heidelberger, m. - natur und erfahrung

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Natur und Erfahrung Michael Heidelberger 1. Die Legende vom Erfahrungsprinzip Im 16. und 17. Jahrhundert haben sich die Naturwissenschaften entscheidend gewandelt. Unsere Kultur hat mit dieser Wandlung eine Richtung eingeschlagen, der sie auch heute noch folgt. Das naturwissenschaftliche Denken hat seitdem ungeahnte Ausmaße angenommen. Welche Bedingungen sind es, die diesen Wandel ermöglicht haben? Als Hauptgrund wird immer wieder die Entdeckung und konsequente Anwendung des Erfahrungsprinzips genannt: Man meint, dass erst, als man in der Renaissance daran ging, die Natur zu beobachten und Experimente durchzuführen, echte Naturwissenschaft entstehen konnte. Das Erfahrungsprinzip habe sich nach dieser Auffassung erst in schwierigem Kampf durchsetzen müssen gegen die aristotelische und scholastische Philosophie, die an Spekulation, Dogma und Metaphysik festhielten und nichts von der Erfahrung wissen wollten. Schaut man sich jedoch die Quellen der in Frage stehenden Epochen näher an, so stellt man fest, dass diese Erklärung eine Legende ist. Sie ist in zweierlei Hinsicht unrichtig: Es zeigt sich einerseits, dass auch Aristoteles und die Scholastiker mit Nachdruck vom Naturforscher den Bezug zur Erfahrung fordern und dass auch schon im Mittelalter experimentiert wurde. Und auf der anderen Seite wird klar, dass auch die neue Naturwissenschaft wesentlich von metaphysischen, sogar magischen, Denkweisen und Überzeugungen her ihren Ausgang nahm und auch späterhin durch sie beeinflusst war. Einige Texte aus der Zeit sollen dies im Folgenden plausibel machen. Es soll gezeigt werden, dass nicht erst in der Renaissance die Leistung von Erfahrung für die Wissenschaften entdeckt worden ist, vielmehr, dass sich die Auffassungen darüber, was Erfahrung, was Beobachtung und Experiment sind, mit der beginnenden Neuzeit geändert haben¹. Erfahrung ist nicht eindeutig, sondern hat im Laufe der Geschichte verschiedene Formen, Qualitäten und Bewertungen angenommen. Während für den aristotelisch-scholastischen Erfahrungsbegriff die alltägliche Sinneserfahrung bestimmend ist, wird sie in der Renaissance zu einem Hindernis, das es zu überwinden galt. Der Prozess dieser Überwindung, oder besser: dieser theoretischen Umformung, entsteht nicht durch Abkehr von metaphysischen Vorstellungen überhaupt, sondern wird erst durch spezielle metaphysische Annahmen ermöglicht. 2. Die Erfahrung in der aristotelischen und scholastischen Philosophie In den Schriften des Aristoteles (384-322 v.Chr.) finden sich zahlreiche Hinweise, die seine angebliche Erfahrungsfeindlichkeit widerlegen. So schreibt er zum Beispiel in «De caelo» (Über den Himmel), es sei nicht ratsam, «den Beobachtungen … Gewalt anzutun und zu versuchen, sie den eigenen Theorien und Meinungen anzupassen … und zur Bestätigung nach der Theorie statt nach den Tatsachen zu sehen».¹ª Jede Erkenntnis hängt nach Aristoteles letztlich vom Gebrauch unserer Sinne ab. Viele gleiche Sinneswahrnehmungen (z.B. «Dieser Stein, den ich jetzt loslasse, fällt nach unten zur Erde. Ebenso jener Stein usw.») führen zu einer «Erinnerung» («Wenn immer ich Steine losgelassen habe, so fielen sie nach unten zur Erde»). Die Erinnerung schließlich führt zur Erfahrung («Steine fallen senkrecht nach unten»). Die Erfahrung selbst ist dann der notwendige Ausgangspunkt für die Abstraktion der allgemeinen Aspekte, d.h., des Wesens der sinnlich wahrgenommenen Erscheinungen («Das Wesen der Dinge, die aus dem Element Erde sind, ist einmal die ihnen natürliche

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Natur und Erfahrung

Michael Heidelberger

1. Die Legende vom Erfahrungsprinzip

Im 16. und 17. Jahrhundert haben sich die Naturwissenschaften entscheidend gewandelt.

Unsere Kultur hat mit dieser Wandlung eine Richtung eingeschlagen, der sie auch heute noch

folgt. Das naturwissenschaftliche Denken hat seitdem ungeahnte Ausmaße angenommen.

Welche Bedingungen sind es, die diesen Wandel ermöglicht haben?

Als Hauptgrund wird immer wieder die Entdeckung und konsequente Anwendung des

Erfahrungsprinzips genannt: Man meint, dass erst, als man in der Renaissance daran ging, die

Natur zu beobachten und Experimente durchzuführen, echte Naturwissenschaft entstehen

konnte. Das Erfahrungsprinzip habe sich nach dieser Auffassung erst in schwierigem Kampf

durchsetzen müssen gegen die aristotelische und scholastische Philosophie, die an

Spekulation, Dogma und Metaphysik festhielten und nichts von der Erfahrung wissen wollten.

Schaut man sich jedoch die Quellen der in Frage stehenden Epochen näher an, so stellt

man fest, dass diese Erklärung eine Legende ist. Sie ist in zweierlei Hinsicht unrichtig: Es

zeigt sich einerseits, dass auch Aristoteles und die Scholastiker mit Nachdruck vom

Naturforscher den Bezug zur Erfahrung fordern und dass auch schon im Mittelalter

experimentiert wurde. Und auf der anderen Seite wird klar, dass auch die neue

Naturwissenschaft wesentlich von metaphysischen, sogar magischen, Denkweisen und

Überzeugungen her ihren Ausgang nahm und auch späterhin durch sie beeinflusst war.

Einige Texte aus der Zeit sollen dies im Folgenden plausibel machen. Es soll gezeigt

werden, dass nicht erst in der Renaissance die Leistung von Erfahrung für die Wissenschaften

entdeckt worden ist, vielmehr, dass sich die Auffassungen darüber, was Erfahrung, was

Beobachtung und Experiment sind, mit der beginnenden Neuzeit geändert haben¹. Erfahrung

ist nicht eindeutig, sondern hat im Laufe der Geschichte verschiedene Formen, Qualitäten und

Bewertungen angenommen. Während für den aristotelisch-scholastischen Erfahrungsbegriff

die alltägliche Sinneserfahrung bestimmend ist, wird sie in der Renaissance zu einem

Hindernis, das es zu überwinden galt. Der Prozess dieser Überwindung, oder besser: dieser

theoretischen Umformung, entsteht nicht durch Abkehr von metaphysischen Vorstellungen

überhaupt, sondern wird erst durch spezielle metaphysische Annahmen ermöglicht.

2. Die Erfahrung in der aristotelischen und scholastischen Philosophie

In den Schriften des Aristoteles (384-322 v.Chr.) finden sich zahlreiche Hinweise, die seine

angebliche Erfahrungsfeindlichkeit widerlegen. So schreibt er zum Beispiel in «De caelo»

(Über den Himmel), es sei nicht ratsam, «den Beobachtungen … Gewalt anzutun und zu

versuchen, sie den eigenen Theorien und Meinungen anzupassen … und zur Bestätigung nach

der Theorie statt nach den Tatsachen zu sehen».¹ª Jede Erkenntnis hängt nach Aristoteles

letztlich vom Gebrauch unserer Sinne ab. Viele gleiche Sinneswahrnehmungen (z.B. «Dieser

Stein, den ich jetzt loslasse, fällt nach unten zur Erde. Ebenso jener Stein usw.») führen zu

einer «Erinnerung» («Wenn immer ich Steine losgelassen habe, so fielen sie nach unten zur

Erde»). Die Erinnerung schließlich führt zur Erfahrung («Steine fallen senkrecht nach

unten»). Die Erfahrung selbst ist dann der notwendige Ausgangspunkt für die Abstraktion der

allgemeinen Aspekte, d.h., des Wesens der sinnlich wahrgenommenen Erscheinungen («Das

Wesen der Dinge, die aus dem Element Erde sind, ist einmal die ihnen natürliche

Bewegungsart, die immer geradlinig ist und außerdem ihr natürlicher Ort, der Mittelpunkt der

Erde»). Erst diese abstrahierten Begriffe führen, neben anderen Methoden, zum Wissen über

die Natur, d.h. zur Kenntnis der natürlichen Ursachen («die Ursache dafür, dass ein Stein sich

bewegt, wenn man ihn – ohne ihn zu werfen – loslässt, liegt in seinem Bestreben, seinen

natürlichen Ort zu erreichen»). Wir finden diese Lehre des Aristoteles hauptsächlich in seinen

«Analytica posteriora» (Zweite Analytik):

«Die Geschöpfe besitzen von Natur aus die Unterscheidungskraft, die man Wahrnehmen [aisthanomai] nennt.

Aus diesem Wahrnehmungsvermögen entsteht bei manchen Geschöpfen etwas Bleibendes, bei anderen nicht.

Wenn oder sofern nichts Dauerhaftes bleibt, haben solche Geschöpfe keine andere Erkenntnismöglichkeit als das

Wahrnehmen. Wenn es ihnen aber gegeben ist, aus der Wahrnehmung eine bestimmte Spur in der Seele

zurückzubehalten, dann ist, wenn dies öfter vor sich geht, wieder ein Unterschied zu beobachten: Bei den einen

führt die Erinnerung hieran zum Denken, bei den anderen nicht. Aus der Wahrnehmung bildet sich, wie gesagt,

die Erinnerung, aus der Erinnerung, wenn sich derselbe Vorgang öfter wiederholt, die Erfahrung [empeiria]. Die

zahlenmäßig häufigen Erinnerungen führen nämlich zu einer einheitlichen Erfahrung. Aus der Erfahrung oder

aus dem von allen Erinnerungen in der Seele zurückgebliebenen Allgemeinen, das ist das eine neben dem vielen,

was in allen Wahrnehmungen dasselbe blieb, entsteht Können und Wissen; das Können, wenn es sich um die

Erzeugung, das Wissen, wenn es sich um das Sein handelt. Diese Fähigkeiten sind uns nicht fertig angeboren

noch sind sie aus noch erkenntniskräftigeren abgeleitet, sondern sie stammen nur aus der Wahrnehmung» …²

«Es ist einzusehen, dass da, wo eine Wahrnehmung fehlt, auch ein Wissen fortfällt, das man nun nicht mehr

erfassen kann, wenn anders wir durch Erfahrung oder durch Beweis lernen. Nun beruht der Beweis auf

allgemeinen Sätzen, die Erfahrung auf den Teilerkenntnissen. Aber man kann das Allgemeine gar nicht

betrachten, es sei denn durch Erfahrung … Erfahrung aber kann man ohne Wahrnehmung nicht haben. Die

Erfahrung nämlich geht auf das einzelne, und man kann ja das Wissen nicht bekommen, weder aus dem

Allgemeinen ohne Erfahrung noch aus der Erfahrung ohne Wahrnehmung.»³

Die Forderung nach Berücksichtigung der Beobachtung erhebt Aristoteles auch

wiederholt in seinen mehr naturwissenschaftlichen Betrachtungen. In den beiden folgenden

Zitaten betont er, wie wichtig die Erfahrung für die Astronomie und die Biologie ist:

«Es ist Sache der Erfahrung, die Voraussetzungen auf jedem einzelnen Gebiet zu schaffen, z.B. der

astronomischen Erfahrung für die astronomische Wissenschaft. Denn erst nachdem die Erscheinungen

hinlänglich beobachtet waren, fand man daraufhin die Lehrsätze der Astronomie. Ähnlich ist es auf jedem Gebiet

des Könnens und Wissens. Erst wenn die Beobachtungen über jeden einzelnen Gegenstand vorliegen, kann es

unsere Aufgabe sein, die Beweise durchsichtig zu machen. Nur wenn nichts von dem übersehen wird, was die

Forschung an wirklichen Tatsachen herausgebracht hat, werden wir es in der Hand haben, für jeden Gegenstand,

für den es überhaupt einen Beweis gibt, diesen auch zu finden und durchzuführen, und wo es der Natur der

Sache nach keinen Beweis gibt, dies klar zu machen.»4

«Aus Vernunftgründen also scheint die Entwicklung der Bienen in dieser Weise vor sich zu gehen, aber

auch nach dem, was jetzt wirklich an Vorgängen und Tatsachen beobachtet worden ist. Diese sind nur noch nicht

hinreichend bekannt, aber wenn wieder einmal etwas bekannt wird, dann soll man sich auf die Beobachtung

mehr verlassen als auf die Vernunftgründe, auf diese überhaupt nur, wenn sie mit den Erscheinungen im

Einklang sind. Ein Zeichen, dass sie nicht aus Paarung entstehen, ist auch der Umstand, dass die Brut in den

Honigwaben so klein erscheint …»5

Wir können also mit Recht sagen, dass die aristotelische Naturlehre nicht

empiriefeindlich war, sondern im Gegenteil größtes Vertrauen in die Sinneserfahrung setzte

und von ihr ihren Ausgang nahm.

Erfahrung heißt für die aristotelische Philosophie so viel wie alltägliche Erfahrung, die

jeder Mensch unter normalen Bedingungen mit seinen Sinnen machen kann. Die aristotelische

Philosophie wollte vor allem eine Philosophie des gesunden Menschenverstandes sein; daher

ihre große Plausibilität, ihre Anziehungskraft und ihr immenser Erfolg. Im Gegensatz dazu

steht die neuzeitliche Naturwissenschaft, die sich hauptsächlich auf solche Erfahrungen stützt,

die man nur unter nichtalltäglichen Bedingungen gewinnen kann und die erst nach

Verarbeitung dieser künstlichen Erfahrungen zu Erklärungen der Alltagserfahrungen gelangt.

Der Unterschied zwischen den beiden Sehweisen betrifft also hauptsächlich die Bewertung

und die Zulässigkeit von Erfahrungsquellen. Für die aristotelische Physik ist Erfahrung nur

das, was der passive Beobachter an der sich selbst überlassenen Natur wahrnimmt. Wenn der

Mensch aktiv in das Geschehen der Natur eingreift, kann er über die Natur nichts erfahren.

Man sah daher seit der Rezeption des Aristoteles die Mechanik und die mechanischen Künste

im Gegensatz zur Physik als nicht im Einklang mit der Natur, sondern als künstlich erzeugt

und gegen die Natur und ihre organische Ordnung gerichtet. Die Mechanik lehrte demnach

Fertigkeiten, mit deren Hilfe man die Natur manipulieren und überlisten kann. Experimente

im modernen Sinn und Instrumente konnten keinesfalls Prinzipien der inneren Konstitution

der Natur enthüllen. In diesem Sinne äußert sich Aristoteles in der Einleitung zu seinen

«Problemata mechanica» (Mechanische Probleme):

«Verwunderung erregt einerseits, was zwar der Natur gemäß erfolgt, aber hinsichtlich seiner Ursache unbekannt

ist – andererseits das, was gegen die Natur erfolgt und durch die Technik zugunsten der den Menschen eigenen

Bedürfnisse geschieht. In vielen Punkten bewirkt nämlich die Natur das Gegenteil von dem, was uns dienlich ist.

Denn die Natur behält immer ihre eigene Weise, und die ist einfach; was dienlich ist, ändert sich dagegen

vielfältig. Wenn man nun etwas gegen die Natur tun muss, dann bereitet dies, wegen seiner Schwierigkeiten,

eine Aporie und bedarf der Technik. Deswegen bezeichnen wir jenen Teil der Technik, der solchen Aporien

abhilft, als Mechanik. So wie auch der Dichter Antiphon dichtete und es folgendermaßen fasste: <Mit Hilfe der

Technik lasst uns die Oberhand gewinnen, wo wir durch die Natur besiegt werden!> Solcher Art ist das, worin

Kleines Großes bewältigt, und das, was nur einen geringen Anstoß hat, aber große Lasten bewegt, und alles

Verwandte, was wir unter den Problemen als <mechanische> bezeichnen. Es gehört dies zu den physikalischen

Problemen, allerdings nicht ganz, doch ist es auch nicht sehr weit getrennt davon, sondern hat etwas mit den

mathematischen und physikalischen Problemen gemeinsam. Denn das (Kausalverhältnis) <Wie> wird durch die

Mathematik offenkundig, (der Bezug) <Warum> aber durch die Physik. In diese Art von Aporien eingeschlossen

ist (z.B.) das Problem Hebel.» 6

Ein weiterer Unterschied zwischen der aristotelischen und der neuzeitlichen

Naturwissenschaft betrifft das Ziel, das man mit dem Gewinnen von Erfahrung erreichen

möchte. Bei Aristoteles soll die Erfahrung, wie wir schon gesehen haben, letztlich dazu

führen, dass man die Ursache des Erfahrenen erkennt und einsieht, dass diese Ursache für die

erfahrene Tatsache notwendig war. Für die neuzeitliche Naturwissenschaft hingegen dient

Erfahrung vor allem zur Bestätigung oder Widerlegung von Naturgesetzen. Dieser

Überprüfung durch Erfahrung sind die Naturgesetze prinzipiell immer ausgesetzt, während

bei Aristoteles die Erfahrung dann «ausgedient» hat, wenn man einmal die Ursache des

Erfahrenen gefunden und als notwendig erwiesen hat.

Am Anfang seiner «Physica» (Physik) skizziert Aristoteles den Weg zur wahren

Naturerkenntnis als den Übergang vom Alltagswissen zur Einsicht in die Ursachen:

«Auf allen Gebieten, in denen es Grundlagen, Ursachen und Bausteine gibt, ergibt sich das Wissen und

Verstehen aus der Erkenntnis dieser Ursachen, weil wir dann einen Gegenstand zu erkennen glauben, wenn wir

seine ersten Ursachen verstehen und seine ersten Grundlagen bis hin zu den Bausteinen. Daher müssen wir

natürlich auch bei der Naturerkenntnis versuchen, zuerst über die Grundlagen ins reine zu kommen. Der

natürliche Weg führt vor dem uns Bekannteren und vor Augen Liegenden zu dem, was seinem Wesen nach

klarer ist und größeren Erkenntniswert hat. Deshalb muss man den Schüler in der Weise leiten, dass man von

den sachlich noch ungeklärten, uns aber verständlichen Dingen, ausgeht und endet bei den der Natur der Sache

nach klaren und für die Erkenntnis entscheidenden Dingen. Für uns ist zunächst deutlich und sichtbar, was aus

einer Mischung entstanden ist, erst später werden uns daraus die Bausteine ersichtlich und die Grundlagen, wenn

wir jene zergliedern. Mithin muss man vom Gesamteindruck zum Einzelnen fortschreiten, da nach der

Wahrnehmung das Ganze leichter erkennbar ist und der Gesamteindruck ein Ganzes ist, das ja viele Teile in sich

fasst.» 7

Ein weiterer Unterschied zwischen der aristotelischen Naturlehre und der modernen

Physik liegt in der Funktion, die der Mathematik bei der Erfahrung zugewiesen wird. Die

Pythagoräer (Anhänger des Pythagoras, ca. 570-480) hatten gelehrt, dass das Wissen über die

Natur mathematisch sei. Für Plato (427-347 v. Chr.) ist der unvergängliche Bereich der

mathematischen Gebilde in der wahrnehmbaren Welt nirgends perfekt realisiert, aber die

Erscheinungen richten sich wenigstens ungefähr nach ihnen. Die mathematische Form ist

zwar keine Eigenschaft der Dinge, wohl aber ein Mittel zur Erkenntnis der Ideen, deren

unvollkommenes Abbild die wahrnehmbare Welt ist.

Für Aristoteles und das aristotelische Mittelalter hingegen ist die Mathematik kein Mittel

zur Erkenntnis der Natur. Sie ist eine gedankliche Schöpfung des Menschen, die von den

Veränderungen in der Natur abstrahiert. Die Physik hat es aber gerade mit all den

Erscheinungen der Veränderung zu tun, wovon die Bewegung materieller Dinge einen Teil

darstellt. Es kann also durch die Mathematik niemals die Ursache und das Wesen von

Veränderungen herausgefunden werden.

Im folgenden Abschnitt der «Physica» behandelt Aristoteles die Unterschiede zwischen

Mathematik und Physik und setzt sich mit der Ideenlehre Platos auseinander:

«Nachdem dargelegt ist, in wie viel Bedeutungen man von Natur spricht, wäre hiernach zu untersuchen, worin

sich der Mathematiker vom Physiker unterscheide. Denn Ebenen und Rauminhalt haben auch die natürlichen

Körper, ebenso Länge und Punkte, die den Gegenstand der Mathematik bilden. Von dieser ist auch die

Astronomie verschieden, die vielleicht sogar ein Teil der Physik ist… Darüber handelt auch der Mathematiker,

aber nicht, sofern es jedes Mal als Grenze eines natürlichen Körpers gilt, und auch seine Lehrsätze fasst er nicht

so auf, als gälten sie von solchen Körpern. Daher trennt er sie auch davon, er denkt nämlich seine Begriffe von

jeder Bewegung losgelöst, und diese Loslösung ändert nichts an seinen Ergebnissen oder macht sie nicht falsch.

Ohne es zu bemerken, verfahren so auch die Anhänger der Ideenlehre mit den natürlichen Körpern: sie trennen

auch sie ab, obwohl gerade sie weniger abtrennbar sind als die mathematischen. Dies würde man sofort einsehen,

wenn man versuchte, die Begriffe zu bestimmen, sowohl die der Körper selbst als auch die ihrer

Eigenschaften.»8

Und in der «Metaphysica» (Metaphysik) schreibt Aristoteles:

«Wie der Mathematiker das aus Abstraktion Hervorgegangene untersucht, indem er nämlich alles Sinnliche, z.B.

Schwere und Leichtigkeit, Härte und das Gegenteil, ferner Wärme und Kälte und die anderen Gegensätze der

sinnlichen Wahrnehmung, weglässt und nur das Quantitative und das nach einer oder zwei oder drei Richtungen

Kontinuierliche übrig lässt und die Affektionen derselben nicht in einer anderen Beziehung, sondern nur,

insofern sie ein Quantum und ein Kontinuum sind, untersucht und bei einigem die gegenseitigen Lagen und das

an ihnen sich Findende betrachtet, bei anderem die Messbarkeit und Unmessbarkeit, bei anderem die

Verhältnisse, und wie wir dabei doch die Geometrie als eine einzige Wissenschaft von diesem allen und als

dieselbe aufstellen: ebenso verhält es sich auch mit dem Seienden. Denn die Akzidenzien desselben, insofern es

seiend ist, und seine Gegensätze, insofern es seiend ist, zu betrachten, gehört keiner anderen Wissenschaft an als

der Philosophie. Denn der Physik kann man ihre Untersuchung nicht zuteilen, insofern es etwas Seiendes ist,

sondern insofern es teilhat an Bewegung. Die Dialektik und die Sophistik aber gehen zwar auf die Akzidenzien

des Seienden, aber nicht, insofern es Seiendes ist, und nicht auf das Seiende als solches. Also bleibt nur übrig,

dass der Philosoph die genannten Gegenstände, insofern sie Seiendes sind, zu behandeln hat.» 9

Die Auffassung von der Trennung von Mathematik, Physik und Philosophie wirkte sich

auch auf die aristotelische Vorstellung vom Kosmos aus und wurde selbst von ihr beeinflusst.

Alle Dinge und Phänomene auf der Erde sind nach dieser Lehre unvollkommen, veränderlich

und endlich, wohingegen außerhalb der Sphäre des Mondes die vollkommenen

unveränderlichen und ewigen astronomischen Erscheinungen ablaufen. Was dem idealen und

präzisen Charakter der Mathematik höchstens genügen kann, sind demnach die kreisförmigen

und vollkommenen Bewegungen der Gestirne, jedoch nicht die unvollkommenen Ereignisse

auf der Erde, die geradlinig oder aus gerader und kreisförmiger Bewegung gemischt ablaufen.

Mathematische Astronomie ist also möglich, doch keine mathematische Physik. Insbesondere

ist die mathematische Formulierung einer Theorie der Bewegung unsinnig. Bewegungen

physikalisch fassen heißt, ihre qualitativen Kategorien bestimmen: ob sie natürlich,

erzwungen, geradlinig oder kreisförmig usw. sind. Aristoteles beschäftigt sich damit an einer

Stelle seiner Schrift «De caelo» (Über den Himmel), wo er die Existenz eines fünften

Elements, aus dem die Himmelskörper sind, nachzuweisen versucht:

«Alle natürlichen Körper und Grö0ßen, so lehren wir ja, lassen Ortsveränderungen zu, da die Natur für sie

Quelle der Bewegung ist. Jede Ortsveränderung jedoch, die so genannte Bahn, ist entweder geradlinig oder

kreisförmig oder aus beiden gemischt; einfach sind ja nur diese beiden, die Gerade un die Kreislinie.

Kreisförmig ist eine Linie, die die Mitte umschließt, gerade die, die nach oben und unten verläuft. <Nach oben>

bedeutet von der Mitte fort, <nach unten> zur Mitte hin. Daher muss jede einfache Bahn entweder von der Mitte

fort oder zur Mitte hin oder um die Mitte herum führen. Und dieses Ergebnis passt anscheinend vortrefflich zu

unserem Ausgangspunkt, da nun der Körper wie seine Bewegung sich in drei Möglichkeiten vollendet. Da von

den Körpern die einen einfach sind, die anderen aus diesen zusammengesetzt – einfach heißen die, die eine

natürliche Bewegungsquelle in sich tragen, wie Feuer und Erde und deren Abarten und Verwandte -, so müssen

auch die Bewegungen teils einfach, teils irgendwie zusammengesetzt sein, und zwar die der einfachen Körper

einfach, gemischt dagegen die der zusammengesetzten, wobei das Übergewicht für die Bewegung entscheidet.

Wenn es nun eine einfache Bewegung gibt und die Kreisbewegung dazugehört und wenn zum einfachen Körper

die einfache Bewegung gehört und die einfache Bewegung zum einfachen Körper – bei einem

zusammengesetzten würde ja das Übergewicht entscheiden -, so muss es einen einfachen Körper geben, der

seinem eigensten Wesen gemäß die Kreisbewegung ausführt … »

«Hieraus wird deutlich, dass die Natur noch einen wesentlich von den uns bekannten Stoffen verschiedenen

Körper kennt, der göttlicher und ranghöher ist als sie alle. Dies auch, wenn man noch hinzunimmt, dass jede

Bewegung entweder naturgemäß oder naturwidrig sein muss und dass die, die beim einen naturwidrig ist, bei

einem andern naturgemäß sein muss, wie es den Bewegungen nach oben und unten ergeht: die eine ist für das

Feuer, die andere für die Erde naturwidrig und naturgemäß. Auch die Kreisbahn müsste also, wenn sie für diese

Stoffe naturwidrig ist, für irgendeinen andern naturgemäß sein. Wenn zudem die Kreisbahn für etwas natürlich

ist, dann muss es offenbar unter den einfachen Urstoffen einen geben, der genauso natürlich die Kreisbewegung

ausführt, wie Feuer nach oben, Erde nach unten strebt.» 10

3. Die Vorbereitung des Umbruchs durch die Spätscholastik

Die aristotelische Physik bildet ein kohärentes und in sich schlüssiges System. Sie kann mit

allen Wahrnehmungen, wenn man sie auf aristotelische Weise formuliert, in Einklang

gebracht werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keine Schwierigkeiten für die

aristotelische Physik gegeben hätte.

Eine der größten Schwierigkeiten, mit denen sich viele Denker des Mittelalters

auseinandersetzten, betraf die Erklärung des Wurfes. Nach Aristoteles ist der Wurf eine

erzwungene, künstliche Bewegung, im Gegensatz zur naturgemäßen kreisförmigen Bewegung

der Himmelskörper und der natürlichen geradlinigen Aufwärts- bzw. Abwärtsbewegung der

vier irdischen Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde. Jede Bewegung braucht nach der

aristotelischen Auffassung eine äußere bewegende Kraft, die während des ganzen

Bewegungsablaufs auf das Bewegte einwirkt. («Quidquid movetur ab alio movetur.» Was

immer sich bewegt, wird von einem anderen bewegt.) Nimmt man diese äußere Kraft weg, so

endet die Bewegung. Aristoteles hat sich nicht eindeutig dazu geäußert, welche äußere Kraft

auf die natürliche geradlinige Bewegung wirkt. Manche Stellen lassen vermuten, dass in

diesem Falle das Gewicht als wirkende Kraft gesehen wird.

Da äußere Kräfte nur durch direkten Kontakt übertragen werden können, kann ein Körper

im Wurf nur gestoßen oder gezogen werden. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass ein geworfener

Körper sich weiterbewegt, auch wenn er die Hand des Werfers verlassen hat. In der

aristotelischen Philosophie wird das Problem dadurch gelöst, dass man sagt, der Werfer wirke

durch seine Wurfbewegung auf die Luft ein, die ihrerseits den geworfenen Körper

weiterbewegt. So schreibt Aristoteles in der «Physica» (Physik):

«Es wird gut sein, bei den Wurfbewegungen zunächst eine Schwierigkeit zu besprechen. Wenn nämlich alles

Bewegte von etwas bewegt wird, soweit es nicht von sich selbst bewegt wird, wie kann dann in manchen Fällen

ein Körper sich stetig weiterbewegen, ohne dass derjenige ihn noch berührt, der ihn in Gang gebracht hat? Zum

Beispiel beim Wurf. Wenn aber der Werfende noch eine andere Bewegung verursacht hat, z.B. die der Luft, die

dann als Werkzeug weiterbewegt, dann ist das ebenso unmöglich, dass nämlich diese sich weiterbewegt, ohne

dass der erste, werfend, sie noch berührt und bewegt. Es müsste doch alles zugleich sich bewegen und mit der

Bewegung aufhören, sobald der erste mit seiner Bewegung aufhört, auch dann, wenn er es so macht wie der

Magnet, der zum Magneten macht, und so zum Beweger macht, was er bewegt hat. Hier muss man folgendes

sagen, dass der erste Beweger die Luft oder das Wasser instand setzt, weiterzubewegen, oder auch sonst ein

Mittel, das seiner Natur nach bewegen oder bewegt werden kann. Aber er hört nicht zu gleicher Zeit auf, sich zu

bewegen und zu bewegen, vielmehr hört der Beweger nur auf, sich zu bewegen, wenn er mit der Wurfbewegung

aufhört, aber Beweger ist er immer noch. Deswegen wird auch ein anderes Glied der Reihe bewegt, und bei

diesem ist es auch wieder so. Die Bewegung hört erst auf, wenn im Nachbarglied die Kraft zur Bewegung

nachlässt. Schließlich hört die ganze Bewegung auf, wenn ein Glied das nächste nicht mehr bewegend machen

kann, sondern nur noch bewegt. In dem Fall hört dann alles zugleich auf, der Beweger, das Bewegte und die

ganze Bewegung.» 11

Gegen diese Theorie wurden schon früh Einwände erhoben: Man sah es einerseits als

unwahrscheinlich an, dass z.B. ein gegen den Wind fliegender Pfeil oder ein Mühlstein, der

sich nach dem Wegfall seines Antriebs noch bewegt, vom Wind weiterbewegt werden.

Darüber hinaus konnte man nicht verstehen, dass die Luft neben ihrer Rolle als Beweger von

Dingen gleichzeitig diesen Dingen einen Widerstand entgegensetzen kann. Im 6. Jahrhundert

wurde von Johannes Philoponos eine neue Theorie, die später so genannte «Impetus-Theorie»

entwickelt, die davon ausging, dass der Werfer dem geworfenen Ding eine Kraft, einen

Schwung (impetus) einverleibt, der sich selbständig während des Fluges verringert.

Die geistige Beschäftigung mit diesen und anderen physikalischen Problemen wurde im

12. Jahrhundert auch durch arabische, griechische, lateinische und jüdische Quellen

beeinflusst, die damals in großer Zahl neu entdeckt wurden. Besonders William Ockham

(1284-1349), Thomas Bradwardine (gest. 1349), Jean Buridan (gest. nach 1358) und Nicole

d’Oresme (ca. 1325-1382) entwickelten die Kritik an der aristotelischen Kinematik weiter.

Jean Buridan hat eine Impetus-Theorie detailliert ausgearbeitet. In seinem Kommentar zur

Physik des Aristoteles «Quaestiones super Octo Libros Physicorum» heißt es:

«Darum scheint mir, wir müssen schließen, dass ein Beweger, wenn er einen Körper bewegt, diesem einen

bestimmten Impetus aufdrückt, eine bestimmte Kraft, die diesen Körper in der Richtung weiterzubewegen

vermag, die ihm der Beweger gegeben hat, sei es nach oben, nach unten, seitwärts oder im Kreis. Der mitgeteilte

Impetus ist in dem gleichen Maße kraftvoller, je größer der Aufwand an Kraft ist, mit dem der Beweger dem

Körper Geschwindigkeit verleiht. Durch diesen Impetus wird der Stein weiterbewegt, nachdem der Werfer

aufgehört hat, ihn zu bewegen. Aber wegen des Widerstandes der Luft und auch der Schwerkraft des Steins, die

ihn ständig in eine dem Streben des Impetus entgegen gesetzte Richtung zwingen möchte, wird der Impetus

immer schwächer. Darum muss die Bewegung des Steines allmählich immer langsamer werden. Schließlich ist

der Impetus so weit geschwächt oder vernichtet, dass die Schwerkraft des Steines überwiegt und den Stein

abwärts zu seinem natürlichen Ort bewegt.

Man kann, glaube ich, diese Erklärung akzeptieren, weil die anderen Erklärungen nicht richtig zu sein

scheinen, während alle Phänomene mit dieser übereinstimmen. Denn wenn man fragt, warum ich einen Stein

weiter werfen kann als eine Feder und warum ein Stück Blei oder Eisen der Hand genehmer ist als ein Stückchen

Holz gleicher Größe, so sage ich: Der Grund liegt darin, dass in der Materie und durch sie alle Formen und

natürlichen Neigungen aufgenommen sind. Je größer also die Masse an Materie ist, die der Körper enthält, desto

mehr an Impetus kann er aufnehmen und desto größer ist die Intensität, mit der er ihn aufnehmen kann. Nun ist

in einem dichten, schweren Körper mehr materia prima enthalten als in einem lockeren, leichten, auch wenn

alles andere übereinstimmt. Darum empfängt ein dichter, schwerer Körper mehr Impetus und nimmt ihn mit

größerer Intensität auf [als ein lockerer, leichter Körper]. Gleicherweise kann eine bestimmte Masse Eisen mehr

Hitze aufnehmen als die gleiche Menge Holz oder Wasser. Eine Feder bekommt einen so schwachen Impetus,

dass dieser alsbald vom Luftwiderstand zerstört wird; wenn man ein leichtes Stück Holz und ein schweres Stück

Eisen von gleicher Größe und Gestalt mit gleicher Geschwindigkeit wirft, so wird das Stück Eisen weiter

fliegen, weil der ihm verliehene Impetus stärker ist und nicht so schnell abnimmt wie der schwächere Impetus.

Aus dem gleichen Grunde ist es schwerer, ein großes Mühlrad mit großer Drehgeschwindigkeit zum Halten zu

bringen als ein kleineres Rad. Auch wenn alles übrige gleich ist, hat doch das grö0pere Rad mehr Impetus als das

kleinere. Und darum kann man auch einen Stein von einem oder einem halben Pfund Gewicht weiter werfen, als

den tausendsten Teil dieses Steines. In diesem Tausendstel ist der Impetus so gering, dass er sehr schnell vom

Luftwiderstand ausgelöscht wird.

Darin scheint mir auch der Grund zu liegen, weshalb der natürliche Fall schwerer Körper eine ständige

Beschleunigung erfährt. Zu Beginn des Falles bewegte allein die Schwerkraft den Körper: er fiel langsamer.

Aber im Verlauf des Bewegens teilte diese Schwerkraft dem schweren Körper einen Impetus mit, der zugleich

mit der Schwerkraft den Körper bewegt. Daher wird die Bewegung schneller, und in dem Maße, wie sie

schneller wird, wächst der Impetus. Es ist offensichtlich, dass die Bewegung stetig beschleunigt wird.

Jeder, der weit springen will, nimmt einen langen Anlauf, damit er schneller laufen und dadurch einen

Impetus gewinnen kann, der ihn beim Sprung eine lange Strecke trägt. Im Laufen und Springen fühlt er sich

keineswegs von der Luft bewegt; er empfindet vielmehr die Luft vor sich als starken Widerstand.

Nirgendwo findet man in der Bibel, dass es Intelligenzen gibt, die beauftragt sind, den Himmelskörpern die

ihnen eigenen Bewegungen mitzuteilen; also ist es zulässig, zu zeigen, dass die Annahme solcher Intelligenzen

durchaus nicht notwendig ist. Man könnte wohl sagen, dass Gott, als er das Weltall erschuf, jeden

Himmelskörper nach seinem Gefallen in Bewegung setzte, indem er jedem einen Impetus mitgab, der ihn seither

bewegt. Gott braucht diese Himmelskörper darum jetzt nicht mehr zu bewegen, abgesehen von seinem

allwaltenden Einfluss, der das Zusammenspiel aller Phänomene bewirkt. Also konnte er am siebten Tage

ausruhen von dem vollbrachten Werk und die Geschöpfe ihren wechselseitigen Ursachen und Wirkungen

überlassen. Dieser Impetus, der Gott den Himmelskörpern verlieht, ist im Laufe der Zeit weder abgeschwächt

noch ausgelöscht worden, weil in Himmelskörpern keinerlei Neigung zu anderen Bewegungen besteht und weil

kein Widerstand da ist, der den Impetus verschlechtern oder behindern könnte. Ich möchte all das nicht als

Gewissheit hinstellen; wohl aber möchte ich die Theologen bitten, mich zu belehren, wie diese Dinge vor sich

gehen können.» 12

Oresme ging noch einen Schritt weiter. Er beschäftigte sich mit der Frage, ob eine

Bewegung der Erde selbst denkbar sei. Er behandelte alle damals bekannten Einwände gegen

eine solche Auffassung. Auf Befehl des französischen Königs Charles V., der von 1364-80

regierte, übersetzte Oresme neben anderen Aristoteles-Schriften auch «De caelo» (Über den

Himmel) ins Französische und verfasste einen ausführlichen Kommentar dazu. In diesem

«Livre du Ciel et du Monde» (Buch über den Himmel und die Welt) von 1377 zeigt Oresme,

dass Bewegungen relativ sind und nicht absolut, wie sich aus der aristotelischen Philosophie

ergibt. Daraus folgert er dann die Möglichkeit der Erdbewegung.

«Ich nehme an, Ortsbewegung kann nur insoweit beobachtet werden, als ein Körper seine Position in Bezug auf

einen anderen Körper ändert. Also, wenn ein Mensch sich in Boot A befindet, das sich gleichmäßig, schnell oder

langsam bewegt, und er kann nichts um sich herum sehen außer einem zweiten Boot B, das sich in genau

derselben Weise bewegt wie Boot A, so sage ich, diesem Menschen wird es schienen, als ob sich keines der

Boote bewege. Wenn A in Ruhe ist und B in Bewegung, wird es ihm scheinen, als bewege sich B; wenn A in

Bewegung ist und B in Ruhe, wird es für ihn genauso aussehen: dass B sich bewegt. Ebenfalls, wenn A eine

Stunde lang ruhig liegt, während B sich bewegt, dann für die nächste Stunde das Umgekehrte eintritt, dass A sich

bewegt und B in Ruhe bleibt, so kann dieser Mensch unmöglich den Wechsel, die Veränderung bemerken; es

wird ihm vielmehr scheinen, als ob B sich die ganze Zeit bewege. Das ist eine Erfahrungstatsache. Uns scheint

es so, als ob der Ort, an dem wir uns befinden, immer in Ruhe und der andere immer in Bewegung sei, genauso

wie ein Mensch in einem fahrenden Boot meint, dass die Bäume draußen sich bewegen. Wenn sich nun ein

Mensch im Himmelsgewölbe befände und sich im regelmäßigen Tagesrhythmus bewegte, so müsste ihm

scheinen, dass die Erde die tägliche Bewegung ausführe, so wie sich für uns auf der Erde das Himmelsgewölbe

zu drehen scheint. Wenn sich entsprechend die Erde in täglicher Drehung bewegt und das Himmelsgewölbe

nicht, dann glauben wir die Erde in Ruhe und das Himmelsgewölbe in Bewegung. Jede intelligente Person kann

sich das vorstellen.» 13

Mehr als die bloße Möglichkeit einer täglichen Drehung der Erde um ihre Achse wollte

Oresme aber nicht annehmen. Die Denkbarkeit reicht ihm als Beweis für das tatsächliche

Vorliegen der Erdbewegung nicht aus. Bradwardine war der ersten, der in seinem «Tractatus

proportionum» (Abhandlung über die Proportionen) von 1328 eine Art algebraischer Funktion

zur Beschreibung der Bewegung benutzte. Für die aristotelische Bewegungslehre war die

Geschwindigkeit v eines Körpers direkt proportional der bewegenden Kraft f und umgekehrt

proportional dem Widerstand r des Mediums, in dem sich der Körper bewegt; also v = kf/r,

wenn man es modern ausdrücken will und k als eine Konstante nimmt. Bradwardine überlegte

sich, dass, wenn die Kraft so groß ist wie der Widerstand, die Geschwindigkeit des Körpers

null sein müsste und nicht eine endliche Zahl, wie sich aus der aristotelischen Theorie ergibt.

