn der
Mensch aktiv in das Geschehen der Natur eingreift, kann er über die Natur nichts erfahren.
Man sah daher seit der Rezeption des Aristoteles die Mechanik und die mechanischen Künste
im Gegensatz zur Physik als nicht im Einklang mit der Natur, sondern als künstlich erzeugt
und gegen die Natur und ihre organische Ordnung gerichtet. Die Mechanik lehrte demnach
Fertigkeiten, mit deren Hilfe man die Natur manipulieren und überlisten kann. Experimente
im modernen Sinn und Instrumente konnten keinesfalls Prinzipien der inneren Konstitution
der Natur enthüllen. In diesem Sinne äußert sich Aristoteles in der Einleitung zu seinen
«Problemata mechanica» (Mechanische Probleme):
«Verwunderung erregt einerseits, was zwar der Natur gemäß erfolgt, aber hinsichtlich seiner Ursache unbekannt
ist – andererseits das, was gegen die Natur erfolgt und durch die Technik zugunsten der den Menschen eigenen
Bedürfnisse geschieht. In vielen Punkten bewirkt nämlich die Natur das Gegenteil von dem, was uns dienlich ist.
Denn die Natur behält immer ihre eigene Weise, und die ist einfach; was dienlich ist, ändert sich dagegen
vielfältig. Wenn man nun etwas gegen die Natur tun muss, dann bereitet dies, wegen seiner Schwierigkeiten,
eine Aporie und bedarf der Technik. Deswegen bezeichnen wir jenen Teil der Technik, der solchen Aporien
abhilft, als Mechanik. So wie auch der Dichter Antiphon dichtete und es folgendermaßen fasste: <Mit Hilfe der
Technik lasst uns die Oberhand gewinnen, wo wir durch die Natur besiegt werden!> Solcher Art ist das, worin
Kleines Großes bewältigt, und das, was nur einen geringen Anstoß hat, aber große Lasten bewegt, und alles
Verwandte, was wir unter den Problemen als <mechanische> bezeichnen. Es gehört dies zu den physikalischen
Problemen, allerdings nicht ganz, doch ist es auch nicht sehr weit getrennt davon, sondern hat etwas mit den
mathematischen und physikalischen Problemen gemeinsam. Denn das (Kausalverhältnis) <Wie> wird durch die
Mathematik offenkundig, (der Bezug) <Warum> aber durch die Physik. In diese Art von Aporien eingeschlossen
ist (z.B.) das Problem Hebel.» 6
Ein weiterer Unterschied zwischen der aristotelischen und der neuzeitlichen
Naturwissenschaft betrifft das Ziel, das man mit dem Gewinnen von Erfahrung erreichen
möchte. Bei Aristoteles soll die Erfahrung, wie wir schon gesehen haben, letztlich dazu
führen, dass man die Ursache des Erfahrenen erkennt und einsieht, dass diese Ursache für die
erfahrene Tatsache notwendig war. Für die neuzeitliche Naturwissenschaft hingegen dient
Erfahrung vor allem zur Bestätigung oder Widerlegung von Naturgesetzen. Dieser
Überprüfung durch Erfahrung sind die Naturgesetze prinzipiell immer ausgesetzt, während
bei Aristoteles die Erfahrung dann «ausgedient» hat, wenn man einmal die Ursache des
Erfahrenen gefunden und als notwendig erwiesen hat.
Am Anfang seiner «Physica» (Physik) skizziert Aristoteles den Weg zur wahren
Naturerkenntnis als den Übergang vom Alltagswissen zur Einsicht in die Ursachen:
«Auf allen Gebieten, in denen es Grundlagen, Ursachen und Bausteine gibt, ergibt sich das Wissen und
Verstehen aus der Erkenntnis dieser Ursachen, weil wir dann einen Gegenstand zu erkennen glauben, wenn wir
seine ersten Ursachen verstehen und seine ersten Grundlagen bis hin zu den Bausteinen. Daher müssen wir
natürlich auch bei der Naturerkenntnis versuchen, zuerst über die Grundlagen ins reine zu kommen. Der
natürliche Weg führt vor dem uns Bekannteren und vor Augen Liegenden zu dem, was seinem Wesen nach
klarer ist und größeren Erkenntniswert hat. Deshalb muss man den Schüler in der Weise leiten, dass man von
den sachlich noch ungeklärten, uns aber verständlichen Dingen, ausgeht und endet bei den der Natur der Sache
nach klaren und für die Erkenntnis entscheidenden Dingen. Für uns ist zunächst deutlich und sichtbar, was aus
einer Mischung entstanden ist, erst später werden uns daraus die Bausteine ersichtlich und die Grundlagen, wenn
wir jene zergliedern. Mithin muss man vom Gesamteindruck zum Einzelnen fortschreiten, da nach der
Wahrnehmung das Ganze leichter erkennbar ist und der Gesamteindruck ein Ganzes ist, das ja viele Teile in sich
fasst.» 7
Ein weiterer Unterschied zwischen der aristotelischen Naturlehre und der modernen
Physik liegt in der Funktion, die der Mathematik bei der Erfahrung zugewiesen wird. Die
Pythagoräer (Anhänger des Pythagoras, ca. 570-480) hatten gelehrt, dass das Wissen über die
Natur mathematisch sei. Für Plato (427-347 v. Chr.) ist der unvergängliche Bereich der
mathematischen Gebilde in der wahrnehmbaren Welt nirgends perfekt realisiert, aber die
Erscheinungen richten sich wenigstens ungefähr nach ihnen. Die mathematische Form ist
zwar keine Eigenschaft der Dinge, wohl aber ein Mittel zur Erkenntnis der Ideen, deren
unvollkommenes Abbild die wahrnehmbare Welt ist.
Für Aristoteles und das aristotelische Mittelalter hingegen ist die Mathematik kein Mittel
zur Erkenntnis der Natur. Sie ist eine gedankliche Schöpfung des Menschen, die von den
Veränderungen in der Natur abstrahiert. Die Physik hat es aber gerade mit all den
Erscheinungen der Veränderung zu tun, wovon die Bewegung materieller Dinge einen Teil
darstellt. Es kann also durch die Mathematik niemals die Ursache und das Wesen von
Veränderungen herausgefunden werden.
Im folgenden Abschnitt der «Physica» behandelt Aristoteles die Unterschiede zwischen
Mathematik und Physik und setzt sich mit der Ideenlehre Platos auseinander:
«Nachdem dargelegt ist, in wie viel Bedeutungen man von Natur spricht, wäre hiernach zu untersuchen, worin
sich der Mathematiker vom Physiker unterscheide. Denn Ebenen und Rauminhalt haben auch die natürlichen
Körper, ebenso Länge und Punkte, die den Gegenstand der Mathematik bilden. Von dieser ist auch die
Astronomie verschieden, die vielleicht sogar ein Teil der Physik ist… Darüber handelt auch der Mathematiker,
aber nicht, sofern es jedes Mal als Grenze eines natürlichen Körpers gilt, und auch seine Lehrsätze fasst er nicht
so auf, als gälten sie von solchen Körpern. Daher trennt er sie auch davon, er denkt nämlich seine Begriffe von
jeder Bewegung losgelöst, und diese Loslösung ändert nichts an seinen Ergebnissen oder macht sie nicht falsch.
Ohne es zu bemerken, verfahren so auch die Anhänger der Ideenlehre mit den natürlichen Körpern: sie trennen
auch sie ab, obwohl gerade sie weniger abtrennbar sind als die mathematischen. Dies würde man sofort einsehen,
wenn man versuchte, die Begriffe zu bestimmen, sowohl die der Körper selbst als auch die ihrer
Eigenschaften.»8
Und in der «Metaphysica» (Metaphysik) schreibt Aristoteles:
«Wie der Mathematiker das aus Abstraktion Hervorgegangene untersucht, indem er nämlich alles Sinnliche, z.B.
Schwere und Leichtigkeit, Härte und das Gegenteil, ferner Wärme und Kälte und die anderen Gegensätze der
sinnlichen Wahrnehmung, weglässt und nur das Quantitative und das nach einer oder zwei oder drei Richtungen
Kontinuierliche übrig lässt und die Affektionen derselben nicht in einer anderen Beziehung, sondern nur,
insofern sie ein Quantum und ein Kontinuum sind, untersucht und bei einigem die gegenseitigen Lagen und das
an ihnen sich Findende betrachtet, bei anderem die Messbarkeit und Unmessbarkeit, bei anderem die
Verhältnisse, und wie wir dabei doch die Geometrie als eine einzige Wissenschaft von diesem allen und als
dieselbe aufstellen: ebenso verhält es sich auch mit dem Seienden. Denn die Akzidenzien desselben, insofern es
seiend ist, und seine Gegensätze, insofern es seiend ist, zu betrachten, gehört keiner anderen Wissenschaft an als
der Philosophie. Denn der Physik kann man ihre Untersuchung nicht zuteilen, insofern es etwas Seiendes ist,
sondern insofern es teilhat an Bewegung. Die Dialektik und die Sophistik aber gehen zwar auf die Akzidenzien
des Seienden, aber nicht, insofern es Seiendes ist, und nicht auf das Seiende als solches. Also bleibt nur übrig,
dass der Philosoph die genannten Gegenstände, insofern sie Seiendes sind, zu behandeln hat.» 9
Die Auffassung von der Trennung von Mathematik, Physik und Philosophie wirkte sich
auch auf die aristotelische Vorstellung vom Kosmos aus und wurde selbst von ihr beeinflusst.
Alle Dinge und Phänomene auf der Erde sind nach dieser Lehre unvollkommen, veränderlich
und endlich, wohingegen außerhalb der Sphäre des Mondes die vollkommenen
unveränderlichen und ewigen astronomischen Erscheinungen ablaufen. Was dem idealen und
präzisen Charakter der Mathematik höchstens genügen kann, sind demnach die kreisförmigen
und vollkommenen Bewegungen der Gestirne, jedoch nicht die unvollkommenen Ereignisse
auf der Erde, die geradlinig oder aus gerader und kreisförmiger Bewegung gemischt ablaufen.
Mathematische Astronomie ist also möglich, doch keine mathematische Physik. Insbesondere
ist die mathematische Formulierung einer Theorie der Bewegung unsinnig. Bewegungen
physikalisch fassen heißt, ihre qualitativen Kategorien bestimmen: ob sie natürlich,
erzwungen, geradlinig oder kreisförmig usw. sind. Aristoteles beschäftigt sich damit an einer
Stelle seiner Schrift «De caelo» (Über den Himmel), wo er die Existenz eines fünften
Elements, aus dem die Himmelskörper sind, nachzuweisen versucht:
«Alle natürlichen Körper und Grö0ßen, so lehren wir ja, lassen Ortsveränderungen zu, da die Natur für sie
Quelle der Bewegung ist. Jede Ortsveränderung jedoch, die so genannte Bahn, ist entweder geradlinig oder
kreisförmig oder aus beiden gemischt; einfach sind ja nur diese beiden, die Gerade un die Kreislinie.
Kreisförmig ist eine Linie, die die Mitte umschließt, gerade die, die nach oben und unten verläuft. <Nach oben>
bedeutet von der Mitte fort, <nach unten> zur Mitte hin. Daher muss jede einfache Bahn entweder von der Mitte
fort oder zur Mitte hin oder um die Mitte herum führen. Und dieses Ergebnis passt anscheinend vortrefflich zu
unserem Ausgangspunkt, da nun der Körper wie seine Bewegung sich in drei Möglichkeiten vollendet. Da von
den Körpern die einen einfach sind, die anderen aus diesen zusammengesetzt – einfach heißen die, die eine
natürliche Bewegungsquelle in sich tragen, wie Feuer und Erde und deren Abarten und Verwandte -, so müssen
auch die Bewegungen teils einfach, teils irgendwie zusammengesetzt sein, und zwar die der einfachen Körper
einfach, gemischt dagegen die der zusammengesetzten, wobei das Übergewicht für die Bewegung entscheidet.
Wenn es nun eine einfache Bewegung gibt und die Kreisbewegung dazugehört und wenn zum einfachen Körper
die einfache Bewegung gehört und die einfache Bewegung zum einfachen Körper – bei einem
zusammengesetzten würde ja das Übergewicht entscheiden -, so muss es einen einfachen Körper geben, der
seinem eigensten Wesen gemäß die Kreisbewegung ausführt … »
«Hieraus wird deutlich, dass die Natur noch einen wesentlich von den uns bekannten Stoffen verschiedenen
Körper kennt, der göttlicher und ranghöher ist als sie alle. Dies auch, wenn man noch hinzunimmt, dass jede
Bewegung entweder naturgemäß oder naturwidrig sein muss und dass die, die beim einen naturwidrig ist, bei
einem andern naturgemäß sein muss, wie es den Bewegungen nach oben und unten ergeht: die eine ist für das
Feuer, die andere für die Erde naturwidrig und naturgemäß. Auch die Kreisbahn müsste also, wenn sie für diese
Stoffe naturwidrig ist, für irgendeinen andern naturgemäß sein. Wenn zudem die Kreisbahn für etwas natürlich
ist, dann muss es offenbar unter den einfachen Urstoffen einen geben, der genauso natürlich die Kreisbewegung
ausführt, wie Feuer nach oben, Erde nach unten strebt.» 10
3. Die Vorbereitung des Umbruchs durch die Spätscholastik
Die aristotelische Physik bildet ein kohärentes und in sich schlüssiges System. Sie kann mit
allen Wahrnehmungen, wenn man sie auf aristotelische Weise formuliert, in Einklang
gebracht werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Schwierigkeiten für die
aristotelische Physik gegeben hätte.
Eine der größten Schwierigkeiten, mit denen sich viele Denker des Mittelalters
auseinandersetzten, betraf die Erklärung des Wurfes. Nach Aristoteles ist der Wurf eine
erzwungene, künstliche Bewegung, im Gegensatz zur naturgemäßen kreisförmigen Bewegung
der Himmelskörper und der natürlichen geradlinigen Aufwärts- bzw. Abwärtsbewegung der
vier irdischen Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde. Jede Bewegung braucht nach der
aristotelischen Auffassung eine äußere bewegende Kraft, die während des ganzen
Bewegungsablaufs auf das Bewegte einwirkt. («Quidquid movetur ab alio movetur.» Was
immer sich bewegt, wird von einem anderen bewegt.) Nimmt man diese äußere Kraft weg, so
endet die Bewegung. Aristoteles hat sich nicht eindeutig dazu geäußert, welche äußere Kraft
auf die natürliche geradlinige Bewegung wirkt. Manche Stellen lassen vermuten, dass in
diesem Falle das Gewicht als wirkende Kraft gesehen wird.
Da äußere Kräfte nur durch direkten Kontakt übertragen werden können, kann ein Körper
im Wurf nur gestoßen oder gezogen werden. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass ein geworfener
Körper sich weiterbewegt, auch wenn er die Hand des Werfers verlassen hat. In der
aristotelischen Philosophie wird das Problem dadurch gelöst, dass man sagt, der Werfer wirke
durch seine Wurfbewegung auf die Luft ein, die ihrerseits den geworfenen Körper
weiterbewegt. So schreibt Aristoteles in der «Physica» (Physik):
«Es wird gut sein, bei den Wurfbewegungen zunächst eine Schwierigkeit zu besprechen. Wenn nämlich alles
Bewegte von etwas bewegt wird, soweit es nicht von sich selbst bewegt wird, wie kann dann in manchen Fällen
ein Körper sich stetig weiterbewegen, ohne dass derjenige ihn noch berührt, der ihn in Gang gebracht hat? Zum
Beispiel beim Wurf. Wenn aber der Werfende noch eine andere Bewegung verursacht hat, z.B. die der Luft, die
dann als Werkzeug weiterbewegt, dann ist das ebenso unmöglich, dass nämlich diese sich weiterbewegt, ohne
dass der erste, werfend, sie noch berührt und bewegt. Es müsste doch alles zugleich sich bewegen und mit der
Bewegung aufhören, sobald der erste mit seiner Bewegung aufhört, auch dann, wenn er es so macht wie der
Magnet, der zum Magneten macht, und so zum Beweger macht, was er bewegt hat. Hier muss man folgendes
sagen, dass der erste Beweger die Luft oder das Wasser instand setzt, weiterzubewegen, oder auch sonst ein
Mittel, das seiner Natur nach bewegen oder bewegt werden kann. Aber er hört nicht zu gleicher Zeit auf, sich zu
bewegen und zu bewegen, vielmehr hört der Beweger nur auf, sich zu bewegen, wenn er mit der Wurfbewegung
aufhört, aber Beweger ist er immer noch. Deswegen wird auch ein anderes Glied der Reihe bewegt, und bei
diesem ist es auch wieder so. Die Bewegung hört erst auf, wenn im Nachbarglied die Kraft zur Bewegung
nachlässt. Schließlich hört die ganze Bewegung auf, wenn ein Glied das nächste nicht mehr bewegend machen
kann, sondern nur noch bewegt. In dem Fall hört dann alles zugleich auf, der Beweger, das Bewegte und die
ganze Bewegung.» 11
Gegen diese Theorie wurden schon früh Einwände erhoben: Man sah es einerseits als
unwahrscheinlich an, dass z.B. ein gegen den Wind fliegender Pfeil oder ein Mühlstein, der
sich nach dem Wegfall seines Antriebs noch bewegt, vom Wind weiterbewegt werden.
Darüber hinaus konnte man nicht verstehen, dass die Luft neben ihrer Rolle als Beweger von
Dingen gleichzeitig diesen Dingen einen Widerstand entgegensetzen kann. Im 6. Jahrhundert
wurde von Johannes Philoponos eine neue Theorie, die später so genannte «Impetus-Theorie»
entwickelt, die davon ausging, dass der Werfer dem geworfenen Ding eine Kraft, einen
Schwung (impetus) einverleibt, der sich selbständig während des Fluges verringert.
Die geistige Beschäftigung mit diesen und anderen physikalischen Problemen wurde im
12. Jahrhundert auch durch arabische, griechische, lateinische und jüdische Quellen
beeinflusst, die damals in großer Zahl neu entdeckt wurden. Besonders William Ockham
(1284-1349), Thomas Bradwardine (gest. 1349), Jean Buridan (gest. nach 1358) und Nicole
d’Oresme (ca. 1325-1382) entwickelten die Kritik an der aristotelischen Kinematik weiter.
Jean Buridan hat eine Impetus-Theorie detailliert ausgearbeitet. In seinem Kommentar zur
Physik des Aristoteles «Quaestiones super Octo Libros Physicorum» heißt es:
«Darum scheint mir, wir müssen schließen, dass ein Beweger, wenn er einen Körper bewegt, diesem einen
bestimmten Impetus aufdrückt, eine bestimmte Kraft, die diesen Körper in der Richtung weiterzubewegen
vermag, die ihm der Beweger gegeben hat, sei es nach oben, nach unten, seitwärts oder im Kreis. Der mitgeteilte
Impetus ist in dem gleichen Maße kraftvoller, je größer der Aufwand an Kraft ist, mit dem der Beweger dem
Körper Geschwindigkeit verleiht. Durch diesen Impetus wird der Stein weiterbewegt, nachdem der Werfer
aufgehört hat, ihn zu bewegen. Aber wegen des Widerstandes der Luft und auch der Schwerkraft des Steins, die
ihn ständig in eine dem Streben des Impetus entgegen gesetzte Richtung zwingen möchte, wird der Impetus
immer schwächer. Darum muss die Bewegung des Steines allmählich immer langsamer werden. Schließlich ist
der Impetus so weit geschwächt oder vernichtet, dass die Schwerkraft des Steines überwiegt und den Stein
abwärts zu seinem natürlichen Ort bewegt.
Man kann, glaube ich, diese Erklärung akzeptieren, weil die anderen Erklärungen nicht richtig zu sein
scheinen, während alle Phänomene mit dieser übereinstimmen. Denn wenn man fragt, warum ich einen Stein
weiter werfen kann als eine Feder und warum ein Stück Blei oder Eisen der Hand genehmer ist als ein Stückchen
Holz gleicher Größe, so sage ich: Der Grund liegt darin, dass in der Materie und durch sie alle Formen und
natürlichen Neigungen aufgenommen sind. Je größer also die Masse an Materie ist, die der Körper enthält, desto
mehr an Impetus kann er aufnehmen und desto größer ist die Intensität, mit der er ihn aufnehmen kann. Nun ist
in einem dichten, schweren Körper mehr materia prima enthalten als in einem lockeren, leichten, auch wenn
alles andere übereinstimmt. Darum empfängt ein dichter, schwerer Körper mehr Impetus und nimmt ihn mit
größerer Intensität auf [als ein lockerer, leichter Körper]. Gleicherweise kann eine bestimmte Masse Eisen mehr
Hitze aufnehmen als die gleiche Menge Holz oder Wasser. Eine Feder bekommt einen so schwachen Impetus,
dass dieser alsbald vom Luftwiderstand zerstört wird; wenn man ein leichtes Stück Holz und ein schweres Stück
Eisen von gleicher Größe und Gestalt mit gleicher Geschwindigkeit wirft, so wird das Stück Eisen weiter
fliegen, weil der ihm verliehene Impetus stärker ist und nicht so schnell abnimmt wie der schwächere Impetus.
Aus dem gleichen Grunde ist es schwerer, ein großes Mühlrad mit großer Drehgeschwindigkeit zum Halten zu
bringen als ein kleineres Rad. Auch wenn alles übrige gleich ist, hat doch das grö0pere Rad mehr Impetus als das
kleinere. Und darum kann man auch einen Stein von einem oder einem halben Pfund Gewicht weiter werfen, als
den tausendsten Teil dieses Steines. In diesem Tausendstel ist der Impetus so gering, dass er sehr schnell vom
Luftwiderstand ausgelöscht wird.
Darin scheint mir auch der Grund zu liegen, weshalb der natürliche Fall schwerer Körper eine ständige
Beschleunigung erfährt. Zu Beginn des Falles bewegte allein die Schwerkraft den Körper: er fiel langsamer.
Aber im Verlauf des Bewegens teilte diese Schwerkraft dem schweren Körper einen Impetus mit, der zugleich
mit der Schwerkraft den Körper bewegt. Daher wird die Bewegung schneller, und in dem Maße, wie sie
schneller wird, wächst der Impetus. Es ist offensichtlich, dass die Bewegung stetig beschleunigt wird.
Jeder, der weit springen will, nimmt einen langen Anlauf, damit er schneller laufen und dadurch einen
Impetus gewinnen kann, der ihn beim Sprung eine lange Strecke trägt. Im Laufen und Springen fühlt er sich
keineswegs von der Luft bewegt; er empfindet vielmehr die Luft vor sich als starken Widerstand.
Nirgendwo findet man in der Bibel, dass es Intelligenzen gibt, die beauftragt sind, den Himmelskörpern die
ihnen eigenen Bewegungen mitzuteilen; also ist es zulässig, zu zeigen, dass die Annahme solcher Intelligenzen
durchaus nicht notwendig ist. Man könnte wohl sagen, dass Gott, als er das Weltall erschuf, jeden
Himmelskörper nach seinem Gefallen in Bewegung setzte, indem er jedem einen Impetus mitgab, der ihn seither
bewegt. Gott braucht diese Himmelskörper darum jetzt nicht mehr zu bewegen, abgesehen von seinem
allwaltenden Einfluss, der das Zusammenspiel aller Phänomene bewirkt. Also konnte er am siebten Tage
ausruhen von dem vollbrachten Werk und die Geschöpfe ihren wechselseitigen Ursachen und Wirkungen
überlassen. Dieser Impetus, der Gott den Himmelskörpern verlieht, ist im Laufe der Zeit weder abgeschwächt
noch ausgelöscht worden, weil in Himmelskörpern keinerlei Neigung zu anderen Bewegungen besteht und weil
kein Widerstand da ist, der den Impetus verschlechtern oder behindern könnte. Ich möchte all das nicht als
Gewissheit hinstellen; wohl aber möchte ich die Theologen bitten, mich zu belehren, wie diese Dinge vor sich
gehen können.» 12
Oresme ging noch einen Schritt weiter. Er beschäftigte sich mit der Frage, ob eine
Bewegung der Erde selbst denkbar sei. Er behandelte alle damals bekannten Einwände gegen
eine solche Auffassung. Auf Befehl des französischen Königs Charles V., der von 1364-80
regierte, übersetzte Oresme neben anderen Aristoteles-Schriften auch «De caelo» (Über den
Himmel) ins Französische und verfasste einen ausführlichen Kommentar dazu. In diesem
«Livre du Ciel et du Monde» (Buch über den Himmel und die Welt) von 1377 zeigt Oresme,
dass Bewegungen relativ sind und nicht absolut, wie sich aus der aristotelischen Philosophie
ergibt. Daraus folgert er dann die Möglichkeit der Erdbewegung.
«Ich nehme an, Ortsbewegung kann nur insoweit beobachtet werden, als ein Körper seine Position in Bezug auf
einen anderen Körper ändert. Also, wenn ein Mensch sich in Boot A befindet, das sich gleichmäßig, schnell oder
langsam bewegt, und er kann nichts um sich herum sehen außer einem zweiten Boot B, das sich in genau
derselben Weise bewegt wie Boot A, so sage ich, diesem Menschen wird es schienen, als ob sich keines der
Boote bewege. Wenn A in Ruhe ist und B in Bewegung, wird es ihm scheinen, als bewege sich B; wenn A in
Bewegung ist und B in Ruhe, wird es für ihn genauso aussehen: dass B sich bewegt. Ebenfalls, wenn A eine
Stunde lang ruhig liegt, während B sich bewegt, dann für die nächste Stunde das Umgekehrte eintritt, dass A sich
bewegt und B in Ruhe bleibt, so kann dieser Mensch unmöglich den Wechsel, die Veränderung bemerken; es
wird ihm vielmehr scheinen, als ob B sich die ganze Zeit bewege. Das ist eine Erfahrungstatsache. Uns scheint
es so, als ob der Ort, an dem wir uns befinden, immer in Ruhe und der andere immer in Bewegung sei, genauso
wie ein Mensch in einem fahrenden Boot meint, dass die Bäume draußen sich bewegen. Wenn sich nun ein
Mensch im Himmelsgewölbe befände und sich im regelmäßigen Tagesrhythmus bewegte, so müsste ihm
scheinen, dass die Erde die tägliche Bewegung ausführe, so wie sich für uns auf der Erde das Himmelsgewölbe
zu drehen scheint. Wenn sich entsprechend die Erde in täglicher Drehung bewegt und das Himmelsgewölbe
nicht, dann glauben wir die Erde in Ruhe und das Himmelsgewölbe in Bewegung. Jede intelligente Person kann
sich das vorstellen.» 13
Mehr als die bloße Möglichkeit einer täglichen Drehung der Erde um ihre Achse wollte
Oresme aber nicht annehmen. Die Denkbarkeit reicht ihm als Beweis für das tatsächliche
Vorliegen der Erdbewegung nicht aus. Bradwardine war der ersten, der in seinem «Tractatus
proportionum» (Abhandlung über die Proportionen) von 1328 eine Art algebraischer Funktion
zur Beschreibung der Bewegung benutzte. Für die aristotelische Bewegungslehre war die
Geschwindigkeit v eines Körpers direkt proportional der bewegenden Kraft f und umgekehrt
proportional dem Widerstand r des Mediums, in dem sich der Körper bewegt; also v = kf/r,
wenn man es modern ausdrücken will und k als eine Konstante nimmt. Bradwardine überlegte
sich, dass, wenn die Kraft so groß ist wie der Widerstand, die Geschwindigkeit des Körpers
null sein müsste und nicht eine endliche Zahl, wie sich aus der aristotelischen Theorie ergibt.
Aus diesem Grunde formulierte er eine Art von logarithmischem Bewegungsgesetz, das in
moderner Formulierung v = k log f/r lautet. Wenn f = r, dann ist log f/r = 0, also v = 0, der
Körper bleibt also in Ruhe.
Schon im 12. Jahrhundert hatte Avempace (= Ibn Bajja, Ende 11. Jahrhundert – 1138/39)
ein anderes Gesetz entworfen, nach dem v = k (f – r) ist. Er wollte damit erklären, dass sich
die Himmelskörper mit endlicher und relativ geringer Geschwindigkeit bewegen, obwohl sich
ihnen, da ihre Bewegung vollkommen und unvergänglich ist, kein Widerstand entgegensetzt.
Nach dem aristotelischen Gesetz ist ein Vakuum unmöglich, weil die Geschwindigkeit eines
Körpers unendlich groß, also instantan, sein müsste, wenn r = 0. Mit Avempaces Formel wird
die Bewegung im Vakuum zumindest theoretisch vorstellbar, denn wenn r = 0, dann ist v = k
f, also endlich groß. Thomas von Aquin (1225-1274), Roger Bacon (1214-1292), Duns Scotus
(1275-1308) und andere Philosophen und Theologen des 13. Jahrhunderts schlossen sich
seiner Theorie an, ebenso noch Galilei in seinem Frühwerk.
Robert Grosseteste (1168-1253), erster Kanzler der Universität Oxford, beschäftigte sich
philosophisch mit dem Verhältnis von Theorie und Erfahrung. Er übersetzte als einer der
ersten die «Analytica posteriora» (Zweite Analytik), die wichtigste Quelle für die
Erkenntnistheorie des Aristoteles, aus dem Griechischen ins Lateinische. In seiner
systematischen Methodenlehre unterscheidet Grosseteste in Weiterführung der aristotelischen
Gedanken der «Zweiten Analytik» eine Art induktiver und deduktiver Methode in der
Naturwissenschaft: Die Objekte der Sinneswahrnehmung, die zusammengesetzt sind, werden
mit der induktiven Methode (resolutio, d.h. Zerlegung) in ihre Ursachen (im aristotelischen
Sinn) zerlegt. In der composition (d.h. Zusammensetzung) werden umgekehrt die Fakten aus
ihren Ursachen abgeleitet. Wenn durch diesen Prozess die Grundprinzipien aussortiert,
beschrieben und klassifiziert sind, kann der Verstand in einer Intuition eine oder mehrere
Theorien aufstellen. Grosseteste war der erste, der nun vorschlug, die wahrscheinlichste
Theorie durch experimentelle Verifikation und Falsifikation auszuwählen. Er ging dabei aus
vom Prinzip der Uniformität der Natur, nach dem gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben,
und vom Prinzip der Sparsamkeit, dass nämlich alle Vorgänge der Natur auf die kürzest
mögliche Weise ablaufen. Er schlug auch vor, in der compositio nicht nur die schon
bekannten Tatsachen, sondern auch neue, noch nicht bekannte, abzuleiten.
Im Folgenden beschreibt Grosseteste eine Anwendung seiner Methoden auf ein
medizinisches Problem, die Wirkung eines pflanzlichen Abführmittels, der Purgierwinde
(Convolvulus scammonia). Da diese Pflanze nur im Mittelmeerraum vorkommt, wird er wohl
doch nur aus antiken Quellen davon erfahren haben:
«Auf diese Weise also wird der abstrakte Allgemeinbegriff aus den Einzeldingen mit Hilfe der Sinne gefunden
… Denn wenn die Sinne mehrmals zwei Einzelereignisse bemerken, von denen eines die Ursache des andern ist
oder doch in irgendeinem Verhältnis zu ihm steht, und sie sehen nicht die Beziehung beider zueinander – wie es
z.B. der Fall ist, wenn jemand häufig feststellt, dass der Genuss von Scammonium mit der Ausscheidung von
Gallenflüssigkeit verbunden ist, aber nicht sieht, dass das Scammonium Galle anzieht und abführt -, dann
beginnt sich in ihm ein Drittes, Nichtwahrnehmbares zu formen, dass nämlich Scammonium die Ursache der
Ausscheidung von Gallenflüssigkeit ist. Und erst wenn dieser Vorgang oft genug wiederholt und im Gedächtnis
aufgespeichert ist, beginnt die Arbeit des Denkens als Folge der sinnlichen Wahrnehmungen, aus denen die
Vorstellung sich aufbaut. Der Verstand fängt an zu fragen und zu bedenken, ob die Dinge wirklich so sind, wie
die sinnlich bedingte Erinnerung sagt; so wird der Verstand zum Experiment geführt, indem er nämlich
Scammonium zurückbehalten muss, nachdem alle andern Galle abführenden Ursachen isoliert und
ausgeschlossen sind. Hat er das viele Male getan mit dem sicheren Ausschluss aller anderen Galle abführenden
Mittel, dann formt sich im Verstande ein Allgemeinurteil: Es gehört zum Wesen des Scammonium, Galle
abzuführen. Das ist der Weg, von der Sinneswahrnehmung zu einem universalen, experimentell belegten Prinzip
zu kommen.»14
Grosseteste und die Oxforder Schule lehrten außerdem im neuplatonischen und
augustinischen Geiste, dass die Natur nur durch Mathematik erkannt werden könne. Die
körperliche Form der Welt entstehe aus Licht, das Gott als das ursprüngliche und
ungeschaffene Licht in verschiedener Form aussendet. Die Gesetze dieser Strahlung, der so
genannten «Multiplikation der Species» oder «Emanation», sind geometrischer Natur, so dass
also die ganze Natur geometrisch aufgebaut sein muss. In der Optik wurden auch die ersten
Experimente (im modernen Sinn) durchgeführt. Grosseteste wandte seine Methodenlehre auf
das Phänomen des Regenbogens an. Er fand als Ursache die Brechung des Sonnenlichts an
der Wolke, die wie eine große sphärische Linse wirken solle. Er hat dann auch tatsächlich
seine Theorie durch Untersuchung von Brechungen und Reflexionen des Lichts an
sphärischen Linsen zu stützen versucht.
Roger Bacon (ca. 1214-1292), der bedeutendste Schüler Grossetestes, versuchte ebenfalls
den Regenbogen zu erklären und sah in Gemeinsamkeit von mathematischen und
experimentellen Methoden den Schlüssel für die Naturwissenschaft, wie aus einem «Opus
Maius» hervorgeht:
«Es gibt zwei Erkenntniswege, das Argument und das Experiment. Das erste zieht Vernunftschlüsse und
veranlasst, den Konklusionen beizupflichten, gibt aber keine Sicherheit und entfernt den Zweifel nicht so weit,
dass der Geist in der Anschauung der Wahrheit befriedigt wäre. Dies ist nur der Fall, wenn die Wahrheit durch
die Erfahrung bestätigt ist. So muss also die Naturwissenschaft auf der Erfahrung beruhen; ohne sie kann man
nichts sicher wissen. Unter den Theologen und Philosophen ist beispielsweise die Ansicht verbreitet, dass der
Diamant nur im Bocksblute gebrochen werden könne. Aber nirgends besteht darüber eine Erfahrungstatsache,
denn er kann auch ohne solches Blut gebrochen werden, wie ich selbst mit eigenen Augen gesehen habe…»
«Es ist unmöglich, ohne Mathematik zu einer richtigen Erkenntnis über die Dinge der Welt zu gelangen. Von
der Astronomie ist dies an sich klar. Zahl und Größe der Gestirne, ihre Form, Entfernung und Bewegung
unterliegen mathematischen Gesetzen, die wir in Tafeln und Kanons niederlegen. Aber auch die Vorgänge hier
auf Erden bedürfen zu ihrer Erforschung dieser Wissenschaft. Denn jedes Ding wirkt durch die Kräfte, die in
ihm liegen und dies nach Linien, Winkeln und Figuren.»15
Neben der naturwissenschaftlichen Methodenlehre und der Wurf- bzw. Bewegungstheorie
wurde im Mittelalter auch der Geltungsanspruch der Naturwissenschaft ausgiebig diskutiert.
Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wurde es immer schwieriger, die (im Laufe der letzten
hundert Jahre ins Latein übersetzten) naturphilosophischen Schriften des Aristoteles mit den
theologischen Lehrmeinungen zu vereinbaren. An den Universitäten von Oxford und Paris
(mit Bologna die ältesten Universitäten überhaupt) verfolgten die Theologen mit Misstrauen
die Überlegungen ihrer Philosophen-Kollegen. Sie kritisierten u.a. die aristotelischen
Lehrmeinungen, dass die Welt ohne Anfang und Ende sei und Materie und Bewegung ewig
dauerten; dass eine Eigenschaft (Akzidens) nie ohne ihren Träger (die Substanz) existieren
könne; dass die Seele die Form des Körpers sei und mit diesem sterbe und dass schließlich die
Vorgänge in der Natur mit Notwendigkeit ablaufen. Diese letztgenannte Lehre von der
inneren Zwangsläufigkeit der Natur, auf Grund deren ein Rückschluss von der Wirkung auf
deren Ursache nicht bloß empirisch verbürgt, sondern sogar logisch notwendig ist, stand nach
Ansicht der Theologen im Widerspruch zur Allmacht Gottes, die jederzeit den Gang der
Natur ändern und gegen die Naturnotwendigkeiten verstoßen könne.
Auf philosophischer Seite wurde die extremste Position von Siger von Brabant (ca. 1240-
1282) und den lateinischen Averroisten (so genant nach dem damals einflussreichsten
Aristoteles-Kommentator Averroes = Ibn Ruschd, 1126-1198) vertreten. Sie waren der
Ansicht, man müsse die natürliche Vernunft und die aristotelische Philosophie unabhängig
von der Offenbarung zu Ende denken. Es könne sogar philosophische Behauptungen geben,
die dem Glauben widersprechen und die man durch die natürliche Vernunft nicht widerlegen
könne. Diese Haltung brauchte ihnen den Vorwurf ein, sie würden eine «doppelte Wahrheit»
(duplex veritas) vertreten, dass nämlich in der Theologie falsch sein könne, was für die
natürliche Vernunft wahr ist und umgekehrt.
Die theologische Opposition gegen die Ansprüche der Philosophie erreichte ihren
Höhepunkt, als 1277 die Bischöfe von Paris und Canterbury wesentliche Aspekte der
aristotelischen Naturphilosophie verdammten, darunter auch die oben genannten Lehren. Erst
später, in Padua, im 15. Jahrhundert konnte sich der Averroismus wieder durchsetzen und bis
ins 17. Jahrhundert halten. In Padua, das damals zur toleranten venezianischen Republik
gehörte, studierte auch Copernicus (1473-1543), der Schöpfer der heliozentrischen Theorie.
Auch in Padua betonte der Averroismus die Eigenständigkeit der natürlichen menschlichen
Vernunft gegenüber der Theologie.
