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NEUE FOLGE Beiheft 2 Gemeingeist und Bürgersinn Die preußischen Reformen Duncker & Humblot · Berlin

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NEUE FOLGE

Beiheft 2

Gemeingeist und Bürgersinn

Die preußischen Reformen

Duncker & Humblot · Berlin

Gemeingeist und Bürgersinn

FORSCHUNGEN ZUR BRANDENBURGISCHEN UND PREUSSISCHEN GESCHICHTE

NEUE FOLGE

Herausgegeben im Auftrag der Preußischen Historischen Kommission, Berlin

von Johannes Kunisch

Beiheft 2

Gemeingeist und Bürgersinn Die preußischen Reformen

Herausgegeben von

Bernd Sösemann

Duncker & Humblot • Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Gemeingeist und Bürgersinn : die preußischen Reformen/ hrsg. von Bernd Sösemann. -Berlin : Duncker und Humblot, 1993

(Forschungen zur Brandenburgischen und Preussischen Geschichte : Beiheft ; 2) ISBN 3-428-07772-5

NE: Sösemann, Bernd [Hrsg.]; Forschungen zur Brandenburgischen und Preussischen Geschichte / Beiheft

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten

© 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin

Printed in Germany ISSN 0940-1644

ISBN 3-428-07772-5

Vorwort

Die „Arbeitsgemeinschaft zur preußischen Geschichte" (Mannheim) bemüht sich seit zwei Jahrzehnten um ein historisches Verständnis der preußischen Geschichte in dem satzungsgemäßen Sinn, „Forschungen zur preußischen Geschichte sowie deren Vermittlung in Schule und Öffentlichkeit anzuregen und zu fördern". Der zeitliche Schwerpunkt der jährlich in Hofgeismar veranstalteten Tagungen liegt dabei auf dem 18. und 19. Jahrhundert. Das Interessenfeld er-streckt sich von bildungs- und schulpolitischen Fragestellungen über kirchliche, soziale, verwaltungs- und verfassungsrechtliche Probleme bis zu militärischen, wirtschafts- und technikgeschichtlichen Themen. Insgesamt sparen die Jahresta-gungen keine Epoche aus und nehmen sich gelegentlich mit Gesundheitswesen, Heraldik, Theater- und Museumsfragen auch Bereichen an, die gemeinhin weni-ger berücksichtigt werden.

Die Ergebnisse mehrerer Tagungen erschienen bereits in Buchform. Es waren die 1980 bzw. 1984 von Peter Baumgart herausgegebenen Sammelbände „Bil-dungspolitik in Preußen zur Zeit des Kaiserreichs" und „Expansion und Integra-tion", eine in Längsschnitten angelegte Untersuchung zur Eingliederung neuge-wonnener Territorien. In den Jahren 1989 bis 1991 befaßte sich die „Arbeitsge-meinschaft" mit den preußischen Reformen in der Zeit vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Zu einer genauen Untersuchung dieser Epoche hatten sich die Mitglieder nach einem im Vorjahr von Georg-Christoph von Unruh über die Zielsetzungen und Wirkungen der preußischen Reformen ("Anmerkungen eines Juristen zum Schrifttum der neueren Zeit") gehaltenen Vortrag entschlossen.

Ergänzt um den einführenden Beitrag, die Bibliographie und den Aufsatz von Ilja Mieck werden im vorliegenden und die seinerzeit in Hofgeismar diskutierten Vorträge in zumeist nur leicht überarbeiteter Form publiziert. Dem Herausgeber der neuen Folge der „Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Ge-schichte", Johannes Kunisch, ist für die sogleich freundlich bekundete Bereit-schaft zu danken, die Beiträge als zweites Beiheft der Zeitschrift zu veröffentli-chen. Damit wird gleichzeitig die unter seinem Vorgänger im Amt des Vorsitzen-den der „Preußischen Historischen Kommission" (Berlin) begonnene Koopera-tion bekräftigt. Den Beiträgern statte ich ebenso gern meinen nachdrücklichen Dank ab wie meinem Wissenschaftlichen Mitarbeiter, Dirk Schulz, den Vor-standsmitgliedern und den Beisitzern, insbesondere meinem Vorgänger im Vor-sitz unserer „Arbeitsgemeinschaft", Manfred Schlenke, dessen freundschaftlicher

6 Vorwort

Rat mir die Tagungs- und Druckvorbereitungen erleichtert hat. Ohne die über gut drei Jahre hinweg geleistete finanzielle Unterstützung durch die Fritz-Thys-sen-Stiftung und den Bankier Ehrhardt Bödecker hätten die Tagungen nicht in dieser Form veranstaltet und hätte wohl auch ein derartiger Band nicht verlegt werden können. Im Namen der „Arbeitsgemeinschaft zur preußischen Geschich-te" danke ich dafür vielmals. Bei der Schlußredaktion des Bandes half mir Frau cand. phil. Verena Harsdorff.

Berlin, 24. Februar 1993 Bernd Sösemann

Hinweis: Die Zwischenüberschriften sind Zitate aus Denkschriften von Vincke (9. April 1808), Stein (im Juni 1807), Altenstein (11. November 1807) und Hardenberg (12. September 1807).

Inhaltsverzeichnis

Bernd Sösemann Die preußischen Reformen: Forderung und Herausforderung 11

I.

„Mit eigener Verantwortlichkeit, aber auch nach eigener Einsicht handeln"

Barbara Vogel Verwaltung und Verfassung als Gegenstand staatlicher Reformstrategie 25

Klaus Vetter Die preußischen Verwaltungs- und Verfassungsreformen in der Geschichts-schreibung der DDR 41

Ilja Mieck Die verschlungenen Wege der Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 53

Manfred Botzenhart Landgemeinde und staatsbürgerliche Gleichheit. Die Auseinandersetzungen um eine allgemeine Kreis- und Gemeindeordnung während der preußischen Reformzeit 85

II. „Soll die Nation veredelt werden,

so muß man Freiheit, Selbständigkeit und Eigentum geben" Helmut Bleiber

Die preußischen Agrarreformen in der Geschichtsschreibung der DDR 109

Clemens Zimmermann Preußische Agrarreformen in neuer Sicht. Kommentar zum Beitrag von Helmut Bleiber 127

Karl Heinrich Kaufhold Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert (bis zum Erlaß der Gewerbe-ordnung für den Norddeutschen Bund 1869) und ihre Spiegelung in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik Deutschland 137

Lothar Baar Die preußischen Gewerbereformen aus der Sicht der bisherigen ostdeutschen Historiographie 161

8 Inhaltsverzeichnis

III.

„Der Geist des Militärs selbst wird dadurch eine andere Richtung bekommen"

Heinz Stiibig Die preußische Heeresreform. Kontinuität und Wandel im Geschichtsbild der Bundesrepublik Deutschland 171

Friedrich-Christian Stahl Zur Entwicklung der Reformen im Militär-Erziehungs- und Bildungswesen der preußischen Armee (1800 - 1850) 191

Harald Müller Die preußischen Militärreformen ( 1807 - 1814) im Geschichtsbild der DDR .... 209

IV. „Man schrecke ja nicht zurück

vor möglichster Freiheit und Gleichheit" Peter Mast

Nationalpädagogische Bestrebungen oder Dienst für den Staat? Bildungsreform in Preußen 1807- 1840 227

Stefan Hartmann Die Bedeutung des Hardenbergschen Edikts von 1812 für den Emanzipations-prozeß der preußischen Juden im 19. Jahrhundert 247

Thomas Stamm-Kuhlmann Die Rolle von Staat und Monarchie bei der Modernisierung von oben. Ein Literaturbericht mit ergänzenden Betrachtungen zur Person König Friedrich Wilhelms III 261

V. Bibliographie

Bernd Sösemann Die preußischen Reformen. Eine Bibliographie (1976 - 1992) 281

Verzeichnis der Mitarbeiter 321

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Preußisches Staatsgebiet 12

Abb. 2: Bevölkerungsentwicklung in Preußen 13

Abb. 3: Regierungssystem und Verwaltungsaufbau 14

Abb. 4: Berliner Abendblätter vom 28.11.1810: „Ueber den Geist der neueren preussischen Gesetzgebung" 74 Amerika-Gedenkbibliothek, Berlin

Abb. 5: Edikt des Freiherrn vom Stein zur Aufhebung der Leibeigenschaft — „Oktoberedikt" 111

Abb. 6: Johann Bailey, An Essay on the construction of the Plough, deduced from mathematical principles and experiments, 1795 134

Abb. 7: Grundriß und Seitenansicht eines Schulhauses von 1835 233 Photoreproduktion einer Federzeichnung, aus: Aktenband „Das Schul-wesen im Dorf Glozewo, Kreis Meseritz", in: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (X. HA Rep 6 B Meseritz Nr. 449).

Abb. 8: Einbürgerungsurkunde für einen Juden 251 Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin.

Die preußischen Reformen: Forderung und Herausforderung

Von Bernd Sösemann, Berlin

Die „Preußischen Reformen" gehören zu den bedeutenden Epochen der preußi-schen und der deutschen Geschichte. Die damals noch junge Geschichtswissen-schaft fühlte sich sogleich herausgefordert, und sie hat sich auch weiterhin anhal-tend mit ihnen beschäftigt. Entsprechendes gilt für die politische Publizistik. Dabei prägten die jeweiligen zeitgenössischen Interessen die Interpretation des Reformwerks, die Beurteilung seiner Protagonisten und seiner Wirkungen außer-ordentlich stark. Nicht zuletzt wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs mit der Französischen Revolution schienen die Reformen auf den ersten Blick ledig-lich eine direkte Antwort auf die Umwälzungen in Frankreich und auf den mit ihnen verbundenen revolutionären Messianismus zu sein. Doch hat sich diese Sicht ebensowenig durchsetzen können wie die Auffassung, die von der Originali-tät und einer Eigenständigkeit der Stein-Hardenbergschen Konzepte ausging.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die Forschung die Begrenztheit der Reformprogramme hervorgehoben, die Züge einer antiaufklärerischen Orientie-rung in der politischen Ideenwelt Steins herausgearbeitet und die tiefgreifenderen und weitreichenderen Reformmaßnahmen in den napoleonischen „Modellstaa-ten" betont. Außerdem hat sie sich intensiver den sog. Vorreformen, also den Reformen vor der Reformzeit im engeren Sinn, zugewandt. Dabei ging es vorran-gig um Einzelaspekte im Rahmen eines gesamteuropäisch nachzuzeichnenden Prozesses der „Modernisierung"1. Eine Gesamtdarstellung dieses Phänomens fehlt jedoch bis heute ebenso wie eine vergleichend angelegte, die Ähnlichkeiten, Gleichläufigkeiten, aber auch die Unterschiede herausarbeitende Studie über Reformmodelle und Reformpolitik in Deutschland. Einen ersten Schritt möchten Beiträger und Herausgeber mit dem Versuch einer „Bestandsaufnahme" in diesem Buch tun.

Der Untertitel dieser Einführung soll Fragestellungen und Zielsetzungen der Tagungen von 1989 bis 1991 der „Arbeitsgemeinschaft zur preußischen Ge-schichte" vorstellen2. Der aus ihnen hervorgegangene Sammelband unternimmt

1 Vgl. hierzu die Einzelnachweise in der Bibliographie im V. Teil dieses Sammelbands. 2 Zu den Tagungsprogrammen, zu den Mitgliedern, zur Zielsetzung und Geschichte

der »Arbeitsgemeinschaft" s. den zum zwanzigjährigen Bestehen vorgelegten knappen Überblick von Bernd Sösemann, Arbeitsgemeinschaft zur preußischen Geschichte e. V. 1973-1993, Berlin 1993.

12 Bernd Sösemann

den Versuch, die Reformen und den politischen und sozialen Gesamtzusammen-hang der Maßnahmen zu skizzieren. Die Analyse richtet sich dabei auf so gut wie alle Felder der Reformen und bezieht ausdrücklich nicht allein die Ergebnisse der Forschung, sondern auch das in den Schulen und von anderen Institutionen des öffentlichen Lebens vermittelte Bild von der Reformzeit mit ein. Dieses Resümee scheint überfällig zu sein. Nach der Neuausgabe der großen Stein-Biographie von Gerhard Ritter (1958) in einem Buch3 — den zweibändigen Erstling hatte er 1931 publiziert — und im Anschluß an das wiederholt aufgelegte Opus magnum von Reinhart Koselleck4 — es erschien erstmals 1967 — hat nur Barbara Vogel die „Preußischen Reformen" 1980 in der Neuen Wissenschaftli-chen Bibliothek vorgestellt. Ihr Sammelband vereint jedoch nur ältere Arbeiten. Die Studien stammen aus den zurückliegenden anderthalb Jahrzehnten. Da große Reformbereiche bewußt ausgespart werden, ergibt sich eine thematische Konzen-

3 Gerhard Ritter, Stein. Eine politische Biographie, Stuttgart 1931; die dritte, überar-beitete Auflage erschien 1958; neuerdings 4. Aufl., Stuttgart 1981.

4 Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Land-recht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791-1848, Stuttgart 1967, inzwischen ebd., 4. Aufl., 1987.

Die preußischen Reformen: Forderung und Herausforderung 13

Sösemann Abb. 2: Bevölkerungsentwicklung in Preußen

trierung auf die These5, „daß wirtschaftliche und gesellschaftliche Modernisie-rung eine Intention der Reformpolitik gewesen" seien6.

Zum anderen möchte dieses Resümee Defizite markieren und nicht zuletzt dadurch zu einer weiteren Beschäftigung mit dem Thema anregen. Dem genaue-ren Zugriff erschließt sich nämlich ein ungleichmäßig bearbeiteter und nicht ausschließlich in den Einzelheiten höchst strittiger Gegenstand. Nicht einmal über den Beginn und das Ende der Reformzeit besteht Konsens. Des weiteren wird in der Forschung der Primat des Politischen zwar kaum noch hervorgehoben, doch scheint keineswegs überzeugend geklärt zu sein, welcher Rang der sozialen und wirtschaftlichen „Modernisierung" zuzubilligen sei. Und schließlich, um nur noch ein weiteres Beispiel zu nennen, sind berechtigte Zweifel erlaubt, ob mit den über anderthalb Jahrhunderten im Mittelpunkt der Betrachtungen stehenden Höhepunkten der Stein-Hardenbergschen- Reformen die preußische Reformepo-che in ihren Grundzügen erfaßt ist. Aus den umfangreichen, aber thematisch eng konzipierten Editionen von Erich Botzenhart und Walther Hubatsch, von Heinrich

5 Aus den Beiträgen geht jedoch nicht mit wünschenswerter Deutlichkeit hervor, in welchem Umfang diese Absichten in den einzelnen Phasen des Reformprozesses vor-herrschten und weshalb sie zeitweise offenkundig nur zurückhaltend artikuliert oder propagiert wurden.

6 Ebd., VII.

14 Bernd Sösemann

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Abb. 3: Regierungssystem und Verwaltungsaufbau

Die preußischen Reformen: Forderung und Herausforderung 15

Scheel und Doris Schmidt konnte jedenfalls in erster Linie nur die Stein-For-schung größeren Gewinn ziehen7.

Die Mitgliederversammlung der „Arbeitsgemeinschaft" setzte für 1989 und die beiden nachfolgenden Jahrestagungen ausschließlich die „Preußischen Refor-men" auf ihre Tagungsordnung. Neben dem Verlangen nach einem kritischen Überblick schien gerade dieses Thema für die Fortsetzung des Ansatzes besonders geeignet, der 1988 unter dem Rahmentitel „Preußen im Widerstreit" gewählt worden war. Unter diesem Thema hatten sich nämlich Referenten und Plenum Gedanken „Zum Geschichtsbild der Bundesrepublik und der DDR" gemacht. Günter Birtsch, Heinz Duchardt und Peter Meyers fragten damals, ausgehend von dem brandenburgisch-preußischen Absolutismus und von der Politik Fried-richs des Großen, nach Kontinuitäten und Wandlungen der Geschichtsbilder in den Schulen, der breiteren Öffentlichkeit und in der Forschung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Nicht erst nach dem Beschluß des Alliierten Kontrollrats vom 25. Februar 1947 „Über die Liquidierung des preußischen Staates", aber nicht unerheblich dadurch öffentlich-atmosphärisch befördert, hatten sich Ten-denzen zur Tabuisierung, aber auch zur ideologisch motivierten Vereinnahmung von Vorgängen und Personen aus der preußischen Geschichte verstärkt. In den späteren Jahrzehnten legten in der DDR Forschungspläne wiederholt entsprechen-de Aufgaben für ihre Historiker akribisch genau und verbindlich fest. Da 1987 und 1988 mit Joachim Petzold und Ingrid Mittenzwei erstmals Historiker aus der DDR an den Tagungen der „Arbeitsgemeinschaft" hatten teilnehmen dürfen, gestalteten die Diskussionen über die Geschichtsbilder, ihre Entstehung und Wirkungen, über die begrenzten Bewegungsräume der Historiker unter Partei-Kuratel sich nicht nur im Detail erfahrungsreicher, sondern auch insgesamt spann-ungsgeladener als zuvor.

7 Freiherr vom Stein. Briefe und amtliche Schriften, bearbeitet v. Erich Botzenhart (t), neu hrsg. v. Walther Hubatsch, 10 Bde., Stuttgart 1957-1974; Das Reformministe-rium Stein. Akten zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte aus den Jahren 1807/ 08, hrsg. v. Heinrich Scheel, bearbeitet von Doris Schmidt, 3 Bde., Berlin 1968 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Schriften des Instituts für Geschichte, Reihe I: Allgemeine und Deutsche Geschichte, Bd. 31 A /B /C ) ; Von Stein zu Hardenberg. Dokumente aus dem Interimsministerium Altenstein / Dohna, hrsg. v. Heinrich Scheel / Doris Schmidt, bearbeitet v. Doris Schmidt, Berlin 1986 (ebd., Bd. 54).

Legende

AKS = Allgemeine Kriegsschule (Kriegsakademie) G = Gutsbezirke GS = Generalstab KD = Kreisdirektor Kg = König KT = Kreistag L = Landgemeinde LR = Landrat LS = Landsturm LW = Landwehr

MIN = Ministerium OP = Oberpräsident P = Preußen PLT = Provinziallandtag REG = Regierung S = Stadt SH = Stehendes Heer SR = Staatsrat

= Reichsunmittelbare Standesherren (Virilstimme)

16 Bernd Sösemann

Das Rahmenthema „Preußen im Widerstreit" verwies somit vom ersten Ta-gungstag an auf zwei vielschichtige Fragestellungen. Sie richteten sich zum einen auf die unterschiedlichen Forschungsvoraussetzungen, methodischen Grundlagen und Ergebnisse historischer Untersuchungen, auf die politisch-ideologischen Fixierungen, Legitimationsbemühungen und deren Wirkungen in der Bundesre-publik Deutschland und in der DDR. Zum anderen zielten sie selbstverständlich in einem noch höheren Maß auf die Beurteilungsunterschiede und die Forschungs-kontroversen, wie sie sich mit allen Konsequenzen nur in einer freiheitlichen Gesellschaft entwickeln konnten. Andererseits ließen sich in den vier Jahrzehnten der Geschichtsschreibung in der DDR unterschiedliche Entwicklungsphasen er-kennen. In den ersten beiden Jahrzehnten hoben die dortigen Historiker den aus aktuellen Interessen parteilich geförderten Gedanken einer russisch-deutschen Waffenbrüderschaft von 1813/14 in ihren Arbeiten hervor8.

Es kann hier nicht darum gehen, die besonderen Phasen, Wandlungen oder sogar einzelne Arbeiten von „SED-Historikern" (Karlheinz Blaschke) zu skizzie-ren. Dazu liegen Untersuchungen vor, die auch die Reformära in Preußen im Bild marxistischer Geschichtsdarstellungen mit berücksichtigen9. Es ist lediglich darauf hinzuweisen, daß die hier wiedergegebenen Referate von Lothar Baar, Helmut Bleiber, Harald Müller und Klaus Vetter Teile unseres bereits vor dem 9. November 1989 begonnenen Versuchs waren, zu einer sachlichen Aufarbeitung und zu Ansätzen einer kritischen Gesamtinterpretation der Reformzeit zu kom-men. Die von unterschiedlichen Positionen aus formulierten Referate waren, trotz aller Unterschiede im politisch-ideologischen und fachlichen Zuschnitt, von dem Bemühen geprägt, den jeweiligen Forschungsstand zu skizzieren. Clemens Zim-mermann führte die in der Plenumsdiskussion begonnene Auseinandersetzung mit dem Vortrag von Helmut Bleiber konsequent fort, da er die bereits in Hofgeis-mar formulierten Einwände und die sich daraus ergebenen Folgerungen in der Druckfassung vermißte.

Zwar ist der Sammelband weder mit dem Abschnitt Bleiber-Zimmermann noch in seinen anderen Teilen darauf angelegt, wissenschaftliche oder ideologi-sche Positionen als abwegig zu „entlarven", doch wurden keineswegs nachträglich Retouschierungen vorgenommen oder Fehldeutungen und Irrtümer getilgt. Allen Beteiligten stand nämlich zu deutlich vor Augen, in welchem Maß Staatsapparat, Institutionen der SED und die marxistische Ideologie Geschichtsbild und Interpre-

8 Aus dem Jubiläumsjahr sei hier genannt „Das Jahr 1813. Studien zur Geschichte und Wirkung der Befreiungskriege", hrsg. v. F. Stranke, Berlin 1963. Exemplarisch blieb Heinz Heitzer, Insurrectionen zwischen Weser und Elbe. Volksbewegungen gegen die französische Fremdherrschaft im Königreich Westfalen (1806-1813), Berlin 1959.

9 Günther Heydemann / Alexander Fischer, Geschichtswissenschaft im geteilten Deutschland, 2. Bde., l.Bd.: Historische Entwicklung, Theoriediskussion und Ge-schichtsdidaktik, Berlin 1988, 2. Bd.: Vor- und Frühgeschichte bis Neueste Geschichte, Berlin 1990; dort wird auch weiterführende Literatur genannt. Die soeben erschienene kleine Arbeit von H. Alexander Krauß, Die Rolle Preußens in der DDR-Historiographie, Frankfurt/M. 1993, kann nicht überzeugen.

Die preußischen Reformen: Forderung und Herausforderung 17

tation bis ins einzelne beeinflussen konnten, als daß sie zu nachträglichen Beschö-nigungen bereit waren. Die erste Tagung endete übrigens drei Tage vor dem Staatsakt zum 40. Jahrestag der DDR-Gründung. Viele Gespräche in den Pausen zwischen den Vorträgen kreisten damals nachdrücklich und wiederholt um die Ansprüche des diktatorischen Systems im Alltag und auf dem wissenschaftlichen Sektor. Denn auch Forschung und Darstellung zur Reformära und insbesondere die „klassenbetonten" Antworten nach deren Fernwirkung und Bedeutung ma-chen deutlich, in welchem Umfang eine Mehrheit von Historikern mit ihrem öffentlichen Wirken zur Stabilisierung des DDR-Regimes und damit zur Selbst-zerstörung des Landes und seiner Menschen beigetragen hat.