Aus diesem Grunde formulierte er eine Art von logarithmischem Bewegungsgesetz, das in

moderner Formulierung v = k log f/r lautet. Wenn f = r, dann ist log f/r = 0, also v = 0, der

Körper bleibt also in Ruhe.

Schon im 12. Jahrhundert hatte Avempace (= Ibn Bajja, Ende 11. Jahrhundert – 1138/39)

ein anderes Gesetz entworfen, nach dem v = k (f – r) ist. Er wollte damit erklären, dass sich

die Himmelskörper mit endlicher und relativ geringer Geschwindigkeit bewegen, obwohl sich

ihnen, da ihre Bewegung vollkommen und unvergänglich ist, kein Widerstand entgegensetzt.

Nach dem aristotelischen Gesetz ist ein Vakuum unmöglich, weil die Geschwindigkeit eines

Körpers unendlich groß, also instantan, sein müsste, wenn r = 0. Mit Avempaces Formel wird

die Bewegung im Vakuum zumindest theoretisch vorstellbar, denn wenn r = 0, dann ist v = k

f, also endlich groß. Thomas von Aquin (1225-1274), Roger Bacon (1214-1292), Duns Scotus

(1275-1308) und andere Philosophen und Theologen des 13. Jahrhunderts schlossen sich

seiner Theorie an, ebenso noch Galilei in seinem Frühwerk.

Robert Grosseteste (1168-1253), erster Kanzler der Universität Oxford, beschäftigte sich

philosophisch mit dem Verhältnis von Theorie und Erfahrung. Er übersetzte als einer der

ersten die «Analytica posteriora» (Zweite Analytik), die wichtigste Quelle für die

Erkenntnistheorie des Aristoteles, aus dem Griechischen ins Lateinische. In seiner

systematischen Methodenlehre unterscheidet Grosseteste in Weiterführung der aristotelischen

Gedanken der «Zweiten Analytik» eine Art induktiver und deduktiver Methode in der

Naturwissenschaft: Die Objekte der Sinneswahrnehmung, die zusammengesetzt sind, werden

mit der induktiven Methode (resolutio, d.h. Zerlegung) in ihre Ursachen (im aristotelischen

Sinn) zerlegt. In der composition (d.h. Zusammensetzung) werden umgekehrt die Fakten aus

ihren Ursachen abgeleitet. Wenn durch diesen Prozess die Grundprinzipien aussortiert,

beschrieben und klassifiziert sind, kann der Verstand in einer Intuition eine oder mehrere

Theorien aufstellen. Grosseteste war der erste, der nun vorschlug, die wahrscheinlichste

Theorie durch experimentelle Verifikation und Falsifikation auszuwählen. Er ging dabei aus

vom Prinzip der Uniformität der Natur, nach dem gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben,

und vom Prinzip der Sparsamkeit, dass nämlich alle Vorgänge der Natur auf die kürzest

mögliche Weise ablaufen. Er schlug auch vor, in der compositio nicht nur die schon

bekannten Tatsachen, sondern auch neue, noch nicht bekannte, abzuleiten.

Im Folgenden beschreibt Grosseteste eine Anwendung seiner Methoden auf ein

medizinisches Problem, die Wirkung eines pflanzlichen Abführmittels, der Purgierwinde

(Convolvulus scammonia). Da diese Pflanze nur im Mittelmeerraum vorkommt, wird er wohl

doch nur aus antiken Quellen davon erfahren haben:

«Auf diese Weise also wird der abstrakte Allgemeinbegriff aus den Einzeldingen mit Hilfe der Sinne gefunden

… Denn wenn die Sinne mehrmals zwei Einzelereignisse bemerken, von denen eines die Ursache des andern ist

oder doch in irgendeinem Verhältnis zu ihm steht, und sie sehen nicht die Beziehung beider zueinander – wie es

z.B. der Fall ist, wenn jemand häufig feststellt, dass der Genuss von Scammonium mit der Ausscheidung von

Gallenflüssigkeit verbunden ist, aber nicht sieht, dass das Scammonium Galle anzieht und abführt -, dann

beginnt sich in ihm ein Drittes, Nichtwahrnehmbares zu formen, dass nämlich Scammonium die Ursache der

Ausscheidung von Gallenflüssigkeit ist. Und erst wenn dieser Vorgang oft genug wiederholt und im Gedächtnis

aufgespeichert ist, beginnt die Arbeit des Denkens als Folge der sinnlichen Wahrnehmungen, aus denen die

Vorstellung sich aufbaut. Der Verstand fängt an zu fragen und zu bedenken, ob die Dinge wirklich so sind, wie

die sinnlich bedingte Erinnerung sagt; so wird der Verstand zum Experiment geführt, indem er nämlich

Scammonium zurückbehalten muss, nachdem alle andern Galle abführenden Ursachen isoliert und

ausgeschlossen sind. Hat er das viele Male getan mit dem sicheren Ausschluss aller anderen Galle abführenden

Mittel, dann formt sich im Verstande ein Allgemeinurteil: Es gehört zum Wesen des Scammonium, Galle

abzuführen. Das ist der Weg, von der Sinneswahrnehmung zu einem universalen, experimentell belegten Prinzip

zu kommen.»14

Grosseteste und die Oxforder Schule lehrten außerdem im neuplatonischen und

augustinischen Geiste, dass die Natur nur durch Mathematik erkannt werden könne. Die

körperliche Form der Welt entstehe aus Licht, das Gott als das ursprüngliche und

ungeschaffene Licht in verschiedener Form aussendet. Die Gesetze dieser Strahlung, der so

genannten «Multiplikation der Species» oder «Emanation», sind geometrischer Natur, so dass

also die ganze Natur geometrisch aufgebaut sein muss. In der Optik wurden auch die ersten

Experimente (im modernen Sinn) durchgeführt. Grosseteste wandte seine Methodenlehre auf

das Phänomen des Regenbogens an. Er fand als Ursache die Brechung des Sonnenlichts an

der Wolke, die wie eine große sphärische Linse wirken solle. Er hat dann auch tatsächlich

seine Theorie durch Untersuchung von Brechungen und Reflexionen des Lichts an

sphärischen Linsen zu stützen versucht.

Roger Bacon (ca. 1214-1292), der bedeutendste Schüler Grossetestes, versuchte ebenfalls

den Regenbogen zu erklären und sah in Gemeinsamkeit von mathematischen und

experimentellen Methoden den Schlüssel für die Naturwissenschaft, wie aus einem «Opus

Maius» hervorgeht:

«Es gibt zwei Erkenntniswege, das Argument und das Experiment. Das erste zieht Vernunftschlüsse und

veranlasst, den Konklusionen beizupflichten, gibt aber keine Sicherheit und entfernt den Zweifel nicht so weit,

dass der Geist in der Anschauung der Wahrheit befriedigt wäre. Dies ist nur der Fall, wenn die Wahrheit durch

die Erfahrung bestätigt ist. So muss also die Naturwissenschaft auf der Erfahrung beruhen; ohne sie kann man

nichts sicher wissen. Unter den Theologen und Philosophen ist beispielsweise die Ansicht verbreitet, dass der

Diamant nur im Bocksblute gebrochen werden könne. Aber nirgends besteht darüber eine Erfahrungstatsache,

denn er kann auch ohne solches Blut gebrochen werden, wie ich selbst mit eigenen Augen gesehen habe…»

«Es ist unmöglich, ohne Mathematik zu einer richtigen Erkenntnis über die Dinge der Welt zu gelangen. Von

der Astronomie ist dies an sich klar. Zahl und Größe der Gestirne, ihre Form, Entfernung und Bewegung

unterliegen mathematischen Gesetzen, die wir in Tafeln und Kanons niederlegen. Aber auch die Vorgänge hier

auf Erden bedürfen zu ihrer Erforschung dieser Wissenschaft. Denn jedes Ding wirkt durch die Kräfte, die in

ihm liegen und dies nach Linien, Winkeln und Figuren.»15

Neben der naturwissenschaftlichen Methodenlehre und der Wurf- bzw. Bewegungstheorie

wurde im Mittelalter auch der Geltungsanspruch der Naturwissenschaft ausgiebig diskutiert.

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wurde es immer schwieriger, die (im Laufe der letzten

hundert Jahre ins Latein übersetzten) naturphilosophischen Schriften des Aristoteles mit den

theologischen Lehrmeinungen zu vereinbaren. An den Universitäten von Oxford und Paris

(mit Bologna die ältesten Universitäten überhaupt) verfolgten die Theologen mit Misstrauen

die Überlegungen ihrer Philosophen-Kollegen. Sie kritisierten u.a. die aristotelischen

Lehrmeinungen, dass die Welt ohne Anfang und Ende sei und Materie und Bewegung ewig

dauerten; dass eine Eigenschaft (Akzidens) nie ohne ihren Träger (die Substanz) existieren

könne; dass die Seele die Form des Körpers sei und mit diesem sterbe und dass schließlich die

Vorgänge in der Natur mit Notwendigkeit ablaufen. Diese letztgenannte Lehre von der

inneren Zwangsläufigkeit der Natur, auf Grund deren ein Rückschluss von der Wirkung auf

deren Ursache nicht bloß empirisch verbürgt, sondern sogar logisch notwendig ist, stand nach

Ansicht der Theologen im Widerspruch zur Allmacht Gottes, die jederzeit den Gang der

Natur ändern und gegen die Naturnotwendigkeiten verstoßen könne.

Auf philosophischer Seite wurde die extremste Position von Siger von Brabant (ca. 1240-

1282) und den lateinischen Averroisten (so genant nach dem damals einflussreichsten

Aristoteles-Kommentator Averroes = Ibn Ruschd, 1126-1198) vertreten. Sie waren der

Ansicht, man müsse die natürliche Vernunft und die aristotelische Philosophie unabhängig

von der Offenbarung zu Ende denken. Es könne sogar philosophische Behauptungen geben,

die dem Glauben widersprechen und die man durch die natürliche Vernunft nicht widerlegen

könne. Diese Haltung brauchte ihnen den Vorwurf ein, sie würden eine «doppelte Wahrheit»

(duplex veritas) vertreten, dass nämlich in der Theologie falsch sein könne, was für die

natürliche Vernunft wahr ist und umgekehrt.

Die theologische Opposition gegen die Ansprüche der Philosophie erreichte ihren

Höhepunkt, als 1277 die Bischöfe von Paris und Canterbury wesentliche Aspekte der

aristotelischen Naturphilosophie verdammten, darunter auch die oben genannten Lehren. Erst

später, in Padua, im 15. Jahrhundert konnte sich der Averroismus wieder durchsetzen und bis

ins 17. Jahrhundert halten. In Padua, das damals zur toleranten venezianischen Republik

gehörte, studierte auch Copernicus (1473-1543), der Schöpfer der heliozentrischen Theorie.

Auch in Padua betonte der Averroismus die Eigenständigkeit der natürlichen menschlichen

Vernunft gegenüber der Theologie.

Die Verdammung von 1277 wirkte nachhaltig und tief greifend. Wenn die Wahrheit und

Sicherheit des Glaubens immer höher zu stellen ist als die Einsicht der natürlichen Vernunft,

dann muss der Wahrheits- und Beweisanspruch der aristotelischen Philosophie geringer sein,

als Aristoteles es selbst gelehrt hat. Diese Konsequenz zogen die Scholastiker des 14.

Jahrhunderts, allen voran William Ockham (1284-1349), der wichtigste Vertreter des so

genannten Nominalismus. Er verneinte eine logisch notwendige Verbindung zwischen einer

Ursache und ihrer Wirkung, denn Gott könne auf eine Ursache auch eine andere Wirkung

folgen lassen oder die Wirkung könne durch Gottes Macht auch ohne eine Ursache eintreten.

Die Einsicht wurde dann verallgemeinert: von der Existenz irgendeines Dinges oder Vorgangs

kann man nicht auf die Existenz eines andern Dings oder Vorgangs schließen. Deshalb ist die

ganze Naturphilosophie nicht so beweiskräftig wie die auf dem Glauben und der

Heilsgewissheit beruhende Theologie und kann nur so viel behaupten, wie ihr in der direkten

Wahrnehmung an empirischen Einzelfakten gegeben ist. Das naturwissenschaftliche Wissen

als Wissen um die Ursachen und das Wesen der Dinge ist nur wahrscheinlich, aber nie sicher;

die Sicherheit (certitudo) des Glaubens steht über der Wahrscheinlichkeit (probalilitas) der

Physik.

Für die Naturwissenschaften wurden diese Lehren folgenreich. Wenn alles nur

wahrscheinlich ist und Gott auch gegen die Vernunft Dinge bewerkstelligen kann, dann sind

andere Theorien über die Welt, die der strengen aristotelischen Naturphilosophie

zuwiderlaufen und solange sie mit den theologischen Wahrheiten vereinbar sind, auch nicht

unwahrscheinlich und deshalb ebenso diskutierwürdig. Viele Philosophen, die diese Haltung

einnahmen, überlegten sich nun neue Theorien, z.B. über die Möglichkeit des Vakuums, über

Wurf und Bewegung, über Raum und Zeit, über die Möglichkeit der Erdbewegung (z.B.

Oresme, s. S. 44), über die Veränderung von Qualitäten u.ä.. Diese Theorien standen oft in

direktem Widerspruch zu aristotelischen Lehren. Man verneinte auch zunehmend die Existenz

von geheimen Kräften und Wesen als unbeweisbaren und unnützen Ballast, wie z.B. Buridan

die Existenz von irgendwelchen planetenbewegenden Intelligenzen verworfen hat (s. S. 42).

Da man über die tatsächliche Gültigkeit dieser alternativen Theorien sowieso nicht das letzte

Wort sprechen zu können glaubte, fand man es nur wichtig, in der Argumentation

widerspruchsfrei zu bleiben und kümmerte sich nicht um den tatsächlichen Realitätsgehalt.

Diese Entwicklung hat sicher für die Naturwissenschaften neue und wichtige Denkwege

eröffnet16; es wurde vermehrt über das Verhältnis von Theorie und Mathematik zur Erfahrung

nachgedacht, und es entstanden schwerwiegende Alternativen zu Aristoteles. Aber erst die

realistische Einstellung, d.h., die Überzeugung, dass die Naturwissenschaft die tatsächlichen

und wirklichen Gesetzmäßigkeiten der Natur findet und Wahres übe die Natur sagen kann, hat

dann in der wissenschaftlichen Revolution der Renaissance und der frühen Neuzeit zur

Ablösung der aristotelisch-scholastischen Weltsicht durch die einer neuen Wissenschaft

geführt.

4. Elemente des neuzeitlichen Erfahrungsbegriffs

In der Renaissance erhält die physische Wirklichkeit für den Menschen neue

Erlebnisqualitäten. Der Stellenwert der Naturerfahrung und des auf ihr aufbauenden Wissens

wird nicht mehr im umfassenden Zusammenhang mit der fest gefügten Philosophie und

Theologie bestimmt, sondern der Mensch geht von der intuitiven Sicherheit aus, die er als

Subjekt in seinem eigenen Gefühl und sozialen Leben findet.

Die neugewonnene Freude an den eigenen Sinnen und das starke Selbstbewusstsein im

eigenen Handeln führen zu einer Blüte der Kunst und Technik. Die Konstruktionsprinzipien,

die dabei zur Anwendung kommen, fördern das Bemühen um die mathematische Struktur der

Natur. Die platonische Tradition, die dabei eine Rolle spielte, förderte auch die erkenntnis-

theoretische Kritik an der traditionellen aristotelischen Zweiteilung des Kosmos, an der

unterschiedlichen Sicht von natürlichen und künstlichen Vorgängen und an der noch scharfen

Trennung von Mathematik und Physik.

Die Dimensionen der Natur erweitern sich: neue Länder werden bekannt, man spielt mit

dem Gedanken der unendlichen Ausdehnung des Weltalls, und die mikroskopisch kleine Welt

wird entdeckt. Es kommt erstmals die Vermutung auf, dass der Mensch mit seiner natürlichen

Vernunft auch noch ganze neue Naturgesetzmäßigkeiten finden könne, die er bis dahin noch

nicht einmal im Umriss erahnt hat.

Die Rolle von Technik und bildender Kunst

Schon immer hat der Mensch durch Herumprobieren die Natur zu beherrschen versucht.

Jedoch erst in der Renaissance wird das technische Können, wie man z.B. ein handwerkliches

Problem am zweckmäßigsten anpackt, zum theoretischen Wissen über die Natur selbst und

ihre Art der Beschaffenheit. Besonders wichtig wurden in dieser Hinsicht die «Künstler-

Ingenieure» Norditaliens, allen voran Leonardo da Vinci. Im wirtschaftlich weit entwickelten

Norditalien nahmen die handwerklichen Berufe rapide zu und wurden sozial und intellektuell

aufgewertet; die sozialen Barrieren zwischen Künstlern, Ingenieuren und Handwerkern

wurden niedriger, der eine konnte vom andern lernen. Leonardo da Vinci (1452-1519) will

Mensch und Natur nicht nur in ästhetisch befriedigender Weise darstellen, sondern auch

technisch korrekt konstruieren – eine verbreitete Forderung der Renaissance, die aber im

Vergleich zum Mittelalter ganz neu war. Er reflektierte über die richtige Art der Darstellung

des menschlichen Körpers und vergleicht sie bezeichnenderweise mit der «Kosmographie»

des Ptolemäus (um 100-170 n. Chr.) – einem kartographischen Werk, mit dem die Antike den

Prinzipien der Zentralperspektive für die bildliche Darstellung dreidimensionaler

Gegebenheiten am nächsten gekommen war:

«Schlage dir den Gedanken aus dem Kopf, die Gestalt der Menschen in allen Ansichten ihrer Gliederung mit

Worten wiedergeben zu können; denn je eingehender du sie beschreibst, desto mehr wirst du den Geist des

Lesers verwirren und desto mehr wirst du ihm die Erkenntnis gerade dessen entziehen, was du beschrieben hast.

Deshalb ist es notwendig, sowohl zu zeichnen als zu beschreiben.»

«So soll dir in drei oder vier Darstellungen jedes Glied (des menschlichen Körpers) von verschiedenen Seiten

veranschaulicht werden, damit du einen richtigen und vollkommenen Begriff von allem bekommst, was du im

Hinblick auf die Gestalt des Menschen erfahren möchtest. Deshalb wird dir hier in fünfzehn vollständigen

Abbildungen die Kosmographie des Mikrokosmos in derselben Reihenfolge vorgeführt, die Ptolemäus vor mit in

seiner Kosmographie angewandt hat. Und so werde ich auch die Teile so zerlegen, wie jener das Ganze in

Provinzen aufgeteilt hat, werde dann die Aufgabe der Teile in jeder Hinsicht erklären und dir die Wahrnehmung

der ganzen Gestalt des Menschen und seiner Fähigkeit, sofern eine örtliche Bewegung der Teile erfolgt, klar vor

Augen führen. Und unser Schöpfer gebe, dass ich auch die Natur der Menschen und ihre Gewohnheiten zu

enthüllen vermag, während ich ihre Gestalt beschreibe.» «Die Erfahrung lehr uns als Dolmetscher zwischen der Natur und dem menschlichen Geschlecht die Art, in der

die Natur sich unter den Sterblichen tätig erweist; sie zeigt uns zugleich, dass diese Wirksamkeit, von der

Notwendigkeit gebunden, nicht anders erfolgen kann, als die Vernunft, ihr Steuer, sie vorschreibt.»

«Die Wissenschaft der Mechanik ist darum so edel und vor allem nutzbringend, weil sie erweist, dass auch alle

belebten Körper, die Bewegung haben, nach ihren Gesetzen wirken.»17

Durch den gegenseitigen Erfahrungsaustausch zwischen Technikern, Künstlern, Handwerkern

und Theoretikern setzte sich deutlich im Übergang zum 17. Jahrhundert die Überzeugung

durch, dass die künstlerisch-handwerkliche Beschäftigung kein Überlisten der Natur darstellt,

sondern ein Handeln gemäß der Natur. Die intellektuelle Durchdringung der von den Zünften

überlieferten Kenntnisse mit Hilfe mathematischer Methoden erzeugte dabei die Prinzipien,

die dieses Vorgehen leiten und zu einer schrittweisen Verbesserung der Fertigkeiten führen.

Einen besonders wichtigen Einfluss übten hier die mathematische Proportionenlehre in der

Architektur und die Einführung der zentralperspektivischen Konstruktion in die Malerei

(durch Filippo Brunelleschi, 1377-1446, und Leon Battista Alberti, 1404-1472) aus, was

insgesamt das Vertrauen in die Anwendbarkeit der Geometrie auf technische Probleme

stärkte.

Albrecht Dürer (1471-1528) schrieb ein Buch über Festungskunst, eines über die

menschlichen Proportionen und eines über praktische Geometrie und die Prinzipien der

Perspektive, mit dem Titel «Underweysung der messung mit dem zirckel und richtscheyt»,

Nürnberg 1525. Abgesehen von einer anonymen Sammlung arithmetischer Regeln für das

Bauen unter dem Titel «Geometria Deutsch» (1486) ist dies das erste Mathematikbuch in

deutscher Sprache. Es wurde viel gelesen und oft nachgeahmt. Als Vorbild hatte Dürer die

Euklid-Ausgabe von Tacinus aus dem Jahre 1505 genommen, die er auf seiner zweiten

Italienreise (1505-07) – die erste war 1994/95 – erstanden hatte. In der «Underweysung»

beschäftigt sich Dürer u.a. mit der Konstruktion von Kurven und Körpern in der Ebene, wobei

er auch bewusst Näherungskonstruktionen ausführt. Darin unterscheidet er sich wesentlich

von der Antike, die Näherungen nicht als Lösungen zulässt.

Der folgende Abschnitt aus der «Underweysung» behandelt das so genannte «Delische

Problem», wie man den Rauminhalt eines gegebenen Würfels mit Zirkel und Lineal (in

Annäherung) verdoppelt. Das Delische Problem bildet eines der drei großen Probleme der

antiken Mathematik; die beiden anderen sind das Problem der Winkeldreiteilung und der

Quadratur des Kreises.

«Als auf ein Zeit die Stadt Athenis mit der Plag der Pestilenz beschwert was, fragten die Bürger den Abgott

Apollinem Rates, wie sie des Seuchens möchten abkommen. Der antwortet ihnen, wenn sie seinen Altar

zwiespalten [verdoppeln], würden sie erlöst … Als aber ihr Werkleut nit finden konnten, wie sie der Sach sollten

tun, hätten sie der Gelehrten und insonders des Philosophen Platonis Rat. Der lehret sie, wie sie zwischen zweien

ungleichen fürgebnen Linien zwei andere Linien, die sich vergleichlich gegen denselben hielten, sollten finden.

Denn durch Solches mochten sie den cubum … und alle andere Ding duplizieren, triplizieren und für und für

mehren und vergrößern.»

Die Konstruktion der Würfelverdoppelung geht nun so vor sich: Gegeben sei eine

Würfelseite, sie ist in der Abb. 19, S. 60, schraffiert. Man verlängert dieses Quadrat durch

sich selbst, so dass ein Rechteck ABCD entsteht. Nun verlängert man die Seiten DA und DC

über A bzw. C hinaus. An B wird ein Lineal angelegt und solange um B gedreht, bis die

Strecken HE und GE gleich lang sind. Dadurch entstehen zwei neue Strecken HA und GC, die

die mittleren Proportionen oder medias proportionales genannt werden. Dürer zeigt, nach

einem Beweis («bewiesen Lehr») von Heron von Alexandria (1. Jh. n. Chr.).

Dass AB = AH = CG, wenn HE = GE.

AH CG CB

Wenn nun BC = 2 AB, wie in unserer Konstruktion, dann folgt durch leichte Umformung,

dass AH3 = 2 AB3. Das Quadrat mit der Kantenlänge AH bildet also die Seite eines Würfels,

dessen Rauminhalt doppelt so groß ist, wie der Inhalt des Würfels mit der Kantenlänge AB.

Dürer fährt fort:

«So du nun durch die vorbeschrieben angezeigt bewiesen Lehr den fürgegebenen cubum willst zwiefachen, dann

so sollst du die Seite des fürgegebenen cubi zwiefach erlengen und zwischen diesem Doppel und derselben

einfachen Seite des cubi durch die vorbeschriebene Lehr aneinandersetzen. Dadurch wirst du finden zwo gerecht

Mittellinien, die man nennt medias proportionales. Und so du ein cubum aus der minderen oder kürzeren

gefundenen Linie aufrichtest, so hält sich derselbe zwiefach gegen dem ersten cubo. – Also magst du auch den

fürgegebenen cubum dreifachen … Also mag ein cubus so oft gevielfältigt werden, so oft man ihm die eine Seite

erlengert.»

Dürer gibt sogleich auch eine praktische Nutzanwendung dieser Konstruktion für das

Kriegswesen:

«So du eine Büchsenkugel von einem Pfund schwer hast, magst du die stetiglich durch den vor angezeigten Weg

um ein Pfund erschweren, denn die Proportion gibt auch im gleichen Metall das Gewicht gleich. So du dann die

Kugeln in einen cubum reissest und darnach den cubum zwiefach, dreifach, vierfach vergrößerst, und dann die

Kugeln wieder in sie alle reissest, so hält sich auch das Gewicht, so darnach gossen wird, zwiefach, dreifach,

vierfach gegen einander.»18

Wie bei Dürer und Leonardo, so war bei vielen Künstleringenieuren und gelehrten

Handwerkern die theoretische Konstruktion der Natur mit dem Gedanken an die Möglichkeit

nutzbringender Anwendungen gekoppelt.

Vom lebendigen Kosmos zum mechanischen Universum

Das Streben nach Nutzanwendung genügte aber allein noch nicht, die Naturwissenschaften zu

revolutionieren. Mit der Renaissance wurde zusätzlich die traditionelle Einteilung des

Kosmos immer häufiger in Frage gestellt. Der Kosmos besteht nun nicht mehr aus zwei

qualitativ und ontologisch unterschiedlichen Teilen, dem unvollkommenen und vergänglichen

(sublunaren) Bereich, der bis zum Mond reicht und dem vollkommenen, ewigen

(translunaren) Bereich, der sich bis zur Fixsternsphäre erstreckt. Das Weltall ist vielmehr

unendlich groß, und seine einzelnen Teile unterscheiden sich nicht grundsätzlich

voneinander.19

Nikolaus von Kues (Cusanus, 1401-1464) lehrte, dass Erkenntnis von etwas

Unbekanntem nur gewonnen werden könne, wenn man es in Verhältnis setzt zu etwas schon

Bekanntem. Da Verhältnisse mathematischer Natur seien, ist also zum Erkennen des

Unbekannten Mathematik notwendig. Die Erkenntnis der Beschaffenheit der Welt im Ganzen

wird zum Problem, da sie nur mit Gott ins Verhältnis treten kann. Gott ist aber unendlich und

kann nicht mit der endlichen und unvollkommenen Welt verglichen werden. Daraus folgt,

dass das All keinen Mittelpunkt und keine Grenze haben kann, denn sonst wäre es mit Gott

vergleichbar. Kein Ort des Universums ist irgendwie ausgezeichnet, von Gott ist alles

unendlich weit entfernt. So heißt es in «De docta ignorantia» (Über die gelehrte

Unwissenheit):

«Nur das absolut Größte ist also in negativer Weise unendlich. Darum ist es allein das, was es nach all seinen

Möglichkeiten sein kann. Das Universum dagegen kann, obgleich es alles umfasst, was nicht Gott ist, nicht

negativ unendlich sein, obschon es ohne Grenze ist und somit privativ unendlich. In dieser Sicht ist es weder

endlich noch unendlich. Es kann ja nicht größer sein, als es ist. Das ist eine Folge des Mangels, denn die

Möglichkeit, d.h. die Materie, erstreckt sich nicht weiter. Denn es ist nichts anderes, wenn man sagt: <Das

Universum kann tatsächlich immer größer sein>, als wenn man sagt: <Das Seinkönnen geht über in ein

tatsächliches Unendlichsein>, was unmöglich ist, denn die unendliche Wirklichkeit, die die absolute Ewigkeit

ist, kann nicht aus dem Können entstehen, ist sie doch alle Möglichkeit des Seins in Wirklichkeit. Obgleich

demnach mit Rücksicht auf die unendliche göttliche Macht, die ohne Grenze ist, das All grö0ßer sein könnte, so

kann es doch nicht größer sein, da sich die Möglichkeit des Seins oder die Materie dem widersetzt, denn diese

lässt sich in Wirklichkeit nicht ins Unendliche erweitern. Und somit ist das All ohne Grenze, da sich ein

tatsächlich Größeres nicht geben lässt, gegen das es abgegrenzt würde. Und somit ist es privativ unendlich. Das

Universum ist nur in eingeschränkter Weise wirklich, um dadurch auf die beste Weise zu sein, welche die

Bedingung seiner Natur zulässt. Es ist ja Geschöpf, das notwendigerweise vom absoluten göttlichen >Sein

abhängt, wie wir im Folgenden in belehrter Unwissenheit in möglichster Klarheit und Einfachheit und in aller

Kürze zeigen wollen …»20

Und später heißt es:

«Der Mittelpunkt der Welt fällt also mit ihrem Umfang zusammen. Die Welt hat demnach keinen Umfang, denn

hätte sie einen Mittelpunkt, so hätte sie auch einen Umfang und hätte somit in sich ihren Anfang und ihr Ende.

Und die Welt wäre gegen etwas anderes abgegrenzt, und außerhalb der Welt gäbe es etwas anderes und gäbe es

Ort. Das alles entspricht nicht der Wahrheit. Da deshalb ein Eingeschlossensein der Welt zwischen einem

körperlichen Mittelpunkt und einem Umfang unmöglich ist, so lässt sich die Welt nicht verstehend begreifen,

wenn nicht ihr Mittelpunkt und Umfang Gott ist. Und obwohl die Welt nicht unendlich ist, so lässt sie sich doch

nicht als endlich begreifen, da sie der Grenzen entbehrt, innerhalb deren sie sich einschließen ließe.»21

Nachdem im Jahre 1543 die heliozentrische Theorie des Nicolaus Copernicus (1473-

1543) in ihrer reifen Form veröffentlicht worden war, ging Giordano Bruno (1548-1600) 1584

noch einen Schritt über Cusanus hinaus, indem er lehrte, dass die Sonne ein Stern unter

Sternen sei im unendlichen, mittelpunktlosen All. In seinem Dialog «De immenso et

innumerabilibus» (Über das Unendliche und die Welten) legte er dem Filoteo, der die

Meinungen Brunos selbst vertritt, folgendes in den Mund:

«Anlangend zunächst, was er [Aristoteles] da über die natürlichen Örter der Körper und über Begrenztheit in

Höhe, Tiefe und Mitte faselt, so möchte ich nur wissen, gegen was für eine Position dies alles zielt. Denn Alle,

die einen Stoff von unendlicher Ausdehnung setzen, können in demselben weder eine Mitte noch eine Grenze

(Enden) annehmen. Wer daher von einer unbegrenzten Leere, einem Inhaltlosen oder von unendlichem Äther

spricht, schreibt diesem weder Schwere noch Leichtigkeit noch Bewegung, weder ein Oben noch eine Mitte

noch ein Unten zu. Und wenn wir dann in einem solchen Raume zahllose Körper annehmen, wie diese Erde oder

irgendeine andere Erde, diese Sonne oder irgendeine andere Sonne, so vollenden alle diese Weltkörper ihre

Umläufe durch endliche und begrenzte Raumteile und um ihre eigenen besonderen Centra. So können wir

Erdbewohner sagen, die Erde befinde sich im Mittelpunkt, und alle Philosophen, neuere und alte, zu welcher

Schule immer sie gehören, würden, ohne ihren Prinzipien zu widersprechen, behaupten können, dass sie den

Mittelpunkt bilde, wie wir denn auch in Hinsicht auf den größeren Umkreis jener Ätherregion, die uns umfasst

und sich für uns als ein überall gleich weit entfernter Horizont darstellt, im Mittelpunkt zu stehen behaupten.

Aber ebenso gut würden auch etwaige Mondbewohner glauben, dass unsere Erde als ihr Mond und viele andere

Sterne, welche den Endpunkt der Radien ihres Gesichtskreises bilden, ihr Centrum umkreisen. So ist die Erde im

Verhältnis zum All nicht mehr und nicht weniger Mittelpunkt, als jeder beliebige andere Weltkörper, und für die

Erde gibt es um nichts mehr bestimmte Pole im Umkreis, als sie selber für irgendeinen anderen Punkt des Äthers

und Weltraumes einen bestimmten feststehenden Pol darstellt. Die Erde also befindet sich nicht absolut im

Mittelpunkt des Weltraumes, sondern nur von ihrem Standpunkt aus mit Hinsicht auf diese unsere Umgebung.

Ich glaube und behaupte, dass sich jenseits jenes eingebildeten Himmelsgewölbes immer noch eine

ätherische Region und eine Unzahl von Weltkörpern in derselben befindet, Gestirne, Erden, Sonnen, alle in

absolutem Sinne wahrnehmbar, sowohl für sich selbst wie für diejenigen, welche auf ihnen oder in ihrer Nähe

sind, obgleich sie für uns ihrer Entfernung wegen nicht wahrnehmbar sind. Ihr könnt hieran abschätzen, auf was

für Unterlagen Aristoteles spekuliert; daraus, dass jenseits seiner eingebildeten umfassenden Sphäre kein

sichtbarer Körper sei, leitet er her, dass es dort auch keinen Körper gebe, und deshalb versteift er sich darauf, an

keinen weiteren Körper glauben zu wollen, als an die 8. Sphäre, jenseits welcher die Astrologen seiner Zeit eine

weitere Himmelssphäre nicht mehr zuließen; weil nämlich diese die scheinbare Drehung der Welt durch ein über

allem anderen befindliches <Erstes Bewegliches> glaubten erklären zu müssen, sahen sie sich von ihren

Voraussetzungen aus gezwungen, immer weiter zu gehen und ohne Ende Sphäre über Sphäre zu setzen, und so

haben sie schließlich sogar eine solche ohne Sterne und ohne sichtbare Körper erfunden.»22

Der Zweifel an der Endlichkeit und qualitativen Stufung des Kosmos, vorbereitet und

ermöglichet durch solche und ähnliche erkenntnistheoretische Kritik, wurde erhärtet, als man

erstmals mathematische Methoden auf neue Erscheinungen anwandte. 1572 war im Sternbild

der Cassiopaia eine sehr helle und auch tagsüber sichtbare Nova (explosionsartige

Sternerscheinu8ng) zu sehen, und 1577 erschien ein sehr heller Komet am Himmel. Beide

Ereignisse wurden von den meisten Astronomen nicht mehr als dämonische, göttliche oder

meteorologische und andere sublunare Phänomene gesehen. Durch Entfernungsschätzungen

wurde klar, dass es sich um Erscheinungen über dem Mond handeln musste. Hiermit war

bewiesen, dass auch im translunaren Bereich Neues entstehen und Altes absterben kann.

Aristoteles hatte Vergängliches nur in der sublunaren Sphäre, speziell der belebten Natur auf

der Erde gesehen; die translunare Welt war demgegenüber unvergänglich und vollkommen

und hatte für Geburt und Tod, Entstehen und Vergehen keinen Platz.

Der Astronom Tycho Brahe (1546-1601), der sich in seiner Schrift «De cometa anni

1577» (Über den Kometen des Jahres 1577) mit den neuen translunaren Phänomenen

auseinandersetzte, wandte sich gegen die aristotelische Kometenlehre und machte darüber

hinaus deutlich, dass Naturwissenschaft auch ohne Kenntnis der ersten Ursachen der

Erscheinungen möglich ist; in aristotelischer Sicht ein völliges Unding:

«Wie aber disem allen, ist aus dem vor 4 jaren erschienenen stern genuegsamb demonstriert worden, das er nicht

in der Elementischen Region [d.h. der Region der vier Elemente] sonndern oben in dem himel sein sitz hatt

gehabt, unnd ich auch in diesem jetzigen Cometten durch vleißige observation [Beobachung] unnd

demonstrattion erfahren hab, das der selbige weit uber den Mon inn dem himel sein orth unnd gang gehabt, wie

hernach an seinem orth soll angezaigt werden. Darumben ist die mainung Aristottelis ganntz falsch, aß er für

gibt, die Cometten werden von der erden in die luft aufgezogen, unnd das si nicht im himel konden genneriert

werden, dann er hatt dises aus seinem guet geduncken und aus kainer mattematischer observation oder

demonstrattion bewisen, die weil si aber im Himel ir generation haben, sollen sie sovil desto mehr für ain

wunder zaichen geacht werden, das in dem himel, der auß der allersubtilisten durchleuchtigßte unverzerliche

materia componiert ist, ein sollich neu gepurt herfürkombt, dann ob schon aus gottes verhengcknus die penates

superi [obere Schutzgötter], die unns unbekandt, solches fabricieren, oder obs auch gott der Allmechtig ohne

mittel durch seine krafft unnd willen zu seiner zeit ein sollich neu liecht am himel unns zur warnung zukönfftiger

straff schaffet, ist nicht nott alhier weitleufig davon zu disputieren, die weil wir menschen durch unnsern ringen

unnd irdischen verstandt eigentlich kain rechten grundt unnd wissenschafft haben konnen, was die matteria

Comettarum [Kometenmaterie] sei, unnd wie sie genneriert werde, dass unns auch nit wunder nehmen soll, die

weil wir des ganntzen himelß Son und Mon, die doch allzeit vom anfang der welt gestanden unnd geschinen,

was ir matteria unnd wesen sei, ainiche wissenschafft, unnd was inen den wunderbarlichen behänden lauff

mache, nicht haben, ja wievil ding sein hierunden auf dem erdtboden, die wir mit unnsern augen ansehen und

henden greiffen, dessen nattur wir doch nimmer mehr genuegsamb konnen lernen erkennen. Darumb sollen die

philosophi nicht so unnützlich streitten von den sachen, die si nit zuermessen wissen, sonndern vil mehr unnsre

ignorantia modeste [bescheidene Unwissenheit] bekennen und sagen, das die Cometten seien ein sonnderlich

geschepff gottes, das auß verborgenen ursachen der nattur kombt, welches unns unbekanndt ist, wie es geboren

wirt.» 23

Tycho Brahe berechnete, dass der Komet auf seiner Bahn verschiedene Sphären der

Planeten hätte kreuzen müssen. Er lehnte deshalb als erster die Existenz von Sphären ab. Die

Idee der Sphäre, d.h., einer durchsichtigen festen Kugelschale, an die der Planet geheftet ist

und die ihm die (scheinbare) Drehung am Himmel verleiht, war seit der Antike lebendig und

auch noch von Copernicus vertreten worden.