Die Verdammung von 1277 wirkte nachhaltig und tief greifend. Wenn die Wahrheit und
Sicherheit des Glaubens immer höher zu stellen ist als die Einsicht der natürlichen Vernunft,
dann muss der Wahrheits- und Beweisanspruch der aristotelischen Philosophie geringer sein,
als Aristoteles es selbst gelehrt hat. Diese Konsequenz zogen die Scholastiker des 14.
Jahrhunderts, allen voran William Ockham (1284-1349), der wichtigste Vertreter des so
genannten Nominalismus. Er verneinte eine logisch notwendige Verbindung zwischen einer
Ursache und ihrer Wirkung, denn Gott könne auf eine Ursache auch eine andere Wirkung
folgen lassen oder die Wirkung könne durch Gottes Macht auch ohne eine Ursache eintreten.
Die Einsicht wurde dann verallgemeinert: von der Existenz irgendeines Dinges oder Vorgangs
kann man nicht auf die Existenz eines andern Dings oder Vorgangs schließen. Deshalb ist die
ganze Naturphilosophie nicht so beweiskräftig wie die auf dem Glauben und der
Heilsgewissheit beruhende Theologie und kann nur so viel behaupten, wie ihr in der direkten
Wahrnehmung an empirischen Einzelfakten gegeben ist. Das naturwissenschaftliche Wissen
als Wissen um die Ursachen und das Wesen der Dinge ist nur wahrscheinlich, aber nie sicher;
die Sicherheit (certitudo) des Glaubens steht über der Wahrscheinlichkeit (probalilitas) der
Physik.
Für die Naturwissenschaften wurden diese Lehren folgenreich. Wenn alles nur
wahrscheinlich ist und Gott auch gegen die Vernunft Dinge bewerkstelligen kann, dann sind
andere Theorien über die Welt, die der strengen aristotelischen Naturphilosophie
zuwiderlaufen und solange sie mit den theologischen Wahrheiten vereinbar sind, auch nicht
unwahrscheinlich und deshalb ebenso diskutierwürdig. Viele Philosophen, die diese Haltung
einnahmen, überlegten sich nun neue Theorien, z.B. über die Möglichkeit des Vakuums, über
Wurf und Bewegung, über Raum und Zeit, über die Möglichkeit der Erdbewegung (z.B.
Oresme, s. S. 44), über die Veränderung von Qualitäten u.ä.. Diese Theorien standen oft in
direktem Widerspruch zu aristotelischen Lehren. Man verneinte auch zunehmend die Existenz
von geheimen Kräften und Wesen als unbeweisbaren und unnützen Ballast, wie z.B. Buridan
die Existenz von irgendwelchen planetenbewegenden Intelligenzen verworfen hat (s. S. 42).
Da man über die tatsächliche Gültigkeit dieser alternativen Theorien sowieso nicht das letzte
Wort sprechen zu können glaubte, fand man es nur wichtig, in der Argumentation
widerspruchsfrei zu bleiben und kümmerte sich nicht um den tatsächlichen Realitätsgehalt.
Diese Entwicklung hat sicher für die Naturwissenschaften neue und wichtige Denkwege
eröffnet16; es wurde vermehrt über das Verhältnis von Theorie und Mathematik zur Erfahrung
nachgedacht, und es entstanden schwerwiegende Alternativen zu Aristoteles. Aber erst die
realistische Einstellung, d.h., die Überzeugung, dass die Naturwissenschaft die tatsächlichen
und wirklichen Gesetzmäßigkeiten der Natur findet und Wahres übe die Natur sagen kann, hat
dann in der wissenschaftlichen Revolution der Renaissance und der frühen Neuzeit zur
Ablösung der aristotelisch-scholastischen Weltsicht durch die einer neuen Wissenschaft
geführt.
4. Elemente des neuzeitlichen Erfahrungsbegriffs
In der Renaissance erhält die physische Wirklichkeit für den Menschen neue
Erlebnisqualitäten. Der Stellenwert der Naturerfahrung und des auf ihr aufbauenden Wissens
wird nicht mehr im umfassenden Zusammenhang mit der fest gefügten Philosophie und
Theologie bestimmt, sondern der Mensch geht von der intuitiven Sicherheit aus, die er als
Subjekt in seinem eigenen Gefühl und sozialen Leben findet.
Die neugewonnene Freude an den eigenen Sinnen und das starke Selbstbewusstsein im
eigenen Handeln führen zu einer Blüte der Kunst und Technik. Die Konstruktionsprinzipien,
die dabei zur Anwendung kommen, fördern das Bemühen um die mathematische Struktur der
Natur. Die platonische Tradition, die dabei eine Rolle spielte, förderte auch die erkenntnis-
theoretische Kritik an der traditionellen aristotelischen Zweiteilung des Kosmos, an der
unterschiedlichen Sicht von natürlichen und künstlichen Vorgängen und an der noch scharfen
Trennung von Mathematik und Physik.
Die Dimensionen der Natur erweitern sich: neue Länder werden bekannt, man spielt mit
dem Gedanken der unendlichen Ausdehnung des Weltalls, und die mikroskopisch kleine Welt
wird entdeckt. Es kommt erstmals die Vermutung auf, dass der Mensch mit seiner natürlichen
Vernunft auch noch ganze neue Naturgesetzmäßigkeiten finden könne, die er bis dahin noch
nicht einmal im Umriss erahnt hat.
Die Rolle von Technik und bildender Kunst
Schon immer hat der Mensch durch Herumprobieren die Natur zu beherrschen versucht.
Jedoch erst in der Renaissance wird das technische Können, wie man z.B. ein handwerkliches
Problem am zweckmäßigsten anpackt, zum theoretischen Wissen über die Natur selbst und
ihre Art der Beschaffenheit. Besonders wichtig wurden in dieser Hinsicht die «Künstler-
Ingenieure» Norditaliens, allen voran Leonardo da Vinci. Im wirtschaftlich weit entwickelten
Norditalien nahmen die handwerklichen Berufe rapide zu und wurden sozial und intellektuell
aufgewertet; die sozialen Barrieren zwischen Künstlern, Ingenieuren und Handwerkern
wurden niedriger, der eine konnte vom andern lernen. Leonardo da Vinci (1452-1519) will
Mensch und Natur nicht nur in ästhetisch befriedigender Weise darstellen, sondern auch
technisch korrekt konstruieren – eine verbreitete Forderung der Renaissance, die aber im
Vergleich zum Mittelalter ganz neu war. Er reflektierte über die richtige Art der Darstellung
des menschlichen Körpers und vergleicht sie bezeichnenderweise mit der «Kosmographie»
des Ptolemäus (um 100-170 n. Chr.) – einem kartographischen Werk, mit dem die Antike den
Prinzipien der Zentralperspektive für die bildliche Darstellung dreidimensionaler
Gegebenheiten am nächsten gekommen war:
«Schlage dir den Gedanken aus dem Kopf, die Gestalt der Menschen in allen Ansichten ihrer Gliederung mit
Worten wiedergeben zu können; denn je eingehender du sie beschreibst, desto mehr wirst du den Geist des
Lesers verwirren und desto mehr wirst du ihm die Erkenntnis gerade dessen entziehen, was du beschrieben hast.
Deshalb ist es notwendig, sowohl zu zeichnen als zu beschreiben.»
«So soll dir in drei oder vier Darstellungen jedes Glied (des menschlichen Körpers) von verschiedenen Seiten
veranschaulicht werden, damit du einen richtigen und vollkommenen Begriff von allem bekommst, was du im
Hinblick auf die Gestalt des Menschen erfahren möchtest. Deshalb wird dir hier in fünfzehn vollständigen
Abbildungen die Kosmographie des Mikrokosmos in derselben Reihenfolge vorgeführt, die Ptolemäus vor mit in
seiner Kosmographie angewandt hat. Und so werde ich auch die Teile so zerlegen, wie jener das Ganze in
Provinzen aufgeteilt hat, werde dann die Aufgabe der Teile in jeder Hinsicht erklären und dir die Wahrnehmung
der ganzen Gestalt des Menschen und seiner Fähigkeit, sofern eine örtliche Bewegung der Teile erfolgt, klar vor
Augen führen. Und unser Schöpfer gebe, dass ich auch die Natur der Menschen und ihre Gewohnheiten zu
enthüllen vermag, während ich ihre Gestalt beschreibe.» «Die Erfahrung lehr uns als Dolmetscher zwischen der Natur und dem menschlichen Geschlecht die Art, in der
die Natur sich unter den Sterblichen tätig erweist; sie zeigt uns zugleich, dass diese Wirksamkeit, von der
Notwendigkeit gebunden, nicht anders erfolgen kann, als die Vernunft, ihr Steuer, sie vorschreibt.»
«Die Wissenschaft der Mechanik ist darum so edel und vor allem nutzbringend, weil sie erweist, dass auch alle
belebten Körper, die Bewegung haben, nach ihren Gesetzen wirken.»17
Durch den gegenseitigen Erfahrungsaustausch zwischen Technikern, Künstlern, Handwerkern
und Theoretikern setzte sich deutlich im Übergang zum 17. Jahrhundert die Überzeugung
durch, dass die künstlerisch-handwerkliche Beschäftigung kein Überlisten der Natur darstellt,
sondern ein Handeln gemäß der Natur. Die intellektuelle Durchdringung der von den Zünften
überlieferten Kenntnisse mit Hilfe mathematischer Methoden erzeugte dabei die Prinzipien,
die dieses Vorgehen leiten und zu einer schrittweisen Verbesserung der Fertigkeiten führen.
Einen besonders wichtigen Einfluss übten hier die mathematische Proportionenlehre in der
Architektur und die Einführung der zentralperspektivischen Konstruktion in die Malerei
(durch Filippo Brunelleschi, 1377-1446, und Leon Battista Alberti, 1404-1472) aus, was
insgesamt das Vertrauen in die Anwendbarkeit der Geometrie auf technische Probleme
stärkte.
Albrecht Dürer (1471-1528) schrieb ein Buch über Festungskunst, eines über die
menschlichen Proportionen und eines über praktische Geometrie und die Prinzipien der
Perspektive, mit dem Titel «Underweysung der messung mit dem zirckel und richtscheyt»,
Nürnberg 1525. Abgesehen von einer anonymen Sammlung arithmetischer Regeln für das
Bauen unter dem Titel «Geometria Deutsch» (1486) ist dies das erste Mathematikbuch in
deutscher Sprache. Es wurde viel gelesen und oft nachgeahmt. Als Vorbild hatte Dürer die
Euklid-Ausgabe von Tacinus aus dem Jahre 1505 genommen, die er auf seiner zweiten
Italienreise (1505-07) – die erste war 1994/95 – erstanden hatte. In der «Underweysung»
beschäftigt sich Dürer u.a. mit der Konstruktion von Kurven und Körpern in der Ebene, wobei
er auch bewusst Näherungskonstruktionen ausführt. Darin unterscheidet er sich wesentlich
von der Antike, die Näherungen nicht als Lösungen zulässt.
Der folgende Abschnitt aus der «Underweysung» behandelt das so genannte «Delische
Problem», wie man den Rauminhalt eines gegebenen Würfels mit Zirkel und Lineal (in
Annäherung) verdoppelt. Das Delische Problem bildet eines der drei großen Probleme der
antiken Mathematik; die beiden anderen sind das Problem der Winkeldreiteilung und der
Quadratur des Kreises.
«Als auf ein Zeit die Stadt Athenis mit der Plag der Pestilenz beschwert was, fragten die Bürger den Abgott
Apollinem Rates, wie sie des Seuchens möchten abkommen. Der antwortet ihnen, wenn sie seinen Altar
zwiespalten [verdoppeln], würden sie erlöst … Als aber ihr Werkleut nit finden konnten, wie sie der Sach sollten
tun, hätten sie der Gelehrten und insonders des Philosophen Platonis Rat. Der lehret sie, wie sie zwischen zweien
ungleichen fürgebnen Linien zwei andere Linien, die sich vergleichlich gegen denselben hielten, sollten finden.
Denn durch Solches mochten sie den cubum … und alle andere Ding duplizieren, triplizieren und für und für
mehren und vergrößern.»
Die Konstruktion der Würfelverdoppelung geht nun so vor sich: Gegeben sei eine
Würfelseite, sie ist in der Abb. 19, S. 60, schraffiert. Man verlängert dieses Quadrat durch
sich selbst, so dass ein Rechteck ABCD entsteht. Nun verlängert man die Seiten DA und DC
über A bzw. C hinaus. An B wird ein Lineal angelegt und solange um B gedreht, bis die
Strecken HE und GE gleich lang sind. Dadurch entstehen zwei neue Strecken HA und GC, die
die mittleren Proportionen oder medias proportionales genannt werden. Dürer zeigt, nach
einem Beweis («bewiesen Lehr») von Heron von Alexandria (1. Jh. n. Chr.).
Dass AB = AH = CG, wenn HE = GE.
AH CG CB
Wenn nun BC = 2 AB, wie in unserer Konstruktion, dann folgt durch leichte Umformung,
dass AH3 = 2 AB3. Das Quadrat mit der Kantenlänge AH bildet also die Seite eines Würfels,
dessen Rauminhalt doppelt so groß ist, wie der Inhalt des Würfels mit der Kantenlänge AB.
Dürer fährt fort:
«So du nun durch die vorbeschrieben angezeigt bewiesen Lehr den fürgegebenen cubum willst zwiefachen, dann
so sollst du die Seite des fürgegebenen cubi zwiefach erlengen und zwischen diesem Doppel und derselben
einfachen Seite des cubi durch die vorbeschriebene Lehr aneinandersetzen. Dadurch wirst du finden zwo gerecht
Mittellinien, die man nennt medias proportionales. Und so du ein cubum aus der minderen oder kürzeren
gefundenen Linie aufrichtest, so hält sich derselbe zwiefach gegen dem ersten cubo. – Also magst du auch den
fürgegebenen cubum dreifachen … Also mag ein cubus so oft gevielfältigt werden, so oft man ihm die eine Seite
erlengert.»
Dürer gibt sogleich auch eine praktische Nutzanwendung dieser Konstruktion für das
Kriegswesen:
«So du eine Büchsenkugel von einem Pfund schwer hast, magst du die stetiglich durch den vor angezeigten Weg
um ein Pfund erschweren, denn die Proportion gibt auch im gleichen Metall das Gewicht gleich. So du dann die
Kugeln in einen cubum reissest und darnach den cubum zwiefach, dreifach, vierfach vergrößerst, und dann die
Kugeln wieder in sie alle reissest, so hält sich auch das Gewicht, so darnach gossen wird, zwiefach, dreifach,
vierfach gegen einander.»18
Wie bei Dürer und Leonardo, so war bei vielen Künstleringenieuren und gelehrten
Handwerkern die theoretische Konstruktion der Natur mit dem Gedanken an die Möglichkeit
nutzbringender Anwendungen gekoppelt.
Vom lebendigen Kosmos zum mechanischen Universum
Das Streben nach Nutzanwendung genügte aber allein noch nicht, die Naturwissenschaften zu
revolutionieren. Mit der Renaissance wurde zusätzlich die traditionelle Einteilung des
Kosmos immer häufiger in Frage gestellt. Der Kosmos besteht nun nicht mehr aus zwei
qualitativ und ontologisch unterschiedlichen Teilen, dem unvollkommenen und vergänglichen
(sublunaren) Bereich, der bis zum Mond reicht und dem vollkommenen, ewigen
(translunaren) Bereich, der sich bis zur Fixsternsphäre erstreckt. Das Weltall ist vielmehr
unendlich groß, und seine einzelnen Teile unterscheiden sich nicht grundsätzlich
voneinander.19
Nikolaus von Kues (Cusanus, 1401-1464) lehrte, dass Erkenntnis von etwas
Unbekanntem nur gewonnen werden könne, wenn man es in Verhältnis setzt zu etwas schon
Bekanntem. Da Verhältnisse mathematischer Natur seien, ist also zum Erkennen des
Unbekannten Mathematik notwendig. Die Erkenntnis der Beschaffenheit der Welt im Ganzen
wird zum Problem, da sie nur mit Gott ins Verhältnis treten kann. Gott ist aber unendlich und
kann nicht mit der endlichen und unvollkommenen Welt verglichen werden. Daraus folgt,
dass das All keinen Mittelpunkt und keine Grenze haben kann, denn sonst wäre es mit Gott
vergleichbar. Kein Ort des Universums ist irgendwie ausgezeichnet, von Gott ist alles
unendlich weit entfernt. So heißt es in «De docta ignorantia» (Über die gelehrte
Unwissenheit):
«Nur das absolut Größte ist also in negativer Weise unendlich. Darum ist es allein das, was es nach all seinen
Möglichkeiten sein kann. Das Universum dagegen kann, obgleich es alles umfasst, was nicht Gott ist, nicht
negativ unendlich sein, obschon es ohne Grenze ist und somit privativ unendlich. In dieser Sicht ist es weder
endlich noch unendlich. Es kann ja nicht größer sein, als es ist. Das ist eine Folge des Mangels, denn die
Möglichkeit, d.h. die Materie, erstreckt sich nicht weiter. Denn es ist nichts anderes, wenn man sagt: <Das
Universum kann tatsächlich immer größer sein>, als wenn man sagt: <Das Seinkönnen geht über in ein
tatsächliches Unendlichsein>, was unmöglich ist, denn die unendliche Wirklichkeit, die die absolute Ewigkeit
ist, kann nicht aus dem Können entstehen, ist sie doch alle Möglichkeit des Seins in Wirklichkeit. Obgleich
demnach mit Rücksicht auf die unendliche göttliche Macht, die ohne Grenze ist, das All grö0ßer sein könnte, so
kann es doch nicht größer sein, da sich die Möglichkeit des Seins oder die Materie dem widersetzt, denn diese
lässt sich in Wirklichkeit nicht ins Unendliche erweitern. Und somit ist das All ohne Grenze, da sich ein
tatsächlich Größeres nicht geben lässt, gegen das es abgegrenzt würde. Und somit ist es privativ unendlich. Das
Universum ist nur in eingeschränkter Weise wirklich, um dadurch auf die beste Weise zu sein, welche die
Bedingung seiner Natur zulässt. Es ist ja Geschöpf, das notwendigerweise vom absoluten göttlichen >Sein
abhängt, wie wir im Folgenden in belehrter Unwissenheit in möglichster Klarheit und Einfachheit und in aller
Kürze zeigen wollen …»20
Und später heißt es:
«Der Mittelpunkt der Welt fällt also mit ihrem Umfang zusammen. Die Welt hat demnach keinen Umfang, denn
hätte sie einen Mittelpunkt, so hätte sie auch einen Umfang und hätte somit in sich ihren Anfang und ihr Ende.
Und die Welt wäre gegen etwas anderes abgegrenzt, und außerhalb der Welt gäbe es etwas anderes und gäbe es
Ort. Das alles entspricht nicht der Wahrheit. Da deshalb ein Eingeschlossensein der Welt zwischen einem
körperlichen Mittelpunkt und einem Umfang unmöglich ist, so lässt sich die Welt nicht verstehend begreifen,
wenn nicht ihr Mittelpunkt und Umfang Gott ist. Und obwohl die Welt nicht unendlich ist, so lässt sie sich doch
nicht als endlich begreifen, da sie der Grenzen entbehrt, innerhalb deren sie sich einschließen ließe.»21
Nachdem im Jahre 1543 die heliozentrische Theorie des Nicolaus Copernicus (1473-
1543) in ihrer reifen Form veröffentlicht worden war, ging Giordano Bruno (1548-1600) 1584
noch einen Schritt über Cusanus hinaus, indem er lehrte, dass die Sonne ein Stern unter
Sternen sei im unendlichen, mittelpunktlosen All. In seinem Dialog «De immenso et
innumerabilibus» (Über das Unendliche und die Welten) legte er dem Filoteo, der die
Meinungen Brunos selbst vertritt, folgendes in den Mund:
«Anlangend zunächst, was er [Aristoteles] da über die natürlichen Örter der Körper und über Begrenztheit in
Höhe, Tiefe und Mitte faselt, so möchte ich nur wissen, gegen was für eine Position dies alles zielt. Denn Alle,
die einen Stoff von unendlicher Ausdehnung setzen, können in demselben weder eine Mitte noch eine Grenze
(Enden) annehmen. Wer daher von einer unbegrenzten Leere, einem Inhaltlosen oder von unendlichem Äther
spricht, schreibt diesem weder Schwere noch Leichtigkeit noch Bewegung, weder ein Oben noch eine Mitte
noch ein Unten zu. Und wenn wir dann in einem solchen Raume zahllose Körper annehmen, wie diese Erde oder
irgendeine andere Erde, diese Sonne oder irgendeine andere Sonne, so vollenden alle diese Weltkörper ihre
Umläufe durch endliche und begrenzte Raumteile und um ihre eigenen besonderen Centra. So können wir
Erdbewohner sagen, die Erde befinde sich im Mittelpunkt, und alle Philosophen, neuere und alte, zu welcher
Schule immer sie gehören, würden, ohne ihren Prinzipien zu widersprechen, behaupten können, dass sie den
Mittelpunkt bilde, wie wir denn auch in Hinsicht auf den größeren Umkreis jener Ätherregion, die uns umfasst
und sich für uns als ein überall gleich weit entfernter Horizont darstellt, im Mittelpunkt zu stehen behaupten.
Aber ebenso gut würden auch etwaige Mondbewohner glauben, dass unsere Erde als ihr Mond und viele andere
Sterne, welche den Endpunkt der Radien ihres Gesichtskreises bilden, ihr Centrum umkreisen. So ist die Erde im
Verhältnis zum All nicht mehr und nicht weniger Mittelpunkt, als jeder beliebige andere Weltkörper, und für die
Erde gibt es um nichts mehr bestimmte Pole im Umkreis, als sie selber für irgendeinen anderen Punkt des Äthers
und Weltraumes einen bestimmten feststehenden Pol darstellt. Die Erde also befindet sich nicht absolut im
Mittelpunkt des Weltraumes, sondern nur von ihrem Standpunkt aus mit Hinsicht auf diese unsere Umgebung.
…
Ich glaube und behaupte, dass sich jenseits jenes eingebildeten Himmelsgewölbes immer noch eine
ätherische Region und eine Unzahl von Weltkörpern in derselben befindet, Gestirne, Erden, Sonnen, alle in
absolutem Sinne wahrnehmbar, sowohl für sich selbst wie für diejenigen, welche auf ihnen oder in ihrer Nähe
sind, obgleich sie für uns ihrer Entfernung wegen nicht wahrnehmbar sind. Ihr könnt hieran abschätzen, auf was
für Unterlagen Aristoteles spekuliert; daraus, dass jenseits seiner eingebildeten umfassenden Sphäre kein
sichtbarer Körper sei, leitet er her, dass es dort auch keinen Körper gebe, und deshalb versteift er sich darauf, an
keinen weiteren Körper glauben zu wollen, als an die 8. Sphäre, jenseits welcher die Astrologen seiner Zeit eine
weitere Himmelssphäre nicht mehr zuließen; weil nämlich diese die scheinbare Drehung der Welt durch ein über
allem anderen befindliches <Erstes Bewegliches> glaubten erklären zu müssen, sahen sie sich von ihren
Voraussetzungen aus gezwungen, immer weiter zu gehen und ohne Ende Sphäre über Sphäre zu setzen, und so
haben sie schließlich sogar eine solche ohne Sterne und ohne sichtbare Körper erfunden.»22
Der Zweifel an der Endlichkeit und qualitativen Stufung des Kosmos, vorbereitet und
ermöglichet durch solche und ähnliche erkenntnistheoretische Kritik, wurde erhärtet, als man
erstmals mathematische Methoden auf neue Erscheinungen anwandte. 1572 war im Sternbild
der Cassiopaia eine sehr helle und auch tagsüber sichtbare Nova (explosionsartige
Sternerscheinu8ng) zu sehen, und 1577 erschien ein sehr heller Komet am Himmel. Beide
Ereignisse wurden von den meisten Astronomen nicht mehr als dämonische, göttliche oder
meteorologische und andere sublunare Phänomene gesehen. Durch Entfernungsschätzungen
wurde klar, dass es sich um Erscheinungen über dem Mond handeln musste. Hiermit war
bewiesen, dass auch im translunaren Bereich Neues entstehen und Altes absterben kann.
Aristoteles hatte Vergängliches nur in der sublunaren Sphäre, speziell der belebten Natur auf
der Erde gesehen; die translunare Welt war demgegenüber unvergänglich und vollkommen
und hatte für Geburt und Tod, Entstehen und Vergehen keinen Platz.
Der Astronom Tycho Brahe (1546-1601), der sich in seiner Schrift «De cometa anni
1577» (Über den Kometen des Jahres 1577) mit den neuen translunaren Phänomenen
auseinandersetzte, wandte sich gegen die aristotelische Kometenlehre und machte darüber
hinaus deutlich, dass Naturwissenschaft auch ohne Kenntnis der ersten Ursachen der
Erscheinungen möglich ist; in aristotelischer Sicht ein völliges Unding:
«Wie aber disem allen, ist aus dem vor 4 jaren erschienenen stern genuegsamb demonstriert worden, das er nicht
in der Elementischen Region [d.h. der Region der vier Elemente] sonndern oben in dem himel sein sitz hatt
gehabt, unnd ich auch in diesem jetzigen Cometten durch vleißige observation [Beobachung] unnd
demonstrattion erfahren hab, das der selbige weit uber den Mon inn dem himel sein orth unnd gang gehabt, wie
hernach an seinem orth soll angezaigt werden. Darumben ist die mainung Aristottelis ganntz falsch, aß er für
gibt, die Cometten werden von der erden in die luft aufgezogen, unnd das si nicht im himel konden genneriert
werden, dann er hatt dises aus seinem guet geduncken und aus kainer mattematischer observation oder
demonstrattion bewisen, die weil si aber im Himel ir generation haben, sollen sie sovil desto mehr für ain
wunder zaichen geacht werden, das in dem himel, der auß der allersubtilisten durchleuchtigßte unverzerliche
materia componiert ist, ein sollich neu gepurt herfürkombt, dann ob schon aus gottes verhengcknus die penates
superi [obere Schutzgötter], die unns unbekandt, solches fabricieren, oder obs auch gott der Allmechtig ohne
mittel durch seine krafft unnd willen zu seiner zeit ein sollich neu liecht am himel unns zur warnung zukönfftiger
straff schaffet, ist nicht nott alhier weitleufig davon zu disputieren, die weil wir menschen durch unnsern ringen
unnd irdischen verstandt eigentlich kain rechten grundt unnd wissenschafft haben konnen, was die matteria
Comettarum [Kometenmaterie] sei, unnd wie sie genneriert werde, dass unns auch nit wunder nehmen soll, die
weil wir des ganntzen himelß Son und Mon, die doch allzeit vom anfang der welt gestanden unnd geschinen,
was ir matteria unnd wesen sei, ainiche wissenschafft, unnd was inen den wunderbarlichen behänden lauff
mache, nicht haben, ja wievil ding sein hierunden auf dem erdtboden, die wir mit unnsern augen ansehen und
henden greiffen, dessen nattur wir doch nimmer mehr genuegsamb konnen lernen erkennen. Darumb sollen die
philosophi nicht so unnützlich streitten von den sachen, die si nit zuermessen wissen, sonndern vil mehr unnsre
ignorantia modeste [bescheidene Unwissenheit] bekennen und sagen, das die Cometten seien ein sonnderlich
geschepff gottes, das auß verborgenen ursachen der nattur kombt, welches unns unbekanndt ist, wie es geboren
wirt.» 23
Tycho Brahe berechnete, dass der Komet auf seiner Bahn verschiedene Sphären der
Planeten hätte kreuzen müssen. Er lehnte deshalb als erster die Existenz von Sphären ab. Die
Idee der Sphäre, d.h., einer durchsichtigen festen Kugelschale, an die der Planet geheftet ist
und die ihm die (scheinbare) Drehung am Himmel verleiht, war seit der Antike lebendig und
auch noch von Copernicus vertreten worden.
Kepler (1571-1630) ging noch einen Schritt weiter. Er glaubte, dass man nach Wegfall
der Sphärenidee durch eine magnetische Kraft erklären könne, warum sich die
Himmelskörper in bestimmten Bahnen bewegen. Am 10.2.1605 schrieb er an Herwart von
Hohenburg (im Original lateinisch):
«Die Untersuchungen über die Bewegung des Mars, zusammen mit sehr handlichen, aber reichlich langen Tafeln
zur Berechnung dieses Planeten, habe ich an Weihnachten dem Kaiser übergeben; aber sie sind noch nicht ganz
abgeschrieben, und einige Kapitel fehlen noch, die ich nach und nach fertig stellen will. Es sind 51 Kapitel. Ich
führe darin alle meine Versuche an, damit man umso besser versteht, warum ich gerade diesen Weg gegangen
bin. Ich bin viel mit der Erforschung der physikalischen Ursachen beschäftigt. Mein Ziel hierbei ist es zu zeigen,
dass die himmlische Maschine nicht eine Art göttlichen Lebewesens ist, sondern gleichsam ein Uhrwerk (wer
glaubt, dass die Uhr beseelt ist, der überträgt die Ehre des Meisters auf das Werk), insofern darin nahezu alle die
mannigfaltigen Bewegungen von einer einzigen ganz einfachen magnetischen Kraft besorgt werden, wie bei
einem Uhrwerk alle die Bewegungen von dem so einfachen Gewicht. Und zwar zeige ich auch, wie diese
physikalische Vorstellung rechnerisch und geometrisch darzustellen ist … Tycho hat die festen Bahnen beseitigt;
ich zeige nun, wie sie die Planeten ohne solche Bahnen bewegen, wie die Exzentrizität zustande kommt usw.»24
Am 4.10.1607 schreibt er an Brengger:
«Euren Brief habe ich vor 8 Tagen erhalten. Wenn ich nicht ausführlich antworte, so nehmt meine vielen
Geschäfte als Entschuldigung an. Ich bin nämlich mit der Fertigstellung meiner Untersuchungen über die
Bewegungen des Sternes Mars beschäftigt, und diese bereitet höchst mühsame Gedankenarbeit. Denn ich liefere
eine Himmelsphilosophie oder –physik, an Stelle der Himmelstheologie oder –metaphysik des Aristoteles.
Könntet ihr doch mein Werk durchlesen und mir Ratschläge geben, ehe es herauskommt! Es wird bei Vögelin in
Heidelberg gedruckt. Der Vertrieb der einzelnen Exemplare ist mir vom Kaiser untersagt worden. Mit meiner
Physik lehre ich zugleich eine neue Arithmetik, bei der man nicht von Kreisen, sondern von natürlichen,
magnetischen Kräft3ne ausgeht. Freilich nehme ich auch Kreise zu Hilfe, aber nur zur Rechnung, insofern mit
Kreisen die Wirkungsweise der Waage, des Hebels und der Gewichte erklärt wird, somit nur teilweise. Im
Übrigen ziehe ich Flächen heran, die der Planet bei seinem Umlauf beschreibt; in diesen suche ich die Stärke und
Schwäche der zu den Bewegungen aufgewendeten Kräfte.»25
Von diesen Haltungen her gesehen ist es nur konsequent, dass auch die Lehre des
Aristoteles von der Unmöglichkeit eines Vakuums und vom fünften Element als der
materiellen Grundlage der Welt über dem Mond nun ernsthaft ins Wanken geriet. Otto von
Guericke versuchte, auf der Erde ein Vakuum als Stück des Himmelsraumes experimentell
herzustellen (zuerst wahrscheinlich zwischen 1635 und 1645) und erhob damit Anspruch, auf
die allgemein philosophische Frage nach der Möglichkeit eines Vakuums eine empirisch
abgesicherte Antwort geben zu können. Er schrieb:
«Die Betrachtung der Natur ist – nachdem Zeugnis des seligen Basilius – der Vorhof himmlischer Lust, ein ewig
währendes Frohlocken des Geistes, Pforte der Ruhe, Brücke vom Himmlischen zum Irdischen und Gipfel
menschlichen Glücks. Wenn sie ihn erreicht, scheint die Seele, aus ihrem dumpfen Schlafe gleichsam
wachgerufen, die Region des Lichtes zu betreten und, ihrer selbst vergessen, eher die Rolle einer irdischen
Gottheit als eines vergöttlichten Menschen zu spielen.
Wahr ist daher jener bekannte Vers:
<Kennten die sterblichen Seelen des Weltalls innerstes Uhrwerk, Kaiserherrschaft und Macht wären nur
Schäume für sie.>
Daher könnten Gelehrte, die sich allein auf ihre Gedanken oder Schlussfolgerungen stützen und die
Erfahrung verschmähen, keine bündige Aussage über die natürliche Beschaffenheit der Welt machen; denn wenn
das menschliche Denken sich nicht auf Versuche stützt, wird es oft weiter von der Wahrheit abirren, als die
Sonne von der Erde entfernt ist. Weil die Gelehrten nun schon seit langem über das Leere, ob es vorhanden sei,
ob nicht, oder was es sei, gar heftig untereinander stritten und jeder einzelne seine vorgefaßte Meinung wie ein
Soldat die Festung verbissen gegen den anstürmenden Feind verteidigt, konnte ich mein brennendes Verlangen,
die Wahrheit dieses fragwürdigen Etwas zu ergründen, nicht mehr eindämmen, geschweige denn stillen, ohne
einen Versuch hierüber anzustellen, sobald ich Zeit dazu gefunden hatte.
Dies habe ich auf verschiedene Weise getan, und meine Mühe war nicht verschwendet; ich habe einige
Geräte zum Nachweis der immer geleugneten Leere erfunden.»26
Gegen Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts versuchte man nun fast in der
ganzen Naturforschung alle Erscheinungen auf Materie und Bewegung als den einzigen
Grundprinzipien zurückzuführen: die Vorstellung der mechanischen Welt hatte sich
durchgesetzt. Die Idee der Fernkraft, von den Cartesianern als okkult bekämpft, wurde als ein
weiteres Prinzip schließlich von Newton hinzugefügt. Damit entstand das klassische
mechanische Weltbild.
Die Mathematisierung
In der Renaissance wird der Neuplatonismus, dem in der Spätscholastik durch Logiker aus der
Schule Ockhams in Oxford und Paris schon der Weg gebahnt war, zur einflussreichsten
Naturauffassung. Während die aristotelische Philosophie mathematische Methoden in der
Naturforschung für unsinnig hielt, werden im Neuplatonismus der Renaissance Wege gesucht
für mathematische Darstellungen der Natur. Für den antiken Platonismus war die Welt ein
unvollkommenes Abbild der vollkommenen, für sich existierenden Ideen. Im Neuplatonismus
der Renaissance werden nun immer stärker die Ideen direkt mit den mathematischen Gebilden
identifiziert. Die hinter den sichtbaren Erscheinungen liegenden Ideen gehorchen wegen ihres
idealen Charakters den Gesetzes der Geometrie, ja, sie sind die Geometrie! Man gewinnt die
Ideen durch Abstraktion, indem man von unwesentlichen Eigenschaften der Erscheinungen
absieht. Bis zum Wideraufleben der aristotelischen Philosophie im 13. Jahrhundert war der
Platonismus, direkt oder indirekt, nicht zuletzt durch Augustinus, noch von bestimmendem
Einfluss. Allerdings warne von Plato selbst nur die Dialoge «Timaios», «Menon» und
«Phaidon» in Übersetzungen bekannt.
Im Jahre 1438 kam der byzantinische Gelehrte und Platokenner Giorgios Gemistos Pletho
(1355-1455) zum Konzil von Ferrara und Florenz, wo die Wiedervereinigung der
byzantinischen mit der römischen Kirche verhandelt wurde. Pletho hielt in Florenz Vorträge
über Plato, die in Humanistenkreisen und in der ganzen florentinischen Gesellschaft großes
Aufsehen erregten. Der damalige Herrscher in Floren, Cosimo de’ Medici, war von der
Philosophie Platos so beeindruckt, dass er 1462 mit Marsilio Ficino (1433-1499) die
Florentinische Akademie begründete, die zum Zentrum des Renaissanceplatonismus wurde.
Ficino übersetzte dann alle Platonischen Schriften ins Lateinische und ließ sie 1484 drucken.
Einer der einflussreichsten Neuplatonisten war Nikolaus von Kues (Cusanus, 1401-1464).
Er war Mitglied der päpstlichen Delegation, die in Konstantinopel die Vorverhandlungen für
das Einigungskonzil in Florenz führte und Pletho nach Florenz begleitete. Wie die anderen
Neuplatonisten sah Cusanus den sichtbaren Kosmos als Kunstwerk Gottes, dem Zahl und
Maßverhältnisse zugrunde liegen müssen, da er ein direktes Abbild der Ideen darstelle, die
alle aus Gott stammen. Es sei zwar nicht leicht, diese mathematischen Formen der Werke
Gottes anzugeben, aber Cusanus gibt eine Fülle von Anregungen, wie man die Maße der
Natur auffinden kann. In seinem Buch «De staticis experimentis» (Über die Versuche mit der
Waage, 1450) unterhalten sich «der Laie» und «der Gelehrte» über solche Methoden, wie z.B.
über die Messung des spezifischen Gewichte von Flüssigkeiten:
«Der Laie: Ich glaube, dass man durch Beachtung des Gewichtsunterschiedes den Geheimnissen der Dinge
näher kommen und vieles mit Hilfe von wahrscheinlicheren Folgerungen wissen kann.
Der Gelehrte: Du hast vollkommen recht. Denn der Prophet sagt, Gewicht und Waage sind das Urteil des Herrn,
der, wie der Weise schreibt, alles geschaffen hat nach Zahl, Gewicht und Maß und der die Quellen der Wasser
gewogen und die Wucht der Erde zugemessen hat.
Der Laie: Wenn also eine Wassermenge von einem Quell nicht von gleichem Gewicht ist wie die gleiche Menge
eines anderen, so ist ein Urteil über die Verschiedenheit der Eigenschaften des einen und anderen besser mit
einer Waage zu gewinnen als mit einem anderen Messgerät.
Der Gelehrte: Du hast recht. Vitruv, der über die Baukunst handelt, rät, zum Wohnort einen Platz zu wählen, an
dem leichtes und flüchtigeres Wasser ist, und schweres und erdiges Wasser zu meiden.
Der Laie: Wie also das Wasser eines Quells von gleichem Gewicht und gleicher Natur zu sein scheint, so scheint
das Wasser verschiedener Quellen auch verschiedenes Gewicht zu haben.