Gleichzeitig ermöglichten diese Einsichten einen unbefangeneren Blick auf Distanzierungen und „Abweichungen" einzelner, auf Zurückhaltung und Diffe-renzierung im Lebensweg und Urteil anderer. Es wurde nämlich zu Recht hervor-gehoben, daß die SED mit dem für die Geschichtsschreibung propagierten Kurs „Erbe und Tradition" ihr Ziel, sich die gesamte deutsche Geschichte parteipoli-tisch anzueignen, nicht durchweg „linienkonform" und keineswegs vollständig habe erreichen können. Denn jene Parole konnte auch — von der SED ungewollt — Freiräume eröffnen. Bestimmte Themen und Fragestellungen unterlagen dem-nach nicht mehr per se der bislang praktizierten Tabuisierung.

Vor diesem wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund, in der Rückschau auf die Ergebnisse der Tagungen und mit Blick auf den Sammelband sind Forderung und Herausforderung im Umfeld der gesicherten Erkenntnisse zur Reformära in Preußen deutlicher zu markieren. Sie liegen auf verschiedenen Ebenen und haben einen unterschiedlichen Stellenwert10. Wenn sie in einzelnen Punkten zusammen-gefaßt werden, dann sollen hier nicht noch zusätzlich die Anregungen und Hinwei-se aufgelistet werden, die sich in den einzelnen Aufsätzen finden. Es geht vielmehr darum, leitende Gesichtspunkte knapp hervorzuheben. Ihre Reihung stellt nicht, den Versuch einer Hierarchisierung dar, sondern eine von Pragmatismus bestimm-te Systematik. Eine Vorbemerkung darf jedoch auch mit Blick auf unsere Tagun-gen nicht fehlen: Inhaltlich, methodisch und konzeptionell stehen alle Historiker grundsätzlich zwar vor der gleichen Aufgabe, Glaubwürdigkeit zu gewinnen, sich mit der für Wissenschaftler bedeutenden Frage nach der „intellektuellen Konsistenz" (Jürgen Kocka) auseinanderzusetzen. Doch für diejenigen, die in der DDR in führender Position geforscht und mitentschieden haben, dürfte sich diese Anforderung mit großem Nachdruck stellen, bevor sie erneut publizieren und einen anderen Zugang zur Geschichte vorstellen11.

10 Das Thema „Preußische Rechts- und Justizreform (1780-1848)" mußte bedauerli-cherweise ausgespart bleiben, weil der Referent nicht nur kurzfristig seinen Tagungsbei-trag absagen, sondern auch ebenso unvermittelt seine Mitwirkung an diesem Werk aufkündigen mußte.

u Zum Umbruch von 1989 und zur Zurückhaltung der Historiker in der DDR s. Rainer Eckert u. a. (Hrsg.), Krise — Umbruch — Neubeginn. Eine kritische und selbstkri-

2 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

18 Bernd Sösemann

Inhaltlich und methodisch ist zur Reformära in Preußen hervorzuheben:

Erstens: Besonders auffällig ist, in welchem Umfang die großen Editionsvorha-ben und damit die starke Konzentration auf das Leben und das reformerische Wirken des Freiherrn vom Stein weiterhin die Themenstellung der Forscher, die Veröffentlichungen und somit das Bild der Reformära in der Öffentlichkeit prägen12. Der Einseitigkeit und der Tendenz zu einer gewissen Eindimensionalität müßte deutlicher als bisher geschehen entgegengewirkt werden. Die editorische Arbeit sollte nicht lediglich auf die unmittelbare Folgezeit, das „Interimsministe-rium Altenstein / Dohna" und auf Hardenberg erweitert werden. Wenn Peter Gerrit Thielen in seiner Hardenberg-Biographie auf die breite Forschung zu Stein und die bedeutend schmalere zum Staatskanzler verweist13, so findet diese auffäl-lige Bevorzugung ihre Erklärung zwar auch in der unübersichtlichen Quellen-und Nachlaß-Situation. Dieses Manko weist jedoch auf ein bedeutend größeres hin. Die weitgehende Fixierung auf Stein und auf den relativ kurzen ersten Abschnitt der Reformen mit den spektakulären Glanzleistungen hat die Anteile der Mitarbeiter Steins an dem Reformwerk verdunkelt. Insbesondere die Gruppe der jüngeren, von Stein zumeist sorgfältig ausgewählten Verwaltungsbeamten hat noch nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit gefunden. Obwohl auf ihre Tätigkeit wiederholt nachdrücklich hingewiesen worden ist, mangelt es an ent-sprechenden Editionen aus Nachlässen und Verwaltungspraxis. Etliche dieser Mitdenker und Mitgestalter reüssierten im Dienste Preußens in den folgenden Jahrzehnten. Zu ihnen gehörten Hermann von Boyen, Johann Friedrich Eichhorn,

tische Dokumentation der DDR-Geschichtswissenschaft 1989 / 90, Stuttgart 1992, in der Karlheinz Blaschke („SED-Historiker nach langem Schweigen kräftig in der Wende") feststellt: „Als im vergangenen Herbst in der DDR die sanfte Revolution in Gang kam, dauerte es nicht lange, bis einige Berufsgruppen mit Erklärungen an die Öffentlichkeit traten, in denen sie kritisch-verurteilend das zusammenstürzende SED-Regime brand-markten und den Willen zum Neubeginn kundtaten. [ . . . ] Von den Historikern ward dergleichen nicht vernommen. Man konnte vielmehr den Eindruck gewinnen, daß es ihnen die Sprache verschlagen hatte und sie erst einnmal unfähig waren, mit den sich überstürzenden Ereignissen fertig zu werden. [ . . . ] Dieser Sachverhalt ist nicht verwun-derlich, wenn man die Stellung der Geschichtswissenschaft im Herrschaftssystem der SED betrachtet. ,Die Hauptaufgabe der Geschichtswissenschaft ist es, die Richtigkeit der Politik der DDR-Regierung zu beweisen* — so konnte man es sinngemäß in breitem Spruchband über dem Präsidium des vierten Historikerkongresses der DDR im Oktober 1968 in Leipzig lesen" (201).

12 Vgl. dazu den ausführlichen Artikel von Klaus Günzel, Das große Jahrzwölft. Anspruch und Wirklichkeit der preußischen Reformen, in: Die Zeit 44 (25. X. 1991), 49 f., „ [ . . . ] eine Gestalt von integrierender Kraft und zwingender Redlichkeit [ . . . ] über dem Getümmel der Meinungen" resümiert Günzel und schließt mit Ernst Moritz Arndt: „Aber Stein und sein erhabener Gedanke soll [sie] leben und wird leben in den Enkeln und Urenkeln, und sie werden seinen Gedanken festhalten, sie werden vollbringen und einigen und zusammen binden, was ein stolzer politischer Traum vor dem Geiste des treuesten, tapfersten, unüberwindlichsten deutschen Ritters gestanden hat. Amen! Amen!"

13 Peter G. Thielen, Karl August von Hardenberg 1750-1822. Eine Biographie, Köln 1967, 8.

Die preußischen Reformen: Forderung und Herausforderung 19

Karl Ferdinand Friese, Johann Gottfried Hoffmann, Georg Heinrich Nicolovius, Barthold Georg Niebuhr, Christian von Rother, Christian Friedrich Scharnweber, Theodor von Schön, Friedrich August von Stägemann, Johann Wilhelm Süvern und Ludwig Freiherr von Vincke. Lediglich Vinckes Tagebuch aus den Jahren 1813 bis 1818 liegt in einer mustergültigen Edition vor. Für Schön muß auf eine unvollständige, aus politischen Motiven zerstückelte und vor hundert Jahren fehlerreich publizierte Ausgabe zurückgegriffen werden. Andeutungen dürfen hier genügen; die Liste der Desiderate reicht von Theodor von Schön bis zu Gerhard Johann von Scharnhorst, von August Wilhelm Neidhardt von Gneisenau bis zu den Agrarreformen von 1806 oder zu den Wiederaufnahmen von Reform-konzepten im Vormärz, in der Revolution von 1848/49 und im Kaiserreich.

Zweitens: Daraus ergibt sich eine weitere Forderung, auf die jedoch ebenfalls kaum mehr als stichwortartig hingewiesen werden kann. Große Bereiche des Reformwerks sind bis heute dokumentarisch und auch monographisch in einem engen zeitlichen und thematischen Rahmen und auch dort nur unzulänglich erschlossen. So ist die preußische Finanzpolitik lediglich für ein halbes Jahrzehnt durch den Rückgriff auf das ältere Manuskript von Eckart Kehr (Neuausgabe von 1984) besser zugänglich geworden14. Für die Militärreformen findet sich zwar in dem vierten Band der von Curt Jany quellennah erarbeiteten „Geschichte der Königlich Preußischen Armee" (1933) reichlich Material15, doch sind die bereits vor gut fünfzig Jahren vorbereiteten Folgebände zu Vaupels erstem Band (1938) über das „Preußische Heer vom Tilsiter Frieden bis zur Befreiung" bislang nicht erschienen16. Ähnlich brach liegen ganze Bereiche der Kommunal-, der Gesellschafts-, Gewerbe- und Finanzreform. Zwei Fragen wurden in den vergan-genen Jahren stärker diskutiert, ohne daß aber befriedigende Ergebnisse erzielt worden wären. Es ging zum einen um den Umfang und den politisch-sozialen Stellenwert der Reformen vor den Reformen, also um die „Preußischen Reformbe-strebungen vor 1806", wie Otto Hintze das Thema bereits 1896 formuliert hat17. Der zweite Themenbereich ist nicht weniger komplex. Es handelt sich um die gründliche Bearbeitung und Einschätzung der Zusammenhänge, die mit den Stichworten „Agrarreformen", „Industrialisierung" anzudeuten sind. Barbara Vo-

14 Preußische Finanzpolitik 1806 -1810. Quellen zur Verwaltung der Ministerien Stein und Altenstein, bearbeitet v. Eckart Kehr, hrsg. v. Hanna Schissler / Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1984. —Heinrich Scheel / Doris Schmidt, Interimsministerium (Anm. 7), 808, weisen übrigens daraufhin, daß in allen sechs Dokumenten, die sich auch in ihrer Edition befinden, „im Wortlaut allerdings stellenweise starke Abweichungen [gegenüber den Kehr-Fassungen] auftreten".

15 Curt Jany, Die Königlich Preußische Armee und das Deutsche Reichsheer 1807 bis 1914, Berlin 1933.

In: Die Reorganisation des Preußischen Staates unter Stein und Hardenberg, Teil 2 (Publikationen aus den Preußischen Staatsarchiven 94), Leipzig 1938.

17 Jetzt leicht nachzulesen in: Otto Hintze, Regierung und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens, hrsg. und eingeleitet v. Gerhard Oestreich, Bd. 3, 2. Aufl., Göttingen 1967, 504-529.

2*

20 Bernd Sösemann

gel hat einen ersten komprimierten Zugriff geliefert und gleichzeitig offengelegt, wieviel an Einzelforschung noch zu leisten ist18.

Drittens: Spätestens jetzt wird verständlich, weshalb dem Problem der Epo-chengliederung und damit der zeitlichen Eingrenzung der Reformära eine höhere Aufmerksamkeit als bisher zugewandt werden sollte. Der Terminus „Stein-Har-denbergsche Reformen" 19 erscheint auch in dieser Hinsicht wenig brauchbar. Er betont nämlich nicht nur die Kontinuität der engen Stein- (und Hardenberg-) Perspektive, sondern er verkürzt auch den Zeitraum auf die Jahre von 1807 bis 1812 — mitunter noch bis 1819 —, favorisiert traditionell eher den Primat des Politischen und vermag nicht unbedingt dazu anzuregen, mittelfristige Vorgänge und langzeitige Entwicklungen in die Untersuchungszusammenhänge mit einzu-beziehen20. Das Thema der „Vor-Reformen" ließe sich bei einer großzügigeren Interpretation der preußischen Reformära angemessen plazieren, der soziale Wan-del könnte unschwer hinzugenommen und auch die wirtschaftlichen Abläufe könnten überzeugender klassifiziert werden. Sie ließen sich nämlich entweder als eher langfristige Folgeerscheinungen der Reformpolitik und damit als margi-nal oder zumindest weniger zentral einschätzen oder aber als eine der bedeutenden Intentionen der „Reformpartei" charakterisieren.

Viertens: Die Resümees in diesem Sammelband sind zumeist durch den Ver-such gekennzeichnet, die Einzelreform in den größeren thematischen und zeitli-chen Rahmen zu stellen und zu interpretieren. Dadurch spannt sich der Untersu-chungszeitraum vom letzten Viertel des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die preußischen Reformen werden auf diese Weise nicht nur nachdrücklich in den weiteren Kontext der preußischen, sondern auch der deutschen Geschichte gerückt. Damit sind günstige Voraussetzungen für Untersuchungen gegeben, die sich auf die Reformen in Bayern, im Rheinland, in Westfalen und in Württemberg richten oder sogar ähnliche Anstöße und Entwicklungen in anderen Staaten Westeuropas unter dem Leitbegriff der „Modernisierung" zu ergründen suchen. Vorab ist jedoch gerade dieser, in der Vergangenheit fast inflationär gebrauchte Begriff genauer zu klären. Ersetzt „Modernisierung" lediglich die Parole von der „Revolution von oben" durch den Hinweis auf ein „bürokratisch kontrolliertes

18 Barbara Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit. Die Reformpolitik des preußischen Staatskanzlers Hardenberg, Göttingen 1983.

19 Obwohl auch Walther Hubatsch wenigstens einen Teil der Problematik dieser Terminologie erkennt, hält er an der Bezeichnung fest und schließt seinen Forschungs-überblick mit der Hervorhebung beider Namen (<dersDie Stein-Hardenbergschen Refor-men, Darmstadt 1977, 232).

20 Selbst Oldenbourgs „Grundriß der Geschichte" ist von diesem Manko nicht völlig frei. Doch dürfte es weniger den beiden Bearbeitern als vielmehr der in dieser Beziehung nachteiligen Zäsursetzung zuzuschreiben sein, denn Dieter Langewiesche, Europa zwi-schen Restauration und Revolution 1815-1849, München 1985, nimmt das Thema Fort-bzw. Auslaufen der „Reformwelle" mit den entscheidenden Stichworten auf und betont, daß damit die Themen- und Konfliktfelder vorgegeben seien, die (wenigstens) die Zeit bis zur Revolution von 1848/49 bestimmt hätten.

Die preußischen Reformen: Forderung und Herausforderung 21

Programm"? Oder ist darunter weniger ein staatlich initiiertes Vorhaben zu verstehen und eher ein Komplex relativ autonom ablaufender Prozesse in Staat und Gesellschaft?

Die Arbeit von Paul Nolte zur Staatsbildung21 zeigt, wie ergiebig ein verglei-chender Ansatz sein kann. Doch auch Nolte berücksichigt einen Gesichtspunkt nur am Rand: den des öffentlichen Raisonnements. Gab es Diskussionen in der Öffentlichkeit, in Zeitungen und Broschüren in einem Umfang und von einer Intensität, die auf eine breitere Aufmerksamkeit hindeuten? Kann von einem sachlichen, ja sogar von einem politischen Interesse, einer „Verstörung" und „Betroffenheit" in einem größeren Kreis von Zeitgenossen gesprochen werden? Darf vielleicht von einer größeren Akzeptanz des Reformwerks als bisher ange-nommen ausgegangen werden? Die Dissertation von Bernd von Münchow-Pohl geht diesen Fragen stärker im Bereich von Gutachten, Denkschriften, Eingaben und Broschüren nach als in dem der natürlich ungleich schlechter überlieferten und schwerer zugänglichen Tagespresse und der Zeitschriftenpublizistik. Die Reformer bemühten sich nicht ohne Geschick und Nachdruck um die Verbreitung ihrer Vorstellungen in der Öffentlichkeit, da sie wußten, daß „bei schlechter Zeitung [ . . . ein] flaches und ärgerliches Gespräch" herrscht22. Außerdem scheint der von Münchow-Pohl gewählte Untersuchungszeitraum zu kurz und der Maß-stab zu groß geraten zu sein, um resümieren zu können: „Im preußischen Bauern und Bürger steckte noch der alte Untertan, dem der Gehorsam in Fleisch und Blut übergegangen war [ . . . ]"23 .

Auf die Untersuchungen von Nolte und von Münchow-Pohl ist abschließend deshalb aufmerksam gemacht worden, weil vergleichend angelegte Studien sich dazu besonders eignen, das Reformwerk insgesamt quellennäher, in seiner Kon-zeption überzeugender und damit auch in seiner Mehrschichtigkeit differenzierter zu erfassen. Zum anderen dürften die von Münchow-Pohl favorisierten und auch in Zimmermanns Beitrag geforderten Einzeluntersuchungen auf den unteren Ebe-nen — sei es nun auf dem Lande oder in den Städten — neue Aufschlüsse über die Reformgesetzgebung im einzelnen und über die in ihrer Folge aufgetretenen mentalitätsgeschichtlichen Wandlungen bringen, die nach 1800 in Deutschland

21 Paul Nolte, Staatsbildung als Gesellschaftsreform. Politische Reform in Preußen und den süddeutschen Staaten 1800 bis 1820, Frankfurt/M. 1990.

22 H.B. [i. e. Heinrich Bardeleben], Preußens Zukunft. An das Vaterland, Frankfurt/ O. 1807, 61.

23 Bernd von Münchow-Pohl, Zwischen Reform und Krieg. Untersuchungen zur Be-wußtseinslage in Preußen 1809-1812 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 87), Göttingen 1987, 421; vgl. dazu auch Friedrich v[on] Cölln (Hrsg.), Materialien für die preußische staatswirtschaftliche Gesetzgebung, Heft 1, Leipzig 1811: „Preußen bedarf einer Revolution in seinem ehemaligen Staats-Organismus" (III) und die Bemerkungen (ders., Materialien für Gesetzgebung und Geschichte, Berlin 1812): es müsse umgehend für eine „Verbesserung des Volks [schul] Unterrichts" gesorgt werden (ebd., 131), denn der Bauer sei für die Idee, für die Freiheit noch nicht reif, da er mit ihr nichts anzufangen wisse (ebd., 119).

22 Bernd Sösemann

und Preußen eingesetzt haben. Gleichzeitig könnten derartige Detailstudien unse-re Kenntnisse über die Erfolge, Hemmnisse und Mißerfolge bei der Umsetzung des vielsträngigen Reformwerkes vermehren oder wenigstens sichern.

Die starke Beachtung dieser Fragen dürfte schließlich auch zu einem genaueren Verständnis des politischen und sozialen Wandels in diesen Jahrzehnten führen. Die Reformzeit in Preußen wird sich schwerlich als eine Epoche der radikalen sozialen Veränderung mit dem Durchbruch einer republikanischen Mentalität erweisen können. Doch dürften die Fragen nach der Umsetzung der Reformen — oder wie die Zeitgenossen bereits formulierten: nach der „Ausführung dersel-ben durch [ . . . ] Kommissionen und [ . . . ] Kommissarien"24 — auch zu einer differenzierteren Einschätzung des Gesamtwerks und seiner Adressaten führen. Jenseits der Frage, wie sinnvoll die begriffliche und methodische Übernahme eines sozial- oder wirtschaftswissenschaftlichen Theorems wie dem der „Moder-nisierung" sein kann, wären in der Beurteilung vorrangig folgende Punkte zu berücksichtigen: die offenkundige mittel- und langfristige Steigerung der Lei-stungsfähigkeit des administrativen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Systems, der hohe Rang der Verfassungsforderung für die meisten Mitglieder des großen Reformerkreises und schließlich die enge Verknüpfung des Reform-werkes mit den allgemeinen Entwicklungen der folgenden Jahrzehnte, die zu Kompromissen und weitgehenden Anpassungen, aber auch zu erfolgreichen Vor-stößen aus erzwungener Defensive führte. Denn nach dem Scheitern Hardenbergs war der Reform-Impetus zum einen auf einen kleinen Kreis der Fachleute in der preußischen Staatsverwaltung in eher zweitrangigen Positionen übergegangen, zum anderen aber auf einzelne „Alt"-Reformer wie Schön, Merckel, Sack, Solms-Laubach, Motz und Vincke, die als Oberpräsidenten an der Spitze von Provinzial-verwaltungen standen. Gegen die Hochkonservativen in den leitenden Positionen haben gerade die Oberpräsidenten der Flügelprovinzen einen offensiven und besonders zähen Kampf um Freiräume geführt. Dennoch konnten nach 1822 selbst die oberpräsidialen Anstöße zur Erneuerung von Staat und Gesellschaft eher regional wirkungsvoll, im übrigen aber inhaltlich nur begrenzt sein. Da diese „Alt"-Reformer nicht resignierten, trugen sie mit dazu bei, daß das Thema „Reform" seine herausfordernde Kraft und eine Vorbildfunktion in der Öffentlich-keit behielt.25

24 K[arl] L[udwig] Hering, Ueber die agrarische Gesetzgebung in Preußen, besonders in Rücksicht auf die Ausführungen derselben durch die General-Kommissionen und deren Oekonomie-Kommissarien, Berlin 1837.

25 Hier ist noch nachzutragen, daß im jüngsten Jahresbericht der Fritz-Thyssen-Stif-tung von 1991/92, Köln 1992, S. 40 f., der erste Band eines wichtigen Editionsvorhabens angekündigt wird: Johannes Kunisch (Hrsg.), Scharnhorst. Briefe — Dienstliche Schrif-ten — Militärische Weihe.

I .

„Mit eigener Verantwortlichkeit, aber auch nach eigener Einsicht handeln"

Verwaltung und Verfassung als Gegenstand staatlicher Reformstrategie

Von Barbara Vogel, Hamburg

Einleitung

Verwaltungs- und Verfassungsreformen — früher ein vornehmes Thema der Geschichtsschreibung — standen in letzter Zeit relativ selten im Mittelpunkt historischer Untersuchungen. Mehr Aufmerksamkeit fanden gesellschaftspoliti-sche Aspekte der Reformgesetzgebung. Gerade deshalb ist es sinnvoll, die Frage nach den Verwaltungs- und Verfassungsreformen einmal grundsätzlicher zu über-denken.

Im Folgenden sollen erstens

auf der Grundlage des gegenwärtigen Forschungsstandes einige theoretische und methodische Überlegungen vorgetragen werden, die dem Verständnis und der Einordnung des Themas Reorganisation des preußischen Staates dienen.

Zweitens soll, ohne daß die Reformgesetze und -vorhaben im einzelnen vorgestellt und erörtert werden können, die Frage nach Intention, Durchset-zung und Grenzen der „Staatsreformen" in Preußen gestellt werden.