Kepler (1571-1630) ging noch einen Schritt weiter. Er glaubte, dass man nach Wegfall

der Sphärenidee durch eine magnetische Kraft erklären könne, warum sich die

Himmelskörper in bestimmten Bahnen bewegen. Am 10.2.1605 schrieb er an Herwart von

Hohenburg (im Original lateinisch):

«Die Untersuchungen über die Bewegung des Mars, zusammen mit sehr handlichen, aber reichlich langen Tafeln

zur Berechnung dieses Planeten, habe ich an Weihnachten dem Kaiser übergeben; aber sie sind noch nicht ganz

abgeschrieben, und einige Kapitel fehlen noch, die ich nach und nach fertig stellen will. Es sind 51 Kapitel. Ich

führe darin alle meine Versuche an, damit man umso besser versteht, warum ich gerade diesen Weg gegangen

bin. Ich bin viel mit der Erforschung der physikalischen Ursachen beschäftigt. Mein Ziel hierbei ist es zu zeigen,

dass die himmlische Maschine nicht eine Art göttlichen Lebewesens ist, sondern gleichsam ein Uhrwerk (wer

glaubt, dass die Uhr beseelt ist, der überträgt die Ehre des Meisters auf das Werk), insofern darin nahezu alle die

mannigfaltigen Bewegungen von einer einzigen ganz einfachen magnetischen Kraft besorgt werden, wie bei

einem Uhrwerk alle die Bewegungen von dem so einfachen Gewicht. Und zwar zeige ich auch, wie diese

physikalische Vorstellung rechnerisch und geometrisch darzustellen ist … Tycho hat die festen Bahnen beseitigt;

ich zeige nun, wie sie die Planeten ohne solche Bahnen bewegen, wie die Exzentrizität zustande kommt usw.»24

Am 4.10.1607 schreibt er an Brengger:

«Euren Brief habe ich vor 8 Tagen erhalten. Wenn ich nicht ausführlich antworte, so nehmt meine vielen

Geschäfte als Entschuldigung an. Ich bin nämlich mit der Fertigstellung meiner Untersuchungen über die

Bewegungen des Sternes Mars beschäftigt, und diese bereitet höchst mühsame Gedankenarbeit. Denn ich liefere

eine Himmelsphilosophie oder –physik, an Stelle der Himmelstheologie oder –metaphysik des Aristoteles.

Könntet ihr doch mein Werk durchlesen und mir Ratschläge geben, ehe es herauskommt! Es wird bei Vögelin in

Heidelberg gedruckt. Der Vertrieb der einzelnen Exemplare ist mir vom Kaiser untersagt worden. Mit meiner

Physik lehre ich zugleich eine neue Arithmetik, bei der man nicht von Kreisen, sondern von natürlichen,

magnetischen Kräft3ne ausgeht. Freilich nehme ich auch Kreise zu Hilfe, aber nur zur Rechnung, insofern mit

Kreisen die Wirkungsweise der Waage, des Hebels und der Gewichte erklärt wird, somit nur teilweise. Im

Übrigen ziehe ich Flächen heran, die der Planet bei seinem Umlauf beschreibt; in diesen suche ich die Stärke und

Schwäche der zu den Bewegungen aufgewendeten Kräfte.»25

Von diesen Haltungen her gesehen ist es nur konsequent, dass auch die Lehre des

Aristoteles von der Unmöglichkeit eines Vakuums und vom fünften Element als der

materiellen Grundlage der Welt über dem Mond nun ernsthaft ins Wanken geriet. Otto von

Guericke versuchte, auf der Erde ein Vakuum als Stück des Himmelsraumes experimentell

herzustellen (zuerst wahrscheinlich zwischen 1635 und 1645) und erhob damit Anspruch, auf

die allgemein philosophische Frage nach der Möglichkeit eines Vakuums eine empirisch

abgesicherte Antwort geben zu können. Er schrieb:

«Die Betrachtung der Natur ist – nachdem Zeugnis des seligen Basilius – der Vorhof himmlischer Lust, ein ewig

währendes Frohlocken des Geistes, Pforte der Ruhe, Brücke vom Himmlischen zum Irdischen und Gipfel

menschlichen Glücks. Wenn sie ihn erreicht, scheint die Seele, aus ihrem dumpfen Schlafe gleichsam

wachgerufen, die Region des Lichtes zu betreten und, ihrer selbst vergessen, eher die Rolle einer irdischen

Gottheit als eines vergöttlichten Menschen zu spielen.

Wahr ist daher jener bekannte Vers:

<Kennten die sterblichen Seelen des Weltalls innerstes Uhrwerk, Kaiserherrschaft und Macht wären nur

Schäume für sie.>

Daher könnten Gelehrte, die sich allein auf ihre Gedanken oder Schlussfolgerungen stützen und die

Erfahrung verschmähen, keine bündige Aussage über die natürliche Beschaffenheit der Welt machen; denn wenn

das menschliche Denken sich nicht auf Versuche stützt, wird es oft weiter von der Wahrheit abirren, als die

Sonne von der Erde entfernt ist. Weil die Gelehrten nun schon seit langem über das Leere, ob es vorhanden sei,

ob nicht, oder was es sei, gar heftig untereinander stritten und jeder einzelne seine vorgefaßte Meinung wie ein

Soldat die Festung verbissen gegen den anstürmenden Feind verteidigt, konnte ich mein brennendes Verlangen,

die Wahrheit dieses fragwürdigen Etwas zu ergründen, nicht mehr eindämmen, geschweige denn stillen, ohne

einen Versuch hierüber anzustellen, sobald ich Zeit dazu gefunden hatte.

Dies habe ich auf verschiedene Weise getan, und meine Mühe war nicht verschwendet; ich habe einige

Geräte zum Nachweis der immer geleugneten Leere erfunden.»26

Gegen Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts versuchte man nun fast in der

ganzen Naturforschung alle Erscheinungen auf Materie und Bewegung als den einzigen

Grundprinzipien zurückzuführen: die Vorstellung der mechanischen Welt hatte sich

durchgesetzt. Die Idee der Fernkraft, von den Cartesianern als okkult bekämpft, wurde als ein

weiteres Prinzip schließlich von Newton hinzugefügt. Damit entstand das klassische

mechanische Weltbild.

Die Mathematisierung

In der Renaissance wird der Neuplatonismus, dem in der Spätscholastik durch Logiker aus der

Schule Ockhams in Oxford und Paris schon der Weg gebahnt war, zur einflussreichsten

Naturauffassung. Während die aristotelische Philosophie mathematische Methoden in der

Naturforschung für unsinnig hielt, werden im Neuplatonismus der Renaissance Wege gesucht

für mathematische Darstellungen der Natur. Für den antiken Platonismus war die Welt ein

unvollkommenes Abbild der vollkommenen, für sich existierenden Ideen. Im Neuplatonismus

der Renaissance werden nun immer stärker die Ideen direkt mit den mathematischen Gebilden

identifiziert. Die hinter den sichtbaren Erscheinungen liegenden Ideen gehorchen wegen ihres

idealen Charakters den Gesetzes der Geometrie, ja, sie sind die Geometrie! Man gewinnt die

Ideen durch Abstraktion, indem man von unwesentlichen Eigenschaften der Erscheinungen

absieht. Bis zum Wideraufleben der aristotelischen Philosophie im 13. Jahrhundert war der

Platonismus, direkt oder indirekt, nicht zuletzt durch Augustinus, noch von bestimmendem

Einfluss. Allerdings warne von Plato selbst nur die Dialoge «Timaios», «Menon» und

«Phaidon» in Übersetzungen bekannt.

Im Jahre 1438 kam der byzantinische Gelehrte und Platokenner Giorgios Gemistos Pletho

(1355-1455) zum Konzil von Ferrara und Florenz, wo die Wiedervereinigung der

byzantinischen mit der römischen Kirche verhandelt wurde. Pletho hielt in Florenz Vorträge

über Plato, die in Humanistenkreisen und in der ganzen florentinischen Gesellschaft großes

Aufsehen erregten. Der damalige Herrscher in Floren, Cosimo de’ Medici, war von der

Philosophie Platos so beeindruckt, dass er 1462 mit Marsilio Ficino (1433-1499) die

Florentinische Akademie begründete, die zum Zentrum des Renaissanceplatonismus wurde.

Ficino übersetzte dann alle Platonischen Schriften ins Lateinische und ließ sie 1484 drucken.

Einer der einflussreichsten Neuplatonisten war Nikolaus von Kues (Cusanus, 1401-1464).

Er war Mitglied der päpstlichen Delegation, die in Konstantinopel die Vorverhandlungen für

das Einigungskonzil in Florenz führte und Pletho nach Florenz begleitete. Wie die anderen

Neuplatonisten sah Cusanus den sichtbaren Kosmos als Kunstwerk Gottes, dem Zahl und

Maßverhältnisse zugrunde liegen müssen, da er ein direktes Abbild der Ideen darstelle, die

alle aus Gott stammen. Es sei zwar nicht leicht, diese mathematischen Formen der Werke

Gottes anzugeben, aber Cusanus gibt eine Fülle von Anregungen, wie man die Maße der

Natur auffinden kann. In seinem Buch «De staticis experimentis» (Über die Versuche mit der

Waage, 1450) unterhalten sich «der Laie» und «der Gelehrte» über solche Methoden, wie z.B.

über die Messung des spezifischen Gewichte von Flüssigkeiten:

«Der Laie: Ich glaube, dass man durch Beachtung des Gewichtsunterschiedes den Geheimnissen der Dinge

näher kommen und vieles mit Hilfe von wahrscheinlicheren Folgerungen wissen kann.

Der Gelehrte: Du hast vollkommen recht. Denn der Prophet sagt, Gewicht und Waage sind das Urteil des Herrn,

der, wie der Weise schreibt, alles geschaffen hat nach Zahl, Gewicht und Maß und der die Quellen der Wasser

gewogen und die Wucht der Erde zugemessen hat.

Der Laie: Wenn also eine Wassermenge von einem Quell nicht von gleichem Gewicht ist wie die gleiche Menge

eines anderen, so ist ein Urteil über die Verschiedenheit der Eigenschaften des einen und anderen besser mit

einer Waage zu gewinnen als mit einem anderen Messgerät.

Der Gelehrte: Du hast recht. Vitruv, der über die Baukunst handelt, rät, zum Wohnort einen Platz zu wählen, an

dem leichtes und flüchtigeres Wasser ist, und schweres und erdiges Wasser zu meiden.

Der Laie: Wie also das Wasser eines Quells von gleichem Gewicht und gleicher Natur zu sein scheint, so scheint

das Wasser verschiedener Quellen auch verschiedenes Gewicht zu haben.

Der Gelehrte: Du sagst <scheint>, als ob es in Wahrheit anders sei.

Der Laie: Ich glaube, dass sich das Gewicht je nach der Zeit verändert, vielleicht manchmal unmerklich. Denn

zweifellos ist das Wassergewicht zu einer Zeit anders als zur anderen; so ist auch das Gewicht des Wassers am

Quell anders als das in einiger Entfernung von ihm. Aber oft werden diese Unterschiede gering geachtet, weil sie

kaum wahrnehmbar sind.

Der Gelehrte: Glaubst du denn, dass es sich bei allem so verhält, wie du es vom Wasser behauptet hast?

Der Laie: Gewiß glaube ich das. Denn keineswegs bedeutet die Gleichheit der Größe verschiedener Dinge auch

die Gleichheit ihres Gewichtes. Da also das Gewicht des Blutes und des Harns bei einem Gesunden und bei

einem Kranken verschieden ist, verschieden bei einem Jungen oder Alten, Deutschen oder Afrikaner, sollte es da

nicht für einen Arzt von größtem Wert sein, wenn all diese Unterschiede verzeichnet sind und ihm vorliegen?

Der Gelehrte: Sicherlich. Durch Tabellen von Gewichten, die er aufgestellt hat, würde er uns sogar zur

Bewunderung zwingen.

Der Laie: Denn ich glaube, dass der Arzt eine bessere Diagnose nach Gewicht und Farbe des Harns stellen kann

als allein nach der trügenden Farbe.

Der Gelehrte: Gewiß.»27

Im folgenden wird eine Methode zur Messung des Gewichts der Luft vorgeschlagen,

indem die Wirkungen des Luftwiderstandes auf fallende Gegenstände verglichen werden. Die

verstrichene Zeit wird bestimmt durch das Gewicht der Wassermenge, die dabei aus einem

Gefäß ausläuft:

«Der Gelehrte: Wenn jemand von einem hohen Turm einen Stein herabfallen ließe, während aus der engen

Öffnung der Wasseruhr Wasser in ein Becken flösse, und er das inzwischen herausgeflossene wiegen würde und

wenn er ebenso beim Fall eines Stückes Holz von gleicher Größe dasselbe täte, würde er dann nicht aus dem

Gewichtsunterschied von Wasser, Holz und Stein zum Gewicht der Luft gelangen?

Der Laie: Täte dies jemand von verschiedenen, gleich hohen Türmen und zu verschiedenen Zeiten, so könnte er

endlich zu einer Mutmaßung vordringen, die dem wirklichen Sachverhalt noch näher käme. Schneller würde er

jedoch zum Gewicht der Luft gelangen, wenn er Körper verschiedener Gestalt, aber gleicher Schwere nehmen

würde. Wenn er ein Pfund Blei von Kugelform von einem Turm fallen ließe, während er das aus der Wasseruhr

fließende Wasser sammelte und dann ein Pfund ähnlichen Bleis von flacher Gestalt herabwürfe, würde er aus

dem Gewichtsunterschied der Wassermengen das Gewicht der Luft erhalten. Wir beobachten nämlich, dass

Vögel mit ausgebreiteten Flügeln unbewegter in der Luft stehen, weil sie mehr Luft verdrängen, wie auch etwas

in Kugelform dicht Zusammengedrängtes im Wasser leichter sinkt als etwas in einem Würfel Ausgebreitetes.

Und so wie kann auf diesem Wege das Gewicht der Luft erforschen kann, kann man auch das des Wassers

finden. Umgekehrt auch den verschiedenen Inhalt der Körper.»28

Auch Johannes Kepler (1571-1630), der die drei nach ihm benannten Gesetze der

Planetenbewegung gefundne hat, war zutiefst von der mathematischen Struktur der Welt im

platonischen Sinne überzeugt, wie aus den Harmonices mundi libri quinque (Die fünf Bücher

von der Weltharmonik) hervorgeht:

«Doch wozu viele Worte? Die Geometrie ist vor Erschaffung der Dinge, gleich ewig wie der Geist Gottes; ist

Gott selbst (was ist in Gott, was nicht Gott selbst ist?) und hat ihm die Urbilder für die Erschaffung der Welt

geliefert; und sie ist mit dem Ebenbilde Gottes in den Menschen übergegangen, nicht erst durch die Augen in das

Innere aufgenommen worden [wie Aristoteles gelehrt hatte]. Da also die Eigenschaft, geometrisch konstruierbar

zu sein, den Größen wesenhaft zukommt, nicht insofern die Figuren dem Urteil der Augen unterworfen werden,

sondern insofern sie dem geistigen Auge offenbar sind, d.h., insofern sie nicht so sehr von sinnlicher

Erscheinung abstrahiert worden sind, als vielmehr niemals als Konkreta existiert haben, setzten wir mit vollem

Recht die abstrakte Größe als Bestimmungsstücke der urbilderhaften harmonischen Proportionen, die ja wieder

aus den geometrisch darstellbaren Teilungen des Kreises herrühren.»29

Das Interesse der Humanisten an den antiken Quellen förderte den mathematischen Geist

nicht nur durch die Wiederentdeckung des Plato, sondern auch durch die neue Beschäftigung

mit den griechischen Mathematikern, besonders Euklid (um 300 v. Chr.), Archimedes (287-

212 v. Chr.), Heron (1. Jh. n. Chr.) und dem mathematischen Astronomen und Geographen

Ptolemäus. Die Werke von Archimedes wurden erstmals 1543 in Venedig von Tartaglia in

lateinischer Übersetzung im Druck herausgegeben. Archimedes legte axiomatisch und

deduktiv aufgebaute Problemlösungen u.a. mechanischer Probleme vor, die in ihrer strengen

Form den Euklidschen Elementen der Geometrie gleichkamen.

Als Kontrast zur archimedischen und neuplatonischen Wertschätzung der Mathematik sei

hier die Ansicht eines Aristotelikers angeführt, der sich mit Galilei stritt. Galilei

veröffentlichte 1612 seinen «Discorso intorno alle cose che stanno in su l’acqua, o in quella si

muovono» (Diskurs über die Körper, die auf dem Wasser schwimmen oder in demselben sich

bewegen), eine Arbeit, di ean die Hydromechanik des Archimedes anknüpft. Er geriet damit

in Streit mit Vincenzio di Grazia, der 1613 eine Gegenschrift zu Galileis Diskurs

herausbringt. Grazia schreibt darin, dass die Galileische Methode die Bewegung der Körper

nicht berücksichtige. Galilei hat zwar, wie der Titel schon sagt, die Bewegung der

schwimmenden Körper behandelt, aber sein Bewegungsbegriff hat eine ganz andere

Bedeutung gewonnen, die vom aristotelischen Bewegungsbegriff, den Grazia verwendet,

abweicht:

«Bevor wir die Beweise des Herrn Galileo näher betrachten, scheint es uns nötig zu beweisen, wie sehr sich jene

Gelehrten von der Wirklichkeit entfernen, die mit mathematischen Gründen die natürlichen Dinge beweisen

wollen. Zu diesen gehört, wenn ich mich nicht täusche, der Herr Galileo. Ich behaupte also, dass alle

Wissenschaften und Künste ihre eigenen Prinzipien und Gründe haben, mit deren Hilfe sie die Eigenschaften

ihres Gegenstandes beweisen. Folglich ist es nicht zulässig, dass man mit den Prinzipien der einen Wissenschaft

die Wirkungen einer anderen zu beweisen sucht; und so irrt sich auch der gewaltig, der es unternimmt, die

Eigenschaften der Natur mit mathematischen Gründen beweisen zu wollen, denn diese beiden Wissenschaften

sind vollkkommen verschieden voneinander. Der Naturwissenschaftler befasst sich nämlich mit den natürlichen

Dingen, deren ureigenste und natürliche Neigung die Bewegung ist, während der Mathematiker bei seinem

Gegenstand von jeder Bewegung absieht. Hinzu kommt, dass der Naturwissenschaftler die sinnlich

wahrnehmbare Materie der natürlichen Körper betrachtet und durch sie viele natürliche Eigenschaften begründet.

Der Mathematiker hingegen kümmert sich nicht um die Materie. Bei der Untersuchung des Ortes nimmt der

Mathematiker einen einfachen Raum an, ohne zu betrachten von welcher Art von Körper er ausgefüllt ist. Der

Naturwissenschaftler jedoch macht einen großen Unterschied zwischen einem Raum und einem anderen, je nach

den Körpern, die ihn einnehmen, denn daraus resultiert die Schnelligkeit oder Langsamkeit der natürlichen

Bewegungen. Und obwohl der Naturwissenschaftlicher sich mit den Linien und Punkten der Oberfläche befasst,

behandelt er sie als Begrenzung des natürlichen und beweglichen Körpers; der Mathematiker dagegen, der von

jeder Bewegung absieht, betrachtet sie als Eigenschaften der festen dreidimensionalen Körper.»30

Die Mathematik und ihre Rolle für Naturwissenschaft und Technik wurde nicht nur von

der Philosophie aufgewertet. Auch die Erfordernisse der entstehenden bürgerlichen

Gesellschaft und ihrer merkantilen Wirtschaftsform förderten den Aufschwung der

Mathematik.

1541 schrieb Georg Joachim Rheticus eine «Chorographia», wie die Anleitungen zum

Kartenzeichnen damals hießen, die nie zum Druck kam. Rheticus (1514-1576) hatte 1539

Copernicus in Frauenburg besucht und eine «Narratio prima», einen «Ersten Bericht über des

Kopernik Buch von den Umwälzungen» geschrieben, der 1540 gedruckt wurde. Durch diesen

Bericht über das heliozentrische Weltsystem des Copernicus ist Rheticus hauptsächlich

bekannt geworden. In Preußen traf Rheticus auch mit dem Herzog Albrecht von Preußen

zusammen, dem er seine «Chorographia» widmete. Im Widmungsschreiben berichtet

Rheticus von der aufstrebenden Mathematik und Astronomie, von der Auffindung der

Schriften der antiken Mathematiker, von der Notwendigkeit der Geometrie für die

Landvermessung und Schiffahrt, die uns ja schon nach Amerika gebracht habe, vom Nutzen

der Landkarten für die Politik und anderem mehr:

«Chorographia teusch. Durch Georgium Joachimum Rheticum Mathematicum, und der Universitet Vitenberg

Professorem zusammengebracht und an den tag geben.

MDXLj.

Dem durchleuchtigen, hochgebornen furstne und herren, herren Albrechten markgraven zu Brandenburg, In

Preussen, zu Stetin Pomren, der Cassuben und Wenden herzogen, Burggraven zu Nurenberg, und fursten zu

Rugen meinem gnedigen herren.

Durchleuchtiger hochgeborner furst, E[ure] F[ürstliche] G[naden] seien mein geflisne dienst, alle zeit

zuvoran berait, Gnediger her, wie durch sunderliche schikung Gottes alle andre lobliche kunst zu unsren zeitten

herfur komen, und Gott der herre, neben seinem Wort, auch durch sein geschopf und Creatur will erkant werden,

wie dan die alten rechten philosophi bekennet haben, das die natur der schonste Spiegel Gottlicher majestet seye,

darinnen Gottes macht und gegenwerikait, gewaltig und sichtlich erkennet wert. Also befinde Ich warlich, das er

die hohen kunst welche man Mathematicas nennet nicht will lenger dahinden bleiben lassen. Die Geometry thut

sich gewaltig hervor. Dan Euclides ist in seiner aignen sprach an tag kumen, so finden sich auch herbey

Menelaus, Theodosius, Apollonius und der hochberumbt Archimedes, von welchen man kurtz vor unsren zeitten

nischt gewisses hat zu sagen gewust.

An der Astronomei hat es auch kainen fel, dan es ist nun vorhanden Ptolemaeus graece. So werden wir auch

durch das loblich opus des achbaren und hochgelarten herren Doctoris Nicolai Copernicj, meines herren

Praeceptoris [Lehrers], ain gewisse rechenschafft haben, der Zeit und des Jares, auch wie die Son, der Mond, und

alles gestirn yren lauff haben, und in was mos [Maß] und ordnung sey geschaffen seyen, an welchem, wie

wissentlich bis anher grosser mangel und fel gewesen ist. Die andren als Arithmetic, Music etc. sindt auch

zimlich Jm schwank [im Schwange]. Aber die Geographej bleibt noch ligen, und ist wänig hoffnung das die

selbig folkumlich [vollkommen]moge erneuret und reformirt werden. Dan der alten scripta, als Ptolemaej

weiwol sey vorhanden seint, komen sey uns doch waenig in dem zu nuz. [Denn die alten Schriften, obwohl von

Ptolemäus welche vorhanden sind, sind uns darin von wenig Nutzen]. Zum tail darumb, das mit dem fal der

Romischen Monarchey, und hernach aller reich verendrung, auch Tyranney der Turken, gemaines der

Christenhait erbfindes [der gemeinsame Erbfeind der Christenheit], vil furnemste sthet verwust seint [viele

vornehmste Städte verwüstet worden sind], als man jetz nicht waist wo Athen in Graecia gestanden ist, welche

doch das hopt Graecia [Hauptstadt Griechenlands]war, und aus welcher Xerxes der fast gantz Asiam inhielt

gedemutiget wardt. So werden dargegen andre stett auffgebauen und die alten namen deren so noch gebliben

seind verlieren sich auch, als man in Germania waenig gewisses waiss von denen so Ptolemaeus beschriben hat.

Zum andren das auch etlich lender von sich selbst abnemen, zu geringrung kumen, und gleichsam

veralten.Dagegen vil lender so zu Ptolemaei zeitten ytel [eitel, d.h. völlig] wildnussen und wusten gewesen sind,

und darvon man wänig zu sagen gewist, seind jezen gutte und wol erbaute lender, und mit Religion und loblicher

Policej verfasset, wie man in Septentrione [im Norden] findet. Endlich haben die gewaltige segelationes

[Segelfahrten] unss auch gantz wie man sagen will, zu ainer andren und neuen welt, gebracht, do man vor

gedacht hat, wie es alles mit wasser beflossen und nur ain mer, das man Oceanum nennet, waere.

Wan nun frid und ru in allen landen wie zu den zeitten Divj Augusti waere, und die hochen Potentaten, wie

die alten gethon haben, darzu thetten, das man ain gewisse verzaichnung der lender und aller welt haben kunnte,

so mochte wol ain hoffnung sein, das die Geographej auch zu unsren zeitten gebessret wurde. Diewel aber auss

dem nichtes wurt, wie auch der hailigen schrifft Propheceyen zeugen, so mag man sich beflaissen, das man deren

lendren so man gehaben mag gewisse verzaichnung zu hauffen brenge, welches ich gantz nöttig achte. ]domit

Ich die trefflichen auch ander gemaine utilitates [Nützlichkeiten] der Geographej fallen lasse, welche E[ure]

f[ürstliche] g[naden], auss hohem furstlichem verstandt, und alss ain besundrer liebhaber disser hohen kunstne

selber zu bewägen waiss, waere warlich gut das man etwas bey der lustigen und nutzlichen Kunst thete, von

wegen der hochloblichen Kunst welche zu unsren zeitten Astrologia genant wurt. Dan wo man ainer stat

longitudinem [Länge] und latitudinem [Breite] nicht waist, ist es auch unmeglich darauff Eclipses [Finsternisse],

Item [also] der Sonnen, des mons [Monds], planeten und alles gestirns motus [Bewegungen] und zu dem

selbigen ort Ir habitudines [Beschaffenheiten] zu rechnen, auss welchem dan gedachte kunst, von wurkung der

natur und kunfftigem Eruditas coniecturas [wissenschaftliche Vermutungen] zu nehmen leret. Welches ja

nutzlich und nicht ain kleine Gottes gab ist, wie alle rechte vernunfft und tegliche erfarung weist und mitbringkt.

Nach dem aber die Potentaten gemainer Christnehait zu unsren zeitten mit hochen wichtigen hendlen beladen

sindt, die Regligion betreffendt, frid und einikait zu erhalten, Civilia bella zu verhutten [Bürgerkriege zu

verhüten], und dem Turken widerstandt zu thun, ist kain ander mittel verhanden, disser lender daruber man

gewisse verzaichnung nach rechter art der Geographej haben mag, dan das sich in allen lendren hin und wider,

leut, die der kunst sich befleissen, mit hilff der hochloblichen fursten und herren, Chorographicas tabulas, so

man lands tafflen [Landkarten] nennen mocht mit fleiss colligierten [sammeln] und an tag geben, damit sich

etwa ain rechter grundlicher Mathematicus daruber begeben mochte, und in des Ptolemaei Fustapffen tretten,

und die Geographej wie es sich erfordert, wie umer muglich erneuere. Aus welchem bedenken, das sich

gemainem nutz zu gut dester mehr, so den kunsten genaigt sindt herbey funden, habe Ich auss bit filler gutter

frundt [gemäß der Bitte vieler guter Freunde], und auch E[urer] f[ürstlichen] g[naden[ hoffmalers, Crispinio

Harand, wiland des weitberimpten Albrechten Durers, discipulo, alle art und weiss nach rechter Art der

Mathematic zusamen gebracht, und in das teusch verfast, wie die Choreographicae tabulae, oder lands tafflen

gemacht mogen werden. Und damit es menklichem zu mehrem nutz und fordrung raichen mochte, habe Ich auch

von rechtem gebrauch des Magneten und schipper compas grundtlich zu machen hinzugesatzt, In welchem wie

kundpar bis anher mangel gnug befunden wurt.

Dis mein klain und erst werk, so Ich in teuscher zungen lass aussagen, habe ich vornemlich E[ure]

f[ürstliche] g[naden] von dissen kunsten, und was die Mathematic betrifft, nebendt andren geschefften reipub:

[Staatsgeschäften], wie wir von Julio Caesare und Carolo Magno lesen, hab horen loblich wol und grundlich

reden, dardurch E[ure] f[ürstliche] g[naden] genaigter und genediger wille zu dissen kunsten und Iren Cultoribus

zu spuren ist, bin Ich der Hoffnung E[ure] f[ürstliche] g[naden] werde dis, wievol klain dienstlich erzaigung

meines dankbaren willens, der furstliche vererung, so mir E[ure] f[ürstliche] g[naden] gantz genediklich

bewissen hat, von mir in gnaden auffnemen. Und hoffe das nachdem E[ure] f[ürstliche] g[naden] dieses buchlin

zu ainem Patrono haben wurdt, so wurde es mehr gebraucht und angenemer sein. Und thu mich hiemit E[ure]

f[ürstliche] g[naden] dienstlich und undertheniglichen bevelchen [befehlen, d.h., anempfehlen], welche Gott der

allmechtig alle zeit genediglich bewar. Datum zur frowenburg im Augusto des MDXLj Jars.

E[ure] f[ürstlicher] G[naden] dienstwilliger und geflissner diener Georgius Jo[achimus] Rhecticus

Ma[thema]ticus.»31

Allmählich wird das Studium der Mathematik zur Voraussetzung jeder höheren Bildung. Das

mathematische Wissen eines durchschnittlichen Universitätsabsolventen bestand nun nicht

mehr aus nur einfacher Arithmetik und etwas euklidischer Geometrie, sondern zusätzlich

zumindest teilweise aus neu entwickelten Methoden, die aus der Navigation, der Kriegskunst,

dem praktischen Kaufmannsrechnen mit der neuen doppelten Buchführung, dem

Ingenieurwesen usw. entstanden warne. In einem «Vollständigen Handbuch für den

Gentleman» (The Compleat Gentleman) von Henry Peacham aus dem Jahre 1622 finden wir

folgende Bemerkungen:

«Kurz, der Nutzen, den dir die Geometrie bringen wird, liegt darin, dass du deine Ländereien vermessen kannst,

dass du dir eine Meinung darüber bilden kannst, ob du neu bauen oder umbauen sollst, dass du deine Mühlen

sowohl zum Kornmahlen einrichten kannst als auch für die Wasserförderung aus deinem Boden und dass du

Wasser von weit herbeibringen kannst für vielfältigen Nutzen … So kann ich nicht verstehen, wie ein

Gentleman, besonders ein Soldat und Kommandant, voll ausgebildet sein kann ohne Geometrie… Die Autoren,

die ich dir für den Anfang empfehlen möchte, sind in Englisch folgende: Cookes Principles und die Elements of

Geometry, auf Latein geschrieben von Peter Ramus und übersetzt von Dr. Hood, der einmal Mathematikdozent

in London war; Meister Blundeville und Euklid in englischer Übersetzung. In Lateinisch kannst du den gelehrten

Jesuiten Clavius nehmen, Melanchthon, Gemma Frisius und von Valtanus die Militärgeometrie. Albert Dürer

[sic!] hat darüber ausgezeichnet auf Hochdeutsch geschrieben, auf Französisch Forcadel über Euklid, mit vielen

anderen.»32

Damit die Mathematisierung zu einem naturwissenschaftlich sinnvollen und

folgenschweren Programm werden konnte, mussten mindestens vier Faktoren

zusammenspielen: die Neufassung der Philosophie Platos, die Rezeption der antiken

Mathematik, der Wille (und die Notwendigkeit), über die Bedürfnisse der mittelalterlichen

Bedarfswirtschaft hinaus einen gesellschaftlichen und privaten Nutzen aus der Natur in

systematischer Weise zu ziehen und schließlich die Ausweitung der Problembereiche, die als

der Mathematik zugänglich angesehen werden, indem die aristotelischen Beschränkungen

wegfallen und durch Künstleringenieure und Gelehrte neue, d.h., in der Natike noch nicht

behandelte Probleme aufgewiesen werden.

5. Entstehung des Experimentbegriffs

Magie, Alchemie, Astrologie, Hermetismus

Der Neuplatonismus, von dem schon im letzten Kapitel viel die Rede war (s. S. 69 ff), war

nicht nur eine Quelle für ein rationales und mathematisches Denken, sondern erhielt in der

Renaissance auch eine irrational-schwärmerische Ausprägung. Vorstufen dieser Tradition

wurden dem Mittelalter hauptsächlich durch die Araber zugänglich gemacht. Sie leiten sich

jedoch auch direkt von Plato her, dessen mehr schwärmerische Lehren nie ganz ausgestorben

waren, sondern in der Mystik und augustinischen Schule weitergewirkt haben. In der

Renaissance erreichen die auf arabische Tradition zurückgehende Alchemie und die Magie,

zwei Formen dieser Bewegung, eine Blüte. Im Gegensatz zur aristotelischen Schule, die die

Naturerkenntnis in passiver Beobachtung der Natur zu finden meint, werden von den

Alchemisten und Anhängern der Magie bewusst künstliche Techniken gesucht und

entwickelt, mit denen der Mensch die Natur beherrschen kann. Damit wurde ein

experimentelles Element in die Beschäftigung des Menschen mit der Natur eingebracht,

obwohl von kontrollierten Experimenten im Galileischen Sinne noch schwerlich die Rede sein

kann.

Der Arzt, Alchemist und Sozialreformer Paracelsus (eigentlich Philippus Aureolus

Theophrastus Bombastus von Hohenheim, 1493-1541) war der farbigste und einflussreichste

Denker dieser Bewegung. Seine Naturlehre vereinigt Elemente der Volksmedizin, Alchemie,

Metallurgie, Magie und Mystik, aber auch solches Denken, das für uns heute noch als Chemie

und Medizin im strengen Sinne gelten kann. Seine zahlreichen Schriften fanden besonders in

den hundert Jahren nach seinem Tod eine starke Verbreitung.

Der wichtigste Einfluss auf Paracelsus und die anderen magischen, alchemischen und

okkulten Denker der Renaissance ging von den so genannten «Hermetischen Schriften» aus.

Diese Traktatsammlung wurde kurz nach der Eroberung von Konstantinopel (1453) in

Florenz bekannt und sollte einen altägyptischen Priester namens Hermes Trismegistos

(«Hermes der dreimal Größte») zum Autor haben. Cosimo de’ Medici war von diesen

Schriften so beeindruckt, dass er Marsilio Ficino beauftragte, die Hermetischen Schriften

noch vor den Platonischen zu übersetzen. Die erste griechische Ausgabe erschien 1454 und

die lateinische Übersetzung 1463. Im Jahre 1614 konnte der Philologe Isaak Causabonus

jedoch nachweisen, dass die Hermetischen Schriften keineswegs uralte und geheimnisvolle

ägyptische Weisheitslehren überliefern, sondern hellenistisch-neuplatonischen Ursprungs sind

und aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. stammen.

Für unser Thema sind vor allem vier Lehren der hermetisch-neuplatonischen Tradition

wichtig, die in den Hermetischen Schriften behandelt werden: die Auffassung von der

Entsprechung von Mikro- und Makrokosmos, die Emanationslehre, die Lehre von der

Allbeseeltheit der Welt sowie die Lehre, dass alle Dinge dieser Welt durch mehr oder weniger

große Sympathie oder Antipathie aufeinander einwirken.

Mikro- und Makrokosmos-Analogie, Emanationslehre

Für die Chemie und Medizin folgenreich war die Auffassung, dass der menschliche Körper

als ein Mikrokosmos dem Weltall als Makrokosmos entspreche. Im frühen Neuplatonismus

und in der Mystik wurde die Welt und alles, was existiert, in einer stufenartigen Gliederung

gesehen: es gibt eine Hierarchie vom niedrigsten bis zum höchsten Sein. Das höchste Sein ist

das Ein und Alles, das Göttliche, aus dem sich die niedrigeren Seinsstufen herleiten. Dieses

Strömen des Seins aus einem höchsten Sein, die Abhängigkeit des niederen Seines vom

höheren, ist die Emanation, die wir schon bei Grosseteste in Form der Lichtmetaphysik

kennen gelernt haben (s. Abschnitt 3).

Im Stufenbau des Seines nimmt der Mensch eine Sonderstellung ein, er steht in jeder

Hinsicht in der Mitte. Durch seine Seele hat der Mensch teil am höchsten Sein, dem göttlichen

Geist, durch seinen Geist hat er teil am Himmel und durch seinen vergänglichen Körper teil

am niedrigsten Sein, den Stoffen der Erde. Der Mensch trägt also die Möglichkeiten für alle

Seinsstufen in sich und ist damit Abbild der Welt. Durch sein Verhalten hat er es in der Hand,

den Anteil der verschiedenen Seinsarten, die er in sich trägt, entweder zu vergrößern oder zu

vermindern. Im Folgenden beschreibt Paracelsus, dass sich die Kräfte des Makrokosmos im

Menschen finden:

«Was tut diese red? Alein das ir verstandent das der mensch die klein welt ist, nit in der form und leiblichen

substanz sonder in allen kreften und tugenden wie die groß welt ist, aus dem menschen nun folget der edel nam

microcosmos, das ist so vil das al himlische leuf, irdische natur, wesserische eigenschaft und luftische wesen in

im sind. In im ist die natur aller früchten der erden und aller erz natur der wasser, dabei auch alle constellationes

[Sternstellungen] und die vier wind der welt, was ist auf erden des natur und kraft nit im menschen sei?