Der Gelehrte: Du sagst <scheint>, als ob es in Wahrheit anders sei.
Der Laie: Ich glaube, dass sich das Gewicht je nach der Zeit verändert, vielleicht manchmal unmerklich. Denn
zweifellos ist das Wassergewicht zu einer Zeit anders als zur anderen; so ist auch das Gewicht des Wassers am
Quell anders als das in einiger Entfernung von ihm. Aber oft werden diese Unterschiede gering geachtet, weil sie
kaum wahrnehmbar sind.
Der Gelehrte: Glaubst du denn, dass es sich bei allem so verhält, wie du es vom Wasser behauptet hast?
Der Laie: Gewiß glaube ich das. Denn keineswegs bedeutet die Gleichheit der Größe verschiedener Dinge auch
die Gleichheit ihres Gewichtes. Da also das Gewicht des Blutes und des Harns bei einem Gesunden und bei
einem Kranken verschieden ist, verschieden bei einem Jungen oder Alten, Deutschen oder Afrikaner, sollte es da
nicht für einen Arzt von größtem Wert sein, wenn all diese Unterschiede verzeichnet sind und ihm vorliegen?
Der Gelehrte: Sicherlich. Durch Tabellen von Gewichten, die er aufgestellt hat, würde er uns sogar zur
Bewunderung zwingen.
Der Laie: Denn ich glaube, dass der Arzt eine bessere Diagnose nach Gewicht und Farbe des Harns stellen kann
als allein nach der trügenden Farbe.
Der Gelehrte: Gewiß.»27
Im folgenden wird eine Methode zur Messung des Gewichts der Luft vorgeschlagen,
indem die Wirkungen des Luftwiderstandes auf fallende Gegenstände verglichen werden. Die
verstrichene Zeit wird bestimmt durch das Gewicht der Wassermenge, die dabei aus einem
Gefäß ausläuft:
«Der Gelehrte: Wenn jemand von einem hohen Turm einen Stein herabfallen ließe, während aus der engen
Öffnung der Wasseruhr Wasser in ein Becken flösse, und er das inzwischen herausgeflossene wiegen würde und
wenn er ebenso beim Fall eines Stückes Holz von gleicher Größe dasselbe täte, würde er dann nicht aus dem
Gewichtsunterschied von Wasser, Holz und Stein zum Gewicht der Luft gelangen?
Der Laie: Täte dies jemand von verschiedenen, gleich hohen Türmen und zu verschiedenen Zeiten, so könnte er
endlich zu einer Mutmaßung vordringen, die dem wirklichen Sachverhalt noch näher käme. Schneller würde er
jedoch zum Gewicht der Luft gelangen, wenn er Körper verschiedener Gestalt, aber gleicher Schwere nehmen
würde. Wenn er ein Pfund Blei von Kugelform von einem Turm fallen ließe, während er das aus der Wasseruhr
fließende Wasser sammelte und dann ein Pfund ähnlichen Bleis von flacher Gestalt herabwürfe, würde er aus
dem Gewichtsunterschied der Wassermengen das Gewicht der Luft erhalten. Wir beobachten nämlich, dass
Vögel mit ausgebreiteten Flügeln unbewegter in der Luft stehen, weil sie mehr Luft verdrängen, wie auch etwas
in Kugelform dicht Zusammengedrängtes im Wasser leichter sinkt als etwas in einem Würfel Ausgebreitetes.
Und so wie kann auf diesem Wege das Gewicht der Luft erforschen kann, kann man auch das des Wassers
finden. Umgekehrt auch den verschiedenen Inhalt der Körper.»28
Auch Johannes Kepler (1571-1630), der die drei nach ihm benannten Gesetze der
Planetenbewegung gefundne hat, war zutiefst von der mathematischen Struktur der Welt im
platonischen Sinne überzeugt, wie aus den Harmonices mundi libri quinque (Die fünf Bücher
von der Weltharmonik) hervorgeht:
«Doch wozu viele Worte? Die Geometrie ist vor Erschaffung der Dinge, gleich ewig wie der Geist Gottes; ist
Gott selbst (was ist in Gott, was nicht Gott selbst ist?) und hat ihm die Urbilder für die Erschaffung der Welt
geliefert; und sie ist mit dem Ebenbilde Gottes in den Menschen übergegangen, nicht erst durch die Augen in das
Innere aufgenommen worden [wie Aristoteles gelehrt hatte]. Da also die Eigenschaft, geometrisch konstruierbar
zu sein, den Größen wesenhaft zukommt, nicht insofern die Figuren dem Urteil der Augen unterworfen werden,
sondern insofern sie dem geistigen Auge offenbar sind, d.h., insofern sie nicht so sehr von sinnlicher
Erscheinung abstrahiert worden sind, als vielmehr niemals als Konkreta existiert haben, setzten wir mit vollem
Recht die abstrakte Größe als Bestimmungsstücke der urbilderhaften harmonischen Proportionen, die ja wieder
aus den geometrisch darstellbaren Teilungen des Kreises herrühren.»29
Das Interesse der Humanisten an den antiken Quellen förderte den mathematischen Geist
nicht nur durch die Wiederentdeckung des Plato, sondern auch durch die neue Beschäftigung
mit den griechischen Mathematikern, besonders Euklid (um 300 v. Chr.), Archimedes (287-
212 v. Chr.), Heron (1. Jh. n. Chr.) und dem mathematischen Astronomen und Geographen
Ptolemäus. Die Werke von Archimedes wurden erstmals 1543 in Venedig von Tartaglia in
lateinischer Übersetzung im Druck herausgegeben. Archimedes legte axiomatisch und
deduktiv aufgebaute Problemlösungen u.a. mechanischer Probleme vor, die in ihrer strengen
Form den Euklidschen Elementen der Geometrie gleichkamen.
Als Kontrast zur archimedischen und neuplatonischen Wertschätzung der Mathematik sei
hier die Ansicht eines Aristotelikers angeführt, der sich mit Galilei stritt. Galilei
veröffentlichte 1612 seinen «Discorso intorno alle cose che stanno in su l’acqua, o in quella si
muovono» (Diskurs über die Körper, die auf dem Wasser schwimmen oder in demselben sich
bewegen), eine Arbeit, di ean die Hydromechanik des Archimedes anknüpft. Er geriet damit
in Streit mit Vincenzio di Grazia, der 1613 eine Gegenschrift zu Galileis Diskurs
herausbringt. Grazia schreibt darin, dass die Galileische Methode die Bewegung der Körper
nicht berücksichtige. Galilei hat zwar, wie der Titel schon sagt, die Bewegung der
schwimmenden Körper behandelt, aber sein Bewegungsbegriff hat eine ganz andere
Bedeutung gewonnen, die vom aristotelischen Bewegungsbegriff, den Grazia verwendet,
abweicht:
«Bevor wir die Beweise des Herrn Galileo näher betrachten, scheint es uns nötig zu beweisen, wie sehr sich jene
Gelehrten von der Wirklichkeit entfernen, die mit mathematischen Gründen die natürlichen Dinge beweisen
wollen. Zu diesen gehört, wenn ich mich nicht täusche, der Herr Galileo. Ich behaupte also, dass alle
Wissenschaften und Künste ihre eigenen Prinzipien und Gründe haben, mit deren Hilfe sie die Eigenschaften
ihres Gegenstandes beweisen. Folglich ist es nicht zulässig, dass man mit den Prinzipien der einen Wissenschaft
die Wirkungen einer anderen zu beweisen sucht; und so irrt sich auch der gewaltig, der es unternimmt, die
Eigenschaften der Natur mit mathematischen Gründen beweisen zu wollen, denn diese beiden Wissenschaften
sind vollkkommen verschieden voneinander. Der Naturwissenschaftler befasst sich nämlich mit den natürlichen
Dingen, deren ureigenste und natürliche Neigung die Bewegung ist, während der Mathematiker bei seinem
Gegenstand von jeder Bewegung absieht. Hinzu kommt, dass der Naturwissenschaftler die sinnlich
wahrnehmbare Materie der natürlichen Körper betrachtet und durch sie viele natürliche Eigenschaften begründet.
Der Mathematiker hingegen kümmert sich nicht um die Materie. Bei der Untersuchung des Ortes nimmt der
Mathematiker einen einfachen Raum an, ohne zu betrachten von welcher Art von Körper er ausgefüllt ist. Der
Naturwissenschaftler jedoch macht einen großen Unterschied zwischen einem Raum und einem anderen, je nach
den Körpern, die ihn einnehmen, denn daraus resultiert die Schnelligkeit oder Langsamkeit der natürlichen
Bewegungen. Und obwohl der Naturwissenschaftlicher sich mit den Linien und Punkten der Oberfläche befasst,
behandelt er sie als Begrenzung des natürlichen und beweglichen Körpers; der Mathematiker dagegen, der von
jeder Bewegung absieht, betrachtet sie als Eigenschaften der festen dreidimensionalen Körper.»30
Die Mathematik und ihre Rolle für Naturwissenschaft und Technik wurde nicht nur von
der Philosophie aufgewertet. Auch die Erfordernisse der entstehenden bürgerlichen
Gesellschaft und ihrer merkantilen Wirtschaftsform förderten den Aufschwung der
Mathematik.
1541 schrieb Georg Joachim Rheticus eine «Chorographia», wie die Anleitungen zum
Kartenzeichnen damals hießen, die nie zum Druck kam. Rheticus (1514-1576) hatte 1539
Copernicus in Frauenburg besucht und eine «Narratio prima», einen «Ersten Bericht über des
Kopernik Buch von den Umwälzungen» geschrieben, der 1540 gedruckt wurde. Durch diesen
Bericht über das heliozentrische Weltsystem des Copernicus ist Rheticus hauptsächlich
bekannt geworden. In Preußen traf Rheticus auch mit dem Herzog Albrecht von Preußen
zusammen, dem er seine «Chorographia» widmete. Im Widmungsschreiben berichtet
Rheticus von der aufstrebenden Mathematik und Astronomie, von der Auffindung der
Schriften der antiken Mathematiker, von der Notwendigkeit der Geometrie für die
Landvermessung und Schiffahrt, die uns ja schon nach Amerika gebracht habe, vom Nutzen
der Landkarten für die Politik und anderem mehr:
«Chorographia teusch. Durch Georgium Joachimum Rheticum Mathematicum, und der Universitet Vitenberg
Professorem zusammengebracht und an den tag geben.
MDXLj.
Dem durchleuchtigen, hochgebornen furstne und herren, herren Albrechten markgraven zu Brandenburg, In
Preussen, zu Stetin Pomren, der Cassuben und Wenden herzogen, Burggraven zu Nurenberg, und fursten zu
Rugen meinem gnedigen herren.
Durchleuchtiger hochgeborner furst, E[ure] F[ürstliche] G[naden] seien mein geflisne dienst, alle zeit
zuvoran berait, Gnediger her, wie durch sunderliche schikung Gottes alle andre lobliche kunst zu unsren zeitten
herfur komen, und Gott der herre, neben seinem Wort, auch durch sein geschopf und Creatur will erkant werden,
wie dan die alten rechten philosophi bekennet haben, das die natur der schonste Spiegel Gottlicher majestet seye,
darinnen Gottes macht und gegenwerikait, gewaltig und sichtlich erkennet wert. Also befinde Ich warlich, das er
die hohen kunst welche man Mathematicas nennet nicht will lenger dahinden bleiben lassen. Die Geometry thut
sich gewaltig hervor. Dan Euclides ist in seiner aignen sprach an tag kumen, so finden sich auch herbey
Menelaus, Theodosius, Apollonius und der hochberumbt Archimedes, von welchen man kurtz vor unsren zeitten
nischt gewisses hat zu sagen gewust.
An der Astronomei hat es auch kainen fel, dan es ist nun vorhanden Ptolemaeus graece. So werden wir auch
durch das loblich opus des achbaren und hochgelarten herren Doctoris Nicolai Copernicj, meines herren
Praeceptoris [Lehrers], ain gewisse rechenschafft haben, der Zeit und des Jares, auch wie die Son, der Mond, und
alles gestirn yren lauff haben, und in was mos [Maß] und ordnung sey geschaffen seyen, an welchem, wie
wissentlich bis anher grosser mangel und fel gewesen ist. Die andren als Arithmetic, Music etc. sindt auch
zimlich Jm schwank [im Schwange]. Aber die Geographej bleibt noch ligen, und ist wänig hoffnung das die
selbig folkumlich [vollkommen]moge erneuret und reformirt werden. Dan der alten scripta, als Ptolemaej
weiwol sey vorhanden seint, komen sey uns doch waenig in dem zu nuz. [Denn die alten Schriften, obwohl von
Ptolemäus welche vorhanden sind, sind uns darin von wenig Nutzen]. Zum tail darumb, das mit dem fal der
Romischen Monarchey, und hernach aller reich verendrung, auch Tyranney der Turken, gemaines der
Christenhait erbfindes [der gemeinsame Erbfeind der Christenheit], vil furnemste sthet verwust seint [viele
vornehmste Städte verwüstet worden sind], als man jetz nicht waist wo Athen in Graecia gestanden ist, welche
doch das hopt Graecia [Hauptstadt Griechenlands]war, und aus welcher Xerxes der fast gantz Asiam inhielt
gedemutiget wardt. So werden dargegen andre stett auffgebauen und die alten namen deren so noch gebliben
seind verlieren sich auch, als man in Germania waenig gewisses waiss von denen so Ptolemaeus beschriben hat.
Zum andren das auch etlich lender von sich selbst abnemen, zu geringrung kumen, und gleichsam
veralten.Dagegen vil lender so zu Ptolemaei zeitten ytel [eitel, d.h. völlig] wildnussen und wusten gewesen sind,
und darvon man wänig zu sagen gewist, seind jezen gutte und wol erbaute lender, und mit Religion und loblicher
Policej verfasset, wie man in Septentrione [im Norden] findet. Endlich haben die gewaltige segelationes
[Segelfahrten] unss auch gantz wie man sagen will, zu ainer andren und neuen welt, gebracht, do man vor
gedacht hat, wie es alles mit wasser beflossen und nur ain mer, das man Oceanum nennet, waere.
Wan nun frid und ru in allen landen wie zu den zeitten Divj Augusti waere, und die hochen Potentaten, wie
die alten gethon haben, darzu thetten, das man ain gewisse verzaichnung der lender und aller welt haben kunnte,
so mochte wol ain hoffnung sein, das die Geographej auch zu unsren zeitten gebessret wurde. Diewel aber auss
dem nichtes wurt, wie auch der hailigen schrifft Propheceyen zeugen, so mag man sich beflaissen, das man deren
lendren so man gehaben mag gewisse verzaichnung zu hauffen brenge, welches ich gantz nöttig achte. ]domit
Ich die trefflichen auch ander gemaine utilitates [Nützlichkeiten] der Geographej fallen lasse, welche E[ure]
f[ürstliche] g[naden], auss hohem furstlichem verstandt, und alss ain besundrer liebhaber disser hohen kunstne
selber zu bewägen waiss, waere warlich gut das man etwas bey der lustigen und nutzlichen Kunst thete, von
wegen der hochloblichen Kunst welche zu unsren zeitten Astrologia genant wurt. Dan wo man ainer stat
longitudinem [Länge] und latitudinem [Breite] nicht waist, ist es auch unmeglich darauff Eclipses [Finsternisse],
Item [also] der Sonnen, des mons [Monds], planeten und alles gestirns motus [Bewegungen] und zu dem
selbigen ort Ir habitudines [Beschaffenheiten] zu rechnen, auss welchem dan gedachte kunst, von wurkung der
natur und kunfftigem Eruditas coniecturas [wissenschaftliche Vermutungen] zu nehmen leret. Welches ja
nutzlich und nicht ain kleine Gottes gab ist, wie alle rechte vernunfft und tegliche erfarung weist und mitbringkt.
Nach dem aber die Potentaten gemainer Christnehait zu unsren zeitten mit hochen wichtigen hendlen beladen
sindt, die Regligion betreffendt, frid und einikait zu erhalten, Civilia bella zu verhutten [Bürgerkriege zu
verhüten], und dem Turken widerstandt zu thun, ist kain ander mittel verhanden, disser lender daruber man
gewisse verzaichnung nach rechter art der Geographej haben mag, dan das sich in allen lendren hin und wider,
leut, die der kunst sich befleissen, mit hilff der hochloblichen fursten und herren, Chorographicas tabulas, so
man lands tafflen [Landkarten] nennen mocht mit fleiss colligierten [sammeln] und an tag geben, damit sich
etwa ain rechter grundlicher Mathematicus daruber begeben mochte, und in des Ptolemaei Fustapffen tretten,
und die Geographej wie es sich erfordert, wie umer muglich erneuere. Aus welchem bedenken, das sich
gemainem nutz zu gut dester mehr, so den kunsten genaigt sindt herbey funden, habe Ich auss bit filler gutter
frundt [gemäß der Bitte vieler guter Freunde], und auch E[urer] f[ürstlichen] g[naden[ hoffmalers, Crispinio
Harand, wiland des weitberimpten Albrechten Durers, discipulo, alle art und weiss nach rechter Art der
Mathematic zusamen gebracht, und in das teusch verfast, wie die Choreographicae tabulae, oder lands tafflen
gemacht mogen werden. Und damit es menklichem zu mehrem nutz und fordrung raichen mochte, habe Ich auch
von rechtem gebrauch des Magneten und schipper compas grundtlich zu machen hinzugesatzt, In welchem wie
kundpar bis anher mangel gnug befunden wurt.
Dis mein klain und erst werk, so Ich in teuscher zungen lass aussagen, habe ich vornemlich E[ure]
f[ürstliche] g[naden] von dissen kunsten, und was die Mathematic betrifft, nebendt andren geschefften reipub:
[Staatsgeschäften], wie wir von Julio Caesare und Carolo Magno lesen, hab horen loblich wol und grundlich
reden, dardurch E[ure] f[ürstliche] g[naden] genaigter und genediger wille zu dissen kunsten und Iren Cultoribus
zu spuren ist, bin Ich der Hoffnung E[ure] f[ürstliche] g[naden] werde dis, wievol klain dienstlich erzaigung
meines dankbaren willens, der furstliche vererung, so mir E[ure] f[ürstliche] g[naden] gantz genediklich
bewissen hat, von mir in gnaden auffnemen. Und hoffe das nachdem E[ure] f[ürstliche] g[naden] dieses buchlin
zu ainem Patrono haben wurdt, so wurde es mehr gebraucht und angenemer sein. Und thu mich hiemit E[ure]
f[ürstliche] g[naden] dienstlich und undertheniglichen bevelchen [befehlen, d.h., anempfehlen], welche Gott der
allmechtig alle zeit genediglich bewar. Datum zur frowenburg im Augusto des MDXLj Jars.
E[ure] f[ürstlicher] G[naden] dienstwilliger und geflissner diener Georgius Jo[achimus] Rhecticus
Ma[thema]ticus.»31
Allmählich wird das Studium der Mathematik zur Voraussetzung jeder höheren Bildung. Das
mathematische Wissen eines durchschnittlichen Universitätsabsolventen bestand nun nicht
mehr aus nur einfacher Arithmetik und etwas euklidischer Geometrie, sondern zusätzlich
zumindest teilweise aus neu entwickelten Methoden, die aus der Navigation, der Kriegskunst,
dem praktischen Kaufmannsrechnen mit der neuen doppelten Buchführung, dem
Ingenieurwesen usw. entstanden warne. In einem «Vollständigen Handbuch für den
Gentleman» (The Compleat Gentleman) von Henry Peacham aus dem Jahre 1622 finden wir
folgende Bemerkungen:
«Kurz, der Nutzen, den dir die Geometrie bringen wird, liegt darin, dass du deine Ländereien vermessen kannst,
dass du dir eine Meinung darüber bilden kannst, ob du neu bauen oder umbauen sollst, dass du deine Mühlen
sowohl zum Kornmahlen einrichten kannst als auch für die Wasserförderung aus deinem Boden und dass du
Wasser von weit herbeibringen kannst für vielfältigen Nutzen … So kann ich nicht verstehen, wie ein
Gentleman, besonders ein Soldat und Kommandant, voll ausgebildet sein kann ohne Geometrie… Die Autoren,
die ich dir für den Anfang empfehlen möchte, sind in Englisch folgende: Cookes Principles und die Elements of
Geometry, auf Latein geschrieben von Peter Ramus und übersetzt von Dr. Hood, der einmal Mathematikdozent
in London war; Meister Blundeville und Euklid in englischer Übersetzung. In Lateinisch kannst du den gelehrten
Jesuiten Clavius nehmen, Melanchthon, Gemma Frisius und von Valtanus die Militärgeometrie. Albert Dürer
[sic!] hat darüber ausgezeichnet auf Hochdeutsch geschrieben, auf Französisch Forcadel über Euklid, mit vielen
anderen.»32
Damit die Mathematisierung zu einem naturwissenschaftlich sinnvollen und
folgenschweren Programm werden konnte, mussten mindestens vier Faktoren
zusammenspielen: die Neufassung der Philosophie Platos, die Rezeption der antiken
Mathematik, der Wille (und die Notwendigkeit), über die Bedürfnisse der mittelalterlichen
Bedarfswirtschaft hinaus einen gesellschaftlichen und privaten Nutzen aus der Natur in
systematischer Weise zu ziehen und schließlich die Ausweitung der Problembereiche, die als
der Mathematik zugänglich angesehen werden, indem die aristotelischen Beschränkungen
wegfallen und durch Künstleringenieure und Gelehrte neue, d.h., in der Natike noch nicht
behandelte Probleme aufgewiesen werden.
5. Entstehung des Experimentbegriffs
Magie, Alchemie, Astrologie, Hermetismus
Der Neuplatonismus, von dem schon im letzten Kapitel viel die Rede war (s. S. 69 ff), war
nicht nur eine Quelle für ein rationales und mathematisches Denken, sondern erhielt in der
Renaissance auch eine irrational-schwärmerische Ausprägung. Vorstufen dieser Tradition
wurden dem Mittelalter hauptsächlich durch die Araber zugänglich gemacht. Sie leiten sich
jedoch auch direkt von Plato her, dessen mehr schwärmerische Lehren nie ganz ausgestorben
waren, sondern in der Mystik und augustinischen Schule weitergewirkt haben. In der
Renaissance erreichen die auf arabische Tradition zurückgehende Alchemie und die Magie,
zwei Formen dieser Bewegung, eine Blüte. Im Gegensatz zur aristotelischen Schule, die die
Naturerkenntnis in passiver Beobachtung der Natur zu finden meint, werden von den
Alchemisten und Anhängern der Magie bewusst künstliche Techniken gesucht und
entwickelt, mit denen der Mensch die Natur beherrschen kann. Damit wurde ein
experimentelles Element in die Beschäftigung des Menschen mit der Natur eingebracht,
obwohl von kontrollierten Experimenten im Galileischen Sinne noch schwerlich die Rede sein
kann.
Der Arzt, Alchemist und Sozialreformer Paracelsus (eigentlich Philippus Aureolus
Theophrastus Bombastus von Hohenheim, 1493-1541) war der farbigste und einflussreichste
Denker dieser Bewegung. Seine Naturlehre vereinigt Elemente der Volksmedizin, Alchemie,
Metallurgie, Magie und Mystik, aber auch solches Denken, das für uns heute noch als Chemie
und Medizin im strengen Sinne gelten kann. Seine zahlreichen Schriften fanden besonders in
den hundert Jahren nach seinem Tod eine starke Verbreitung.
Der wichtigste Einfluss auf Paracelsus und die anderen magischen, alchemischen und
okkulten Denker der Renaissance ging von den so genannten «Hermetischen Schriften» aus.
Diese Traktatsammlung wurde kurz nach der Eroberung von Konstantinopel (1453) in
Florenz bekannt und sollte einen altägyptischen Priester namens Hermes Trismegistos
(«Hermes der dreimal Größte») zum Autor haben. Cosimo de’ Medici war von diesen
Schriften so beeindruckt, dass er Marsilio Ficino beauftragte, die Hermetischen Schriften
noch vor den Platonischen zu übersetzen. Die erste griechische Ausgabe erschien 1454 und
die lateinische Übersetzung 1463. Im Jahre 1614 konnte der Philologe Isaak Causabonus
jedoch nachweisen, dass die Hermetischen Schriften keineswegs uralte und geheimnisvolle
ägyptische Weisheitslehren überliefern, sondern hellenistisch-neuplatonischen Ursprungs sind
und aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. stammen.
Für unser Thema sind vor allem vier Lehren der hermetisch-neuplatonischen Tradition
wichtig, die in den Hermetischen Schriften behandelt werden: die Auffassung von der
Entsprechung von Mikro- und Makrokosmos, die Emanationslehre, die Lehre von der
Allbeseeltheit der Welt sowie die Lehre, dass alle Dinge dieser Welt durch mehr oder weniger
große Sympathie oder Antipathie aufeinander einwirken.
Mikro- und Makrokosmos-Analogie, Emanationslehre
Für die Chemie und Medizin folgenreich war die Auffassung, dass der menschliche Körper
als ein Mikrokosmos dem Weltall als Makrokosmos entspreche. Im frühen Neuplatonismus
und in der Mystik wurde die Welt und alles, was existiert, in einer stufenartigen Gliederung
gesehen: es gibt eine Hierarchie vom niedrigsten bis zum höchsten Sein. Das höchste Sein ist
das Ein und Alles, das Göttliche, aus dem sich die niedrigeren Seinsstufen herleiten. Dieses
Strömen des Seins aus einem höchsten Sein, die Abhängigkeit des niederen Seines vom
höheren, ist die Emanation, die wir schon bei Grosseteste in Form der Lichtmetaphysik
kennen gelernt haben (s. Abschnitt 3).
Im Stufenbau des Seines nimmt der Mensch eine Sonderstellung ein, er steht in jeder
Hinsicht in der Mitte. Durch seine Seele hat der Mensch teil am höchsten Sein, dem göttlichen
Geist, durch seinen Geist hat er teil am Himmel und durch seinen vergänglichen Körper teil
am niedrigsten Sein, den Stoffen der Erde. Der Mensch trägt also die Möglichkeiten für alle
Seinsstufen in sich und ist damit Abbild der Welt. Durch sein Verhalten hat er es in der Hand,
den Anteil der verschiedenen Seinsarten, die er in sich trägt, entweder zu vergrößern oder zu
vermindern. Im Folgenden beschreibt Paracelsus, dass sich die Kräfte des Makrokosmos im
Menschen finden:
«Was tut diese red? Alein das ir verstandent das der mensch die klein welt ist, nit in der form und leiblichen
substanz sonder in allen kreften und tugenden wie die groß welt ist, aus dem menschen nun folget der edel nam
microcosmos, das ist so vil das al himlische leuf, irdische natur, wesserische eigenschaft und luftische wesen in
im sind. In im ist die natur aller früchten der erden und aller erz natur der wasser, dabei auch alle constellationes
[Sternstellungen] und die vier wind der welt, was ist auf erden des natur und kraft nit im menschen sei?
…darumb so gebürt sich nun fürhin, von den microcosmischen kreften zu reden, die ding zu erkleren, die durch
die unsichtbare art gewirket werden, die zauberisch, hexisch, teufelisch zu sein das gemeine Volk vermeinet, so
sie doch al natürlich sind und in natürlichem grunt erfunden werden. Dan ir sollen in des menschen glidern ein
zwifache natur erkennen: ein greifliche wirkende kraft und ein ungreiflich wirkende kraft; dan der sichtig leib
hat sein natürliche wirkung, der unsichtig dieselben auch. Al die bresten so der sichtige leib tregt, dieselbigen
arznei hat er auch an derselben stat, und was im mag für schaden zugestelt werden, den mag er auch wenden.»33
Wie nun augenscheinlich der Himmel und die sichtbare Welt in dauernder Bewegung
sind, sah Paracelsus auch die stoffliche Natur des Menschen in dauernder Veränderung. Der
menschliche Körper ist eine Art chemisches Laboratorium, in dem Prozesse ablaufen, die man
mit richtig dosierten Stoffen aus dem Makrokosmos beeinflussen kann. Ein solcher Einfluss
ist z.B. die Aufnahme krankmachender Stoffe durch Luft, Nahrung oder Flüssigkeit. Der Arzt
kann schlechte Einflüsse korrigieren, indem er dem Patienten Gegenmittel verabreicht. Diese
Gegenmittel müssen auch sehr sorgfältig hergestellt und genau dosiert sein, um ihre
«Arcana», d.h. ihre geheimen Wirkkräfte, entfalten zu können. Im folgenden kritisiert
Paracelsus die Apotheker, die alles durcheinander rühren und vom richtigen Dosieren nichts
verstehen:
«wie ein ietlich ding seine besondere meisterschaft hat zu dem, dahin es gehört, also sollet ir auch hie verstehen
in den krankheiten, das sie sondere arcana haben, darumb so müssen sie sondere praeparationes
[Vorbereitungen] haben, von disen praeparationibus rede ich, also zu verstehen, das sondere arcana sondere
administrirung haben und andere administrirung andere praeparirung, nun ist in apoteken kein praeparaz nit,
allein ein durcheinander kochung wie ein suppenwust, und im selbigen kochen ertrinken die arcana und komen
zu keiner wirkung nicht; dan die natur muss in irer weis und art behalten werden. Wie ir sehet das ein sondere
bereitung ist mit dem weinziehen, ein besondere mit dem brot ziehen, ein besondere mit dem fleisch, mit salz
etc., kreutern und ander ding, also dermaßen sollent ir auch verstehen, wie die natur nicht durcheinander
plampert essen und trinken, fleisch und brot in ein forme sondern besonder; geschicht nicht ohne große ursachen
sonder aus vil ursachen, hie nicht not zu erzelen.»34
Die Auffassung der Paracelsisten (auch Iatrochemiker, d.h., Arzt-Chemiker genannt)
stand im Gegensatz zu der Medizin der aristotelisch-galenischen Tradition, die Paracelsus
nicht müde wird, mit den deftigsten Ausdrücken zu belegen. Nach der alten Medizin ist der
Mensch krank, wenn das Gleichgewicht seiner Körpersäfte gestört ist. Die Körpersäfte (Blut,
Schleim, gelbe und schwarze Galle) sind, ebenso wie die Welt unter dem Mond, aus den vier
Elementen Feuer, Luft, Wasser und Erde zusammengesetzt. Paracelsus führte Sulfur
(Schwefel), Mercurius (Quecksilber) und Sal (Salz) als die grundlegenden Zustände und
wirkenden Eigenschaften aller Dinge ein. Diese drei Prinzipien sind nicht als chemische
Substanzen im heutigen Sinne zu denken, sondern eher als mögliche Aggregatzustände oder
Wirkungsformen; Schwefel ist das Brennbare, Quecksilber das sich Verflüchtigende und Salz
der Verbrennungsrückstand. Schwefel ist für das Wachstum der organischen Welt von
Bedeutung, Quecksilber bestimmt den Flüssigkeitsgehalt aller Dinge, und das Salz gibt den
Dingen und Körpern ihre Form und Festigkeit. Diese Paracelsische Betrachtungsweise ergab
eine Chemie, die nun besonders die Reaktion von Substanzen aufeinander in verschiedenen
Mischungen untersuchte und sowohl die Welt als auch den Menschen als dauernd im Prozess
von aufeinander folgenden chemischen Reaktionen begriff. In seinen «Büchern von der
Pestilenz und ihren Zufällen» kommt Paracelsus zum Schluss, dass Sulfur die materia
peccans, der krankmachende, in diesem Fall pesterregende, Stoff ist. Jeder Stoff steht auch in
Beziehung zu einem Planeten, dessen Wirkung zu berücksichtigen ist. In diesem Fall ist es
der Mars:
«Das fünft capitel:
Demnach und alle teil microcosmi mineralia seind, so wissen hieraus die ursach der krankheit zufinden, das
die mineralia die seind die in materiam pestis werden. Darauf wissent das alle infectiones sich mineralisch
enden, so nun die mineralia die materia ist, so ist sie auch die ursach der krankheit und wird genomen und
geboren an dem ort wie obgesagt ist. Dieweil aber der mineralium vil seind, so ist materia peccans nichts als
sulphur. Dan in dreien ston alle corpora, das mittel ist sulphur, dasselbig wird one widerred bleiben. Allein in
dem wird es euch widerwertig sein, wie der sulphur dermaßen die ursach sei. was ist mars als der geist des
sulphurs? Nun ligt es allein in dem, ob der geist leiblich werden mög, das allein beschicht in der ubernatürlichen
krankheit. Der geist müsst leiblich werden, er bleibt aber ein geist bis an seine stat, welche die drei obgemelten
[oben schon erwähnten] örter sind. diser geist vergleichet sich der hiz, so von der sonnen gehet und durch das
mittel anzündet; der leib ist das corpus das angezündet wird, das aber den leib anzünt ist das sulphur und das den
sulphur brennen macht ist der mars.»35
Die Lehre von der Entsprechung des Mikrokosmos mit dem Makrokosmos wurde nicht
nur für Medizin und Chemie, sondern auch für die Astronomie relevant. Wie wir sahen, ist für
Aristoteles der Himmel über dem Monde unveränderlich und unvergänglich und besteht aus
dem fünften Element, der ätherförmigen «quinta essentia». Paracelsisten schlossen nun auch
vom Mikrokosmos auf den Makrokosmos zurück: Wenn der Mensch in dauernder
Veränderung begriffen ist, wenn Reaktionen in ihm auftreten, so muss auch der gesamte
Kosmos sich in einem Prozess des dauernden Werdens und Vergehens befinden. Also gibt es
auch kein eigenes unvergängliches und himmlisches Element. In seiner Schrift über den
Kometen des Jahres 1577, aus der wir schon weiter oben (s. S. 65 f) zitiert haben, führt Tycho
Brahe auch die Meinung der Paracelsus-Schule über die Natur der Kometen an:
«Die Paracelsisten, die weil sie den Himmel für das fierte Ellement des feuers halten unnd erkennen, das
darinnen auch generationes [Entstehen] und corruptiones [Vergehen] sich können zutragen, ist es nach irer
philosophia nicht unmoglich, das die Cometten im himel geporen werden, gleicher weiß wie zu zeiten unerhörte
gewechß aus der erden unnd in den mettalen wie auch monstra under den thieren sich befinden, dan Paracelsus
vermaint, das die penates superi [obere Schutzgeister], welche ir wonung im himel unnd gestirn haben, zu
besonderer zeit aus gottes verhengknus [ex] materia celesti [aus himmlischer Materie], dessen die genueg finden,
solche neu stern und Cometten fabricieren unnd den menschen augenscheinlich fürstellen zu einem zaichen
zukonfftiger ding, welchs nit aus den planetten iren wahren uhrsprung sonder wider die Planetten aus dem
psudoplanetta, welcher ain Comett genannt wird, angezaiget und gemacht werden.»36
Hier ist die Möglichkeit für eine Sternentstehungstheorie, eine Kosmogonie, eröffnet –
eine für den Aristotelismus undenkbare Vorstellung.
Die Mikro-Makrokosmos-Analogie hat auch noch bei einer anderen wichtigen
Entdeckung eine Rolle gespielt. Zwischen 1616 und 1628 entdeckte William Harvey /1578-
1657) den großen Blutkreislauf. Er war überzeugt, dass dem Kreislauf der Erde um die Sonne
im Makrokosmos ein fundamentaler Kreislauf im Mikrokosmos des menschlichen Körpers
entsprechen müsse, der Kreislauf des Blutes um und durch das Herz:37
«8. Kapitel. Die Blutmenge, die durch das Herz aus den Venen in die Arterien hindurchgeht, und der Kreislauf
des Blutes.
Bisher war die Rede von der Überleitung des Blutes aus den Venen in die Arterien und von den Bahnen, die
es durchläuft und auf welche Art es durch den Herzschlag fortgeleitet und verteilt wird. Vielleicht gibt es einige
Leute, die da sagen, sie stimmen mir darin bei, nachdem die Autorität eines Galenos und des Colombo und die
Ansichten anderer vorher in s Treffen geführt worden waren. Nun aber, da ich das besprechen werde, was über
die Menge und die Fülle dieses hindurchwandernden Blutes (mit Verlaub, einer Erwägung sehr werte Dinge!) zu
sagen erübrigt, so ist dies so neu und unerhört, dass ich nicht nur infolge der Missgunst gewisser Leute eine
Unbill für mich fürchte, sondern mich sorge, ich mache mir die ganze Menschheit zum Feind: so mächtig ist bei
allen Menschen die Gewohnheit bzw. eine einmal eingesogene und tief im Boden eingewurzelte, sozusagen zur
zweiten Natur gewordene Lehre, und einen solchen Zwang übt irgendeine ehrwürdige Mutmaßung des
Altertums! Sei dem wie immer, der Würfel ist einmal gefallen. Und meine Hoffnung ruht auf der Wahrheitsliebe
und auf der Lauterkeit der Gesinnung der Gelehrtenwelt.