I . Methodische und theoretische Überlegungen

1. Unterscheidung von Verfassungs- und Verwaltungsreformen im frühen 19. Jahrhundert

Die Unterscheidung zwischen Verwaltungs- und Verfassungsreformen ist ge-läufig. Sie ist in praktischer Hinsicht gerechtfertigt, ermöglicht sie doch eine Systematisierung von Analyse und Darstellung. Es kann von der Reorganisation der Verwaltungsbehörden gesprochen werden, um dabei wiederum die oberen, mittleren und unteren Ebenen der Zentrale, der Provinzen, Regierungsbezirke sowie Landgemeinden und Städte zu unterscheiden. Davon abgesetzt kann unter dem Begriff Verfassungsreform das Bemühen, Partizipationsansprüche der „Ge-sellschaft", der Untertanen, der Regierten zu erfüllen, betrachtet werden. Wie sich Partizipationsansprüche artikulierten und von wem sie erhoben wurden,

26 Barbara Vogel

welche konkreten Forderungen und Wünsche hinter dem Ruf nach „Repräsenta-tion" oder „ständischer Verfassung" standen, gehört auch zur Erörterung der Verfassungsreform.

Prinzipiell — in analytischer Absicht — sind Verwaltungs- und Verfassungsre-formen nicht nur eng miteinander verbunden, sondern auch nur schwer zu trennen. In dem während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Preußen oft zitierten Ausspruch, „daß die Freiheit ungleich mehr auf der Verwaltung als auf der Verfassung beruhe"1, deutet sich bereits der enge Zusammenhang an, obwohl die Begriffe Verwaltung und Verfassung hier konstrastierend verwandt werden: „Freiheit" der Bürger und die Staatsorganisation sind unmittelbar aufeinander bezogen. Reinhart Koselleck hat die Reform der Behördenorganisation überzeu-gend als Verfassungskern untersucht2. Zu beachten ist bei dem hohen, der Verwal-tung zugeschriebenen Stellenwert, daß der Bereich der Verwaltung sich in der Reformzeit ausdehnte und ausdifferenzierte. Die obersten Staatsbehörden glieder-ten sich in das Staatsministerium, Staatskanzleramt, den Staatsrat, die Provinzial-regierungen; innerhalb der Verwaltung wurden die Funktionen der Legislative und der Exekutive ausgeübt. Das heißt, Probleme der Gewaltenteilung, heute eine Frage von Verfassungspolitik, waren damals durch Verwaltungsorganisation zu bewältigen.

Die politikwissenschaftlichen Erklärungsmodelle politischer Modernisierung, insbesondere das der „Staatsintegration" und der „Nationsbildung" haben unseren Blick dafür geschärft, daß es in den Reformen während der Napoleonischen Ära um die Konstituierung des modernen Staates ging. Zur Konstituierung des Staates gehörten die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols, was bedeutete, Machtmittel und Herrschaftsrechte beim Fürsten, bei der Staatsregierung, zu konzentrieren, sowie ständische und korporative Eigenrechte einzuebnen. Dazu gehörte ebenso der wachsende Partizipationsanspruch der „Staatsbürger", was bedeutete, den „Staat" der Gesellschaft zu unterwerfen 3.

Die zeitgenössischen Formulierungen dieses Konstitutionsprozesses sind varia-tionsreich. Besonders treffend wird die Einsicht in die Notwendigkeit der Staatsin-tegration in einer Wendung des preußischen Staatskanzlers Hardenberg beschrie-ben, der davon sprach, daß der „allgemeine Staatsverein" nicht mehr zur Lösung der anstehenden Probleme ausreiche, vielmehr ein „engerer Verein" aller derjeni-gen „die eigentlich den Staat konstituieren und die von dessen Erhaltung das höchste und innigste Interesse haben", stattfinden müsse4.

1 Niebuhr/ Vincke 1815, zitiert nach Paul Nolte, Staatsbildung als Gesellschaftsre-form. Politische Reformen in Preußen und den süddeutschen Staaten 1800 bis 1820, Frankfurt/M. 1990, 65.

2 Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Land-recht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, 4. Aufl., Stuttgart 1987.

3 Nolte (Anm. 1), 16. 4 Barbara Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit. Die Reformpolitik des preußischen

Staatskanzlers Hardenberg (1810 bis 1820), Göttingen 1983, 126.

Verwaltung und Verfassung 27

Die Herstellung von Staatssouveränität war notwendig zugleich Staatsintegra-tion, d. h. es ging um beides, um Staatsbildung und Gesellschaftsreform. Diese Vielschichtigkeit des politischen Wandels war schon manchen Zeitgenossen be-wußt. Hervorheben möchte ich einen Artikel einer in Breslau erscheinenden Zeitung „Der Vaterlandsfreund" vom 10. Mai 18095. Er trägt die Überschrift „Über den Geist der neueren Staatsreformen", wobei Staatsreformen Verwaltung und Verfassung einschließen. Darin wird die These aufgestellt, daß es in allen Staaten um den „Widerstreit zweier Strebungen" gehe: „Überall streben die Regierer nach einer unbedingten Gewalt, und die Regierten streben überall nach einer Repräsentation bei der Regierung". Das Problem sieht der Verfasser nicht in dem Bestreben der Regierung, sondern in der mangelnden Konsistenz der Regierten. Die Repräsentation könne deshalb nicht im Sinne des Gemeinwohls handeln.

In der Auseinandersetzung in Preußen um eine Kommunalordnung herrschte Uneinigkeit darüber, ob es sich dabei um Verwaltungs- oder Verfassungsreform handele. Pointiert vertrat z. B. der Minister von Schroetter die Ansicht, bei der Ordnung für die Landgemeinden handele es sich nicht um eine Angelegenheit der Staatsorganisation, sondern um „Einrichtungen der Nation"6. Er hielt sie deshalb für schwerer durchsetzbar. Das Scheitern aller Versuche, eine Landge-meindeordnung zu schaffen und durchzusetzen, hat nicht nur den Staatsbildungs-prozeß in Preußen blockiert, sondern auch ein Hindernis für die Einrichtung einer „zweckmäßigen Repräsentation" — wie der von den Reformern benutzte Ausdruck lautete — bestehen lassen. Die Nation blieb dadurch in Preußen weithin identisch mit dem privilegierten Adel.

Die These, daß Verwaltungs- und Verfassungsreform nicht trennbar seien, wird von einem Verfassungsbegriff gestützt, der sich nicht — wie seit dem Vormärz gebräuchlich — auf die Herstellung einer (National)repräsentation be-schränkt. Wenn wir — wie Böckenförde7 — Verfassungen als „politisch-soziale Bauform einer Zeit" verstehen oder—wie Hans Boldt8 — als „politische Struktur eines Staates", dann ist Verwaltung als Art und Weise, wie Herrschaft sich äußert und funktioniert 9 inbegriffen. Paul Nolte, der das jüngste Buch über die Reform-politik in Preußen und in den süddeutschen Staaten geschrieben hat, unterscheidet

5 „Der Vaterlandsfreund" vom 10. 5. 1809, in: Von Stein zu Hardenberg. Dokumente aus dem Interimsministerium Altenstein / Dohna, hrsg. v. Heinrich Scheel und Doris Schmidt, Berlin 1986, Nr. 110, 297 ff.

6 Votum Schroetters, 24. 11. 1808, in: Das Reformministerium Stein. Akten zur Ver-fassungs- und Verwaltungsgeschichte aus den Jahren 1807/08, 3 Bde., Berlin 1966 bis 1968, Nr. 323, Seite 1076; vgl. Nolte (Anm. 1), 66.

7 Ernst Wolfgang Böckenförde (Hrsg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815 bis 1918), Köln 1972.

8 Hans Boldt, Einführung in die Verfassungsgeschichte, Düsseldorf 1984. 9 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriß der verstehenden Soziologie,

Studienausgabe, Tübingen 1976, 545.

28 Barbara Vogel

deshalb zwischen drei Aspekten einer Verfassungsreform: Es gehe um die Aner-kennung von „Grundrechten" — in der Sprache der preußischen Reformer um „möglichste Freiheit und Gleichheit" —, ferner um Volksrepräsentation oder — zeitgenössisch — um ,»Nationalrepräsentation" und schließlich um die Konstitu-tion des Staates10. Das letztere umfaßt Reorganisationen des Regierungsapparats und Fundierung des Verhältnisses von Regierten und Regierung. Durch die Zuspitzung der Verfassungsfrage auf den einen Aspekt, die Gewährung einer Repräsentation, ist in Preußen — so die These Noltes, in der ich meine eigenen Forschungsergebnisse aufgenommen sehe — der Mißerfolg der politischen Refor-men einschließlich der Nationalrepräsentation programmiert gewesen.

2. Verfassung und Staatsfinanzen

Von Rudolf Goldscheid stammt der vielzitierte Satz, der Staatshaushalt sei das Gerippe des Staates n . Nicht nur Höhe und Zusammensetzung von Etatposten, auch die Frage, wie mit wessen Mitwirkung ein Staatshaushalt zustandekommt, sagt etwas aus über den Zustand der Staatsbildung. In dem engen Wirkungszusam-menhang zwischen dem desolaten Finanzzustand Preußens nach den Kriegen seit den 90er Jahren und der Niederlage von 1806 mit den hohen Kriegskontribu-tionen und dem Verfassungsversprechen wird die Notwendigkeit, den Staat neu zu fundieren, ganz deutlich. Diese These ist nicht nur für Preußen12, sondern auch für die Verfassungspolitik der Rheinbundstaaten begründet worden13. Die Konsolidierung des Staatsschuldenwesens bildete eine Herausforderung für die Verwaltungsorganisation und die staatsbürgerliche Partizipation. Die Erschlie-ßung neuer ergiebiger Finanzquellen weitete den „Steuerstaat" aus. Die Aufbrin-gung von Vermögens- und Einkommenssteuern, die Aufstellung eines Katasters zur Grundsteuererhebung stellte nicht nur an den Ausbau der Finanzverwaltung hohe Anforderungen, sondern benötigte eine Legitimierung durch eine Repräsen-tation. Daß die Finanzreform in Preußen hier nicht, wie für notwendig erkannt, vorankam, hängt mit der fehlenden Repräsentation zusammen. Aber — auch das Umgekehrte ist zu bedenken — daß überhaupt eine Finanzreform, die den Staats-haushalt stabilisierte, zustandekam, kostete den Aufschub in der Verfassungsfra-

io Nolte (Anm. 1), 79 f. n Rudolf Goldscheid, Staat, öffentlicher Haushalt und Gesellschaft (1926), in: Die

Finanzkrise des Steuerstaats. Beiträge zur politischen Ökonomie der Staatsfinanzen, hrsg. v. Rudolf Hickel, Frankfurt/M. 1976, 253-316, 256.

12 Herbert Obenaus, Finanzkrise und Verfassungsgebung. Zu den sozialen Bedingun-gen des frühen deutschen Konstitutionalismus, in: Barbara Vogel (Hrsg.), Preußische Reformen 1807 bis 1820, Königstein 1980, 244-265; ders., Anfänge des Parlamentaris-mus in Preußen bis 1848, Düsseldorf 1948.

13 Hans-Peter Ulimann, Staatsschulden und Reformpolitik. Die Entstehung moderner öffentlicher Schulden in Bayern und Baden 1780 bis 1820, 2 Bde., Göttingen 1986; Helmut Berding / Hans-Peter Ulimann (Hrsg.), Deutschland zwischen Revolution und Restauration, Königstein 1981.

Verwaltung und Verfassung 29

ge, der in der Hardenberg-Ära nicht wieder einzuholen war. Die in den Verhand-lungen des Staatsrats seit 1817 aufbrechenden wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze ließen Hardenberg in der Finanzreform wieder den Weg der „Reform von oben" von oben suchen.

3. Reformpolitik in Preußen im Vergleich mit den Rheinbundstaaten

Nolte führt seine Untersuchung der politischen Reformen 1800-1820 als Ver-gleich der Vorgänge in Preußen und in den süddeutschen Staaten Bayern, Baden und Württemberg durch. Diese vergleichende Perspektive findet seit gut zehn Jahren immer stärkeres Interesse, nachdem Preußen als Paradigma der deutschen Nationalgeschichte an Glanz verloren hatte und in der Bundesrepublik Kontinui-tätslinien in nichtpreußische Räume, insbesondere nach Südwestdeutschland zu-rückverfolgt wurden — Räume, die jahrzehntelang in der Historiographie unter dem Primat der kleindeutschen Nationalstaatsgeschichte oft nur als Landesge-schichte firmierten. Nach der nationalsozialistischen Ära und dem Zweiten Welt-krieg setzte sich eine kritische Sicht der preußischen Geschichte durch; Preußen war nicht länger das Beispiel einer grandiosen nationalen Erfolgsgeschichte. Nicht nur Militarismus, Scheinkonstitutionalismus und Überhänge an Feudalis-mus galten als preußische Erblast des Deutschen Reiches, auch die preußischen Reformen schienen jetzt relevant mehr unter dem Aspekt ihres Scheiterns als ihrer Leistung für die Modernisierung von Staat und Gesellschaft.

Unter dem Einfluß von globalen übernationalen Modernisierungstheorien so-wie aus der Erkenntnis, daß die Französische Revolution und Napoleon Voraus-setzung und Herausforderung für die deutschen Staaten waren, rückten die Ge-meinsamkeiten der Modernisierungspolitik stärker in den Vordergrund; infolge dessen verlor Preußens Entwicklung ihre Singularität und die Rolle des Vorbildes innerhalb der deutschen Staatenwelt14. Dabei wurde die Bewertung bisweilen umgekehrt: Galten in der Historiograhie die Rheinbundstaaten lange als rückstän-dig, so erschien die Reformpolitik der Rheinbundstaaten jetzt als rationaler, effizienter und „demokratischer" als in Preußen, sie schien viel enger mit den Errungenschaften der französischen Revolution verknüpft. Immerhin gab es hier in den ersten Jahren nach dem Wiener Kongreß einen Schub von Verfassungen, von Konstitutionsurkunden, in denen Volksvertretungen verankert waren, wäh-rend alle Verfassungsversprechen in Preußen Schall und Rauch wurden. Sogar die entscheidenden Schritte auf dem Wege zum modernen Berufsbeamtentum wurden eher in Bayern als in Preußen, das doch als klassischer Beamtenstaat

14 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 1. Bd.: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700 bis 1815, München 1987.

30 Barbara Vogel

galt, realisiert gesehen15. Diese letzte These resultiert allerdings aus einer verkürz-ten Sichtweise: Das Ausbleiben von Edikten und Gesetzen zur Stellung der Beamtenschaft in Preußen in der Reformzeit im Unterschied zu Bayern (Dienst-pragmatik von 1805), oder auch zu Baden und Württemberg markiert nicht einen preußischen Rückstand, sondern folgt aus der schon im späten 18. Jahrhundert weit fortgeschrittenen Herausbildung eines loyalen Standes von Staatsdienern. Bereits im Allgemeinen Landrecht ist der Beamtenstand nicht durch Geburt oder Herkunft, sondern durch Amtsqualifikation und -funktion bestimmt, sind seine Rechte und Pflichten geregelt. Die süddeutschen Staaten holten hier etwas nach, ohne über Preußen hinauszugehen.

Als heute „herrschende Meinung" kann festgehalten werden, daß in den Rhein-bundstaaten die politischen Reformen erfolgreicher waren als in Preußen, wäh-rend in Preußen die Wirtschaftsreformen (Agrarreformen, Gewerbefreiheit, Han-delsfreiheit) weiter vorangetrieben waren als im Rheinbund16. Die Frage nach der Wechselwirkung von politischer und sozialökonomischer Modernisierungs-politik, die in dieser Antithese impliziert ist, ist an dieser Stelle nicht das Thema; jedoch bedingt der Stand gesellschaftlicher Entwicklung den Erfolg oder das Scheitern wie überhaupt die Richtung von Verwaltungs- und Verfassungsrefor-men.

Die heute in den Blick getretene Priorität der Staatsreformen in den Rheinbund-staaten und der dadurch erreichte Vorsprung vor Preußen korrigiert oder modifi-ziert die traditionelle Würdigung der preußischen „Reorganisation des Staates" als exzeptionelle Leistung17. Allerdings sind als bisheriges Ergebnis der verglei-chenden Betrachtung der deutschen Einzelstaaten in der Napoleonischen Ära zunächst die Gemeinsamkeiten zu betonen. Überall ging es um entscheidende Schritte zur Staatsbildung und Staatsintegration, überall erfolgte die Modernisie-rung auf dem Wege bürokratischer Reformen. Jedoch blieb die Reformpolitik in den süddeutschen Staaten weitaus etatistischer ausgerichtet. Immer wieder vorherrschend ist ein administrativ-bürokratischer Zug18 viel ausgepräger als in Preußen, wo es immer wieder um die Möglichkeit ging, die „Nation" zu beteiligen, im Konsens mit der „Nation" zu handeln. Zeitgenössische Kritiker, wie z. B. der Freiherr vom Stein, sprachen deshalb verächtlich vom Absolutismus der Rhein-

15 Elisabeth Fehrenbach, Das Napoleonische Modell des Beamtentums und sein Ein-fluß auf die deutsche Geschichte, in: L'Educazione giuridica, Perugia 1981, 219-237; Bernd Wunder, Die Reform der Beamtenschaft in den Rheinbundstaaten, in: Reformen im rheinbündischen Deutschland, hrsg. v. Eberhard Weis, München 1984, 181-192; Nolte (Anm. 1), 141 ff.

16 Elisabeth Fehrenbach, Verfassungs- und sozialpolitische Reformen und Reform-projekte in Deutschland unter dem Einfluß des napoleonischen Frankreich, in: Deutsch-land zwischen Revolution und Restauration, hrsg. v. Helmut Berding und Hans-Peter Ulimann, Königstein 1981, 65 bis 90.

17 Nolte (Anm. 1), 191 ff. 18 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800 bis 1866. Bürgerwelt und starker

Staat, 3. Aufl., München 1985, 70.

Verwaltung und Verfassung 31

bundfürsten. Immerhin fand der, »Rheinbundabsolutismus" den Weg zum Verfas-sungsstaat, offenbar weil erst die Durchsetzung der Staatssouveränität die Voraus-setzung für die Einrichtung einer Volksrepräsentation schuf — die wiederum den Prozeß der Staatsbildung beförderte.

Anders als es das Diktum vom starken preußischen Staat will, erreichte der Staat in den preußischen Provinzen nicht alle Untertanen gleichmäßig. Mit der nicht zustandegekommenen Kommunalreform blieben die Gutsbezirke als Herr-schaftsbezirke bestehen und blieben die Landräte im wesentlichen Vertreter des Rittergutsbesitzerstandes19. Die preußischen Reformen standen nicht unter dem Primat des Politischen, sondern unter dem Gesichtspunkt der Gesellschaft oder, in der Sprache der Zeit, es sollten die Kräfte der Nation geweckt und gefördert werden. Deshalb besaß in der preußischen Reformpolitik von Anfang an die Frage der Beteiligung der Nation an der Regierung hohe Priorität und behielt sie, auch als sich zeigte, daß eine „zweckmäßig eingerichtete Repräsentation" immer wieder an der ständischen Ungleichheit scheiterte, daß es eine „Nation" in Preußen noch nicht gab.

4. Reformpolitik in Preußen unter dem Gesichtspunkt von Nations- und Staatsbildung

Das politikwissenschaftliche Erklärungsmodell der Nationsbildung hat wesent-lich dzu beigetragen, die Entstehung des modernen Staates unter sozialgeschichtli-cher Fragestellung zu untersuchen. Daraus folgte dreierlei:

Zum ersten konnte die Dichotomie von Staat und Gesellschaft überwunden werden, d. h. es wurde möglich, Staatsbildung und Entstehung der Staatsbürgerge-sellschaft als zwei Seiten derselben Medaille zu sehen. Die Unterscheidung zwischen Verwaltungs- und Verfassungsreformen spiegelt deshalb nicht mehr eine Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft; vielmehr sind beide nach ihrem Anteil an der Nationsbildung zu befragen. Zum zweiten hat das evolutionäre Konzept der Nationsbildung den lange Zeit — mit unterschiedlicher Bewer-tung — akzentuierten Gegensatz von Revolution und Reform als verschiedene Wege in die Moderne relativiert. Die Reformer selbst hatten es bisweilen als ihre Absicht bezeichnet, eine „Revolution von oben" anzustreben — offensicht-lich um die Radikalität der Einschnitte und den Kontinuitätsbruch zu unterstrei-chen. In der Geschichtsschreibung ist diese Formel unterschiedlich kommentiert worden. Besondere Brisanz erlangte sie in der Geschichtswissenschaft in der DDR, weil sie einerseits das Substitut für die fehlende bürgerliche Revolution liefern konnte, andererseits aber mit der Vorstellung von reaktionärem Preußen-tum kollidierte. Den Staat oder die den Staat regierende Bürokratie als Initiator einer Revolution anzuerkennen, stieß in marxistisch-leninistischer Sicht auf Schwierigkeiten, solange die Bürokratie lediglich als Instrument der herrschenden

19 Nolte (Anm. 1), 62 ff.

32 Barbara Vogel

Klasse verstanden wurde20. Erst mit der Neubewertung des nationalen Erbes in der DDR wurde es möglich, zwischen den Vertretern der preußischen Bürokratie zu differenzieren und „objektiv" fortschrittliche Reformmaßnahmen ausdrücklich zu konstatieren21. Zum dritten stellt das modernisierungstheoretische Modell Nationsbildung Kriterien bereit, die eine Neubewertung der Anteile Steins und Hardenbergs an der politischen. Modernisierung Preußens im frühen 19. Jahrhun-dert begründen. Auch in der DDR gab es übrigens heftige Kontroversen in dieser Frage, weil dort wie in der Bundesrepublik der Freiherr vom Stein als eine nationale Identifikationsfigur fortlebte 22. Steins Reformansatz war nicht auf Staatsbildung ausgerichtet, sondern auf ständische Selbstverwaltung. Seine Ab-neigung gegen bürokratische Organisation von Herrschaft ließ ihn Repräsentation in der Form ständischer Mitwirkung an der Exekutive favorisieren. Auf diese Weise — so Steins viel zitierte Formulierung — sollte die Spaltung zwischen Staat und Nation überwunden werden. Tatsächlich wäre dadurch das staatliche Gewaltmonopol gefährdet gewesen, ohne der Staatbürgergesellschaft einen Schritt näher zu sein, denn eine „Nation" in diesem Sinne existierte in Preußen noch nicht.