…darumb so gebürt sich nun fürhin, von den microcosmischen kreften zu reden, die ding zu erkleren, die durch

die unsichtbare art gewirket werden, die zauberisch, hexisch, teufelisch zu sein das gemeine Volk vermeinet, so

sie doch al natürlich sind und in natürlichem grunt erfunden werden. Dan ir sollen in des menschen glidern ein

zwifache natur erkennen: ein greifliche wirkende kraft und ein ungreiflich wirkende kraft; dan der sichtig leib

hat sein natürliche wirkung, der unsichtig dieselben auch. Al die bresten so der sichtige leib tregt, dieselbigen

arznei hat er auch an derselben stat, und was im mag für schaden zugestelt werden, den mag er auch wenden.»33

Wie nun augenscheinlich der Himmel und die sichtbare Welt in dauernder Bewegung

sind, sah Paracelsus auch die stoffliche Natur des Menschen in dauernder Veränderung. Der

menschliche Körper ist eine Art chemisches Laboratorium, in dem Prozesse ablaufen, die man

mit richtig dosierten Stoffen aus dem Makrokosmos beeinflussen kann. Ein solcher Einfluss

ist z.B. die Aufnahme krankmachender Stoffe durch Luft, Nahrung oder Flüssigkeit. Der Arzt

kann schlechte Einflüsse korrigieren, indem er dem Patienten Gegenmittel verabreicht. Diese

Gegenmittel müssen auch sehr sorgfältig hergestellt und genau dosiert sein, um ihre

«Arcana», d.h. ihre geheimen Wirkkräfte, entfalten zu können. Im folgenden kritisiert

Paracelsus die Apotheker, die alles durcheinander rühren und vom richtigen Dosieren nichts

verstehen:

«wie ein ietlich ding seine besondere meisterschaft hat zu dem, dahin es gehört, also sollet ir auch hie verstehen

in den krankheiten, das sie sondere arcana haben, darumb so müssen sie sondere praeparationes

[Vorbereitungen] haben, von disen praeparationibus rede ich, also zu verstehen, das sondere arcana sondere

administrirung haben und andere administrirung andere praeparirung, nun ist in apoteken kein praeparaz nit,

allein ein durcheinander kochung wie ein suppenwust, und im selbigen kochen ertrinken die arcana und komen

zu keiner wirkung nicht; dan die natur muss in irer weis und art behalten werden. Wie ir sehet das ein sondere

bereitung ist mit dem weinziehen, ein besondere mit dem brot ziehen, ein besondere mit dem fleisch, mit salz

etc., kreutern und ander ding, also dermaßen sollent ir auch verstehen, wie die natur nicht durcheinander

plampert essen und trinken, fleisch und brot in ein forme sondern besonder; geschicht nicht ohne große ursachen

sonder aus vil ursachen, hie nicht not zu erzelen.»34

Die Auffassung der Paracelsisten (auch Iatrochemiker, d.h., Arzt-Chemiker genannt)

stand im Gegensatz zu der Medizin der aristotelisch-galenischen Tradition, die Paracelsus

nicht müde wird, mit den deftigsten Ausdrücken zu belegen. Nach der alten Medizin ist der

Mensch krank, wenn das Gleichgewicht seiner Körpersäfte gestört ist. Die Körpersäfte (Blut,

Schleim, gelbe und schwarze Galle) sind, ebenso wie die Welt unter dem Mond, aus den vier

Elementen Feuer, Luft, Wasser und Erde zusammengesetzt. Paracelsus führte Sulfur

(Schwefel), Mercurius (Quecksilber) und Sal (Salz) als die grundlegenden Zustände und

wirkenden Eigenschaften aller Dinge ein. Diese drei Prinzipien sind nicht als chemische

Substanzen im heutigen Sinne zu denken, sondern eher als mögliche Aggregatzustände oder

Wirkungsformen; Schwefel ist das Brennbare, Quecksilber das sich Verflüchtigende und Salz

der Verbrennungsrückstand. Schwefel ist für das Wachstum der organischen Welt von

Bedeutung, Quecksilber bestimmt den Flüssigkeitsgehalt aller Dinge, und das Salz gibt den

Dingen und Körpern ihre Form und Festigkeit. Diese Paracelsische Betrachtungsweise ergab

eine Chemie, die nun besonders die Reaktion von Substanzen aufeinander in verschiedenen

Mischungen untersuchte und sowohl die Welt als auch den Menschen als dauernd im Prozess

von aufeinander folgenden chemischen Reaktionen begriff. In seinen «Büchern von der

Pestilenz und ihren Zufällen» kommt Paracelsus zum Schluss, dass Sulfur die materia

peccans, der krankmachende, in diesem Fall pesterregende, Stoff ist. Jeder Stoff steht auch in

Beziehung zu einem Planeten, dessen Wirkung zu berücksichtigen ist. In diesem Fall ist es

der Mars:

«Das fünft capitel:

Demnach und alle teil microcosmi mineralia seind, so wissen hieraus die ursach der krankheit zufinden, das

die mineralia die seind die in materiam pestis werden. Darauf wissent das alle infectiones sich mineralisch

enden, so nun die mineralia die materia ist, so ist sie auch die ursach der krankheit und wird genomen und

geboren an dem ort wie obgesagt ist. Dieweil aber der mineralium vil seind, so ist materia peccans nichts als

sulphur. Dan in dreien ston alle corpora, das mittel ist sulphur, dasselbig wird one widerred bleiben. Allein in

dem wird es euch widerwertig sein, wie der sulphur dermaßen die ursach sei. was ist mars als der geist des

sulphurs? Nun ligt es allein in dem, ob der geist leiblich werden mög, das allein beschicht in der ubernatürlichen

krankheit. Der geist müsst leiblich werden, er bleibt aber ein geist bis an seine stat, welche die drei obgemelten

[oben schon erwähnten] örter sind. diser geist vergleichet sich der hiz, so von der sonnen gehet und durch das

mittel anzündet; der leib ist das corpus das angezündet wird, das aber den leib anzünt ist das sulphur und das den

sulphur brennen macht ist der mars.»35

Die Lehre von der Entsprechung des Mikrokosmos mit dem Makrokosmos wurde nicht

nur für Medizin und Chemie, sondern auch für die Astronomie relevant. Wie wir sahen, ist für

Aristoteles der Himmel über dem Monde unveränderlich und unvergänglich und besteht aus

dem fünften Element, der ätherförmigen «quinta essentia». Paracelsisten schlossen nun auch

vom Mikrokosmos auf den Makrokosmos zurück: Wenn der Mensch in dauernder

Veränderung begriffen ist, wenn Reaktionen in ihm auftreten, so muss auch der gesamte

Kosmos sich in einem Prozess des dauernden Werdens und Vergehens befinden. Also gibt es

auch kein eigenes unvergängliches und himmlisches Element. In seiner Schrift über den

Kometen des Jahres 1577, aus der wir schon weiter oben (s. S. 65 f) zitiert haben, führt Tycho

Brahe auch die Meinung der Paracelsus-Schule über die Natur der Kometen an:

«Die Paracelsisten, die weil sie den Himmel für das fierte Ellement des feuers halten unnd erkennen, das

darinnen auch generationes [Entstehen] und corruptiones [Vergehen] sich können zutragen, ist es nach irer

philosophia nicht unmoglich, das die Cometten im himel geporen werden, gleicher weiß wie zu zeiten unerhörte

gewechß aus der erden unnd in den mettalen wie auch monstra under den thieren sich befinden, dan Paracelsus

vermaint, das die penates superi [obere Schutzgeister], welche ir wonung im himel unnd gestirn haben, zu

besonderer zeit aus gottes verhengknus [ex] materia celesti [aus himmlischer Materie], dessen die genueg finden,

solche neu stern und Cometten fabricieren unnd den menschen augenscheinlich fürstellen zu einem zaichen

zukonfftiger ding, welchs nit aus den planetten iren wahren uhrsprung sonder wider die Planetten aus dem

psudoplanetta, welcher ain Comett genannt wird, angezaiget und gemacht werden.»36

Hier ist die Möglichkeit für eine Sternentstehungstheorie, eine Kosmogonie, eröffnet –

eine für den Aristotelismus undenkbare Vorstellung.

Die Mikro-Makrokosmos-Analogie hat auch noch bei einer anderen wichtigen

Entdeckung eine Rolle gespielt. Zwischen 1616 und 1628 entdeckte William Harvey /1578-

1657) den großen Blutkreislauf. Er war überzeugt, dass dem Kreislauf der Erde um die Sonne

im Makrokosmos ein fundamentaler Kreislauf im Mikrokosmos des menschlichen Körpers

entsprechen müsse, der Kreislauf des Blutes um und durch das Herz:37

«8. Kapitel. Die Blutmenge, die durch das Herz aus den Venen in die Arterien hindurchgeht, und der Kreislauf

des Blutes.

Bisher war die Rede von der Überleitung des Blutes aus den Venen in die Arterien und von den Bahnen, die

es durchläuft und auf welche Art es durch den Herzschlag fortgeleitet und verteilt wird. Vielleicht gibt es einige

Leute, die da sagen, sie stimmen mir darin bei, nachdem die Autorität eines Galenos und des Colombo und die

Ansichten anderer vorher in s Treffen geführt worden waren. Nun aber, da ich das besprechen werde, was über

die Menge und die Fülle dieses hindurchwandernden Blutes (mit Verlaub, einer Erwägung sehr werte Dinge!) zu

sagen erübrigt, so ist dies so neu und unerhört, dass ich nicht nur infolge der Missgunst gewisser Leute eine

Unbill für mich fürchte, sondern mich sorge, ich mache mir die ganze Menschheit zum Feind: so mächtig ist bei

allen Menschen die Gewohnheit bzw. eine einmal eingesogene und tief im Boden eingewurzelte, sozusagen zur

zweiten Natur gewordene Lehre, und einen solchen Zwang übt irgendeine ehrwürdige Mutmaßung des

Altertums! Sei dem wie immer, der Würfel ist einmal gefallen. Und meine Hoffnung ruht auf der Wahrheitsliebe

und auf der Lauterkeit der Gesinnung der Gelehrtenwelt.

Da ich denn je nach den mir verfügbaren Mitteln sowohl auf Grund vielfältiger Untersuchungen im Wege

der zu Versuchszwecken veranstalteten Vivisektion als auch der Eröffnung von Arterien sowie auf Grund der

Symmetrie und Größe der Herzkammern, der aus- und eintretenden Gefäße (denn die Natur tut nichts zwecklos,

daher sie in diesen Gefäßen eine solche verhältnismäßig bedeutende Größen keineswegs zwecklos zugeteilt

haben dürfte) als auch auf Grund des kunstvollen und genauen Baues der Klappen und Fasern und der sonstigen

Einrichtung des Herzens wie auch auf Grund gar vieler anderer Dinge sowohl des Öfteren ernstlich erwogen als

auch im Geiste des längeren überlegt hatte, wie groß nämlich die Menge des übergeleiteten Blutes wohl wäre,

binnen wie kurzer Zeit sich diese Überleitung vollzieht, und mir vergegenwärtigt hatte, dass der Saft der

aufgenommenen Nahrung weder hinreicht zu verhindern, dass unsere Venen schließlich leer werden, dass wir

uns sie überhaupt auspumpen und dass wir uns andererseits die Arterien durch übermäßiges Einpumpen von Blut

sprengen würden, wenn das Blut nicht irgendwie aus den Arterien wiederum in die Venen zurückströmen und

zur rechten Herzkammer zurückkehren möchte: da fing ich denn an, mit mir zu Rate zu gehen, ob ihm etwa eine

Bewegung gleichsam im Kreise eigentümlich ist. Ich habe sie später als wahr befinden und auch entdeckt, dass –

wie vorher gesagt wurde – das Blut durch die Pulsation der linken Herzkammer aus dem Herzen durch die

Arterien in die Körpermasse und in alle einzelnen Teile ebenso gepresst und getrieben wird, wie es infolge

Pulsation der rechten Herzkammer durch die arteriose Vene in die Lunge und wiederum durch die Venen in die

Hohlvene und bis zum Ohr zurückströmt, wie es aus den Lungen durch die so genannte venöse Arterie zur linken

Kammer gelangt war. Es sei gestattet, diese Bewebung im selben Sinne einen Kreislauf zu nennen, wie

Aristoteles das Wetter und den Regen mit einer Kreisbewegung der oberen Regionen verglichen hat. Denn das

feuchte von der Sonne erwärmte Erdreich entwickelt Dünste, die aufgestiegenen Dämpfe verdichten sich und

steigen zum Regen verdichtet wieder abwärts, sie befeuchten die Erde, und auf diese und ähnliche Weise geht

hier durch den Kreislauf der Sonne, durch deren Hinzutreten und Zurücktreten die Erzeugung und Entstehung

der Gewitter und der sonstigen Himmelserscheinungen vor sich. So dürfte es wahrscheinlich auch im Körper

zustande kommen, dass alle Teile durch die Blutbewegung mittels eines erwärmten, vollkommenen, dunstigen,

geistigen und (um mich so auszudrücken) nährkräftigen Blutes genährt, durchwärmt und belebt werden, dass das

Blut hingegen in den Körperteilen abgekühlt, verdichtet und geschwächt wird, daher es zu seinem Ursprung, und

zwar zum Herzen, gleichsam zu seiner Quelle bzw. zum Hausaltar des Körpers zurückkehrt, um seine

Vollkommenheit wieder zu erlangen. Dort wird es durch die natürliche, kräftige, feurige Wärme, diesen

Lebensschatz, von neuem verflüssigt, mit Spiritus und (sozusagen) mit Balsam geschwängert, von hieraus wird

es wiederum verteilt: und all das ist von der Schlagbewegung des Herzens abhängig.

So ist das Herz der Urquell des Lebens und die Sonne der <kleinen> Welt, so wie die Sonne im gleichen

Verhältnis den Namen Herz der Welt verdient. Durch sein Kraftvermögen und durch seinen Schlag wird das Blut

bewegt, zur Vollkommenheit gebracht und ernährt und vor Verderbnis und Zerfall bewahrt. Durch Ernährung,

Warmhaltung und Belebung leistet es seinerseits dem ganzen Körper Dienst, dieser Hausgott, die Grundlage des

Lebens, der Urheber alles Seines. Doch davon an anderer Stelle, wenn wir der Endursache dieser Bewegung

nachforschen werden.

Daher gibt es, da die Venen eine Art Bahnen und Rohrleitungen für das Blut sind, zwei Gattungen davon,

die Hohlvene und die Aorta, nicht im Sinne einer gleichseitigen Anlage (wie Aristoteles meint), sondern im

Sinne ihrer Bestimmung, und nicht (wie man gemeinhin annimmt) durch ihren Bau unterschieden (denn, wie ich

gesagt habe, so unterscheidet sich eine Vene bei vielen Tieren von den Arterien in gar nichts), sondern durch die

Aufgabe und Verrichtung verschieden; die Venen und die Arterien, beiden von den Alten nicht mit Unrecht

Venen genannt (wie Galenos bemerkt hat) deshalb, weil diese, und zwar die Arterie, ein Gefäß ist, welches das

Blut aus dem Herzen in den Körper ausführt, während jene das Blut aus der Körpermasse wieder ins Herz

zurückführt.

Diese stellt den Weg vom herzen dar, jene den Weg bis zum Herzen, jene enthält das bereits

zurückgegebene, verrohte, abgeschwächte, zur Ernährung nicht mehr geeignete, diese das gekochte,

vollkommene, nährkräftige Blut …»

«14. Kapitel: Schluss des Nachweises über den Blutkreislauf.

Nun möge es denn schließlich gestattet sein, unsere Ansicht über den Blutkreislauf vorzutragen und allen

Menschen vorzuschlagen. Da all dies sowohl durch Erwägungen als auch durch augenfällige Versuche

festgestellt ist: dass das Blut infolge der Pulsation der Herzkammern durch die Lungen und das Herz

hindurchgeht und in den ganzen Körper hineingetrieben und versendet wird und dort in die Venen und in die

Porositäten des Fleisches eindringt und durch die Venen selbst allseitsher von der Peripherie nach der Mitte, von

den kleinen Venen in die großen zurückströmt und von dort in die Hohlvene und endlich zum Herzohr gelangt

und in so großer Menge in so mächtiger Strömung und Rückströmung von hier aus durch die Arterien dorthin

und von dort durch die Venen her zurück, dass es von der aufgenommenen Nahrung nicht nachgeliefert werden

kann, und zwar in viel größerer Fülle (als für die Ernährung genügt), so muss man notwendigerweise schließen:

Das Blut bewegt sich bei den Lebewesen in einem Kreise vermöge einer gewissen Kreisbewegung. Und es ist in

immerwährender Bewegung, und dies ist die Tätigkeit bzw. Betätigung des Herzens, die es mittels eines Pulses

zustande bringt, und überhaupt: die Bewegung und der Schlag des Herzens sind die einzige Ursache.»38

Harvey rückte mit seiner Entdeckung von Aristoteles und besonders von Galens

physiologischem System ab, obwohl er beide sonst sehr schätzte. Nach Galen entsteht das

Blut in der Leber. Aber auch Herz und Hirn sind eine Art von Quellpunkten, in denen

«Pneuma», ein Lebensgeist, dem Blut beigemischt wird. Das Blut sichert durch die Venen in

alle Körperteile, um sie mit Gewebeteilchen zu versorgen. Ein Teil des Blutes wandert durch

die Poren von der rechten in die linke Herzkammer. Von dort gelangt es in die Arterien, um

dem Körper mit Lebenskraft zu versorgen, die es beim Weg durch die Lunge aufgenommen

hat.

Auch mechanistisch eingestellte Naturforscher konnten jedoch Harvey nicht folgen. Für

den Vitalisten Harvey war das Herz nicht eine Pumpe, sondern mehr, ein beseeltes und

beseelendes Organ, das nicht rein mechanisch erklärt werden kann, wie es Descartes später

lehrte.

Panpsychismus und universelle Sympathie

Für den Aristotelismus war die Seele ein Formprinzip der Materie. Der Neuplatonismus

hingegen sah in der Seele im Stofflichen eingeschlossenen Geist. Aristoteles ordnete allen

Sphären der Himmelskörper eine Seele zu, als ein Prinzip, das die Bewegung der

Himmelskörper erst ermöglicht. Im arabischen Neuplatonismus wurde daraus eine ganze

Hierarchie von Intelligenzen, die später auch als Hierarchie der Engel gedeutet wurde.

Zusammen mit der Idee von der Emanation, die durch das Strömen der Welt aus Gott eine Art

von Gegenwärtigkeit Gottes in allen Dingen notwendig machte, war es nur noch ein kleiner

Schritt zur Vorstellung, dass die Welt selbst eine Seele habe bzw. dass alle Dinge der Welt

beseelt sind, eigene Seelen besitzen. Diese Seelen nun bestehen nicht isoliert nebeneinander,

denn sie sind ja mit der Weltseele und Gott selbst verbunden. Die ganze Welt ist vielmehr

durchwoben und durchzogen von Kräften, von Sympathien und Antipathien, die aufeinander

einwirken.

Nach der vorherrschenden Auffassung des christlichen Mittelalters ist der Mensch diesen

Mächten und Kräften ausgeliefert. Er kann sich nur mit Hilfe des Teufels und verbotener

magischer Praktiken dagegen zur Wehr setzen. Der Mensch darf jedoch nur soviel von den

unsichtbaren Kräften in der Natur erkennen wie ihm Gott in der Offenbarung erlaubt. (So

weist z.B. Buridan, wie wir schon auf S. 42 gesehen haben, darauf hin, dass von

irgendwelchen «Intelligenzen» als planetenbewegenden Geistern in der Heiligen Schrift nicht

die Rede sei und man deshalb versuchen müsse, die Himmelsbewegungen auch ohne die

Annahme solcher Wesenheiten zu erklären.)

In der Renaissance ändert sich nun grundlegend die Stellung, die der Mensch im

beseelten Universum einnimmt. Die Erkenntnis und Beherrschung der überirdischen Mächte

und Kräfte verliert ihren frevelhaften Charakter und wird zu einer natürlichen Sache.

Außerdem wird sie identifiziert mit der Erkenntnis der letzten Ursachen in der Natur, wie sie

sich z.B. die aristotelische Philosophie zum Ziel gesetzt hatte, und ebenso mit dem

platonischen Bemühen um die Erkenntnis des Wesentlichen hinter den Erscheinungen, z.B.

um die mathematische Form der Dinge, die die Erscheinungswelt transzendiert.

Auch die Astrologie erhält dadurch eine neue Bedeutung. Mit ihrer Hilfe wird nun nicht

mehr wie im Mittelalter dem Menschen sein unerbittliches und unentrinnbares Schicksal

vorausgesagt. Die Astrologie deckt vielmehr die Anlagen auf, die in jedem Menschen stecken.

Was der einzelne Mensch mit diesen von den Sternen offenbarten Möglichkeiten anfängt, das

ist völlig in sein Belieben gestellt und kann durch geschickte Ausnutzung der Kräfte

beeinflusst werden. (Dieser Gedanke klingt auch schon im «Tetrabiblos», dem astrologischen

Werk von Ptolemäus, an). In der «Astronomia magna» des Paracelsus kommt diese

Aufwertung des Menschen zum Ausdruck:

«Weiter so merkent den centrum aller ding, der centerum ist der mensch und er ist der punkt himels und erden.

Nun sollent ir iezo wissen, was dieser centrum und punkt bedeute, und das also, die ganze welt umbgibt den

menschen und ist umbgeben wie ein punkten ein cirkel umbgibt, nun folget ausdem, das alle ding in den punktn

ir neigung haben, zu gleicher weis als ein kernen in einem apfel ligt und zeucht vonime sein narung: dan er wird

mit dem apfel umbgeben und wird vom apfel erhalten und er gibet im auch seine narung, als ein regen oder tau

der vom himel herab in die erden felt und gibt ein anziehung der erden vom himel. Und als die ober sphaera

beweiset, also in solcher gestalt ist der mensch ein kern und die Welt der apfel, und wie mit den kernen im apfel

zu verstehen is, also ist auch der mensch zu verstehen in der welt, mit der er umbgeben ist. Und merkent etliche

anzeigung in der gestalt, das die sonne ir kraft auf den menschen gibt und gibt iren streimen [Strahlen] vonirem

cirkel herab bis in den punkten, das ist auf den menschen, das ein anzeigung ist, dieweil die sonn von ir den

schein gibt herab in mittel der welt auf den punkten, der dan der mensch ist, also auch alle andere eußere kreft

von dem eußern cirkel in den centrum wirkent. Wie also die sonn ire radios [Strahlen] gibt, in den selbigen ire

kraft von der höhe ihres cirkels herab in den menschen, also tun auch alle sternen, geben ihre streimen und kreft

hreab bis auf den menschen und in menschen, nicht alein in elementischer art wie die sonn, die da wermet, wie

der mon, der da keltet, sonder auch die sinlichen kreften in den sternen, kunst, weisheit, geschiklikeit, klugheit

geben gleich so wol ire streimen in die sinne der menschen, wie die sonn auf den leib, zu gleicher weis wie ein

feur, das durch den eisen ofen gehet, wie die sonn durch ein glas gehet, also durchgehet den menschen das

gestirn mit aller seiner eigenschaft und gehet in wie der regen in des ertrich, das dann aus dem selbigen regen

frucht gibt…

dan also hat uns got unsern lermeister in allen natürlichen künsten gesezt, alein das wir zu dem rechten

brunnen gehen. Also ist auch der größte arzt im firmament, der alle krankheit erkent und sicht die selbig, was

unser finster vor unser augen ist und sicht in kreutern und edelgesteinen was in inen ist…

anfenglich haben die alten also angefangen zu lernen, nicht das wir von inen lernen, sonder suchen den, den

sie auch gesucht haben, die uns dan wol wissenzu lernen, was uns iezo auf diese zeit not ist. Dan hin ist hin, ein

neues her! Das ist, ob gleichwol die alten uns etwas verlassen haben, das wir dasselbig wissen und künnen, so ist

es doch nicht in der gestalt an uns komen, das wir weiter nimer lernen sollen, dan das alein, das von inen da ist,

sondern alle ding bessern, mehr suchen, mer lernen; dan die schul und das schulrecht weret bis an das end der

welt.

Also merkent auf die astronomei, das sie eine notwendige kunst ist, die bilich hoch sollte gehalten werden,

wol und volkomen gelernet werden einer ursach halben, dan sie lernet einen ieden menschen erkennen, wie sein

gemüt, herz und gedanken sthetn, falsch, gerecht oder gut, in was art sie schlecht, tückisch oder nicht, was die

selbig stunt der conception [Empfängnis] getan hat und wirken wole durhc das selbig kint, so es anders dem

nachgehet, in das es geboren ist, und lernet einen jeglichen seinen lermeister suchen und wie er in suchen sol.

Aber zu gleicher weis, wie wir den elementischen leib auch nicht nach seinen elementen halten, sondern fressen,

saufen, huren, mer dan die elementa geben haben, also auch geschicht es mit dem himel, das er misbraucht wird.

Wie der elementisch leib die elementischen eigenschaft versauft, also geschieht es auch einem versaufer im

gestirn, das keiner dahin komen mag, dahin er geboren ist. Also zu besserer erklerung wissent, das aus der

selbigen schul das liecht der natur grüntlichen mag genomen werden, auf das wir nicht on das liecht der natur auf

diesem ertrich wantlen und das wir die bösen influenz austreiben und eine gute an uns ziehen. Wie ein schüler in

der schul anderst gehogen wird und mer lernet, dan wan er nicht gen schule ginge und hat die wal, was bücher er

will, aus denen mag er lernen…»39

So wie die Astrologie die Anlagen des Menschen aufzeigt, so findet man durch das

Praktizieren der Alchemie, durch das künstliche Eingreifen des Menschen in die Natur, erst

die Kräfte heraus, die in der Natur stecken. Der Mensch ringt der Natur in aktiver Handlung

ihre Geheimnisse ab und beherrscht die Natur. Er ist nicht mehr passiver Teil einer

geschlossenen, teleologisch und organologisch geordneten Welt, die den Platz des einzelnen

vorherbestimmt und für die Wissenserweiterung über das schon Bekannte hinaus unmöglich

ist. Folgerichtig vergleich Paracelsus die Tätigkeit des Arztes und Alchemisten mit der

Tätigkeit des Handwerkers:

«Alchimia, der dritte grund medicinae. (Der dritte tractat, von der alchimia.):

Nun weiter zu dem dritten grund, darauf die arznei stehet, ist die alchimei. Wo hierin der arzt nicht bei dem

höchsten und größten geflissen und erfaren ist, so ist es alles umbsonst, was sein kunst ist. Dan die natur ist so

subtil und so scharpf in iren dingen, das sie on große kunst nicht will gebrauchet werden; dan sie gibt nichts an

tag, das auf sein stat vollendet sei, sonder der mensch muss es vollenden, diese vollendung heißet alchimia, dan

ein alchimist ist der becke in dem so er brot bacht, der rebman in dem so er den wein macht, der weber in dem

das er tuch macht. Also was aus der natur wachst dem menschen zu nuz, derselbige der es dahin bringt, dahin es

verordnet wird von der natur, der ist ein alchimist. Auf solches nun so wisset ein solche unterscheid mit dieser

kunst, das zu gleicher weis als, so einer neme ein schafshaut und legt sie so rohe an für einen belz oder für einen

rok, wie grob und ungeschikt das ist gegen dem kürsner und tuchmacher, also grob und ungeschikt ist es, so

einer aus der natur etwas hat und dasselbig nicht bereit, un mer grob und ungeschikter; dan es trifft ane

gesuntheit und den leib und das leben. Darumb mer fleiß darinnen zu suchen und zu haben ist. Nun haben aber

alle hantwerk der natur nachgegrünt und erfaren ir eigenschaft, das sie wissen in allen iren dingen, der natur

nachzufaren und das höchst als in ir ist daraus zubringen.»40

Von dieser «Kraft der Natur» war es jedoch noch ein weiter Weg, bis sich ein

Kraftbegriff in der Physik herausbilden konnte, der mit den Vorstellungen von universaler

Beseelung und Sympathie nichts mehr zu tun hatte. Es finden sich im 16. Jahrhundert noch

viele Naturforscher, die beide Konzeptionen neben- und miteinander vertreten. Auch Kepler

hat erst nach langem Hin und Her die Beseelungsidee aufgegeben. Wir haben schon (S. 66 f)

zwei Briefe von ihm zitiert, in denen er die Idee vom Weltall als göttlichem Organismus

verwirft und stattdessen das Weltall mit einem Uhrwerk vergleicht.

1596 schrieb er noch in seinem «Mysterium cosmographicum» (Weltbeschreibungs-

Geheimnis):

«Wenn wir nun aber auch näher an die Wahrheit herantreten und irgendeine Gleichheit in den Verhältnissen [der

Planetenbewegungen zu den Planetenbahnen] erhoffen wollen, so müssen wir eine der beiden folgenden

Festsetzungen treffen: entweder sind die bewegenden Seelen* [motrices animae; gemeint: der Planeten] um so

schwächer, je weiter sie von der Sonne entfernt sind, oder es gibt nur eine bewegende Seele** im Mittelpunkt

aller Bahnen, d.h. in der Sonne, die einen Körper umso stärker antreibt, je näher er ihr liegt, bei den entfernteren

aber wegen des weiten Weges und der damit verbundenen Schwächung der Kraft gewissermaßen ermattet. Wie

also in der Sonne die Quelle des Lichtes liegt und der Ursprung der Bahn am Ort der Sonne, d.h. im Mittelpunkt

sich befindet, so gehen nun Leben, Bewegung und Seele der Welt auf die Sonne zurück.»

25 Jahre später (1621) gibt Kepler eine neue Ausgabe des «Mysterium Cosmographicum»

mit vielen Anmerkungen heraus, nachdem er seine nach ihm benannten Gesetze gefunden und

sein Hauptwerk veröffentlicht hatte. In den neuen Anmerkungen zu der eben zitierten Stelle

heißt es nun:

«*Dass es solche [bewegenden Seelen] nicht gibt, habe ich in den Marskommentaren [= Astronomia Nova,

1609] bewiesen.

**Wenn man statt des Wortes <Seele> [anima] das Wort <Kraft> [vis] setzt, hat man gerade das Prinzip, auf

dem die Himmelsphysik in den Marskommentaren grundgelegt und in der Epitome [Astronomiae Copernicanae,

1618-20] IV vervollkommnet worden ist. Dereinst war ich nämlich festen Glaubens, dass die die Planeten

bewegende Ursache eine Seele sei, erfüllt von den Lehren des J.C. Scaliger über die bewegenden Seelenkräfte.

Als ich aber darüber nachdachte, dass diese bewegende Ursache mit der Entfernung nachlässt, genau wie auch

das Licht der Sonne mit der Entfernung von der Sonne schwächer wird, zog ich den Schluss, diese Kraft sei

etwas Körperliches, freilich nicht im eigentlichen Sinne, sondern nur der Bezeichnung nach, wie wir auch sagen,

das Licht sei etwas körperliches und damit eine von dem Körper ausgehende, jedoch immaterielle Species

meinen.»41

Später war es einer der Haupteinwände der Cartesianer gegen Newtons

Gravitationstheorie, dass die Schwerkraft als eine in die Ferne, auch durchs Vakuum

wirkende Kraft, eine «qualitas occulta», eine geheimnisvolle, alchemistische Eigenschaft sei,

die in Newtons Theorie mechanisch nicht erklärt werde. Newton versuchte auch tatsächlich

sein ganzes Leben lang, eine mechanische Ursache für die Schwerkraft zu finden und

schwankte zwischen einer Erklärung durch die Annahme eines Äthers und einer Erklärung,

die die Schwerkraft mit dem göttlichen Wirken in der Natur gleichsetzte.

Die Ideen von der Beseeltheit der Welt und de Wirkung von Sympathien in der Welt

haben auch William Gilbert (1540-1603) beeinflusst. Er schrieb 1568 das 1600 veröffentlichte

Buch «De magnete», das die erste, im modernen Sinne experimentelle Abhandlung überhaupt

genannt wurde. Dieses Werk war für Magnetismus und Elektrizitätslehre bahnbrechend. In

gewissem Maße gehört es auch zur Vorgeschichte der Newtonschen Gravitationstheorie.

In circa 50 sorgfältigen Experimenten versuchte Gilbert, die seit der Antike bekannten

Phänomene des Magnetismus zu klären. Er unterschied als einer der ersten zwischen

elektrischer und magnetischer Anziehungskraft und kam zum Schluss, dass die Erde selbst ein

Magnet sei. Er nahm sich als Modell einen kugelförmig geschliffenen Magneten, den er «die

kleine Erde» (terrella) nannte:

«Da ja die Kugelgestalt, die auch die vollkommenste ist, mit der kugelförmigen Erde am meisten übereinstimmt

und sich zum Gebrauch und zu Versuchen am besten eignet, so sollen wir unsere hauptsächlichsten Darlegungen

am Magnetstein mit einem kugelförmigen Magneten machen, der sozusagen ein vollkommener und hierfür

passenderer ist.

Nimm also einen kräftigen, massiven Magneten von angemessener Größe, der gleichförmig, hart und

unversehrt ist. Mache aus ihm eine Kugel auf einer Drehscheibe, mit der Kristalle und andere Steine geschliffen

werden, oder mit anderen Werkzeugen, wie es Stoff und Festigkeit des Steines erfordern, die manchmal nur

schwer künstlicher Bearbeitung nachgibt. Dieser so zubereitete Stein ist der wahre, gleichartige Sprössling der

Erde und ihr an Gestalt gleich. Er hat die kugelrunde Gestalt, die die Natur von Anfang an der gemeinsamen

Mutter Erde gegeben hat, künstlich erhalten und ist ein physischer kleiner Körper, mit vielen Kräften

ausgestattet, durch den viele in der Naturwissenschaft verborgene und vernachlässigte Wahrheiten, die in einer

bejammernswerten Dunkelheit liegen, den Menschen recht leicht bekannt werden können. Dieser runde Stein

wird von uns «Mikroge» oder «terrella» genannt.

Um nun die der Erde entsprechenden Pole zu finden, halte den runden Stein in der Hand und lege oben auf

ihn eine eiserne Nadel oder einen Eisendraht: es bewegen sich die Enden des Drahtes um seinen Schwerpunkt

und kommen plötzlich zur Ruhe. Auf dem Stein bezeichne mit Ocker oder Kreide die Stelle, wo der Draht liegt

und zum Stillstand gekommen ist. Bewege dann die Mitte oder den Schwerpunkt des Drahtes nach einer anderen

Stelle hin und ebenso nach einer dritten und vierten unter stetem Zeichnen auf dem Stein in der Längsrichtung

des zur Ruhe gekommenen Eisendrahtes. Diese Linien zeigen auf dem Stein oder der terrella die Meridiankreise

oder solche, die den Meridianen ähnlich sind; dass diese alle in den Polen des Steines zusammenlaufen, wird klar

sein. Aus den in dieser Weise sich schneidenden Kreisen werden die Pole gebildet, der Nordpol sowohl wie der

Südpol, und zwischen ihnen kann man in mittlerem Abstande einen größten Kreis als Äquator ziehen, nicht

anders, als wie ihn die Astronomen am Himmel und an ihren Himmelskugeln und die Geographen auf der

Erdkugel beschreiben; denn diese Linie, die so auf unserer terrella gezeichnet ist, gebrauchen wir

verschiedentlich bei unseren Darlegungen und magnetischen Versuchen.»42

Fast das gesamte Buch, das auch von dem Gebrauch des Magnetkompasses in der

Schiffahrt und astronomischen Themen handelt, ist in ähnlicher, nüchternern, von

experimentellem Geist geprägter Sprache gehalten. Es gibt jedoch ein Kapitel, in dem Gilbert

an die magische neuplatonische Tradition anknüpft:

«Kapitel XII.

Die magnetische Kraft ist belebt oder gleicht einer Seele; in vieler Hinsicht ist sie der menschlichen Seele

überlegen, solange diese mit dem organischen Körper verbunden ist. Wunderbar und gleichsam belebt hat sich

der Magnetstein in vielen Experimenten gezeigt. Und dies ist dieselbe hervorragende Eigenschaft, die den Alten

als Seele im Himmel, in den Himmelskugeln und Sternen, in Sonne und Mond galt. Denn sie glaubten, dass ohne

eine göttliche und belebte Natur nicht so verschiedene Bewebungen erzeugt werden, so riesige Körper in festen

Zeiten umlaufen, so wunderbare Kräfte anderen Körpern eingeflößt werden könnten; wobei die ganze Welt in

schönster Mannigfaltigkeit blüht durch diese ursprüngliche Form der Himmelskugeln selbst. Die alten

Philosophen wie Thales, Heraklit, Anaxagoras, Archelaus, Pythagoras, Empedokles, Parmenides, Plato und

sämtliche Platoniker – und nicht nur die alten Griechen, sondern auch die Ägypter und Chaldäer -, sie alle

suchen nach einer gewissen universalen Weltseele und versichern, dass die ganze Welt mit einer Seele versehen

sei. Aristoteles hielt nicht das gesamte Universum für beseelt, sondern nur den Himmel. Seine Elemente

bestimmte er als in Wahrheit unbeseelt, die Sterne hingegen für beseelt. Wir finden unsererseits diese Seele ur in

den Himmelskugeln, und zwar in den gleichartigen Teilen derselben; wobei nicht gesagt ist, dass sie in allen

gleich ist. (Die Seele der Sonne und die Seelen bestimmter Sterne sind nämlich den Seelen in weniger edlen

Himmelskugeln überlegen.) In vielen Wirkungen sind sich die Seelen der Globen jedoch gleich. Denn so strebt

jeder gleichartige Teil zu seiner ihm gemäßen Himmelskugel und neigt sich in die Richtung, die der ganzen Welt

gemein ist, und die ausgeströmten Formen treten aus allen hervor und bilden eine Kugelschale mit ihren eigenen

Grenzen. Von daher leitet sich ab die Ordnung aller Bewegungen und der Umläufe der Planeten, ihre

Regelmüßigkeit und ihre feststehenden und bestimmten Kreisläufe, in denen sie nie umherschwankten. Daher

gesteht Aristoteles den Sphären selbst und den himmlischen Kugelschalen (die er sich ausgedacht hat) eine Seele

zu, weil sie zur Kreisbewegung und zu Handlungen fähig und geeignet sind und sich in feststehenden und

bestimmten Bahnen bewegen. Da ist es doch in der Tat verwunderlich, warum als einzige die Erdkugel mit ihren

Ausströmungen nach seiner und seiner Nachfolger Meinung eine Ausnahme bilden solle und (gleichsam ohne

Verstand und ohne Seele) ins Exil geschickt und aus der Vollkommenheit der oberen Welt vertrieben wird. Im

Vergleich zum Ganzen ist sie nur ein dürftiges Korpuskelchen, und in der Unzahl von vielen Tausenden ist sie

finster, unbedeutend und missgestaltet. Daran reihen die Aristoteliker noch gleich geartete Elemente, in gleichem

Unglück elend und vernachlässigt. In der aristotelischen Welt muss es daher monströs erscheinen, wenn alle

Dinge vollkommen, lebendig, belebt sind und einzig die Erde, der unglückliche Winzling, unvollkommen,

sterblich, unbeseelt und verderblich ist. Im Gegensatz dazu anerkennen Hermes, Zoroaster, Orpheus und eine

universale Seele. Auch wir halten die ganze Welt für beseelt, alle Himmelskugeln, alle Stern, auch die

hochgerühmte Erde, und glauben, dass sie von Anfang an von den ihnen eigenen Seelen gelenkt werden, die ihre

Bewegungen erhalten…

Die Körper der Himmelskugeln haben Seelen nötig, damit die Teile der Welt sich unterscheiden, für sich

existieren und in ihrem Zustand verharren. Diese Seelen müssen mit ihnen verbunden sein, sonst gäbe es weder

Leben noch Urzeugung noch Bewegung, Vereinigung, Ordnung, Beständigkeit, auch kein Zusammenwirken,

keine Sympathie und kein Entstehen von Dingen, keine Jahreszeiten und keine Fortpflanzung. Alles ginge

drunter und drüber, und die ganze Welt würde ins tiefste Chaos stürzen, sie wäre am Ende leer, tot und

unbrauchbar. Aber die Zahl der Seelen kann nur in den äußeren Umgebungen der Himmelskugeln und beseelten

Dinge augenscheinlich wahrgenommen werden, an deren großer und angenehmer Vielfalt sich der höchste

Schöpfer erfreut. Aber jene Seelen [in den Kugeln], die gleichsam hinter Gittern eingekerkert sind, senden ihre

immateriellen, ausgeströmten Formen nicht über die Begrenzungen eines Körpers hinaus. Körper werden von

ihnen auch nur mit Arbeit und Anstrengung bewegt. Durch einen Hauch werden sie angetrieben und

hinausgetragen. Wenn diese jedoch durch einen widrigen Umstand zur Ruhe kommt und unterdrückt wird, dann

liegen die Körper still gleichsam als Bodensatz der Welt oder wie Exkremente der Himmelskugeln. Diese aber

bleiben und sind beständig, sie werden bewegt und vorwärts gebracht, und sie ziehen Bahnen ohne Erschöpfung

und Kraftverlust. Die menschliche Seele benutzt die Vernunft und sieht viele Dinge und untersucht noch sehr

viel mehr. Aber wie gut auch immer sie ausgestattet sein mag, sie erhält von den äußeren Sinnen (gleichsam wie

durch ein dichtes Netz) das Licht und die Anfänge [principia] der Erkenntnis. Von daher stammen so viele

Irrtümer und Dummheiten, von denen unsere Urteil und die Verrichtungen des Lebens so sehr durcheinander

gebracht werden, dass wenige Menschen oder keine ihre Tätigkeiten richtig und gerecht ausführen. Aber die

magnetische Kraft der Erde und die formhafte Seele oder beseelte Form der Himmelskugeln hat, ohne Sinne,

ohne Irrtum, ohne die Beeinträchtigungen durch die so gegenwärtigen Krankheiten und Übel, einen ihr

eingepflanzten Antrieb [actus insitus] durch die ganze Materiemasse hindurch wirkend, der schnell, feststehend,

beständig, lenkend, mitbewegend, beherrschend und harmonisch ist. Von diesem Antrieb werden das Entstehen

und Vergehen von allen Dingen auf der Oberfläche [der Kugeln] verbreitet. Denn ohne jene Bewegung, durch

die die tägliche Umdrehung ausgeführt wird, würden alle Dinge bei uns auf der Erde schrecklich und will d und

schon immer verlassen und ganz und gar ungebraucht verbleiben. Aber diese Bewegungen in den Quellen der

Erde entstehen nicht aus Gedanken oder spitzfindigen Schlüssen und Vermutungen wie die menschlichen

Handlungen, welche unentschieden, unvollkommen und unbestimmt sind. Vielmehr gehen jene Bewegungen

Hand in Hand mit Vernunft, Ordnung, Wissenschaft und Entscheidungsfähigkeit, von denen sich sichere und

bestimmte Bewegungen von den festen Fundamenten und Ursprüngen der Welt herleiten, die wir wegen des

Unvermögens unserer Seele nicht erkennen können. Daher war Thales (wie Aristoteles in seinem Buch <De

anima> [Über die Seele] schreibt) nicht ohne Grund der Meinung, dass der Magnetstein beseelt sei und Teil ist

unserer beseelten Mutter Erde und ihr geliebter Sprössling.»43

Je weiter das 17. Jahrhundert fortschreitet und je größer der Galileisch-Cartesisch-

Newtonsche Einfluss wird, desto mehr verschwindet der neuplatonisch-mysteriöse

Hintergrund aus den Schriften der Naturforscher. Was blieb, war die Überzeugung, dass der

Mensch mit Hilfe des Experiments die Natur nicht überlistet, sondern im Gegenteil ihre

Prinzipien ausnützt. Die für die Entstehung der modernen Naturwissenschaft so wichtigen

Erfindungen des Buchdrucks, des Kompasses und Schießpulvers, anfänglich noch als

Ergebnisse magischer Praktiken verstanden, sind nun ganz natürliche Mittel zur immer

größeren politischen Machtentfaltung.