Da ich denn je nach den mir verfügbaren Mitteln sowohl auf Grund vielfältiger Untersuchungen im Wege
der zu Versuchszwecken veranstalteten Vivisektion als auch der Eröffnung von Arterien sowie auf Grund der
Symmetrie und Größe der Herzkammern, der aus- und eintretenden Gefäße (denn die Natur tut nichts zwecklos,
daher sie in diesen Gefäßen eine solche verhältnismäßig bedeutende Größen keineswegs zwecklos zugeteilt
haben dürfte) als auch auf Grund des kunstvollen und genauen Baues der Klappen und Fasern und der sonstigen
Einrichtung des Herzens wie auch auf Grund gar vieler anderer Dinge sowohl des Öfteren ernstlich erwogen als
auch im Geiste des längeren überlegt hatte, wie groß nämlich die Menge des übergeleiteten Blutes wohl wäre,
binnen wie kurzer Zeit sich diese Überleitung vollzieht, und mir vergegenwärtigt hatte, dass der Saft der
aufgenommenen Nahrung weder hinreicht zu verhindern, dass unsere Venen schließlich leer werden, dass wir
uns sie überhaupt auspumpen und dass wir uns andererseits die Arterien durch übermäßiges Einpumpen von Blut
sprengen würden, wenn das Blut nicht irgendwie aus den Arterien wiederum in die Venen zurückströmen und
zur rechten Herzkammer zurückkehren möchte: da fing ich denn an, mit mir zu Rate zu gehen, ob ihm etwa eine
Bewegung gleichsam im Kreise eigentümlich ist. Ich habe sie später als wahr befinden und auch entdeckt, dass –
wie vorher gesagt wurde – das Blut durch die Pulsation der linken Herzkammer aus dem Herzen durch die
Arterien in die Körpermasse und in alle einzelnen Teile ebenso gepresst und getrieben wird, wie es infolge
Pulsation der rechten Herzkammer durch die arteriose Vene in die Lunge und wiederum durch die Venen in die
Hohlvene und bis zum Ohr zurückströmt, wie es aus den Lungen durch die so genannte venöse Arterie zur linken
Kammer gelangt war. Es sei gestattet, diese Bewebung im selben Sinne einen Kreislauf zu nennen, wie
Aristoteles das Wetter und den Regen mit einer Kreisbewegung der oberen Regionen verglichen hat. Denn das
feuchte von der Sonne erwärmte Erdreich entwickelt Dünste, die aufgestiegenen Dämpfe verdichten sich und
steigen zum Regen verdichtet wieder abwärts, sie befeuchten die Erde, und auf diese und ähnliche Weise geht
hier durch den Kreislauf der Sonne, durch deren Hinzutreten und Zurücktreten die Erzeugung und Entstehung
der Gewitter und der sonstigen Himmelserscheinungen vor sich. So dürfte es wahrscheinlich auch im Körper
zustande kommen, dass alle Teile durch die Blutbewegung mittels eines erwärmten, vollkommenen, dunstigen,
geistigen und (um mich so auszudrücken) nährkräftigen Blutes genährt, durchwärmt und belebt werden, dass das
Blut hingegen in den Körperteilen abgekühlt, verdichtet und geschwächt wird, daher es zu seinem Ursprung, und
zwar zum Herzen, gleichsam zu seiner Quelle bzw. zum Hausaltar des Körpers zurückkehrt, um seine
Vollkommenheit wieder zu erlangen. Dort wird es durch die natürliche, kräftige, feurige Wärme, diesen
Lebensschatz, von neuem verflüssigt, mit Spiritus und (sozusagen) mit Balsam geschwängert, von hieraus wird
es wiederum verteilt: und all das ist von der Schlagbewegung des Herzens abhängig.
So ist das Herz der Urquell des Lebens und die Sonne der <kleinen> Welt, so wie die Sonne im gleichen
Verhältnis den Namen Herz der Welt verdient. Durch sein Kraftvermögen und durch seinen Schlag wird das Blut
bewegt, zur Vollkommenheit gebracht und ernährt und vor Verderbnis und Zerfall bewahrt. Durch Ernährung,
Warmhaltung und Belebung leistet es seinerseits dem ganzen Körper Dienst, dieser Hausgott, die Grundlage des
Lebens, der Urheber alles Seines. Doch davon an anderer Stelle, wenn wir der Endursache dieser Bewegung
nachforschen werden.
Daher gibt es, da die Venen eine Art Bahnen und Rohrleitungen für das Blut sind, zwei Gattungen davon,
die Hohlvene und die Aorta, nicht im Sinne einer gleichseitigen Anlage (wie Aristoteles meint), sondern im
Sinne ihrer Bestimmung, und nicht (wie man gemeinhin annimmt) durch ihren Bau unterschieden (denn, wie ich
gesagt habe, so unterscheidet sich eine Vene bei vielen Tieren von den Arterien in gar nichts), sondern durch die
Aufgabe und Verrichtung verschieden; die Venen und die Arterien, beiden von den Alten nicht mit Unrecht
Venen genannt (wie Galenos bemerkt hat) deshalb, weil diese, und zwar die Arterie, ein Gefäß ist, welches das
Blut aus dem Herzen in den Körper ausführt, während jene das Blut aus der Körpermasse wieder ins Herz
zurückführt.
Diese stellt den Weg vom herzen dar, jene den Weg bis zum Herzen, jene enthält das bereits
zurückgegebene, verrohte, abgeschwächte, zur Ernährung nicht mehr geeignete, diese das gekochte,
vollkommene, nährkräftige Blut …»
«14. Kapitel: Schluss des Nachweises über den Blutkreislauf.
Nun möge es denn schließlich gestattet sein, unsere Ansicht über den Blutkreislauf vorzutragen und allen
Menschen vorzuschlagen. Da all dies sowohl durch Erwägungen als auch durch augenfällige Versuche
festgestellt ist: dass das Blut infolge der Pulsation der Herzkammern durch die Lungen und das Herz
hindurchgeht und in den ganzen Körper hineingetrieben und versendet wird und dort in die Venen und in die
Porositäten des Fleisches eindringt und durch die Venen selbst allseitsher von der Peripherie nach der Mitte, von
den kleinen Venen in die großen zurückströmt und von dort in die Hohlvene und endlich zum Herzohr gelangt
und in so großer Menge in so mächtiger Strömung und Rückströmung von hier aus durch die Arterien dorthin
und von dort durch die Venen her zurück, dass es von der aufgenommenen Nahrung nicht nachgeliefert werden
kann, und zwar in viel größerer Fülle (als für die Ernährung genügt), so muss man notwendigerweise schließen:
Das Blut bewegt sich bei den Lebewesen in einem Kreise vermöge einer gewissen Kreisbewegung. Und es ist in
immerwährender Bewegung, und dies ist die Tätigkeit bzw. Betätigung des Herzens, die es mittels eines Pulses
zustande bringt, und überhaupt: die Bewegung und der Schlag des Herzens sind die einzige Ursache.»38
Harvey rückte mit seiner Entdeckung von Aristoteles und besonders von Galens
physiologischem System ab, obwohl er beide sonst sehr schätzte. Nach Galen entsteht das
Blut in der Leber. Aber auch Herz und Hirn sind eine Art von Quellpunkten, in denen
«Pneuma», ein Lebensgeist, dem Blut beigemischt wird. Das Blut sichert durch die Venen in
alle Körperteile, um sie mit Gewebeteilchen zu versorgen. Ein Teil des Blutes wandert durch
die Poren von der rechten in die linke Herzkammer. Von dort gelangt es in die Arterien, um
dem Körper mit Lebenskraft zu versorgen, die es beim Weg durch die Lunge aufgenommen
hat.
Auch mechanistisch eingestellte Naturforscher konnten jedoch Harvey nicht folgen. Für
den Vitalisten Harvey war das Herz nicht eine Pumpe, sondern mehr, ein beseeltes und
beseelendes Organ, das nicht rein mechanisch erklärt werden kann, wie es Descartes später
lehrte.
Panpsychismus und universelle Sympathie
Für den Aristotelismus war die Seele ein Formprinzip der Materie. Der Neuplatonismus
hingegen sah in der Seele im Stofflichen eingeschlossenen Geist. Aristoteles ordnete allen
Sphären der Himmelskörper eine Seele zu, als ein Prinzip, das die Bewegung der
Himmelskörper erst ermöglicht. Im arabischen Neuplatonismus wurde daraus eine ganze
Hierarchie von Intelligenzen, die später auch als Hierarchie der Engel gedeutet wurde.
Zusammen mit der Idee von der Emanation, die durch das Strömen der Welt aus Gott eine Art
von Gegenwärtigkeit Gottes in allen Dingen notwendig machte, war es nur noch ein kleiner
Schritt zur Vorstellung, dass die Welt selbst eine Seele habe bzw. dass alle Dinge der Welt
beseelt sind, eigene Seelen besitzen. Diese Seelen nun bestehen nicht isoliert nebeneinander,
denn sie sind ja mit der Weltseele und Gott selbst verbunden. Die ganze Welt ist vielmehr
durchwoben und durchzogen von Kräften, von Sympathien und Antipathien, die aufeinander
einwirken.
Nach der vorherrschenden Auffassung des christlichen Mittelalters ist der Mensch diesen
Mächten und Kräften ausgeliefert. Er kann sich nur mit Hilfe des Teufels und verbotener
magischer Praktiken dagegen zur Wehr setzen. Der Mensch darf jedoch nur soviel von den
unsichtbaren Kräften in der Natur erkennen wie ihm Gott in der Offenbarung erlaubt. (So
weist z.B. Buridan, wie wir schon auf S. 42 gesehen haben, darauf hin, dass von
irgendwelchen «Intelligenzen» als planetenbewegenden Geistern in der Heiligen Schrift nicht
die Rede sei und man deshalb versuchen müsse, die Himmelsbewegungen auch ohne die
Annahme solcher Wesenheiten zu erklären.)
In der Renaissance ändert sich nun grundlegend die Stellung, die der Mensch im
beseelten Universum einnimmt. Die Erkenntnis und Beherrschung der überirdischen Mächte
und Kräfte verliert ihren frevelhaften Charakter und wird zu einer natürlichen Sache.
Außerdem wird sie identifiziert mit der Erkenntnis der letzten Ursachen in der Natur, wie sie
sich z.B. die aristotelische Philosophie zum Ziel gesetzt hatte, und ebenso mit dem
platonischen Bemühen um die Erkenntnis des Wesentlichen hinter den Erscheinungen, z.B.
um die mathematische Form der Dinge, die die Erscheinungswelt transzendiert.
Auch die Astrologie erhält dadurch eine neue Bedeutung. Mit ihrer Hilfe wird nun nicht
mehr wie im Mittelalter dem Menschen sein unerbittliches und unentrinnbares Schicksal
vorausgesagt. Die Astrologie deckt vielmehr die Anlagen auf, die in jedem Menschen stecken.
Was der einzelne Mensch mit diesen von den Sternen offenbarten Möglichkeiten anfängt, das
ist völlig in sein Belieben gestellt und kann durch geschickte Ausnutzung der Kräfte
beeinflusst werden. (Dieser Gedanke klingt auch schon im «Tetrabiblos», dem astrologischen
Werk von Ptolemäus, an). In der «Astronomia magna» des Paracelsus kommt diese
Aufwertung des Menschen zum Ausdruck:
«Weiter so merkent den centrum aller ding, der centerum ist der mensch und er ist der punkt himels und erden.
Nun sollent ir iezo wissen, was dieser centrum und punkt bedeute, und das also, die ganze welt umbgibt den
menschen und ist umbgeben wie ein punkten ein cirkel umbgibt, nun folget ausdem, das alle ding in den punktn
ir neigung haben, zu gleicher weis als ein kernen in einem apfel ligt und zeucht vonime sein narung: dan er wird
mit dem apfel umbgeben und wird vom apfel erhalten und er gibet im auch seine narung, als ein regen oder tau
der vom himel herab in die erden felt und gibt ein anziehung der erden vom himel. Und als die ober sphaera
beweiset, also in solcher gestalt ist der mensch ein kern und die Welt der apfel, und wie mit den kernen im apfel
zu verstehen is, also ist auch der mensch zu verstehen in der welt, mit der er umbgeben ist. Und merkent etliche
anzeigung in der gestalt, das die sonne ir kraft auf den menschen gibt und gibt iren streimen [Strahlen] vonirem
cirkel herab bis in den punkten, das ist auf den menschen, das ein anzeigung ist, dieweil die sonn von ir den
schein gibt herab in mittel der welt auf den punkten, der dan der mensch ist, also auch alle andere eußere kreft
von dem eußern cirkel in den centrum wirkent. Wie also die sonn ire radios [Strahlen] gibt, in den selbigen ire
kraft von der höhe ihres cirkels herab in den menschen, also tun auch alle sternen, geben ihre streimen und kreft
hreab bis auf den menschen und in menschen, nicht alein in elementischer art wie die sonn, die da wermet, wie
der mon, der da keltet, sonder auch die sinlichen kreften in den sternen, kunst, weisheit, geschiklikeit, klugheit
geben gleich so wol ire streimen in die sinne der menschen, wie die sonn auf den leib, zu gleicher weis wie ein
feur, das durch den eisen ofen gehet, wie die sonn durch ein glas gehet, also durchgehet den menschen das
gestirn mit aller seiner eigenschaft und gehet in wie der regen in des ertrich, das dann aus dem selbigen regen
frucht gibt…
dan also hat uns got unsern lermeister in allen natürlichen künsten gesezt, alein das wir zu dem rechten
brunnen gehen. Also ist auch der größte arzt im firmament, der alle krankheit erkent und sicht die selbig, was
unser finster vor unser augen ist und sicht in kreutern und edelgesteinen was in inen ist…
anfenglich haben die alten also angefangen zu lernen, nicht das wir von inen lernen, sonder suchen den, den
sie auch gesucht haben, die uns dan wol wissenzu lernen, was uns iezo auf diese zeit not ist. Dan hin ist hin, ein
neues her! Das ist, ob gleichwol die alten uns etwas verlassen haben, das wir dasselbig wissen und künnen, so ist
es doch nicht in der gestalt an uns komen, das wir weiter nimer lernen sollen, dan das alein, das von inen da ist,
sondern alle ding bessern, mehr suchen, mer lernen; dan die schul und das schulrecht weret bis an das end der
welt.
Also merkent auf die astronomei, das sie eine notwendige kunst ist, die bilich hoch sollte gehalten werden,
wol und volkomen gelernet werden einer ursach halben, dan sie lernet einen ieden menschen erkennen, wie sein
gemüt, herz und gedanken sthetn, falsch, gerecht oder gut, in was art sie schlecht, tückisch oder nicht, was die
selbig stunt der conception [Empfängnis] getan hat und wirken wole durhc das selbig kint, so es anders dem
nachgehet, in das es geboren ist, und lernet einen jeglichen seinen lermeister suchen und wie er in suchen sol.
Aber zu gleicher weis, wie wir den elementischen leib auch nicht nach seinen elementen halten, sondern fressen,
saufen, huren, mer dan die elementa geben haben, also auch geschicht es mit dem himel, das er misbraucht wird.
Wie der elementisch leib die elementischen eigenschaft versauft, also geschieht es auch einem versaufer im
gestirn, das keiner dahin komen mag, dahin er geboren ist. Also zu besserer erklerung wissent, das aus der
selbigen schul das liecht der natur grüntlichen mag genomen werden, auf das wir nicht on das liecht der natur auf
diesem ertrich wantlen und das wir die bösen influenz austreiben und eine gute an uns ziehen. Wie ein schüler in
der schul anderst gehogen wird und mer lernet, dan wan er nicht gen schule ginge und hat die wal, was bücher er
will, aus denen mag er lernen…»39
So wie die Astrologie die Anlagen des Menschen aufzeigt, so findet man durch das
Praktizieren der Alchemie, durch das künstliche Eingreifen des Menschen in die Natur, erst
die Kräfte heraus, die in der Natur stecken. Der Mensch ringt der Natur in aktiver Handlung
ihre Geheimnisse ab und beherrscht die Natur. Er ist nicht mehr passiver Teil einer
geschlossenen, teleologisch und organologisch geordneten Welt, die den Platz des einzelnen
vorherbestimmt und für die Wissenserweiterung über das schon Bekannte hinaus unmöglich
ist. Folgerichtig vergleich Paracelsus die Tätigkeit des Arztes und Alchemisten mit der
Tätigkeit des Handwerkers:
«Alchimia, der dritte grund medicinae. (Der dritte tractat, von der alchimia.):
Nun weiter zu dem dritten grund, darauf die arznei stehet, ist die alchimei. Wo hierin der arzt nicht bei dem
höchsten und größten geflissen und erfaren ist, so ist es alles umbsonst, was sein kunst ist. Dan die natur ist so
subtil und so scharpf in iren dingen, das sie on große kunst nicht will gebrauchet werden; dan sie gibt nichts an
tag, das auf sein stat vollendet sei, sonder der mensch muss es vollenden, diese vollendung heißet alchimia, dan
ein alchimist ist der becke in dem so er brot bacht, der rebman in dem so er den wein macht, der weber in dem
das er tuch macht. Also was aus der natur wachst dem menschen zu nuz, derselbige der es dahin bringt, dahin es
verordnet wird von der natur, der ist ein alchimist. Auf solches nun so wisset ein solche unterscheid mit dieser
kunst, das zu gleicher weis als, so einer neme ein schafshaut und legt sie so rohe an für einen belz oder für einen
rok, wie grob und ungeschikt das ist gegen dem kürsner und tuchmacher, also grob und ungeschikt ist es, so
einer aus der natur etwas hat und dasselbig nicht bereit, un mer grob und ungeschikter; dan es trifft ane
gesuntheit und den leib und das leben. Darumb mer fleiß darinnen zu suchen und zu haben ist. Nun haben aber
alle hantwerk der natur nachgegrünt und erfaren ir eigenschaft, das sie wissen in allen iren dingen, der natur
nachzufaren und das höchst als in ir ist daraus zubringen.»40
Von dieser «Kraft der Natur» war es jedoch noch ein weiter Weg, bis sich ein
Kraftbegriff in der Physik herausbilden konnte, der mit den Vorstellungen von universaler
Beseelung und Sympathie nichts mehr zu tun hatte. Es finden sich im 16. Jahrhundert noch
viele Naturforscher, die beide Konzeptionen neben- und miteinander vertreten. Auch Kepler
hat erst nach langem Hin und Her die Beseelungsidee aufgegeben. Wir haben schon (S. 66 f)
zwei Briefe von ihm zitiert, in denen er die Idee vom Weltall als göttlichem Organismus
verwirft und stattdessen das Weltall mit einem Uhrwerk vergleicht.
1596 schrieb er noch in seinem «Mysterium cosmographicum» (Weltbeschreibungs-
Geheimnis):
«Wenn wir nun aber auch näher an die Wahrheit herantreten und irgendeine Gleichheit in den Verhältnissen [der
Planetenbewegungen zu den Planetenbahnen] erhoffen wollen, so müssen wir eine der beiden folgenden
Festsetzungen treffen: entweder sind die bewegenden Seelen* [motrices animae; gemeint: der Planeten] um so
schwächer, je weiter sie von der Sonne entfernt sind, oder es gibt nur eine bewegende Seele** im Mittelpunkt
aller Bahnen, d.h. in der Sonne, die einen Körper umso stärker antreibt, je näher er ihr liegt, bei den entfernteren
aber wegen des weiten Weges und der damit verbundenen Schwächung der Kraft gewissermaßen ermattet. Wie
also in der Sonne die Quelle des Lichtes liegt und der Ursprung der Bahn am Ort der Sonne, d.h. im Mittelpunkt
sich befindet, so gehen nun Leben, Bewegung und Seele der Welt auf die Sonne zurück.»
25 Jahre später (1621) gibt Kepler eine neue Ausgabe des «Mysterium Cosmographicum»
mit vielen Anmerkungen heraus, nachdem er seine nach ihm benannten Gesetze gefunden und
sein Hauptwerk veröffentlicht hatte. In den neuen Anmerkungen zu der eben zitierten Stelle
heißt es nun:
«*Dass es solche [bewegenden Seelen] nicht gibt, habe ich in den Marskommentaren [= Astronomia Nova,
1609] bewiesen.
**Wenn man statt des Wortes <Seele> [anima] das Wort <Kraft> [vis] setzt, hat man gerade das Prinzip, auf
dem die Himmelsphysik in den Marskommentaren grundgelegt und in der Epitome [Astronomiae Copernicanae,
1618-20] IV vervollkommnet worden ist. Dereinst war ich nämlich festen Glaubens, dass die die Planeten
bewegende Ursache eine Seele sei, erfüllt von den Lehren des J.C. Scaliger über die bewegenden Seelenkräfte.
Als ich aber darüber nachdachte, dass diese bewegende Ursache mit der Entfernung nachlässt, genau wie auch
das Licht der Sonne mit der Entfernung von der Sonne schwächer wird, zog ich den Schluss, diese Kraft sei
etwas Körperliches, freilich nicht im eigentlichen Sinne, sondern nur der Bezeichnung nach, wie wir auch sagen,
das Licht sei etwas körperliches und damit eine von dem Körper ausgehende, jedoch immaterielle Species
meinen.»41
Später war es einer der Haupteinwände der Cartesianer gegen Newtons
Gravitationstheorie, dass die Schwerkraft als eine in die Ferne, auch durchs Vakuum
wirkende Kraft, eine «qualitas occulta», eine geheimnisvolle, alchemistische Eigenschaft sei,
die in Newtons Theorie mechanisch nicht erklärt werde. Newton versuchte auch tatsächlich
sein ganzes Leben lang, eine mechanische Ursache für die Schwerkraft zu finden und
schwankte zwischen einer Erklärung durch die Annahme eines Äthers und einer Erklärung,
die die Schwerkraft mit dem göttlichen Wirken in der Natur gleichsetzte.
Die Ideen von der Beseeltheit der Welt und de Wirkung von Sympathien in der Welt
haben auch William Gilbert (1540-1603) beeinflusst. Er schrieb 1568 das 1600 veröffentlichte
Buch «De magnete», das die erste, im modernen Sinne experimentelle Abhandlung überhaupt
genannt wurde. Dieses Werk war für Magnetismus und Elektrizitätslehre bahnbrechend. In
gewissem Maße gehört es auch zur Vorgeschichte der Newtonschen Gravitationstheorie.
In circa 50 sorgfältigen Experimenten versuchte Gilbert, die seit der Antike bekannten
Phänomene des Magnetismus zu klären. Er unterschied als einer der ersten zwischen
elektrischer und magnetischer Anziehungskraft und kam zum Schluss, dass die Erde selbst ein
Magnet sei. Er nahm sich als Modell einen kugelförmig geschliffenen Magneten, den er «die
kleine Erde» (terrella) nannte:
«Da ja die Kugelgestalt, die auch die vollkommenste ist, mit der kugelförmigen Erde am meisten übereinstimmt
und sich zum Gebrauch und zu Versuchen am besten eignet, so sollen wir unsere hauptsächlichsten Darlegungen
am Magnetstein mit einem kugelförmigen Magneten machen, der sozusagen ein vollkommener und hierfür
passenderer ist.
Nimm also einen kräftigen, massiven Magneten von angemessener Größe, der gleichförmig, hart und
unversehrt ist. Mache aus ihm eine Kugel auf einer Drehscheibe, mit der Kristalle und andere Steine geschliffen
werden, oder mit anderen Werkzeugen, wie es Stoff und Festigkeit des Steines erfordern, die manchmal nur
schwer künstlicher Bearbeitung nachgibt. Dieser so zubereitete Stein ist der wahre, gleichartige Sprössling der
Erde und ihr an Gestalt gleich. Er hat die kugelrunde Gestalt, die die Natur von Anfang an der gemeinsamen
Mutter Erde gegeben hat, künstlich erhalten und ist ein physischer kleiner Körper, mit vielen Kräften
ausgestattet, durch den viele in der Naturwissenschaft verborgene und vernachlässigte Wahrheiten, die in einer
bejammernswerten Dunkelheit liegen, den Menschen recht leicht bekannt werden können. Dieser runde Stein
wird von uns «Mikroge» oder «terrella» genannt.
Um nun die der Erde entsprechenden Pole zu finden, halte den runden Stein in der Hand und lege oben auf
ihn eine eiserne Nadel oder einen Eisendraht: es bewegen sich die Enden des Drahtes um seinen Schwerpunkt
und kommen plötzlich zur Ruhe. Auf dem Stein bezeichne mit Ocker oder Kreide die Stelle, wo der Draht liegt
und zum Stillstand gekommen ist. Bewege dann die Mitte oder den Schwerpunkt des Drahtes nach einer anderen
Stelle hin und ebenso nach einer dritten und vierten unter stetem Zeichnen auf dem Stein in der Längsrichtung
des zur Ruhe gekommenen Eisendrahtes. Diese Linien zeigen auf dem Stein oder der terrella die Meridiankreise
oder solche, die den Meridianen ähnlich sind; dass diese alle in den Polen des Steines zusammenlaufen, wird klar
sein. Aus den in dieser Weise sich schneidenden Kreisen werden die Pole gebildet, der Nordpol sowohl wie der
Südpol, und zwischen ihnen kann man in mittlerem Abstande einen größten Kreis als Äquator ziehen, nicht
anders, als wie ihn die Astronomen am Himmel und an ihren Himmelskugeln und die Geographen auf der
Erdkugel beschreiben; denn diese Linie, die so auf unserer terrella gezeichnet ist, gebrauchen wir
verschiedentlich bei unseren Darlegungen und magnetischen Versuchen.»42
Fast das gesamte Buch, das auch von dem Gebrauch des Magnetkompasses in der
Schiffahrt und astronomischen Themen handelt, ist in ähnlicher, nüchternern, von
experimentellem Geist geprägter Sprache gehalten. Es gibt jedoch ein Kapitel, in dem Gilbert
an die magische neuplatonische Tradition anknüpft:
«Kapitel XII.
Die magnetische Kraft ist belebt oder gleicht einer Seele; in vieler Hinsicht ist sie der menschlichen Seele
überlegen, solange diese mit dem organischen Körper verbunden ist. Wunderbar und gleichsam belebt hat sich
der Magnetstein in vielen Experimenten gezeigt. Und dies ist dieselbe hervorragende Eigenschaft, die den Alten
als Seele im Himmel, in den Himmelskugeln und Sternen, in Sonne und Mond galt. Denn sie glaubten, dass ohne
eine göttliche und belebte Natur nicht so verschiedene Bewebungen erzeugt werden, so riesige Körper in festen
Zeiten umlaufen, so wunderbare Kräfte anderen Körpern eingeflößt werden könnten; wobei die ganze Welt in
schönster Mannigfaltigkeit blüht durch diese ursprüngliche Form der Himmelskugeln selbst. Die alten
Philosophen wie Thales, Heraklit, Anaxagoras, Archelaus, Pythagoras, Empedokles, Parmenides, Plato und
sämtliche Platoniker – und nicht nur die alten Griechen, sondern auch die Ägypter und Chaldäer -, sie alle
suchen nach einer gewissen universalen Weltseele und versichern, dass die ganze Welt mit einer Seele versehen
sei. Aristoteles hielt nicht das gesamte Universum für beseelt, sondern nur den Himmel. Seine Elemente
bestimmte er als in Wahrheit unbeseelt, die Sterne hingegen für beseelt. Wir finden unsererseits diese Seele ur in
den Himmelskugeln, und zwar in den gleichartigen Teilen derselben; wobei nicht gesagt ist, dass sie in allen
gleich ist. (Die Seele der Sonne und die Seelen bestimmter Sterne sind nämlich den Seelen in weniger edlen
Himmelskugeln überlegen.) In vielen Wirkungen sind sich die Seelen der Globen jedoch gleich. Denn so strebt
jeder gleichartige Teil zu seiner ihm gemäßen Himmelskugel und neigt sich in die Richtung, die der ganzen Welt
gemein ist, und die ausgeströmten Formen treten aus allen hervor und bilden eine Kugelschale mit ihren eigenen
Grenzen. Von daher leitet sich ab die Ordnung aller Bewegungen und der Umläufe der Planeten, ihre
Regelmüßigkeit und ihre feststehenden und bestimmten Kreisläufe, in denen sie nie umherschwankten. Daher
gesteht Aristoteles den Sphären selbst und den himmlischen Kugelschalen (die er sich ausgedacht hat) eine Seele
zu, weil sie zur Kreisbewegung und zu Handlungen fähig und geeignet sind und sich in feststehenden und
bestimmten Bahnen bewegen. Da ist es doch in der Tat verwunderlich, warum als einzige die Erdkugel mit ihren
Ausströmungen nach seiner und seiner Nachfolger Meinung eine Ausnahme bilden solle und (gleichsam ohne
Verstand und ohne Seele) ins Exil geschickt und aus der Vollkommenheit der oberen Welt vertrieben wird. Im
Vergleich zum Ganzen ist sie nur ein dürftiges Korpuskelchen, und in der Unzahl von vielen Tausenden ist sie
finster, unbedeutend und missgestaltet. Daran reihen die Aristoteliker noch gleich geartete Elemente, in gleichem
Unglück elend und vernachlässigt. In der aristotelischen Welt muss es daher monströs erscheinen, wenn alle
Dinge vollkommen, lebendig, belebt sind und einzig die Erde, der unglückliche Winzling, unvollkommen,
sterblich, unbeseelt und verderblich ist. Im Gegensatz dazu anerkennen Hermes, Zoroaster, Orpheus und eine
universale Seele. Auch wir halten die ganze Welt für beseelt, alle Himmelskugeln, alle Stern, auch die
hochgerühmte Erde, und glauben, dass sie von Anfang an von den ihnen eigenen Seelen gelenkt werden, die ihre
Bewegungen erhalten…
Die Körper der Himmelskugeln haben Seelen nötig, damit die Teile der Welt sich unterscheiden, für sich
existieren und in ihrem Zustand verharren. Diese Seelen müssen mit ihnen verbunden sein, sonst gäbe es weder
Leben noch Urzeugung noch Bewegung, Vereinigung, Ordnung, Beständigkeit, auch kein Zusammenwirken,
keine Sympathie und kein Entstehen von Dingen, keine Jahreszeiten und keine Fortpflanzung. Alles ginge
drunter und drüber, und die ganze Welt würde ins tiefste Chaos stürzen, sie wäre am Ende leer, tot und
unbrauchbar. Aber die Zahl der Seelen kann nur in den äußeren Umgebungen der Himmelskugeln und beseelten
Dinge augenscheinlich wahrgenommen werden, an deren großer und angenehmer Vielfalt sich der höchste
Schöpfer erfreut. Aber jene Seelen [in den Kugeln], die gleichsam hinter Gittern eingekerkert sind, senden ihre
immateriellen, ausgeströmten Formen nicht über die Begrenzungen eines Körpers hinaus. Körper werden von
ihnen auch nur mit Arbeit und Anstrengung bewegt. Durch einen Hauch werden sie angetrieben und
hinausgetragen. Wenn diese jedoch durch einen widrigen Umstand zur Ruhe kommt und unterdrückt wird, dann
liegen die Körper still gleichsam als Bodensatz der Welt oder wie Exkremente der Himmelskugeln. Diese aber
bleiben und sind beständig, sie werden bewegt und vorwärts gebracht, und sie ziehen Bahnen ohne Erschöpfung
und Kraftverlust. Die menschliche Seele benutzt die Vernunft und sieht viele Dinge und untersucht noch sehr
viel mehr. Aber wie gut auch immer sie ausgestattet sein mag, sie erhält von den äußeren Sinnen (gleichsam wie
durch ein dichtes Netz) das Licht und die Anfänge [principia] der Erkenntnis. Von daher stammen so viele
Irrtümer und Dummheiten, von denen unsere Urteil und die Verrichtungen des Lebens so sehr durcheinander
gebracht werden, dass wenige Menschen oder keine ihre Tätigkeiten richtig und gerecht ausführen. Aber die
magnetische Kraft der Erde und die formhafte Seele oder beseelte Form der Himmelskugeln hat, ohne Sinne,
ohne Irrtum, ohne die Beeinträchtigungen durch die so gegenwärtigen Krankheiten und Übel, einen ihr
eingepflanzten Antrieb [actus insitus] durch die ganze Materiemasse hindurch wirkend, der schnell, feststehend,
beständig, lenkend, mitbewegend, beherrschend und harmonisch ist. Von diesem Antrieb werden das Entstehen
und Vergehen von allen Dingen auf der Oberfläche [der Kugeln] verbreitet. Denn ohne jene Bewegung, durch
die die tägliche Umdrehung ausgeführt wird, würden alle Dinge bei uns auf der Erde schrecklich und will d und
schon immer verlassen und ganz und gar ungebraucht verbleiben. Aber diese Bewegungen in den Quellen der
Erde entstehen nicht aus Gedanken oder spitzfindigen Schlüssen und Vermutungen wie die menschlichen
Handlungen, welche unentschieden, unvollkommen und unbestimmt sind. Vielmehr gehen jene Bewegungen
Hand in Hand mit Vernunft, Ordnung, Wissenschaft und Entscheidungsfähigkeit, von denen sich sichere und
bestimmte Bewegungen von den festen Fundamenten und Ursprüngen der Welt herleiten, die wir wegen des
Unvermögens unserer Seele nicht erkennen können. Daher war Thales (wie Aristoteles in seinem Buch <De
anima> [Über die Seele] schreibt) nicht ohne Grund der Meinung, dass der Magnetstein beseelt sei und Teil ist
unserer beseelten Mutter Erde und ihr geliebter Sprössling.»43
Je weiter das 17. Jahrhundert fortschreitet und je größer der Galileisch-Cartesisch-
Newtonsche Einfluss wird, desto mehr verschwindet der neuplatonisch-mysteriöse
Hintergrund aus den Schriften der Naturforscher. Was blieb, war die Überzeugung, dass der
Mensch mit Hilfe des Experiments die Natur nicht überlistet, sondern im Gegenteil ihre
Prinzipien ausnützt. Die für die Entstehung der modernen Naturwissenschaft so wichtigen
Erfindungen des Buchdrucks, des Kompasses und Schießpulvers, anfänglich noch als
Ergebnisse magischer Praktiken verstanden, sind nun ganz natürliche Mittel zur immer
größeren politischen Machtentfaltung.
Instrumente und Messungen
Neue Instrumente, mit denen Experimente ausgeführt wurden, spielen bei der Entstehung der
modernen Naturwissenschaften eine große Rolle. Jedoch ist in gewisser Weise die
entscheidende Phase der wissenschaftlichen Revolution schon vorbei gewesen, bevor die
neuen experimentellen Hilfsmittel und Messinstrumente – genaue Uhr, Fernrohr, Mikroskop,
Thermometer, Barometer und Luftpumpe – erfunden worden sind und bevor nicht nur
qualitative Experimente, sondern auch quantitative Messungen damit durchgeführt wurden:
Zuerst haben sich die Denk-, Wertschätzungs- und Anschauungsformen selbst ändern müssen,
bevor ihre konkrete Anwendung auf die neu definierte Erfahrung systematisch vonstatten
gehen konnte.
Eines der sehr wenigen Beispiele der Zeit (sehr wahrscheinlich sogar das einzige) für
Beobachtungen, bei denen es die Genauigkeit war, die die Entwicklung der
naturwissenschaftlichen Ideen beeinflussen sollte, waren Brahes astronomische
Beobachtungen, die er ohne das erst später erfundene Fernrohr durchführte. Die Instrumente,
die er benutzte, waren sehr genau gearbeitet und hatten um vieles größere und besser
kalibrierte Formen als die im Mittelalter gebräuchlichen Instrumente, die im wesentlichen auf
antike Vorformen zurückgehen. Tycho Brahe stellte im Jahre 1600 dem ihm nach Prag
gefolgten Kepler die Aufgabe, die Marsbahn aus seinen Beobachtungen zu bestimmten.
Kepler entwarf zuerst eine Theorie der Marsbewegung, die auf acht Bogenminuten genau
war. Noch Copernicus war wie Ptolemäus mit einer Genauigkeit von zehn Bogenminuten
zufrieden. Tycho Brahes Beobachtungskunst brachte jedoch eine Genauigkeit von mindestens
vier Bogenminuten und besser. Kepler schreibt in der «Astronomia nova» (Neue Astronomie,
1609; s. Abb. 56 b):
«Es muss also in unseren Annahmen etwas Falsches sein. Wir hatten aber angenommen, dass die Bahn, auf der
der Planet seinen Umlauf ausführt, ein vollkommener Kreis ist, ferner, dass es auf der Apsidenlinie [das ist die
Linie, die den sonnennächsten Punkt mit dem sonnenfernsten Punkt des Planeten verbindet, QP] einen einzigen
Punkt gibt [der so genannte Ausgleichspunkt A], in einem bestimmten festen Abstand vom Mittelpunkt des
Exzenters [= Ausgleichskreis, dessen Mittelpunkt von der Sonne etwas versetzt ist], an dem Mars in gleichen
Zeiten gleiche Winkel bildet.
Eine dieser Annahmen ist also falsch oder vielleicht alle beide. Denn die benützten Beobachtungen sind
nicht falsch.»
Kepler hatte, wie Ptolemäus, angenommen, dass der Abstand des Ausgleichspunktes vom
Mittelpunkt des Ausgleichskreises und der Abstand der Sonne vom Mittelpunkt gleich große
ist und war zu der genannten Abweichung von acht Bogenminuten gekommen. Etwas später
heißt es:
«Aus dieser so geringen Abweichung von acht Minuten ergibt sich die Ursache, warum es Ptolemäus, der die
gleiche Teilung brauchte, bei seinem fest angenommenen Ausgleichspunkt hat bewenden lassen. Denn wenn
man die Exzentrizität des Ausgleichskreises in der Größe, wie sie unzweifelhaft von den größten Gleichungen in
den mittleren Längen gefordert wird, halbiert, so tritt, wie man sieht, im Maximum ein Fehler von 8’ auf, und
zwar beim Mars, dessen Exzentrizität am größten ist; bei den anderen Planeten ist er noch kleiner. (In den
Prosthaphäresen der Erdbahn jedoch wächst dieser Fehler von 8’ gelegentlich auf 30’ an.) Ptolemäus aber
erklärt, er gehe über eine Genauigkeitsgrenze von 10’, d.h. 1/6 Grad, beim Beobachten nicht hinaus. Die
Ungenauigkeit oder (wie man sich ausdrückt) der Spielraum bei der Beobachtung übertrifft also den Fehler
dieser ptolemäischen Rechnung.
Für uns, denen die göttliche Güte in Tycho Brahe einen so sorgsamen Beobachter geschenkt hat, aus dessen
Beobachtungen der Fehler der ptolemäischen Rechnung im Betrag von 8’ sich verrät, geziemt es sich, dass wir
dankbaren Sinnes diese Wohltat Gottes anerkennen und ausnützen. Das heißt, wir sollen uns Mühe geben, dass
wir (unterstützt durch die Beweisgründe für die Falschheit unserer angenommenen Voraussetzungen) endlich die
wahre Form der Himmelsbewegungen aufspüren. Diesen Weg will ich im folgenden selber nach meiner Weise
anderen vorangehen. Denn wenn ich geglaubt hätte, man dürfte diese 8’ in der Länge vernachlässigen, so hätte
ich die im 16. Kap. Aufgestellte Hypothese (durch die gleiche Teilung der Exzentrizität) bereits hinreichend
verbessert. Da jener Fehler aber jetzt nicht vernachlässigt werden durfte, so wiesen allein diese 8’ den Weg zur
Erneuerung der ganzen Astronomie; sie sind der Baustoff für einen großen Teil dieses Werkes geworden.»44
Nun versuchte sich Kepler an verschiedenen neuen Hypothesen, die nicht auf Kreisen
beruhen. 1602 hatte er schon sein so genanntes zweites Gesetz gefunden, das besagt, dass der
Radiusvektor von der Sonne zum Planeten in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstreicht,
und 1605 das erste Gesetz, nach dem die Planeten auf Ellipsenbahnen, in deren einem
Brennpunkt die Sonne steht, laufen. Beide Gesetze sind in der «Astronomia nova» 1609
veröffentlicht. Das dritte Gesetz, dass die Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten sich wie
die Kuben ihrer mittleren Sonnenentfernungen verhalten, fand Kepler 1618 und
veröffentlichte es 1619 in den «Harmonices mundi libri quinque» (Die fünf Bücher über die
Harmonie der Welt).