Steins Freiheitsbegriff beinhaltete weder staatsbügerliche Gleichheit noch Wirtschaftsfreiheit. Er lehnte nicht nur den Grundsatz der Gewerbefreiheit ab, sondern stand auch der Beförderung kapitalistischer Prinzipien in der Landwirt-schaft skeptisch gegenüber. Hardenberg dagegen — so formulierte jüngst Nolte — vertrat Zielvorstellungen, die „vielleicht die umfassendsten aller führenden Reformbeamten in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts" waren23. Seine Reformstrategie setzte sehr stark auf die Durchsetzung staatlicher Macht, insofern dachte er ungleich etatistischer als Stein, was ihm von seinen Kritikern den Vorwurf einbrachte, eine Staatskanzlerdiktatur auszuüben. Ein Vergleich mit den Rheinbundreformern liegt nahe. Hardenbergs Programm, im wesentlichen schon in der Rigaer Denkschrift von 1807 niedergelegt, zielte außerdem auf Beseitigung ständischer Privilegien — Gleichheit vor dem Gesetz und Gleichheit der Besteue-rung —, auf politische Freiheit, die sich in einer Repräsentation der Statsbürger ausdrücken sollte, und auf Gewerbefreiheit, d. h. die Herausbildung einer bürger-lich-kapitalistischen Mentalität zur „Industrie". Dieses Programm blieb stecken, weil und soweit die politische Macht des Adels nicht gebrochen wurde. Dadurch stockte der Staatsbildungsprozeß in Preußen sowohl im Hinblick auf die volle Staatssouveränität als auch in der Partizipationsfrage.

20 Jürgen Kocka, Preußischer Staat und Modernisierung im Vormärz. Marxistisch-leninistische Interpretationen und ihre Probleme, in: Geschichtswissenschaft in der DDR, hrsg. v. Alexander Fischer und Günther Heydemann, 2. Bd., Berlin 1990, 471-488.

Barbara Vogel, Das alte Preußen in der Geschichtswissenschaft der DDR. Zum Wandel des Preußenbildes in der DDR, in: ebd., 425-451.

2 2 Preußische Reformen — Wirkungen und Grenzen. Aus Anlaß des 150. Todestages des Freiherrn vom und zum Stein, Berlin 1982 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Jahrgang 1982, Nr. 1 /G).

23 Nolte (Anm. 1), 33.

Verwaltung und Verfassung

5. Träger und Gegner der Reformen

33

Stein und Hardenberg stehen stellvertretend für zwei Konzepte und für zwei Phasen der preußischen Reformpolitik, die im übrigen durch eine Vielzahl von Beamten mit zum Teil recht divergierenden Vorstellungen über die zu erwartende und die wünschenswerte Entwicklung des preußischen Staates geprägt und getra-gen wurde. Hinter in aller Munde geführten Begriffen wie Nation, Publizität, Repräsentation oder Staat standen höchst unterschiedliche Vorstellungen, Erfah-rungen und Interessen. Insofern ist es schwierig, von den preußischen Verwal-tungs- und Verfassungsreformen zu sprechen. Meiner These zufolge gab es für eine begrenzte Zeit im Staatskanzleramt eine kleine Gruppe von reformorientier-ten Beamten, die ein relativ hohes Maß an politischer Homogenität, Analysefähig-keit und Entscheidungsfreude verband, so daß sie für eine Weile die Richtung der preußischen Reformpolitik bestimmen konnten24. Sie waren auch klug genug, die durch die realen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen entstehenden Paradoxien zu erkennen, z. B. daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt jede Nationalre-präsentation die politische Freiheit der Staatsbürger ausschließen würde, anstatt sie zu befördern.

Diese Einsicht reichte allerdings nicht aus, um die gesellschaftliche Realität zu ändern. Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß ein wichtiges Kriterium für Erfolg oder Mißerfolg von Reformmaßnahmen die Stärke der Opposition ist. Die preußischen Reformer erlebten diese Binsenweisheit am Schicksal des Gen-darmerie-Edikts sowie weiterer Versuche zur Landgemeindereform, am Versuch, die Patrimonialgerichtsbarkeit und die gutsherrliche Polizei abzuschaffen oder auch an der Suspension des Regulierungsedikts. Umgekehrt könnte man fragen, ob die geringere Opposition, die einer Reformmaßnahme Erfolg bescherte, ein Indiz dafür ist, daß ihr Veränderungspotential bescheiden war. Das könnte für die Städteordnung gelten, ist angeführt worden, z. B. auch für das Oktoberedikt25.

I I . „Staatsreformen" in Preußen

1. Einheit von Verfassung und Verwaltung

Hardenberg sprach bei vielen Anlässen, in verschiedenen Denkschriften von einer notwendigen Radikalkur; er bezog diese Forderung auf die Mängel in der „Geschäftsführung" ebenso wie auf die „Verfassung", womit er die gesamte

24 Barbara Vogel, Reformpolitik in Preußen, in: Hans-Jürgen Puhle und Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Preußen im Rückblick, Göttingen 1980, 202-223.

25 Hartmut Harnisch, Vom Oktoberedikt des Jahres 1807 zur Deklaration von 1816, in: Studien zu den Agrarreformen des 19. Jahrhunderts in Preußen und Rußland (Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Sonderband 1978), 231-293; Klaus Vetter, Kurmärkischer Adel und preußische Reformen, Weimar 1979.

3 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

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gesellschaftliche Verfaßtheit des Staates meinte26. Die wechselseitige Abhängig-keit von Verwaltung und Verfassung liegt vielen Edikten zugrunde. Sie motiviert unübersehbar die „Verordnung über die veränderte Verfassung aller obersten Staatsbehörden in der preußischen Monarchie" vom 27. 10. 1810, mit der in Preußen die Institution eines Staatskanzlers in der Form eines Premierministers geschaffen wurde. Hier ging es um „Einheit und Kraft" in der Regierungsorganisa-tion als Voraussetzung für eine gesamtgesellschaftliche Reform. Das „neue Admi-nistrationssystem" sollte die Aufgabe erfüllen, alle Ungleichheiten zwischen den Provinzen und zwischen den Klassen zu überwinden. Volle Freiheit für die Entfaltung der Intelligenz und Körperkraft des einzelnen sei die Voraussetzung für dessen Beitrag zu den Staatsbedürfnissen27.

Diese programmatischen Aussagen stammen aus der Amtszeit Hardenbergs; sie gelten aber für die Reformzeit insgesamt. Seit der großen Aktenpublikation „Von Stein zu Hardenberg" (1986) ist eindrucksvoll breit dokumentiert, daß in dem oft im Schatten des Historiker-Interesses stehenden Ministerium Dohna/ Altenstein ein hohes Problembewußtsein für den Zusammenhang von starker Staatsgewalt gegenüber allen Lokalgewalten und der „Entfesselung" aller gesell-schaftlichen Kräfte vorhanden war. Vielleicht gerade weil es an Entscheidungs-kraft fehlte, gab es eine Vielzahl von Erörterungen über Ziele und Mittel, über Voraussetzungen und Hemmnisse tatkräftiger Reformpolitik. Liberalismus und Bürokratie erscheinen hier, in der Konstitutionsphase des modernen Staats, eng verschwistert — eine These, die die Stärke des vormärzlichen Liberalismus gerade in den ehemaligen etatistischen Rheinbundstaaten erklären hilft.

Der Freiherr vom Stein wirkte insgesamt eher bremsend auf die „Staatsrefor-men", obwohl ihm das Verdienst zukommt, die effiziente Organisation der ober-sten und mittleren Staatsbehörden erheblich vorangetrieben zu haben. Wenn auch womöglich ein Impuls der Ärger über das unverantwortliche Kabinettsystem war und die Reform vom Wunsch nach kollegialischer Geschäftsordnung bestimmt war, liegt hier im Ergebnis doch ein notwendiger Schritt zur Schaffung einer starken Staatsgewalt vor. Steins Staatsverständnis blieb dem Patrimonialstaat mit einem Zusammenwirken von monarchischer Regierung und ständischer Selbst-verwaltung verpflichtet. Sein Versuch, Staat und Nation zu versöhnen, mußte scheitern. Ständische Vertreter in die Verwaltung aufzunehmen, stand der Heraus-bildung bürokratischer Verwaltung entgegen, bedeutet im Staatsbildungsprozeß eher einen Rückschritt. Die Städteordnung, ein wichtiger Schritt zur Kommunal-reform, stellte sich als Hindernis für deren Fortsetzung heraus, indem sie die administrative Trennung zwischen Stadt und Land perpetuierte.

Erst unter Staatskanzler Hardenberg erlangten die Reformkräfte die Initiative, die konsequent auf Staatsintegration hinzielten. Scharnweber, der wichtigste

26 Nolte (Anm. 1), 32. 27 Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit (Anm. 4), 87.

Verwaltung und Verfassung 35

Ratgeber Hardenbergs bei der Formulierung und Umsetzung der Reformziele, faßte diese Absicht in einem Vortrag vor der Interimistischen Landesrepräsenta-tion im März 1814 in die Worte: „Durch die Repräsentation verschwindet der Provinzialismus, verschmelzen die verschiedenen Stände zu einer kräftigen Ge-samtheit. Es wird eine Nationalität gegründet, die wir so lange vergeblich gehofft haben"28. Der Protest, den diese Sätze unter den Repräsentanten erregten, zeigt, daß hier eher ein Ziel beschworen, als eine Realität beschrieben wurde. Für Scharnweber wie für viele Reformbeamte sollte die Nationalpräsentation durch-aus der Schlußstein des neuen Staatsgebäudes sein.

Er wie die anderen täuschten sich offensichtlich über die Fortschritte des Staatsbaues. Erst im Rückblick, 1820, erkannte Scharnweber es als erforderlich an, der Konstitution eine „Basierung und Ebnung der städtischen und ländlichen Verhältnisse" vorangehen zu lassen29. Zu dieser Zeit besaßen die Reformer aber kaum noch Handlungsspielraum in der preußischen Politik.

2. Organisationsreform der oberen und mittleren Behörden

Die „Staatsreformen" waren in dem Maße erfolgreicher, in dem es sich um verwaltungsinterne Organisationsreformen handelte. Das heißt — wie in anderen deutschen Staaten auch —, die Reorganisation der obersten Staatsbehörden mach-te große Fortschritte. Das nach dem Ressortprinzip gegliederte Staatsministerium verbesserte die Bedingungen für eine einheitliche Staatsregierung. Mit dem Staatskanzleramt, der Institution wie der Behörde, steigerte sich die bürokratische Effizienz innerhalb des Regierungsapparats und gab es nach außen erstmals einen politisch verantwortlichen Premierminister, der als Repräsentant der monarchi-schen Regierung der „Öffentlichkeit" gegenübertrat. Da das Staatskanzleramt den Kristallisationskern der Reformpolitik bildete, hatte diese Einrichtung nicht nur als Organisation, sondern auch inhaltlich auf die politische Modernisierung großen Einfluß. Die Abschaffung der Position eines Staatskanzlers ist ein Indiz für die Stagnation des Staatsbildungsprozesses in Preußen.

Auch auf der mittleren Behördenebene, in den Provinzen und bei der Einteilung der Regierungsbezirke, setzten sich die Reformabsichten durch. Charakteristisch ist es, daß die zunächst bewußt unter Nichtberücksichtigung landständischer Einheiten vorgenommene Gliederung der Regierungsbezirke später teilweise re-vidiert wurde. Ein weiteres Kennzeichen für das Versanden der Reformpolitik ist die sich verändernde Stellung der Oberpräsidenten. Statt Repräsentanten des „Staates" in der Provinz zu sein, traten sie immer stärker als Repräsentanten der Provinz bzw. der provinziellen Adelsinteressen gegenüber der Zentrale auf. In

28 Christian Friedrich Scharnweber, Vortrag vor der Interimistischen Nationalreprä-sentation, 14. 3. 1814, Zentrales Staatsarchiv Merseburg, Rep. 77 CCCXX 35, Bl. 1-97, 97.

29 Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit (Anm. 4), 122.

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den Jahren nach 1817 fand eine langwierige Auseinandersetzung zwischen dem Staatskanzler und den Oberpräsidenten über die Bewahrung des „Gesamtstaats" statt. Die Oberpräsidenten stellten sogar das durch die Reformen etablierte Prinzip der Fachministerien zur Diskussion. Der Oberpräsident von Westfalen Vincke z. B. plädierte dafür, zu Provinzialministern zurückzukehren, weil für das Ressort-prinzip Preußen seit 1815 „physisch, politisch und moralisch" zu heterogen sei30. Tatsächlich traten an die Stelle der Integration in weiten Bereichen die provinziel-len Sonderentwicklungen hevor: in der Kommunalverfassung, im Gerichtssystem, im Finanzsystem.

Trotz dieser Einschränkungen behaupteten sich diese Teile der Behördenre-form. Die Frage der vollen Staatssouveränität entschied sich vielmehr in der Kommunalreform.

3. Kommunalreform

a) Städteordnung

Eine Weichenstellung zu Ungunsten einer durchgreifenden, einheitlichen Kom-munalreform lag in der isoliert verkündeten Städteordnung, wenn es auch ver-schiedene Gründe gab, damit voranzugehen — angefangen bei der desolaten Finanzlage der Städte bis hin zur leichteren Durchsetzbarkeit des Staates in der städtischen Kommune. Die Städteordnung galt in der Historiographie lange als Musterbeispiel bürgerlicher Selbstverwaltung und sogar, da es in Preußen bis 1848 nicht zu einer Volksrepräsentation kam, als Ersatzverfassung. Damit ist sie in ihrer Bedeutung und Modernität überbewertet31. Tatsächlich brachte sie ein Stück Vereinheitlichung in Richtung auf eine Staatsbürgergemeinde, indem die Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung nach Bezirken, nicht nach Korporatio-nen erfolgten, aber das Wahlrecht unterschied weiterhin zwischen Bürgern und Schutzverwandten; letztere besaßen bis zur revidierten Städteordnung kein Wahl-recht. Auch auf dem Weg zur Staatssouveränität bedeutete die Städteordnung einen Fortschritt: städtische Selbstverwaltung und enge Staatsbindung hingen eng zusammen. Insgesamt aber knüpfte die Städeordnung an so altmodische Verhältnisse an, daß ihre Übertragung auf die 1815 gewonnenen westlichen Provinzen unmöglich wurde. Da es nicht gelang, die Städteordnung durch eine Landgemeindeordnung zu ergänzen oder gar eine Stadt und Land erfassende Kommunalreform durchzuführen, blieben die Städte Inseln der Staatshoheit im Meer vielfältig differierender lokaler Herrschaftsgewalten.

30 Ebd., 42. 31 Nolle (Anm. 1), 56 ff.

Verwaltung und Verfassung 37

b) Landgemeindeordnung

Versuche oder zumindest Entwürfe zu einer ländlichen Kommunalreform — vereinzelt auch zu einer einheitlichen Gemeindeordnung — durchziehen die gesamte Reformzeit 32. Sie scheiterten alle am Widerstand des Adels, so daß Koselleck vom „verwaltungspolitischen Versickern der Staatsmacht auf dem Land" sprechen konnte33.

Exemplarisch lassen sich diese die „Ebnung der städtischen und ländlichen Verhältnisse" (Scharnweber) betreffenden Versuche am Gendarmerie-Edikt vom 30. Juli 1812 verfolgen. Dieses Edikt hat in der Historiographie oft weniger Beachtung gefunden, als seiner Bedeutung entspricht. Der irreführende Titel trägt daran ebenso Schuld wie seine abwertende Einordnung als eine administrativ-zentralistische Maßnahme nach französischem Muster. Tatsächlich ordnet sich das Gendarmerie-Edikt in die Kommunalreformen ein, wie sie unter französi-schem Einfluß in den Rheinbundstaaten durchgeführt wurden.

Das Gendarmerie-Edikt läßt erkennen, daß dessen Verfasser Scharnweber die Notwendigkeit der Staatspräsenz in der kommunalen Verwaltung sah, die Abtren-nung der Städte vom Lande revidieren wollte, Justiz und Polizei auf Kreisebene verstaatlichen wollte, zugleich aber lokalem Widerstand begegnen wollte, indem die Ebene der Gutsbezirke unangetastet blieb. Das Gendarmerie-Edikt bezog sich auf die Kreisebene. Ein staatlich eingesetzter Kreisdirektor und sechs Depu-tierte aus den Gemeinden bildeten die Kreisverwaltung. Das hier enthaltene Repräsentationsprinzip bildete die Grundlage für die in den nächsten Jahren entworfenen Pläne für eine Nationalrepräsentation.

Auffällig an diesem Edikt ist zum einen sein programmatischer Charakter. Es kündigt eine umfassende Reform der Kreisverfassung an, verordnet jedoch nur provisorische Übergangsregelungen, die weitgehend auf bestehende Zustände zurückgriffen, z. B. sollten die Landräte zunächst die Aufgaben der Kreisdirekto-ren ausüben. Zum anderen zeichnet es sich durch Entschiedenheit und Offenheit in der Formulierung der Reformabsicht aus. Nolte nennt es „einen der bemerkens-wertesten preußischen Gesetzestexte überhaupt"34. Die enge Verzahnung von Verwaltungs- und Verfassungs- und Gesellschaftsreform wird ausdrücklich be-tont. Ich zitiere die Präambel:

„Unserer Aufmerksamkeit sind die Mängel nicht entgangen, welche der Wirk-samkeit der Staatsverwaltung in Beziehung auf das platte Land hinderlich sind. Vorzüglich rechnen Wir dahin, die noch fortdauernde, nach Einführung allgemei-ner Gewerbefreiheit, und bei gleichem Interesse, ganz unbegründete Absonderung der kleinen städtischen Kommunen, der Städteeigenthümer, der Domainenämter,

32 Ebd., 62 ff. 33 Koselleck (Anm. 2), 209. 34 Nolte (Anm. 1), 69.

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und ritterschaftlichen Societäten in Kommunalangelegenheiten, wie nicht minder in Absicht auf die Justizpolizei und Finanzverwaltung; den Mangel aller Reprä-sentation bei einigen dieser Societäten und Einseitigkeit derselben bei andern; das Uebergewicht, welches einzelne Klassen von Staatsbürgern durch ihren vor-herrschenden Einfluß auf die öffentlichen Verwaltungen aller Art haben, da dieser gleichmäßig vertheilt seyn sollte; die Kraftlosigkeit der unmittelbaren Staatsbe-hörden wegen unzweckmäßiger Theilung der Ressorts und endlich die Unzuläng-lichkeit der Exekutivmittel"35.

Beides, der deklamatorische Charakter wie die Öffentlichkeit bei der Darlegung des Ziels, deuten daraufhin, daß die Reformer mit massivem Widerstand rechne-ten — das Edikt wurde ohne Beratung mit der Interimistischen Nationalrepräsen-tation erlassen —, daß sie aber auf wachsende Einsicht der Staatsbürger, auch der bisher bevorrechteten, hofften. Getragen von der Überzeugung, daß Gesetze nur bei Konsens der Staatsbürger durchsetzbar seien, benutzten die preußischen Reformer die Gesetzgebung zur Erziehung der „Nation", statt sich auf administra-tive Anordnung zu stützen.

Diese Erwartung wurde immer wieder enttäuscht, nicht nur beim Gendarmerie-Edikt. Zwar fehlen Untersuchungen, wie weit die vorgesehenen Provisorien überhaupt umgesetzt wurden, aber insgesamt scheiterte das Edikt. In den Wirren des Befreiungskriegs wurde es suspendiert. Eine Wiederaufnahme gelang nicht. Der Gewinn der westlichen Provinzen, der eine Integration durch eine einheitliche Gemeindeverfassung um so dringlicher machte, behinderte faktisch wegen der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen hier und dort das Zustandekommen einer Gemeindeordnung. Die Gemeindeverfassung blieb eine Provinzialangele-genheit; die Gutsbesitzer blieben ein politisch bevorrechteter Stand.

4. Nationalrepräsentation

Da das Ziel der preußischen Reformpolitik auf die gesellschaftliche Verfaßtheit des Staates insgesamt gerichtet war, war die Frage der Einbeziehung der „Nation" von Anfang an zentral und blieb es trotz aller Schwierigkeiten, sie zu verwirkli-chen. Eine alle Untertanen tangierende Reformpolitik vergrößerte das Legitima-tionsbedürfnis der Regierung. Je mehr von den Untertanen gefordert wurde, desto dringlicher war die Partizipation. Diese Grundsätze für eine „konstitutionelle Verfassung" kollidierten mit dem „zurückgebliebenen" Zustand der Einwohner der preußischen Provinzen. Hier trat deshalb wieder die Verwaltung in den Vordergrund. Sie sollte den „Charakter der Nation" heranbilden36.

3 5 Edikt wegen Errichtung der Gendarmerie, 30. 7. 1812, Gesetzsammlung für die königlichen Preußischen Staaten 1812, Nr. 127, 141-160.

3 6 Denkschrift Vinckes, 3. 8. 1808, in: Reformministerium Stein (Anm. 6), Bd. 3, 706 f.

Verwaltung und Verfassung 39

Es ist auffällig, daß die Absicht, eine Repräsentation zu schaffen, nicht Antwort auf nachdrückliche Forderungen der „Nation" war. Es meldete sich lediglich eine Opposition zu Wort, die auf ständische Rechte pochte und keine am moder-nen Repräsentationsprinzip ausgerichteten Verfassungsmodelle im Sinne hatte. Diese Auffälligkeit erklärt sich zum Teil dadurch, daß es Hardenberg weniger um den Repräsentationsgedanken an sich ging, sondern um die Voraussetzung für optimale Gesetzgebung37.

Eine Repräsentation in diesem Sinne zu schaffen, wurde immer wieder ver-sucht, wenn auch in höchst unterschiedlicher Weise, die zeigt, daß unterschiedli-che Vorstellungen über die Träger und die Aufgaben einer Repräsentation herrschten, was sich auch — aber nicht nur — an der variationsreichen Termino-logie ablesen läßt: Nationalrepräsentation oder landständische Verfassung, Bera-tung oder Beschlußfassung über Gesetze, über einzelne Gesetzesbereiche, z. B. das Staatsschuldenwesen; Mitwirkung an der Exekutive der Kreise, Provinzen, des Gesämt-Staats. — Es existierten die unterschiedlichsten Modelle: Ernannte und berufene Notabein und auf unterschiedliche Weise im Lande von den Ritter-gutsbesitzern, den Städten und den ländlichen Eigentümern gewählte Deputierte. Die Frage, wer zur Nation zählte und berechtigt sei, Repräsentanten zu wählen, fand unterschiedliche Antworten. Eindeutig war der Ausschluß der unterständi-schen Schichten in Stadt und Land. Repräsentation beruhte auf dem Eigentümer-status. Auf Übereinstimung stieß auch der Satz, daß die „Nation" für eine Reprä-sentation nicht reif sei; doch verbergen sich dahinter wiederum unterschiedliche Interessen und Befürchtungen. Den einen erschien der Bildungsstand der ländli-chen Eigentümer nicht ausreichend für eine Wahlberechtigung, während andere den Klassenegoismus des Adels als Hindernis für eine echte Repräsentation ansahen. Die immer wieder auftauchende Formel, die Hardenberg seinen Verfas-sungsplänen zugrundlegte, lautete, es gelte „einsichtsvolle Männer" zu gewinnen.