Instrumente und Messungen

Neue Instrumente, mit denen Experimente ausgeführt wurden, spielen bei der Entstehung der

modernen Naturwissenschaften eine große Rolle. Jedoch ist in gewisser Weise die

entscheidende Phase der wissenschaftlichen Revolution schon vorbei gewesen, bevor die

neuen experimentellen Hilfsmittel und Messinstrumente – genaue Uhr, Fernrohr, Mikroskop,

Thermometer, Barometer und Luftpumpe – erfunden worden sind und bevor nicht nur

qualitative Experimente, sondern auch quantitative Messungen damit durchgeführt wurden:

Zuerst haben sich die Denk-, Wertschätzungs- und Anschauungsformen selbst ändern müssen,

bevor ihre konkrete Anwendung auf die neu definierte Erfahrung systematisch vonstatten

gehen konnte.

Eines der sehr wenigen Beispiele der Zeit (sehr wahrscheinlich sogar das einzige) für

Beobachtungen, bei denen es die Genauigkeit war, die die Entwicklung der

naturwissenschaftlichen Ideen beeinflussen sollte, waren Brahes astronomische

Beobachtungen, die er ohne das erst später erfundene Fernrohr durchführte. Die Instrumente,

die er benutzte, waren sehr genau gearbeitet und hatten um vieles größere und besser

kalibrierte Formen als die im Mittelalter gebräuchlichen Instrumente, die im wesentlichen auf

antike Vorformen zurückgehen. Tycho Brahe stellte im Jahre 1600 dem ihm nach Prag

gefolgten Kepler die Aufgabe, die Marsbahn aus seinen Beobachtungen zu bestimmten.

Kepler entwarf zuerst eine Theorie der Marsbewegung, die auf acht Bogenminuten genau

war. Noch Copernicus war wie Ptolemäus mit einer Genauigkeit von zehn Bogenminuten

zufrieden. Tycho Brahes Beobachtungskunst brachte jedoch eine Genauigkeit von mindestens

vier Bogenminuten und besser. Kepler schreibt in der «Astronomia nova» (Neue Astronomie,

1609; s. Abb. 56 b):

«Es muss also in unseren Annahmen etwas Falsches sein. Wir hatten aber angenommen, dass die Bahn, auf der

der Planet seinen Umlauf ausführt, ein vollkommener Kreis ist, ferner, dass es auf der Apsidenlinie [das ist die

Linie, die den sonnennächsten Punkt mit dem sonnenfernsten Punkt des Planeten verbindet, QP] einen einzigen

Punkt gibt [der so genannte Ausgleichspunkt A], in einem bestimmten festen Abstand vom Mittelpunkt des

Exzenters [= Ausgleichskreis, dessen Mittelpunkt von der Sonne etwas versetzt ist], an dem Mars in gleichen

Zeiten gleiche Winkel bildet.

Eine dieser Annahmen ist also falsch oder vielleicht alle beide. Denn die benützten Beobachtungen sind

nicht falsch.»

Kepler hatte, wie Ptolemäus, angenommen, dass der Abstand des Ausgleichspunktes vom

Mittelpunkt des Ausgleichskreises und der Abstand der Sonne vom Mittelpunkt gleich große

ist und war zu der genannten Abweichung von acht Bogenminuten gekommen. Etwas später

heißt es:

«Aus dieser so geringen Abweichung von acht Minuten ergibt sich die Ursache, warum es Ptolemäus, der die

gleiche Teilung brauchte, bei seinem fest angenommenen Ausgleichspunkt hat bewenden lassen. Denn wenn

man die Exzentrizität des Ausgleichskreises in der Größe, wie sie unzweifelhaft von den größten Gleichungen in

den mittleren Längen gefordert wird, halbiert, so tritt, wie man sieht, im Maximum ein Fehler von 8’ auf, und

zwar beim Mars, dessen Exzentrizität am größten ist; bei den anderen Planeten ist er noch kleiner. (In den

Prosthaphäresen der Erdbahn jedoch wächst dieser Fehler von 8’ gelegentlich auf 30’ an.) Ptolemäus aber

erklärt, er gehe über eine Genauigkeitsgrenze von 10’, d.h. 1/6 Grad, beim Beobachten nicht hinaus. Die

Ungenauigkeit oder (wie man sich ausdrückt) der Spielraum bei der Beobachtung übertrifft also den Fehler

dieser ptolemäischen Rechnung.

Für uns, denen die göttliche Güte in Tycho Brahe einen so sorgsamen Beobachter geschenkt hat, aus dessen

Beobachtungen der Fehler der ptolemäischen Rechnung im Betrag von 8’ sich verrät, geziemt es sich, dass wir

dankbaren Sinnes diese Wohltat Gottes anerkennen und ausnützen. Das heißt, wir sollen uns Mühe geben, dass

wir (unterstützt durch die Beweisgründe für die Falschheit unserer angenommenen Voraussetzungen) endlich die

wahre Form der Himmelsbewegungen aufspüren. Diesen Weg will ich im folgenden selber nach meiner Weise

anderen vorangehen. Denn wenn ich geglaubt hätte, man dürfte diese 8’ in der Länge vernachlässigen, so hätte

ich die im 16. Kap. Aufgestellte Hypothese (durch die gleiche Teilung der Exzentrizität) bereits hinreichend

verbessert. Da jener Fehler aber jetzt nicht vernachlässigt werden durfte, so wiesen allein diese 8’ den Weg zur

Erneuerung der ganzen Astronomie; sie sind der Baustoff für einen großen Teil dieses Werkes geworden.»44

Nun versuchte sich Kepler an verschiedenen neuen Hypothesen, die nicht auf Kreisen

beruhen. 1602 hatte er schon sein so genanntes zweites Gesetz gefunden, das besagt, dass der

Radiusvektor von der Sonne zum Planeten in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstreicht,

und 1605 das erste Gesetz, nach dem die Planeten auf Ellipsenbahnen, in deren einem

Brennpunkt die Sonne steht, laufen. Beide Gesetze sind in der «Astronomia nova» 1609

veröffentlicht. Das dritte Gesetz, dass die Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten sich wie

die Kuben ihrer mittleren Sonnenentfernungen verhalten, fand Kepler 1618 und

veröffentlichte es 1619 in den «Harmonices mundi libri quinque» (Die fünf Bücher über die

Harmonie der Welt).

In der Astronomie war es bislang nicht üblich gewesen, Beobachtungen mit genauen

Zeitangaben zu versehen. Allmählich jedoch wurde es für die Astronomie und Physik,

besonders jedoch für die Schiffahrt wichtig, genau gehende Uhren zu benutzen. Zur Sonnen-,

Sand- und Wasseruhr war gegen Ende des 13. Jahrhunderts die Gewichts-Räderuhr

hinzugekommen – wir wissen nicht, wer sie erfunden hat. 1585 gelang es Jost Bürgi (1555-

1632), dem Hofuhrmacher des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen, die Ganggenauigkeit

von Räderuhren entscheidend zu verbessern. Der Landgraf, der sich selbst astronomisch

betätigte, verwendete erstmals 1586 Bürgis Uhren zu einer sekundengenauen Bestimmung

einer astronomischen Beobachtung, dem Meridiandurchgang bestimmter Fixsterne. Er

berichtete Tycho Brahe davon, der dann ab 1587 erstmals selbst auf seiner Sternwarte in

Hveen/Dänemark Uhren mit Sekundenangabe verwendete und die Beobachtungen mit

genauen Zeitangaben versah.

Ende des 15. Jahrhunderts kamen die ersten tragbaren Uhren auf. Die Funktion, die das

Gewicht bei den Turmuhren ausübt, wurde jetzt von einer Blattfeder übernommen. Den ersten

Bericht über die so genannten Halsuhren der Nürnberger Uhrmacher gab Johannes Cochläus

(oder Cocleus) 1511 im Anhang zur «Cosmographia Pomponii Melae»:

«Tag für Tag erfinden sie ausgeklügelte Sachen. So Petrus Hele [Peter Henlein], ein noch junger Mann, dessen

Arbeiten von den gelehrtesten Mathematikern bewundert werden. Aus einem bisschen Eisen stellt er Uhren her,

die mit zahlreichen Rädern ausgestattet sind, und in jedweder Lage gehen sie ohne Gewicht vierzig Stunden lang

und zeigen die Zeit an und schlagen, auch wenn sie am Band in der Tasche getragen werden.»45

Die Genauigkeit der Taschenuhren ließ jedoch noch lange zu wünschen übrig. Da die

Kraft der Feder geringer wird, je weiter die Feder sich im Lauf der Zeit lockert, muss man

einen Ausgleich schaffen, um einen konstanten Antrieb zu erreichen. Es gab verschiedene

Ausgleichsmethoden, die aber noch für lange Zeit unausgereift blieben.

Galilei fand 1582 heraus, dass Pendel isochron schwingen, d.h., die Dauer ihres

Ausschlags gleich bleibt, auch wenn die Weite des Pendelausschlags variiert. Kurz vor

seinem Tode (1642) entwarf Galilei einen Plan, wie man diese Entdeckung zum Uhrenbau

ausnützen könne. Er kam aber nicht mehr zur konkreten Ausführung. 1649 bauten einige

seiner Schüler ein von ihm entworfenes Gerät nach, das die Anzahl der Schwingungen eines

Pendels zählt.

1656/57 erfand schließlich Christiaan Huygens (1629-1695) ohne Kenntnis der

Galileischen Überlegungen die Pendeluhr, mit der er Ganggenauigkeiten von fünf Sekunden

täglich erreichte. Bürgis Uhren hatten es auf eine Minute Genauigkeit gebracht. Huygens fand

auch, dass die Pendelisochronie bei normaler Aufhängung nicht genau gilt. Mit der Pendeluhr

war nun eines der grundlegendsten Messinstrumente für wissenschaftliche Zwecke

geschaffen. 1675 erfand Huygens für die Taschenuhr die Spiralfeder-Unruhe, die auf

demselben Prinzip wie das Pendel beruht. 1665 versuchte er, wenn auch vergeblich, eine

Pendeluhr zu bauen, die gegen die Schwingungen eines Schiffes unempfindlich ist. Erst der

Mechaniker John Harrison (1693-1776) hatte 1735 damit Erfolg. 1759 baute er die erste Uhr

(ein Taschenchronometer), die von der Royal Society nach festgesetzten Kriterien als

seetüchtig und für die Längenbestimmung auf See verwendbar angesehen wurde.

Die aufstrebende Schiffahrt des 15. Jahrhunderts verlangte auch nach besseren Karten.

1486 umrundete Bartholomäus Diaz das Kap der Guten Hoffnung, und 1497 kam Vasco da

Gama auf diesem Wege bis Indien. 1492 hatte Kolumbus die Westindischen Inseln erreicht.

Die neu entwickelten Methoden der See- und Landvermessung knüpften ebenfalls an antike

Methoden an. Etwa 1405 wurden die kartographischen und geographischen Schriften des

Ptolemäus bekannt und ins Lateinische übersetzt. Sie zirkulierten in vielen Abschriften, bis

sie erstmals 1477 gedruckt wurden. Ptolemäus hatte zwei Methoden angegeben, wie man die

Erdkugeloberfläche auf eine zweidimensionale Ebene projizieren kann. Diese Methoden

waren auch sehr wichtig für die Entwicklung der perspektivischen Zeichentechnik (siehe auch

S. 53 und auch den Text von Rheticus, S. 76).

Die Ortsbestimmung eines Schiffes auf hoher See bereitete sehr große Schwierigkeiten.

Die geographische Breite konnte z.B. durch die Polarsternhöhe gemessen werden. Aber für

die Bestimmung der geographischen Länge gab es noch keine sichere Methode. Man konnte

höchstens durch die Beobachtung momentaner Himmelsereignisse (zum Beispiel

Finsternisse) und durch Vergleich mit Tabellen des gleichen Ereignisses für einen anderen Ort

den Längenunterschied zwischen beiden Orten herausfinden. Der Zeitunterschied, mit dem

zum Beispiel der Eintritt einer Mondfinsternis beobachtet wird, ergibt den Längenunterschied.

Da Finsternisse aber selten auftreten, ist diese Methode für die Schiffahrt ungeeignet.

1530 zeigte R. Gemma Frisius (1508-1555) in seinem Buch «De Principiis Astronomiae

et Cosmographiae» (Über die Prinzipien der Astronomie und der Weltbeschreibung)

theoretisch, wie man die Länge auf See mit einer Uhr finden kann: Es wird eine genaue Uhr

mitgeführt, die während der Schiffsreise die Hafenzeit beibehält. Der Unterschied zwischen

dieser Zeit und der Ortszeit des Schiffes (die zum Beispiel mit Kompass und Sonne bestimmt

werden kann) ergibt den Längenunterschied zwischen Hafen und Standort. Da jeder Punkt auf

der Erdoberfläche einmal in 24 Stunden um die Erdachse herumwandert, also 360° beschreibt,

entspricht einem Zeitunterschied von einer Stunde ein Längenunterschied von 15 °. Die bei

dieser Methode verwendete Uhr muss natürlich sehr genau sein, denn auch kleine

Ungenauigkeiten ergeben umso größere Fehler, je länger das Schiff unterwegs ist.

Um nicht nur die Position eines Schiffes in Länge- und Breitengraden, sondern auch

seinen Abstand vom Ursprungshafen in Längeneinheiten angeben zu können, musste man den

Abstand zwischen zwei Längengraden bei fester Breite bestimmen, eine so genannte

geodätische Längengradmessung ausführen. Nach unbefriedigenden antiken und islamischen

Versuchen hat erst wieder 1528 der französische Arzt und Mathematiker Jesnel eine

Gradmessung durchgeführt. Ihm folgten 1617 die Holländer Willebrord Snell (1580-1626),

der in der theoretischen Grundlegung wichtige Arbeiten verfasste, 1635 der Engländer

Norwood, und schließlich führte der Pater Jean Picard (1620-1682) im Auftrag der Pariser

Acadèmie des Sciences die erste einigermaßen befriedigende Gradmessung 1671 durch.

In der Landvermessung führe Gemma Frisius 1533 die Triangulation ein, die Messung

der Entfernung eines Punktes mit Hilfe der bekannten Grundseite eines Dreiecks und den

zwei daran anliegenden beobachteten Winkeln. Auf einer Verallgemeinerung dieser Methode

beruhte auch die Vermessung der Minen und Bergwerke, die so genannte Markscheidekunst,

über die uns Georg Agricola (1494-1555) in seinem 1556 auf Lateinisch und im folgenden

Jahr auf deutsch erschienenen Werk «De re metallica» (Vom Berg- und Hüttenwesen), das bis

ins 19. Jahrhundert ein grundlegendes Handbuch blieb, berichtet:

«Nachdem ich den ersten Teil dieses Buches vollendet habe, komme ich nun zu dem zweiten, in dem ich die

Markscheidekunst behandeln werde. Die Bergleute vermessen die Gebirgsmassen, damit die Besitzer im voraus

Berechnungen anstellen können und damit ihre Häuser nicht in fremde Felder eindringen. Der Markscheider

misst nämlich entweder die noch nicht durchschlägig gewordene Strecke zwischen dem Stollenmundloch und

dem bis zu seiner Tiefe niedergebrachten Schacht oder zwischen der Schachtmündung und dem Stollen, der bis

unter diese vorgetrieben ist, oder auch zwischen den beiden, wenn weder der Stollen schon so lang ist, dass er

bis zum Schachte reicht, noch der Schacht so tief, dass er den Stollen trifft. Beides aber ist bei einer Grube nötig.

Oder er bestimmt bei den Sollen oder Querschlägen die Begrenzungen genauso, wie der Bergmeister über Tage

die gleichen Grenzen festlegt. Beide Arten der Vermessung beruhen auf einer Dreiecksmessung. Ein kleines

Dreieck wird ausgemessen und daraus auf die größeren geschlossen. Dabei muss man sich ganz besonders davor

hüten, auch nur im Geringsten vom richtigen Maße abzuweichen. Denn wenn im Anfang durch Nachlässigkeit

auch nur ein ganz kleiner Fehler gemacht worden ist, so können daraus zuletzt die allergrößten Irrtümer

entstehen. Da weder alle Schächte wegen ihrer Verschiedenartigkeit in ein und derselben Weise abgeteuft

werden, noch die Hänge der Berge in gleichartiger Weise nach einem Tal oder einer Ebene abfallen, so entstehen

Dreiecke von sehr vielfältiger Gestalt.»46

Von den verschiedenen Vermessungsmethoden, die Agricola nun anführt, sei eine

ausgewählt:

«Der Markscheider stellt zunächst, wenn die Balken des Schachthauses nicht geeignet sind, ein Querholz darauf

zu legen, an beiden Seiten des Schachtes ein Joch auf, sodann lässt er eine an der quer darüber gelegten Latte

befestigte und durch ein Gewicht beschwerte Schnur in den Schacht hinab. Darauf spannt er eine zweite Schnur,

die am oberen Ende der ersten befestigt ist, über den Abhang des Berges hinab bis zur Sohle des

Stollenmundloches und befestigt sie dort im Boden. Ferner lässt er nicht weit von der ersten entfernt eine dritte,

ebenfalls an dem Querholz befestigte und durch ein Gewicht beschwerte Schnur in den Schacht hinab, und zwar

so, dass sie die zweite, schräg abwärts führende schneidet. Von dem Punkte ausgehend, wo die dritte Schnur die

zweite, schräg abwärts nach dem Stollenmundloch führende Schnur schneidet, misst er den nach oben zeigenden

Teil der schräg abfallenden Schnur, der bis zum Aufhängepunkt der ersten Schnur reicht, und schreibt sich

dieses erste Maß auf. Sodann misst er, wiederum von dem Punkte ausgehend, wo die dritte Schnur die zweite

schneidet, den Normalabstand zwischen ihr und der ersten Schnur und erhält so ein Dreieck, indem er in gleicher

Weise das zweite Maß aufzeichnet. Endlich misst er noch, wenn erforderlich, von dem Winkel aus, den die erste

Schnur mit der zweiten bildet, bis zum Ende der ersten Schnur und zeichnet auch dieses Maß ein. Wenn der

Schacht saiger [senkrecht] ist oder als falscher Schacht auf demselben Gang steht, in dem der Stollen getrieben

ist, muss die Länge der ersten Schnur der Länge des oberen Teiles der dritten Schnur bis zur zweiten

entsprechen. Ebenso oft mal, wie die Länge der ersten Schnur in der ganzen Länge der schräg nach abwärts

führenden Schnur enthalten ist, muss die zweite Schnur genommen werden, um die Entfernung zwischen dem

Stollenmundloch und dem bis auf den Stollen niedergebrachten Schacht zu finden. In gleicher Weise berechnet

sich der Abstand zwischen Schachtöffnung und Stollensohle aus der Länge der dritten Schnur.»47

Von der Vermessung im Bergwerk wieder zur Landvermessung!

Die erste moderne Landkarte, die nicht auf Ptolemäus zurückging – sie zeigte Nordeuropa

-, zeichnete 1427 der Däne Claudius Claussön Swart. Cusanus entwarf die erste moderne

Deutschlandkarte, die 1491 gedruckt wurde. Der wichtigste Kartograph im Zeitalter der

Entdeckungen war Gerhard Mercator. Er war ein Schüler von Gemma Frisius und erstellte

1569 erstmals eine Weltkarte in der nach ihm benannten Projektionsweise Dabei wird die

Globusoberfläche auf einen ihr umbeschriebenen Zylindermantel abgebildet. Diese

Projektionsmethode ist gegen die Pole zu zwar nicht flächentreu, sie hat aber den Vorteil, dass

ein konstanter Kompasskurs, das heißt eine Linie mit konstantem Kurswinkel (Loxodrome) in

der Projektion als Gerade erscheint. Die erste Karte, auf der Amerika nicht mehr mit Asien

identifiziert wurde, stammt von Martin Waldseemüller aus dem Jahre 1507.

Für die Messungen in der Astronomie wurde nun das Fernrohr zum grundlegenden

Instrument. Den ersten wissenschaftlichen astronomischen Gebrauch eines Fernrohrs machte

Galilei im Jahre 1609. Er hatte gehört, dass in Holland ein Brillenschleifer, wahrscheinlich

mit Namen Jan Lippershey, ein solches Gerät konstruiert habe und baute es sofort nach. In

seiner Schrift «Sidereus nuncius» (Sternenbote) berichtet er 1610 der Fachwelt von seinen

Untersuchungen:

«Astronomische Mitteilung. Enthält und erklärt Beobachtungen, die kürzlich mit Hilfe eines neuartigen

Augenglases gemacht wurden am Antlitz des Mondes, an der Milchstraße und den Nebelsternen, an unzähligen

Fixsternen sowie an vier Planeten, Mediceische Gestirne genannt, die noch nie bisher gesehen wurden.

Große Dinge lege ich in dieser kleinen Abhandlung den einzelnen Naturforschern zur Untersuchung und

Betrachtung vor. Große, sage ich, einmal wegen der Bedeutung der Sache selbst, sodann wegen der für alle

Zeiten unerhörten Neuigkeit und schließlich auch wegen des Gerätes, durch dessen Hilfe sich diese Dinge

meiner Sinneswahrnehmung dargeboten. Haben.

Es ist etwas wirklich Großes, zu der zahlreichen Menge von Fixsternen, die mit unserem natürlichen

Vermögen bis zum heutigen Tag wahrgenommen werden konnte, unzählige andere hinzufügen und offen vor

Augen zu stellen, die vorher niemals gesehen worden sind und die die alten und bekannten um mehr als die

zehnfache Menge übersteigen.

Ein sehr schöner und erfreulicher Anblick ist es, den Mondkörper, der etwa sechzig Erdhalbmesser von uns

entfernt ist, so aus der Nähe zu betrachten, als wäre er nur zwei solcher Länge entfernt. Dadurch erscheint der

Durchmesser des Mondes ungefähr dreißigmal, seine Oberfläche neunhundertmal und sein Volumen annähernd

siebenundzwanzigtausendmal so groß, als wenn man ihn nur mit bloßem Auge betrachtet. Man erkennt dabei

dann auf Grund sinnlicher Gewissheit, dass der Mond keineswegs eine sanfte und glatte, sondern eine raue und

unebene Oberfläche besitzt und dass er, ebenso wie das Antlitz der Erde selbst, mit ungeheuren Schwellungen,

tiefen Mulden und Krümmungen überall dicht bedeckt ist…

Was aber alles Erstaunen weit übertrifft und was mich hauptsächlich veranlasst hat, alle Astronomen und

Philosophen zu unterrichten, ist die Tatsache, dass ich nämlich vier Wandelsterne [es waren die Jupitermonde]

gefunden habe, die keinem unserer Vorfahren bekannt gewesen und von keinem beobachtet worden sind. Sie

kreisen um einen bestimmten auffallenden Stern aus der Zahl der bekannten, wie Venus und Merkur um die

Sonne, und laufen ihm bald vor, bald nach, wobei sie sich nie über bestimmte Grenzen hinaus von ihm

entfernen. Dies alles ist vor wenigen Tagen mit Hilfe eines von mir nach einer Erleuchtung durch göttliche

Gnade erdachten Augenglases entdeckt und beobachtet worden.

Vielleicht werden von tag zu Tag weitere, bedeutendere Entdeckungen entweder von mir oder von anderen

mit Hilfe eines ähnlichen Gerätes gemacht werden. Sine Form und Anfertigung sowie die Gelegenheit seiner

Erfindung werde ich zunächst kurz erwähnen und dann die Geschichte der Beobachtungen erzählen, die ich

gemacht habe.

Vor ungefähr zehn Monaten kam mir ein Gerücht zu Ohren, von einem Gewissen Belgier sei ein Augenglas

entwickelt worden, durch dessen Hilfe man sichtbare Gegenstände, mochten sie auch weit vom Auge des

Betrachters entfernt sein, so deutlich wahrnahm, als sähe man sie aus der Nähe. Von dieser wahrhaft

erstaunlichen Wirkung kursierten etliche Erfahrungsberichte, denen einige Glauben schenkten, andere nicht.

Dasselbe wurde mir wenige Tage später in einem Brief von dem französischen Edelmann Jacques Badouère aus

Paris bestätigt. Das war schließlich der Anlass, dass ich mich ganz der Aufgabe widmete, ein Prinzip zu

erforschen sowie Mittel zu ersinnen, durch die ich zur Erfindung eines ähnlichen Gerätes gelangen könnte. Sie

gelang mir wenig später, nachdem ich mich in die Lehre von den Brechungen des Lichts vertieft hatte: Ich

bereitete mir zunächst ein Bleirohr und passte in seine Ende zwei Glaslinsen ein, die auf der einen Seite beide

plan waren. Auf der anderen Seite war die eine konvex, die andere konkav. Dann legte ich das Auge an die

konkave Linse und sah die Gegenstände ziemlich groß und nahe; denn sie erschienen dreimal näher und neunmal

größer, als wenn man sie nur mit bloßem Auge betrachtete.»48

Galileis Fernrohr hatte den Nachteil, dass es ein sehr kleines Gesichtsfeld aufwies und auf

Grund der chromatischen Aberration der Linsen alle Objekte mit farbigen Rändern und oft

auch verdoppelt zeigte. Der größte Nachteil war aber der, dass Galilei – entgegen seiner

Ankündigung im «Sidereus nuncius» - keine Theorie lieferte, die die Fernrohrwirkungen auf

das menschliche Auge und die Fernrohrstörungen befriedigend erklärt hätte. Wir müssen uns

vor Augen halten, dass damals die Zweiteilung des Kosmos in die sublunare Welt und in die

qualitativ davon verschiedene Welt über dem Monde (siehe Abschnitt 2) noch allgemein

vertreten wurde und es (auch von der neuen Naturwissenschaft her gesehen) noch keine

Beweise dafür gab, dass das Universum homogen ist und am Himmel wie auf Erden die

gleichen Gesetze gelten. Von dieser Annahme ging Galilei jedoch aus. Mit ihrer Hilfe konnte

er schließen, dass, wenn das Fernrohr auf der Erde ein echtes Bild weit entfernter

Gegenstände liefert, was man leicht nachprüfen kann, es auch von den Dingen am Himmel

ein wahres Bild liefern wird, was man nicht nachprüfen kann (bzw. bis zur bemannten

Raumfahrt nicht konnte). Aber genau diese Folgerung wurde bestritten. So schrieb zum

Beispiel Martin Horky 1610 an seinen zeitweiligen Lehrer Kepler:

«Bei den Dingen hier unten leistet es [das Fernrohr] Wunder, am Himmel täuscht es; denn manche Fixsterne

erscheinen gedoppelt.»49

Erst nachdem lange Zeit nach Galilei eine befriedigende Erklärung des Fernrohrs und des

menschlichen Auges in der Optik gelungen war, konnten umgekehrt die durch das Fernrohr

gewonnenen Bilder als Bestätigung im strengen Sinne für die Homogenität des Weltraums

gelten. Es war deshalb von den aristotelischen Gegnern des Galilei durchaus vernünftig, das

Fernrohr als mechanische Spielerei anzusehen, das die Natur verzerrt und deshalb keinerlei

Erkenntnis bringen kann. Wenn der ferne Kirchturm im Fernrohr mit farbigen Rändern

erschien, so wusste man aus eigener Anschauung, dass er in Wirklichkeit keine farbeigen

Ränder hatte. Aber wie konnte man bei den himmlischen Körpern diese trügerischen

Eigenschaften ausschalten, wo einem die eigene Anschauung als Korrektiv ja gerade fehlte?

Horky hatte seine Kritik in einem Buch von 1610 («Brevissima Peregrinatio contra nuncium

sidereum») noch ausgebaut und zu zeigen versucht, dass das Fernrohr täusche und dass die

Täuschung von der Reflexion der Lichtstrahlen durch die Linsen herrühre. Er hatte nämlich

gefunden, dass sie die Zahl der neben Jupiter sichtbaren leuchtenden Punkte, die Galilei als

Jupitermonde identifizierte, verändert und verringert, je mehr man das Fernrohr nicht

gradlinig auf den Jupiter hält, sondern gegen die Visierlinie neigt. Ein anderer Aristoteliker,

Francesco Sizi, führte in einer Schrift von 1611 an, dass Brillen, die die alten Menschen

tragen, völlig unbrauchbar seien für junge Leute. Wenn dann Alte und Jung ein Fernrohr die

Jupitermonde gleichermaßen sehen könnten, so könne das also nur auf einer Täuschung durch

die Gläser beruhen. Anderen Kritikern war es unerklärlich, warum man bei der Beobachtung

von nahen Gegenständen und auf der Erde den Abstand zwischen den Linsen verlängern

musste, jedoch bei den verschiedenen Planeten und Fixsternen, die ja auch nach der

ptolemäisch-aristotelischen Theorie verschiedene Abstände von der Erde haben, eine einzige

Linseneinstellung zu gleich guter Beobachtung genügte.

Kepler veröffentlichte 1611 seine «Dissertatio cum nuncio sidereo» (Unterhaltung mit

dem Sternenboten), in der er sich ausführlich mit Galileis Buch und Erfindung

auseinandersetzt. Er erkennt, dass das Fernrohr zu noch genaueren Messungen in der

Astronomie als die von Tycho Brahe ohne dieses Instrument gelieferten dienen kann. Aber

erst ab ca. 1660 wurde das Fernrohr für Messungen benutzt, und erst 1729 ist eine durch das

Fernrohr gelieferte quantitative Tatsache überhaupt von Bedeutung für die astronomische

Theorie geworden, als nämlich James Bradley (1693-1762) die Aberration des Lichts

entdeckte. Auch als Ole Römer (1644-1710) im Jahre 1676 zur Bestimmung der

Lichtgeschwindigkeit die Schwankungen im Eintritt der Verfinsterungen der Jupitermonde

beobachtete, machte er nur qualitativen Gebrauch vom Fernrohr. Wichtig war dabei eine gute

Uhr. Kepler unternahm es 1611, in seiner «Dioptrice», das Fernrohr optisch zu erklären. Für

eine befriedigende Theorie hätte er aber das Brechungsgesetz kenne müssen. Er fand nur eine

Näherungsformel für kleine Werte des Einfallwinkels. 1601 hatte zwar schon Thomas Harriot

(1560-1621) das Brechungsgesetz aufgestellt, aber nicht bekannt gemacht. Unabhängig davon

wurde es dann 1621 von Willebrord Snell (1580-1626) nach langen Vorarbeiten formuliert,

aber erst 1637 von Descartes (1546-1650) veröffentlicht, der wahrscheinlich von den

Vorarbeiten der anderen Forscher nichts gewusst hatte. Kepler beschrieb in seiner «Dioptrice»

auch ein Fernrohr, das nur aus bikonvexen Linsen besteht, das so genannte Astronomische

oder Keplersche Fernrohr, das Christoph Scheiner zwischen 1613 und 1617 erstmals

ausführte. Das Galileische (holländische) Fernrohr bestand aus einer bikonvexen und

bikonkaven Linse. Mit dem Keplerschen Fernrohr wurde das Gesichtsfeld wesentlich größer,

die Vergrößerung konnte über das Galileische gesteigert werden, und man konnte am

gemeinsamen Brennpunkt der Linsen ein Fadenkreuz oder einen Maßstab anbringen, der die

scheinbare Größe messbar machte. Dies führte zur Erfindung des Mikrometers im Jahre 1638

durch William Gascoigne, der es gleich zur genauen Messung der Planetenentfernungen

anwandte. Erst ab 1660 fand es nach einer Wiedererfindung breitere Verwendung. Das

Keplersche Fernrohr brachte aber auch einen Nachteil: es liefert ein umgekehrtes Bild.

Vergrößerungsgläser, die auch als Brenngläser Verwendung fanden, waren schon seit der

Antike bekannt. Das aus verschiedenen bikonvexen Linsen zusammengesetzte Mikroskop

scheint um 1590 in Holland erfunden worden zu sein, vielleicht von Zacharias Janssen.

Trotzdem wurde das einlinsige Mikroskop, also die Lupe, in der Folgezeit bis weit ins 18.

Jahrhundert nochhäufiger gebraucht, da es eine viel größere Lichtstärke aufwies als das

zusammengesetzte Mikroskop und keine so große chromatische Aberration (farbige Ränder)

lieferte. Unser heute gebräuchlicher Typ, was das Prinzip der Linsenanordnung angeht, kam

im 2. Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts auf.

Eine der ersten Entdeckungen mit dem Mikroskop war das Facettenauge der Biene durch

Francesco Stelluti 1618. Auch Galilei hat durch Vertauschung einzelner Teile seines

Fernrohrs mikroskopische Beobachtungen gemacht, sie aber nicht weiter verfolgt. Davon

berichtet der Franzose Jean Tarde nach seinem Besuch bei Galilei im Jahre 1614:

«Galilei erzählte mir, das Rohr eines Teleskops zum Betrachten der Sterne sei mehr als zwei Fuß lang; wenn

man aber sehr nahe, wegen ihrer Kleinheit dem bloßen Auge kaum erkennbare Objekte gut beobachten wolle, so

müsse das Rohr zwei- oder dreimal länger sein. Er sagte mir, er habe mit diesem langen Rohr Fliegen betrachtet,

die so groß wie Lämmer aussahen, ganz und gar mit Haaren bedeckt warne und mit sehr spitzen Nägeln

versehen, mit denen sie sich festhalten, wenn sie mit dem Kopf nach unten über Glas spazieren.»50

Zu wissenschaftlichen Beobachtungen wurde das Mikroskop sporadisch etwa ab 1625

verwendet, in großem und systematischem Umfang erst in den sechziger Jahren. 1665

veröffentlichte Robert Hooke (1635-1703) seine «Micrographia, or some descriptions of

minute bodies» (Mikrographie, oder einige Beschreibungen winziger Gegenstände), mit der

der Gebrauch des Mikroskops sehr populär wurde. Darin weist Hooke erstmals die Existenz

von Pflanzenzellen nach. Wichtig wurden später auch die Forschungen von Marcello

Malpighi (1628-94), Antonio van Leeuwenhoek (1632-1723) und Jan Swammerdam (1637-

80).

Schon Galen spricht in der Antike von der Messung der Wärme und Kälte auf einer

Skala, und Philo von Byzanz hatte schon ein einfaches Thermoskop hergestellt. Auch einige

mechanische Spielereien des Hero von Alexandria beruhten auf dem Prinzip, dass Wasser und

Luft sich bei Erwärmung ausdehnen und bei Abkühlung zusammenziehen. Vielleicht ist

Galilei zwischen 1592 und 1603 durch die Lektüre der neu gedruckten «Pneumatica» des

Hero auf den Gedanken gekommen, selbst ein Thermometer zu bauen. Dies bestand aus einer

unten offenen Glasröhre, die mit Wasser gefüllt war und in ein wassergefülltes Gefäß ragte.

Die Röhre endete oben in einer luftgefüllten, nach außen abgeschlossenen Glaskugel. Wenn

die Temperatur der Luft steigt, dehnt sie sich aus und bewegt die Wassersäule nach unten.

Galilei scheint dieses Instrument auch schon mit einer Skala versehen zu haben. Die erste

gedruckte Schilderung eines Thermometers stammt von Santorre Santorio (1561-1636),

einem Arzt und Freund Galileis, und findet sich in seinen «Commentaria in artem

medicinalem Galenam» (Kommentar zur galenischen ärztlichen Kunst) 1612. Dieses

Thermometer war das erste zum Fiebermessen geeignete. Das erste Thermometer, das auf der

Ausdehnung einer Flüssigkeit anstatt der Luft beruhte, war das wassergefüllte Thermometer

von Jean Rey (1582/83-ca. 1645) aus dem Jahre 1632. Später wurden gefärbter Weingeist und

Quecksilber genommen.

Auch die für die Erfindung des Barometers notwendigen Überlegungen knüpften an

Galilei an. In seinen «Discorsi» von 1638 wandte er sich als erster gegen die aristotelische

Lehre, dass in der Natur kein Vakuum vorkomme und die Natur in jedem Fall einen «horror

vacui», einen Abscheu vor dem Vakuum, habe. Damit wurde von der aristotelischen Physik

erklärt, warum eine Saugpumpe Wasser an die Erdoberfläche emporholen und warum man

aus einem Strohhalm trinken kann. Galilei wies jedoch darauf hin, dass die «Kraft», die das

Vakuum auszuüben in der Lage ist, nicht unbegrenzt groß werden kann, sondern eine Grenze

haben muss. Er beruft sich auf die den damaligen Brunnenbauern bekannte Tatsache, dass

keine Saugpumpe Wasser aus mehr als zehn Meter Tiefe emporholen kann. Galilei schließt,

dass die Saugkraft des Vakuums auf der Adhäsion der Wasseratome beruhe, die endlich groß

sein müsse. Er beschreibt auch einen Apparat, der die maximale «Kraft des Vakuums» misst.

Evangelista Torricelli (1608-1647), ein Schüler Galileis, fand 1643 heraus, dass

Quecksilber in einer damit gefüllten langen Glasröhre, die man mit ihrem offenen Ende

senkrecht in eine ebenfalls mit Quecksilber gefülltes Gefäß bringt, bis zu einer bestimmten

Höhe absinkt und oben ein Vakuum erzeugt. Da sich das Quecksilber auf dieser Höhe ohne

eine Kraft ganz allein hält, verwarf Torricelli die Erklärung Galileis und zeigte, dass die

maximale «Kraft des Vakuums» nicht auf einer inneren Kohäsionskraft der Atome, sondern

dem äußeren Luftdruck beruhen muss. Er schrieb am 11. Juni 1644 an Michelangelo Ricci:

«Ich deutete Ihnen bereits an, dass verschiedene physikalische Experimente über das Vakuum gemacht worden

sind; nicht bloß, um ein Vakuum herzustellen, sondern im Hinblick auf die Entwicklung eines Gerätes, das die

Veränderungen in der Luft, welche zeitweise schwer und dick, zeitweise leicht und dünn ist, zeigen sollte. Viele

Leute haben gesagt, es sei unmöglich, ein Vakuum herzustellen, andere meinten, es sei wohl zu machen, aber

nur unter Schwierigkeiten und unter Überwindung eines natürlichen Widerstandes; ich weiß nicht, in der Tat, ob

jemand gesagt hat, es sei ohne Schwierigkeiten zu machen und ohne einen natürlichen Widerstand zu

überwinden. Mein Argument war das folgende: wenn es jemanden gäbe, der einen offensichtlichen Grund finden

würde, weshalb beim Herstellen eines Vakuums ein Widerstand auftritt, wäre es sinnlos, diese Effekte, die

eindeutig von anderen Umständen abhängen, dem Vakuum selbst zuzuschreiben. Ferner fand ich, als ich einige

einfache Berechnungen anstellte, dass die von mir erwähnte Ursache (nämlich das Gewicht der Luft)

wahrscheinlich allein schon mehr Widerstand leisten dürfte, als wir wirklich feststellen, wenn wir ein Vakuum

zu erzeugen versuchen. Ich sage dies, damit einige Philosophen, die sich zur Zustimmung verpflichtet fühlen,

dass das Gewicht der Luft den Widerstand bewirkt, den wir beim Herstellen eines Vakuums spüren, eher die

Bedeutung des Anteils des Luftgewichts zugeben als weiterhin behaupten, dass die Natur selbst zum Widerstand

beim Herstellen eines Vakuums beiträgt.