In der Astronomie war es bislang nicht üblich gewesen, Beobachtungen mit genauen
Zeitangaben zu versehen. Allmählich jedoch wurde es für die Astronomie und Physik,
besonders jedoch für die Schiffahrt wichtig, genau gehende Uhren zu benutzen. Zur Sonnen-,
Sand- und Wasseruhr war gegen Ende des 13. Jahrhunderts die Gewichts-Räderuhr
hinzugekommen – wir wissen nicht, wer sie erfunden hat. 1585 gelang es Jost Bürgi (1555-
1632), dem Hofuhrmacher des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen, die Ganggenauigkeit
von Räderuhren entscheidend zu verbessern. Der Landgraf, der sich selbst astronomisch
betätigte, verwendete erstmals 1586 Bürgis Uhren zu einer sekundengenauen Bestimmung
einer astronomischen Beobachtung, dem Meridiandurchgang bestimmter Fixsterne. Er
berichtete Tycho Brahe davon, der dann ab 1587 erstmals selbst auf seiner Sternwarte in
Hveen/Dänemark Uhren mit Sekundenangabe verwendete und die Beobachtungen mit
genauen Zeitangaben versah.
Ende des 15. Jahrhunderts kamen die ersten tragbaren Uhren auf. Die Funktion, die das
Gewicht bei den Turmuhren ausübt, wurde jetzt von einer Blattfeder übernommen. Den ersten
Bericht über die so genannten Halsuhren der Nürnberger Uhrmacher gab Johannes Cochläus
(oder Cocleus) 1511 im Anhang zur «Cosmographia Pomponii Melae»:
«Tag für Tag erfinden sie ausgeklügelte Sachen. So Petrus Hele [Peter Henlein], ein noch junger Mann, dessen
Arbeiten von den gelehrtesten Mathematikern bewundert werden. Aus einem bisschen Eisen stellt er Uhren her,
die mit zahlreichen Rädern ausgestattet sind, und in jedweder Lage gehen sie ohne Gewicht vierzig Stunden lang
und zeigen die Zeit an und schlagen, auch wenn sie am Band in der Tasche getragen werden.»45
Die Genauigkeit der Taschenuhren ließ jedoch noch lange zu wünschen übrig. Da die
Kraft der Feder geringer wird, je weiter die Feder sich im Lauf der Zeit lockert, muss man
einen Ausgleich schaffen, um einen konstanten Antrieb zu erreichen. Es gab verschiedene
Ausgleichsmethoden, die aber noch für lange Zeit unausgereift blieben.
Galilei fand 1582 heraus, dass Pendel isochron schwingen, d.h., die Dauer ihres
Ausschlags gleich bleibt, auch wenn die Weite des Pendelausschlags variiert. Kurz vor
seinem Tode (1642) entwarf Galilei einen Plan, wie man diese Entdeckung zum Uhrenbau
ausnützen könne. Er kam aber nicht mehr zur konkreten Ausführung. 1649 bauten einige
seiner Schüler ein von ihm entworfenes Gerät nach, das die Anzahl der Schwingungen eines
Pendels zählt.
1656/57 erfand schließlich Christiaan Huygens (1629-1695) ohne Kenntnis der
Galileischen Überlegungen die Pendeluhr, mit der er Ganggenauigkeiten von fünf Sekunden
täglich erreichte. Bürgis Uhren hatten es auf eine Minute Genauigkeit gebracht. Huygens fand
auch, dass die Pendelisochronie bei normaler Aufhängung nicht genau gilt. Mit der Pendeluhr
war nun eines der grundlegendsten Messinstrumente für wissenschaftliche Zwecke
geschaffen. 1675 erfand Huygens für die Taschenuhr die Spiralfeder-Unruhe, die auf
demselben Prinzip wie das Pendel beruht. 1665 versuchte er, wenn auch vergeblich, eine
Pendeluhr zu bauen, die gegen die Schwingungen eines Schiffes unempfindlich ist. Erst der
Mechaniker John Harrison (1693-1776) hatte 1735 damit Erfolg. 1759 baute er die erste Uhr
(ein Taschenchronometer), die von der Royal Society nach festgesetzten Kriterien als
seetüchtig und für die Längenbestimmung auf See verwendbar angesehen wurde.
Die aufstrebende Schiffahrt des 15. Jahrhunderts verlangte auch nach besseren Karten.
1486 umrundete Bartholomäus Diaz das Kap der Guten Hoffnung, und 1497 kam Vasco da
Gama auf diesem Wege bis Indien. 1492 hatte Kolumbus die Westindischen Inseln erreicht.
Die neu entwickelten Methoden der See- und Landvermessung knüpften ebenfalls an antike
Methoden an. Etwa 1405 wurden die kartographischen und geographischen Schriften des
Ptolemäus bekannt und ins Lateinische übersetzt. Sie zirkulierten in vielen Abschriften, bis
sie erstmals 1477 gedruckt wurden. Ptolemäus hatte zwei Methoden angegeben, wie man die
Erdkugeloberfläche auf eine zweidimensionale Ebene projizieren kann. Diese Methoden
waren auch sehr wichtig für die Entwicklung der perspektivischen Zeichentechnik (siehe auch
S. 53 und auch den Text von Rheticus, S. 76).
Die Ortsbestimmung eines Schiffes auf hoher See bereitete sehr große Schwierigkeiten.
Die geographische Breite konnte z.B. durch die Polarsternhöhe gemessen werden. Aber für
die Bestimmung der geographischen Länge gab es noch keine sichere Methode. Man konnte
höchstens durch die Beobachtung momentaner Himmelsereignisse (zum Beispiel
Finsternisse) und durch Vergleich mit Tabellen des gleichen Ereignisses für einen anderen Ort
den Längenunterschied zwischen beiden Orten herausfinden. Der Zeitunterschied, mit dem
zum Beispiel der Eintritt einer Mondfinsternis beobachtet wird, ergibt den Längenunterschied.
Da Finsternisse aber selten auftreten, ist diese Methode für die Schiffahrt ungeeignet.
1530 zeigte R. Gemma Frisius (1508-1555) in seinem Buch «De Principiis Astronomiae
et Cosmographiae» (Über die Prinzipien der Astronomie und der Weltbeschreibung)
theoretisch, wie man die Länge auf See mit einer Uhr finden kann: Es wird eine genaue Uhr
mitgeführt, die während der Schiffsreise die Hafenzeit beibehält. Der Unterschied zwischen
dieser Zeit und der Ortszeit des Schiffes (die zum Beispiel mit Kompass und Sonne bestimmt
werden kann) ergibt den Längenunterschied zwischen Hafen und Standort. Da jeder Punkt auf
der Erdoberfläche einmal in 24 Stunden um die Erdachse herumwandert, also 360° beschreibt,
entspricht einem Zeitunterschied von einer Stunde ein Längenunterschied von 15 °. Die bei
dieser Methode verwendete Uhr muss natürlich sehr genau sein, denn auch kleine
Ungenauigkeiten ergeben umso größere Fehler, je länger das Schiff unterwegs ist.
Um nicht nur die Position eines Schiffes in Länge- und Breitengraden, sondern auch
seinen Abstand vom Ursprungshafen in Längeneinheiten angeben zu können, musste man den
Abstand zwischen zwei Längengraden bei fester Breite bestimmen, eine so genannte
geodätische Längengradmessung ausführen. Nach unbefriedigenden antiken und islamischen
Versuchen hat erst wieder 1528 der französische Arzt und Mathematiker Jesnel eine
Gradmessung durchgeführt. Ihm folgten 1617 die Holländer Willebrord Snell (1580-1626),
der in der theoretischen Grundlegung wichtige Arbeiten verfasste, 1635 der Engländer
Norwood, und schließlich führte der Pater Jean Picard (1620-1682) im Auftrag der Pariser
Acadèmie des Sciences die erste einigermaßen befriedigende Gradmessung 1671 durch.
In der Landvermessung führe Gemma Frisius 1533 die Triangulation ein, die Messung
der Entfernung eines Punktes mit Hilfe der bekannten Grundseite eines Dreiecks und den
zwei daran anliegenden beobachteten Winkeln. Auf einer Verallgemeinerung dieser Methode
beruhte auch die Vermessung der Minen und Bergwerke, die so genannte Markscheidekunst,
über die uns Georg Agricola (1494-1555) in seinem 1556 auf Lateinisch und im folgenden
Jahr auf deutsch erschienenen Werk «De re metallica» (Vom Berg- und Hüttenwesen), das bis
ins 19. Jahrhundert ein grundlegendes Handbuch blieb, berichtet:
«Nachdem ich den ersten Teil dieses Buches vollendet habe, komme ich nun zu dem zweiten, in dem ich die
Markscheidekunst behandeln werde. Die Bergleute vermessen die Gebirgsmassen, damit die Besitzer im voraus
Berechnungen anstellen können und damit ihre Häuser nicht in fremde Felder eindringen. Der Markscheider
misst nämlich entweder die noch nicht durchschlägig gewordene Strecke zwischen dem Stollenmundloch und
dem bis zu seiner Tiefe niedergebrachten Schacht oder zwischen der Schachtmündung und dem Stollen, der bis
unter diese vorgetrieben ist, oder auch zwischen den beiden, wenn weder der Stollen schon so lang ist, dass er
bis zum Schachte reicht, noch der Schacht so tief, dass er den Stollen trifft. Beides aber ist bei einer Grube nötig.
Oder er bestimmt bei den Sollen oder Querschlägen die Begrenzungen genauso, wie der Bergmeister über Tage
die gleichen Grenzen festlegt. Beide Arten der Vermessung beruhen auf einer Dreiecksmessung. Ein kleines
Dreieck wird ausgemessen und daraus auf die größeren geschlossen. Dabei muss man sich ganz besonders davor
hüten, auch nur im Geringsten vom richtigen Maße abzuweichen. Denn wenn im Anfang durch Nachlässigkeit
auch nur ein ganz kleiner Fehler gemacht worden ist, so können daraus zuletzt die allergrößten Irrtümer
entstehen. Da weder alle Schächte wegen ihrer Verschiedenartigkeit in ein und derselben Weise abgeteuft
werden, noch die Hänge der Berge in gleichartiger Weise nach einem Tal oder einer Ebene abfallen, so entstehen
Dreiecke von sehr vielfältiger Gestalt.»46
Von den verschiedenen Vermessungsmethoden, die Agricola nun anführt, sei eine
ausgewählt:
«Der Markscheider stellt zunächst, wenn die Balken des Schachthauses nicht geeignet sind, ein Querholz darauf
zu legen, an beiden Seiten des Schachtes ein Joch auf, sodann lässt er eine an der quer darüber gelegten Latte
befestigte und durch ein Gewicht beschwerte Schnur in den Schacht hinab. Darauf spannt er eine zweite Schnur,
die am oberen Ende der ersten befestigt ist, über den Abhang des Berges hinab bis zur Sohle des
Stollenmundloches und befestigt sie dort im Boden. Ferner lässt er nicht weit von der ersten entfernt eine dritte,
ebenfalls an dem Querholz befestigte und durch ein Gewicht beschwerte Schnur in den Schacht hinab, und zwar
so, dass sie die zweite, schräg abwärts führende schneidet. Von dem Punkte ausgehend, wo die dritte Schnur die
zweite, schräg abwärts nach dem Stollenmundloch führende Schnur schneidet, misst er den nach oben zeigenden
Teil der schräg abfallenden Schnur, der bis zum Aufhängepunkt der ersten Schnur reicht, und schreibt sich
dieses erste Maß auf. Sodann misst er, wiederum von dem Punkte ausgehend, wo die dritte Schnur die zweite
schneidet, den Normalabstand zwischen ihr und der ersten Schnur und erhält so ein Dreieck, indem er in gleicher
Weise das zweite Maß aufzeichnet. Endlich misst er noch, wenn erforderlich, von dem Winkel aus, den die erste
Schnur mit der zweiten bildet, bis zum Ende der ersten Schnur und zeichnet auch dieses Maß ein. Wenn der
Schacht saiger [senkrecht] ist oder als falscher Schacht auf demselben Gang steht, in dem der Stollen getrieben
ist, muss die Länge der ersten Schnur der Länge des oberen Teiles der dritten Schnur bis zur zweiten
entsprechen. Ebenso oft mal, wie die Länge der ersten Schnur in der ganzen Länge der schräg nach abwärts
führenden Schnur enthalten ist, muss die zweite Schnur genommen werden, um die Entfernung zwischen dem
Stollenmundloch und dem bis auf den Stollen niedergebrachten Schacht zu finden. In gleicher Weise berechnet
sich der Abstand zwischen Schachtöffnung und Stollensohle aus der Länge der dritten Schnur.»47
Von der Vermessung im Bergwerk wieder zur Landvermessung!
Die erste moderne Landkarte, die nicht auf Ptolemäus zurückging – sie zeigte Nordeuropa
-, zeichnete 1427 der Däne Claudius Claussön Swart. Cusanus entwarf die erste moderne
Deutschlandkarte, die 1491 gedruckt wurde. Der wichtigste Kartograph im Zeitalter der
Entdeckungen war Gerhard Mercator. Er war ein Schüler von Gemma Frisius und erstellte
1569 erstmals eine Weltkarte in der nach ihm benannten Projektionsweise Dabei wird die
Globusoberfläche auf einen ihr umbeschriebenen Zylindermantel abgebildet. Diese
Projektionsmethode ist gegen die Pole zu zwar nicht flächentreu, sie hat aber den Vorteil, dass
ein konstanter Kompasskurs, das heißt eine Linie mit konstantem Kurswinkel (Loxodrome) in
der Projektion als Gerade erscheint. Die erste Karte, auf der Amerika nicht mehr mit Asien
identifiziert wurde, stammt von Martin Waldseemüller aus dem Jahre 1507.
Für die Messungen in der Astronomie wurde nun das Fernrohr zum grundlegenden
Instrument. Den ersten wissenschaftlichen astronomischen Gebrauch eines Fernrohrs machte
Galilei im Jahre 1609. Er hatte gehört, dass in Holland ein Brillenschleifer, wahrscheinlich
mit Namen Jan Lippershey, ein solches Gerät konstruiert habe und baute es sofort nach. In
seiner Schrift «Sidereus nuncius» (Sternenbote) berichtet er 1610 der Fachwelt von seinen
Untersuchungen:
«Astronomische Mitteilung. Enthält und erklärt Beobachtungen, die kürzlich mit Hilfe eines neuartigen
Augenglases gemacht wurden am Antlitz des Mondes, an der Milchstraße und den Nebelsternen, an unzähligen
Fixsternen sowie an vier Planeten, Mediceische Gestirne genannt, die noch nie bisher gesehen wurden.
Große Dinge lege ich in dieser kleinen Abhandlung den einzelnen Naturforschern zur Untersuchung und
Betrachtung vor. Große, sage ich, einmal wegen der Bedeutung der Sache selbst, sodann wegen der für alle
Zeiten unerhörten Neuigkeit und schließlich auch wegen des Gerätes, durch dessen Hilfe sich diese Dinge
meiner Sinneswahrnehmung dargeboten. Haben.
Es ist etwas wirklich Großes, zu der zahlreichen Menge von Fixsternen, die mit unserem natürlichen
Vermögen bis zum heutigen Tag wahrgenommen werden konnte, unzählige andere hinzufügen und offen vor
Augen zu stellen, die vorher niemals gesehen worden sind und die die alten und bekannten um mehr als die
zehnfache Menge übersteigen.
Ein sehr schöner und erfreulicher Anblick ist es, den Mondkörper, der etwa sechzig Erdhalbmesser von uns
entfernt ist, so aus der Nähe zu betrachten, als wäre er nur zwei solcher Länge entfernt. Dadurch erscheint der
Durchmesser des Mondes ungefähr dreißigmal, seine Oberfläche neunhundertmal und sein Volumen annähernd
siebenundzwanzigtausendmal so groß, als wenn man ihn nur mit bloßem Auge betrachtet. Man erkennt dabei
dann auf Grund sinnlicher Gewissheit, dass der Mond keineswegs eine sanfte und glatte, sondern eine raue und
unebene Oberfläche besitzt und dass er, ebenso wie das Antlitz der Erde selbst, mit ungeheuren Schwellungen,
tiefen Mulden und Krümmungen überall dicht bedeckt ist…
Was aber alles Erstaunen weit übertrifft und was mich hauptsächlich veranlasst hat, alle Astronomen und
Philosophen zu unterrichten, ist die Tatsache, dass ich nämlich vier Wandelsterne [es waren die Jupitermonde]
gefunden habe, die keinem unserer Vorfahren bekannt gewesen und von keinem beobachtet worden sind. Sie
kreisen um einen bestimmten auffallenden Stern aus der Zahl der bekannten, wie Venus und Merkur um die
Sonne, und laufen ihm bald vor, bald nach, wobei sie sich nie über bestimmte Grenzen hinaus von ihm
entfernen. Dies alles ist vor wenigen Tagen mit Hilfe eines von mir nach einer Erleuchtung durch göttliche
Gnade erdachten Augenglases entdeckt und beobachtet worden.
Vielleicht werden von tag zu Tag weitere, bedeutendere Entdeckungen entweder von mir oder von anderen
mit Hilfe eines ähnlichen Gerätes gemacht werden. Sine Form und Anfertigung sowie die Gelegenheit seiner
Erfindung werde ich zunächst kurz erwähnen und dann die Geschichte der Beobachtungen erzählen, die ich
gemacht habe.
Vor ungefähr zehn Monaten kam mir ein Gerücht zu Ohren, von einem Gewissen Belgier sei ein Augenglas
entwickelt worden, durch dessen Hilfe man sichtbare Gegenstände, mochten sie auch weit vom Auge des
Betrachters entfernt sein, so deutlich wahrnahm, als sähe man sie aus der Nähe. Von dieser wahrhaft
erstaunlichen Wirkung kursierten etliche Erfahrungsberichte, denen einige Glauben schenkten, andere nicht.
Dasselbe wurde mir wenige Tage später in einem Brief von dem französischen Edelmann Jacques Badouère aus
Paris bestätigt. Das war schließlich der Anlass, dass ich mich ganz der Aufgabe widmete, ein Prinzip zu
erforschen sowie Mittel zu ersinnen, durch die ich zur Erfindung eines ähnlichen Gerätes gelangen könnte. Sie
gelang mir wenig später, nachdem ich mich in die Lehre von den Brechungen des Lichts vertieft hatte: Ich
bereitete mir zunächst ein Bleirohr und passte in seine Ende zwei Glaslinsen ein, die auf der einen Seite beide
plan waren. Auf der anderen Seite war die eine konvex, die andere konkav. Dann legte ich das Auge an die
konkave Linse und sah die Gegenstände ziemlich groß und nahe; denn sie erschienen dreimal näher und neunmal
größer, als wenn man sie nur mit bloßem Auge betrachtete.»48
Galileis Fernrohr hatte den Nachteil, dass es ein sehr kleines Gesichtsfeld aufwies und auf
Grund der chromatischen Aberration der Linsen alle Objekte mit farbigen Rändern und oft
auch verdoppelt zeigte. Der größte Nachteil war aber der, dass Galilei – entgegen seiner
Ankündigung im «Sidereus nuncius» - keine Theorie lieferte, die die Fernrohrwirkungen auf
das menschliche Auge und die Fernrohrstörungen befriedigend erklärt hätte. Wir müssen uns
vor Augen halten, dass damals die Zweiteilung des Kosmos in die sublunare Welt und in die
qualitativ davon verschiedene Welt über dem Monde (siehe Abschnitt 2) noch allgemein
vertreten wurde und es (auch von der neuen Naturwissenschaft her gesehen) noch keine
Beweise dafür gab, dass das Universum homogen ist und am Himmel wie auf Erden die
gleichen Gesetze gelten. Von dieser Annahme ging Galilei jedoch aus. Mit ihrer Hilfe konnte
er schließen, dass, wenn das Fernrohr auf der Erde ein echtes Bild weit entfernter
Gegenstände liefert, was man leicht nachprüfen kann, es auch von den Dingen am Himmel
ein wahres Bild liefern wird, was man nicht nachprüfen kann (bzw. bis zur bemannten
Raumfahrt nicht konnte). Aber genau diese Folgerung wurde bestritten. So schrieb zum
Beispiel Martin Horky 1610 an seinen zeitweiligen Lehrer Kepler:
«Bei den Dingen hier unten leistet es [das Fernrohr] Wunder, am Himmel täuscht es; denn manche Fixsterne
erscheinen gedoppelt.»49
Erst nachdem lange Zeit nach Galilei eine befriedigende Erklärung des Fernrohrs und des
menschlichen Auges in der Optik gelungen war, konnten umgekehrt die durch das Fernrohr
gewonnenen Bilder als Bestätigung im strengen Sinne für die Homogenität des Weltraums
gelten. Es war deshalb von den aristotelischen Gegnern des Galilei durchaus vernünftig, das
Fernrohr als mechanische Spielerei anzusehen, das die Natur verzerrt und deshalb keinerlei
Erkenntnis bringen kann. Wenn der ferne Kirchturm im Fernrohr mit farbigen Rändern
erschien, so wusste man aus eigener Anschauung, dass er in Wirklichkeit keine farbeigen
Ränder hatte. Aber wie konnte man bei den himmlischen Körpern diese trügerischen
Eigenschaften ausschalten, wo einem die eigene Anschauung als Korrektiv ja gerade fehlte?
Horky hatte seine Kritik in einem Buch von 1610 («Brevissima Peregrinatio contra nuncium
sidereum») noch ausgebaut und zu zeigen versucht, dass das Fernrohr täusche und dass die
Täuschung von der Reflexion der Lichtstrahlen durch die Linsen herrühre. Er hatte nämlich
gefunden, dass sie die Zahl der neben Jupiter sichtbaren leuchtenden Punkte, die Galilei als
Jupitermonde identifizierte, verändert und verringert, je mehr man das Fernrohr nicht
gradlinig auf den Jupiter hält, sondern gegen die Visierlinie neigt. Ein anderer Aristoteliker,
Francesco Sizi, führte in einer Schrift von 1611 an, dass Brillen, die die alten Menschen
tragen, völlig unbrauchbar seien für junge Leute. Wenn dann Alte und Jung ein Fernrohr die
Jupitermonde gleichermaßen sehen könnten, so könne das also nur auf einer Täuschung durch
die Gläser beruhen. Anderen Kritikern war es unerklärlich, warum man bei der Beobachtung
von nahen Gegenständen und auf der Erde den Abstand zwischen den Linsen verlängern
musste, jedoch bei den verschiedenen Planeten und Fixsternen, die ja auch nach der
ptolemäisch-aristotelischen Theorie verschiedene Abstände von der Erde haben, eine einzige
Linseneinstellung zu gleich guter Beobachtung genügte.
Kepler veröffentlichte 1611 seine «Dissertatio cum nuncio sidereo» (Unterhaltung mit
dem Sternenboten), in der er sich ausführlich mit Galileis Buch und Erfindung
auseinandersetzt. Er erkennt, dass das Fernrohr zu noch genaueren Messungen in der
Astronomie als die von Tycho Brahe ohne dieses Instrument gelieferten dienen kann. Aber
erst ab ca. 1660 wurde das Fernrohr für Messungen benutzt, und erst 1729 ist eine durch das
Fernrohr gelieferte quantitative Tatsache überhaupt von Bedeutung für die astronomische
Theorie geworden, als nämlich James Bradley (1693-1762) die Aberration des Lichts
entdeckte. Auch als Ole Römer (1644-1710) im Jahre 1676 zur Bestimmung der
Lichtgeschwindigkeit die Schwankungen im Eintritt der Verfinsterungen der Jupitermonde
beobachtete, machte er nur qualitativen Gebrauch vom Fernrohr. Wichtig war dabei eine gute
Uhr. Kepler unternahm es 1611, in seiner «Dioptrice», das Fernrohr optisch zu erklären. Für
eine befriedigende Theorie hätte er aber das Brechungsgesetz kenne müssen. Er fand nur eine
Näherungsformel für kleine Werte des Einfallwinkels. 1601 hatte zwar schon Thomas Harriot
(1560-1621) das Brechungsgesetz aufgestellt, aber nicht bekannt gemacht. Unabhängig davon
wurde es dann 1621 von Willebrord Snell (1580-1626) nach langen Vorarbeiten formuliert,
aber erst 1637 von Descartes (1546-1650) veröffentlicht, der wahrscheinlich von den
Vorarbeiten der anderen Forscher nichts gewusst hatte. Kepler beschrieb in seiner «Dioptrice»
auch ein Fernrohr, das nur aus bikonvexen Linsen besteht, das so genannte Astronomische
oder Keplersche Fernrohr, das Christoph Scheiner zwischen 1613 und 1617 erstmals
ausführte. Das Galileische (holländische) Fernrohr bestand aus einer bikonvexen und
bikonkaven Linse. Mit dem Keplerschen Fernrohr wurde das Gesichtsfeld wesentlich größer,
die Vergrößerung konnte über das Galileische gesteigert werden, und man konnte am
gemeinsamen Brennpunkt der Linsen ein Fadenkreuz oder einen Maßstab anbringen, der die
scheinbare Größe messbar machte. Dies führte zur Erfindung des Mikrometers im Jahre 1638
durch William Gascoigne, der es gleich zur genauen Messung der Planetenentfernungen
anwandte. Erst ab 1660 fand es nach einer Wiedererfindung breitere Verwendung. Das
Keplersche Fernrohr brachte aber auch einen Nachteil: es liefert ein umgekehrtes Bild.
Vergrößerungsgläser, die auch als Brenngläser Verwendung fanden, waren schon seit der
Antike bekannt. Das aus verschiedenen bikonvexen Linsen zusammengesetzte Mikroskop
scheint um 1590 in Holland erfunden worden zu sein, vielleicht von Zacharias Janssen.
Trotzdem wurde das einlinsige Mikroskop, also die Lupe, in der Folgezeit bis weit ins 18.
Jahrhundert nochhäufiger gebraucht, da es eine viel größere Lichtstärke aufwies als das
zusammengesetzte Mikroskop und keine so große chromatische Aberration (farbige Ränder)
lieferte. Unser heute gebräuchlicher Typ, was das Prinzip der Linsenanordnung angeht, kam
im 2. Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts auf.
Eine der ersten Entdeckungen mit dem Mikroskop war das Facettenauge der Biene durch
Francesco Stelluti 1618. Auch Galilei hat durch Vertauschung einzelner Teile seines
Fernrohrs mikroskopische Beobachtungen gemacht, sie aber nicht weiter verfolgt. Davon
berichtet der Franzose Jean Tarde nach seinem Besuch bei Galilei im Jahre 1614:
«Galilei erzählte mir, das Rohr eines Teleskops zum Betrachten der Sterne sei mehr als zwei Fuß lang; wenn
man aber sehr nahe, wegen ihrer Kleinheit dem bloßen Auge kaum erkennbare Objekte gut beobachten wolle, so
müsse das Rohr zwei- oder dreimal länger sein. Er sagte mir, er habe mit diesem langen Rohr Fliegen betrachtet,
die so groß wie Lämmer aussahen, ganz und gar mit Haaren bedeckt warne und mit sehr spitzen Nägeln
versehen, mit denen sie sich festhalten, wenn sie mit dem Kopf nach unten über Glas spazieren.»50
Zu wissenschaftlichen Beobachtungen wurde das Mikroskop sporadisch etwa ab 1625
verwendet, in großem und systematischem Umfang erst in den sechziger Jahren. 1665
veröffentlichte Robert Hooke (1635-1703) seine «Micrographia, or some descriptions of
minute bodies» (Mikrographie, oder einige Beschreibungen winziger Gegenstände), mit der
der Gebrauch des Mikroskops sehr populär wurde. Darin weist Hooke erstmals die Existenz
von Pflanzenzellen nach. Wichtig wurden später auch die Forschungen von Marcello
Malpighi (1628-94), Antonio van Leeuwenhoek (1632-1723) und Jan Swammerdam (1637-
80).
Schon Galen spricht in der Antike von der Messung der Wärme und Kälte auf einer
Skala, und Philo von Byzanz hatte schon ein einfaches Thermoskop hergestellt. Auch einige
mechanische Spielereien des Hero von Alexandria beruhten auf dem Prinzip, dass Wasser und
Luft sich bei Erwärmung ausdehnen und bei Abkühlung zusammenziehen. Vielleicht ist
Galilei zwischen 1592 und 1603 durch die Lektüre der neu gedruckten «Pneumatica» des
Hero auf den Gedanken gekommen, selbst ein Thermometer zu bauen. Dies bestand aus einer
unten offenen Glasröhre, die mit Wasser gefüllt war und in ein wassergefülltes Gefäß ragte.
Die Röhre endete oben in einer luftgefüllten, nach außen abgeschlossenen Glaskugel. Wenn
die Temperatur der Luft steigt, dehnt sie sich aus und bewegt die Wassersäule nach unten.
Galilei scheint dieses Instrument auch schon mit einer Skala versehen zu haben. Die erste
gedruckte Schilderung eines Thermometers stammt von Santorre Santorio (1561-1636),
einem Arzt und Freund Galileis, und findet sich in seinen «Commentaria in artem
medicinalem Galenam» (Kommentar zur galenischen ärztlichen Kunst) 1612. Dieses
Thermometer war das erste zum Fiebermessen geeignete. Das erste Thermometer, das auf der
Ausdehnung einer Flüssigkeit anstatt der Luft beruhte, war das wassergefüllte Thermometer
von Jean Rey (1582/83-ca. 1645) aus dem Jahre 1632. Später wurden gefärbter Weingeist und
Quecksilber genommen.
Auch die für die Erfindung des Barometers notwendigen Überlegungen knüpften an
Galilei an. In seinen «Discorsi» von 1638 wandte er sich als erster gegen die aristotelische
Lehre, dass in der Natur kein Vakuum vorkomme und die Natur in jedem Fall einen «horror
vacui», einen Abscheu vor dem Vakuum, habe. Damit wurde von der aristotelischen Physik
erklärt, warum eine Saugpumpe Wasser an die Erdoberfläche emporholen und warum man
aus einem Strohhalm trinken kann. Galilei wies jedoch darauf hin, dass die «Kraft», die das
Vakuum auszuüben in der Lage ist, nicht unbegrenzt groß werden kann, sondern eine Grenze
haben muss. Er beruft sich auf die den damaligen Brunnenbauern bekannte Tatsache, dass
keine Saugpumpe Wasser aus mehr als zehn Meter Tiefe emporholen kann. Galilei schließt,
dass die Saugkraft des Vakuums auf der Adhäsion der Wasseratome beruhe, die endlich groß
sein müsse. Er beschreibt auch einen Apparat, der die maximale «Kraft des Vakuums» misst.
Evangelista Torricelli (1608-1647), ein Schüler Galileis, fand 1643 heraus, dass
Quecksilber in einer damit gefüllten langen Glasröhre, die man mit ihrem offenen Ende
senkrecht in eine ebenfalls mit Quecksilber gefülltes Gefäß bringt, bis zu einer bestimmten
Höhe absinkt und oben ein Vakuum erzeugt. Da sich das Quecksilber auf dieser Höhe ohne
eine Kraft ganz allein hält, verwarf Torricelli die Erklärung Galileis und zeigte, dass die
maximale «Kraft des Vakuums» nicht auf einer inneren Kohäsionskraft der Atome, sondern
dem äußeren Luftdruck beruhen muss. Er schrieb am 11. Juni 1644 an Michelangelo Ricci:
«Ich deutete Ihnen bereits an, dass verschiedene physikalische Experimente über das Vakuum gemacht worden
sind; nicht bloß, um ein Vakuum herzustellen, sondern im Hinblick auf die Entwicklung eines Gerätes, das die
Veränderungen in der Luft, welche zeitweise schwer und dick, zeitweise leicht und dünn ist, zeigen sollte. Viele
Leute haben gesagt, es sei unmöglich, ein Vakuum herzustellen, andere meinten, es sei wohl zu machen, aber
nur unter Schwierigkeiten und unter Überwindung eines natürlichen Widerstandes; ich weiß nicht, in der Tat, ob
jemand gesagt hat, es sei ohne Schwierigkeiten zu machen und ohne einen natürlichen Widerstand zu
überwinden. Mein Argument war das folgende: wenn es jemanden gäbe, der einen offensichtlichen Grund finden
würde, weshalb beim Herstellen eines Vakuums ein Widerstand auftritt, wäre es sinnlos, diese Effekte, die
eindeutig von anderen Umständen abhängen, dem Vakuum selbst zuzuschreiben. Ferner fand ich, als ich einige
einfache Berechnungen anstellte, dass die von mir erwähnte Ursache (nämlich das Gewicht der Luft)
wahrscheinlich allein schon mehr Widerstand leisten dürfte, als wir wirklich feststellen, wenn wir ein Vakuum
zu erzeugen versuchen. Ich sage dies, damit einige Philosophen, die sich zur Zustimmung verpflichtet fühlen,
dass das Gewicht der Luft den Widerstand bewirkt, den wir beim Herstellen eines Vakuums spüren, eher die
Bedeutung des Anteils des Luftgewichts zugeben als weiterhin behaupten, dass die Natur selbst zum Widerstand
beim Herstellen eines Vakuums beiträgt.
Wir leben untergetaucht auf dem Grund eines Meeres von elementarer Luft, deren Gewicht ohne jeden
Zweifel nachgewiesen worden ist; wir wissen tatsächlich, dass die schwerste Luft an der Erdoberfläche etwa ein
Vierhundertstel des Wassergewichts wiegt…
Wir haben eine Anzahl Glasgefäße hergestellt, ähnlich den mit A und B bezeichneten in der obigen Figur –
mit Hälsen in der Länge von vier Fuß. Diese haben wir mit Quecksilber gefüllt, ihre Öffnungen mit dem Finger
zugehalten und sie umgekehrt in ein mit Quecksilber gefülltes Becken gestellt. Wie wir das taten, sahen wir, wie
das Quecksilber das Gefäß verließ, ohne dass sich dabei etwas Besonderes innerhalb des Gefäßes abspielte; und
zudem bliebt der Hals AD des Gefäßes in jedem Fall voll Quecksilber bis zu einer Höhe von zwei Fuß und sechs
Zoll. Um zu zeigen, dass das Gefäß vollständig leer war, füllten wir das Becken darunter bis zu D mit Wasser
und hoben es dann sehr behutsam hoch, bis seine Öffnung die Höhe des Wasserspiegels erreichte; wie dies
geschah, sahen wir das Quecksilber dem Gefäßhals entlang abwärts rinnen und dann das Wasser mit gewaltiger
Kraft emporstiegen und es füllen, bis zum Punkt E.
Unsere Diskussion fand statt, als das Gefäß AE leer blieb und das Quecksilber trotz seines großen Gewichts
sich im Hals des Gefäßes halten konnte. Bis jetzt hatte man geglaubt, dass die Kraft, welche das Quecksilber
gegen seine natürliche Schwerkraft empor drückte, im Gefäß AE enthalten sei und dass sie zum Vakuum oder
zur stark verdünnten darin eingeschlossenen Substanz gehöre. Aber ich behaupte, dass diese Kraft äußerlich ist
und von außerhalb des Gefäßes kommt. Die Luft, welche auf das Quecksilber im Becken drückt, erhebt sich in
eine Höhe von fünfzig Meilen über die Erdoberfläche. Was Wunder, wenn im Glas CE, wo das Quecksilber
weder Anziehung noch Widerstand erfährt – da nichts im Gefäß enthalten ist -, dieses Quecksilber eine Höhe
erreicht, in der es das Gewicht der Luft, das von außen auf es drückt, ausbalanciert.»51
Der Mathematiker, Philosoph und Physiker Blaise Pascal (1623-1662) führte 1647 selbst
das Torricellische Experiment durch, das ihm Pierre Petit zuerst vorgeführt hatte. Er wollte
nun die These von Torricelli, dass der Luftdruck und nicht der horror vacui die im Experiment
gefundenen Erscheinungen verursachte, experimentell bestätigen. Er schrieb am 15.11.1647
von Paris aus an seinen Schwager Périer in seiner Geburtsstadt Clermont (heute Clermont-
Ferrand), und bat ihn, das Experiment mit ein und demselben Apparat zuerst in der Stadt
selbst und dann auf dem 8 km entfernten, ca. 1000 m höher gelegenen Berg Puy-de-Dôme
(1464 m hoch) durchzuführen. Périer folgte am 19.9.1648 den Anweisungen und fand, dass
die Höhe der Quecksilbersäule auf dem Berg um ca. 8,5 cm verringert war. Gleich darauf
veröffentlichte Pascal eine wissenschaftliche Flugschrift «Récit de la Grande Expérience de
l’Équilibre des Liqueurs» (Bericht über das große Experiment über das Gleichgewicht der
Flüssigkeiten), in dem Pascals und Périers umständliche Briefe sowie einige
Schlussfolgerungen Pascals abgedruckt sind. In den «Traités de l’équilibre des liqueurs et de
la pesanteur de la masse de l’air» (Abhandlungen über das Gleichgewicht der Flüssigkeiten
und die Schwere der Luftmassen) zieht er die Summe seiner mannigfaltigen Experimente und
Arbeiten, die er zwischen 1651 und 1654 durchgeführt hat. (Das Werk wurde erst nach
seinem Tod 1663 veröffentlicht.) Im Folgenden einige Ausschnitte daraus:
«Ich habe in der vorangehenden Abhandlung alle Erscheinungen angeführt, von denen man bis jetzt allgemein
annahm, die Natur bringe sie hervor, um das Vakuum zu vermeiden. Ich habe darin gezeigt, dass es ganz falsch
ist, sie einer solchen imaginären Ursache zuzuschreiben. Und dich habe mit absolut überzeugenden Argumenten
und Experimenten im Gegenteil bewiesen, dass die Schwere der Luftmasse der wirkliche und einzige Grund
dafür ist: so dass es jetzt sicher ist, dass die Natur keine Erscheinung hervorbringt, um das Vakuum zu
vermeiden.