Das Dilemma der preußischen Verfassungspolitik bestand darin, daß durch die Repräsentation staatsbürgerliche Gleichheit, die wahre „Nationalität", herge-stellt werde sollte, staatsbürgerliche Gleichheit aber Voraussetzung einer funk-tionsgerechten Repräsentation war — einer Repräsentation, die das Gemeinwohl im Auge hatte und nicht zum Hemmschuh für die Reformpolitik wurde. Es gibt Beispiele für die offensichtlich illusionäre Hoffnung, der Adel würde zur Einsicht in sein wahres Interesse gelangen. Denn daß die Reformpolitik den Rittergutsbe-sitzern große Möglichkeiten bot, davon waren die Reformer überzeugt, und diese Wirkung lag durchaus in ihrer Absicht. Zu Beginn seiner Amtszeit war Harden-berg auch bereit, widerspenstige Adlige — wie Graf Finckenstein und den Frei-herrn von der Marwitz — vorübergehend in Festungshaft zu setzen. Später besaß er dazu offensichtlich nicht mehr die Autorität.

37 Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit (Anm. 4), 46.

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In der Amtszeit Hardenbergs wurden zwei Strategien nebeneinander verfolgt, um dem Ziel einer Nationalrepräsentation näher zu kommen. Zum einen ging es um Erziehung der Öffentlichkeit: Pressepolitik zur Vorbereitung und Werbung für die Reformgesetze, Beauftragung von Kommissionen und Repräsentationsgre-mien mit begrenzten Aufgaben, in denen der Sachverstand der Mitglieder auf das Gemeinwohl gerichtet werden sollte. Diese Kommissionen dienten zugleich der Legitimation bürokratischer Entscheidungen gegenüber der „Nation".

Zum anderen wurden immer wieder neue Organisationsmodelle überlegt, die das Dilemma zwischen dem realen und ständischen Interessenpartikularismus und dem Entwurf einer Staatsbürgergesellschaft überwinden sollten.

Da beide Strategien wenig erfolgreich waren, und die Ziele der Gesellschafts-und Wirtschaftsreform die höchste Priorität besaßen, zog sich der Staatskanzler immer wieder auf die Möglichkeit zurück, gestützt auf das Vertrauen des Mon-archen, Edikte und Verordnungen im Alleingang zu erlassen. Dadurch verstärkte sich der bürokratisch-autoritäre Grundzug seiner Regierung, besonders als er die Kompetenz seines Amtes auch benutzte, um innerbürokratische Opposition aus-zuschalten. Einen Verzicht auf die Repräsentation bedeutete dieses Vorgehen nicht.

Schlußbemerkung

Die Gründe für das Scheitern der Verfassungspolitik und für die Grenzen der politischen Reformen in Preußen werden in der Forschung heute vielschichtig gesehen und bisweilen völlig anders als früher bewertet. Manches ist in den einzelnen Aschnitten angesprochen worden. Im Vergleich mit den süddeutschen Staaten und dem dort praktizierten rigorosen Etatismus der Reformer kommt Nolte zu der Frage, ob Hardenberg, der doch wegen seines bürokratisch-autoritä-ren Regierungsstils oft unter Berufung auf das Gegenbeispiel Stein kritisiert worden ist, seine Reformen nicht noch bürokratischer, noch autoritärer hätte gestalten müssen38. Sicher ist, daß die Staatsbildung in Preußen an der Existenz der Gutsherrschaft zum Halten kam und daß auf dieser Basis die Adelsopposition ungleich mächtiger agieren konnte als in den süddeutschen Staaten.

Nur noch mit einem Satz soll darauf hingewiesen werden, daß Preußen seit 1815 als Großmacht in Deutschland in viel stärkerem Maße den restaurativen Interventionsversuchen Metternichs ausgesetzt war als die deutschen Mittelstaa-ten.

38 Nolte (Anm. 1), 36.

Die preußischen Verwaltungs- und Verfassungsreformen in der Geschichtsschreibung der DDR

Von Klaus Vetter, Berlin

Es ist schon ein eigenartiges Phänomen, daß die marxistische Geschichtswis-senschaft der DDR dem Staat als Machtinstrument der herrschenden Klasse eine zentrale Bedeutung zuerkannte, jedoch kaum untersuchte, wie dieses Herrschafts-instrument strukturiert war, wie es funktionierte, wie Macht ausgeübt wurde. Dies fällt natürlich besonders für eine Umbruchszeit wie die Zeit der preußischen Reformen ins Auge, die ja von fast allen damit befaßten Historikern der DDR als Beginn der bürgerlichen Umwälzung in Deutschland, von einigen sogar als Beginn der bürgerlichen Revolution im weiteren Sinne aufgefaßt wurde1.

Mehrfach wurde auf diese Forschungslücke aufmerksam gemacht, besonders nachdrücklich von Helmut Bleiber, der schon 1976 schrieb: „Dieser Zustand erweist sich in wachsendem Maße als ein empfindlicher Mangel bei der Präzisie-rung unseres Geschichtsbildes. Diese Feststellung gilt nicht nur hinsichtlich des konkreten Faktenmaterials, das sich wenigstens teilweise aus der bürgerlichen Literatur erschließen läßt, sondern vor allem auch im Hinblick auf die theoretisch-konzeptionelle Durchdringung und Bewältigung dieser Thematik"2.

Jürgen Kocka hat 1974 in seinem Aufsatz „Preußischer Staat und Modernisie-rung im Vormärz. Marxistisch-leninistische Konzeptionen und ihre Probleme" versucht, diesen Rückstand mit einer prinzipiellen Schwäche des historisch-materialistischen Ansatzes zu erklären: mit der These von der nur relativen Selbständigkeit des Überbaus gegenüber der Basis, mit dem Festhalten an der letztlich klassenmäßigen Verwurzelung und mit Bestimmtheit des Staates sei eben die Staatsproblematik nicht voll zu erfassen3. Ich glaube nicht, daß diese Forschungslücke mit prinzipiellen theoretischen und methodologischen Unzu-länglichkeiten zu erklären ist, sondern sehe dafür andere Ursachen. Im ersten

1 Vgl. Gustav Seeber, Einleitung. Preußen seit 1789 in der Geschichtsschreibung der DDR, in: Gustav Seeber / Karl-Heinz Noack (Hrsg.), Preußen in der deutschen Geschich-te nach 1789, Berlin 1983, 27 f., 36 f., 41 f.

2 Helmut Bleiber, Staat und bürgerliche Umwälzung in Deutschland. Zum Charakter besonders des preußischen Staates in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Seeber/ Noack (Anm. 1), 85.

3 Jürgen Kocka, Preußischer Staat und Modernisierung im Vormärz. Marxistisch-leninistische Konzeptionen und ihre Probleme, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Sozial-geschichte heute. Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag, Göttingen 1974, 211 ff.

42 Klaus Vetter

Jahrzehnt nach 1945 überwog in der sich herausbildenden marxistischen Ge-schichtswissenschaft auf dem Gebiet der DDR die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle Preußens und des Preußentums in der deutschen Geschichte sowie mit der borussophilen Historiographie, so daß generell von den marxistischen Historikern keine eigenständige Forschungsergebnisse zur preußischen Geschich-te erbracht wurden4.

Der nächste Schritt bestand darin, die Resultate der nichtmarxistischen For-schung aufzuarbeiten und sie, die Arbeiten Franz Mehrings und Hinweise von Karl Marx und Friedrich Engels nutzend, marxistisch zu interpretieren. Dabei dominierte der Versuch, den Platz der Volksmassen im geschichtlichen Prozeß zu bestimmen, wodurch diese Arbeitsphase durchaus Bedeutung erlangte. Der Mensch, der Geschichte macht, wurde zunächst in seiner Produktionstätigkeit und in seinen sich aus dieser Tätigkeit ergebenden Aktivitäten, in sozialen Ausein-andersetzungen, im Klassenkampf erfaßt. Die preußische Reformzeit erfuhr in diesem Zusammenhang nur geringe Aufmerksamkeit, da sie ja nicht als Werk der Volksmassen angesehen wurde, schon gar nicht die Verwaltungsreform. Zwar widmete man der Reformzeit bei der Vorbereitung von Jubiläen (z. B. 140. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig, 150. Jahrestag der Befreiungskriege) besondere Aufmerksamkeit, dabei stand jedoch das Verhältnis von Reformen und antinapoleonischem Befreiungskampf im Vordergrund. Zudem lag der Schwerpunkt eindeutig auf der Agrarreform und der Heeresreform 5.

Ende der fünfziger / Anfang der sechziger Jahre setzte eine ernsthafte eigen-ständige Forschungsarbeit zur preußischen Geschichte durch zumeist jüngere marxistische Historiker ein, die nicht zuletzt durch die Aufarbeitung umfangrei-chen Archivmaterials auch international stark beachtete Ergebnisse erbrachte. Schwerpunkte waren die Agrargeschichte, die Manufakturentwicklung und die industrielle Revolution. Den Ausgangspunkt bildete wiederum die Lage der Be-herrschten, so daß der Staat gleichsam nur als Gegenpol der eigentlich Agierenden erschien und keine spezielle Untersuchung erfuhr. Dies gilt auch für die Reform-zeit, jedoch sei hervorgehoben, daß vor allem in den sehr verdienstvollen agrarge-schichtlichen Arbeiten von Hartmut Harnisch zahlreiche Aufschlüsse über den Funktionsmechanismus des preußischen Staates in der Reformzeit enthalten sind6.

Die siebziger Jahre brachten in der Geschichtswissenschaft der DDR eine neue Tendenz: Nachdem anfangs die „Volksmassen" im Mittelpunkt des Interesses

4 Vgl. Seeber (Anm. 1), 12 ff. 5 Vgl. Heinz Heitzer, Arbeiten über die Geschichte der Befreiungskriege (1806 -1813),

in: ZfG (1960), Sonderband: Historische Forschungen in der DDR. Analysen und Berich-te, 188 ff.

6 Vgl. Heinrich Scheel / Horst Adameck / Renate Merkel / Peter Schuppan, Forschun-gen zur deutschen Geschichte 1789-1848, in: ZfG (1970), Sonderband: Historische Forschungen in der DDR 1960-1970. Analysen und Berichte, 380 ff.; Gerhard Heitz / Hanna Haack / Sigrid Dillwitz / Martin Polzin / Hans-Georg Wilhelm , Forschungen zur Agrargeschichte, ebd., 121 ff.

Die preußischen Verwaltungs- und Verfassungsreformen 43

gestanden hatten, beschäftigten sich die Historiker nun auch stärker mit der herrschenden Klasse und dem Staat. Dies ist deutlich erkennbar in der Absolutis-mus- Forschung (man denke an die Publikationen von Ingrid Mittenzwei7) und bei der Beschäftigung mit der preußischen Geschichte seit der Mitte des 19. Jh. — Ernst Engelbergs Bismarck-Biographie ragt hier ohne Frage heraus8. Warum die Reformzeit weitgehend ausgeklammert blieb, kann ich nicht schlüssig erklä-ren. Vielleicht liegt die Ursache ganz simpel in der Kopflastigkeit der DDR-Geschichtsschreibung zur neuesten Geschichte und zur Zeitgeschichte hin be-gründet; das Forschungspotential reichte einfach nicht aus, um den neuen Trend flächendeckend durchzusetzen.

Das Fehlen von Spezialarbeiten bedeutet aber nicht, daß Verwaltungsreform und Verfassungsfrage überhaupt keine Beachtung gefunden hätten. In Überblicks-und Nachschlagewerken finden sich Einordnungsversuche und allgemeine Wer-tungen, in der Diskussion über den Charakter der Epoche von 1789 bis 1871 wurden Gedanken zu unserer Problematik geäußert, und schließlich geben spe-zielle Arbeiten zu anderen Fragestellungen der Reformzeit auch Aufschlüsse über die Verwaltungsreform und die Verfassungsfrage.

Bei den Einschätzungen in Überblicks- und Nachschlagewerken ist die marxi-stische Gesellschaftsformationstheorie durchgängig die Ausgangsposition. Den preußischen Reformen wird ein hoher Stellenwert beim Übergang vom Feudalis-mus zum Kapitalismus zugesprochen, zumeist werden sie als der Beginn der bürgerlichen Umwälzung in Deutschland bezeichnet. Im Grundriß „Klassen-kampf. Tradition. Sozialismus" sowie im Band 4 der Deutschen Geschichte in 12 Bänden, für die der Grundriß eine Art ausführlicher Konzeption war, ist einschränkend nur vom Beginn der bürgerlichen Umwälzung in Preußen die Rede, da in den Rheinbundstaaten und im linksrheinischen Gebiet zum Teil bereits früher Reformen bürgerlichen Charakters eingesetzt hatten. Verschiedent-lich werden die Reformen in Preußen auch als Beginn einer bürgerlichen Revolu-tion von oben angesehen9.

7 Vgl. z. B. Ingrid Mittenzwei, Friedrich II. von Preußen. Ene Biographie, Berlin 1979; dies., Über das Problem des aufgeklärten Absolutismus, in: ZfG (1970), H. 9, 1162-1172.

s Ernst Engelberg, Bismarck. Urpreuße und Reichsgründer, Berlin 1985. 9 Vgl. Klassenkampf. Tradition. Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des

deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Grundriß, Berlin 1974, 215; Deutsche Geschichte, Bd. 4: Die bürgerliche Umwälzung von 1789 bis 1871, Berlin 1984, 85 ff.; Ernst Engel-berg, Die preußische Reformzeit in ihren Struktur- und Entwicklungszusammenhängen, in: ders., Theorie, Empirie und Methode in der Geschichtswissenschaft. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1980, 197 ff.; Heinrich Scheel, Eine notwendige Polemik in Sachen Stein, in: ders. (Hrsg.), Preußische Reformen — Wirkungen und Grenzen. Aus Anlaß des 150. Todestages des Freiherrn vom und zum Stein (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Gesellschaftswissenschaften, 1982, Nr. 1 /G), Berlin 1982, 75-83.

44 Klaus Vetter

Die Agrarreform und die Heeresreform erfahren zumeist eine recht ausführliche Behandlung, für die Verwaltungsreform und die Verfassungsfrage bleiben dage-gen nur einige Worte übrig10. Die ausführlichste Darstellung der Verwaltungsre-form findet sich in der letzten Auflage des Überblicks über die preußische Geschichte von Günter Vogler und Klaus Vetter. Die Autoren messen diesem Teil des Reformwerks mehr Bedeutung zu, als es in anderen in der DDR erschiene-nen Überblicksdarstellungen geschieht. So gehen sie auch relativ ausführlich auf die Städteordnung von 1808 ein und betonen, daß diese wesentliche Fortschritte für die bürgerliche Entwicklung brachte. Sie schränkte den Einfluß des Staates auf die Städte ein, erweiterte die Rechte der Bürger und gab ihnen günstigere Entfaltungsmöglichkeiten. Der Steuerrat, das Organ des absolutistischen Feudal-staates zur Überwachung der Städte, wurde abgeschafft. Die kommunale Verwal-tung übten die Städte fortan selbst aus. Zwar blieb der größte Teil der Einwohner von der Stadtverordnetenwahl ausgeschlossen, da daran nur die sogenannten Aktivbürger teilehmen durften, doch die Stadtverordneten konnten nunmehr ent-scheidenden Einfluß auf die städtische Verwaltung nehmen und waren nicht mehr wie vor der Reform bloße Erfüllungsgehilfen des von den königlichen Behörden eingesetzten Magistrats. Vogler / Vetter betonen, daß die Neuordnung des gesamten Staatsaufbaus in Preußen ein wesentliches Anliegen Steins war. Die Bildung eines ressortmäßig gegliederten Kollegiums von Fachministern und von ebenfalls nach dem Sachprinzip aufgebauten Regierungen in den Provinzen werten sie als Voraussetzungen für einen Staat, der den Anforderungen, die sich aus dem Übergang zur kapitalistischen Gesellschaftsordnung ergeben, gerecht werden kann. Ebenso sei das unter Hardenbergs Verantwortlichkeit erlassene „Edikt über die bürgerliche Verfassung der Juden" ein wichtiger Schritt in Rich-tung auf eine bürgerlich-liberale Ordnung gewesen11.

Auch die „Interimistische Nationalrepräsentation", deren Beratungen zwischen 1812 und 1815 stattfanden, tun sie nicht einfach als „Zerrbild einer modernen Vertretungskörperschaft" ab, sondern stellen fest, daß diese wesentlich dazu beigetragen hat, das wichtigste ungelöste Problem der Agrarreform, die Aufhe-bung der Feudallasten der ländlichen Bevölkerung und der Einwohner der Mediat-städte, zu bewältigen, wenn auch in einer für die Gutsherren sehr günstigen Weise12. Im Band 4 der Deutschen Geschichte wird in diesem Zusammenhang bemerkt, daß Hardenberg sich mit der Einberufung der Interimistischen National-repräsentation grundsätzlich für den Weg zu einem neuen Staatsaufbau mit parla-mentarischen Institutionen festgelegt hatte13. Zur Verfassungsfrage heißt es im Band 4 der Deutschen Geschichte lediglich, daß Friedrich Wilhelm III. sein

1 0 Vgl. Eckhard Müller-Mertens et al. (Hrsg.), Kleine Enzyklopädie Deutsche Ge-schichte. Von den Anfängen bis 1945, Leipzig 1965, 222 f.

11 Günter Vogler / Klaus Vetter , Preußen. Von den Anfängen bis zur Reichsgründung, 7. Aufl., Berlin 1984, 171 ff.

12 Ebd., 177. 13 Deutsche Geschichte, Bd. 4 (Anm. 9), 103.

Die preußischen Verwaltungs- und Verfassungsreformen 45

Versprechen vom 22. Mai 1815 nicht eingelöst hat und daß 1819 die altständisch-konservativen Verfassungsgegner endgültig die Oberhand über Hardenberg ge-wannen, der eine Verfassung durchsetzen wollte. Eine Bewegung für eine Verfas-sung hat es danach nur in den preußischen Rheingebieten gegeben14.

Vogler / Vetter verweisen darauf, daß die Verfassungsfrage zwischen 1815 und 1823 zum bestimmenden innenpolitischen Thema wurde, für das sich große Teile der Bevölkerung Preußens engagierten, nicht nur Bürger, sondern auch Bauern15. Die nach der Verordnung vom 5. Juni 1823 gebildeten Provinziallandta-ge waren beileibe keine Volksvertretungen, sondern knüpften an die altständi-schen Einrichtungen mit überwiegendem Einfluß des Adels an. Die Standschaft war zwar nicht mehr von adliger oder nichtadliger Geburt abhängig, sondern an den Grundbesitz geknüpft und auf städtische und bäuerliche Grundbesitzer ausge-dehnt worden, doch der erste Stand der Rittergutsbesitzer konnte auf Grund der Stimmenverteilung in den Provinziallandtagen nicht überstimmt werden. Die Landtage hatten lediglich beratenden Charakter und durften sich nur mit inneren Angelegenheiten der jeweiligen Provinz beschäftigen.

Durch diese „Lösung der Verfassungsfrage", durch die Perfektionierung der Verwaltung und das allmähliche Herausdrängen fortschrittlicher Kräfte aus dem Staatsapparat meinte die feudale Reaktion, die Zügel wieder fest in den Griff zu bekommen. Doch die staatstragende Kraft, der Adel, wandelte allmählich seinen sozialen Charakter, wodurch sich zwangsläufig auch der Charakter des preußi-schen Staates änderte16.

Diese Bemerkungen zu den Überblicks- und Nachschlagewerken mögen genü-gen. Ganz kurz sei noch auf den Geschichtsunterricht eingegangen. Sowohl im Lehrplanwerk als auch im Geschichtslehrbuch der Klasse 7, die seit 1988 bzw. 1989 verbindlich für die Schule der DDR neu eingeführt worden waren, spiegelt sich das soeben umrissene Bild. Im Mittelpunkt des Unterrichts standen die Agrar- und die Heeresreform. Auch die Städtereform wurde behandelt, während die übrigen Verwaltungsreformen und die Verfassungsfrage keine Erwähnung fanden.

Zusammenfassend heißt es in dem Lehrbuch zu den Reformen: „In Frankreich hatte das Volk unter der Führung des Bürgertums in der Revolution den Adel entmachtet, den feudalen Staat zertrümmert und die ganze feudale Gesellschafts-ordnung. hinweggefegt. Auch in Deutschland war die Feudalordnung reif zum Untergang. Aber hier zeigte sich das Bürgertum nicht stark genug, um die Führiingsrolle in einer Revolution zu übernehmen.. So wurde in Preußen eine kleine Gruppe von fortschrittlichen Beamten und Offizieren — hauptsächlich Adlige — zu der Kraft, die wesentliche Aufgaben der Revolution durch Reformen

14 Ebd., 148. 15 Vogler I Vetter (Anm. 11), 192 f. 16 Ebd., 193.

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verwirklichte. Im Ergebnis dieser Reformen konnten Teile des Feudalsystems vernichtet und der Übergang zur bürgerlichen Ordnung und zu kapitalistischen Produktionsverhältnissen eingeleitet werden. Aber da die Reformer selbst zur herrschenden Ausbeuterklasse gehörten, stellten sie längst nicht so weitgesteckte Ziele wie die französischen Revolutionäre. Die preußischen Reformer wollten nur einige dringende Aufgaben lösen und das Volk von seinen schwersten Bela-stungen befreien. Auf diese Weise sollte der Staat für den Unabhängigkeitskrieg gestärkt und eine Revolution der Volksmassen verhindert werden"17.

Der Merksatz am Ende des Abschnitts über die Reformen lautet: „Ab 1807 wurden unter der Leitung Steins und Hardenbergs Reformen durchgesetzt, mit denen der Übergang zu bürgerlich-kapitalistischen Verhältnissen in Preußen be-gann"18.

Nunmehr soll auf für unsere Thematik interessante Nebenresultate von Unter-suchungen eingegangen werden, die nicht ausdrücklich der Verwaltungs- und Verfassungsgeschichte Preußens in der Reförmzeit gewidmet waren. Es handelt sich um Arbeiten von Rudolf Berthold, Helmut Bleiber, Hartmut Harnisch sowie um eigene Ergebnisse, die ich bei der Beschäftigung mit der Opposition des kurmärkischen Adels gegen die Reformen und bei der Untersuchung der Verhält-nisse in brandenburgischen Kleinstädten gewonnen habe. Alle Untersuchungen waren auf die östlichen Provinzen Preußens beschränkt, da es für DDR-Historiker nur selten die Chance gab, für Forschungen zur preußischen Geschichte in die BRD reisen zu können19.