Wir leben untergetaucht auf dem Grund eines Meeres von elementarer Luft, deren Gewicht ohne jeden

Zweifel nachgewiesen worden ist; wir wissen tatsächlich, dass die schwerste Luft an der Erdoberfläche etwa ein

Vierhundertstel des Wassergewichts wiegt…

Wir haben eine Anzahl Glasgefäße hergestellt, ähnlich den mit A und B bezeichneten in der obigen Figur –

mit Hälsen in der Länge von vier Fuß. Diese haben wir mit Quecksilber gefüllt, ihre Öffnungen mit dem Finger

zugehalten und sie umgekehrt in ein mit Quecksilber gefülltes Becken gestellt. Wie wir das taten, sahen wir, wie

das Quecksilber das Gefäß verließ, ohne dass sich dabei etwas Besonderes innerhalb des Gefäßes abspielte; und

zudem bliebt der Hals AD des Gefäßes in jedem Fall voll Quecksilber bis zu einer Höhe von zwei Fuß und sechs

Zoll. Um zu zeigen, dass das Gefäß vollständig leer war, füllten wir das Becken darunter bis zu D mit Wasser

und hoben es dann sehr behutsam hoch, bis seine Öffnung die Höhe des Wasserspiegels erreichte; wie dies

geschah, sahen wir das Quecksilber dem Gefäßhals entlang abwärts rinnen und dann das Wasser mit gewaltiger

Kraft emporstiegen und es füllen, bis zum Punkt E.

Unsere Diskussion fand statt, als das Gefäß AE leer blieb und das Quecksilber trotz seines großen Gewichts

sich im Hals des Gefäßes halten konnte. Bis jetzt hatte man geglaubt, dass die Kraft, welche das Quecksilber

gegen seine natürliche Schwerkraft empor drückte, im Gefäß AE enthalten sei und dass sie zum Vakuum oder

zur stark verdünnten darin eingeschlossenen Substanz gehöre. Aber ich behaupte, dass diese Kraft äußerlich ist

und von außerhalb des Gefäßes kommt. Die Luft, welche auf das Quecksilber im Becken drückt, erhebt sich in

eine Höhe von fünfzig Meilen über die Erdoberfläche. Was Wunder, wenn im Glas CE, wo das Quecksilber

weder Anziehung noch Widerstand erfährt – da nichts im Gefäß enthalten ist -, dieses Quecksilber eine Höhe

erreicht, in der es das Gewicht der Luft, das von außen auf es drückt, ausbalanciert.»51

Der Mathematiker, Philosoph und Physiker Blaise Pascal (1623-1662) führte 1647 selbst

das Torricellische Experiment durch, das ihm Pierre Petit zuerst vorgeführt hatte. Er wollte

nun die These von Torricelli, dass der Luftdruck und nicht der horror vacui die im Experiment

gefundenen Erscheinungen verursachte, experimentell bestätigen. Er schrieb am 15.11.1647

von Paris aus an seinen Schwager Périer in seiner Geburtsstadt Clermont (heute Clermont-

Ferrand), und bat ihn, das Experiment mit ein und demselben Apparat zuerst in der Stadt

selbst und dann auf dem 8 km entfernten, ca. 1000 m höher gelegenen Berg Puy-de-Dôme

(1464 m hoch) durchzuführen. Périer folgte am 19.9.1648 den Anweisungen und fand, dass

die Höhe der Quecksilbersäule auf dem Berg um ca. 8,5 cm verringert war. Gleich darauf

veröffentlichte Pascal eine wissenschaftliche Flugschrift «Récit de la Grande Expérience de

l’Équilibre des Liqueurs» (Bericht über das große Experiment über das Gleichgewicht der

Flüssigkeiten), in dem Pascals und Périers umständliche Briefe sowie einige

Schlussfolgerungen Pascals abgedruckt sind. In den «Traités de l’équilibre des liqueurs et de

la pesanteur de la masse de l’air» (Abhandlungen über das Gleichgewicht der Flüssigkeiten

und die Schwere der Luftmassen) zieht er die Summe seiner mannigfaltigen Experimente und

Arbeiten, die er zwischen 1651 und 1654 durchgeführt hat. (Das Werk wurde erst nach

seinem Tod 1663 veröffentlicht.) Im Folgenden einige Ausschnitte daraus:

«Ich habe in der vorangehenden Abhandlung alle Erscheinungen angeführt, von denen man bis jetzt allgemein

annahm, die Natur bringe sie hervor, um das Vakuum zu vermeiden. Ich habe darin gezeigt, dass es ganz falsch

ist, sie einer solchen imaginären Ursache zuzuschreiben. Und dich habe mit absolut überzeugenden Argumenten

und Experimenten im Gegenteil bewiesen, dass die Schwere der Luftmasse der wirkliche und einzige Grund

dafür ist: so dass es jetzt sicher ist, dass die Natur keine Erscheinung hervorbringt, um das Vakuum zu

vermeiden.

Es fällt nicht schwer, daraus zu beweisen, dass es der Natur vor dem Vakuum nicht schaudert; denn diese

Redensweise ist nicht angemessen, da ja die Schöpfung, um die es sich hier handelt, unbelebt und keiner Gefühle

fähig ist; man verseht unter dieser metaphorischen Redeweise nichts anderes, als dass die Natur sich bemüht, das

Vakuum zu vermeiden, wie wenn es ihr davor schauderte; so dass im Sinn derjenigen, die so spreche, es das

gleiche ist zu sagen, die Natur verabscheue das Vakuum oder die Natur mache große Anstrengungen, das

Vakuum zu verhindern. Da ich also gezeigt habe, dass sie nichts tut, um das Vakuum zu vermeiden, folgt, dass

sie es nicht verabscheut; denn, um im Bild zu bleiben, wie man von einem Menschen sagt, eine Sache sei ihm

gleichgültig, wenn man in keiner seiner Handlungen je eine Regung des Begehrens oder der Abneidung bemerkt,

so muss man auch von der Natur sagen, das Vakuum sei ihr äußerst gleichgültig, da man sie nie etwas tun sieht,

um es zu suchen oder ihm zu entgehen (unter dem Wort <Vakuum> verstehe ich immer einen von allen

wahrnehmbaren Körpern freien Raum)…

Und man hat es mit soviel Gewissheit geglaubt, dass die Philosophen daraus einen der höchsten Grundsätze

ihrer Wissenschaft und die Basis ihrer <Abhandlungen über das Vakuum> gemacht haben. Man diktiert es

täglich in allen Schulklassen und allerorten auf der Welt, und seit es schriftliche Zeugnisse gibt, sind sich alle

Menschen einig in diesem Gedanken, ohne dass bis heute jemand widersprochen hätte.

Vielleicht wird folgendes Beispiel jenen die Augen öffnen, die nicht zu glauben wagen, eine Meinung sei

zweifelhaft, wenn sie von jeher von allen Menschen angenommen worden ist; es waren doch einfache

Handwerker imstande, die großen Männer, die man Philosophen nennt, von ihrem Irrtum zu überzeugen: denn

Galilei erklärt in seinen Dialogen, er habe von den italienischen Brunnenmeistern gelernt, dass die Pumpen das

Wasser nur bis zu einer gewissen Höhe bringen: darauf hat er es selber erprobt, und nach ihm andere in Italien,

und seither wieder andere in Frankreich, mit Quecksilber, auf einfachere Weise, mit demselben Ergebnis.

Bevor man davon Kenntnis hatte, gab es keinen Grund zu beweisen, dass es die Schwere der Luft ist, die

das Wasser in den pumpen in die Höhe bringt; da diese Schwere begrenzt ist, kann sie keine unendliche Wirkung

erzeugen.

Aber alle diese Experimente genügten noch nicht, um zu zeigen, dass die Luft diese Wirkung hervorbringt;

denn während sie uns von einem Irrtum befreiten, ließen sie uns in einem anderen. Man erfuhr zwar aus diesen

Experimenten, dass das Wasser nur bis zu einer gewissen Höhe stiegt; aber man erfuhr nicht, dass es an tiefer

gelegenen Orten höher stieg. Man dachte im Gegenteil, es steige immer bis zur selben Höhe, die an allen Orten

der Welt die gleich sei; und da man nicht an die Schwere der Luft dachte, stellte man sich vor, es gehört zur

Natur der Pumpe, das Wasser bis zu einer gewissen begrenzten Höhe und nicht weiter empor zu bringen. So

betrachtete sie auch Galilei als die natürliche Höhe der Pumpe, und er nannte sie «la altessa limitatissima». Wie

hätte man sich auch vorstellen sollen, dass diese Höhe variabel sei, je nach Verschiedenheit des Ortes? Das war

gewiss nicht wahrscheinlich; dieser letzte Irrtum indessen machte es unmöglich zu beweisen, dass die Schwere

der Luft der Grund dieser Erscheinung ist; denn da sie am Fuß der Berge schwerer ist als auf ihrem Gipfel, ist es

klar, dass die Wirkungen dort proportional auch größer sind. Daher schloss ich, dass man diesen Beweis nur

erbringen könne, wenn man das Experiment an zwei Orten durchführt, von denen der eine 400 bis 500 Klafter

über dem anderen liegt. Ich wählte dazu den Puy-de-Dôme in der Auvergne, aus dem Grund, den ich nach einer

kleinen Schrift angegeben habe, die ich im Jahre 1648 sogleich nach dem gelungenen Experiment drucken ließ.

Dieses Experiment macht klar, dass das Wasser in den pumpen auf ganz verschiedene Höhen stiegt, je nach

Unterschied von Ort und Wetter, und dass die Höhe immer proportional zur Schwere der Luft ist, und es gab uns

so die volle Erkenntnis dieser Erscheinungen; es setzte allen Zweifeln ein Ende; es zeigte, welches die wahre

Ursache ist; es zeigte, dass es nicht der Abscheu vor dem Vakuum ist; und es verhalf schließlich zu der Klarheit,

die man sich zu diesem Gegenstand wünschte.

Wenn es möglich ist, erkläre man nun anders als durch die Schwere der Luft, warum die Saugpumpen das

Wasser auf dem Puy-de-Dôme um ein Viertel weniger hoch pumpen als in Dieppe; warum der gleiche

Saugheber das Wasser in Dieppe höher bringt und ansaugt, nicht aber in Paris; warum zwei glatte, aufeinander

gefügte Körper auf einem Kirchturm leichter zu trennen sind als auf der Straße unten; warum ein auf allen Seiten

verstopfter Blasebalg auf dem Dach eines Hauses leichter zu öffnen ist als im Hof; warum es schwieriger ist, den

Kolben einer verstopften Spritze herauszuziehen, wenn die Luft mehr Dunst enthält; und schließlich, warum all

diese Erscheinungen immer proportional zum Gewicht der Luft sind, wie die Wirkung der Ursache.

Verabscheut die Natur das Vakuum mehr auf den Bergen als in den Tälern, wenn das Wetter feucht ist,

mehr, als wenn es schön ist? Hasst sie es nicht gleicherweise auf einem Kirchturm, in einem Estrich und in den

Höfen?

Alle Schüler des Aristoteles mögen alles, was es an Bedeutendem gibt in den Schriften ihres Meisters und

seiner Kommentatoren, zusammenbringen, um diese Dinge mit dem Abscheu vor dem Vakuum zu erklären,

wenn sie es können; oder aber sie sollen erkennen, dass die Experimente die wirklichen Meister sind, denen es in

der Physik zu folgen gilt; dass der auf den Bergen durchgeführte Versuch den allgemein verbreiteten Glauben,

die Natur verabscheue das Vakuum, umgestoßen und die bleibende Erkenntnis ermöglicht hat, dass die Natur vor

dem Vakuum keinen Abscheu empfindet, dass sie nichts tut, um es zu vermeiden, sondern dass die Schwere der

Luftmasse der wirkliche Grund für all die Erscheinungen ist, die man bis jetzt dieser imaginären Ursache

zugeschrieben hatte.»52

Mit Pascals Experimenten warne mehrere festgewurzelte aristotelische Überzeugungen

überholt;: dass die Luft von Natur aus leicht sei und sie zu ihrem natürlichen Ort nach oben

strebe zwischen die Sphäre des Wassers und des Feuers, dass es in Wasser rund Luft einen

inneren Druck gebe, dass es kein Vakuum gebe, dass Licht, das ja auch durch das Vakuum

geht, zu seiner Fortpflanzung ein stoffliches Medium benötige und dass Bewegungen im

Vakuum, d.h., ohne Widerstand, instantan sein müssten und deshalb unmöglich wären (siehe

dazu Abschnitt 3).

Otto von Guericke (1602-1686) verwendete für seine schon einige Zeit vor 1654

durchgeführten Versuche, ein Vakuum herzustellen (über die wir schon im Abschnitt 4

berichtet haben), als erster eine Luftpumpe, indem er einer Feuerspritze zwei Klappenventile

einbaute. Er verbesserte seine Pumpen und Dichtungsmethoden immer mehr und führte

schließlich 1657 und vor dem Großen Kurfürsten 1663 sein berühmtes Experiment mit den so

genannten «Magdeburger Halbkugeln» vor. Aus zwei zu einer Kugel zusammengelegten

halben Hohlkugeln aus Metall wurde die Luft herausgepumpt, und nicht einmal 16 Pferde

konnten die Halbkugeln wieder voneinander trennen. Von den Experimenten Guerickes

berichtete Kaspar Schott erstmals in seiner «Mechanica hydraulico-pneumatica» von 1657. Im

Jahr 1672 erschien dann ein Buch von Guericke selbst unter dem Titel «Experimenta nova (ut

vocantur) Magdeburgica de vacuo spatio» (Neue, wie man sagt, Magdeburger Experimente

über den leeren Raum).

Mit der Wiederbelebung des antiken Atomismus, der die Welt als eine Menge von

Atomen im leeren Raum erklärte, wurden Experimente mit dem Vakuum immer wichtiger.

Nach Guericke haben besonders Robert Boyle und die 1657 in Florenz gegründete Accademia

del Cimento mit dem Vakuum mannigfaltige Experimente durchgeführt. Mit Newtons

«Optick» (erstmals 1704) wurde die «Korpuskularphilosophie», wie der wieder belebte

Atomismus genannt wurde, nach und nach zur allgemeinen naturwissenschaftlichen

Weltauffassung.

6. Synthese und Umformung zu neuen Methoden

Galileo Galilei (1564-1642)

Galileis Lösung des Bewegungsproblems und seine damit verbundene Konzeption der

naturwissenschaftlichen Methode wurde für die spätere Entwicklung zur vorbildlichsten und

folgenreichsten Verarbeitung der genannten Entwicklungsstränge.

Es können hauptsächlich fünf verschiedene Traditionen unterschieden werden, an die

Galilei anknüpft: die spätscholastische, die archimedische, die platonistische, die

aristotelische und eine experimentelle Tradition. Die Einflüsse der Traditionen überschneiden

sich häufig und sind oft nicht auseinander zu halten:

1. Da ist zunächst die spätscholastische Tradition, die grundsätzlich neue Auffassungen von

Raum und Bewegung entwickelt hatte. Für Aristoteles war Bewegung ein Prozess, der immer

von einer Ursache erzeugt wird. Die Natur selbst ist die Ursache der Bewegung. Die

Bewegungslehre umfasste auch Geburt und Tod der Menschen, das Werden und Vergehen

von Pflanzen und Krankheiten als Veränderung der Substanz, die Veränderung von Qualitäten

(z.B. Farbänderung) sowie die Zu- Und Abnahme der Quantität eines Dings. Die

Ortsveränderung von Gegenständen machte nur einen kleinen Teil aus. In der Spätscholastik

wird jedoch (wie wir im 3. Kapitel gesehen haben) der Begriff der Ortsbewegung abgetrennt

vom restlichen Gehalt des aristotelischen Bewegungsbegriffs und neue Bewegungstheorien

werden ausprobiert. Galilei verwendete zuerst selbst den Impetus-Begriff, der ja von Jean

Buridan wieder belebt worden war. Die Pariser Schule von Buridan hatte gelehrt, dass der

Impetus, den ein Körper verliehen bekommt, für immer anhalten würde, wenn er nicht auf

Widerstand stieße (siehe Abschnitt 3). Es wird auch natürliche und künstliche Bewegung in

gleicher Weise durch den Impetus erklärt, und außerdem wird die Größe des Impetus als

abhängig von der Materienmenge, aus der der bewegte Körper besteht, und seiner

Geschwindigkeit gesehen. Aristoteles hatte zwar gelehrt, dass die Geschwindigkeit eines

Körpers proportional ist zu seinem Gewicht und umgekehrt proportional zu dem Widerstand,

den er erfährt. Auf der anderen Seite kehrt jeder Körper umso schneller zu seinem natürlichen

Ort zurück, je näher er ihm ist. Beide Vorstellungen und die spätscholastischen

Umwandlungen, die daran anknüpfen, konnte begrifflich nicht zusammengebracht werden –

ein Schritt, der erst Galilei gelang.

Im folgenden Abschnitt aus den Discorsi von 1638, in dem das Fallgesetz formuliert ist,

wird Galileis Abhängigkeit von den Spätscholastikern besonders deutlich. Einmal übernimmt

Galilei in diesem lateinisch geschriebenen Stück des sonst italienisch gehaltenen Textes die

von den Scholastikern geprägten Ausdrücke «equalis (uniformis) motus» (gleichförmige

Bewegung), «gradus verlocitatis» (Geschwindigkeitsgrad), «intentio velocitatis»

(Vermehrung der Geschwindigkeit). Auch die Definitionen der gleichförmigen und

beschleunigten Bewegung finden sich fast wörtlich wieder in den Schriften der Oxforder

Scholastiker:

«Über die gleichförmige Bewegung: die gleichförmige Bewegung müssen wir allem zuvor beschreiben.

Definition: Ich nenne diejenige Bewegung gleichförmig, bei welcher die in irgendwelchen gleichen Zeiten

vom Körper zurückgelegten Strecken untereinander gleich sind.

Erläuterung: Der althergebrachten Definition (welche einfach von gleichen Strecken in gleichen Zeiten

sprach) haben wir das Wort «irgendwelchen» hinzugeführt, d.h., zu jedweden gleichen Zeiten: denn es wäre

möglich, dass in gewissen Zeiten gleiche Strecken, dagegen in kleineren gleichen Teilen dieser selben Zeiten

ungleiche Strecken zurückgelegt werden…

Über die natürlich beschleunigte Bewegung: Bisher war die gleichförmige Bewegung behandelt worden,

jetzt gehen wir zur beschleunigten Bewegung über. Zunächst muss eine der natürlichen Erscheinung genau

entsprechende Definition gesucht und erläutert werden. Obgleich es durchaus gestattet ist, irgendeine Art der

Bewegung beliebig zu ersinnen und die damit zusammenhängenden Ereignisse zu betrachten…so haben wir uns

dennoch entschlossen, diejenigen Erscheinungen zu betrachten, die bei den frei fallenden Körpern in der Natur

vorkommen, und lassen die Definition der beschleunigten Bewegung zusammenfallen mit dem Wesen einer

natürlich beschleunigten Bewegung. Das glauben wir schließlich nach langen Überlegungen als das Beste

gefunden zu haben, vorzüglich darauf gestützt, dass das, was das Experiment den Sinnen vorführt, den

erläuternden Erscheinungen durchaus entspricht. Endlich hat uns zur Untersuchung der natürlich beschleunigten

Bewegung gleichsam mit der Hand geleitet die aufmerksame Beobachtung des gewöhnlichen Geschehens und

der Ordnung der Natur in allen ihren Verrichtungen, bei deren Ausübung sie die allerersten einfachsten und

leichtesten Hilfsmittel zu verwenden pflegt; denn wie ich meine, wird niemand glauben, dass das Schwimmen

oder das Fliegen einfacher oder leichter zustande gebracht werden könne als durch diejenigen Mittel, die die

Fische und die Vögel mit natürlichem Instinkt gebrauchen.

Wenn ich daher bemerke, dass ein aus der Ruhelange von bedeutender Höhe herab fallender Stein nach und

nach neue Zuwüchse an Geschwindigkeit erlangt, warum soll ich nicht glauben, dass solche Zuwüchse in

allereinfachster, jedermann plausibler Weise zustande kommen? Wenn wir genau aufmerken, werden wir keinen

Zuwachs einfacher finden als denjenigen, der in immer gleicher Weise hinzutritt. Das erkennen wir leicht, wenn

wir an die Verwandtschaft der Begriffe der Zeit und der Bewegung denken: denn wie die Gleichförmigkeit der

Bewegung durch die Gleichheit der Zeiten und Räume bestimmt und erfasst wird (denn wir nannten diejenige

Bewegung gleichförmig, bei der in gleichen Zeiten gleiche Strecken zurückgelegt wurden), so können wir durch

ebensolche Gleichheit der Zeitteile die Geschwindigkeitszunahmen als einfach zustande gekommen erfassen: mit

dem Geiste erkennen wir diese Bewegung als einförmig und in gleich bleibender Weise stetig beschleunigt, da in

irgendwelchen gleichen Zeiten gleiche Geschwindigkeitszunahmen sich addieren. So dass, wenn man vom

Anfangspunkte der Zeit an ganz gleiche Zeitteilchen nimmt von der Ruhelage aus, die Fallstrecke hindurch, die

Geschwindigkeit des ersten Zeitteils mitsamt dem Zuwachs des zweiten, auf den doppelten Wert hinansteigt. In

drei Zeitteilchen ist der Wert der dreifache, in vieren der vierfache vom ersten. Deutlicher zu reden: wenn der

Körper seine Bewegung nach dem ersten Zeitteile in gleicher Weise mit der erlangten Geschwindigkeit [gradus

seu momentum velocitatis] fortsetzte, so würde er halb so langsam gehen, als wenn in zwei Zeitteilchen die

Geschwindigkeit erzeugt worden wäre; und so werden wir nicht fehlgehen, wenn wir die Vermehrung der

Geschwindigkeit [intertionem velocitatis] der Zeit entsprechen lassen; hieraus folgt die Definition der

Bewegung, von welcher wir handeln wollen. Gleichförmig oder einförmig beschleunigte Bewegung nenne ich

diejenige, die von Anfang an in gleichen Zeiten gleiche Geschwindigkeitszuwüchse erteilt.»53

2. Dieser Abschnitt illustriert auch einen weiteren Einfluss: die Methode des Archimedes.

Galilei nennt in seinen Schriften Archimedes immer mit der größten Hochachtung. Die

archimedische Methode bestand darin, von einigen wenigen typischen und begrenzten Fällen

auszugehen, die als einleuchtende Axiome formuliert werden, aus ihnen weitere Sätze

abzuleiten und diese Sätze an der Erfahrung zu prüfen. So hatte Archimedes z.B. aus seinen

Axiomen über den Heben bewiesen, dass zwei ungleiche Gewichte an einem zweiarmigen

Hebel dann im Gleichgewicht sind, wenn ihre Abstände vom Drehpunkt umgekehrt

proportional ihren Gewichten sind. Archimedes und Galilei folgten einem Ideal der

deduktiven Systematisierung: Von klar definierten und überlegten Axiomen aus werden an

der Erfahrung zu prüfende Einzelaussagen gewonnen und nicht umgekehrt.

3. Wie wir schon sahen, war Galilei auch Platonist. Dies zeigt sich darin, dass die

Gegenstände seiner Physik nicht dem direkt gewonnenen Sinneseindruck entsprechen, den der

Mensch – aristotelisch verstanden – erfährt, sondern dass die Gegenstände ideale

Gegenstände sind, die aus der direkt erfahrenen Wirklichkeit abstrahiert werden. Erst diese

idealen Gegenstände sind einer mathematischen Behandlung zugänglich. Aber Galilei ging

weiter als Platon selbst Während Plato die physikalische Welt nur als unvollkommenes

Abbild der reinen Ideenwelt der mathematischen Formen ansieht, besteht für Galilei die

physikalische Welt tatsächlich aus den mathematischen Idealgebilden. Nach Plato können

wir, die wir selbst Teil dieser Welt sind, die Ideen erahnen und ihnen näher kommen, aber sie

niemals vollkommen erkennen. Galilei jedoch behauptet, dass der Mensch die mathematische

Struktur der Wirklichkeit mit absoluter Sicherheit erkennen kann.

Galilei zeigte z.B. an der Bewebung der Erde um die Sonne, dass die durch Idealisierung

gewonnene mathematische Einsicht dem bloßen Sinneseindruck vorzuziehen ist. Im «Dialog

über die Weltsysteme» ist es bemerkenswerterweise Simplicio, der Aristoteliker, der sich bei

der Diskussion der Erdumdrehung auf die Erfahrung der Sinne beruft. Er weist darauf hin,

dass, wenn sich die Erde bewegt, ein senkrecht nach oben geworfener Stein nicht genau zum

Ausgangspunkt zurückkehren werde, sondern sich die Erde unter ihm ein Stück weggedreht

hätte, so dass er ein wenig verschoben auf der Erde auftreffen müsse. Aber niemand habe

bisher eine solche Ablenkung beobachtet. Also könne sich die Erde nicht bewegen. Dieses

Argument findet sich schon bei Ptolemäus und Aristoteles. Simplicio, Salviati und Sagredo

diskutieren im folgenden Abschnitt aus Galileis Dialog ein Buch von Scipione Chiaramonti,

das sich gegen Tycho und Copernicus wendet. Simplicio zitiert eine Stelle daraus und sagt

dann:

«Diesem von allen Philosophenschulen anerkannten Kriterium zufolge sind die Sinne und die Erfahrung unsere

Leiter beim Erforschen der Wahrheit. Nach der copernicanischen Lehre aber täuschen sich die Sinne gewaltig,

selbst wenn sie mit voller Deutlichkeit aus unmittelbarer Nähe wahrnehmen, wie in ganz klaren Medien die

schwersten Körper lotrecht und gerade sich abwärts bewegen und nicht um Haaresbreite von der geraden Linie

abweichen; trotz alledem täuscht sich nach Copernicus in einem so klaren Falle der Gesichtssinn und jene

Bewegung ist keineswegs gerade, sondern aus gerader und kreisförmiger Bewegung zusammengesetzt.»54

Salviati und Sagredo antworten, dass man den bloßen Sinnen allein nicht trauen dürfe,

sondern dass man die Wirklichkeit nur erkennen könne, wenn man die Sinneseindrücke im

Lichte der Vernunft prüft:

«Salviati: Da möchte ich doch nützlichere und zweifellosere Lehren daraus ziehen, nämlich vorsichtiger und

weniger vertrauensselig dem gegenüber zu sein, was bei oberflächlicher Betrachtung die Sinne uns vorspiegeln,

die uns gar leicht täuschen können. Es tut mir leid, dass der Verfasser sich so abquält, uns sinnlich begreiflich zu

machen, jene Bewegung der fallenden schweren Körper sei einfach geradlinig und nichts anderes, dass er zornig

wird und sich in Ausrufen ergeht, weil eine so klare, handgreifliche, offen daliegende Sache in Zweifel gezogen

werde. Denn dadurch hat es den Anschein, als glaube er, dass die Leute, welche die Geradlinigkeit in Abrede

stellen und eher die Kreisform für die wahre halten, auch sinnlich eine Bewegung des Steines im Bogen zu

erblicken glaubten. Es hat diesen Anschein: denn er fordert mehr ihre Sinne als ihre Vernunft auf, über die

fragliche Erscheinung sich Klarheit zu verschaffen. Das ist aber nicht der Fall, Signore Simplicio; ich, der ich für

keine dieser Ansichten Partei ergriffen habe und nicht bei unseren Vorstellungen gleich einem Schauspieler, nur

als Copernicaner maskiere, habe niemals gesehen und niemals geglaubt, dass der Stein anders als lotrecht fällt;

und ebenso ist es mit den Gesichtswahrnehmungen aller anderen bestellt, glaube ich. Es ist also geratener, vom

Scheine abzusehen, über den wir alle einig sind, und durch Vernunftgründe uns zur Erkenntnis durchzuringen,

ob der Schein der Wirklichkeit entspricht oder trügerisch ist.

Sagredo: Wenn ich einmal mit diesem Philosophen [Chiaramonti] zusammentreffen könnte, der mir immerhin

weit über vielen anderen Anhängern derselben Meinung zu stehen scheint, so würde ich ihm zum Zeichen

meiner Verehrung eine Tatsache ins Gedächtnis rufen, die er sicherlich schon tausendmal gesehen hat. Diese

schließt sich hier passend an, da sich aus ihr entnehmen lässt, wie leicht man durch den bloßen Schein oder, wie

wir sagen wollen, durch die Vorspiegelungen der Sinne getäuscht werden kann. Ich meine die Tatsache, dass,

wenn man nachts durch eine Straße geht, man von dem Monde in gleichem Schritte geleitet zu werden glaubt;

man sieht ihn sich entlang den Dachtraufen bewegen, ganz in der Weise, wie es eine Katze tun würde, die

wirklich stets hinter einem her über die Dächer liefe: ein Schein, der ohne Dazwischenkunft des Verstandes nur

allzu sicher den Gesichtssinne betrügen würde.»55

Später lobt Salviati den Copernicus,

«dass er seiner Behauptung stets treu blieb, bloß von Vernunftgründen geleitet, während die sinnlichen

Erfahrungen das Gegenteil zu lehren schienen. Ich kann darum nicht aufhören zu staunen, dass er ohne Unterlass

dabei blieb zu sagen, Venus kreise um die Sonne und sei zu einer Zeit sechsmal so weit von uns entfernt als zu

einer anderen und zeige sich uns trotzdem stets in derselben Grö0ße, während sie eigentlich 40mal größer

aussehen müsste.»56

Die Methode der Abstraktion, die der direkten Erfahrung zuerst einmal misstraut, ist nicht

nur im Falle der Bewegung der Erde um die Sonne anwendbar, sondern auch für Phänomene

auf der Erde. Man muss von störenden Bedingungen abstrahieren, um zum Wesen der Sache

vorzudringen.

So zum Beispiel muss man bei der Pendelbewegung zuerst vom Gewicht der Schnur und

vom Luftwiderstand abstrahieren; bei dem Herabrollen einer Kugel von einer schiefen Ebene

muss man von der Reibung und der Luft, «desgleichen von allen anderen zufälligen

Hemmnissen, wenn etwa solche vorhanden sein sollten» absehen und «alle äußeren und

zufälligen Hindernisse ausschließen». Erst dann kann man mathematisch das Problem

analysieren (d.h. die resolutive Methode anwenden). Auch damit ist Simplicio nicht zufrieden.

Denn eben weil man von den Tatsachen abstrahiere, komme man höchstens zu

mathematischen Wahrheiten, aber zu keinen physikalischen:

«Diese mathematischen Spitzfindigkeiten [sind] in der Theorie wohl richtig, aber auf sinnliche und physische

Materie angewendet, stimmen sie nicht. Die Mathematiker mögen mittels ihrer Principien freilich beweisen, dass

zum Beispiel sphaera tangit planum in puncto [eine Kugel berührt eine Ebene in einem Punkt], eine Behauptung,

die mit der vorliegenden Ähnlichkeit hat. Fasst man aber die Tatsachen ins Auge, so liegt die Sache anders….

All das hält nicht stich, wenn man es mit materiellen sinnlichen Dingen zu tun hat … Ohne Zweifel bewirkt die

Unvollkommenheit der Materie, dass die konkret vorliegenden Dinge mit den bei abstrakten Betrachtungen

zugrunde gelegten nicht übereinstimmen.

Salviati: Wieso stimmen sie nicht überein? Gerade, was Ihr selbst jetzt eben sagt, beweist, dass sie genau damit

übereinstimmen.

Simplicio: Inwiefern?

Salviati: Sagt Ihr nicht, dass infolge der Unvollkommenheit der Materie ein Körper, der vollständig kugelförmig

sein sollte, und eine Fläche, welche vollkommen eben sein sollte, sich in Wirklichkeit von anderer

Beschaffenheit erweisen, als man sie in abstracto sich vorstellt?

Simplicio: Allerdings behaupte ich das.

Salviati: Sobald Ihr also in concreto eine materielle Kugel auf eine materielle Ebene legt, so legt Ihr eine nicht

vollkommene Kugel auf eine nicht vollkommene Ebene, und von diesen behauptet Ihr dann, dass sie sich nicht

in einem Punkte berühren. Ich aber behaupte, dass auch in abstracto eine immaterielle Kugel, die keine

vollkommene Kugel ist, eine immaterielle Ebene, welche keine vollkommene Ebene ist, möglicherweise nicht in

einem Punkte, sondern mit einem Teile ihrer Oberfläche berühren kann. Insoweit also stimmt das, was in

concreto eintritt, ganz mit dem überein, was in abstracto eintritt. Es wäre in der Tat etwas ganz Neues, wenn die

Berechnungen und Operationen mit abstrakten Zahlen schließlich nicht stimmten, sobald man sie in concreto auf

Gold- und Silbermünzen und Waren anwendet. Wisst Ihr, wie die Sache liegt, Signore Simplicio? Gerade wie

der Kalkulator, damit die Zucker-, Seide- und Wollerechnungen stimmen, seine Abzüge für das Gewicht der

Kisten, der Verpackung und sonstigen Ballasts machen muss, so muss der Geometer, wenn er die theoretisch

bewiesenen Folgewirkungen experimentell studieren will, die störenden Einflüsse der Materie in Abrechnung

bringen. Wenn er das versteht, so versichere ich Euch, alles wird accurat ebenso stimmen wie die zahlenmäßigen

Berechnungen. Die Fehler liegen also weder an dem Abstrakten noch an dem Konkreten, weder an der

Geometrie noch an der Physik, sondern an dem Rechner, der nicht richtig zu rechnen versteht. Hättet Ihr daher

eine vollkommene, wenngleich materielle, Kugel und Ebene, so zweifelt nicht, sie würden sich in einem Punkte

berühren.»57

Wir haben im dritten Abschnitt gesehen, dass schon die Spätscholastiker in ihren

Forschungsmethoden teilweise platonisch vorgingen, wie z.B. Grosseteste mit seiner

Lichtmetaphysik. Aber auch im Platonismus ging Galilei einen wichtigen Schritt weiter. Die

Scholastiker machten einen Unterschied zwischen der reinen und angewandten Mathematik,

der sich im Ansatz auch schon bei Aristoteles findet. Die Ideen sind rein mathematisch, die

Optik, die Astronomie und die Musik gehören zu der mathematica media, d.h., der

angewandten Mathematik, die sich unterscheidet von den reinen Ideen der Mathematik und

von der Physik, die mit den Ursachen in der Natur zu tun hat. Erst bei Galilei wird die

mathematische Physik (wenigstens programmatisch) zur universalen Methode: In seinem

Buch «Il Saggiatore» (Der Goldwäger [oder Münzprüfer]; 1623), das gegen eine Streitschrift

des Lothario Sarsi (Pseudonym für den Jesuitenpater Orazio Grassi), in der die Galileische

Kometentheorie kritisiert wird, gerichtet ist, schreibt Galilei:

«Sarsi scheint in dem festen Glauben zu beharren, dass man sich in der Philosophie immer auf die Meinung

irgendeines berühmten Autors stützen müsse, so als ob unser eigener Geist unfruchtbar sei, wenn man ihn nicht

mit den Ausführungen eines anderen vermählte. Er hält wohl die Philosophie für die Phantasie eines Menschen

und für dien Buch von der Art der «Ilias» und des «Rasenden Roland» – Bücher, in denen es am allerwenigsten

darauf ankommt, ob das Dargestellte auch wahr ist. So ist das aber nicht, Herr Sarsi! Die Philosophie ist in

jenem großen Buch geschrieben, das ständig offen vor unseren Augen liegt (ich meine das Universum), das man

aber nur verstehen kann, wenn man vorher die Sprache und die Buchstaben gelernt hat, in denen es geschrieben

ist. Es ist in mathematischer Sprache geschrieben, und die Buchstaben sind Dreiecke, Kreise und andere

geometrische Figuren, und ohne diese Hilfsmittel ist es menschenunmöglich, auch nur ein Wort davon zu

begreifen; ohne sie würden wir vergebens in einem dunklen Labyrinth herumirren. Selbst wenn man wie Sarsi

davon ausgeht, dass unser Versand sich zum Sklaven eines anderen machen … und bei der Betrachtung der

himmlischen Bewegungen sich einer schon bestehenden Meinung anschließen müsse, so sehe ich doch keinen

Grund, weshalb er sich zu diesem Zweck für Tycho entscheidet und ihm Ptolemäus und Copernicus

entgegenhält, deren Weltsysteme doch vollständig und sehr kunstvoll ausgeführt vorliegen;…»58

Auch was die mathematische Erkenntnisfähigkeit des Menschen betrifft, geht Galilei

einen Schritt weiter als die Scholastik und Plato; Galilei glaubt nämlich, dass der Mensch die

Sprache der Mathematik perfekt verstehen kann. Er ist nicht wie bei Plato zu einer bloßen

Ahnung der Wahrheit der reinen Ideen gezwungen und wie bei den Spätscholastikern zur

bloßen probabilitas (Wahrscheinlichkeit) verurteilt (s. S. 50 u. 147):

«Simplicio: Wenn ich anders zu den Menschen gehöre, die Verstand besitzen, so liegt in dem, was Ihr sagt, ein

offenbarer Widerspruch. Als einen der großen Vorzüge, ja als den größten von allen, betrachtet Ihr an dem von

der Natur geschaffenen Menschen den Verstand, und doch sagtet Ihr noch eben mit Sokrates, dass sein Verstand

ein Nichts sei. Man muss also sagen, auch die Natur habe nicht verstanden, einen Geist hervorzubringen, der

versteht.

Salviati: Euer Einwand ist sehr scharfsinnig; um darauf zu erwidern, muss man sich auf eine philosophische

Unterscheidung berufen und feststellen, dass der Begriff des Verstehens in zweierlei Weise gebraucht werden

kann, nämlich intensive oder extensive. Extensive, d.h., bezüglich der Menge der zu begreifenden Dinge, deren

Zahl unendlich ist, ist der menschliche Verstand gleich Nichts, hätte er auch tausend Wahrheiten erkannt; denn

Tausend ist im Vergleich zur Unendlichkeit nicht mehr wie Null. Nimmt man aber das Verstehen intensive,

insofern dieser Ausdruck die Intensität, d.h., die Vollkommenheit in der Erkenntnis irgendeiner einzelnen

Wahrheit bedeutet, so behaupte ich, dass der menschliche Intellekt einige Wahrheiten so vollkommen begreift

und ihrer so unbedingt gewiss ist, wie es nur die Natur selbst sein kann. Dahin gehören die rein mathematischen

Erkenntnis, nämlich die Geometrie und die Arithmetik. Freilich erkennt der göttliche Geist unendlich viel mehr

mathematische Wahrheiten, denn er erkennt sie alle. Die Erkenntnis der wenigen aber, welche der menschliche

Geist begriffen, kommt meiner Meinung an objektiver Gewissheit der göttlichen Erkenntnis gleich; denn sie

gelangt bis zur Einsicht ihrer Notwendigkeit, und eine höhere Stufe der Gewissheit kann es wohl nicht geben.»59

Diese Behauptung wurde Galilei auch von der Inquisition vorgeworfen. Vielleicht liegt in

diesem Punkt sogar der Kern der kirchlichen Vorwürfe. Wenn zwischen göttlicher und

menschlicher Auffassung mathematischer Wahrheiten eine gewisse Ähnlichkeit besteht, dann

werden von Galilei einmal die menschlichen Fähigkeiten zu sehr aufgewertet, zum anderen

verlieren dadurch die Offenbarung und die sie verwaltende Kirche den Anspruch, die alleinige

für den Menschen mögliche Wahrheit zu liefern. Also eher der Wahrheitsanspruch der neuen

Wissenschaft wird als gefährlich eingestuft und nicht so sehr die Inhalte selbst.