Es fällt nicht schwer, daraus zu beweisen, dass es der Natur vor dem Vakuum nicht schaudert; denn diese
Redensweise ist nicht angemessen, da ja die Schöpfung, um die es sich hier handelt, unbelebt und keiner Gefühle
fähig ist; man verseht unter dieser metaphorischen Redeweise nichts anderes, als dass die Natur sich bemüht, das
Vakuum zu vermeiden, wie wenn es ihr davor schauderte; so dass im Sinn derjenigen, die so spreche, es das
gleiche ist zu sagen, die Natur verabscheue das Vakuum oder die Natur mache große Anstrengungen, das
Vakuum zu verhindern. Da ich also gezeigt habe, dass sie nichts tut, um das Vakuum zu vermeiden, folgt, dass
sie es nicht verabscheut; denn, um im Bild zu bleiben, wie man von einem Menschen sagt, eine Sache sei ihm
gleichgültig, wenn man in keiner seiner Handlungen je eine Regung des Begehrens oder der Abneidung bemerkt,
so muss man auch von der Natur sagen, das Vakuum sei ihr äußerst gleichgültig, da man sie nie etwas tun sieht,
um es zu suchen oder ihm zu entgehen (unter dem Wort <Vakuum> verstehe ich immer einen von allen
wahrnehmbaren Körpern freien Raum)…
Und man hat es mit soviel Gewissheit geglaubt, dass die Philosophen daraus einen der höchsten Grundsätze
ihrer Wissenschaft und die Basis ihrer <Abhandlungen über das Vakuum> gemacht haben. Man diktiert es
täglich in allen Schulklassen und allerorten auf der Welt, und seit es schriftliche Zeugnisse gibt, sind sich alle
Menschen einig in diesem Gedanken, ohne dass bis heute jemand widersprochen hätte.
Vielleicht wird folgendes Beispiel jenen die Augen öffnen, die nicht zu glauben wagen, eine Meinung sei
zweifelhaft, wenn sie von jeher von allen Menschen angenommen worden ist; es waren doch einfache
Handwerker imstande, die großen Männer, die man Philosophen nennt, von ihrem Irrtum zu überzeugen: denn
Galilei erklärt in seinen Dialogen, er habe von den italienischen Brunnenmeistern gelernt, dass die Pumpen das
Wasser nur bis zu einer gewissen Höhe bringen: darauf hat er es selber erprobt, und nach ihm andere in Italien,
und seither wieder andere in Frankreich, mit Quecksilber, auf einfachere Weise, mit demselben Ergebnis.
Bevor man davon Kenntnis hatte, gab es keinen Grund zu beweisen, dass es die Schwere der Luft ist, die
das Wasser in den pumpen in die Höhe bringt; da diese Schwere begrenzt ist, kann sie keine unendliche Wirkung
erzeugen.
Aber alle diese Experimente genügten noch nicht, um zu zeigen, dass die Luft diese Wirkung hervorbringt;
denn während sie uns von einem Irrtum befreiten, ließen sie uns in einem anderen. Man erfuhr zwar aus diesen
Experimenten, dass das Wasser nur bis zu einer gewissen Höhe stiegt; aber man erfuhr nicht, dass es an tiefer
gelegenen Orten höher stieg. Man dachte im Gegenteil, es steige immer bis zur selben Höhe, die an allen Orten
der Welt die gleich sei; und da man nicht an die Schwere der Luft dachte, stellte man sich vor, es gehört zur
Natur der Pumpe, das Wasser bis zu einer gewissen begrenzten Höhe und nicht weiter empor zu bringen. So
betrachtete sie auch Galilei als die natürliche Höhe der Pumpe, und er nannte sie «la altessa limitatissima». Wie
hätte man sich auch vorstellen sollen, dass diese Höhe variabel sei, je nach Verschiedenheit des Ortes? Das war
gewiss nicht wahrscheinlich; dieser letzte Irrtum indessen machte es unmöglich zu beweisen, dass die Schwere
der Luft der Grund dieser Erscheinung ist; denn da sie am Fuß der Berge schwerer ist als auf ihrem Gipfel, ist es
klar, dass die Wirkungen dort proportional auch größer sind. Daher schloss ich, dass man diesen Beweis nur
erbringen könne, wenn man das Experiment an zwei Orten durchführt, von denen der eine 400 bis 500 Klafter
über dem anderen liegt. Ich wählte dazu den Puy-de-Dôme in der Auvergne, aus dem Grund, den ich nach einer
kleinen Schrift angegeben habe, die ich im Jahre 1648 sogleich nach dem gelungenen Experiment drucken ließ.
Dieses Experiment macht klar, dass das Wasser in den pumpen auf ganz verschiedene Höhen stiegt, je nach
Unterschied von Ort und Wetter, und dass die Höhe immer proportional zur Schwere der Luft ist, und es gab uns
so die volle Erkenntnis dieser Erscheinungen; es setzte allen Zweifeln ein Ende; es zeigte, welches die wahre
Ursache ist; es zeigte, dass es nicht der Abscheu vor dem Vakuum ist; und es verhalf schließlich zu der Klarheit,
die man sich zu diesem Gegenstand wünschte.
Wenn es möglich ist, erkläre man nun anders als durch die Schwere der Luft, warum die Saugpumpen das
Wasser auf dem Puy-de-Dôme um ein Viertel weniger hoch pumpen als in Dieppe; warum der gleiche
Saugheber das Wasser in Dieppe höher bringt und ansaugt, nicht aber in Paris; warum zwei glatte, aufeinander
gefügte Körper auf einem Kirchturm leichter zu trennen sind als auf der Straße unten; warum ein auf allen Seiten
verstopfter Blasebalg auf dem Dach eines Hauses leichter zu öffnen ist als im Hof; warum es schwieriger ist, den
Kolben einer verstopften Spritze herauszuziehen, wenn die Luft mehr Dunst enthält; und schließlich, warum all
diese Erscheinungen immer proportional zum Gewicht der Luft sind, wie die Wirkung der Ursache.
Verabscheut die Natur das Vakuum mehr auf den Bergen als in den Tälern, wenn das Wetter feucht ist,
mehr, als wenn es schön ist? Hasst sie es nicht gleicherweise auf einem Kirchturm, in einem Estrich und in den
Höfen?
Alle Schüler des Aristoteles mögen alles, was es an Bedeutendem gibt in den Schriften ihres Meisters und
seiner Kommentatoren, zusammenbringen, um diese Dinge mit dem Abscheu vor dem Vakuum zu erklären,
wenn sie es können; oder aber sie sollen erkennen, dass die Experimente die wirklichen Meister sind, denen es in
der Physik zu folgen gilt; dass der auf den Bergen durchgeführte Versuch den allgemein verbreiteten Glauben,
die Natur verabscheue das Vakuum, umgestoßen und die bleibende Erkenntnis ermöglicht hat, dass die Natur vor
dem Vakuum keinen Abscheu empfindet, dass sie nichts tut, um es zu vermeiden, sondern dass die Schwere der
Luftmasse der wirkliche Grund für all die Erscheinungen ist, die man bis jetzt dieser imaginären Ursache
zugeschrieben hatte.»52
Mit Pascals Experimenten warne mehrere festgewurzelte aristotelische Überzeugungen
überholt;: dass die Luft von Natur aus leicht sei und sie zu ihrem natürlichen Ort nach oben
strebe zwischen die Sphäre des Wassers und des Feuers, dass es in Wasser rund Luft einen
inneren Druck gebe, dass es kein Vakuum gebe, dass Licht, das ja auch durch das Vakuum
geht, zu seiner Fortpflanzung ein stoffliches Medium benötige und dass Bewegungen im
Vakuum, d.h., ohne Widerstand, instantan sein müssten und deshalb unmöglich wären (siehe
dazu Abschnitt 3).
Otto von Guericke (1602-1686) verwendete für seine schon einige Zeit vor 1654
durchgeführten Versuche, ein Vakuum herzustellen (über die wir schon im Abschnitt 4
berichtet haben), als erster eine Luftpumpe, indem er einer Feuerspritze zwei Klappenventile
einbaute. Er verbesserte seine Pumpen und Dichtungsmethoden immer mehr und führte
schließlich 1657 und vor dem Großen Kurfürsten 1663 sein berühmtes Experiment mit den so
genannten «Magdeburger Halbkugeln» vor. Aus zwei zu einer Kugel zusammengelegten
halben Hohlkugeln aus Metall wurde die Luft herausgepumpt, und nicht einmal 16 Pferde
konnten die Halbkugeln wieder voneinander trennen. Von den Experimenten Guerickes
berichtete Kaspar Schott erstmals in seiner «Mechanica hydraulico-pneumatica» von 1657. Im
Jahr 1672 erschien dann ein Buch von Guericke selbst unter dem Titel «Experimenta nova (ut
vocantur) Magdeburgica de vacuo spatio» (Neue, wie man sagt, Magdeburger Experimente
über den leeren Raum).
Mit der Wiederbelebung des antiken Atomismus, der die Welt als eine Menge von
Atomen im leeren Raum erklärte, wurden Experimente mit dem Vakuum immer wichtiger.
Nach Guericke haben besonders Robert Boyle und die 1657 in Florenz gegründete Accademia
del Cimento mit dem Vakuum mannigfaltige Experimente durchgeführt. Mit Newtons
«Optick» (erstmals 1704) wurde die «Korpuskularphilosophie», wie der wieder belebte
Atomismus genannt wurde, nach und nach zur allgemeinen naturwissenschaftlichen
Weltauffassung.
6. Synthese und Umformung zu neuen Methoden
Galileo Galilei (1564-1642)
Galileis Lösung des Bewegungsproblems und seine damit verbundene Konzeption der
naturwissenschaftlichen Methode wurde für die spätere Entwicklung zur vorbildlichsten und
folgenreichsten Verarbeitung der genannten Entwicklungsstränge.
Es können hauptsächlich fünf verschiedene Traditionen unterschieden werden, an die
Galilei anknüpft: die spätscholastische, die archimedische, die platonistische, die
aristotelische und eine experimentelle Tradition. Die Einflüsse der Traditionen überschneiden
sich häufig und sind oft nicht auseinander zu halten:
1. Da ist zunächst die spätscholastische Tradition, die grundsätzlich neue Auffassungen von
Raum und Bewegung entwickelt hatte. Für Aristoteles war Bewegung ein Prozess, der immer
von einer Ursache erzeugt wird. Die Natur selbst ist die Ursache der Bewegung. Die
Bewegungslehre umfasste auch Geburt und Tod der Menschen, das Werden und Vergehen
von Pflanzen und Krankheiten als Veränderung der Substanz, die Veränderung von Qualitäten
(z.B. Farbänderung) sowie die Zu- Und Abnahme der Quantität eines Dings. Die
Ortsveränderung von Gegenständen machte nur einen kleinen Teil aus. In der Spätscholastik
wird jedoch (wie wir im 3. Kapitel gesehen haben) der Begriff der Ortsbewegung abgetrennt
vom restlichen Gehalt des aristotelischen Bewegungsbegriffs und neue Bewegungstheorien
werden ausprobiert. Galilei verwendete zuerst selbst den Impetus-Begriff, der ja von Jean
Buridan wieder belebt worden war. Die Pariser Schule von Buridan hatte gelehrt, dass der
Impetus, den ein Körper verliehen bekommt, für immer anhalten würde, wenn er nicht auf
Widerstand stieße (siehe Abschnitt 3). Es wird auch natürliche und künstliche Bewegung in
gleicher Weise durch den Impetus erklärt, und außerdem wird die Größe des Impetus als
abhängig von der Materienmenge, aus der der bewegte Körper besteht, und seiner
Geschwindigkeit gesehen. Aristoteles hatte zwar gelehrt, dass die Geschwindigkeit eines
Körpers proportional ist zu seinem Gewicht und umgekehrt proportional zu dem Widerstand,
den er erfährt. Auf der anderen Seite kehrt jeder Körper umso schneller zu seinem natürlichen
Ort zurück, je näher er ihm ist. Beide Vorstellungen und die spätscholastischen
Umwandlungen, die daran anknüpfen, konnte begrifflich nicht zusammengebracht werden –
ein Schritt, der erst Galilei gelang.
Im folgenden Abschnitt aus den Discorsi von 1638, in dem das Fallgesetz formuliert ist,
wird Galileis Abhängigkeit von den Spätscholastikern besonders deutlich. Einmal übernimmt
Galilei in diesem lateinisch geschriebenen Stück des sonst italienisch gehaltenen Textes die
von den Scholastikern geprägten Ausdrücke «equalis (uniformis) motus» (gleichförmige
Bewegung), «gradus verlocitatis» (Geschwindigkeitsgrad), «intentio velocitatis»
(Vermehrung der Geschwindigkeit). Auch die Definitionen der gleichförmigen und
beschleunigten Bewegung finden sich fast wörtlich wieder in den Schriften der Oxforder
Scholastiker:
«Über die gleichförmige Bewegung: die gleichförmige Bewegung müssen wir allem zuvor beschreiben.
Definition: Ich nenne diejenige Bewegung gleichförmig, bei welcher die in irgendwelchen gleichen Zeiten
vom Körper zurückgelegten Strecken untereinander gleich sind.
Erläuterung: Der althergebrachten Definition (welche einfach von gleichen Strecken in gleichen Zeiten
sprach) haben wir das Wort «irgendwelchen» hinzugeführt, d.h., zu jedweden gleichen Zeiten: denn es wäre
möglich, dass in gewissen Zeiten gleiche Strecken, dagegen in kleineren gleichen Teilen dieser selben Zeiten
ungleiche Strecken zurückgelegt werden…
Über die natürlich beschleunigte Bewegung: Bisher war die gleichförmige Bewegung behandelt worden,
jetzt gehen wir zur beschleunigten Bewegung über. Zunächst muss eine der natürlichen Erscheinung genau
entsprechende Definition gesucht und erläutert werden. Obgleich es durchaus gestattet ist, irgendeine Art der
Bewegung beliebig zu ersinnen und die damit zusammenhängenden Ereignisse zu betrachten…so haben wir uns
dennoch entschlossen, diejenigen Erscheinungen zu betrachten, die bei den frei fallenden Körpern in der Natur
vorkommen, und lassen die Definition der beschleunigten Bewegung zusammenfallen mit dem Wesen einer
natürlich beschleunigten Bewegung. Das glauben wir schließlich nach langen Überlegungen als das Beste
gefunden zu haben, vorzüglich darauf gestützt, dass das, was das Experiment den Sinnen vorführt, den
erläuternden Erscheinungen durchaus entspricht. Endlich hat uns zur Untersuchung der natürlich beschleunigten
Bewegung gleichsam mit der Hand geleitet die aufmerksame Beobachtung des gewöhnlichen Geschehens und
der Ordnung der Natur in allen ihren Verrichtungen, bei deren Ausübung sie die allerersten einfachsten und
leichtesten Hilfsmittel zu verwenden pflegt; denn wie ich meine, wird niemand glauben, dass das Schwimmen
oder das Fliegen einfacher oder leichter zustande gebracht werden könne als durch diejenigen Mittel, die die
Fische und die Vögel mit natürlichem Instinkt gebrauchen.
Wenn ich daher bemerke, dass ein aus der Ruhelange von bedeutender Höhe herab fallender Stein nach und
nach neue Zuwüchse an Geschwindigkeit erlangt, warum soll ich nicht glauben, dass solche Zuwüchse in
allereinfachster, jedermann plausibler Weise zustande kommen? Wenn wir genau aufmerken, werden wir keinen
Zuwachs einfacher finden als denjenigen, der in immer gleicher Weise hinzutritt. Das erkennen wir leicht, wenn
wir an die Verwandtschaft der Begriffe der Zeit und der Bewegung denken: denn wie die Gleichförmigkeit der
Bewegung durch die Gleichheit der Zeiten und Räume bestimmt und erfasst wird (denn wir nannten diejenige
Bewegung gleichförmig, bei der in gleichen Zeiten gleiche Strecken zurückgelegt wurden), so können wir durch
ebensolche Gleichheit der Zeitteile die Geschwindigkeitszunahmen als einfach zustande gekommen erfassen: mit
dem Geiste erkennen wir diese Bewegung als einförmig und in gleich bleibender Weise stetig beschleunigt, da in
irgendwelchen gleichen Zeiten gleiche Geschwindigkeitszunahmen sich addieren. So dass, wenn man vom
Anfangspunkte der Zeit an ganz gleiche Zeitteilchen nimmt von der Ruhelage aus, die Fallstrecke hindurch, die
Geschwindigkeit des ersten Zeitteils mitsamt dem Zuwachs des zweiten, auf den doppelten Wert hinansteigt. In
drei Zeitteilchen ist der Wert der dreifache, in vieren der vierfache vom ersten. Deutlicher zu reden: wenn der
Körper seine Bewegung nach dem ersten Zeitteile in gleicher Weise mit der erlangten Geschwindigkeit [gradus
seu momentum velocitatis] fortsetzte, so würde er halb so langsam gehen, als wenn in zwei Zeitteilchen die
Geschwindigkeit erzeugt worden wäre; und so werden wir nicht fehlgehen, wenn wir die Vermehrung der
Geschwindigkeit [intertionem velocitatis] der Zeit entsprechen lassen; hieraus folgt die Definition der
Bewegung, von welcher wir handeln wollen. Gleichförmig oder einförmig beschleunigte Bewegung nenne ich
diejenige, die von Anfang an in gleichen Zeiten gleiche Geschwindigkeitszuwüchse erteilt.»53
2. Dieser Abschnitt illustriert auch einen weiteren Einfluss: die Methode des Archimedes.
Galilei nennt in seinen Schriften Archimedes immer mit der größten Hochachtung. Die
archimedische Methode bestand darin, von einigen wenigen typischen und begrenzten Fällen
auszugehen, die als einleuchtende Axiome formuliert werden, aus ihnen weitere Sätze
abzuleiten und diese Sätze an der Erfahrung zu prüfen. So hatte Archimedes z.B. aus seinen
Axiomen über den Heben bewiesen, dass zwei ungleiche Gewichte an einem zweiarmigen
Hebel dann im Gleichgewicht sind, wenn ihre Abstände vom Drehpunkt umgekehrt
proportional ihren Gewichten sind. Archimedes und Galilei folgten einem Ideal der
deduktiven Systematisierung: Von klar definierten und überlegten Axiomen aus werden an
der Erfahrung zu prüfende Einzelaussagen gewonnen und nicht umgekehrt.
3. Wie wir schon sahen, war Galilei auch Platonist. Dies zeigt sich darin, dass die
Gegenstände seiner Physik nicht dem direkt gewonnenen Sinneseindruck entsprechen, den der
Mensch – aristotelisch verstanden – erfährt, sondern dass die Gegenstände ideale
Gegenstände sind, die aus der direkt erfahrenen Wirklichkeit abstrahiert werden. Erst diese
idealen Gegenstände sind einer mathematischen Behandlung zugänglich. Aber Galilei ging
weiter als Platon selbst Während Plato die physikalische Welt nur als unvollkommenes
Abbild der reinen Ideenwelt der mathematischen Formen ansieht, besteht für Galilei die
physikalische Welt tatsächlich aus den mathematischen Idealgebilden. Nach Plato können
wir, die wir selbst Teil dieser Welt sind, die Ideen erahnen und ihnen näher kommen, aber sie
niemals vollkommen erkennen. Galilei jedoch behauptet, dass der Mensch die mathematische
Struktur der Wirklichkeit mit absoluter Sicherheit erkennen kann.
Galilei zeigte z.B. an der Bewebung der Erde um die Sonne, dass die durch Idealisierung
gewonnene mathematische Einsicht dem bloßen Sinneseindruck vorzuziehen ist. Im «Dialog
über die Weltsysteme» ist es bemerkenswerterweise Simplicio, der Aristoteliker, der sich bei
der Diskussion der Erdumdrehung auf die Erfahrung der Sinne beruft. Er weist darauf hin,
dass, wenn sich die Erde bewegt, ein senkrecht nach oben geworfener Stein nicht genau zum
Ausgangspunkt zurückkehren werde, sondern sich die Erde unter ihm ein Stück weggedreht
hätte, so dass er ein wenig verschoben auf der Erde auftreffen müsse. Aber niemand habe
bisher eine solche Ablenkung beobachtet. Also könne sich die Erde nicht bewegen. Dieses
Argument findet sich schon bei Ptolemäus und Aristoteles. Simplicio, Salviati und Sagredo
diskutieren im folgenden Abschnitt aus Galileis Dialog ein Buch von Scipione Chiaramonti,
das sich gegen Tycho und Copernicus wendet. Simplicio zitiert eine Stelle daraus und sagt
dann:
«Diesem von allen Philosophenschulen anerkannten Kriterium zufolge sind die Sinne und die Erfahrung unsere
Leiter beim Erforschen der Wahrheit. Nach der copernicanischen Lehre aber täuschen sich die Sinne gewaltig,
selbst wenn sie mit voller Deutlichkeit aus unmittelbarer Nähe wahrnehmen, wie in ganz klaren Medien die
schwersten Körper lotrecht und gerade sich abwärts bewegen und nicht um Haaresbreite von der geraden Linie
abweichen; trotz alledem täuscht sich nach Copernicus in einem so klaren Falle der Gesichtssinn und jene
Bewegung ist keineswegs gerade, sondern aus gerader und kreisförmiger Bewegung zusammengesetzt.»54
Salviati und Sagredo antworten, dass man den bloßen Sinnen allein nicht trauen dürfe,
sondern dass man die Wirklichkeit nur erkennen könne, wenn man die Sinneseindrücke im
Lichte der Vernunft prüft:
«Salviati: Da möchte ich doch nützlichere und zweifellosere Lehren daraus ziehen, nämlich vorsichtiger und
weniger vertrauensselig dem gegenüber zu sein, was bei oberflächlicher Betrachtung die Sinne uns vorspiegeln,
die uns gar leicht täuschen können. Es tut mir leid, dass der Verfasser sich so abquält, uns sinnlich begreiflich zu
machen, jene Bewegung der fallenden schweren Körper sei einfach geradlinig und nichts anderes, dass er zornig
wird und sich in Ausrufen ergeht, weil eine so klare, handgreifliche, offen daliegende Sache in Zweifel gezogen
werde. Denn dadurch hat es den Anschein, als glaube er, dass die Leute, welche die Geradlinigkeit in Abrede
stellen und eher die Kreisform für die wahre halten, auch sinnlich eine Bewegung des Steines im Bogen zu
erblicken glaubten. Es hat diesen Anschein: denn er fordert mehr ihre Sinne als ihre Vernunft auf, über die
fragliche Erscheinung sich Klarheit zu verschaffen. Das ist aber nicht der Fall, Signore Simplicio; ich, der ich für
keine dieser Ansichten Partei ergriffen habe und nicht bei unseren Vorstellungen gleich einem Schauspieler, nur
als Copernicaner maskiere, habe niemals gesehen und niemals geglaubt, dass der Stein anders als lotrecht fällt;
und ebenso ist es mit den Gesichtswahrnehmungen aller anderen bestellt, glaube ich. Es ist also geratener, vom
Scheine abzusehen, über den wir alle einig sind, und durch Vernunftgründe uns zur Erkenntnis durchzuringen,
ob der Schein der Wirklichkeit entspricht oder trügerisch ist.
Sagredo: Wenn ich einmal mit diesem Philosophen [Chiaramonti] zusammentreffen könnte, der mir immerhin
weit über vielen anderen Anhängern derselben Meinung zu stehen scheint, so würde ich ihm zum Zeichen
meiner Verehrung eine Tatsache ins Gedächtnis rufen, die er sicherlich schon tausendmal gesehen hat. Diese
schließt sich hier passend an, da sich aus ihr entnehmen lässt, wie leicht man durch den bloßen Schein oder, wie
wir sagen wollen, durch die Vorspiegelungen der Sinne getäuscht werden kann. Ich meine die Tatsache, dass,
wenn man nachts durch eine Straße geht, man von dem Monde in gleichem Schritte geleitet zu werden glaubt;
man sieht ihn sich entlang den Dachtraufen bewegen, ganz in der Weise, wie es eine Katze tun würde, die
wirklich stets hinter einem her über die Dächer liefe: ein Schein, der ohne Dazwischenkunft des Verstandes nur
allzu sicher den Gesichtssinne betrügen würde.»55
Später lobt Salviati den Copernicus,
«dass er seiner Behauptung stets treu blieb, bloß von Vernunftgründen geleitet, während die sinnlichen
Erfahrungen das Gegenteil zu lehren schienen. Ich kann darum nicht aufhören zu staunen, dass er ohne Unterlass
dabei blieb zu sagen, Venus kreise um die Sonne und sei zu einer Zeit sechsmal so weit von uns entfernt als zu
einer anderen und zeige sich uns trotzdem stets in derselben Grö0ße, während sie eigentlich 40mal größer
aussehen müsste.»56
Die Methode der Abstraktion, die der direkten Erfahrung zuerst einmal misstraut, ist nicht
nur im Falle der Bewegung der Erde um die Sonne anwendbar, sondern auch für Phänomene
auf der Erde. Man muss von störenden Bedingungen abstrahieren, um zum Wesen der Sache
vorzudringen.
So zum Beispiel muss man bei der Pendelbewegung zuerst vom Gewicht der Schnur und
vom Luftwiderstand abstrahieren; bei dem Herabrollen einer Kugel von einer schiefen Ebene
muss man von der Reibung und der Luft, «desgleichen von allen anderen zufälligen
Hemmnissen, wenn etwa solche vorhanden sein sollten» absehen und «alle äußeren und
zufälligen Hindernisse ausschließen». Erst dann kann man mathematisch das Problem
analysieren (d.h. die resolutive Methode anwenden). Auch damit ist Simplicio nicht zufrieden.
Denn eben weil man von den Tatsachen abstrahiere, komme man höchstens zu
mathematischen Wahrheiten, aber zu keinen physikalischen:
«Diese mathematischen Spitzfindigkeiten [sind] in der Theorie wohl richtig, aber auf sinnliche und physische
Materie angewendet, stimmen sie nicht. Die Mathematiker mögen mittels ihrer Principien freilich beweisen, dass
zum Beispiel sphaera tangit planum in puncto [eine Kugel berührt eine Ebene in einem Punkt], eine Behauptung,
die mit der vorliegenden Ähnlichkeit hat. Fasst man aber die Tatsachen ins Auge, so liegt die Sache anders….
All das hält nicht stich, wenn man es mit materiellen sinnlichen Dingen zu tun hat … Ohne Zweifel bewirkt die
Unvollkommenheit der Materie, dass die konkret vorliegenden Dinge mit den bei abstrakten Betrachtungen
zugrunde gelegten nicht übereinstimmen.
Salviati: Wieso stimmen sie nicht überein? Gerade, was Ihr selbst jetzt eben sagt, beweist, dass sie genau damit
übereinstimmen.
Simplicio: Inwiefern?
Salviati: Sagt Ihr nicht, dass infolge der Unvollkommenheit der Materie ein Körper, der vollständig kugelförmig
sein sollte, und eine Fläche, welche vollkommen eben sein sollte, sich in Wirklichkeit von anderer
Beschaffenheit erweisen, als man sie in abstracto sich vorstellt?
Simplicio: Allerdings behaupte ich das.
Salviati: Sobald Ihr also in concreto eine materielle Kugel auf eine materielle Ebene legt, so legt Ihr eine nicht
vollkommene Kugel auf eine nicht vollkommene Ebene, und von diesen behauptet Ihr dann, dass sie sich nicht
in einem Punkte berühren. Ich aber behaupte, dass auch in abstracto eine immaterielle Kugel, die keine
vollkommene Kugel ist, eine immaterielle Ebene, welche keine vollkommene Ebene ist, möglicherweise nicht in
einem Punkte, sondern mit einem Teile ihrer Oberfläche berühren kann. Insoweit also stimmt das, was in
concreto eintritt, ganz mit dem überein, was in abstracto eintritt. Es wäre in der Tat etwas ganz Neues, wenn die
Berechnungen und Operationen mit abstrakten Zahlen schließlich nicht stimmten, sobald man sie in concreto auf
Gold- und Silbermünzen und Waren anwendet. Wisst Ihr, wie die Sache liegt, Signore Simplicio? Gerade wie
der Kalkulator, damit die Zucker-, Seide- und Wollerechnungen stimmen, seine Abzüge für das Gewicht der
Kisten, der Verpackung und sonstigen Ballasts machen muss, so muss der Geometer, wenn er die theoretisch
bewiesenen Folgewirkungen experimentell studieren will, die störenden Einflüsse der Materie in Abrechnung
bringen. Wenn er das versteht, so versichere ich Euch, alles wird accurat ebenso stimmen wie die zahlenmäßigen
Berechnungen. Die Fehler liegen also weder an dem Abstrakten noch an dem Konkreten, weder an der
Geometrie noch an der Physik, sondern an dem Rechner, der nicht richtig zu rechnen versteht. Hättet Ihr daher
eine vollkommene, wenngleich materielle, Kugel und Ebene, so zweifelt nicht, sie würden sich in einem Punkte
berühren.»57
Wir haben im dritten Abschnitt gesehen, dass schon die Spätscholastiker in ihren
Forschungsmethoden teilweise platonisch vorgingen, wie z.B. Grosseteste mit seiner
Lichtmetaphysik. Aber auch im Platonismus ging Galilei einen wichtigen Schritt weiter. Die
Scholastiker machten einen Unterschied zwischen der reinen und angewandten Mathematik,
der sich im Ansatz auch schon bei Aristoteles findet. Die Ideen sind rein mathematisch, die
Optik, die Astronomie und die Musik gehören zu der mathematica media, d.h., der
angewandten Mathematik, die sich unterscheidet von den reinen Ideen der Mathematik und
von der Physik, die mit den Ursachen in der Natur zu tun hat. Erst bei Galilei wird die
mathematische Physik (wenigstens programmatisch) zur universalen Methode: In seinem
Buch «Il Saggiatore» (Der Goldwäger [oder Münzprüfer]; 1623), das gegen eine Streitschrift
des Lothario Sarsi (Pseudonym für den Jesuitenpater Orazio Grassi), in der die Galileische
Kometentheorie kritisiert wird, gerichtet ist, schreibt Galilei:
«Sarsi scheint in dem festen Glauben zu beharren, dass man sich in der Philosophie immer auf die Meinung
irgendeines berühmten Autors stützen müsse, so als ob unser eigener Geist unfruchtbar sei, wenn man ihn nicht
mit den Ausführungen eines anderen vermählte. Er hält wohl die Philosophie für die Phantasie eines Menschen
und für dien Buch von der Art der «Ilias» und des «Rasenden Roland» – Bücher, in denen es am allerwenigsten
darauf ankommt, ob das Dargestellte auch wahr ist. So ist das aber nicht, Herr Sarsi! Die Philosophie ist in
jenem großen Buch geschrieben, das ständig offen vor unseren Augen liegt (ich meine das Universum), das man
aber nur verstehen kann, wenn man vorher die Sprache und die Buchstaben gelernt hat, in denen es geschrieben
ist. Es ist in mathematischer Sprache geschrieben, und die Buchstaben sind Dreiecke, Kreise und andere
geometrische Figuren, und ohne diese Hilfsmittel ist es menschenunmöglich, auch nur ein Wort davon zu
begreifen; ohne sie würden wir vergebens in einem dunklen Labyrinth herumirren. Selbst wenn man wie Sarsi
davon ausgeht, dass unser Versand sich zum Sklaven eines anderen machen … und bei der Betrachtung der
himmlischen Bewegungen sich einer schon bestehenden Meinung anschließen müsse, so sehe ich doch keinen
Grund, weshalb er sich zu diesem Zweck für Tycho entscheidet und ihm Ptolemäus und Copernicus
entgegenhält, deren Weltsysteme doch vollständig und sehr kunstvoll ausgeführt vorliegen;…»58
Auch was die mathematische Erkenntnisfähigkeit des Menschen betrifft, geht Galilei
einen Schritt weiter als die Scholastik und Plato; Galilei glaubt nämlich, dass der Mensch die
Sprache der Mathematik perfekt verstehen kann. Er ist nicht wie bei Plato zu einer bloßen
Ahnung der Wahrheit der reinen Ideen gezwungen und wie bei den Spätscholastikern zur
bloßen probabilitas (Wahrscheinlichkeit) verurteilt (s. S. 50 u. 147):
«Simplicio: Wenn ich anders zu den Menschen gehöre, die Verstand besitzen, so liegt in dem, was Ihr sagt, ein
offenbarer Widerspruch. Als einen der großen Vorzüge, ja als den größten von allen, betrachtet Ihr an dem von
der Natur geschaffenen Menschen den Verstand, und doch sagtet Ihr noch eben mit Sokrates, dass sein Verstand
ein Nichts sei. Man muss also sagen, auch die Natur habe nicht verstanden, einen Geist hervorzubringen, der
versteht.
Salviati: Euer Einwand ist sehr scharfsinnig; um darauf zu erwidern, muss man sich auf eine philosophische
Unterscheidung berufen und feststellen, dass der Begriff des Verstehens in zweierlei Weise gebraucht werden
kann, nämlich intensive oder extensive. Extensive, d.h., bezüglich der Menge der zu begreifenden Dinge, deren
Zahl unendlich ist, ist der menschliche Verstand gleich Nichts, hätte er auch tausend Wahrheiten erkannt; denn
Tausend ist im Vergleich zur Unendlichkeit nicht mehr wie Null. Nimmt man aber das Verstehen intensive,
insofern dieser Ausdruck die Intensität, d.h., die Vollkommenheit in der Erkenntnis irgendeiner einzelnen
Wahrheit bedeutet, so behaupte ich, dass der menschliche Intellekt einige Wahrheiten so vollkommen begreift
und ihrer so unbedingt gewiss ist, wie es nur die Natur selbst sein kann. Dahin gehören die rein mathematischen
Erkenntnis, nämlich die Geometrie und die Arithmetik. Freilich erkennt der göttliche Geist unendlich viel mehr
mathematische Wahrheiten, denn er erkennt sie alle. Die Erkenntnis der wenigen aber, welche der menschliche
Geist begriffen, kommt meiner Meinung an objektiver Gewissheit der göttlichen Erkenntnis gleich; denn sie
gelangt bis zur Einsicht ihrer Notwendigkeit, und eine höhere Stufe der Gewissheit kann es wohl nicht geben.»59
Diese Behauptung wurde Galilei auch von der Inquisition vorgeworfen. Vielleicht liegt in
diesem Punkt sogar der Kern der kirchlichen Vorwürfe. Wenn zwischen göttlicher und
menschlicher Auffassung mathematischer Wahrheiten eine gewisse Ähnlichkeit besteht, dann
werden von Galilei einmal die menschlichen Fähigkeiten zu sehr aufgewertet, zum anderen
verlieren dadurch die Offenbarung und die sie verwaltende Kirche den Anspruch, die alleinige
für den Menschen mögliche Wahrheit zu liefern. Also eher der Wahrheitsanspruch der neuen
Wissenschaft wird als gefährlich eingestuft und nicht so sehr die Inhalte selbst.
4. Galilei ist jedoch auch der ursprünglichen aristotelischen, von den spätscholastischen
Auflösungserscheinungen noch freien Tradition verpflichtet. Er hat die Methode der resolutio
und compositio, wie wir sie bei Grosseteste (Abschnitt 3) in Anlehnung an Aristoteles schon
kennen gelernt haben, weiter vervollkommnet. Die resolutive Methode wird platonisch-
archimedisch umgedeutet: die beobachteten, den Sinnen zugänglichen Eigenschaften werden
reduziert auf diejenigen wesentlichen Bestandteile, die intuitiv als Ursache des Phänomens
gelten – Ursache jetzt nicht mehr im aristotelischen Sinn, sondern im modernen. In einem
zweiten Schritt werden mit Hilfe der Mathematik Schlüsse aus den durch die resolutio
erzeugten Elementen gezogen, die einen inneren gesetzlichen Zusammenhang der Elemente
herstellen. Diese axiomatischen Annahmen gelten universal für alle vergleichbaren
physikalischen Objekte, seien sie nun auf der Erde oder im Weltall. In der dritten Phase, der
compositiven Methode, werden aus der axiomatischen Annahme (ex suppositione) empirische
Folgerungen abgeleitet, die vorher noch nicht bekannt und beobachtet waren, nun aber mit
Hilfe des Experiments geprüft werden können. So leitet Galilei zum Beispiel ab, dass die
maximale Reichweite eines Geschosses bei einem Abschlusswinkel von 45° erreicht wird und
dass alle Geschosse gleich weit fliegen, deren Abschusswinkel zu 45° gleich weit geneigt ist:
«Sagredo: Erstaunlich und entzückend ist die Macht zwingender Beweise, und so sind die mathematischen allein
gearbeitet. Ich kannte schon nach Aussage der Bombenwerfer die Tatsache, dass von allen Kanonen- und
Mörserschüssen die unter einem halben Rechten abgeschossene Kugel am weitesten fliege; sie nennen es den
sechsten Punkt des Winkelmaßes. Aber das Verständnis des inneren Zusammenhanges wiegt unendlich viel
mehr als die einfache Versicherung anderer, und selbst mehr als der häufig wiederholte Versuch.
Salviati: Ihre Bemerkung ist sehr wahr: die Erkenntnis einer einzigen Tatsache nach ihren Ursachen [= resolutio]
eröffnet uns das Verständnis anderer Erscheinungen [= compositio], ohne Zurückgreifen auf die Erfahrung; So
ist es gerade auch im vorliegenden Falle, wo wir durch Überlegung uns die Gewissheit verschafft haben, dass der
weiteste Wurf unter einem haben Rechten erzielt werde; in Folge beweist uns der Autor etwas, was durch das
Experiment vielleicht nicht beobachtet worden ist; dass nämlich andere Schüsse gleich weit tragen, wenn die
Neigungen gleich viel unter oder über einem halben Rechten betragen: so dass Kugeln, deren eine unter dem 7.,
die andere unter dem 5. Punkt abgeschlossen werden, die gleiche Wurfweite im Horizonte haben, und ebenso die
unter 8 und unter Punkt 4, 9 und 3 etc.»60
5. Es ist recht schwierig zu beurteilen und in der Galilei-Forschung umstritten, wie die
experimentelle Tätigkeit von Galilei einzuschätzen ist und wie schwer sie wiegt im Vergleich
zu den vier eben genannten Einflüssen. An vielen Stellen fordert Galilei das Experiment als
Bestätigung seiner «mathematischen Beweise». Aber umgekehrt betont er auch, wie er
Sagredo an der eben zitierten Stellen sagen lässt, dass die Kenntnis des inneren
Zusammenhangs und der Ursachen Experimente eigentlich überflüssig mache. Viele
Experimente, die er anführte, waren nur Gedankenexperimente, zum Beispiel das folgende,
das er von Giovanni Battista Benedetti (1530-1590) übernahm, dass, wenn zwei gleich
schwere Körper von gleichem Material nebeneinander her fallen, sie nicht schneller fallen
können, wenn sie zusammengebunden sind. Salviati, der galileische Physiker, will im
folgenden Simplicio, den Aristoteliker, davon überzeugen, dass alle Körper gleich schnell
fallen, indem er das aristotelische Denken in eine Paradoxie zuspitzt:
«Zunächst zweifle ich sehr daran, dass Aristoteles je experimentell nachgesehen habe, ob zwei Steine, von denen
der eine ein 10mal so großes Gewicht hat als der andere, wenn man sie in ein und demselben Augenblick fallen
ließe, z.B. 100 Ellen hoch herab, so verschieden in ihrer Bewegung sein sollten, dass bei der Ankunft des
größeren der kleinere erst 10 Ellen zurückgelegt hätte.