Wie reagierte der grundbesitzende preußische Adel auf die Agrarreform und die Verwaltungsreform, wie verhielt er sich in den Auseinandersetzungen um die Einführung einer Verfassung für Preußen. Diese Frage wurde in den genannten

17 Geschichte. Lehrbuch für die Klasse 7, Berlin 1989, 222. 18 Ebd., 224. 19 Vgl. u. a. Rudolf Berthold, Die Veränderungen im Bodeneigentum und in der Zahl

der Bauernstellen, der Kleinstellen und der Rittergüter in den preußischen Provinzen Sachsen, Brandenburg und Pommern während der Durchführung der Agrarreformen des 19. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1978), Sonderband, 7-116; Helmut Bleiber, Zwischen Reform und Revolution, Berlin 1966; Hartmut Harnisch, Die Herrschaft Boitzenburg. Untersuchungen zur Entwicklung der sozialökonomischen Struktur ländlicher Gebiete in der Mark Brandenburg vom 14. bis zum 19. Jahrhundert, Weimar 1968; ders., Kapitalistische Agrarreform und industrielle Revolution. Agrarhisto-rische Untersuchungen über das ostelbische Preußen zwischen Spätfeudalismus und bürgerlich-demokratischer Revolution von 1848 / 49 unter besonderer Berücksichtigung der Provinz Brandenburg, Weimar 1984; ders., Vom Oktoberedikt des Jahres 1807 zur Deklaration von 1816. Problematik und Charakter der preußischen Agrargesetzgebung zwischen 1807 und 1816, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1978), Sonderband, 229-293; Klaus Vetter, Kurmärkischer Adel und preußische Reformen, Weimar 1979; ders., Der kurmärkische Adel und das Oktoberedikt, in: ZfG (1979), Heft 5, 439-457; . ders., Die Mediatstädte des ehemaligen kurmärkischen Kreises Lebus im 17. und 18. Jahrhundert. Untersuchungen zur Verfassung, Wirtschaft und Sozialstruktur, Phil. Diss., Berlin 1966.

Die preußischen Verwaltungs- und Verfassungsreformen 47

Arbeiten immer wieder berührt, und ich meine, sie ist durchaus von grundsätzli-cher Bedeutung, geht es doch — im marxistischen Verständnis — darum, ob die herrschende Klasse fähig ist, eine reformerische Auflösung der Gesellschafts-ordnung, deren Träger sie ist, mitzuvollziehen, letztlich also darum, ob der reformerische Weg von einer Gesellschaftsordnung zur anderen möglich oder ob eine Revolution im engeren Sinne, d. h., der gewaltsame Umsturz der bestehen-den Verhältnisse unabdingbar ist.

Den führenden Köpfen des Adels war durchaus klar, daß die Reformen die Substanz der feudalen Gesellschaftsordnung in Frage stellten. So schrieb Friedrich August Ludwig von der Marwitz, ein kurmärkischer Rittergutsbesitzer, der zu den markantesten Persönlichkeiten der Adelsopposition gegen die Reformen gehörte, mit Bezug auf diese Reformen: „Sonst war der Wahlspruch: Jedem sein Recht! Jetzt scheint er zu sein: Jedem sein Geld! Denn selbst da, wo Rechte angegriffen worden sind, ist man bemüht gewesen, nach Möglichkeit Geld-Entschädigung und Profit herbeizuspekulieren. Das Geld, bis dahin ein notwendi-ges Übel, ist nach und nach zu einem Götzen geworden, dem jeder huldigt; und da dieser Götze seiner Natur nach das immer mehr und fester an sich reißet, was ihm einmal zu dienen angefangen, so ist eingetreten eine gewisse Auseinanderrei-ßung der Gesellschaft und eine Isolierung der Individuen . . . Rechnet man hinzu: die allgemeine Losgelassenheit, das . . . Drängen der unteren Stände nach oben, wo ein jeder etwas besseres, über sich, zu erreichen strebt, aber im allgemeinen es nicht erreichen kann; wo niemand mit dem zufrieden ist, was sein Vater besessen hat; niemand bei seinem Stande bleiben will, ein jeder sich berufen glaubt, am Allgemeinen mit zu bessern, so wird jeder Zweifel schwinden und deutlich erkannt werden, daß eine Revolution bei uns wirklich im Gange ist"20.

Die Agrarreform ist nicht Gegenstand meines Beitrags, daher nur soviel: Entge-gen der weitläufigen Meinung brachen nach der Verkündung des Oktoberedikts durchaus nicht die ganze Klasse des Adels erfassende Stürme der Entrüstung aus. Der größte Teil des Adels versteifte sich nicht von vornherein auf eine prinzipielle Opposition, die auf die Beseitigung des Edikts zielte, er richtete sein Streben nicht auf die Bekämpfung der neuen Ordnung um jeden Preis, sondern darauf, sie zu beeinflussen und möglichst nach seinem Willen zu gestalten. Es ging dem größten Teil des Adels vor allem darum, eine seinen Interessen so weit wie möglich entsprechende Variante der Entwicklung des Kapitalismus in der Landwirtschaft durchzusetzen. Diese Adligen waren dann mit dem Regulie-rungsedikt von 1811 und der Deklaration zum Regulierungsedikt von 1816 weit-gehend zufriedengestellt.

In der Auseinandersetzung um eine preußische Verfassung ging es allen aktiv auftretenden adligen Grundbesitzern um die Sicherung der politischen Herr-

20 Friedrich Meusel (Hrsg.), Friedrich August Ludwig von der Marwitz. Ein märki-scher Landedelmann im Zeitalter der Befreiungskriege, Bd. 2, 2, Berlin 1913, 275 ff.

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schaftsrechte ihrer Klasse, wobei sich aber deutliche Differenzierungen feststellen lassen, vor allem bei der Beantwortung der Frage, ob dieses Ziel am besten durch das Beharren auf allen Privilegien oder durch Zugeständnisse vor allem an das Bürgertum zu erreichen sei.

Eine kleine altständische Gruppe um von der Marwitz strebte eine möglichst weitgehende Restauration des vorabsolutistischen Ständestaates an. Diese Grup-pe, die sehr energisch und kompromißlos auftrat, führte zu Beginn der Auseinan-dersetzungen zeitweilig die Adelsopposition, jedoch gelang es ihr nicht, sich auf die Dauer innerhalb ihrer Klasse durchzusetzen.

Bei einige Adligen reifte schon bald nach 1807 die Erkenntnis, daß eine Rückkehr zu den sozialen und politischen Verhältnissen der Zeit vor den Refor-men nicht möglich sein würde. Auch sie traten mit Energie für die Interessen des Adels ein, sahen diese aber am besten durch die Einführung einer preußischen Verfassung gewahrt. Eine Verfassung für den ganzen Staat erschien ihnen zudem als geeignetes Mittel, die neuen Provinzen in das Gesamtgefüge organisch einzu-fügen und revolutionären Bewegungen die Spitze zu nehmen. Die Gruppierung gewann in den Auseinandersetzungen um die Verfassungsfrage zunehmend an Einfluß, konnte sich aber ebensowenig durchsetzen wie die Altständischen.

Die Mehrheit des Adels verhinderte das Zustandekommen einer preußischen Nationalrepräsentation, da sie eine Einschränkung ihrer Klassenherrschaft und eine Gefährdung ihrer regionalen Sonderinteressen befürchtete. Die Einrichtung der Provinzialstände und der Kommunallandtage im Jahre 1823 sowie der Kreis-stände im Jahre 1825 betrachtete sie als einen Erfolg, da nunmehr das Recht des Adels zur Beratung von Gesetzen nicht mehr durch die Krone in Frage gestellt wurde. Gab es auch innerhalb des Adels Meinungsverschiedenheiten über die Frage, durch welche Staatsform seine Herrschaft am besten gesichert werden konnte, so trat er einheitlich auf, wenn seine politischen Machtmittel einge-schränkt werden sollten. Bei der Verteidigung der Patrimonialgerichtsbarkeit, der gutsherrlichen Polizeiaufsicht und des Rechts der Landratswahl bildete der Adel eine geschlossene Front, zeigte keinerlei Kompromißbereitschaft und konnte seine Forderungen auch durchsetzen.

Die unterschiedliche Reaktion des Adels auf die einzelnen Reformmaßnahmen wird auch durch einen chronologischen Überblick über die Oppositionsbewegung deutlich. In der Zeit von Oktober 1807 bis zum Herbst des Jahres 1810 stand die Agrarreform im Mittelpunkt des Interesses. Da es der Mehrheit des Adels nicht um die Aufhebung, sondern um die möglichst weitgehende Beeinflussung der Ausführung des Oktoberedikts ging, verloren die Auseinandersetzungen bald an Schärfe. Der Adel übte hier gewissermaßen eine „konstruktive Opposition".

Ihren Höhepunkt erreichte die Adelsopposition in den Jahren 1810 bis 1816, als durch die Hardenbergsche Reformgesetzgebung wirtschaftliche und politische Privilegien des Adels berührt wurden. Sie konzentrierte sich in dieser Zeit vor

Die preußischen Verwaltungs- und Verfassungsreformen 49

allem auf vier Ziele: auf die Wahrung der politischen Machtbefugnisse, auf die Wahrung der ständischen Gerechtsame, auf den Erhalt der Steuerfreiheit und auf eine für den Adel möglichst günstige Regelung der Agrarfrage.

Nach 1816 flaute die adlige Oppositionsbewegung merklich ab. Durch den Sieg der mit England verbündeten Feudalmächte über das bürgerliche Frankreich erfolgte auf dem europäischen Festland vorübergehend eine politische Festigung der Adelsherrschaft. In den preußischen Ostprovinzen hatte der Adel mit der Suspendierung des 1812 erlassenen Gendarmerieedikts im Jahre 1814, mit der Verhinderung der Grundsteuer für die Rittergüter und mit der Deklaration des Regulierungsedikts wesentliche Klasseninteressen durchsetzen können. Seit 1816 ging es dem Adel nicht mehr in erster Linie um die Sicherung, sondern um den Ausbau seiner Herrschaft 21.

Der Adel konnte nach 1815 seine politische Herrschaft vorübergehend festigen, doch er selbst unterlag einem sich in zunehmendem Tempo vollziehenden Wand-lungsprozeß. Aus den feudalen Großgrundproduzenten wurden Agrarkapitalisten, die noch eine Reihe feudaler Herrschaftsrechte besaßen22.

Mit den Folgen der Umwandlung des grundbesitzenden Feudaladels zu Agrar-kapitalisten für den Charakter des preußischen Staates hat sich besonders Helmut Bleiber beschäftigt und versucht, eine gewisse Ordnung in die bestehende Be-griffsverwirrung bei der Kennzeichnung des preußischen Staates in der ersten Hälfte des 19. Jh. zu bringen.

Bleiber beklagte in seinem zuerst 1976 erschienenen und 1983 erneut veröffent-lichten Aufsatz „Staat und bürgerliche Umwälzung in Deutschland" zu Recht den Mangel an exakten marxistischen Analysen der deutschen Staatsentwicklung in der ersten Hälfte des 19. Jh.23 Dabei sollte aber meines Erachtens nicht übersehen werden, daß anregende Ansatzpunkte zu weiterführenden Untersu-chungen gegeben wurden. So finde ich nach wie vor den Hinweis von Heinrich Scheel in seiner Einleitung zur Quellenedition zum Reformministerium Stein interessant, daß in Preußen nach 1806 eine exeptionelle Situation vorlag, in der durch ein Klassengleichgewicht von Adel und Bürgertum der Staat vorüberge-hend eine selbständige Rolle spielen konnte. Der Adel — so Scheel — war nach Jena und Auerstedt derart geschwächt, daß der Staat seiner absoluten Verfügungs-gewalt entglitt. Auf der anderen Seite reichte die Kraft des Bürgertums noch nicht zur Eroberung der politischen Macht aus. So konnte der Staat eine gewisse Eigenständigkeit erhalten und zum Hauptinstrument für die Durchsetzung der preußischen Reformen werden. Die Brauchbarkeit als Reforminstrument hing ab von der Schwäche der herrschenden Klasse und verflüchtigte sich in dem Maße, wie diese Klasse — nicht zuletzt dank der Reformen, die unter anderem den

21 Zum vorstehenden vgl. vor allem Vetter, Kurmärkischer Adel (Anm. 19), 145 ff. 22 Ebd., 149 f. 23 Bleiber, Staat (Anm. 2), 84 f.

4 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

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Junkern den Übergang zur kapitalistischen Gutswirtschaft ermöglichten — wieder zu Kräften kam und auch wieder die gesellschaftliche Funktion des Staates bestimmte24. Soweit Scheel — hier wäre dann allerdings die Frage zu stellen, ob die kapitalitistisch wirtschaftenden Junker noch als Feudalklasse bezeichnet werden können. Genau diese Frage war der Ansatzpunkt für die Überlegung von Bleiber25.

Bleiber konstatiert zunächst, daß in der marxistischen Literatur durchweg die fortschrittshemmende Rolle Preußens und der anderen deutschen Staaten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachdrücklich betont werden. Die staatliche Politik in den Territorien des Deutschen Bundes wurde über Jahrzehnte hinweg wesentlich durch die Zielstellung bestimmt, liberale und demokratische Bewegun-gen zu unterdrücken. Davon ausgehend wurde die Politik Preußens zwischen Wiener Kongreß und bürgerlich-demokratischer Revolution zumeist als feudal qualifiziert, Preußen als feudalabsolutistischer Polizei- und Militärstaat, Öster-reich und Preußen als Hauptstützen der feudal-bürokratischen und militaristischen Reaktion in Deutschland bezeichnet; so geschehen in dem Hochschullehrbuch von Karl Obermann, im Band 1 der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und auch in der ersten Auflage des Preußenbuches von Vogler / Vetter. Entspre-chend wurden die konterrevolutionären Bestrebungen und Aktivitäten in der Revolution von 1848/49 als feudal charakterisiert26.

Die Verwendung solcher Begriffe wie Feudalabsolutismus, feudalbürokrati-sches System, feudal-junkerliche Reaktion, feudal-militaristische Konterrevolu-tion und ähnliche schloß in der Regel keineswegs die Erkenntnis aus, daß die bürgerliche Umwälzung bereits in vollem Gange war und daß von diesem Prozeß auch der Adel nicht ausgespart blieb. Bleiber verweist aber darauf, daß im Widerspruch zu dieser mehr oder weniger allgemein anerkannten Tatsache den-noch ohne jede Einschränkung von der „herrschenden Feudalklasse" die Rede war, wenn es galt, den sozialen Charakter des Adels bzw. der Grund- und Gutsherren in den vierziger oder gar in den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jh. zu charakterisieren. Einige Historiker verwendeten in Anlehnung an Bemerkungen von Karl Marx und Friedrich Engels den Begriff „Halbfeudalis-mus" für die Kennzeichnung des vormärzlichen Herrschaftssystems. Als erster tat dies Jürgen Kuczynski, der 1947 schrieb: „Das ist es, was wir unter dem preußischen Halbfeudalismus verstehen: kapitalistische Wirtschaft und feudale Politik, Verwaltung und gute Gesellschaft"27.

24 Heinrich Scheel , Einleitung zu: ders. (Hrsg.), Das Reformministerium Stein. Akten zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte aus den Jahren 1807/08, Bd. 1, Berlin 1966, XV f.

25 Bleiber , Staat (Anm. 2), 82 f. 26 Karl Obermann , Deutschland von 1815-1849, Berlin 1961, 222; Geschichte der

deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 1, Berlin 1966, 190; Vogler I Vetter (Anm. 11), 1. Aufl., Berlin 1970, 215.

Die preußischen Verwaltungs- und Verfassungsreformen 51

Bleiber forderte, bei der Untersuchung der Staatsproblematik in der bürgerli-chen Umwälzung nicht bei der Erfassung des äußeren Erscheinungsbildes stehen-zubleiben. Feudalabsolutistische oder feudalständische Formen des Staates ma-chen allein noch keinen Feudalstaat, und Kammern und anderes konstitutionelles Beiwerk noch keinen bürgerlichen Staat. Entscheidend für die Charakterisierung des Staates muß sein, den politischen und sozialen Inhalt der Wirksamkeit staatli-cher Organe zu analysieren und den Charakter der Klasse zu bestimmen, die den Staat trug.

Im Ergebnis seiner Überlegungen kommt Bleiber zu folgender Zusammenfas-sung: „Die Tatsache, daß die bürgerliche Umwälzung in Deutschland nicht durch eine siegreiche bürgerliche Revolution, sondern auf dem Wege von Reformen durchgesetzt wurde, hatte zur Folge, daß anstelle eines durch die Revolution geschaffenen neuen bürgerlichen Staates der alte feudale Staat bestehen blieb. Von den ersten bürgerlich-liberalen Reformmaßnahmen an, zu denen die herr-schende Klasse sich verstehen mußte, begannen jedoch neben weiterbestehenden feudalen Elementen auch kapitalistische Elemente im Charakter des Staates wirk-sam zu werden. Von diesem Zeitpunkt an war der Staat nicht mehr rein feudal, und er war noch lange nicht bürgerlich. In einem langen und allmählichen Prozeß wandelte sich der ehemals feudale Staat zu einem Staat bürgerlich-kapitalistischer Natur. Das Ende dieses Prozesses fällt mit dem Ende der bürgerlichen Umwälzung zusammen. Die endgültige Herausbildung des bürgerlich-kapitalistischen Staates ist eine der wesentlichen Bedingungen für den Abschluß der bürgerlichen Umwäl-zung. Der klassenmäßig-soziale Schlüssel dieses komplizierten Übergangstyps ist die Entwicklung der Adels- bzw. Junkerklasse in der Zeit der bürgerlichen Umwälzung. Das Interesse dieser sich allmählich von einer feudalen zu einer agrarkapitalistischen Ausbeuterklasse wandelnden Klasse bestimmte den Inhalt und den Charakter dieses Staates"28.

Soweit Bleiber, dessen Überlegungen Eingang in die Wertungen im Band 4 der Deutschen Geschichte fanden und die auch bei der Überarbeitung des populär-wissenschaftlichen Preußenbuches von Vogler / Vetter für die 7. Auflage berück-sichtigt wurden29.

Unterschiedliche Auffassungen gab es unter den DDR-Historikern über den Zeitpunkt, zu dem die feudalen Gutsherren, die Träger des preußischen Staates, kapitalistisch wirtschaftende Großagrarier geworden waren. Die meisten der da-mit befaßten Autoren sahen diesen Zeitpunkt am Ende der sechziger Jahre des 19. Jh. gegeben, einige erst mit dem Beginn des 20. Jh. Mit Hartmut Harnisch bin ich der Meinung, daß dieser Übergang im wesentlichen schon Ende der vierziger Jahre abgeschlossen war. Harnisch hat mit statistischem Material bewie-

27 Jürgen Kuczynski, Die Bewegung der deutschen Wirtschaft von 1800-1946, Berlin 1947, 55.

28 Bleiber, Staat (Anm. 2), 113. 29 Vogler I Vetter (Anm. 11), 207.

4 *

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sen, daß die Mehrheit der ostelbischen Gutsherren bereits in den dreißiger und vierziger Jahren kapitalistisch wirtschaftete 30. Daraus ergibt sich für mich die Schlußfolgerung, daß zwischen den kapitalistisch wirtschaftenden Junkern und der Bourgeoisie keine grundsätzlichen sozialökonomischen Interessengegensätze mehr bestanden. Dies erklärt dann wohl auch viele Besonderheiten der Revolution von 1848/49 in Preußen, z.B. die Kompromißbereitschaft der bürgerlichen Kräfte. Es ging nicht mehr um den Sturz eines Feudalstaates und die Zerschlagung einer feudalen Ordnung wie 1789 in Frankreich, sondern um die weitere Ausge-staltung einer bereits durch die Reformen in ihren Grundzügen entstandenen bürgerlichen Ordnung und um die Umverteilung von Machtpositionen im Staate. Ich gehe so weit, zu sagen, daß die preußischen Junker in der Mitte des 19. Jh. als kapitalistisch wirtschaftende Großagrarier nicht mehr eine eigenständige Klas-se, sondern bereits die agrarische Fraktion der Bourgeoisie waren, die sich aller-dings dadurch deutlich abhob, daß sie als Relikte der Feudalordnung vor der übrigen Bourgeoisie noch eine Reihe politischer und juristischer Vorrechte besaß. Um deren Aufhebung und Neuverteilung ging es 1848 / 49 und in den folgenden Jahrzehnten.

Bei der weiteren Beschäftigung mit den preußischen Verwaltungsreformen und der Verfassungsfrage scheinen mir folgende Ansatzpunkte von besonderem Interesse zu sein:

1. Welche politischen und ökonomischen Zwänge verursachten die Anpassung Preußens an eine veränderte gesellschaftliche Situation in Europa; wie ist dabei das Verhältnis innerer und äußerer Anstöße einzuschätzen; wie stark war der Druck, der von Bürgern und Bauern ausging.

2. Wie ist die Rolle des Beamtenapparates in den Reformen zu erklären; welche Motive bewegen die Reformpartei unter den Beamten (Professioneller Ehrgeiz und Streben nach Perfektionierung des Staates? Preußischer Patriotismus? Sozia-les Gewissen? Einsicht in größere Zusammenhänge?).

3. Welche Rolle spielten die ständischen Körperschaften in der Reformzeit; besteht Kontinuität oder Diskontinuität zwischen den altständischen Verhältnis-sen und der preußischen Verfassungsentwicklung im 19. Jh.

4. Wie bewältigte der Adel die neue Situation, wie reagierte er auf die Refor-men, was empfand er beim Zusammenbruch von bis dahin als unumstößlich geltenden Normen. Die damit vebundene Frage, wie und ob eine herrschende Klasse oder eine die Macht tragende Elite die Folgen des Einsturzes der durch sie bestimmten Ordnung verarbeiten und sich in die neuen Verhältnisse integrie-ren kann, ist von brennender aktueller Bedeutung.

30 Hartmut Harnisch, Zum Stand der Diskussion um die Probleme des „preußischen Weges" kapitalistischer Agrarentwicklung in der deutschen Geschichte, in: Seeber / Noack (Anm. 1), bes. 132 ff.; ders., Kapitalistische Agrarreform (Anm. 19), bes. 136 ff.

Die verschlungenen Wege der Städtereform in Preußen (1806-1856)

Von Ilja Mieck, Berlin

I. Zur Forschungsdiskussion über die Städteordnung

Im Kreis der preußischen Reformgesetze nimmt die Städteordnung aus mehre-ren Gründen einen besonderen Platz ein. Sie gehört zu den wenigen konkreten Reformergebnissen aus der zweiten Amtszeit des Freiherrn vom Stein, der sich mit diesem Reformvorhaben, das die von ihm bereits in der Nassauer Denkschrift geforderte „Teilnahme der Eigentümer" an der Verwaltung exemplarisch verwirk-lichen sollte, stark identifizierte. Darüber hinaus ist die Städteordnung „das als einziges in unsere Gegenwart fortwirkende Reformgesetz"dem eine bekannter-maßen kritische Stimme unlängst sogar bescheinigte, „das einzige wichtige Re-formwerk . . d a s vor Hardenbergs Zeit glückte", gewesen zu sein2.

Während viele Historiker die Städteordnung wegen ihrer schnellen Realisie-rung in den vier Restprovinzen Preußens als wichtigen Impuls für die Regenera-tion des preußischen Staates ansehen3, betonen andere die in ihr angelegte langfri-stige Perspektive, „weil ihre Fernwirkung fünfzig Jahre später weitergehende liberale Entwicklungsmöglichkeiten einräumte"4.