4. Galilei ist jedoch auch der ursprünglichen aristotelischen, von den spätscholastischen

Auflösungserscheinungen noch freien Tradition verpflichtet. Er hat die Methode der resolutio

und compositio, wie wir sie bei Grosseteste (Abschnitt 3) in Anlehnung an Aristoteles schon

kennen gelernt haben, weiter vervollkommnet. Die resolutive Methode wird platonisch-

archimedisch umgedeutet: die beobachteten, den Sinnen zugänglichen Eigenschaften werden

reduziert auf diejenigen wesentlichen Bestandteile, die intuitiv als Ursache des Phänomens

gelten – Ursache jetzt nicht mehr im aristotelischen Sinn, sondern im modernen. In einem

zweiten Schritt werden mit Hilfe der Mathematik Schlüsse aus den durch die resolutio

erzeugten Elementen gezogen, die einen inneren gesetzlichen Zusammenhang der Elemente

herstellen. Diese axiomatischen Annahmen gelten universal für alle vergleichbaren

physikalischen Objekte, seien sie nun auf der Erde oder im Weltall. In der dritten Phase, der

compositiven Methode, werden aus der axiomatischen Annahme (ex suppositione) empirische

Folgerungen abgeleitet, die vorher noch nicht bekannt und beobachtet waren, nun aber mit

Hilfe des Experiments geprüft werden können. So leitet Galilei zum Beispiel ab, dass die

maximale Reichweite eines Geschosses bei einem Abschlusswinkel von 45° erreicht wird und

dass alle Geschosse gleich weit fliegen, deren Abschusswinkel zu 45° gleich weit geneigt ist:

«Sagredo: Erstaunlich und entzückend ist die Macht zwingender Beweise, und so sind die mathematischen allein

gearbeitet. Ich kannte schon nach Aussage der Bombenwerfer die Tatsache, dass von allen Kanonen- und

Mörserschüssen die unter einem halben Rechten abgeschossene Kugel am weitesten fliege; sie nennen es den

sechsten Punkt des Winkelmaßes. Aber das Verständnis des inneren Zusammenhanges wiegt unendlich viel

mehr als die einfache Versicherung anderer, und selbst mehr als der häufig wiederholte Versuch.

Salviati: Ihre Bemerkung ist sehr wahr: die Erkenntnis einer einzigen Tatsache nach ihren Ursachen [= resolutio]

eröffnet uns das Verständnis anderer Erscheinungen [= compositio], ohne Zurückgreifen auf die Erfahrung; So

ist es gerade auch im vorliegenden Falle, wo wir durch Überlegung uns die Gewissheit verschafft haben, dass der

weiteste Wurf unter einem haben Rechten erzielt werde; in Folge beweist uns der Autor etwas, was durch das

Experiment vielleicht nicht beobachtet worden ist; dass nämlich andere Schüsse gleich weit tragen, wenn die

Neigungen gleich viel unter oder über einem halben Rechten betragen: so dass Kugeln, deren eine unter dem 7.,

die andere unter dem 5. Punkt abgeschlossen werden, die gleiche Wurfweite im Horizonte haben, und ebenso die

unter 8 und unter Punkt 4, 9 und 3 etc.»60

5. Es ist recht schwierig zu beurteilen und in der Galilei-Forschung umstritten, wie die

experimentelle Tätigkeit von Galilei einzuschätzen ist und wie schwer sie wiegt im Vergleich

zu den vier eben genannten Einflüssen. An vielen Stellen fordert Galilei das Experiment als

Bestätigung seiner «mathematischen Beweise». Aber umgekehrt betont er auch, wie er

Sagredo an der eben zitierten Stellen sagen lässt, dass die Kenntnis des inneren

Zusammenhangs und der Ursachen Experimente eigentlich überflüssig mache. Viele

Experimente, die er anführte, waren nur Gedankenexperimente, zum Beispiel das folgende,

das er von Giovanni Battista Benedetti (1530-1590) übernahm, dass, wenn zwei gleich

schwere Körper von gleichem Material nebeneinander her fallen, sie nicht schneller fallen

können, wenn sie zusammengebunden sind. Salviati, der galileische Physiker, will im

folgenden Simplicio, den Aristoteliker, davon überzeugen, dass alle Körper gleich schnell

fallen, indem er das aristotelische Denken in eine Paradoxie zuspitzt:

«Zunächst zweifle ich sehr daran, dass Aristoteles je experimentell nachgesehen habe, ob zwei Steine, von denen

der eine ein 10mal so großes Gewicht hat als der andere, wenn man sie in ein und demselben Augenblick fallen

ließe, z.B. 100 Ellen hoch herab, so verschieden in ihrer Bewegung sein sollten, dass bei der Ankunft des

größeren der kleinere erst 10 Ellen zurückgelegt hätte.

Simplicio: Man sieht’s aus Ihrer Darstellung, dass Ihr darüber experimentiert habt, sonst würdet Ihr nicht reden

vom Nachsehen.

Sagredo: Aber ich, Herr Simplicio, der ich einen Versuch61

angestellt habe, versichere Euch, dass eine

Kanonenkugel von 100, 200 und mehr Pfund um keine Spanne vor einer Flintenkugel von einem halben Pfund

Gewicht die Erde erreichen wird, wenn beide aus 200 Ellen Höhe herabkommen.

Salviati: Ohne viel Versuche können wir durch eine kurze, bindende Schlussfolgerung nachweisen, wie

unmöglich es sei, dass ein größeres Gewicht sich schneller bewege als ein kleineres, wenn beide aus gleichem

Stoff bestehen; und überhaupt alle jene Körper, von denen Aristoteles spricht. Denn sagt mir, Herr Simplicio,

gebt Ihr zu, dass jeder fallende Körper eine von Natur ihm zukommende Geschwindigkeit habe; so dass, wenn

dieselbe vermehrt oder vermindert werden soll, eine Kraft angewandt werden muss oder ein Hemmnis.

Simplicio: Unzweifelhaft hat ein Körper in einem gewissen Mittel eine von Natur bestimmte Geschwindigkeit,

die nur mit einem neuen Antrieb vermehrt oder durch ein Hindernis vermindert werden kann.

Salviati: Wenn wir zwei Körper haben, deren natürliche Geschwindigkeit verschieden sei, so ist es klar, dass,

wenn wir den langsameren mit dem geschwinderen vereinigen, dieser letztere von jenem verzögert werden

müsste, und jener, der langsamer, müsste vom schnelleren beschleunigt werden. Seid Ihr hierin mit mir

einverstanden?

Simplicio: Mit scheint die Konsequenz völlig richtig.

Salviati: Aber wenn dieses richtig ist, und wenn es wahr wäre, dass ein großer Stein sich zum Beispiel mit 8 Maß

Geschwindigkeit bewegt, und ein kleinerer Stein mit 4 Maß, so würden beide vereinigt eine Geschwindigkeit

von weniger als 8 Maß haben müssen; aber die beiden Steine zusammen sind doch größer als jener größere Stein

war, der 8 Maß Geschwindigkeit hatte; mithin würde sich nun der größere langsamer bewegen als der kleinere;

was gegen Eure Voraussetzug wäre. Ihr seht also, wie aus der Annahme, ein größerer Körper habe eine größere

Geschwindigkeit als ein kleinerer Körper, ich Euch weiter folgern lassen konnte, dass ein größerer Körper

langsamer sich bewege als ein kleinerer.

Simplicio: Ich bin ganz verwirrt, denn mir will es nun scheinen, als ob der kleine Stein, dem größeren zugefügt,

dessen Gewicht und daher durchaus auch dessen Geschwindigkeit vermehre, oder jedenfalls, als ob letztere nicht

vermindert werden müsse.

Salviati: Hier begeht Ihr einen neuen Fehler, Herr Simplicio, denn es ist nicht richtig, dass der kleine Stein das

Gewicht des größeren vermehre.

Simplicio: So? das überschreitet meinen Horizont.

Salviati: Keineswegs, sobald ich Euch von dem Irrtum, in dem Ihr Euch bewegt, befreit haben werde: und

merket wohl, dass man hier unterscheiden müsse, ob ein Körper sich bereits bewege oder ob er in Ruhe sei.

Wenn wir einen Stein auf eine Waagschale tun, so wird das Gewicht durch Hinzufügung eines zweiten Steines

vermehrt, ja selbst die Zulage eines Stückes Werg wird das Gewicht um die 6-10 Unzen anwachsen lassen, die

das Wergstück hat. Wenn Ihr aber den Stein mitsamt dem Werg von einer großen Höhe frei herabfallen lasset,

glaubt Ihr, dass, während der Bewegung das Werg den Stein drücke und dessen Bewegung beschleunige; oder

glaubt Ihr, dass der Stein aufgehalten wird, indem das Wergstück ihn trägt? Fühlen wir nicht die Last auf

unseren Schultern, wenn wir uns stemmen wollen gegen die Bewegung derselben; wenn wir aber mit derselben

Geschwindigkeit uns bewegen wie die Last auf unserem Rücken, wie soll dann letztere uns drücken und

beschweren? Seht Ihr nicht, dass das ähnlich wäre, wie wenn wir mit der Lanze treffen wollten, der mit

derselben Geschwindigkeit vor uns herfliegt? Zieht also den Schluss, dass beim freien Fall ein kleiner Stein den

großen nicht drücke und nicht sein Gewicht, so wie in der Ruhe, vermehre.

Simplicio: Aber wenn der größere Stein auf dem kleineren ruhte?

Salviati: So würde er das Gewicht vermehren müssen, wenn seine Geschwindigkeit überwöge; aber wir fanden

schon, dass, wenn die kleinere Last langsamer fiele, sie die Geschwindigkeit der großen vermindern müsste, und

mithin die zusammengesetzte Menge weniger rasch sich bewegte als ein Teil; was gegen Eure Annahme spricht.

Lasst uns also feststellen, dass große und kleine Körper, von gleichem spezifischen Gewicht, mit gleicher

Geschwindigkeit sich bewegen.

Simplicio: Eure Herleitung ist wirklich vortrefflich; und doch ist es mir schwer zu glauben, dass ein Bleikorn so

schnell wie eine Kanonenkugel fallen solle.

Salviati: Sagt nur, ein Sandkorn so schnell wie ein Mühlstein.»62

Es scheint eher eine solche Art von Gedankenarbeit gewesen zu sein, die Galilei auf sein

Fallgesetz brachte als eine Experimentreihe. In den Discorsi wird das berühmte Experiment

mit der schiefen Ebene wie folgt beschrieben:

«Auf einem Lineale, oder sagen wir auf einem Holzbrett von 12 Ellen Länge, bei einer halben Elle Breite und

drei Zoll Dicke, war auf dieser letzten schmalen Seite eine Rinne von etwas mehr als einem Zoll Breite

eingegraben. Dieselbe war sehr gerade gezogen, und um die Fläche recht glatt zu haben, war inwendig ein sehr

glattes und reines Pergament aufgeklebt; in dieser Rinne ließ man eine sehr harte, völlig runde und glatt polierte

Messingkugel laufen. Nach Aufstellung des Brettes wurde dasselbe einerseits gehoben, bald eine, bald zwei

Ellen hoch; dann ließ man die Kugel durch den Kanal fallen und verzeichnete in sogleich zu beschreibender

Weise die Fallzeit für die ganze Strecke; häufig wiederholten wir den einzelnen Versuch, zur genaueren

Ermittlung der Zeit, und fanden gar keine Unterschiede, auch nicht einmal von einem Zehntel eines

Pulsschlages. Darauf ließen wir die Kugel nur durch ein Viertel der Strecke laufen, und fanden stets genau die

halbe Fallzeit gegen früher. Dann wählten wir andere Strecken und vergleichen die gemessene Fallzeit mit der

zuletzt erhaltenen und mit denen von 2/3 oder ¾ oder irgend anderen Bruchteilen; bei wohl hundertfacher

Wiederholung fanden wir stets, dass die Strecken sich verhielten wie die Quadrate der Zeiten: und dieses zwar

für jedwede Neigung der Ebene, d.h., des Kanales, in dem die Kugel lief. Hierbei fanden wir außerdem, dass

auch die bei verschiedenen Neigungen beobachteten Fallzeiten sich genauso zueinander verhielten, wie weiter

unten unser Autor dasselbe andeutet und beweist. Zur Ausmessung der Zeit stellten wir einen Eimer voll Wasser

auf, in dessen Boden ein enger Kanal angebracht war, durch den ein feiner Wasserstrahl sich ergoss, der mit

einem kleinen Becher aufgefangen wurde, während einer jeden beobachteten Fallzeit; das dieser Art

aufgesammelte Wasser wurde auf einer sehr genauen Waage gewogen; aus den Differenzen der Wägungen

erhielten wir die Verhältnisse der Gewichte und die Verhältnisse der Zeiten, und zwar mit solcher Genauigkeit,

dass die zahlreichen Beobachtungen niemals merklich [di un notabile momento] von einander abwichen.

Simplicio: Wie gern hätte ich diesen Versuchen beigewohnt; aber da ich von Eurer Sorgfalt und Eurer

wahrheitsgetreuen Wiedergabe überzeugt bin, beruhige ich mich und nehme dieselben als völlig sicher und wahr

an.»63

Bei anderen angegebenen Versuchen müssen wir aber Galileis Wahrheitstreue in Zweifel

ziehen, denn er berichtet auch manchmal von Ergebnissen, die unmöglich auftreten können.

Wie in der eben zitierten Stelle hat es oft den Anschein, dass das Experiment bei Galilei

eigentlich nur für den da ist, der (noch) zu wenig Vertrauen in die mathematische Struktur der

Wirklichkeit setzt – Experimente als Zugabe an den schon leicht in seiner Meinung

schwankend gewordenen Aristoteliker.

Es ist auch umstritten, inwieweit Galilei dadurch «aus der Erfahrung gelernt» hat, dass er

den Handwerkern und Künstlern seiner Zeit genau bei ihrer Arbeit zuschaute. Es wird oft

gesagt, dass Galilei gerade im wirtschaftlich starken Venedig ein weites Feld an praktischer

Handwerkskunst vorgefunden habe. In diesem Zusammenhang beruft man sich gern auf den

Anfang der Discorsi, wo das venezianische Arsenal als Fundgrube für den Theoretiker

beschrieben wird:

«Salviati: Die unerschöpfliche Tätigkeit Eures berühmten Arsenals, Ihr meine Herren Venetianer, scheint mir

den Denkern ein weites Feld der Spekulation darzubieten, besonders im Gebiete der Mechanik; da fortwährend

Maschinen und Apparate von zahlreichen Künstlern ausgeführt werden, unter welch letzteren sich Männer von

umfassender Kenntnis und von bedeutendem Scharfsinn befinden.

Sagredo: Sie haben vollkommen recht, mein Herr; und ich, der ich (von Natur) wissbegierig bin, komme häufig

hierher, und die Erfahrung derer, die wir wegen ihrer hervorragenden Meisterschaft «die Ersten» [Proti] nennen,

hat meinem Verständnis oft den Kausalzusammenhang wunderbarer Erscheinungen eröffnet, die zuvor für

unerklärbar und unglaublich gehalten wurden; und wirklich war ich oft verwirrt und verzweifelt darüber, dass so

viele Dinge der Erfahrung nicht erklärt werden konnten, Dinge, die sogar sprichwörtlich bekannt sind, wie denn

manche vulgäre Meinung geäußert wird, um etwas über die Dinge zu sagen, die die guten Leute selbst nicht

fassen können.»64

Die von und über Galilei bekannten Zeugnisse reichen wohl nicht aus, darüber zu

entscheiden, ob Galilei nun von den Praktikern des Arsenals gelernt hat oder ob nicht

umgekehrt doch eher die Praktiker erst von ihm die Prinzipien ihrer Praxis erklärt bekamen.

Francis Bacon (1561-1626)

Bacon hat einen anderen Experimentbegriff entwickelt als Galilei. Während für Galilei in

Anlehnung an die kompositive Methode des Aristoteles und der Scholastiker ein Experiment

immer verifikativen (oder falsifizierenden) Charakter hat, also eine schon vorher im Verstand

gewonnene Schlussfolgerung bestätigt (oder widerlegt), ist für Francis Bacon das Experiment

innovativ, d.h. es führt zu Einsichten in die Natur, die vor der Durchführung des Experiments

weder bekannt waren noch vermutet wurden. Indem der Mensch die Natur aktiv bearbeitet

und sie allen möglichen Bedingungen unterwirft, kommt er zu neuem Wissen über die Natur:

«Wie im gewöhnlichen Leben die Denkart und Gemütsbeschaffenheit eines Menschen sich leichter offenbart,

wenn er in Leidenschaft geraten ist, so enthüllen sich auch die Verborgenheiten der Natur besser unter den

Quälungen der Kunst, als wenn man die Natur in ihrem Gange ungestört lässt.»65

Bacons Vertrauen zu dieser Art von Experimenten führte sogar so weit, dass er jeder Art

von Hypothese, die nicht direkt aus Experimenten (in Versuch-und-Irrtum-Verfahren)

hervorgegangen is, sehr kritisch und ablehnend gegenüberstand. Aus diesem Grunde lehnte er

gleichermaßen die ptolemäische wie die copernicanische Astronomie ab.

Bacons Verdienst besteht zuvorderst darin, dass er die magische Praktik, die magische

Technik der Naturbeherrschung säkularisiert. Das Experiment verliert bei hm seine magischen

Obertöne. Wie wir in Abschnitt 5 sahen, war der künstliche Eingriff des Menschen in die

Natur, mit dessen Hilfe er seine Geschicke wenden will, anfangs hauptsächlich eine magische

Technik und stand im starken Gegensatz zum Aristotelismus und rationalen Platonismus.

Bacon wendet sich sehr scharf gegen alle hermetisch-magischen Vorstellungen:

«Die pythagoräische Philosophie gebar das Monstrum der Phantasie, welches von der Schule Platos und anderer

ernährt und auch aufgezogen wurde, dass nämlich die Welt ein einziges lebendiges Tier sei; daher behauptet

Apollonios von Tyana z.B., dass Ebbe und Flut nichts weiter sei als die Respiration der Welt, welche das Wasser

wie den Atem einzöge und wieder von sich stieße. – Wenn aber die Welt lebt, folgert man weiter, so hat sie auch

eine Seele, einen Geist, und diesen nennen sie die Weltseele, den Weltgeist; dieser ist nicht Gott selbst, sondern

eben die essentiale Form der Welt. Von diesem Fundament aus geht die Einbildung und der Irrtum weiter. Bei

den Tieren soll sich z.B., mögen sie noch so gewaltig groß sein, die sinnliche Affektion von einem Gliede aus im

Augenblick über den ganzen Körper verbreiten. Ebendies überträgt man nun auch auf die Welt, und damit sind

denn auch die magischen Wirkungen durch keine Entfernung mehr getrennt, sondern was auf irgendeinem Orte

der Erde geschieht, wird überall empfunden, einzig und allein durch den lebendigen Zusammenhang des Ganzen.

Hieran knüpft sich dann weiter die tolle Meinung, dass der menschliche Geist, der Mikrokosmos, durch bloße

Imagination und festen Willen die ganze Natur beherrschen könne. Die Welt von diesem magischen Unsinn zu

befreien, ist wahrlich eine Herkulesarbeit und dem Ausmisten des Stalls des Augias nicht unähnlich.»66

Aber unter dem Mist findet Bacon doch etwas Brauchbares, das Experiment. Er versucht

zu begründen, dass Experimente nicht wesentlich zur Magie zu rechnen sind, sondern dass

das Experiment wissenschaftliche Erkenntnis bringen kann, ja, dass es überhaupt die einzige

Quelle der Erkenntnis ist. In «De dignitate et augmentis scientiarum» (Über die Würde und

den Fortgang der Wissenschaften, 1623), schreibt er:

«Wie es auch damit sei, das über die Magie hiermit Gesagte genüge hier; wir haben das Mal des schlechten Rufs

von ihrem Namen ausgelöscht und haben gezeigt, dass man ihr wahres Antlitz von ihrem falschen unterscheiden

muss.»67

Zu Bacons Zeit wurde der Aristotelismus auf den verschiedensten Gebieten aus

unterschiedlichen Gründen als überholt angesehen. Unter diesem Eindruck kommt Bacon zum

Schluss, dass es falsche, vorgefaßte Meinungen waren, die die aristotelische Naturauffassung

und überhaupt die Wissenschaften bis zu einer Zeit den falschen Weg gehen ließen. Er

versucht nun, die Wissenschaften insgesamt zu reformieren. Eine Reform ist möglich, weil es

dem Menschen möglich ist, alle vorgefaßte Meinung (anticipatio naturae) aus seinem

Verstande zu verbannen. (Hätte sich Galilei konkret zu dieser philosophischen These

geäußert, hätte er wohl gesagt, dass auch die «neue Wissenschaft» ohne eine «vorgefaßte

Meinung» nicht auskomme, dass sie der mathematisch formulierten suppositio, aus der sich

erst die Fakten ableiten lassen, notwendig bedürfe.) Aber die Reform ist sehr schwierig, denn

der Mensch ist in allerlei Götzenbilder, «Idole», verliebt. Am Anfang jeder Wissenschaft steht

also die Reinigung des Verstandes von allen Faktoren, die die Wahrnehmung verzerren

können. Bacon untersuchte diese Faktoren systematisch und fand vier unterschiedliche

Formen. Er lieferte damit als erster eine ideologische Kritik. Im 1620 veröffentlichten

«Novum Organum» (Das neue Organon; «Organon» wurden die methodologischen Schriften

des Aristoteles genannt), seinem Hauptwerk, schreibt er:

«38. Die Götzenbilder und falschen Begriffe, die von dem menschlichen Geist schon Besitz ergriffen haben und

fest in ihm wurzeln, halten den Geist nicht bloß so besetzt, dass die Wahrheit nur schwer einen Zutritt findet,

sondern dass, selbst wenn dieser Zutritt gewährt und bewilligt worden ist, sie bei der Erneuerung der

Wissenschaften immer wiederkehren und belästigen, so lange man nicht sich gegen sie vorsieht und nach

Möglichkeit verwahrt.

39. Es gibt vier Arten von Götzenbildern, welche den menschlichen Geist besetzt halten. Zur leichteren

Darstellung habe ich ihnen besondere Namen gegeben; die erste Art nenne ich die Götzenbilder des Stammes;

die zweite die der Höhle; die dritte die des Marktes; die vierte die des Theaters [Idola tribus, idola specus, idola

fori, idola theatri].

40. Die Aufstellung der Begriffe und Sätze vermittelst der wahren Induktion ist sicherlich ein geeignetes Mittel,

um die Götzenbilder abzuhalten und zu entfernen; aber auch die Beschreibung der Götzenbilder ist von großem

Nutzen; denn die Lehre von den Götzenbildern verhält sich zur Erklärung der Natur ähnlich wie die Lehre von

den scholastischen Künsten zur gewöhnlichen Dialektik.

41. Die Götzenbilder des Stammes haben ihren Grund in der menschlichen Natur, in dem Stamm oder

Geschlecht der Menschen selbst. Denn es ist unrichtig, dass der menschliche Sinn das Maß der Dinge sei;

vielmehr geschehen alle Auffassungen der Sinne und des Verstandes nach der Natur des Menschen, nicht nach

der Natur des Weltalls. Der menschliche Verstand gleicht einem Spiegel mit unebener Fläche für die Strahlen

der Gegenstände, welcher seine Natur mit der der letzteren vermengt, sie entstellt und verunreinigt.

42. Die Götzenbilder der Höhle sind die Götzenbilder des einzelnen Menschen. Denn jeder einzelne hat neben

den Verirrungen der menschlichen natur im allgemeinen eine besondere Höhle oder Grotte, welche das

natürliche Licht bricht und verdirbt; teils in Folge der eigentümlichen und besonderen Natur eines jeden, teils in

Folge der Erziehung und des Verkehrs mit andern, teils in Folge der Bücher, die er gelesen hat, und der

Autoritäten, die er verehrt und bewundert, teils in Folge des Unterschiedes der Eindrücke bei einer

voreingenommenen und vorurteilsvollen Sinnesart gegen eine ruhige und gleichmäßige Stimmung, und

dergleichen mehr. Der menschliche Geist ist deshalb in seiner Verfassung bei dem einzelnen ein sehr

veränderliches, gestörtes und gleichsam zufälliges Ding. Deshalb sagt Heraklit richtig, dass die Menschen die

Wissenschaften in ihren kleinen Welten suchen, aber nicht in der großen und gemeinsamen.

43. Es gibt auch Götzenbilder in Folge der gegenseitigen Berührung und Gemeinschaft des menschlichen

Geschlechts, welche ich wegen des Verkehrs und der Verbindung der Menschen die Götzenbilder des Marktes

nenne. Denn die Menschen gesellen sich zu einander vermittelst der Rede; aber die Worte werden den Dingen

nach der Auffassung der Menge beigelegt; deshalb behindert die schlechte und törichte Beilegung der Namen

den Geist in merkwürdiger Weise. Auch die Definitionen und Erklärungen, womit die Gelehrten sich manchmal

zu schützen und zu verteidigen pflegen, bessern die Sache keineswegs. Denn die Worte tun dem Verstande

Gewalt an, stören alles und verleiten die Menschen zu leeren und zahllosen Streitigkeiten und Erdichtungen.

44. Es gibt endlich Götzenbilder, welche in die Seele der Menschen aus den mancherlei Lehrsätzen der

Philosophie und auch aus verkehrten Regeln der Beweise eingedrungen sind und die ich die Götzenbilder des

Theaters nenne; denn so viel wie philosophische Systeme erfunden und angenommen worden sind, so viel

Fabeln sind damit vorgebracht und aufgeführt worden, welche aus der Welt eine Dichtung und eine Schaubühne

gemacht haben. ich meine hier nicht bloß die schon vorhandenen oder die altenphilosophischen Systeme und

Sekten, da man ja noch mehr solcher Fabeln ersinnen und zusammensetzen kann; denn trotz der

Mannigfaltigkeit des Irrtums ist doch die Ursache desselben überall die gleiche. Ich beziehe das nicht bloß auf

die allgemeine Philosophie, sondern auch auf manche Prinzipien und Lehrsätze der besonderen Wissenschaften,

die durch Herkommen, Leichtgläubigkeit und Nachlässigkeit Geltung erlangt haben.

Indes werde ich über diese einzelnen Arten von Götzenbildern noch ausführlicher und bestimmter sprechen

müssen, damit der menschliche Geist dagegen geschützt bleibe.»68

Wenn der Mensch sich genügend befreit hat von all diesen Trugbildern, kann er

darangehen, die Natur zu untersuchen. Die «anticipatio naturae» (Vorausnahme aus der Natur,

Vorgreifen des Geistes) durch die Idole wird ersetzt durch die «interpretatio naturae»

(Interpretation oder Erklärung der Natur). Bacon ist also kein Skeptiker wie Descartes, der bei

seiner Suche nach Erkenntnis zuerst einmal an allem zweifelt, sondern er will eine Methode

angeben, die die Sinne rehabilitiert.

Konkret geht die Untersuchung der Natur in drei Schritten vonstatten. An erster Stelle

steht die «Naturgeschichte», in der mit Hilfe der sinnlichen Wahrnehmung die Natur

beschrieben wird. Im zweiten Schritt werden die Wahrnehmungen geordnet in dem von

Bacon so genannten «Drei-Listen-Verfahren», das das Gedächtnis des Menschen unterstützen

soll. Dabei sind zuerst viele Fälle zu suchen, in denen sich eine zur Untersuchung gewählte

Eigenschaft oder «Natur» zeigt. Diese Fälle sollen sich in Bezug auf diese Eigenschaft

gleichen, aber sonst so verschieden wie möglich sein. Das Verzeichnis all dieser Fälle heißt

die positive Instanzentafel. In einer zweiten Tafel der negativen Instanzen sind solche

Phänomene zu sammeln, die denen der ersten Liste so ähnlich wie möglich sind, denen aber

die zur Debatte stehende Eigenschaft oder Natur nicht zukommt. Die dritte Tafel, die Tafel

der Grade, soll festhalten, unter welchen experimentellen Bedingungen und auf welche Weise

sich die Eigenschaft ändert.

Nach dem «Drei-Listen-Verfahren» beginnt der dritte Teil der Arbeit, die

Verstandestätigkeit, die Methode der Induktion im eigentlichen, engeren Sinne. Nun können

verschiedene Hypothesen ausgedacht werden, die mit den Listen konsistent sein müssen und

umso wahrscheinlicher erscheinen, je vollständiger und systematischer die Listen sind. Die

Hypothese ist eine Aussage über die so genannte «Form» der Erscheinungen, ein Kunstbegriff

bei Bacon, an dem verschiedene Traditionen teilhaben, aristotelische, platonische, auch

hermetische, und der ziemlich unklar bleibt. Bei der Untersuchung der Wärme zum Beispiel

kommt Bacon zum Schluss, dass die Bewegung die Form der Wärme sei. Wenn man die

Form einer Eigenschaft gefunden zu haben glaubt, kann man dies nachprüfen, indem man die

Eigenschaft selbst wieder künstlich herstellt. Es gilt generell, dass, wenn man die Form einer

Sache erfasst hat, man sie auch herstellen kann. Bacon war der Meinung, dass sich diese

Methode zur Goldherstellung eigne – ein weiteres Indiz, dass seine Methode eine

«entzauberte» Magie und Alchemie darstellt:

«Wenn man nun die Formen und Wege kennt, wie das Gelbe, das Gewicht, die Dehnbarkeit, die Festigkeit, der

Fluss (fluor), die Lösungen (solutiones), und alles übrige in den richtigen Graden und Weisen beigebracht

werden kann, so wird man diese Eigenschaften auch in einem Körper zu verbinden verstehen, und daraus folgt

dann die Umwandlung in Gold … Man wird höchstens in der Ausführung mehr beschränkt sein, wenn vieles

zugleich verlangt wird, weil es schwer ist, viele Eigenschaften zu verbinden.»69

Zur Leitung und Unterstützung des Verstandes gibt Bacon neun Gruppen von Hilfsmitteln

an, behandelt aber selbst nur die erste Gruppe, die so genannten «prärogativen Instanzen».

Das ist eine Sammlung von Ideen, von denen er glaubt, dass sie das Auffinden der «Formen»

beschleunigen und das Einschlagen von Sackgassen verhindern.

Bacons Methode war für die Formung des Selbstverständnisses der neuen

Naturwissenschaft ungeheuer erfolgreich. Dies gilt zumindest für die eine Gruppe von

Wissenschaften, die nicht aus einer Anknüpfung und Transformation der antiken

Wissenschaften (wie Mechanik, Optik, Astronomie, Kartographie und die anderen

«mathematischen Wissenschaften») entstanden sind, sondern für solche Gebiete, die in der

Zeit der wissenschaftlichen Revolution erstmals systematisch und mit Instrumenten

untersucht wurden und zu neuen naturwissenschaftlichen Disziplinen führten. Beispiele dafür

sind Magnetismus, Elektrizitätslehre, Wärmelehre, Chemie, Zoologie, Botanik, Geologie usw.

Bacons Methodenlehre war stark dafür verantwortlich, dass die Beschäftigung mit den

genannten Gebieten aufgewertet wurde. Ob der tatsächliche Weg der Forschung auch nur ein

einziges Mal nach seiner Methode vorangegangen ist, mag mit Recht bezweifelt werden. Aber

der programmatische Ausdruck von Bacons Gedanken war sehr wirksam.

Hier noch einige Beispiele aus einem «Novum Organum», die seine visionäre

wirkungsvolle Denkweise und seinen übertragenden literarischen Stil illustrieren sollen:

«Es handelt sich nicht bloß um das Glück der Wissenschaften, sondern in Wahrheit um die Lage und das Glück

der Menschheit und um die Macht zu allen Werken. Denn der Mensch, als Diener und Dolmetscher der Natur,

wirkt und erkennt nur so viel, als er von der Ordnung der Natur durch seine Werke oder seinen Geist beobachtet

hat; darüber hinaus weiß und vermag er nichts. Denn keine Kraft vermag die Kette der Ursächlichkeit zu lösen

oder zu brechen, und sie wird nur besieht, wenn man ihr gehorcht. Deshalb fallen jene Zwillingsziele, die

menschliche Wissenschaft und die menschliche Macht, in eins zusammen, und die meisten Werke misslingen

aus Unkenntnis der Ursachen …

1. Der Mensch, als Diener und Erklärer der Natur, wirkt und weiß nur so viel, als er von der Ordnung der

Natur durch die Sache oder seinen Geist beobachtet hat; mehr weiß und vermag er nicht.

2. Weder die bloße Hand noch der sich selbst überlassene Geist vermag Erhebliches; durch Werkzeuge und

Hilfsmittel wird das Geschäft vollbracht; man bedarf dieser also für den Verstand wie für die Hand. Und so wie

die Werkzeuge die Bewegung der Hände erwecken und leiten, so müssen auch die Werkzeuge des Geistes den

Verstand stützen und behüten.

3. Wissen und Können fällt bei dem Menschen in Eins, weil die Unkenntnis der Ursache die Wirkung

verfehlen lässt. Die Natur wird nur durch Gehorsam besieht; was bei der Betrachtung als Ursache gilt, das gilt

bei der Ausführung als Regel.

19. Zwei Wege zur Erforschung und Entdeckung der Wahrheit sind möglich. Auf dem einen fliegt man von

den Sinnen und den einzelnen gleich zu den allgemeinsten Sätzen hinauf und bildet und ermittelt aus diesen

obersten Sätzen, als der unerschütterlichen Wahrheit, die mittleren Sätze. Dieser Weg ist jetzt in Gebraucht. Der

zweite zieht aus dem Sinnlichen und Einzelnen Sätze, steigt stetig und allmählich in die Höhe und gelangt erst

zuletzt zu dem Allgemeinsten. Dies ist der wahre, aber unbetretene Weg.

20. Jenen ersten Weg betritt der sich selbst überlassene Geist und tut es nach den Regeln der Dialektik.

Denn der Geist drängt nach dem Allgemeinsten hinauf, um da auszuruhen, und der Erfahrung wird er in kurzer

Zeit überdrüssig. Dieses Übel hat zuletzt die Dialektik vergrößert, um die Disputationen auszuschmücken.

21. Bei einem mäßigen, ruhigen und ernsten Temperament versucht der sich selbst überlassene Verstand,

wenn er namentlich von den hergebrachten Lehren nicht gehemmt wird, ein wenig jenen zweiten Weg, der zwar

geradeaus führt, aber nur langsam weiter bringt. Denn der Verstand ist ohne Leitung und Unterstützung ein

unbeständiges Ding und unfähig, die Dunkelheit der Gegenstände zu überwinden.

95. Diejenigen, welche die Wissenschaften bearbeiteten, waren entweder Empiriker oder Dogmatiker. Jene

sammeln und verbrauchen nur, wie die Ameisen; Letztere aber, welche mit der Vernunft beginnen, ziehen wie

die Spinnen das Netz aus sich selbst heraus. Das Verfahren der Bienen steht zwischen beiden; diese ziehen den

Saft aus den Blumen in den Gärten und Feldern, aber behandeln und verdauen ihn durch eigene Kraft. Ähnlich

ist das Geschäft der Philosophie; es stützt sich nicht ausschließlich oder hauptsächlich auf die Kräfte der Seele,

und es nimmt den von der Naturkunde und den mechanischen Versuchen gebotenen Stoff nicht unverändert in

das Gedächtnis auf, sondern verändert und verarbeitet ihn im Geiste. Deshalb können auf das engere und festere

Bündnis beider Vermögen, es versuchenden nämlich und des denkenden, was bis jetzt noch nicht bestanden hat,

die besten Hoffnungen gebaut werden.»70

Das zweite große Verdienst Bacons, neben der Entzauberung und Aufwertung des

Experiments, besteht darin, dass er sich als erster umfassend mit der Naturwissenschaft als

sozialem Phänomen auseinandersetzte. Die Sammlung von Erfahrungen verstand er als ein

soziales Unternehmen, sowohl was ihr Objekt, die Methode als auch das Ziel anging: In der

Naturwissenschaft werden neben der Natur auch alle Künste und Praktiken des Menschen

untersucht; sie entsteht durch systematische und organisierte Zusammenarbeit von Forschern,

und sie führt schließlich zur Beherrschung der Natur durch den Menschen bzw. die

Gesellschaft zum Wohle des Menschen. Diese Vision trug mit zur Gründung der Royal

Society 1662 in London bei, die Bacon als ihren geistigen Vater betrachtete.

Für Bacon war die Naturwissenschaft das Instrument, mit dessen Hilfe der Mensch die

Bedingungen auf der Erde zu seinem Nutzen beeinflussen kann. Diese Beeinflussung geht

kontinuierlich vonstatten und bringt dem Menschen Fortschritt. Naturwissenschaft entsteht

nicht aus Disputationen von Gelehrten, sondern aus geplanter Arbeit, die sich einfügt in die

Ziele, die die Gesellschaft als Ganzes hat. Er wertet die Technik auf (Mechanik genannt), der

er im Gegensatz zu den übrigen Wissenschaften, dauernden Fortschritt in der Vergangenheit

bescheinigt.

Im Folgenden rühmt er die Erfindung des Kompasses, Schießpulvers und des Buchdrucks

als Beispiele naturwissenschaftlicher Arbeit, die die menschliche Kultur im Abendland von

Grund auf verändert hätten (vgl. auch S. 113 und die Abb. 53, 54, 55):

«Was für ein Unterschied zwischen dem menschlichen Leben in einem gebildeten Lande Europas und dem in

einer wilden und unbebauten Gegend des neuen Indien! Fürwahr dieser Unterschied ist so groß, dass man mit

Recht sagen kann, der Mensch sei ein Gott für den Menschen, nicht bloß, weil er ihm Hilfe und Wohltaten

erweist, sondern auch durch den Unterschied der Bildung, und dies bewirkt nicht Klima und Natur allein,

sondern der menschliche Kunstfleiß. Mit immer neuem Vergnügen bemerken wir die Bedeutung, Macht und

Tragweite menschlicher Erfindung; nirgends erscheinen sie deutlicher als in jenen drei Erfindungen, die dem

Altertum unbekannt waren und deren Anfänge zwar neu, aber dunkel und unberühmt sind: nämlich in der des

Pulvers, des Kompasses, der Buchdruckerkunst. Diese drei Erfindungen haben die Physiognomie und den

Zustand der Welt umgestaltet in der Wissenschaft, im Kriegswesen, in der Schiffahrt. Und zahllose Reformen

sind ihnen gefolgt. Keine Herrschaft, keine Sekte, kein Gestirn hat je größere Macht und größeren Einfluss auf

die menschlichen Verhältnisse ausgeübt als diese mechanischen Dinge!»71

Mit Bacons Thesen war die aristotelische Trennung zwischen Physik als Wissenschaft

von der Erkenntnis der Welt und den mechanischen Künsten als Sammlung von Praktiken zur

erkenntnislosen Überlistung der Natur endgültig aufgehoben. Die neu definierte

Naturwissenschaft war als gesellschaftliche Produktivkraft erkannt worden. In der Folgezeit

wurden besonders in den naturwissenschaftlichen Akademien die verschiedensten qualitativen

Experimente und Beobachtungen in steigendem Maße durchgeführt, was dazu führte, dass

später das Interesse am mathematischen Gehalt der Naturwissenschaft erst einmal wieder

zurückging.

Einige Aspekte des Unterschieds zwischen der Galileisch-mathematischen und der

Baconschen Tradition leben auch heute noch in der Physik in der Trennung zwischen

Experimentalphysik und theoretischer Physik fort. Zum Beispiel wurde bis vor wenigen

Jahrzehnten theoretische Mechanik im Rahmen der «angewandten Mathematik» an den

mathematischen Fakultäten der deutschen Universitäten gelehrt, während die

Experimentalphysik als «Physik» zur naturwissenschaftlichen (oder sogar noch zur

philosophischen) Fakultät gehörte.