Simplicio: Man sieht’s aus Ihrer Darstellung, dass Ihr darüber experimentiert habt, sonst würdet Ihr nicht reden
vom Nachsehen.
Sagredo: Aber ich, Herr Simplicio, der ich einen Versuch61
angestellt habe, versichere Euch, dass eine
Kanonenkugel von 100, 200 und mehr Pfund um keine Spanne vor einer Flintenkugel von einem halben Pfund
Gewicht die Erde erreichen wird, wenn beide aus 200 Ellen Höhe herabkommen.
Salviati: Ohne viel Versuche können wir durch eine kurze, bindende Schlussfolgerung nachweisen, wie
unmöglich es sei, dass ein größeres Gewicht sich schneller bewege als ein kleineres, wenn beide aus gleichem
Stoff bestehen; und überhaupt alle jene Körper, von denen Aristoteles spricht. Denn sagt mir, Herr Simplicio,
gebt Ihr zu, dass jeder fallende Körper eine von Natur ihm zukommende Geschwindigkeit habe; so dass, wenn
dieselbe vermehrt oder vermindert werden soll, eine Kraft angewandt werden muss oder ein Hemmnis.
Simplicio: Unzweifelhaft hat ein Körper in einem gewissen Mittel eine von Natur bestimmte Geschwindigkeit,
die nur mit einem neuen Antrieb vermehrt oder durch ein Hindernis vermindert werden kann.
Salviati: Wenn wir zwei Körper haben, deren natürliche Geschwindigkeit verschieden sei, so ist es klar, dass,
wenn wir den langsameren mit dem geschwinderen vereinigen, dieser letztere von jenem verzögert werden
müsste, und jener, der langsamer, müsste vom schnelleren beschleunigt werden. Seid Ihr hierin mit mir
einverstanden?
Simplicio: Mit scheint die Konsequenz völlig richtig.
Salviati: Aber wenn dieses richtig ist, und wenn es wahr wäre, dass ein großer Stein sich zum Beispiel mit 8 Maß
Geschwindigkeit bewegt, und ein kleinerer Stein mit 4 Maß, so würden beide vereinigt eine Geschwindigkeit
von weniger als 8 Maß haben müssen; aber die beiden Steine zusammen sind doch größer als jener größere Stein
war, der 8 Maß Geschwindigkeit hatte; mithin würde sich nun der größere langsamer bewegen als der kleinere;
was gegen Eure Voraussetzug wäre. Ihr seht also, wie aus der Annahme, ein größerer Körper habe eine größere
Geschwindigkeit als ein kleinerer Körper, ich Euch weiter folgern lassen konnte, dass ein größerer Körper
langsamer sich bewege als ein kleinerer.
Simplicio: Ich bin ganz verwirrt, denn mir will es nun scheinen, als ob der kleine Stein, dem größeren zugefügt,
dessen Gewicht und daher durchaus auch dessen Geschwindigkeit vermehre, oder jedenfalls, als ob letztere nicht
vermindert werden müsse.
Salviati: Hier begeht Ihr einen neuen Fehler, Herr Simplicio, denn es ist nicht richtig, dass der kleine Stein das
Gewicht des größeren vermehre.
Simplicio: So? das überschreitet meinen Horizont.
Salviati: Keineswegs, sobald ich Euch von dem Irrtum, in dem Ihr Euch bewegt, befreit haben werde: und
merket wohl, dass man hier unterscheiden müsse, ob ein Körper sich bereits bewege oder ob er in Ruhe sei.
Wenn wir einen Stein auf eine Waagschale tun, so wird das Gewicht durch Hinzufügung eines zweiten Steines
vermehrt, ja selbst die Zulage eines Stückes Werg wird das Gewicht um die 6-10 Unzen anwachsen lassen, die
das Wergstück hat. Wenn Ihr aber den Stein mitsamt dem Werg von einer großen Höhe frei herabfallen lasset,
glaubt Ihr, dass, während der Bewegung das Werg den Stein drücke und dessen Bewegung beschleunige; oder
glaubt Ihr, dass der Stein aufgehalten wird, indem das Wergstück ihn trägt? Fühlen wir nicht die Last auf
unseren Schultern, wenn wir uns stemmen wollen gegen die Bewegung derselben; wenn wir aber mit derselben
Geschwindigkeit uns bewegen wie die Last auf unserem Rücken, wie soll dann letztere uns drücken und
beschweren? Seht Ihr nicht, dass das ähnlich wäre, wie wenn wir mit der Lanze treffen wollten, der mit
derselben Geschwindigkeit vor uns herfliegt? Zieht also den Schluss, dass beim freien Fall ein kleiner Stein den
großen nicht drücke und nicht sein Gewicht, so wie in der Ruhe, vermehre.
Simplicio: Aber wenn der größere Stein auf dem kleineren ruhte?
Salviati: So würde er das Gewicht vermehren müssen, wenn seine Geschwindigkeit überwöge; aber wir fanden
schon, dass, wenn die kleinere Last langsamer fiele, sie die Geschwindigkeit der großen vermindern müsste, und
mithin die zusammengesetzte Menge weniger rasch sich bewegte als ein Teil; was gegen Eure Annahme spricht.
Lasst uns also feststellen, dass große und kleine Körper, von gleichem spezifischen Gewicht, mit gleicher
Geschwindigkeit sich bewegen.
Simplicio: Eure Herleitung ist wirklich vortrefflich; und doch ist es mir schwer zu glauben, dass ein Bleikorn so
schnell wie eine Kanonenkugel fallen solle.
Salviati: Sagt nur, ein Sandkorn so schnell wie ein Mühlstein.»62
Es scheint eher eine solche Art von Gedankenarbeit gewesen zu sein, die Galilei auf sein
Fallgesetz brachte als eine Experimentreihe. In den Discorsi wird das berühmte Experiment
mit der schiefen Ebene wie folgt beschrieben:
«Auf einem Lineale, oder sagen wir auf einem Holzbrett von 12 Ellen Länge, bei einer halben Elle Breite und
drei Zoll Dicke, war auf dieser letzten schmalen Seite eine Rinne von etwas mehr als einem Zoll Breite
eingegraben. Dieselbe war sehr gerade gezogen, und um die Fläche recht glatt zu haben, war inwendig ein sehr
glattes und reines Pergament aufgeklebt; in dieser Rinne ließ man eine sehr harte, völlig runde und glatt polierte
Messingkugel laufen. Nach Aufstellung des Brettes wurde dasselbe einerseits gehoben, bald eine, bald zwei
Ellen hoch; dann ließ man die Kugel durch den Kanal fallen und verzeichnete in sogleich zu beschreibender
Weise die Fallzeit für die ganze Strecke; häufig wiederholten wir den einzelnen Versuch, zur genaueren
Ermittlung der Zeit, und fanden gar keine Unterschiede, auch nicht einmal von einem Zehntel eines
Pulsschlages. Darauf ließen wir die Kugel nur durch ein Viertel der Strecke laufen, und fanden stets genau die
halbe Fallzeit gegen früher. Dann wählten wir andere Strecken und vergleichen die gemessene Fallzeit mit der
zuletzt erhaltenen und mit denen von 2/3 oder ¾ oder irgend anderen Bruchteilen; bei wohl hundertfacher
Wiederholung fanden wir stets, dass die Strecken sich verhielten wie die Quadrate der Zeiten: und dieses zwar
für jedwede Neigung der Ebene, d.h., des Kanales, in dem die Kugel lief. Hierbei fanden wir außerdem, dass
auch die bei verschiedenen Neigungen beobachteten Fallzeiten sich genauso zueinander verhielten, wie weiter
unten unser Autor dasselbe andeutet und beweist. Zur Ausmessung der Zeit stellten wir einen Eimer voll Wasser
auf, in dessen Boden ein enger Kanal angebracht war, durch den ein feiner Wasserstrahl sich ergoss, der mit
einem kleinen Becher aufgefangen wurde, während einer jeden beobachteten Fallzeit; das dieser Art
aufgesammelte Wasser wurde auf einer sehr genauen Waage gewogen; aus den Differenzen der Wägungen
erhielten wir die Verhältnisse der Gewichte und die Verhältnisse der Zeiten, und zwar mit solcher Genauigkeit,
dass die zahlreichen Beobachtungen niemals merklich [di un notabile momento] von einander abwichen.
Simplicio: Wie gern hätte ich diesen Versuchen beigewohnt; aber da ich von Eurer Sorgfalt und Eurer
wahrheitsgetreuen Wiedergabe überzeugt bin, beruhige ich mich und nehme dieselben als völlig sicher und wahr
an.»63
Bei anderen angegebenen Versuchen müssen wir aber Galileis Wahrheitstreue in Zweifel
ziehen, denn er berichtet auch manchmal von Ergebnissen, die unmöglich auftreten können.
Wie in der eben zitierten Stelle hat es oft den Anschein, dass das Experiment bei Galilei
eigentlich nur für den da ist, der (noch) zu wenig Vertrauen in die mathematische Struktur der
Wirklichkeit setzt – Experimente als Zugabe an den schon leicht in seiner Meinung
schwankend gewordenen Aristoteliker.
Es ist auch umstritten, inwieweit Galilei dadurch «aus der Erfahrung gelernt» hat, dass er
den Handwerkern und Künstlern seiner Zeit genau bei ihrer Arbeit zuschaute. Es wird oft
gesagt, dass Galilei gerade im wirtschaftlich starken Venedig ein weites Feld an praktischer
Handwerkskunst vorgefunden habe. In diesem Zusammenhang beruft man sich gern auf den
Anfang der Discorsi, wo das venezianische Arsenal als Fundgrube für den Theoretiker
beschrieben wird:
«Salviati: Die unerschöpfliche Tätigkeit Eures berühmten Arsenals, Ihr meine Herren Venetianer, scheint mir
den Denkern ein weites Feld der Spekulation darzubieten, besonders im Gebiete der Mechanik; da fortwährend
Maschinen und Apparate von zahlreichen Künstlern ausgeführt werden, unter welch letzteren sich Männer von
umfassender Kenntnis und von bedeutendem Scharfsinn befinden.
Sagredo: Sie haben vollkommen recht, mein Herr; und ich, der ich (von Natur) wissbegierig bin, komme häufig
hierher, und die Erfahrung derer, die wir wegen ihrer hervorragenden Meisterschaft «die Ersten» [Proti] nennen,
hat meinem Verständnis oft den Kausalzusammenhang wunderbarer Erscheinungen eröffnet, die zuvor für
unerklärbar und unglaublich gehalten wurden; und wirklich war ich oft verwirrt und verzweifelt darüber, dass so
viele Dinge der Erfahrung nicht erklärt werden konnten, Dinge, die sogar sprichwörtlich bekannt sind, wie denn
manche vulgäre Meinung geäußert wird, um etwas über die Dinge zu sagen, die die guten Leute selbst nicht
fassen können.»64
Die von und über Galilei bekannten Zeugnisse reichen wohl nicht aus, darüber zu
entscheiden, ob Galilei nun von den Praktikern des Arsenals gelernt hat oder ob nicht
umgekehrt doch eher die Praktiker erst von ihm die Prinzipien ihrer Praxis erklärt bekamen.
Francis Bacon (1561-1626)
Bacon hat einen anderen Experimentbegriff entwickelt als Galilei. Während für Galilei in
Anlehnung an die kompositive Methode des Aristoteles und der Scholastiker ein Experiment
immer verifikativen (oder falsifizierenden) Charakter hat, also eine schon vorher im Verstand
gewonnene Schlussfolgerung bestätigt (oder widerlegt), ist für Francis Bacon das Experiment
innovativ, d.h. es führt zu Einsichten in die Natur, die vor der Durchführung des Experiments
weder bekannt waren noch vermutet wurden. Indem der Mensch die Natur aktiv bearbeitet
und sie allen möglichen Bedingungen unterwirft, kommt er zu neuem Wissen über die Natur:
«Wie im gewöhnlichen Leben die Denkart und Gemütsbeschaffenheit eines Menschen sich leichter offenbart,
wenn er in Leidenschaft geraten ist, so enthüllen sich auch die Verborgenheiten der Natur besser unter den
Quälungen der Kunst, als wenn man die Natur in ihrem Gange ungestört lässt.»65
Bacons Vertrauen zu dieser Art von Experimenten führte sogar so weit, dass er jeder Art
von Hypothese, die nicht direkt aus Experimenten (in Versuch-und-Irrtum-Verfahren)
hervorgegangen is, sehr kritisch und ablehnend gegenüberstand. Aus diesem Grunde lehnte er
gleichermaßen die ptolemäische wie die copernicanische Astronomie ab.
Bacons Verdienst besteht zuvorderst darin, dass er die magische Praktik, die magische
Technik der Naturbeherrschung säkularisiert. Das Experiment verliert bei hm seine magischen
Obertöne. Wie wir in Abschnitt 5 sahen, war der künstliche Eingriff des Menschen in die
Natur, mit dessen Hilfe er seine Geschicke wenden will, anfangs hauptsächlich eine magische
Technik und stand im starken Gegensatz zum Aristotelismus und rationalen Platonismus.
Bacon wendet sich sehr scharf gegen alle hermetisch-magischen Vorstellungen:
«Die pythagoräische Philosophie gebar das Monstrum der Phantasie, welches von der Schule Platos und anderer
ernährt und auch aufgezogen wurde, dass nämlich die Welt ein einziges lebendiges Tier sei; daher behauptet
Apollonios von Tyana z.B., dass Ebbe und Flut nichts weiter sei als die Respiration der Welt, welche das Wasser
wie den Atem einzöge und wieder von sich stieße. – Wenn aber die Welt lebt, folgert man weiter, so hat sie auch
eine Seele, einen Geist, und diesen nennen sie die Weltseele, den Weltgeist; dieser ist nicht Gott selbst, sondern
eben die essentiale Form der Welt. Von diesem Fundament aus geht die Einbildung und der Irrtum weiter. Bei
den Tieren soll sich z.B., mögen sie noch so gewaltig groß sein, die sinnliche Affektion von einem Gliede aus im
Augenblick über den ganzen Körper verbreiten. Ebendies überträgt man nun auch auf die Welt, und damit sind
denn auch die magischen Wirkungen durch keine Entfernung mehr getrennt, sondern was auf irgendeinem Orte
der Erde geschieht, wird überall empfunden, einzig und allein durch den lebendigen Zusammenhang des Ganzen.
Hieran knüpft sich dann weiter die tolle Meinung, dass der menschliche Geist, der Mikrokosmos, durch bloße
Imagination und festen Willen die ganze Natur beherrschen könne. Die Welt von diesem magischen Unsinn zu
befreien, ist wahrlich eine Herkulesarbeit und dem Ausmisten des Stalls des Augias nicht unähnlich.»66
Aber unter dem Mist findet Bacon doch etwas Brauchbares, das Experiment. Er versucht
zu begründen, dass Experimente nicht wesentlich zur Magie zu rechnen sind, sondern dass
das Experiment wissenschaftliche Erkenntnis bringen kann, ja, dass es überhaupt die einzige
Quelle der Erkenntnis ist. In «De dignitate et augmentis scientiarum» (Über die Würde und
den Fortgang der Wissenschaften, 1623), schreibt er:
«Wie es auch damit sei, das über die Magie hiermit Gesagte genüge hier; wir haben das Mal des schlechten Rufs
von ihrem Namen ausgelöscht und haben gezeigt, dass man ihr wahres Antlitz von ihrem falschen unterscheiden
muss.»67
Zu Bacons Zeit wurde der Aristotelismus auf den verschiedensten Gebieten aus
unterschiedlichen Gründen als überholt angesehen. Unter diesem Eindruck kommt Bacon zum
Schluss, dass es falsche, vorgefaßte Meinungen waren, die die aristotelische Naturauffassung
und überhaupt die Wissenschaften bis zu einer Zeit den falschen Weg gehen ließen. Er
versucht nun, die Wissenschaften insgesamt zu reformieren. Eine Reform ist möglich, weil es
dem Menschen möglich ist, alle vorgefaßte Meinung (anticipatio naturae) aus seinem
Verstande zu verbannen. (Hätte sich Galilei konkret zu dieser philosophischen These
geäußert, hätte er wohl gesagt, dass auch die «neue Wissenschaft» ohne eine «vorgefaßte
Meinung» nicht auskomme, dass sie der mathematisch formulierten suppositio, aus der sich
erst die Fakten ableiten lassen, notwendig bedürfe.) Aber die Reform ist sehr schwierig, denn
der Mensch ist in allerlei Götzenbilder, «Idole», verliebt. Am Anfang jeder Wissenschaft steht
also die Reinigung des Verstandes von allen Faktoren, die die Wahrnehmung verzerren
können. Bacon untersuchte diese Faktoren systematisch und fand vier unterschiedliche
Formen. Er lieferte damit als erster eine ideologische Kritik. Im 1620 veröffentlichten
«Novum Organum» (Das neue Organon; «Organon» wurden die methodologischen Schriften
des Aristoteles genannt), seinem Hauptwerk, schreibt er:
«38. Die Götzenbilder und falschen Begriffe, die von dem menschlichen Geist schon Besitz ergriffen haben und
fest in ihm wurzeln, halten den Geist nicht bloß so besetzt, dass die Wahrheit nur schwer einen Zutritt findet,
sondern dass, selbst wenn dieser Zutritt gewährt und bewilligt worden ist, sie bei der Erneuerung der
Wissenschaften immer wiederkehren und belästigen, so lange man nicht sich gegen sie vorsieht und nach
Möglichkeit verwahrt.
39. Es gibt vier Arten von Götzenbildern, welche den menschlichen Geist besetzt halten. Zur leichteren
Darstellung habe ich ihnen besondere Namen gegeben; die erste Art nenne ich die Götzenbilder des Stammes;
die zweite die der Höhle; die dritte die des Marktes; die vierte die des Theaters [Idola tribus, idola specus, idola
fori, idola theatri].
40. Die Aufstellung der Begriffe und Sätze vermittelst der wahren Induktion ist sicherlich ein geeignetes Mittel,
um die Götzenbilder abzuhalten und zu entfernen; aber auch die Beschreibung der Götzenbilder ist von großem
Nutzen; denn die Lehre von den Götzenbildern verhält sich zur Erklärung der Natur ähnlich wie die Lehre von
den scholastischen Künsten zur gewöhnlichen Dialektik.
41. Die Götzenbilder des Stammes haben ihren Grund in der menschlichen Natur, in dem Stamm oder
Geschlecht der Menschen selbst. Denn es ist unrichtig, dass der menschliche Sinn das Maß der Dinge sei;
vielmehr geschehen alle Auffassungen der Sinne und des Verstandes nach der Natur des Menschen, nicht nach
der Natur des Weltalls. Der menschliche Verstand gleicht einem Spiegel mit unebener Fläche für die Strahlen
der Gegenstände, welcher seine Natur mit der der letzteren vermengt, sie entstellt und verunreinigt.
42. Die Götzenbilder der Höhle sind die Götzenbilder des einzelnen Menschen. Denn jeder einzelne hat neben
den Verirrungen der menschlichen natur im allgemeinen eine besondere Höhle oder Grotte, welche das
natürliche Licht bricht und verdirbt; teils in Folge der eigentümlichen und besonderen Natur eines jeden, teils in
Folge der Erziehung und des Verkehrs mit andern, teils in Folge der Bücher, die er gelesen hat, und der
Autoritäten, die er verehrt und bewundert, teils in Folge des Unterschiedes der Eindrücke bei einer
voreingenommenen und vorurteilsvollen Sinnesart gegen eine ruhige und gleichmäßige Stimmung, und
dergleichen mehr. Der menschliche Geist ist deshalb in seiner Verfassung bei dem einzelnen ein sehr
veränderliches, gestörtes und gleichsam zufälliges Ding. Deshalb sagt Heraklit richtig, dass die Menschen die
Wissenschaften in ihren kleinen Welten suchen, aber nicht in der großen und gemeinsamen.
43. Es gibt auch Götzenbilder in Folge der gegenseitigen Berührung und Gemeinschaft des menschlichen
Geschlechts, welche ich wegen des Verkehrs und der Verbindung der Menschen die Götzenbilder des Marktes
nenne. Denn die Menschen gesellen sich zu einander vermittelst der Rede; aber die Worte werden den Dingen
nach der Auffassung der Menge beigelegt; deshalb behindert die schlechte und törichte Beilegung der Namen
den Geist in merkwürdiger Weise. Auch die Definitionen und Erklärungen, womit die Gelehrten sich manchmal
zu schützen und zu verteidigen pflegen, bessern die Sache keineswegs. Denn die Worte tun dem Verstande
Gewalt an, stören alles und verleiten die Menschen zu leeren und zahllosen Streitigkeiten und Erdichtungen.
44. Es gibt endlich Götzenbilder, welche in die Seele der Menschen aus den mancherlei Lehrsätzen der
Philosophie und auch aus verkehrten Regeln der Beweise eingedrungen sind und die ich die Götzenbilder des
Theaters nenne; denn so viel wie philosophische Systeme erfunden und angenommen worden sind, so viel
Fabeln sind damit vorgebracht und aufgeführt worden, welche aus der Welt eine Dichtung und eine Schaubühne
gemacht haben. ich meine hier nicht bloß die schon vorhandenen oder die altenphilosophischen Systeme und
Sekten, da man ja noch mehr solcher Fabeln ersinnen und zusammensetzen kann; denn trotz der
Mannigfaltigkeit des Irrtums ist doch die Ursache desselben überall die gleiche. Ich beziehe das nicht bloß auf
die allgemeine Philosophie, sondern auch auf manche Prinzipien und Lehrsätze der besonderen Wissenschaften,
die durch Herkommen, Leichtgläubigkeit und Nachlässigkeit Geltung erlangt haben.
Indes werde ich über diese einzelnen Arten von Götzenbildern noch ausführlicher und bestimmter sprechen
müssen, damit der menschliche Geist dagegen geschützt bleibe.»68
Wenn der Mensch sich genügend befreit hat von all diesen Trugbildern, kann er
darangehen, die Natur zu untersuchen. Die «anticipatio naturae» (Vorausnahme aus der Natur,
Vorgreifen des Geistes) durch die Idole wird ersetzt durch die «interpretatio naturae»
(Interpretation oder Erklärung der Natur). Bacon ist also kein Skeptiker wie Descartes, der bei
seiner Suche nach Erkenntnis zuerst einmal an allem zweifelt, sondern er will eine Methode
angeben, die die Sinne rehabilitiert.
Konkret geht die Untersuchung der Natur in drei Schritten vonstatten. An erster Stelle
steht die «Naturgeschichte», in der mit Hilfe der sinnlichen Wahrnehmung die Natur
beschrieben wird. Im zweiten Schritt werden die Wahrnehmungen geordnet in dem von
Bacon so genannten «Drei-Listen-Verfahren», das das Gedächtnis des Menschen unterstützen
soll. Dabei sind zuerst viele Fälle zu suchen, in denen sich eine zur Untersuchung gewählte
Eigenschaft oder «Natur» zeigt. Diese Fälle sollen sich in Bezug auf diese Eigenschaft
gleichen, aber sonst so verschieden wie möglich sein. Das Verzeichnis all dieser Fälle heißt
die positive Instanzentafel. In einer zweiten Tafel der negativen Instanzen sind solche
Phänomene zu sammeln, die denen der ersten Liste so ähnlich wie möglich sind, denen aber
die zur Debatte stehende Eigenschaft oder Natur nicht zukommt. Die dritte Tafel, die Tafel
der Grade, soll festhalten, unter welchen experimentellen Bedingungen und auf welche Weise
sich die Eigenschaft ändert.
Nach dem «Drei-Listen-Verfahren» beginnt der dritte Teil der Arbeit, die
Verstandestätigkeit, die Methode der Induktion im eigentlichen, engeren Sinne. Nun können
verschiedene Hypothesen ausgedacht werden, die mit den Listen konsistent sein müssen und
umso wahrscheinlicher erscheinen, je vollständiger und systematischer die Listen sind. Die
Hypothese ist eine Aussage über die so genannte «Form» der Erscheinungen, ein Kunstbegriff
bei Bacon, an dem verschiedene Traditionen teilhaben, aristotelische, platonische, auch
hermetische, und der ziemlich unklar bleibt. Bei der Untersuchung der Wärme zum Beispiel
kommt Bacon zum Schluss, dass die Bewegung die Form der Wärme sei. Wenn man die
Form einer Eigenschaft gefunden zu haben glaubt, kann man dies nachprüfen, indem man die
Eigenschaft selbst wieder künstlich herstellt. Es gilt generell, dass, wenn man die Form einer
Sache erfasst hat, man sie auch herstellen kann. Bacon war der Meinung, dass sich diese
Methode zur Goldherstellung eigne – ein weiteres Indiz, dass seine Methode eine
«entzauberte» Magie und Alchemie darstellt:
«Wenn man nun die Formen und Wege kennt, wie das Gelbe, das Gewicht, die Dehnbarkeit, die Festigkeit, der
Fluss (fluor), die Lösungen (solutiones), und alles übrige in den richtigen Graden und Weisen beigebracht
werden kann, so wird man diese Eigenschaften auch in einem Körper zu verbinden verstehen, und daraus folgt
dann die Umwandlung in Gold … Man wird höchstens in der Ausführung mehr beschränkt sein, wenn vieles
zugleich verlangt wird, weil es schwer ist, viele Eigenschaften zu verbinden.»69
Zur Leitung und Unterstützung des Verstandes gibt Bacon neun Gruppen von Hilfsmitteln
an, behandelt aber selbst nur die erste Gruppe, die so genannten «prärogativen Instanzen».
Das ist eine Sammlung von Ideen, von denen er glaubt, dass sie das Auffinden der «Formen»
beschleunigen und das Einschlagen von Sackgassen verhindern.
Bacons Methode war für die Formung des Selbstverständnisses der neuen
Naturwissenschaft ungeheuer erfolgreich. Dies gilt zumindest für die eine Gruppe von
Wissenschaften, die nicht aus einer Anknüpfung und Transformation der antiken
Wissenschaften (wie Mechanik, Optik, Astronomie, Kartographie und die anderen
«mathematischen Wissenschaften») entstanden sind, sondern für solche Gebiete, die in der
Zeit der wissenschaftlichen Revolution erstmals systematisch und mit Instrumenten
untersucht wurden und zu neuen naturwissenschaftlichen Disziplinen führten. Beispiele dafür
sind Magnetismus, Elektrizitätslehre, Wärmelehre, Chemie, Zoologie, Botanik, Geologie usw.
Bacons Methodenlehre war stark dafür verantwortlich, dass die Beschäftigung mit den
genannten Gebieten aufgewertet wurde. Ob der tatsächliche Weg der Forschung auch nur ein
einziges Mal nach seiner Methode vorangegangen ist, mag mit Recht bezweifelt werden. Aber
der programmatische Ausdruck von Bacons Gedanken war sehr wirksam.
Hier noch einige Beispiele aus einem «Novum Organum», die seine visionäre
wirkungsvolle Denkweise und seinen übertragenden literarischen Stil illustrieren sollen:
«Es handelt sich nicht bloß um das Glück der Wissenschaften, sondern in Wahrheit um die Lage und das Glück
der Menschheit und um die Macht zu allen Werken. Denn der Mensch, als Diener und Dolmetscher der Natur,
wirkt und erkennt nur so viel, als er von der Ordnung der Natur durch seine Werke oder seinen Geist beobachtet
hat; darüber hinaus weiß und vermag er nichts. Denn keine Kraft vermag die Kette der Ursächlichkeit zu lösen
oder zu brechen, und sie wird nur besieht, wenn man ihr gehorcht. Deshalb fallen jene Zwillingsziele, die
menschliche Wissenschaft und die menschliche Macht, in eins zusammen, und die meisten Werke misslingen
aus Unkenntnis der Ursachen …
1. Der Mensch, als Diener und Erklärer der Natur, wirkt und weiß nur so viel, als er von der Ordnung der
Natur durch die Sache oder seinen Geist beobachtet hat; mehr weiß und vermag er nicht.
2. Weder die bloße Hand noch der sich selbst überlassene Geist vermag Erhebliches; durch Werkzeuge und
Hilfsmittel wird das Geschäft vollbracht; man bedarf dieser also für den Verstand wie für die Hand. Und so wie
die Werkzeuge die Bewegung der Hände erwecken und leiten, so müssen auch die Werkzeuge des Geistes den
Verstand stützen und behüten.
3. Wissen und Können fällt bei dem Menschen in Eins, weil die Unkenntnis der Ursache die Wirkung
verfehlen lässt. Die Natur wird nur durch Gehorsam besieht; was bei der Betrachtung als Ursache gilt, das gilt
bei der Ausführung als Regel.
…
19. Zwei Wege zur Erforschung und Entdeckung der Wahrheit sind möglich. Auf dem einen fliegt man von
den Sinnen und den einzelnen gleich zu den allgemeinsten Sätzen hinauf und bildet und ermittelt aus diesen
obersten Sätzen, als der unerschütterlichen Wahrheit, die mittleren Sätze. Dieser Weg ist jetzt in Gebraucht. Der
zweite zieht aus dem Sinnlichen und Einzelnen Sätze, steigt stetig und allmählich in die Höhe und gelangt erst
zuletzt zu dem Allgemeinsten. Dies ist der wahre, aber unbetretene Weg.
20. Jenen ersten Weg betritt der sich selbst überlassene Geist und tut es nach den Regeln der Dialektik.
Denn der Geist drängt nach dem Allgemeinsten hinauf, um da auszuruhen, und der Erfahrung wird er in kurzer
Zeit überdrüssig. Dieses Übel hat zuletzt die Dialektik vergrößert, um die Disputationen auszuschmücken.
21. Bei einem mäßigen, ruhigen und ernsten Temperament versucht der sich selbst überlassene Verstand,
wenn er namentlich von den hergebrachten Lehren nicht gehemmt wird, ein wenig jenen zweiten Weg, der zwar
geradeaus führt, aber nur langsam weiter bringt. Denn der Verstand ist ohne Leitung und Unterstützung ein
unbeständiges Ding und unfähig, die Dunkelheit der Gegenstände zu überwinden.
…
95. Diejenigen, welche die Wissenschaften bearbeiteten, waren entweder Empiriker oder Dogmatiker. Jene
sammeln und verbrauchen nur, wie die Ameisen; Letztere aber, welche mit der Vernunft beginnen, ziehen wie
die Spinnen das Netz aus sich selbst heraus. Das Verfahren der Bienen steht zwischen beiden; diese ziehen den
Saft aus den Blumen in den Gärten und Feldern, aber behandeln und verdauen ihn durch eigene Kraft. Ähnlich
ist das Geschäft der Philosophie; es stützt sich nicht ausschließlich oder hauptsächlich auf die Kräfte der Seele,
und es nimmt den von der Naturkunde und den mechanischen Versuchen gebotenen Stoff nicht unverändert in
das Gedächtnis auf, sondern verändert und verarbeitet ihn im Geiste. Deshalb können auf das engere und festere
Bündnis beider Vermögen, es versuchenden nämlich und des denkenden, was bis jetzt noch nicht bestanden hat,
die besten Hoffnungen gebaut werden.»70
Das zweite große Verdienst Bacons, neben der Entzauberung und Aufwertung des
Experiments, besteht darin, dass er sich als erster umfassend mit der Naturwissenschaft als
sozialem Phänomen auseinandersetzte. Die Sammlung von Erfahrungen verstand er als ein
soziales Unternehmen, sowohl was ihr Objekt, die Methode als auch das Ziel anging: In der
Naturwissenschaft werden neben der Natur auch alle Künste und Praktiken des Menschen
untersucht; sie entsteht durch systematische und organisierte Zusammenarbeit von Forschern,
und sie führt schließlich zur Beherrschung der Natur durch den Menschen bzw. die
Gesellschaft zum Wohle des Menschen. Diese Vision trug mit zur Gründung der Royal
Society 1662 in London bei, die Bacon als ihren geistigen Vater betrachtete.
Für Bacon war die Naturwissenschaft das Instrument, mit dessen Hilfe der Mensch die
Bedingungen auf der Erde zu seinem Nutzen beeinflussen kann. Diese Beeinflussung geht
kontinuierlich vonstatten und bringt dem Menschen Fortschritt. Naturwissenschaft entsteht
nicht aus Disputationen von Gelehrten, sondern aus geplanter Arbeit, die sich einfügt in die
Ziele, die die Gesellschaft als Ganzes hat. Er wertet die Technik auf (Mechanik genannt), der
er im Gegensatz zu den übrigen Wissenschaften, dauernden Fortschritt in der Vergangenheit
bescheinigt.
Im Folgenden rühmt er die Erfindung des Kompasses, Schießpulvers und des Buchdrucks
als Beispiele naturwissenschaftlicher Arbeit, die die menschliche Kultur im Abendland von
Grund auf verändert hätten (vgl. auch S. 113 und die Abb. 53, 54, 55):
«Was für ein Unterschied zwischen dem menschlichen Leben in einem gebildeten Lande Europas und dem in
einer wilden und unbebauten Gegend des neuen Indien! Fürwahr dieser Unterschied ist so groß, dass man mit
Recht sagen kann, der Mensch sei ein Gott für den Menschen, nicht bloß, weil er ihm Hilfe und Wohltaten
erweist, sondern auch durch den Unterschied der Bildung, und dies bewirkt nicht Klima und Natur allein,
sondern der menschliche Kunstfleiß. Mit immer neuem Vergnügen bemerken wir die Bedeutung, Macht und
Tragweite menschlicher Erfindung; nirgends erscheinen sie deutlicher als in jenen drei Erfindungen, die dem
Altertum unbekannt waren und deren Anfänge zwar neu, aber dunkel und unberühmt sind: nämlich in der des
Pulvers, des Kompasses, der Buchdruckerkunst. Diese drei Erfindungen haben die Physiognomie und den
Zustand der Welt umgestaltet in der Wissenschaft, im Kriegswesen, in der Schiffahrt. Und zahllose Reformen
sind ihnen gefolgt. Keine Herrschaft, keine Sekte, kein Gestirn hat je größere Macht und größeren Einfluss auf
die menschlichen Verhältnisse ausgeübt als diese mechanischen Dinge!»71
Mit Bacons Thesen war die aristotelische Trennung zwischen Physik als Wissenschaft
von der Erkenntnis der Welt und den mechanischen Künsten als Sammlung von Praktiken zur
erkenntnislosen Überlistung der Natur endgültig aufgehoben. Die neu definierte
Naturwissenschaft war als gesellschaftliche Produktivkraft erkannt worden. In der Folgezeit
wurden besonders in den naturwissenschaftlichen Akademien die verschiedensten qualitativen
Experimente und Beobachtungen in steigendem Maße durchgeführt, was dazu führte, dass
später das Interesse am mathematischen Gehalt der Naturwissenschaft erst einmal wieder
zurückging.
Einige Aspekte des Unterschieds zwischen der Galileisch-mathematischen und der
Baconschen Tradition leben auch heute noch in der Physik in der Trennung zwischen
Experimentalphysik und theoretischer Physik fort. Zum Beispiel wurde bis vor wenigen
Jahrzehnten theoretische Mechanik im Rahmen der «angewandten Mathematik» an den
mathematischen Fakultäten der deutschen Universitäten gelehrt, während die
Experimentalphysik als «Physik» zur naturwissenschaftlichen (oder sogar noch zur
philosophischen) Fakultät gehörte.
René Descartes (1596-1650)
Während Galilei die Idee der Mathematisierung der Physik an praktischen einfachen Fällen
vorführte und nur wenig allgemeine Äußerungen von ihm über seine Methode bekannt sind,
gibt Descartes eine metaphysische Grundlage für die These, dass alles, was existiert, durch
Mathematik erklärt werden kann. Am Anfang steht zuallererst der Zweifel an allem, auch an
den Eindrücken, die uns die Sinne geben:
«Da wir als Kinder auf die Welt kommen und über sinnliche Gegenstände urteilen, bevor wir den vollen
Gebrauch unserer Vernunft erlangt haben, so werden wir durch viele Vorurteile an der Erkenntnis der Wahrheit
gehindert, und es scheint kein anderes Mittel dagegen zu geben, als einmal im Leben sich zu entschließen, an
allem zu zweifeln, worin man auch nur den geringsten Verdacht einer Ungewissheit antrifft.»72
Aber an einer Sache können wir nicht zweifeln, nämlich daran, dass wir zweifeln.
Zweifeln gehört zum Denken. Und wer denkt, der muss auch existieren:
«Indem wir so alles nur irgend Zweifelhafte zurückweisen und es selbst als falsch gelten lassen, können wir
leicht annehmen, dass es keinen Gott, keinen Himmel, keinen Körper gibt; dass wir selbst weder Hände noch
Füße, überhaupt keinen Körper haben; aber wir können nicht annehmen, dass wir, die wir solches denken, nichts
sind; denn es ist ein Widerspruch, dass das, was denkt, zu dem Zeitpunkt, wo es denkt, nicht existiert. Demnach
ist der Satz: Ich denke, also bin ich [ego cogito, ergo sum] die allererste und gewisseste aller Erkenntnisse, die
sich jedem ordnungsgemäß Philosophierenden darbietet.»73
In seinem Geiste findet der Mensch, wenn er sein eigenes Denken, das ja jetzt als sicher
erwiesen ist, betrachtet, mathematische Ideen un die Idee eines «höchst vollkommenen
Wesens». In der Idee dieses Wesens ist enthalten, dass es notwendig und ewig existiert. Da
alles, was existiert, eine Ursache hat, muss auch die Idee Gottes, die wir in uns vorfinden, eine
Ursache haben. Nun hat aber jede Ursache genauso viel oder mehr Realität als ihre Wirkung.