Obwohl das Gesetz von Anfang an nicht unumstritten war und besonders nach 1815 heftig diskutiert wurde5, erfuhr es letztlich von allen Reformedikten den geringsten Widerspruch, und seine „Modellwirkung war mittel- und langfristig doch groß: Die Stadt wurde gerade in Preußen zur Heimstätte sich entwickelnder Freiheit und Mitbestimmung"6 — in Realisierung einiger aus der Nassauer Denk-

1 Walter Hubatsch, Die Stein-Hardenbergschen Reformen (Erträge der Forschung 65), Darmstadt 1977, 148.

2 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700-1815, Mün-chen 1987, 459.

3 Eine ausgewogene Würdigung findet sich beispielsweise bei Kurt von Raumer, Deutschland um 1800 — Krise und Neugestaltung 1789-1815, in: Leo Just (Hrsg.), Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd. 3/1, 1. Teil, Wiesbaden 1980, 391-394.

4 Wehler (Anm. 2), 400. 5 S. u. 75. 6 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat,

München 1983, 40.

54 lija Mieck

schritt übernommener Prinzipien, deren Kerngedanke zum Titel dieses Sammel-bandes wurde.

Einigkeit besteht darüber, daß man die Städteordnung nicht isoliert betrachten darf. Sie ist als Stück der administrativen Gesamtreform zu verstehen, die auf eine Neubelebung des Staates von unten her zielte und im Staatsrat und in einer preußischen Nationalrepräsentation ihre Krönung finden sollte: „Um des Ganzen willen bedurfte es einer grundlegenden Erneuerung und Verjüngung der Funda-mente, die im Obrigkeitsstaat unter der Herrschaft der reglementierten und regle-mentierenden königlichen »Dienerschaft' vertrocknet und leblos geworden waren . . . Das Ziel war Belebung des Ganzen durch seine Teile, die aus dem Zustand der Passivität und des Danebenstehens zu verantwortlichen Trägern des öffentli-chen und politischen Schicksals gemacht werden sollten"7.

Ein weiteres Moment kam hinzu: Die Äußerung Struensees gegenüber dem französischen Geschäftsträger im Jahre 1799: „Die heilsame Revolution, die ihr von unten nach oben gemacht habt, wird sich in Preußen langsam von oben nach unten vollziehen"8 zeigt, daß den Reformen insgesamt noch ein anderes Motiv-bündel zugrundelag. Die Heranziehung von Repräsentanten auf kommunaler und auf „nationaler" Ebene sollte zugleich dem Schreckgespenst einer revolutionären Volksherrschaft nach französischem Muster vorbeugen und, wie es Hardenberg 1807 formulierte, „eine Revolution im guten Sinn" durchzuführen helfen9. Inso-fern stellt das Reformwerk in der Tat eine „exemplarische Variante der defensiven Modernisierung" dar10. Anders ausgedrückt: „Der Begriff der Reform scheint eine neue Seite zu gewinnen: Antirevolution"11.

Weil die Städteordnung unter der Federführung Steins, eines „zeitweilig früh-liberal gefärbten, vorwiegend jedoch altständisch-romantisierend denkenden, re-formkonservativen Beamten" (Wehler), entstand und auch dessen Mitarbeiter das erst ein gutes Jahrzehnt in Kraft befindliche Allgemeine Landrecht, das den altständischen Gesellschaftsaufbau getreulich abbildete, mit der neuen Kommu-nalordnung nicht umstürzen wollten, blieb dieses Gesetz trotz aller Neuansätze in seinem Kern konservativ und ohne jeden wahrhaft revolutionären Schwung. Es sind vor allem drei Merkmale, die den nicht revolutionären Charakter der Städteordnung bezeugen:

1. Während die Französische Revolution die kommunalen Rechte unterschieds-los allen Stadtbewohnern zugebilligt hatte, gab es in Preußen fortan zwei „Klas-

7 V. Raumer (Anm. 3), 391. s Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk, Berlin 1915, 427. 9 So Hardenberg in der Rigaer Denkschrift, in: Georg Winter (Hrsg.), Die Reorganisa-

tion des Preußischen Staates unter Stein und Hardenberg, 1. Teil: Allgemeine Verwal-tungs- und Behördenreform, Bd. 1 (Publikationen aus den Preußischen Staatsarchiven 93), Leipzig 1931, 306.

10 Wehler (Anm. 2), 398 f. 11 V. Raumer (Anm. 3), 393.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 55

sen" städtischer Einwohner: Die das Bürgerrecht besitzenden „Bürger" und die quasi außerhalb der Rechte und Pflichten der städtischen Gemeinschaft stehenden „Schutzverwandten" ohne Bürgerrecht. Nur wer das Bürgerrecht besaß, durfte städtische Gewerbe betreiben und Grundstücke in der Stadt besitzen. Daneben gab es auch weiterhin „den exklusiven Kreis der eximierten Staatsbürger", deren Sonderstellung das Allgemeine Landrecht sanktioniert hatte12. Zu den vielfach privilegierten „Staatsbürgern" gehörten als „Zivilbediente" die Beamten und Titularräte, die Rechtsanwälte und Notare an den Landesjustizkollegien, Forst-und Steuerbeamte, Geistliche, Gymnasiallehrer, Pächter von Adelsgütern, „tech-nische Räte", seit 1828 die Kreischirurgen, seit 1832 die Regierungsbauräte usw. Von einer „égalité" der Stadtbewohner war man also auch nach dem Erlaß der Städteordnung weit entfernt.

2. Auch in anderer Hinsicht konnte von einer Gleichheit nicht die Rede sein. Die Ausübung des aktiven Wahlrechts, das „in der Regel jedem Bürger", natürlich nur den männlichen, zustand, war an eine materielle Voraussetzung geknüpft: Die „Stimmfähigkeit" setzte Grundbesitz voraus oder — für „unangesessene Bürger" — ein jährliches Mindesteinkommen von 150 in den mittleren und kleinen und von 200 Reichstalern in den Städten mit mehr als 10 000 Einwoh-nern13. Politische Rechte auf Besitzqualifikation zu gründen, war zwar auch in Frankreich 1791 eingeführt worden, sehr revolutionär war diese Praxis trotzdem nicht.

3. Obwohl das Oktoberedikt die Aufhebung der Trennung von Stadt und Land eingeleitet und die Freizügigkeit prinzipiell hergestellt hatte, wagten die Reformer auch in diesem Fall nicht den revolutionären Schritt: Sie schreckten vor einer gemeinsamen, Dörfer und Städte betreffenden Gemeindeordnung zurück. Das war „die tragische Kehrseite der gelungenen Städteordnung: Sie hat den Unter-schied zwischen Stadt und Land als eine Grundtatsache der preußischen Geschich-te für das 19. Jahrhundert neu konsolidiert"14.

Im Vergleich mit den altpreußischen Verhältnissen war die Städteordnung, die alles in allem „ein so hohes Maß von liberaler, ja demokratischer Neugestal-tung" brachte15, vielleicht wirklich „ein großer Wurf 4 (Manfred Botzenhart); zieht man aber die drei eben erwähnten strukturellen Einschränkungen in Betracht, war sie bestimmt kein ganz großer Wurf, und noch viel weniger bedeutete sie einen „fundamentalen Einbruch in die herrschende Staats- und Gesellschaftsord-nung" 16.

12 Wehler (Anm. 2), 459. Vgl. auch Heinrich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jh. Geschichte der Ideen und Institutionen, Stuttgart 1950, 94.

13 Der Text der Städteordnung (ursprünglich: Gesetzsammlung [GS] 1806-1810, 324 ff.) ist leicht zugänglich in: August Krebsbach, Die Preußische Städteordnung von 1808, 2. Aufl., Stuttgart 1970, 49-100.

14 Nipperdey (Anm. 6), 40. 15 Heffter (Anm. 12), 95. 16 Krebsbach (Anm. 13), 105 f.

56 lija Mieck

Diese konservative Grundtendenz der Städteordnung erschüttert auch die The-se, die preußischen Reformen seien eine „Revolution von oben" gewesen17. An diesem Reformgesetz, das zu den wenigen gehört, die unverwässert in Kraft traten und in vollem Umfang realisiert wurden, bestätigt sich exemplarisch, was Barbara Vogel vor einigen Jahren feststellte: „Die soziale Basis für eine Revolu-tion in Preußen war zu schmal, sowohl für eine Revolution von unten als auch für eine von oben"18. Ihr Vorschlag, lieber von einer „bürokratischen Revolution" zu sprechen, trifft die Sachlage tatsächlich besser, denn die Reformen endeten in Preußen dort, wo sie an die politische und soziale Substanz des Staates gerührt hätten: „Die gesellschaftliche Dominanz des Adels blieb ungebrochen, die Verfas-sungsversprechen wurden nicht eingelöst. ,Die Revolution von oben' war eben doch nicht mehr als ein Bündel Reformen von unterschiedlicher Tragweite"19.

Mit der Beurteilung der Städteordnung verbindet sich in besonderer Weise die historiographische Bewertung und Einordnung des Freiherrn vom Stein, der über die Städtereform zu einer staatlich-administrativen Reorganisation des preu-ßischen Staates gelangen wollte. Hier spannt sich der Bogen von der Auffassung seines Biographen Gerhard Ritter („politisches Urgestein", „Führergestalt deut-scher Geschichte") über Erich Botzenhart („Einmaligkeit und Unableitbarkeit seiner geschichtlichen Gestalt") bis hin zu den kritischeren Stimmen von Kehr („ohne jedes Augenmaß", „tpyischer Bürokrat des ausgehenden Ancien Régi-me"), Rosenberg („Anführer der ,Revolte4 der ehrgeizigen Spitzenbürokraten-gruppe") und Wehler („bisher maßlos überschätzt", „abstrus-reaktionäre(n) An-schauungen während und nach der Revolutionsepoche"). Durch die Schroffheit seines Wesens und die Eruptivität seines Temperaments verbaute sich Stein auch nach dem Sturz Napoleons jede Rückkehr in den preußischen Staatsdienst und mußte sich mit einer Beratertätigkeit begnügen, in der sich „erbitterte Kritik mit den Äußerungen eines nörgelnden, verknöcherten Konservativismus" verband20.

Ob mit diesen leicht polemischen Beurteilungen die Komplexität im Denken und Handeln des Freiherrn vom Stein erfaßt und begriffen werden kann, sei dahingestellt. Der „maßlosen Überschätzung" sollte man besser nicht eine eben-

17 Die Berechtigung dieses Begriffes, der sich schon bei Heffter (Anm. 12), 86, findet, wird ausführlich diskutiert von Walter Schmidt, Waren die preußischen Reformen eine „Revolution von oben"?, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 32 (1984), 986-999. Vgl. dazu auch Ilja Mieck, Die preußischen Reformen: Eine Revolution von oben?, in: Manfred Schlenke (Hrsg.), Preußische Geschichte. Eine Bilanz in Daten und Deutungen, Freiburg 1991, 183-196.

18 Barbara Vogel (Hrsg.), Preußische Reformen 1807-1820 (Neue Wissenschaftliche Bibliothek 96, Geschichte), Königstein / Ts. 1980, 17.

19 Ilja Mieck, Preußen von 1807 bis 1850, in: Otto Büsch (Hrsg.), Handbuch der Preußischen Geschichte, Bd. 2, Berlin-New York 1992, 31.

20 Vgl. Wehler (Anm. 2), 399. — Zur Stein-Rezeption insgesamt vgl. Werner Gem-bruch, Nationalistische und personalistische Tendenzen in der Stein-Historiographie, in: Nassauische Annalen 90 (1970), 81-97.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 57

solche Diskreditierung folgen lassen. Die historische Wirklichkeit und die Höhen und Tiefen dieses langen, politisch immer wieder ausgefüllten Lebens lassen sich schwerlich in ein paar griffigen Formulierungen erfassen. Vielleicht hat Ernst Rudolf Huber, um damit zur Städteordnung zurückzulenken, die Intentionen am treffendsten umschrieben: Im Kern ging es darum, „daß die Staatsvormund-schaft gegenüber den Stadtgemeinden zu beseitigen sei"21.

I I . Zum Stadtregiment in Preußen vor 1808

Die friderizianische Städtepolitik sah ihr Hauptziel darin, dem Staat die bedin-gungslose Verfügung über die Städte, ihre Einnahmen und ihre Wirtschaftspolitik zu sichern. Dabei erschien dem König die Frage der Kommunalverfassungen als etwas Zweitrangiges. Den Städten konnten ihre alten Freiheiten (Gerichte, Wahl-recht etc.) weitgehend erhalten bleiben, „sofern sie sich nur der inneren Staatspoli-tik insgesamt einfügten"22. Sie waren also in erster Linie nicht mehr als Wirt-schafts-, Finanzierungs- und Bauobjekte. Die Staatsaufsicht nahm der Steuerrat (commissarius loci) wahr, der ziemlich unbeschränkte Vollmachten hatte. Trotz genauer Vorschriften 23 ließ die Qualifikation vieler Steuerräte oft sehr zu wün-schen übrig24. Unter der Kontrolle dieser königlichen Generalaufseher amtierte der Magistrat, in dessen Händen die eigentliche Stadtverwaltung lag. Er bestand meist aus einigen Bürgermeistern und mehreren Ratsherren. Teilweise gab es zwar noch Ratswahlen, aber da der Magistrat, jetzt fest besoldet, vom König oder vom Generaldirektorium ernannt wurde, handelte es sich faktisch um ein staatliches Organ25.

21 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 1789-1830, 2. Aufl., Stuttgart 1975, 174.

2 2 Vgl. Gerd Heinrich, Staatsaufsicht und Stadtfreiheit in Brandenburg-Preußen unter dem Absolutismus (1660-1806), in: Wilhelm Rausch (Hrsg.), Die Städte Mitteleuropas im 17. und 18. Jh. (Beiträge zur Geschichte Mitteleuropas 5), Linz 1981, 155-172, hier 157; ähnlich: ders., Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, Frankfurt a. M. 1981,240.

2 3 Eine Instruktion vom 12. Februar 1770 verlangte eine Prüfung der künftigen Steuer-räte vor der Oberfmanz-Examinationskommission, eine praktische Vorbildung sowie umfassende Kenntnisse auf verschiedenen rechts- und staatswissenschaftlichen Gebieten: Paul Clauswitz, Die Städteordnung von 1808 und die Stadt Berlin. Festschrift zur 100jährigen Gedenkfeier der Einführung der Städteordnung, Berlin 1908 (ND 1986), 19.

2 4 Vgl. z. B. Johannes Ziekursch, Zur Charakteristik der schlesischen Steuerräte 1742 -1809, in: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Schlesiens 43 (1909), 131-182; ders., Das Ergebnis der friderizianischen Städteverwaltung und die Städteordnung Steins. Am Beispiel der schlesischen Städte dargestellt, Jena 1908, 81-88, stellt fest, daß von den 1808 amtierenden sieben Steuerräten des Kammerbezirks Breslau nur ein einziger den Anforderungen des Amtes völlig genügte. Eine eher wohlwollende Einschätzung des Steuerrats als „eine in der Summe positiv wirkende Errungenschaft der preußischen Verwaltung des 18. Jh." vertritt Heinrich, Staatsaufsicht (Anm. 22), 164 f., der in ihm teilweise sogar „einen Beförderer städtischen Fortschritts und bürgerschaftlicher Freiräu-me" sieht. Für ein fundiertes Gesamturteil bedarf es noch weiterer behördengeschichtli-cher Untersuchungen.

58 lija Mieck

Dennoch ist eine differenzierte Betrachtung geboten, denn gerade die neueste Forschung betont, „daß im Preußen des 18. Jahrhunderts gewiß die staatliche Aufsicht eine Verstärkung erfuhr, mitnichten aber die städtische Welt einer Gleichschaltung anheimgefallen ist. Nach wie vor behielten Städte auch in verfas-sungsgeschichtlicher Hinsicht ein individuelles Gepräge"26.

Diese Feststellung widerspricht einer älteren Studie, in der die friderizianische Städtepolitik am Beispiel Schlesiens sehr quellennah untersucht wurde. Danach benutzte Preußen die Städte als Kasernen („die Bürger mußten die Soldaten in ihre Häuser aufnehmen und Servis zahlen") und als Brunnen („aus denen dem Staat die nötigen Mittel zum Unterhalt des Heeres zuflössen")27. Am Ende seines mehr als fünfzig Seiten umfassenden Kapitels über die Verfassung und Verwal-tung der schlesischen Städte von 1740 bis 1809 resümiert der Autor, daß nach den von ihm ausgebreiteten Zeugnissen „jedem der Versuch, nach gewohnter Art ein brausend Loblied auf die gute alte Zeit des friderizianischen Staates anzustimmen, kläglich im Halse stecken bleiben" dürfte 28. Zwar habe es in der Tat manche Verbesserungen im kleinen gegeben, aber im großen und ganzen „stand beim Zusammenbruch des friderizianischen Staates das schlesische Bür-gertum ungefähr auf der gleichen niederen Stufe wie beim Beginn der preußischen Herrschaft in Schlesien, und das Äußere der Städte hatte sich verzweifelt wenig verändert" — und das in „Friedrichs Lieblingsprovinz" (Max Lehmann).

Der damals 32jährige Privatdozent Johannes Ziekursch, der nach seiner Habili-tation 23 Jahre auf einen Ruf auf ein Ordinariat warten mußte, war davon überzeugt, daß bei aller Vertrautheit mit den provinziellen Verschiedenheiten des preußischen Staatsgebietes „ im größten Teil des Königreichs, vielleicht in allen Gebieten außer in Berlin . . . die gleichen und ähnlichen Ursachen gleiche und ähnliche Wirkungen gezeitigt haben" dürften 29. Seine Aufforderung aus dem Jahre 1908, vergleichbare Untersuchungen auch für die anderen preußischen Provinzen vorzulegen30, ist bis heute weitgehend ohne Echo geblieben, wenn-gleich aus anderen Bereichen der Sozial- und Verwaltungsgeschichte manche seiner Ergebnisse für ganz Preußen bestätigt wurden31.

2 5 Vgl. Werner Vogel, Zur Entwicklung der Verwaltungsbehörden unter Friedrich d. Gr., in: Jürgen Ziechmann (Hrsg.), Panorama der Fridericianischen Zeit. Friedrich der Große und seine Epoche. Ein Handbuch, Bremen 1985, 460-469, hier 469.

2 6 Vgl. Wolf gang Neugebauer, Altstädtische Ordnung — Städteordnung — Landesop-position. Elbings Entwicklung in die Moderne im 18. und 19. Jh., in: Bernhart Jähnig/ Hans-Jürgen Schuch (Hrsg.), Elbing 1237-1987. Beiträge zum Elbing-Kolloquium im November 1987 in Berlin, Münster 1991, 243-279, Zitat 245.

27 Ziekursch, Städeverwaltung (Anm. 24), 80. 2« Ebd., 133. Das folgende Zitat: 135. 2 9 Ebd., X. 30 Ebd., X. f. 31 Karl-Georg Faber, Johannes Ziekursch, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Deutsche

Historiker, Bd. 3 (Kleine Vandenhoeck-Reihe 343-345), Göttingen 1972, 109-123, hier 120, nennt beispielsweise die Arbeiten von H. Rosenberg und O. Büsch.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 59

Ziekurschs Studie über die schlesischen Städte („nirgends hat er die Interdepen-denz sozial-ökonomischer und politisch- administrativer Faktoren besser darge-stellt als hier")32 bedarf also der Ergänzung durch andere quellengestützte Unter-suchungen über die friderizianische Städtepolitik. Die Habilitationsschrift von Wolfgang Neugebauer33 kann hier eine wichtige Lücke wenigstens teilweise schließen. Ähnlich umfassende und gründliche Untersuchungen gibt es bislang für die beiden anderen Provinzen Brandenburg und Pommern zwar nicht, doch zeichnen die bereits vorliegenden kleineren Zusammenfassungen, die von ausge-wiesenen Spezialisten stammen, ein recht trübes Bild. Die zahllosen Fehler und Pannen, Unzulänglichkeiten und Widersetzlichkeiten, die Oskar Eggert bei der Einführung der Städteordnung in Pommern feststellte, bezeugen nach seiner Meinung auch „den politischen, gesellschaftlichen und geistigen Tiefstand in den pommerschen Städten, aus dem die Städteordnung herausführen sollte"34. Einer Bemerkung aus dem Jahre 1848 zufolge scheint sich diese Situation bis zur Jahrhundertmitte in den kleinen pommerschen Städten allerdings kaum verän-dert zu haben35.

Nicht ganz so pessimistisch wird man vielleicht die Situation in der Provinz Brandenburg sehen können. Einmal war hier „das Beamtenpersonal wohl meist besser als in anderen östlichen Provinzen"36, zum anderen wirkte sich wahrschein-lich die geringere Entfernung zum Verwaltungs- und Wirtschaftsschwerpunkt Berlin positiv aus37. Aber auch in der Mark kam es im Umfeld der Städteordnung zu allerlei Mißhelligkeiten und Fehlgriffen, doch ergibt sich aus den nicht sehr zahlreichen Berichten38 insgesamt, daß der „Appell Steins an das Edle im Men-schen . . . trotz der finanziellen Schwierigkeiten von vielen Bürgern . . . verstan-

32 Ebd. 33 Wolfgang Neugebauer, Politischer Wandel im Osten. Ost- und Westpreußen von

den alten Ständen zum Konstitutionalismus, Stuttgart 1992. 34 Oskar Eggert, Die Einführung der Städteordnung in Pommern, Hamburg 1959, 9. 35 Am 26. März 1848 berichtete der Stettiner Korrespondent der „Deutschen Zeitung"

über „die des Lesens meistens unkundige" (Land-)Bevölkerung Pommerns, daß sich der liberale Geist nur in Stettin rege, „in Greifswald fristet er ein mattes Leben . . . , nicht reger ist er in Stralsund, und in Kolberg, in Köslin usw. ist er tot.. . Die Landbevölkerung in Pommern ist geistig noch völlig regungslos. Sie glauben nicht, wie weit die Unwissen-heit, die Verkehrtheit, die Roheit hier geht.. . Mehr oder minder findet dieses auf den ganzen deutschen Osten Anwendung" (zitiert von Karl Obermann, Die Wahlen zur Frankfurter Nationalversammlung im Frühjahr 1848, Berlin 1987, 53 f.

36 Clauswitz (Anm. 23), 21. 37 Zu dieser Problematik vgl. Ilja Mieck, Berlin als deutsches und europäisches Wirt-

schaftszentrum, in: Wolfgang Ribbe / Jürgen Schmädeke (Hrsg.), Berlin im Europa der Neuzeit. Ein Tagungsbericht (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 75), Berlin 1990, 121-139.