René Descartes (1596-1650)

Während Galilei die Idee der Mathematisierung der Physik an praktischen einfachen Fällen

vorführte und nur wenig allgemeine Äußerungen von ihm über seine Methode bekannt sind,

gibt Descartes eine metaphysische Grundlage für die These, dass alles, was existiert, durch

Mathematik erklärt werden kann. Am Anfang steht zuallererst der Zweifel an allem, auch an

den Eindrücken, die uns die Sinne geben:

«Da wir als Kinder auf die Welt kommen und über sinnliche Gegenstände urteilen, bevor wir den vollen

Gebrauch unserer Vernunft erlangt haben, so werden wir durch viele Vorurteile an der Erkenntnis der Wahrheit

gehindert, und es scheint kein anderes Mittel dagegen zu geben, als einmal im Leben sich zu entschließen, an

allem zu zweifeln, worin man auch nur den geringsten Verdacht einer Ungewissheit antrifft.»72

Aber an einer Sache können wir nicht zweifeln, nämlich daran, dass wir zweifeln.

Zweifeln gehört zum Denken. Und wer denkt, der muss auch existieren:

«Indem wir so alles nur irgend Zweifelhafte zurückweisen und es selbst als falsch gelten lassen, können wir

leicht annehmen, dass es keinen Gott, keinen Himmel, keinen Körper gibt; dass wir selbst weder Hände noch

Füße, überhaupt keinen Körper haben; aber wir können nicht annehmen, dass wir, die wir solches denken, nichts

sind; denn es ist ein Widerspruch, dass das, was denkt, zu dem Zeitpunkt, wo es denkt, nicht existiert. Demnach

ist der Satz: Ich denke, also bin ich [ego cogito, ergo sum] die allererste und gewisseste aller Erkenntnisse, die

sich jedem ordnungsgemäß Philosophierenden darbietet.»73

In seinem Geiste findet der Mensch, wenn er sein eigenes Denken, das ja jetzt als sicher

erwiesen ist, betrachtet, mathematische Ideen un die Idee eines «höchst vollkommenen

Wesens». In der Idee dieses Wesens ist enthalten, dass es notwendig und ewig existiert. Da

alles, was existiert, eine Ursache hat, muss auch die Idee Gottes, die wir in uns vorfinden, eine

Ursache haben. Nun hat aber jede Ursache genauso viel oder mehr Realität als ihre Wirkung.

Die Wirkung der Idee eines göttlichen Wesens, also die Vorstellung Gottes in meinem

Denken, ist vollkommen und unermesslich. Also kann diese Idee nicht durch mein eigenes

Denken produziert sein, sondern nur durch dieses göttliche Wesen selbst. Also existiert Gott.

Descartes nimmt für diesen Gedankengang auch die Idee einer Maschine, die ein Mensch im

Kopf haben kann, zu Hilfe:

«Wenn zum Beispiel jemand die Idee einer künstlichen Maschine hat, so kann man mit Recht nach der Ursache

fragen, woher er sie hat; ob er irgendwo eine solche von einem anderen gefertigte Maschine gesehen hat oder ob

er die mechanischen Wissenschaften so genau erlernt hat und seine erfinderische Kraft so groß ist, dass er diese

nirgends gesehene Maschine bei sich selbst hat ausdenken können?

Da indes nicht jedermann dies bemerkt, und da wir, gleich denen, welche die Idee einer künstlichen

Maschine zwar besitzen, aber meist nicht wissen, woher sie sie haben, uns auch nicht entsinnen, dass uns die

Idee Gottes einmal von Gott gekommen sei, da wir sie immer gehabt haben, so ist noch zu untersuchen, von

wem wir selbst sind, die wir in uns die Idee der unendlichen, in Gott vorhandenen Vollkommenheit haben. Denn

nach dem natürlichen Licht kann offenbar ein Ding, welches etwas Vollkommeneres weiß, als es selbst ist, nicht

von sich kommen; denn sonst hätte es sich selbst alle die Vollkommenheit zugeteilt, deren Idee es in sich hat,

und deshalb kann es auch nur von jemand kommen, der alle jene Vollkommenheiten in sich trägt, d.h., der Gott

ist.»74

Descartes benötigt die Existenz Gottes als Kriterium der Gewissheit, die der Mensch von der

Außenwelt erlangen kann. Gott ist wahrhaftig und deshalb täuscht er uns auch nicht, wenn wir

die Dinge der Außenwelt klar und deutlich erkennen, d.h., wenn wir Sinnesempfindungen

haben, die nicht unserem Willen unterworfen sind:

«Das erste Attribut Gottes, das hier in Betracht kommt, ist, dass er im höchsten Grade wahrhaft und Geber allen

Lichtes ist. Er kann uns deshalb nicht betrügen noch auch im eigentlichen oder positiven Sinne die Ursache der

Irrtümer sein, denen wir uns ausgesetzt sehen. Denn wenn auch die Macht zu täuschen bei den Menschen als ein

Beweis von Verstand gelten möchte, so geht doch der Wille zu täuschen nur aus Bosheit, Furcht oder Schwäche

hervor und kann daher Gott nicht zugeschrieben werden.

Daraus folgt, dass das natürliche Licht [lumen naturae] oder das von Gott uns verliehene

Erkenntnisvermögen niemals einen Gegenstand erfassen kann, der nicht, soweit er erfasst wird, d.h. soweit er

klar und deutlich [clare et distincte] erkannt ist, wahr wäre. Denn Gott müsste mit Recht ein Betrüger genannt

werden, wenn er uns jenes Vermögen derart gegeben hätte, dass wir, wenn wir uns seiner richtig bedienen, das

Falsche für das Wahre hielten. Damit ist jener äußerste Zweifel beseitigt.»75

Klarheit und Deutlichkeit der untrüglichen Erkenntnis sind Eigenschaften, die der Mensch

in seinem Selbstbewusstsein direkt spüren kann:

«Sehr viele Menschen erfassen in ihrem ganzen Leben überhaupt nichts so richtig, dass sie ein sicheres Urteil

darüber fällen könnten. Denn zu einer Erkenntnis [perceptio], auf die ein sicheres und unzweifelhaftes Urteil

gestützt werden kann, gehört nicht bloß Klarheit, sondern auch Deutlichkeit. Klar [clara] nenne ich die

Erkenntnis, welche dem aufmerkenden Geiste gegenwärtig und offenkundig ist, wie man das klar gesehen nennt,

was dem schauenden Auge gegenwärtig ist und dasselbe hinreichend kräftig und offenkundig erregt. Deutlich

[distincta] nenne ich aber die Erkenntnis, welche, bei Voraussetzung der Stufe der Klarheit, von allen übrigen so

getrennt und unterschieden [sejuncta et praecisa] ist, dass sie gar keine andren als klare Merkmale in sich

enthält.»76

Die Einsicht, dass es ein Denken, eine «res cogitans» gibt, haben wir schon im Zweifeln

gewonnen. Die nächste Erkenntnis, die wir gewinnen, ist die Erkenntnis, dass es körperliche,

ausgedehnte Dinge, die «res extensa», in der Außenwelt gibt:

«Da wir indes empfinden oder vielmehr auf Antrieb der Sinne klar und deutlich eine gewisse Materie

wahrnehmen, die in die Länge, Breite und Tiefe sich ausdehnt, deren Teile verschiedene Gestalten haben, in

verschiedener Weise sich bewegen und auch bewirken, dass wir mancherlei Empfindungen von Farben,

Gerüchen, Schmerzen usw. haben, so würde, wenn Gott die Idee diese ausgedehnten Materie unserer Seele

unmittelbar durch sich selbst zuführte oder nur bewirkte, dass dies von einer Sache geschähe, welche nichts von

Ausdehnung, Gestalt und Bewegung enthielte, sich kein Grund aufzeigen lassen, weshalb er nicht als Betrüger

gelten müsste. Denn wir erkennen diese Sache klar als von Gott und von uns oder unserem Geiste verschieden,

und wir meinen auch klar zu sehen, dass diese Idee sich in uns bei Gelegenheit der außen befindlichen Körper

bildet, denen sie ganz ähnlich ist. Schon früher ist aber bemerkt worden, dass es der Natur Gottes durchaus

widerspricht, betrügerisch zu sein. Deshalb müssen wir hier unbedingt den Schluss ziehen, dass es eine solche

Sache gibt, die nach Länge, Breite und Tiefe ausgedehnt ist und alle die Eigenschaften hat, welche wir, als einem

ausgedehnten Gegenstand zugehörig, klar erkennen. Und dies ist die ausgedehnte Sache, die wir Körper oder

Materie nennen.»77

Die Wirklichkeit besteht (neben der schon gewonnenen Gottesidee) nur aus diesen beiden

Substanzen, wie uns das klare und deutliche Denken lehrt. Dem Denken kommen als

wesentliche Eigenschaften das Wollen und Vorstellen zu, der Materie nur ihre Ausdehnung

und Beweglichkeit. Alle anderen Eigenschaften der Dinge kommen ihnen in Wirklichkeit

nicht selbst zu, sondern entstehen durch die Wirkung der Materie auf das Denken im Denken

selbst:

«Die Vorstellung, das Wollen [volitio] und alle Arten [modi] des Vorstellens und Wollens gehören zur

denkenden Substanz; dagegen gehört zur ausgedehnten die Größe oder die Ausdehnung nach Länge, Breite und

Tiefe, Gestalt, Bewegung, Lage und die Teilbarkeit der einzelnen Teile und dergleichen: Dagegen erfahren wir

in uns auch anderes, was sich nicht auf den Geist allein und nicht auf den Körper allein bezieht, und was, wie

später zu zeigen sein wird, von der engen und innigen Verbundenheit des Geistes mit dem Körper herrührt,

nämlich die Gefühle [appetitus] des Hungers, des Durstes usw.; ebenso die Erregungen oder Leidenschaften der

Seele [animi pathemata], die nicht in bloßem Denken bestehen, wie die Erregung zum Zorn, zur Fröhlichkeit, zur

Traurigkeit, zur Liebe usw.; endlich alle Empfindungen, wie die des Schmerzes, des Kitzels, des Lichtes und der

Farben, der Töne, der Gerüche, der Geschmäcke, der Wärme, der Härte und der anderen unter den Tastsinn

fallenden Qualitäten.»78

Nun behandelt Descartes die Frage, wie sich der Begriff der Ausdehnung, die wir als

wesentliche Eigenschaft aller Dinge der Außenwelt erkannt haben, unterscheidet vom Begriff

des Raumes. Für Aristoteles, aber auch für diejenigen, die an die Existenz eines Vakuums

glaubten, waren «Raum» und «Körper» verschiedene Begriffe. Descartes sieht hingegen

zwischen Raum als mathematischem Begriff und Körper als Inbegriff der Ausdehnung keinen

realen Unterschied, sondern nur einen Unterschied in der menschlichen Vorstellungsweise.

Dadurch ist nun gesichert, dass die ganze Welt als die Menge aller ausgedehnt existierenden

Dinge mit Hilfe derjenigen Wissenschaft beschrieben werden kann, die sich mit dem Raum

beschäftigt, nämlich der Geometrie. Zwischen mathematischen Körpern (Raum) und

physikalischen Körpern (Ding der Außenwelt) ist also kein Unterschied mehr.

«Ich sage hier nichts über die Gestalten und wie aus deren unendlicher Mannigfaltigkeit auch eine unendliche

Mannigfaltigkeit der Bewegungen folgt, weil dies von selbst klar sein wird, wenn es Zeit sein wird, davon zu

reden. Ich setze auch voraus, dass meine Leser die ersten Elemente der Geometrie entweder schon kennen oder

die nötige Fassungskraft für das Verständnis mathematischer Beweise haben. Denn ich gestehe offen, dass ich

keine andere Materie der körperlichen Dinge anerkenne, als in jeder Weise [omnimode] teilbare, gestaltbare und

bewegliche, welche die Geometer als Größe bezeichnen und zum Gegenstande ihrer Beweise nehmen, und dass

ich in ihr nur diese Teilungen, Gestalten und Bewegungen beachte und nichts an ihnen als wirklich anerkenne,

was nicht aus jenen Gemeinbegriffen, an deren Wahrheit man nicht zweifeln kann, so klar abgeleitet wird, dass

es als mathematisch bewiesen gelten kann. Da nun auf diese Weise alle Naturerscheinungen erklärt werden

können, wie das Folgende ergeben wird, so halte ich andere Prinzipien der Naturwissenschaft weder für zulässig

noch für wünschenswert.»79

Damit ist das Programm Descartes’ abgesteckt: Für die Naturwissenschaft ergibt sich ein

Erkenntnisziel, das man wie folgt charakterisieren kann: Erkläre alle Phänomene der Welt als

Resultate der Bewegung von zusammenhängenden Teilen korpuskularer Materie.

Descartes glaubte, dass Gott der zusammenhängenden Materiemenge, die die Welt

ausmacht, bei der Schöpfung eine Bewegungsmenge mitgegeben hat, die im Lauf der Zeit

konstant bleibt und sich nicht vermindern kann. Alle lokalen Bewegungen sind

Wirbelbewegungen, die miteinander zusammenhängen, so wie zum Beispiel die Wirbel, die

man in einem Eimer Wasser durch Führen mit der Hand erzeugen kann. Mit einer solchen

Auffassung stand Descartes in Opposition zu drei anderen Vorstellungen seiner Zeit, die wir

schon behandelt haben: gegen den Hermetismus, gegen die Ideen einer Fernkraftwirkung und

eines Vakuums.

Einmal ist damit allen okkulten hermetischen Ideen von Sympathie und Antipathie,

Wirkung des Makro- auf den Mikrokosmos, Beseelung der Welt, der Emanation und

Multiplikation der Species vollkommen der Garaus gemacht. Alle früher damit erklärten

Wirkungen werden un mechanisch beschrieben; zum Beispiel wird das Herz als eine

mechanische Pumpe angesehen und nicht mehr als magisches Kraftzentrum, das es noch für

Harvey war. Wenn man den Mechanismus hinter den Erscheinungen verstanden hat,

«so wird man einsehen, wie wunderbar die Eigenschaften des Magneten und des Feuers sind und wie ganz von

denen der übrigen Körper verschieden; wie eine ungeheure Flamme aus dem kleinsten Funken in einem

Augenblick sich entzünden kann und wie groß deren Gewalt ist; bis zu welcher ungeheuren Entfernung die

Fixsterne ihr licht ringsum ergießen, und anderes, dessen Ursachen ich meines Erachtens überzeugend aus den

allbekannten und allgemein anerkannten Prinzipien, d.h. aus der Größe, Gestalt, Lage und Bewegung der

Teilchen der Materie in diesem Werk abgeleitet habe, und man wird sich hiernach leicht davon überzeugen, dass

es in den Steinen und Pflanzen keine so verborgenen Kräfte, keine so staunenswerten Wunder der Sympathie

oder Antipathie und nichts endlich in der ganzen Natur gibt, wenigstens von dem, was man auf rein körperliche

Ursachen, d.h. solche, die des Geistes und Bewusstseins entbehren, beziehen muss, dessen Grund nicht aus

denselben Prinzipien abgeleitet werden könnte, so dass es keiner Zuhilfenahme anderer weiter bedarf.» 80

Descartes’ Philosophie hat in ihrem antiokkulten Akzent auch eine eminent aufklärerische

Wirkung gehabt. Es hatte für die Zeitgenossen etwas Faszinierendes an sich, zu sehen, wie

man alles in der Welt nun radikal aus ganz wenigen Prinzipien ableiten kann, ohne

irgendwelche magischen Vorstellungen zu Hilfe nehmen zu müssen und ohne an die schale

und spitzfindige Schultradition anzuschließen.

Aber zweitens wandten sich Descartes und seine Schule damit auch gegen alle

Vorstellungen, die physische Erscheinungen mit Hilfe einer (immateriellen) Fernkraft

erklärten. So hatte etwa Gilbert die Wirkung des Magneten erklärt und Kepler die Anziehung

der Planeten durch die «Vis motrix» (Bewegkraft) der Sonne. Galilei erklärte dies durch die

Gravitation und später Newton durch seine Gravitationskraft und die atomare

Anziehungskraft. Descartes versuchte stattdessen zum Beispiel die Wirkung des Magneten

auch nur auf Druck und Stoß von Partikeln zurückzuführen. Er stellte sich vor, dass ein

Magnet andauernd aus ihm eigenen Poren kleine Partikel, die schneckenförmig in eine

bestimmte Richtung gewunden sind, herausschießt. Diese Partikel erzeugen außerhalb des

Magneten einen Wirbel, der den Kraftlinien des Magneten folgt, und die Partikel werden am

anderen Ende des Magneten wieder von den Poren des Magneten aufgenommen, um von

neuem diesen Kreislauf durchzuführen. Mit dieser Vorstellung erklärt Descartes

beispielsweise, warum sich eine Kompassnadel, also ein kleiner Magnet, auf der Erde nach

Norden ausrichtet:

«Um die Ursachen dieser Eigenschaften einzusehen, wollen wir uns die Erde unter AB vorstellen; A ist der

Südpol und B der Nordpol. Die vom südlichen Himmel E kommenden gerieften Teilchen sind in anderer Weise

gewunden als die von Norden und F kommenden, deshalb kann keines in die Gänge des anderen eintreten. Die

südlichen gehen von A gerade nach B durch die Mitte der Erde und kehren dann durch die sie umfließende Luft

von B nach A zurück; gleichzeitig gehen die nördlichen von B nach A durch die Erde und kehren durch die Luft

nach B zurück, weil die Gänge, durch die sie gekommen sind, derart sind, dass sie darin nicht zurück können.

Während so immer neue von den Gegenden E und F des Himmels hinzutreten, gehen ebenso viele in den

Richtungen G und H des Himmels davon, oder sie zerstreuen sich unterwegs und verlieren ihre Gestalt, zwar

nicht bei ihrem Durchgange durch die Erde, wo die Gänge ihrer Gestalt ganz angepa0t sind, und sie mithin ohne

Anstoß höchst schnell strömen können, aber bei ihrem Rückgang durch die Luft, das Wasser und andere Körper

der äußeren Erde, wo sie keine solchen Gänge haben; hier bewegen sie sich viel schwieriger und begegnen

fortwährend Teilchen des ersten und zweiten Elementes; diese müssen sie aus ihren orten vertreiben und werden

dabei oft selbst verkleinert.

Wenn aber diese gerieften Teilchen hier einen Magneten treffen, so werden sie unzweifelhaft, wenn sie in

ihm Gänge treffen, die ihrer Gestalt entsprechend und die so wie die Gänge der Erde gestellt sind, viel eher

durch den Magneten gehen als durch die Luft und andere Körper der äußeren Erde, wenigstens wenn der Magnet

so liegt, dass die Öffnungen seiner Gänge nach den Orten der Erde gerichtet sind, wo die gerieften Teilchen

herkommen, die hindurch sollen.

Wie bei der Erde, wird auch bei den Magneten die Mitte des Teils, wo die Öffnungen der Gänge sind, in

welche die von Süden des Himmels kommenden gerieften Teilchen eintreten, der Südpol genannt, und der

Mittelpunkt der anderen Seite, wo sie austreten und die von Norden kommenden eintreten, der Nordpol. Auch

wollen wir uns nicht dabei aufhalten, dass man gemeinhin unseren Südpol Nordpol nennt; denn diese Materie

wird überhaupt im gewöhnlichen Leben nicht besprochen, und nur eine solche häufige Übung könnte schlecht

gewählte Namen zu guten machen.

Wenn diese Pole des Magneten nicht dahin gerichtet sind, wo die gerieften Teilchen herkommen und wo sie

ihnen einen freien Durchgang gewähren können, so stoßen diese gerieften Teilchen schief auf diese Gänge und

treiben ihn mit ihrer Kraft zur Umwendung in die gerade Richtung so lange, bis er in seine natürliche Lage

zurückgekehrt ist. Wo also keine äußere Gewalt es hindert, wird der Südpol des Magneten sich nach dem

Nordpol der Erde zu richten und der Nordpol nach dem Südpol, weil die von dem Nordpol der Erde nach dem

Süden durch die Luft zurückkehrenden Teilchen vorher von dem südlichen Teil des Himmels durch die Erde

gekommen sind; und ebenso diejenigen, die von Norden gekommen sind, welche zu dem

Nordpolzurückkehren.»81

Die dritte Vorstellung, gegen die Descartes sich wendet, ist die Idee des Vakuums. Den

Cartesianern war natürlich das Torricellische Experiment wohlbekannt. Sie waren jedoch der

Meinung, dass in diesem Versuch höchstens gezeigt wird, dass es einen luftleeren Raum

geben kann, aber nicht einen materieleeren. Descartes erklärte solche Phänomene mit Hilfe

seiner «matière subtile», dem Äther, der aus unendlich oft teilbaren feinsten Partikeln besteht.

Diese Partikel füllen das ganze Universum, sind durchsichtig, unsichtbar und bieten keiner

Bewegung einen Widerstand.

«Ein Leeres (vacuum) im philosophischen Sinne, d.h. ein solches, in dem sich keine Substanz befindet, kann es

offenbar nicht geben, weil die Ausdehnung des Raumes oder inneren Ortes von der Ausdehnung des Körpers

nicht verschieden ist. Denn da man schon aus der Ausdehnung des Körpers nach Länge, Breite und Tiefe richtig

folgert, dass er eine Substanz ist, weil es widersprechend ist, dass das Nichts eine Ausdehnung habe, so muss

dasselbe auch von dem Raume gelten, der als leer angenommen wird, nämlich dass, da eine Ausdehnung in ihm

ist, notwendig auch eine Substanz in ihm sein muss.»82

Descartes’ Naturwissenschaft wurde von seinen Schülern sehr verfeinert und auf alle

Wissensgebiete angewandt. Man erklärte damit alle kosmologischen Phänomene und die

physiologischen gleichermaßen. Die Welt erscheint als eine riesige, ausgedehnte Maschine, in

der nur der Mensch noch mit nichtmaterieller Substanz versehen ist.

«Wenn ich den unsichtbaren Körperteilchen eine bestimmte Gestalt, Größe und Bewegung zuteile, als wenn ich

sie gesehen hätte, und dennoch anerkenne, dass sie nicht wahrnehmbar sind, so wird man vielleicht die Frage

erheben, woher ich denn diese Eigenschaften kenne. Ich antworte darauf, dass ich zunächst ganz allgemein alle

die klaren und deutlichen Begriffe betrachtet habe, die in unserem Verstande im Hinblick auf die materiellen

Dinge vorhanden sein können, und dass ich, da ich keine andren gefunden habe als die der Gestalten, der Größen

und der Bewegungen und Regeln, gemäß denen diese drei Dinge durch einander verändert werden können,

welche Regeln die Prinzipien der Geometrie und der Mechanik sind, den Schluss gezogen habe, dass notwendig

alle Erkenntnis, die wir von der Natur haben können, allein daraus gezogen werden kann, weil alle anderen

Begriffe, die wir von den sinnlichen Dingen haben, da sie verworren und dunkel sind, uns nicht dazu dienen

können, uns die Erkenntnis irgendeiner Sache außer uns zu geben, vielmehr eine solche nur zu hindern mögen.

Darauf habe ich untersucht, welches die vornehmsten Unterschiede in der Größe, Gestalt und Lage der nur

wegen ihrer Kleinheit nicht wahrnehmbaren Körper sein könnten und welche wahrnehmbaren Wirkungen aus

ihrem mannigfachen Zusammentreffen sich ergeben können. Da ich nun dergleichen Wirkungen an einigen

wahrnehmbaren Dingen bemerkte, so nahm ich an, dass sie aus einem solchen Zusammentreffen von dergleichen

Körperchen hervorgegangen sein können, zumal da sich keine andere Weise für ihre Erklärung auffinden ließ.

Dabei haben mich die durch Kunst gefertigten Werke nicht wenig unterstützt; denn ich fand nur den Unterschied

zwischen ihnen und den natürlichen Körpern, dass die Wirkungen der Maschinen lediglich von der Tätigkeit von

Röhren, Federn und andrer Werkzeuge abhängen, die, da sie in gewissem Verhältnis zu den Händen stehen

müsse, die sie herstellten, stets so groß sind, dass ihre Gestalten und Bewegungen leicht wahrgenommen werden

können; dagegen hängen die natürlichen Wirkungen beinahe immer von gewissen so kleinen Organen ab, dass

sie nicht wahrgenommen werden können. Denn es gibt in der Mechanik keine Gesetze, die nicht auch in der

Physik gälten, von der sie nur ein Teil oder eine Unterart ist, und es ist daher der aus diesen und jenen Rädern

zusammengesetzten Uhr ebenso natürlich, die Stunden anzuzeigen, als es dem aus diesem oder jenem Samen

aufgewachsenen Baum natürlich ist, diese Früchte zu tragen. So wie nun die, welche in der Betrachtung der

Automaten geübt sind, aus dem Gebrauch einer Maschine und einzelner ihrer Teile, die sie kennen, leicht

abnehmen, wie die anderen Teile, die sie nicht sehen, gemacht sind, so habe auch ich versucht, aus den

sichtbaren Wirkungen und Teilen der Naturkörper zu ermitteln, wie ihre Ursachen und unsichtbaren Teilchen

beschaffen sind.»83

Mit der Vorstellung, dass in dieser «Maschine» auch noch Wesen leben, die in sich die

unausgedehnte Substanz des Denkens tragen, hat dann Thomas Hobbes nach Descartes in

konsequenter Fortführung gebrochen: Auch das Denken kann als Funktion von Ausdehnung

und Bewegung der innersten Organe des menschlichen Körpers erklärt werden.

Descartes hat mit seinem Werk die Identität der Natur mit ihrer synthetischen

Nachkonstruktion im menschlichen Geist wie kein anderer vor ihm metaphysisch fundiert.

Gleichzeitig wird diese Identifikation auch ein Instrument für weitere naturwissenschaftliche

Forschung.

Die Glaubens- und Heilsgewissheit des Mittelalters ist mit Descartes endgültig abgelöst

durch die Gewissheit des sich seiner selbst vergewissernden denkenden Subjekts: Und das

Erringen dieser Gewissheit schien Descartes und seinen Zeitgenossen greifbar vor Augen zu

liegen. In dieser Konzeption kam dem Experiment eine vergleichsweise untergeordnete

Stellung zu. Bei der universalen Erklärung der Welt kann es im Laufe der logischen

Deduktionen nach mehrfacher Anwendung der Methode zu Verzweigungen kommen, die

voneinander verschiedenen Schlüsse gleichermaßen zulassen. Erst in solchen selten

auftretenden Fällen können nach Descartes die Erfahrung und das Experiment darüber

entscheiden, welche der alternativen Denkmöglichkeiten Gott tatsächlich in die Wirklichkeit

umgesetzt hat.

Mit Isaac Newton schließlich erhält die experimentell-instrumentelle («Baconsche») und

die mathematische («Galileisch-Cartesische») Methode eine Synthese. Aber erst in der

zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die Vorherrschaft des Cartesischen Modells

gegenüber dem Newtonschen gebrochen.

Anmerkungen zu Teil I:

1 Z.B. schreibt Hooykaas 1980: «[Im Gegensatz zur aristotelischen <Physica>] fällt auf, dass die neue

<Physik> sich in viel größerem Maße auf die Erfahrung stützt, selbst wenn diese der Vernunft zu

widersprechen scheint. An die Stelle des Rationalismus der alten tritt der Empirismus der neuen

Naturwissenschaft. Man beugt sich vor Tatsachen mehr als vor den Ansprüchen, die von der Vernunft

erhoben werden.» (R. Hooykaas, Von der <Physica> zur Physik, in: Humanismus und

Naturwissenschaften. Hg. Von R. Schmitz, F. Krafft, Beiträge zur Humanismusforschung Band VI,

Boppard 1980, S. 9-38, hier S. 13). Seltsamerweise heißt es aber kurz zuvor: «Die alte Physica ging

von oberflächlichen Wahrnehmungen aus, um dann durch Verallgemeinerung daraus weitgehende

Konsequenzen über den Verlauf und die Ursachen der natürlichen Vorgänge zu ziehen.» Fragt sich

nur, woher die Kriterien für die Oberflächlichkeit der Wahrnehmung stammen! 1a

Aristoteles, Über den Himmel (Da Caelo), 293 a 27 (Falls nicht anders angegeben, wurde folgende deutsche

Ausgabe zur Übersetzung herangezogen: Aristoteles, die Lehrschriften, übs. und hg. Von Paul Gohlke,

Paderborn (F. Schöningh), 1947-1961, 20 Bände. 2 Aristoteles, Zweite Analytik (Analytica posteriora), 99b-100a.

3 Aristoteles, Zweite Analytik (Analytica posteriora), 81a-81b.

4 Aristoteles, Erste Analytik (Analytica priora), 46a.

5 Aristoteles, Über die Zeugung der Geschöpfe, 60b.

6 Aristoteles, Probleme der Mechanik, 847a, zit. Nach der Übersetzung von H. Wilsdorf, Mechanische

Probleme in der Sicht des Peripatos. Helenische Poleis, Band 4, hg. Von E. Welskopf, Berlin 1974, S. 1729f. 7 Aristoteles, Physik, Buch I, 184a 10-26.

8 Aristoteles, Physik, 193b-194a.

9 Aristoteles, Metaphysik, 1061a 30, zit. Nach der Übersetzung von H. Bonitz: Aristoteles, Metaphysik,

Reinbek (Rowohlt) 1966. 10

Aristoteles, Über den Himmel (De caelo), 269a und b 30. 11

Aristoteles, Physik, 267a. 12

Jean Buridan, Quaestiones Super Octo Libros Physicorum, Buch 8, Frage 12, zit. Nach: Alistair C. Crombie,

Von Augustinus bis Galilei, München (dtv) 1977, S. 303-305. 13

Nicole Oresme, Livre du ciel et du monde, zit. nach : Alistair C. Crombie, Von Augustinus bis Galilei,

München (dtv) 1977, S. 313 f. 14

Robert Grosseteste, Kommentar zur Analytica Posteriora (Zweite Analytik) des Aristoteles, Buch 1, Kap. 14,

zit. Nach: Alistair C. Crombie, von Augustinus bis Galilei, München (dtv) 1977, S. 252. 15

Roger Bacon, Opus maius, hg. Von J. H. Bridges, Bd. 2, Oxford 1897, S. 109; zit. Nach: Sebastian Vogl, Die

Physik Roger Bacons, Erlangen 1906, S. 17 f. 16

E. J. Dijksterhuis, Die Mechanisierung des Weltbildes, Berlin 1956, S. 181-183, sieht die Folgen der

Verdammung von 1277 für die Naturwissenschaft nur negativ. 17

L. Heydenreich, Leonardo da Vinci, Basel 1954, S. 136, 137 f, 184, 140. Es handelt sich um Zitate aus den

Schriften: Anat. A. 14 V; Quaderni; Codex Atlanticus; Vogelflugtraktat. 18

Albrecht Dürer, Underweysung der Messung mit dem Zirckel und richtscheyt, Nürnberg 1525, 4. Buch, s. a.:

Max Steck, Dürers Gestaltlehre der Mathematik und der bildenden Künste, Halle 1948, S. 175-77.

19 Dieses Kapitel ist Gegenstand eines anderen Bandes der vom Deutschen Museum München Arbeitsgruppe

Didaktik herausgegebenen Reihe: Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und Technik: Jürgen

Teichmann, Wandel des Weltbilds, München 1980. 20

Nikolaus Cusanus, Über die gelehrte Unwissenheit (De docta ignorantia), übersetzt von P. Wilpert, Hamburg

(F. Meiner) 1967, S. 13. 21

Ebenda, S. 85. 22

Giordano, Bruno, Vom Unendlichen, dem All und den Welten, übersetzt von L. Kuhlenbeck, Leipzig 1892,

S. 82 f und 107. 23

Tycho Brahe, De Cometa Anni 1577 (gedruckt 1578), zit. Nach: Opera Omnia, hg. Von J. L. E. Dreyer,

Hven 1918, Bd. 4, S. 383 f. 24

Zit. Nach: Johannes Kepler in seinen Briefen, hg. Von Max Caspar und Walter von Dyck, München 1930,

Bd. 1, S. 218 f. 25

Ebenda, S. 293. 26

Otto von Guerickes Neue (so genannte) Magdeburger Versuche über den leeren Raum, übersetzt und hg. Von

Hans Schimank (gr. Ausg.), Düsseldorf 1968, S. XXI. 27

Nikolaus von Cues, Der Laie über Versuche mit der Waage, in: Schriften des Nikolaus von Cues, hg. Von E.

Hoffmann, Heft 5, Leipzig 1944, S. 20-22. 28

Ebenda, S. 33 und 35. 29

Johannes Kepler, Harmonices Mundi Libri Quinque, Linz 1619, IV, 1, zit. Nach: Johannes Keplers

Kosmische Harmonie, übersetzt von W. Harburger, Leipzig 1925, S. 135 f. 30

Considerazioni di M. Vicenzio di Grazia sopra’l Discorso di Galileo Galilei intorno alle chose che stanno su

l’acqua, in: Galileo Galilei, Opere, Edizione Nazionale, Band IV, Florenz 1892, S. 385 (übersetzt von Sigrun

Thiessen). 31

F. Hipler, Die Chorographie des Joachim Rheticus, in: Zeitschrift für Mathematik und Physik 21, 1876, S.

125-150, hier S. 133-136. 32

Origins of the Scientific Revolution, hg. von Hugh Kearney, London 1964, S. 126 f (übersetzt von Michael

Heidelberger). 33

Paracelsus, Die Bücher von den unsichtbaren Krankheiten, 1531/32, 4. Buch, zit. nach: Sämtliche Werke, hg.

Von Karl Sudhoff, Bd. IX, München 1925, S. 308-310. 34

Paracelsus, Das Buch Paragranum, 1530, 3. Traktat, zit. nach: Sämtliche Werke, hg. Von Karl Sudhoff, Bd.

VIII, München 1924, S. 195. 35

Paracelsus, Zwei Bücher von der Pestilenz und ihren Zufällen, 1529/30, 5. Kapitel, zit. nach: Sämtliche

Werke, hg. Von Karl Sudhoff, Bd. VIII, München 1924, S. 382. 36

Tycho Brahe, De Cometa Anni 1577 (gedruckt 1578), zit. nach: Opera Omnia, hg. Von J. L. E. Dreyer, Hven

1918, Bd. 4, S. 382 f. 37

Manche Autoren sehen hier nur den Einfluss der Stoa. 38

William Harvey, De motu cordis, 1628, zit. nach: W. Harvey, Die Bewegung des Herzens und des Blutes,

übersetzt von R. v. Töply, Klassiker der Medizin Bd. 1, Leipzig 1910. 39

Paracelsus, Astronomia Magna, 1537/38, 7. Kapitel, zit. nach: Sämtliche Werke, hg. von Karl Sudhoff, Bd.

XII, München 1929, S. 162, 164 f, 170 f. 40

Paracelsus, Das Buch Paragranum, 1530, 3. Traktat, zit. nach: Sämtliche Werke, hg. von Karl Sudhoff, Bd.

VIII, München 1924, S. 181. 41

Johannes Kepler, Mysterium Cosmographicum, 1596, 20. Kapitel, zit. nach: Das Weltgeheimnis, übersetzt

von Max Caspar, München/Berlin 1936. 42

William Gilbert, De Magnete, London 1600, I. Buch, Kapitel III, zit. nach: William Gilbert begründet die

Lehre vom Erdmagnetismus, hg. und übersetzt von E. Boehm, Leipzig 1914 (Voigtländers Quellenbücher Nr.

84). 43

William Gilbert, De Magnete, London 1600, Buch V, Kapitel XII (übersetzt von Michael Heidelberger). 44

Johannes Kepler, Astronomia nova, II. Teil, 19, Kapitel, 1609, zit. nach: J. Kepler, Neue Astronomie,

übersetzt von Max Caspar, München/Berlin 1929, S. 163 f und 166. 45

Lateinisches Zitat bei E. Bassermann-Jordan, Die Geschichte der Räderuhr, Frankfurt 1905, S. 34 (übersetzt

von Michael Heidelberger). 46

Georg Agricola, Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen, Basel 1556, d. a. München (dtv) 1977, 5. Buch,

S. 98. 47

Ebenda, S. 99-101. 48

Galileo Galilei, Sidereus Nuncius, 1610, zit. nach: Galileo Galilei: Sidereus Nuncius: Nachricht von neuen

Sternen, hg. und eingeleitet von Hans Blumenberg, übersetzt von Malte Hossenfelder, Frankfurt 1965, S. 81-

83. 49

Zit. nach: Emil Wohlwill, Galilei und sein Kampf für die kopernikanische Lehre, 1. Band, Hamburg 1909, S.

307. 50

Galilei, Opere, Edizione Nazionale, Florenz 1892, Bd. 19, S. 589, zit. nach: Alistair C. Crombie, Von

Augustinus bis Galilei, München (dtv) 1977, S. 484.

51 Evangelista Torricelli, Brief an Michelangelo Ricci vom 11.6.1644, in: Opere, Bd. III, Faenza 1919, S. 186-

188, zit. nach: Der Weg der Physik, hg. von Shmuel Sambursky, München (dtv) 1978, diese Stelle übs. Von

M. Müller, S. 336-339. 52

Blaise Pascal, Traités de l’équilibre des liqueurs et de la pesanteur de la masse de l’air, in : Œuvres

complètes, hg. Von F. Strowski, Paris 1923, Bd. 1, S. 127 und 131-133, zit. nach : Der Weg der Physik, hg.

von Shmuel Sambursky, München (dtv) 1978, diese Stelle übers. Von E. Schmid, S. 343-345. 53

Galileo Galilei, Discorsi, 1638, 3. Tag, zit. nach: Unterredungen und mathematische Demonstrationen über

zwei neue Wissenszweige, übersetzt von A. v. Oettingen, Darmstadt 1973, S. 141 und 146-148. 54

Galileo Galilei, Dialogo, 2. Tag, 1632, zit. nach: Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme, das

Ptolemäische und das Kopernikanische, übersetzt von E. Strauß, Leipzig 1891, S. 262. 55

Ebenda, S. 270 f. 56

Ebenda, S. 354. 57

Ebenda, S. 219 f. 58

Galileo Galilei, Il Saggiatore, VI, in: Galileo Galilei, Opere, Edizione Nazionale, Bd. VI, Florenz 1892, S.

232 (übersetzt von Sigrun Thiessen). 59

Galileo Galilei, Dialogo, wie 54, S. 108. 60

Galileo Galilei, Discorsi, wie 53, S. 244. 61

Oettingen übersetzt hier sinnentstellend «keinen Versuch» statt «einen Versuch». 62

Galileo Galilei, Discorsi, wie 53, S. 57-59. 63

Galileo Galilei, Discorsi, wie 53, S. 162 f. 64

Galileo Galilei, Discorsi, wie 53, S. 3. 65

Francis Bacon, Novum Organum, London 1620, zit. nach der Übersetzung von J. H. V. Kirchmann, Berlin

1870, I, 98. 66

Francis Bacon, Historia Naturalis, zit. nach: Walter Frost, Bacon und die Naturphilosophie, München 1927,

S. 77 f. 67

Francis Bacon, De dignitate et augmentis scientiarum, 1623, zit. nach : Walter Frost, Bacon und die

Naturphilosophie, München 1927, S. 167. 68

Francis Bacon, Novum Organum, wie 65, S. 93-96. 69

Francis Bacon, Novum Organum, wie 65, II, 5. 70

Francis Bacon, Novum Organum, wie 65, S. 69, 83,88. 71

Francis Bacon, Novum Organum, wie 65, I. 129. 72

René Descartes, Principia Philosophiae, Amsterdam 1644, frz. 1647, zit. nach: Die Prinzipien der

Philosophie, übersetzt von A. Buchenau, Hamburg (F. Meiner) 1955, I, § 1. 73

Ebenda, I, § 7. 74

Ebenda, I, § 17 und § 20. 75

Ebenda, I, § 29 und § 30. 76

Ebenda, I, § 45. 77

Ebenda, II, § 1. 78

Ebenda, I, § 48. 79

Ebenda, II, § 64. 80

Ebenda, IV, § 187. 81

Ebenda, IV, § 146-§ 151. 82

Ebenda, II, § 16. 83

Ebenda, IV, § 203.