Die Wirkung der Idee eines göttlichen Wesens, also die Vorstellung Gottes in meinem
Denken, ist vollkommen und unermesslich. Also kann diese Idee nicht durch mein eigenes
Denken produziert sein, sondern nur durch dieses göttliche Wesen selbst. Also existiert Gott.
Descartes nimmt für diesen Gedankengang auch die Idee einer Maschine, die ein Mensch im
Kopf haben kann, zu Hilfe:
«Wenn zum Beispiel jemand die Idee einer künstlichen Maschine hat, so kann man mit Recht nach der Ursache
fragen, woher er sie hat; ob er irgendwo eine solche von einem anderen gefertigte Maschine gesehen hat oder ob
er die mechanischen Wissenschaften so genau erlernt hat und seine erfinderische Kraft so groß ist, dass er diese
nirgends gesehene Maschine bei sich selbst hat ausdenken können?
Da indes nicht jedermann dies bemerkt, und da wir, gleich denen, welche die Idee einer künstlichen
Maschine zwar besitzen, aber meist nicht wissen, woher sie sie haben, uns auch nicht entsinnen, dass uns die
Idee Gottes einmal von Gott gekommen sei, da wir sie immer gehabt haben, so ist noch zu untersuchen, von
wem wir selbst sind, die wir in uns die Idee der unendlichen, in Gott vorhandenen Vollkommenheit haben. Denn
nach dem natürlichen Licht kann offenbar ein Ding, welches etwas Vollkommeneres weiß, als es selbst ist, nicht
von sich kommen; denn sonst hätte es sich selbst alle die Vollkommenheit zugeteilt, deren Idee es in sich hat,
und deshalb kann es auch nur von jemand kommen, der alle jene Vollkommenheiten in sich trägt, d.h., der Gott
ist.»74
Descartes benötigt die Existenz Gottes als Kriterium der Gewissheit, die der Mensch von der
Außenwelt erlangen kann. Gott ist wahrhaftig und deshalb täuscht er uns auch nicht, wenn wir
die Dinge der Außenwelt klar und deutlich erkennen, d.h., wenn wir Sinnesempfindungen
haben, die nicht unserem Willen unterworfen sind:
«Das erste Attribut Gottes, das hier in Betracht kommt, ist, dass er im höchsten Grade wahrhaft und Geber allen
Lichtes ist. Er kann uns deshalb nicht betrügen noch auch im eigentlichen oder positiven Sinne die Ursache der
Irrtümer sein, denen wir uns ausgesetzt sehen. Denn wenn auch die Macht zu täuschen bei den Menschen als ein
Beweis von Verstand gelten möchte, so geht doch der Wille zu täuschen nur aus Bosheit, Furcht oder Schwäche
hervor und kann daher Gott nicht zugeschrieben werden.
Daraus folgt, dass das natürliche Licht [lumen naturae] oder das von Gott uns verliehene
Erkenntnisvermögen niemals einen Gegenstand erfassen kann, der nicht, soweit er erfasst wird, d.h. soweit er
klar und deutlich [clare et distincte] erkannt ist, wahr wäre. Denn Gott müsste mit Recht ein Betrüger genannt
werden, wenn er uns jenes Vermögen derart gegeben hätte, dass wir, wenn wir uns seiner richtig bedienen, das
Falsche für das Wahre hielten. Damit ist jener äußerste Zweifel beseitigt.»75
Klarheit und Deutlichkeit der untrüglichen Erkenntnis sind Eigenschaften, die der Mensch
in seinem Selbstbewusstsein direkt spüren kann:
«Sehr viele Menschen erfassen in ihrem ganzen Leben überhaupt nichts so richtig, dass sie ein sicheres Urteil
darüber fällen könnten. Denn zu einer Erkenntnis [perceptio], auf die ein sicheres und unzweifelhaftes Urteil
gestützt werden kann, gehört nicht bloß Klarheit, sondern auch Deutlichkeit. Klar [clara] nenne ich die
Erkenntnis, welche dem aufmerkenden Geiste gegenwärtig und offenkundig ist, wie man das klar gesehen nennt,
was dem schauenden Auge gegenwärtig ist und dasselbe hinreichend kräftig und offenkundig erregt. Deutlich
[distincta] nenne ich aber die Erkenntnis, welche, bei Voraussetzung der Stufe der Klarheit, von allen übrigen so
getrennt und unterschieden [sejuncta et praecisa] ist, dass sie gar keine andren als klare Merkmale in sich
enthält.»76
Die Einsicht, dass es ein Denken, eine «res cogitans» gibt, haben wir schon im Zweifeln
gewonnen. Die nächste Erkenntnis, die wir gewinnen, ist die Erkenntnis, dass es körperliche,
ausgedehnte Dinge, die «res extensa», in der Außenwelt gibt:
«Da wir indes empfinden oder vielmehr auf Antrieb der Sinne klar und deutlich eine gewisse Materie
wahrnehmen, die in die Länge, Breite und Tiefe sich ausdehnt, deren Teile verschiedene Gestalten haben, in
verschiedener Weise sich bewegen und auch bewirken, dass wir mancherlei Empfindungen von Farben,
Gerüchen, Schmerzen usw. haben, so würde, wenn Gott die Idee diese ausgedehnten Materie unserer Seele
unmittelbar durch sich selbst zuführte oder nur bewirkte, dass dies von einer Sache geschähe, welche nichts von
Ausdehnung, Gestalt und Bewegung enthielte, sich kein Grund aufzeigen lassen, weshalb er nicht als Betrüger
gelten müsste. Denn wir erkennen diese Sache klar als von Gott und von uns oder unserem Geiste verschieden,
und wir meinen auch klar zu sehen, dass diese Idee sich in uns bei Gelegenheit der außen befindlichen Körper
bildet, denen sie ganz ähnlich ist. Schon früher ist aber bemerkt worden, dass es der Natur Gottes durchaus
widerspricht, betrügerisch zu sein. Deshalb müssen wir hier unbedingt den Schluss ziehen, dass es eine solche
Sache gibt, die nach Länge, Breite und Tiefe ausgedehnt ist und alle die Eigenschaften hat, welche wir, als einem
ausgedehnten Gegenstand zugehörig, klar erkennen. Und dies ist die ausgedehnte Sache, die wir Körper oder
Materie nennen.»77
Die Wirklichkeit besteht (neben der schon gewonnenen Gottesidee) nur aus diesen beiden
Substanzen, wie uns das klare und deutliche Denken lehrt. Dem Denken kommen als
wesentliche Eigenschaften das Wollen und Vorstellen zu, der Materie nur ihre Ausdehnung
und Beweglichkeit. Alle anderen Eigenschaften der Dinge kommen ihnen in Wirklichkeit
nicht selbst zu, sondern entstehen durch die Wirkung der Materie auf das Denken im Denken
selbst:
«Die Vorstellung, das Wollen [volitio] und alle Arten [modi] des Vorstellens und Wollens gehören zur
denkenden Substanz; dagegen gehört zur ausgedehnten die Größe oder die Ausdehnung nach Länge, Breite und
Tiefe, Gestalt, Bewegung, Lage und die Teilbarkeit der einzelnen Teile und dergleichen: Dagegen erfahren wir
in uns auch anderes, was sich nicht auf den Geist allein und nicht auf den Körper allein bezieht, und was, wie
später zu zeigen sein wird, von der engen und innigen Verbundenheit des Geistes mit dem Körper herrührt,
nämlich die Gefühle [appetitus] des Hungers, des Durstes usw.; ebenso die Erregungen oder Leidenschaften der
Seele [animi pathemata], die nicht in bloßem Denken bestehen, wie die Erregung zum Zorn, zur Fröhlichkeit, zur
Traurigkeit, zur Liebe usw.; endlich alle Empfindungen, wie die des Schmerzes, des Kitzels, des Lichtes und der
Farben, der Töne, der Gerüche, der Geschmäcke, der Wärme, der Härte und der anderen unter den Tastsinn
fallenden Qualitäten.»78
Nun behandelt Descartes die Frage, wie sich der Begriff der Ausdehnung, die wir als
wesentliche Eigenschaft aller Dinge der Außenwelt erkannt haben, unterscheidet vom Begriff
des Raumes. Für Aristoteles, aber auch für diejenigen, die an die Existenz eines Vakuums
glaubten, waren «Raum» und «Körper» verschiedene Begriffe. Descartes sieht hingegen
zwischen Raum als mathematischem Begriff und Körper als Inbegriff der Ausdehnung keinen
realen Unterschied, sondern nur einen Unterschied in der menschlichen Vorstellungsweise.
Dadurch ist nun gesichert, dass die ganze Welt als die Menge aller ausgedehnt existierenden
Dinge mit Hilfe derjenigen Wissenschaft beschrieben werden kann, die sich mit dem Raum
beschäftigt, nämlich der Geometrie. Zwischen mathematischen Körpern (Raum) und
physikalischen Körpern (Ding der Außenwelt) ist also kein Unterschied mehr.
«Ich sage hier nichts über die Gestalten und wie aus deren unendlicher Mannigfaltigkeit auch eine unendliche
Mannigfaltigkeit der Bewegungen folgt, weil dies von selbst klar sein wird, wenn es Zeit sein wird, davon zu
reden. Ich setze auch voraus, dass meine Leser die ersten Elemente der Geometrie entweder schon kennen oder
die nötige Fassungskraft für das Verständnis mathematischer Beweise haben. Denn ich gestehe offen, dass ich
keine andere Materie der körperlichen Dinge anerkenne, als in jeder Weise [omnimode] teilbare, gestaltbare und
bewegliche, welche die Geometer als Größe bezeichnen und zum Gegenstande ihrer Beweise nehmen, und dass
ich in ihr nur diese Teilungen, Gestalten und Bewegungen beachte und nichts an ihnen als wirklich anerkenne,
was nicht aus jenen Gemeinbegriffen, an deren Wahrheit man nicht zweifeln kann, so klar abgeleitet wird, dass
es als mathematisch bewiesen gelten kann. Da nun auf diese Weise alle Naturerscheinungen erklärt werden
können, wie das Folgende ergeben wird, so halte ich andere Prinzipien der Naturwissenschaft weder für zulässig
noch für wünschenswert.»79
Damit ist das Programm Descartes’ abgesteckt: Für die Naturwissenschaft ergibt sich ein
Erkenntnisziel, das man wie folgt charakterisieren kann: Erkläre alle Phänomene der Welt als
Resultate der Bewegung von zusammenhängenden Teilen korpuskularer Materie.
Descartes glaubte, dass Gott der zusammenhängenden Materiemenge, die die Welt
ausmacht, bei der Schöpfung eine Bewegungsmenge mitgegeben hat, die im Lauf der Zeit
konstant bleibt und sich nicht vermindern kann. Alle lokalen Bewegungen sind
Wirbelbewegungen, die miteinander zusammenhängen, so wie zum Beispiel die Wirbel, die
man in einem Eimer Wasser durch Führen mit der Hand erzeugen kann. Mit einer solchen
Auffassung stand Descartes in Opposition zu drei anderen Vorstellungen seiner Zeit, die wir
schon behandelt haben: gegen den Hermetismus, gegen die Ideen einer Fernkraftwirkung und
eines Vakuums.
Einmal ist damit allen okkulten hermetischen Ideen von Sympathie und Antipathie,
Wirkung des Makro- auf den Mikrokosmos, Beseelung der Welt, der Emanation und
Multiplikation der Species vollkommen der Garaus gemacht. Alle früher damit erklärten
Wirkungen werden un mechanisch beschrieben; zum Beispiel wird das Herz als eine
mechanische Pumpe angesehen und nicht mehr als magisches Kraftzentrum, das es noch für
Harvey war. Wenn man den Mechanismus hinter den Erscheinungen verstanden hat,
«so wird man einsehen, wie wunderbar die Eigenschaften des Magneten und des Feuers sind und wie ganz von
denen der übrigen Körper verschieden; wie eine ungeheure Flamme aus dem kleinsten Funken in einem
Augenblick sich entzünden kann und wie groß deren Gewalt ist; bis zu welcher ungeheuren Entfernung die
Fixsterne ihr licht ringsum ergießen, und anderes, dessen Ursachen ich meines Erachtens überzeugend aus den
allbekannten und allgemein anerkannten Prinzipien, d.h. aus der Größe, Gestalt, Lage und Bewegung der
Teilchen der Materie in diesem Werk abgeleitet habe, und man wird sich hiernach leicht davon überzeugen, dass
es in den Steinen und Pflanzen keine so verborgenen Kräfte, keine so staunenswerten Wunder der Sympathie
oder Antipathie und nichts endlich in der ganzen Natur gibt, wenigstens von dem, was man auf rein körperliche
Ursachen, d.h. solche, die des Geistes und Bewusstseins entbehren, beziehen muss, dessen Grund nicht aus
denselben Prinzipien abgeleitet werden könnte, so dass es keiner Zuhilfenahme anderer weiter bedarf.» 80
Descartes’ Philosophie hat in ihrem antiokkulten Akzent auch eine eminent aufklärerische
Wirkung gehabt. Es hatte für die Zeitgenossen etwas Faszinierendes an sich, zu sehen, wie
man alles in der Welt nun radikal aus ganz wenigen Prinzipien ableiten kann, ohne
irgendwelche magischen Vorstellungen zu Hilfe nehmen zu müssen und ohne an die schale
und spitzfindige Schultradition anzuschließen.
Aber zweitens wandten sich Descartes und seine Schule damit auch gegen alle
Vorstellungen, die physische Erscheinungen mit Hilfe einer (immateriellen) Fernkraft
erklärten. So hatte etwa Gilbert die Wirkung des Magneten erklärt und Kepler die Anziehung
der Planeten durch die «Vis motrix» (Bewegkraft) der Sonne. Galilei erklärte dies durch die
Gravitation und später Newton durch seine Gravitationskraft und die atomare
Anziehungskraft. Descartes versuchte stattdessen zum Beispiel die Wirkung des Magneten
auch nur auf Druck und Stoß von Partikeln zurückzuführen. Er stellte sich vor, dass ein
Magnet andauernd aus ihm eigenen Poren kleine Partikel, die schneckenförmig in eine
bestimmte Richtung gewunden sind, herausschießt. Diese Partikel erzeugen außerhalb des
Magneten einen Wirbel, der den Kraftlinien des Magneten folgt, und die Partikel werden am
anderen Ende des Magneten wieder von den Poren des Magneten aufgenommen, um von
neuem diesen Kreislauf durchzuführen. Mit dieser Vorstellung erklärt Descartes
beispielsweise, warum sich eine Kompassnadel, also ein kleiner Magnet, auf der Erde nach
Norden ausrichtet:
«Um die Ursachen dieser Eigenschaften einzusehen, wollen wir uns die Erde unter AB vorstellen; A ist der
Südpol und B der Nordpol. Die vom südlichen Himmel E kommenden gerieften Teilchen sind in anderer Weise
gewunden als die von Norden und F kommenden, deshalb kann keines in die Gänge des anderen eintreten. Die
südlichen gehen von A gerade nach B durch die Mitte der Erde und kehren dann durch die sie umfließende Luft
von B nach A zurück; gleichzeitig gehen die nördlichen von B nach A durch die Erde und kehren durch die Luft
nach B zurück, weil die Gänge, durch die sie gekommen sind, derart sind, dass sie darin nicht zurück können.
Während so immer neue von den Gegenden E und F des Himmels hinzutreten, gehen ebenso viele in den
Richtungen G und H des Himmels davon, oder sie zerstreuen sich unterwegs und verlieren ihre Gestalt, zwar
nicht bei ihrem Durchgange durch die Erde, wo die Gänge ihrer Gestalt ganz angepa0t sind, und sie mithin ohne
Anstoß höchst schnell strömen können, aber bei ihrem Rückgang durch die Luft, das Wasser und andere Körper
der äußeren Erde, wo sie keine solchen Gänge haben; hier bewegen sie sich viel schwieriger und begegnen
fortwährend Teilchen des ersten und zweiten Elementes; diese müssen sie aus ihren orten vertreiben und werden
dabei oft selbst verkleinert.
Wenn aber diese gerieften Teilchen hier einen Magneten treffen, so werden sie unzweifelhaft, wenn sie in
ihm Gänge treffen, die ihrer Gestalt entsprechend und die so wie die Gänge der Erde gestellt sind, viel eher
durch den Magneten gehen als durch die Luft und andere Körper der äußeren Erde, wenigstens wenn der Magnet
so liegt, dass die Öffnungen seiner Gänge nach den Orten der Erde gerichtet sind, wo die gerieften Teilchen
herkommen, die hindurch sollen.
Wie bei der Erde, wird auch bei den Magneten die Mitte des Teils, wo die Öffnungen der Gänge sind, in
welche die von Süden des Himmels kommenden gerieften Teilchen eintreten, der Südpol genannt, und der
Mittelpunkt der anderen Seite, wo sie austreten und die von Norden kommenden eintreten, der Nordpol. Auch
wollen wir uns nicht dabei aufhalten, dass man gemeinhin unseren Südpol Nordpol nennt; denn diese Materie
wird überhaupt im gewöhnlichen Leben nicht besprochen, und nur eine solche häufige Übung könnte schlecht
gewählte Namen zu guten machen.
Wenn diese Pole des Magneten nicht dahin gerichtet sind, wo die gerieften Teilchen herkommen und wo sie
ihnen einen freien Durchgang gewähren können, so stoßen diese gerieften Teilchen schief auf diese Gänge und
treiben ihn mit ihrer Kraft zur Umwendung in die gerade Richtung so lange, bis er in seine natürliche Lage
zurückgekehrt ist. Wo also keine äußere Gewalt es hindert, wird der Südpol des Magneten sich nach dem
Nordpol der Erde zu richten und der Nordpol nach dem Südpol, weil die von dem Nordpol der Erde nach dem
Süden durch die Luft zurückkehrenden Teilchen vorher von dem südlichen Teil des Himmels durch die Erde
gekommen sind; und ebenso diejenigen, die von Norden gekommen sind, welche zu dem
Nordpolzurückkehren.»81
Die dritte Vorstellung, gegen die Descartes sich wendet, ist die Idee des Vakuums. Den
Cartesianern war natürlich das Torricellische Experiment wohlbekannt. Sie waren jedoch der
Meinung, dass in diesem Versuch höchstens gezeigt wird, dass es einen luftleeren Raum
geben kann, aber nicht einen materieleeren. Descartes erklärte solche Phänomene mit Hilfe
seiner «matière subtile», dem Äther, der aus unendlich oft teilbaren feinsten Partikeln besteht.
Diese Partikel füllen das ganze Universum, sind durchsichtig, unsichtbar und bieten keiner
Bewegung einen Widerstand.
«Ein Leeres (vacuum) im philosophischen Sinne, d.h. ein solches, in dem sich keine Substanz befindet, kann es
offenbar nicht geben, weil die Ausdehnung des Raumes oder inneren Ortes von der Ausdehnung des Körpers
nicht verschieden ist. Denn da man schon aus der Ausdehnung des Körpers nach Länge, Breite und Tiefe richtig
folgert, dass er eine Substanz ist, weil es widersprechend ist, dass das Nichts eine Ausdehnung habe, so muss
dasselbe auch von dem Raume gelten, der als leer angenommen wird, nämlich dass, da eine Ausdehnung in ihm
ist, notwendig auch eine Substanz in ihm sein muss.»82
Descartes’ Naturwissenschaft wurde von seinen Schülern sehr verfeinert und auf alle
Wissensgebiete angewandt. Man erklärte damit alle kosmologischen Phänomene und die
physiologischen gleichermaßen. Die Welt erscheint als eine riesige, ausgedehnte Maschine, in
der nur der Mensch noch mit nichtmaterieller Substanz versehen ist.
«Wenn ich den unsichtbaren Körperteilchen eine bestimmte Gestalt, Größe und Bewegung zuteile, als wenn ich
sie gesehen hätte, und dennoch anerkenne, dass sie nicht wahrnehmbar sind, so wird man vielleicht die Frage
erheben, woher ich denn diese Eigenschaften kenne. Ich antworte darauf, dass ich zunächst ganz allgemein alle
die klaren und deutlichen Begriffe betrachtet habe, die in unserem Verstande im Hinblick auf die materiellen
Dinge vorhanden sein können, und dass ich, da ich keine andren gefunden habe als die der Gestalten, der Größen
und der Bewegungen und Regeln, gemäß denen diese drei Dinge durch einander verändert werden können,
welche Regeln die Prinzipien der Geometrie und der Mechanik sind, den Schluss gezogen habe, dass notwendig
alle Erkenntnis, die wir von der Natur haben können, allein daraus gezogen werden kann, weil alle anderen
Begriffe, die wir von den sinnlichen Dingen haben, da sie verworren und dunkel sind, uns nicht dazu dienen
können, uns die Erkenntnis irgendeiner Sache außer uns zu geben, vielmehr eine solche nur zu hindern mögen.
Darauf habe ich untersucht, welches die vornehmsten Unterschiede in der Größe, Gestalt und Lage der nur
wegen ihrer Kleinheit nicht wahrnehmbaren Körper sein könnten und welche wahrnehmbaren Wirkungen aus
ihrem mannigfachen Zusammentreffen sich ergeben können. Da ich nun dergleichen Wirkungen an einigen
wahrnehmbaren Dingen bemerkte, so nahm ich an, dass sie aus einem solchen Zusammentreffen von dergleichen
Körperchen hervorgegangen sein können, zumal da sich keine andere Weise für ihre Erklärung auffinden ließ.
Dabei haben mich die durch Kunst gefertigten Werke nicht wenig unterstützt; denn ich fand nur den Unterschied
zwischen ihnen und den natürlichen Körpern, dass die Wirkungen der Maschinen lediglich von der Tätigkeit von
Röhren, Federn und andrer Werkzeuge abhängen, die, da sie in gewissem Verhältnis zu den Händen stehen
müsse, die sie herstellten, stets so groß sind, dass ihre Gestalten und Bewegungen leicht wahrgenommen werden
können; dagegen hängen die natürlichen Wirkungen beinahe immer von gewissen so kleinen Organen ab, dass
sie nicht wahrgenommen werden können. Denn es gibt in der Mechanik keine Gesetze, die nicht auch in der
Physik gälten, von der sie nur ein Teil oder eine Unterart ist, und es ist daher der aus diesen und jenen Rädern
zusammengesetzten Uhr ebenso natürlich, die Stunden anzuzeigen, als es dem aus diesem oder jenem Samen
aufgewachsenen Baum natürlich ist, diese Früchte zu tragen. So wie nun die, welche in der Betrachtung der
Automaten geübt sind, aus dem Gebrauch einer Maschine und einzelner ihrer Teile, die sie kennen, leicht
abnehmen, wie die anderen Teile, die sie nicht sehen, gemacht sind, so habe auch ich versucht, aus den
sichtbaren Wirkungen und Teilen der Naturkörper zu ermitteln, wie ihre Ursachen und unsichtbaren Teilchen
beschaffen sind.»83
Mit der Vorstellung, dass in dieser «Maschine» auch noch Wesen leben, die in sich die
unausgedehnte Substanz des Denkens tragen, hat dann Thomas Hobbes nach Descartes in
konsequenter Fortführung gebrochen: Auch das Denken kann als Funktion von Ausdehnung
und Bewegung der innersten Organe des menschlichen Körpers erklärt werden.
Descartes hat mit seinem Werk die Identität der Natur mit ihrer synthetischen
Nachkonstruktion im menschlichen Geist wie kein anderer vor ihm metaphysisch fundiert.
Gleichzeitig wird diese Identifikation auch ein Instrument für weitere naturwissenschaftliche
Forschung.
Die Glaubens- und Heilsgewissheit des Mittelalters ist mit Descartes endgültig abgelöst
durch die Gewissheit des sich seiner selbst vergewissernden denkenden Subjekts: Und das
Erringen dieser Gewissheit schien Descartes und seinen Zeitgenossen greifbar vor Augen zu
liegen. In dieser Konzeption kam dem Experiment eine vergleichsweise untergeordnete
Stellung zu. Bei der universalen Erklärung der Welt kann es im Laufe der logischen
Deduktionen nach mehrfacher Anwendung der Methode zu Verzweigungen kommen, die
voneinander verschiedenen Schlüsse gleichermaßen zulassen. Erst in solchen selten
auftretenden Fällen können nach Descartes die Erfahrung und das Experiment darüber
entscheiden, welche der alternativen Denkmöglichkeiten Gott tatsächlich in die Wirklichkeit
umgesetzt hat.
Mit Isaac Newton schließlich erhält die experimentell-instrumentelle («Baconsche») und
die mathematische («Galileisch-Cartesische») Methode eine Synthese. Aber erst in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die Vorherrschaft des Cartesischen Modells
gegenüber dem Newtonschen gebrochen.
Anmerkungen zu Teil I:
1 Z.B. schreibt Hooykaas 1980: «[Im Gegensatz zur aristotelischen <Physica>] fällt auf, dass die neue
<Physik> sich in viel größerem Maße auf die Erfahrung stützt, selbst wenn diese der Vernunft zu
widersprechen scheint. An die Stelle des Rationalismus der alten tritt der Empirismus der neuen
Naturwissenschaft. Man beugt sich vor Tatsachen mehr als vor den Ansprüchen, die von der Vernunft
erhoben werden.» (R. Hooykaas, Von der <Physica> zur Physik, in: Humanismus und
Naturwissenschaften. Hg. Von R. Schmitz, F. Krafft, Beiträge zur Humanismusforschung Band VI,
Boppard 1980, S. 9-38, hier S. 13). Seltsamerweise heißt es aber kurz zuvor: «Die alte Physica ging
von oberflächlichen Wahrnehmungen aus, um dann durch Verallgemeinerung daraus weitgehende
Konsequenzen über den Verlauf und die Ursachen der natürlichen Vorgänge zu ziehen.» Fragt sich
nur, woher die Kriterien für die Oberflächlichkeit der Wahrnehmung stammen! 1a
Aristoteles, Über den Himmel (Da Caelo), 293 a 27 (Falls nicht anders angegeben, wurde folgende deutsche
Ausgabe zur Übersetzung herangezogen: Aristoteles, die Lehrschriften, übs. und hg. Von Paul Gohlke,
Paderborn (F. Schöningh), 1947-1961, 20 Bände. 2 Aristoteles, Zweite Analytik (Analytica posteriora), 99b-100a.
3 Aristoteles, Zweite Analytik (Analytica posteriora), 81a-81b.
4 Aristoteles, Erste Analytik (Analytica priora), 46a.
5 Aristoteles, Über die Zeugung der Geschöpfe, 60b.
6 Aristoteles, Probleme der Mechanik, 847a, zit. Nach der Übersetzung von H. Wilsdorf, Mechanische
Probleme in der Sicht des Peripatos. Helenische Poleis, Band 4, hg. Von E. Welskopf, Berlin 1974, S. 1729f. 7 Aristoteles, Physik, Buch I, 184a 10-26.
8 Aristoteles, Physik, 193b-194a.
9 Aristoteles, Metaphysik, 1061a 30, zit. Nach der Übersetzung von H. Bonitz: Aristoteles, Metaphysik,
Reinbek (Rowohlt) 1966. 10
Aristoteles, Über den Himmel (De caelo), 269a und b 30. 11
Aristoteles, Physik, 267a. 12
Jean Buridan, Quaestiones Super Octo Libros Physicorum, Buch 8, Frage 12, zit. Nach: Alistair C. Crombie,
Von Augustinus bis Galilei, München (dtv) 1977, S. 303-305. 13
Nicole Oresme, Livre du ciel et du monde, zit. nach : Alistair C. Crombie, Von Augustinus bis Galilei,
München (dtv) 1977, S. 313 f. 14
Robert Grosseteste, Kommentar zur Analytica Posteriora (Zweite Analytik) des Aristoteles, Buch 1, Kap. 14,
zit. Nach: Alistair C. Crombie, von Augustinus bis Galilei, München (dtv) 1977, S. 252. 15
Roger Bacon, Opus maius, hg. Von J. H. Bridges, Bd. 2, Oxford 1897, S. 109; zit. Nach: Sebastian Vogl, Die
Physik Roger Bacons, Erlangen 1906, S. 17 f. 16
E. J. Dijksterhuis, Die Mechanisierung des Weltbildes, Berlin 1956, S. 181-183, sieht die Folgen der
Verdammung von 1277 für die Naturwissenschaft nur negativ. 17
L. Heydenreich, Leonardo da Vinci, Basel 1954, S. 136, 137 f, 184, 140. Es handelt sich um Zitate aus den
Schriften: Anat. A. 14 V; Quaderni; Codex Atlanticus; Vogelflugtraktat. 18
Albrecht Dürer, Underweysung der Messung mit dem Zirckel und richtscheyt, Nürnberg 1525, 4. Buch, s. a.:
Max Steck, Dürers Gestaltlehre der Mathematik und der bildenden Künste, Halle 1948, S. 175-77.
19 Dieses Kapitel ist Gegenstand eines anderen Bandes der vom Deutschen Museum München Arbeitsgruppe
Didaktik herausgegebenen Reihe: Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und Technik: Jürgen
Teichmann, Wandel des Weltbilds, München 1980. 20
Nikolaus Cusanus, Über die gelehrte Unwissenheit (De docta ignorantia), übersetzt von P. Wilpert, Hamburg
(F. Meiner) 1967, S. 13. 21
Ebenda, S. 85. 22
Giordano, Bruno, Vom Unendlichen, dem All und den Welten, übersetzt von L. Kuhlenbeck, Leipzig 1892,
S. 82 f und 107. 23
Tycho Brahe, De Cometa Anni 1577 (gedruckt 1578), zit. Nach: Opera Omnia, hg. Von J. L. E. Dreyer,
Hven 1918, Bd. 4, S. 383 f. 24
Zit. Nach: Johannes Kepler in seinen Briefen, hg. Von Max Caspar und Walter von Dyck, München 1930,
Bd. 1, S. 218 f. 25
Ebenda, S. 293. 26
Otto von Guerickes Neue (so genannte) Magdeburger Versuche über den leeren Raum, übersetzt und hg. Von
Hans Schimank (gr. Ausg.), Düsseldorf 1968, S. XXI. 27
Nikolaus von Cues, Der Laie über Versuche mit der Waage, in: Schriften des Nikolaus von Cues, hg. Von E.
Hoffmann, Heft 5, Leipzig 1944, S. 20-22. 28
Ebenda, S. 33 und 35. 29
Johannes Kepler, Harmonices Mundi Libri Quinque, Linz 1619, IV, 1, zit. Nach: Johannes Keplers
Kosmische Harmonie, übersetzt von W. Harburger, Leipzig 1925, S. 135 f. 30
Considerazioni di M. Vicenzio di Grazia sopra’l Discorso di Galileo Galilei intorno alle chose che stanno su
l’acqua, in: Galileo Galilei, Opere, Edizione Nazionale, Band IV, Florenz 1892, S. 385 (übersetzt von Sigrun
Thiessen). 31
F. Hipler, Die Chorographie des Joachim Rheticus, in: Zeitschrift für Mathematik und Physik 21, 1876, S.
125-150, hier S. 133-136. 32
Origins of the Scientific Revolution, hg. von Hugh Kearney, London 1964, S. 126 f (übersetzt von Michael
Heidelberger). 33
Paracelsus, Die Bücher von den unsichtbaren Krankheiten, 1531/32, 4. Buch, zit. nach: Sämtliche Werke, hg.
Von Karl Sudhoff, Bd. IX, München 1925, S. 308-310. 34
Paracelsus, Das Buch Paragranum, 1530, 3. Traktat, zit. nach: Sämtliche Werke, hg. Von Karl Sudhoff, Bd.
VIII, München 1924, S. 195. 35
Paracelsus, Zwei Bücher von der Pestilenz und ihren Zufällen, 1529/30, 5. Kapitel, zit. nach: Sämtliche
Werke, hg. Von Karl Sudhoff, Bd. VIII, München 1924, S. 382. 36
Tycho Brahe, De Cometa Anni 1577 (gedruckt 1578), zit. nach: Opera Omnia, hg. Von J. L. E. Dreyer, Hven
1918, Bd. 4, S. 382 f. 37
Manche Autoren sehen hier nur den Einfluss der Stoa. 38
William Harvey, De motu cordis, 1628, zit. nach: W. Harvey, Die Bewegung des Herzens und des Blutes,
übersetzt von R. v. Töply, Klassiker der Medizin Bd. 1, Leipzig 1910. 39
Paracelsus, Astronomia Magna, 1537/38, 7. Kapitel, zit. nach: Sämtliche Werke, hg. von Karl Sudhoff, Bd.
XII, München 1929, S. 162, 164 f, 170 f. 40
Paracelsus, Das Buch Paragranum, 1530, 3. Traktat, zit. nach: Sämtliche Werke, hg. von Karl Sudhoff, Bd.
VIII, München 1924, S. 181. 41
Johannes Kepler, Mysterium Cosmographicum, 1596, 20. Kapitel, zit. nach: Das Weltgeheimnis, übersetzt
von Max Caspar, München/Berlin 1936. 42
William Gilbert, De Magnete, London 1600, I. Buch, Kapitel III, zit. nach: William Gilbert begründet die
Lehre vom Erdmagnetismus, hg. und übersetzt von E. Boehm, Leipzig 1914 (Voigtländers Quellenbücher Nr.
84). 43
William Gilbert, De Magnete, London 1600, Buch V, Kapitel XII (übersetzt von Michael Heidelberger). 44
Johannes Kepler, Astronomia nova, II. Teil, 19, Kapitel, 1609, zit. nach: J. Kepler, Neue Astronomie,
übersetzt von Max Caspar, München/Berlin 1929, S. 163 f und 166. 45
Lateinisches Zitat bei E. Bassermann-Jordan, Die Geschichte der Räderuhr, Frankfurt 1905, S. 34 (übersetzt
von Michael Heidelberger). 46
Georg Agricola, Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen, Basel 1556, d. a. München (dtv) 1977, 5. Buch,
S. 98. 47
Ebenda, S. 99-101. 48
Galileo Galilei, Sidereus Nuncius, 1610, zit. nach: Galileo Galilei: Sidereus Nuncius: Nachricht von neuen
Sternen, hg. und eingeleitet von Hans Blumenberg, übersetzt von Malte Hossenfelder, Frankfurt 1965, S. 81-
83. 49
Zit. nach: Emil Wohlwill, Galilei und sein Kampf für die kopernikanische Lehre, 1. Band, Hamburg 1909, S.
307. 50
Galilei, Opere, Edizione Nazionale, Florenz 1892, Bd. 19, S. 589, zit. nach: Alistair C. Crombie, Von
Augustinus bis Galilei, München (dtv) 1977, S. 484.
51 Evangelista Torricelli, Brief an Michelangelo Ricci vom 11.6.1644, in: Opere, Bd. III, Faenza 1919, S. 186-
188, zit. nach: Der Weg der Physik, hg. von Shmuel Sambursky, München (dtv) 1978, diese Stelle übs. Von
M. Müller, S. 336-339. 52
Blaise Pascal, Traités de l’équilibre des liqueurs et de la pesanteur de la masse de l’air, in : Œuvres
complètes, hg. Von F. Strowski, Paris 1923, Bd. 1, S. 127 und 131-133, zit. nach : Der Weg der Physik, hg.
von Shmuel Sambursky, München (dtv) 1978, diese Stelle übers. Von E. Schmid, S. 343-345. 53
Galileo Galilei, Discorsi, 1638, 3. Tag, zit. nach: Unterredungen und mathematische Demonstrationen über
zwei neue Wissenszweige, übersetzt von A. v. Oettingen, Darmstadt 1973, S. 141 und 146-148. 54
Galileo Galilei, Dialogo, 2. Tag, 1632, zit. nach: Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme, das
Ptolemäische und das Kopernikanische, übersetzt von E. Strauß, Leipzig 1891, S. 262. 55
Ebenda, S. 270 f. 56
Ebenda, S. 354. 57
Ebenda, S. 219 f. 58
Galileo Galilei, Il Saggiatore, VI, in: Galileo Galilei, Opere, Edizione Nazionale, Bd. VI, Florenz 1892, S.
232 (übersetzt von Sigrun Thiessen). 59
Galileo Galilei, Dialogo, wie 54, S. 108. 60
Galileo Galilei, Discorsi, wie 53, S. 244. 61
Oettingen übersetzt hier sinnentstellend «keinen Versuch» statt «einen Versuch». 62
Galileo Galilei, Discorsi, wie 53, S. 57-59. 63
Galileo Galilei, Discorsi, wie 53, S. 162 f. 64
Galileo Galilei, Discorsi, wie 53, S. 3. 65
Francis Bacon, Novum Organum, London 1620, zit. nach der Übersetzung von J. H. V. Kirchmann, Berlin
1870, I, 98. 66
Francis Bacon, Historia Naturalis, zit. nach: Walter Frost, Bacon und die Naturphilosophie, München 1927,
S. 77 f. 67
Francis Bacon, De dignitate et augmentis scientiarum, 1623, zit. nach : Walter Frost, Bacon und die
Naturphilosophie, München 1927, S. 167. 68
Francis Bacon, Novum Organum, wie 65, S. 93-96. 69
Francis Bacon, Novum Organum, wie 65, II, 5. 70
Francis Bacon, Novum Organum, wie 65, S. 69, 83,88. 71
Francis Bacon, Novum Organum, wie 65, I. 129. 72
René Descartes, Principia Philosophiae, Amsterdam 1644, frz. 1647, zit. nach: Die Prinzipien der
Philosophie, übersetzt von A. Buchenau, Hamburg (F. Meiner) 1955, I, § 1. 73
Ebenda, I, § 7. 74
Ebenda, I, § 17 und § 20. 75
Ebenda, I, § 29 und § 30. 76
Ebenda, I, § 45. 77
Ebenda, II, § 1. 78
Ebenda, I, § 48. 79
Ebenda, II, § 64. 80
Ebenda, IV, § 187. 81
Ebenda, IV, § 146-§ 151. 82
Ebenda, II, § 16. 83
Ebenda, IV, § 203.