38 Die einzige bisher vorliegende Gesamtbetrachtung (siehe Anm. 39) stützt sich auf Angaben aus den 17 Orten Berlin, Brandenburg, Buckow, Crossen, Eberswalde, Friede-berg, Fürstenwalde, Kyritz, Müllrose, Neuruppin, Potsdam, Rheinsberg, Schönfließ, Sommerfeld, Spandau, Wilsnack und Wittstock.

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den worden ist"; sie empfanden, daß „eine neue Epoche auch in Preußen begonnen hatte"39.

Zusammenfassend wird man vorläufig annehmen können, daß sich einige wenige preußische Groß- oder Hafenstädte, Markt- und Messeplätze, eventuell auch manche Verkehrsknotenpunkte von der materiellen Situation und ihrer geistigen Substanz her positiv von der überwiegenden Mehrheit der preußischen Städte mit einem ähnlichen Erscheinungsbild und vergleichbaren administrativen und sozialen Strukturen abhoben. „Im allgemeinen gleichen aber die Mark, Pommern, Ost- und Westpreußen einander ebenso sehr oder ebenso wenig wie Schlesien ihnen, im allgemeinen gehörten alle diese Gebiete in den ostelbischen Kulturkreis"40.

Neben den bisher erwähnten Städten gab es in der altpreußischen Monarchie noch die sogenannten Mediatstädte. Diese Siedlungen lagen meist innerhalb eines Gutsbezirkes, einer kirchlichen (Kloster, Domkapitel) oder königlichen (Domä-nenamt) Liegenschaft. In völliger Unabhängigkeit vom Staat setzte der jeweilige Grundherr einige städtische Beamte ein (Bürgermeister, Ratsherren, Stadtschrei-ber, Vogt o. ä.), die unter grundherrlicher Oberaufsicht mit administrativen, poli-zeilichen und gerichtlichen Aufgaben betraut waren.

Diese Städte, „ in deren Verfassungsleben ein Stück Mittelalter fortlebte" (Hein-rich), waren nicht der Akzise unterworfen. In Schlesien, wo zu Beginn des 19. Jh. 130 „akzisbare" Städte existierten, wurden die 35 „unakzisbaren" Mediatstäd-te, die einige hundert Einwohner haben konnten (Leubus: 370, Liebenau: 500, Dyhernfurth: 743, Löwen: 1 080) zu den Dörfern gerechnet. Sie waren kontribu-tionspflichtig und dem Landrat unterstellt41.

Vor diesen Mediatstädten „schreckte sowohl der Administrationsdespotismus Friedrich Wilhelms als auch der aufgeklärte Reformismus eines Friedrich weitge-hend zurück. Dieser Bereich blieb . . . vielerorts Stadtverfassungskloake, die erst durch die Stein*sehe Reform zugeschüttet worden ist"42 — offensichtlich aber nur in begrenztem Maße, denn bei der Einführung der Städteordnung sind die 35 schlesischen Mediatstädte zwar von der Patrimonialgerichtsbarkeit der Grund-herren und von deren Eingriffen in ihre Verwaltung befreit worden, doch blieben den Grundherren ihre wirtschaftlichen Ansprüche, das Kirchen- und das Schulpa-tronat erhalten43.

Auch in der Mark Brandenburg gehörten die Mediatstädte zu den ärmsten Siedlungen überhaupt. Deshalb war die infolge der Städteordnung auf sie zukom-

39 Berthold Schulze, Die Einführung der Städteordnung in Berlin und der Mark 1808 / 09, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 10 (1959), 11-17; Zitate 16 f.

40 Ziekursch, Städteverwaltung (Anm. 24), XI. 41 Ebd., 80 f. 42 Heinrich, Staatsaufsicht (Anm. 22), 166. 43 Ziekursch, Städteverwaltung (Anm. 24), 147.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 61

mende finanzielle Bürde oft schwer zu tragen. Dennoch kam der Städteordnung im Hinblick auf diese in feudaler Abhängigkeit stehenden Siedlungen „ganz besondere Bedeutung" zu, weil sie ihnen eine „Befreiung" in ganz besonderem Sinn brachte44.

Daß die preußische Reformbewegung der Französischen Revolution wichtige Impulse verdankte, ist seit langem bekannt. Als paradigmatisch wird gern das Diktum Hardenbergs über die Prinzipien der Französischen Revolution aus der Rigaer Denkschrift zitiert: „Die Gewalt dieser Grundsätze ist so groß, sie sind so allgemein anerkannt und verbreitet, daß der Staat, der sie nicht annimmt, entweder seinem Untergange oder der erzwungenen Annahme derselben entge-gensehen muß"45. Kontrovers diskutiert wird allenfalls die Intensität des Einflus-ses, die jedoch sehr stark von der jeweiligen individuellen Einstellung abhing und deshalb bei den Reformern mal mehr, mal weniger zum Tragen kam.

Weniger bekannt ist dagegen, daß die friderizianische Städteverfassung schon vor Erlaß der Städteordnung in manchen Orten nicht unbeträchtlich durchlöchert war, und zwar aus zwei Gründen: Erstens sind infolge der französischen Besat-zungspolitik seit Ende 1806 sogar partiell demokratische Elemente in die kommu-nale Selbstverwaltung mancher Städte hineingetragen worden. Zweitens gab es gelegentliche Ausnahmen von der starren, alles reglementierenden frideriziani-schen Stadtverfassung. Sie beschränkten sich jedoch, soweit es die bisherige Forschung erkennen läßt, auf nur wenige, dafür aber recht wichtige Städte. Oft gingen sie allerdings über sehr beschränkte Zugeständnisse nicht hinaus. Es existierten also im Preußen des Ancien Régime vier Typen städtischer Verfassun-gen nebeneinander, als in den vier verbliebenen Restprovinzen Brandenburg, Pommern, Preußen und Schlesien die Städteordnung eingeführt wurde, nämlich (1) das strenge friderizianische Stadtregiment, (2) eine etwas gelockerte Variante dieses Systems in manchen Städten aufgrund bestimmter, meist hart erstrittener Privilegien, (3) eine veränderte Verfassungspraxis aufgrund napoleonischer Zwangsmaßnahmen sowie (4) die mediatstädtische Erscheinungsform. Welche Situation im einzelnen vorlag, läßt sich nur aufgrund von Einzelstudien, von denen bislang nicht allzu viele vorliegen, beantworten.

In der Haupt- und Residenzstadt Berlin, die allerdings von 1806 bis 1810 und von 1821 bis 1828 von der Provinz Brandenburg losgelöst war und eine admini-strative Sonderstellung einnahm46, kam es zu der dritten Variante: Noch am Tage

44 Schulze, Einführung (Anm. 39), 14. 45 Abgedruckt bei Winter (Anm. 9), 302-363; Zitat 305. 46 Diese Sonderstellung Berlins begann mit der Herauslösung der Stadt aus dem

Zuständigkeitsbereich der Kurmärkischen Kammer in polizeilichen, militärischen und kommunalen Angelegenheiten durch Napoleon im Oktober 1806 (vgl. Magnus Friedrich von Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg im Zusammenhang mit den Schicksalen des Gesamtstaats Preußen während der Zeit vom 22. Oktober 1806 bis zu Ende des Jahres 1808,2 Bde., Leipzig 1851 / 52, hier Bd. 1,178 f. und 278.) Vgl. zur Gesamtproblematik auch Richard Dietrich, Verfassung und Verwaltung, in: Hans Herzfeld (Hrsg.), Berlin

62 li ja Mieck

seines feierlichen Einzugs, am 27. Oktober 1806, befahl Napoleon den abends im Schloß erschienenen Magistratsmitgliedern, unverzüglich 2 000 der wohl-habendsten Bürger auszusuchen; diese sollten — in zwei Etappen — eine 60köp-fige „Generalverwaltungsbehörde" und eine 7köpfige Stadtregierung wählen, die an die Stelle des Magistrats zu treten habe47.

Die 2 000 benannten Bürger traten am 29. und 30. Oktober48 abends gegen 18.00 Uhr in der Petrikirche zusammen und wählten zunächst die Mitglieder des großen Rats; in einem zweiten Wahlgang bestimmten anschließend diese aus ihrer Mitte die 7 Mitglieder des engeren Rats, der neuen Stadtregierung. Dieses „Comité administratif nahm, nach der Bestätigung durch Napoleon, am 7. No-vember 1806 seine Tätigkeit auf und amtierte bis zum 6. Juli 1809, während der Rat der Sechzig nie wieder zusammengerufen wurde.

Die Wahl in der Petrikirche „stellte für die damalige Bürgerschaft ein absolutes Novum dar"49, hatte es doch bis dahin „eine gesetzliche Teilnahme der Bürger-schaft oder gewählter Vertreter aus ihrer Mitte in den städtischen Angelegenhei-ten" nicht gegeben50. Welche Motive Napoleon bewogen, diesen ersten Schritt zu einer Bürgerbeteiligung an der Stadtverwaltung der preußischen Hauptstadt durch kaiserlichen Befehl durchzusetzen, ist umstritten51; wahrscheinlich ging es ihm darum, der französischen Besatzungsmacht einen anderen Ansprechpartner als die alten Behörden zu verschaffen, um den unersättlichen Forderungen — die Stadt Berlin mußte allein eine Kontribution von 10 Millionen Franken aufbrin-gen — stärkeren Nachdruck verleihen zu können52.

Auf ganz andere, weniger radikale Weise war das friderizianische Stadtregi-ment in Breslau, der zweitgrößten Stadt Preußens, gelockert worden. Dort hatte man noch lange nach dem abrupten Herrschafts Wechsel von 1741 der eher laxen Administration der Habsburger nachgetrauert, unter deren Herrschaft „Breslau

und die Provinz Brandenburg im 19. und 20. Jh. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 25), Berlin 1968, 181-308, hier 185 f., 193, 199-202; Berthold Schulze, 200 Jahre staatlicher Verwaltungsbezirk Berlin, in: Jahrbuch für brandenburgi-sche Landesgeschichte 3 (1952), 1-8.

47 Vgl. dazu Ilja Mieck, Von der Reformzeit zur Revolution (1806-1847), in: Wolf-gang Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins, 2 Bde., 2. Aufl., München 1988, hier Bd. 1, 424 ff.

4 8 Ebd., 425. Obwohl in der Literatur regelmäßig nur von der am 30. Oktober abgehal-tenen Wahl die Rede ist, spricht nicht nur die Wahrscheinlichkeit dafür, daß die 2 000 Bürger bereits am Vorabend erstmals zusammentraten, um von den Stadträten Wernitz und Metzing die Wünsche Napoleons zu erfahren und über Verfahrensfragen zu beraten. Auch bei Bassewitz (Anm. 46), 279, findet sich eine entsprechende Bemerkung.

49 Manfred A. Pahlmann, Wahlen zur Berliner Stadtverordnetenversammlung unter der Steinschen Städteordnung (1808-1850), phil. Diss. FU Berlin, voraussichtlich Berlin 1993, 29.

50 Clauswitz (Anm. 23), 10. 5 1 Vgl. die Überlegungen ebd., 43, und Bassewitz (Anm. 46), 278 f. 52 Diese Auffassung vertritt Herman Granier, Die Franzosen in Berlin 1806 bis 1808,

in: Hohenzollern-Jahrbuch 9 (1905), 1-43, hier 12.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 63

als »vornehmer Landstand4 die schlesischen Fürstentage beschickte und sich fast reichsstädtischer, republikanischer Selbständigkeit erfreute" 53. Unter den neuen Machthabern wurde die stolze Stadt gnadenlos der Allmacht des Staates unterwor-fen, der in sämtliche kommunalen Bereiche reglementierend eingriff, die Stadt zudem finanziell ausbeutete und durch die vorgesetzte Kriegs- und Domänenkam-mer in kleinlichster Weise überwachte und schikanierte. Der absolute Staat, der über seinen kontrollierenden und seinerseits kontrollierten Beamtenapparat alles leiten und entscheiden wollte, „überall die Vorsehung spielte, in allem sich Unfehlbarkeit anmaßte" (Wendt), hielt eine Mitwirkung der Bürgerschaft an der Stadtverwaltung für störend, gefährlich und überflüssig. Nach dem Tod Friedrichs II. wurde es noch schlimmer: „Mängel und Übelstände des friderizianischen Systems, die bisher im stillen herangewachsen waren, . . . traten nun . . . offen ans Licht"54. Die Konflikte mit der unfähigen, schwerfälligen und teilweise korrupten Bürokratie häuften sich. Ähnliche Beobachtungen wie sie Johannes Ziekursch für die Provinz Schlesien im ganzen aus den Akten gewinnen konnte, machte Heinrich Wendt im Hinblick auf die (3. preußische) „Haupt- und Resi-denzstadt Breslau", die unter „einer starken Entartung der friderizianischen Büro-kratie" l i t t55 . Die um sich greifende Unzufriedenheit mit der preußischen Herr-schaft führte zu einem unerhörten Affront: Es bildete sich eine aus Kaufleuten, Gelehrten und Handwerkern bestehende Bürgerschaftsvertretung von über 30 Köpfen („der . . . jede verfassungsmäßige Grundlage fehlte"), die nach einer dreimonatigen Untersuchung am 17. Dezember 1789 eine fundierte Denkschrift über die gesamte städtische Finanzverwaltung vorlegte, die sich nicht nur als „lokaler Schmerzensschrei der schlesischen Hauptstadt", sondern auch „als Pro-test gegen das friderizianische, überhaupt gegen das preußische System der Städteverwaltung" verstand56.

Obwohl der Staat vor weiteren „eigenmächtigen conventícula" eindringlich warnte und den Breslauern „ganz nach friderizianischer Praxis" Äußerungen, „welche den Pflichten eines guten Bürgers zuwider seien", untersagte, hat er die Berechtigung der Beschwerden faktisch anerkannt und ist der Stadt in den stritti-gen finanziellen Fragen entgegengekommen. Drei Jahre später, nach dem Schnei-der-Tumult vom April 1793, ging der König noch einen Schritt weiter und genehmigte die erste gesetzmäßige Bürgerschaftsvertretung. Das „Revidierte Rat-häusliche Reglement" vom 29. März 1794 legte die — naturgemäß sehr einge-

53 Heinrich Wendt, Die Stein'sehe Städteordnung in Breslau. Denkschrift der Stadt Breslau zur Jahrhundertfeier der Selbstverwaltung, Bd. 1: Darstellung, Bd. 2: Quellen;;, Breslau 1909, hier Bd. 1, 13 f.

54 Ebd., 31 f. 55 Ebd., 33. 56 Die vom Hof- und Kriminalrat Uber sen. unter Mitarbeit des Hofrats Sack verfaßte

Schrift „Historisch-juristische Bemerkungen der Breslauischen Bürgerschaft über den vorigen und jetzigen Zustand der hiesigen Stadt-Cämmerey" wurde im Dezember 1808 gedruckt. Die zitierten Äußerungen stammen von dem damaligen Herausgeber Markgraf, nach Wendt (Anm. 53), Bd. 1, 42-44.

64 lija Mieck

schränkten — Kompetenzen der 12 städtischen „Repräsentanten", die über Wahl-männer von den berufsständischen Korporationen gewählt wurden, fest57. Seit 1797 hießen sie „Stadtverordnete" — aber „derselbe Geist engherziger, mißtraui-scher Beschränkung", mit dem die Behörden in Breslau allen bürgerlichen Initiati-ven immer wieder begegnet waren, machte auch den städtischen Repräsentanten das Leben häufig schwer. Viel mehr als ein erster kleiner Schritt in Richtung auf eine kommunale Selbstverwaltung war die Breslauer Lösung gewiß nicht. Sie war auch kein generöses Präsent, sondern ist dem Staat von einer selbstbewuß-ten und kampfbereiten Bürgerschaft abgetrotzt worden. Insofern war der in Bres-lau gefundene Weg auch keineswegs typisch für die spätfriderizianische Städte-politik58. Erst unter dem Druck der französischen Besatzung konnten die Stadtver-ordneten ihre spärlichen Kompetenzen erweitern und in neue, größere Aufgaben hineinwachsen.

Daß die jeweiligen Beamten und Behörden bei der Umsetzung der frideriziani-schen Städtepolitik von nicht zu unterschätzender Bedeutung waren, soll abschlie-ßend am Beispiel der erst 1772 preußisch gewordenen Stadt Elbing noch einmal erläutert werden. In dieser, damals von einer außerordentlich günstigen Handels-konjunktur profitierenden Hafenstadt, die mit knapp 20 000 Einwohnern um 1800 an siebenter Stelle der preußischen Städte stand, war es zunächst akzeptiert worden, daß „die anfänglichen Versprechen Friedrichs des Großen, die Rechte und Privilegien Elbings wahren zu wollen, sich rasch als so ernst nicht gemeint entpuppten" und in manchen Ratsfamilien „vom milderen polnischen Regiment . . . nicht ohne Wehmut Abschied genommen wurde"59. Gleichwohl scheinen sich die Behörden hier elastischer und konzilianter verhalten zu haben als bei-spielsweise in Schlesien60: Bereits 1793 wurden zwei Kaufleute zu Stadträten ernannt, 1803 plädierte die zuständige Kriegs- und Domänenkammer Marienwer-der für eine Mitwirkung der Bürgerschaft an der Kämmereiverwaltung, und 1805 wurden nicht weniger als 18 „Stadtverordnete" aus den unterschiedlichsten Krei-sen der Einwohnerschaft gewählt. In der Tat sind in Elbing „erste neue Keime bürgerlicher Mitwirkung schon vor der Städteordnung und vor . . . 1806 auszu-machen"61.

57 Ebd., 47. Das folgende Zitat: 48. 58 So die falsche Einschätzung des Revidierten Rathäuslichen Reglements vom

29. 3. 1794 bei Ernst v. Meier, Die Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und Hardenberg, 2. Aufl., München 1912, 75-77.

59 Neugebauer, Altstädtische Ordnung (Anm. 26), 249. 60 Warum sich die friderizianische Städtepolitik in Schlesien von der in den anderen

Provinzen unterschied, begründete der König in seinem Politischen Testament von 1752, vgl. Richard Dietrich (Hrsg.), Die Politischen Testamente der Hohenzollern (Veröffentli-chungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz 20), Köln 1986, 312 f.

61 Neugebauer, Altstädtische Ordnung (Anm. 26), 251.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 65

I I I . Zur Städteordnung von 1808: Entstehung, Inhalt, Einführung

Die Städteordnung hat von Anfang an die Aufmerksamkeit der historischen Forschung in besonderem Maße auf sich gezogen. Dabei ging es nicht zuletzt darum, die Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes zu erhellen, Anstöße und Impulse, Vorarbeiten und Entwürfe aufzuspüren und persönliche Anteile und Verantwortlichkeiten festzustellen62. Wie oft in derartigen Fällen hat sich ein Jubiläumsjahr (1908) als sehr stimulierend für die Forschung erwiesen. Manche der damals erschienenen Publikationen sind noch heute unentbehrlich, weil ihre Verfasser, wie beispielsweise die Stadtarchivare von Breslau und Berlin, ihre wissenschaftliche Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit bewahrten und sich um eine objektive Darstellung bemühten63; andere stimmten dagegen in den an höchster Stelle wohl auch erwarteten allgemeinen Lobgesang ein und beschränk-ten sich auf unkritische Apologien mit Festschriftcharakter ohne besondere wis-senschaftliche Ansprüche64.

Der wissenschaftliche Impetus, wohl auch die günstige Archivlage der preußi-schen Hauptstadt haben Paul Clauswitz damals veranlaßt, sein Thema sehr weit-läufig anzugehen und in einem umfangreichen, ganz auf den Quellen des Gehei-men Staatsarchivs beruhenden Kapitel auch eine gründliche Untersuchung der Entstehung dieses Reformgesetzes vorzunehmen65. Es gelang ihm, die Vorgänge um Entwurf und Ausarbeitung der Städteordnung „mit großer Detailgenauigkeit, aber ohne sich in Randprobleme zu verlieren", vorzüglich darzustellen, wobei — neben Stein —"auch der erhebliche Anteil anderer Reformer . . . deutlich" wurde. Insgesamt verstand es Clauswitz, die „nicht selten verwirrenden Abläufe, das Hin und Her zwischen den verschiedenen preußischen Institutionen durch-sichtig und verständlich zu machen"66.

Die von Clauswitz vorgelegte Entstehungsgeschichte der Städteordnung hat leider nicht in vollem Umfang die ihr gebührende Anerkennung gefunden. Etwas versteckt in einer offensichtlich speziell auf Berlin bezogenen Jubiläumsschrift, wurde sie weitgehend übersehen. Wie sonst ist es zu erklären, daß Gertrud

62 Erich Joachim, Zur Vorgeschichte der preußischen Städteordnung vom 19. Nov. 1808, in: HZ 68 (1892), 84-89; Max Lehmann, Der Ursprung der Städteordnung von 1808, in: Preußische Jahrbücher 93 (1898), 471-514.

63 Clauswitz (Anm. 23), passim; Wendt (Anm. 53), passim. 64 Horst Kr ahmer, Steins Städteordnung, Halle 1908; Erich Petersilie, Entstehung

und Bedeutung der Preußischen Städteordnung, Leipzig 1908; Paul Schwartz, Die Preußi-sche Städteordnung vom 19. November 1808, Berlin 1908.

65 Vgl. Clauswitz (Anm. 23), 54-94: Die Entstehung der Städteordnung. 66 Andreas Kaiser, Stadtgeschichte Berlins als wissenschaftliche Disziplin. Paul

Clauswitz und der Beginn einer selbständigen Berlin-Geschichtsschreibung, in: Clauswitz (Anm. 23, Neudruck 1986!), XXVII.

5 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

66 li ja Mieck

Nicolaus, die — neben den Königsberger Archivalien — im Geheimen Staatsar-chiv zu Berlin dieselben Akten wie Clauswitz ausweitete, dessen Werk mit Stillschweigen übergeht67?

Sowohl die beiden Entwürfe von Brand wie auch die Denkschriften von Frey wurden von Clauswitz Jahrzehnte vor den Arbeiten von Nicolaus und Theodor Winkler68 vorgestellt, analysiert und in ihrer Bedeutung für die Städteordnung angemessen gewürdigt. Insbesondere die minutiöse Analyse des Entwurfs der Städteordnung, der aus der Feder des Geheimen Kriegs- und Domänenrats Wilckens stammte, ist bis heute unübertroffen. Auch die darauf folgenden Bera-tungsschritte im Generaldepartement und in der Generalkonferenz bis hin zur Schlußredaktion des Textes im Provinzialdepartement und der alles abschließen-den Kabinettsorder vom 19. November 1808 sind von Clauswitz mustergültig dargestellt worden. Kein anderer Autor hat nach ihm eine ähnlich konzentrierte und eindringliche Untersuchung über die Ausarbeitung der Städteordnung vorge-legt69.

Unter dem speziellen Königsberger Blickwinkel untersuchte dann Gertrud Nicolaus die Entstehung und Realisierung der Städteordnung in ihrer bereits erwähnten, von Hans Rothfels betreuten Dissertation von 1930, in der sie, ausführ-licher als Clauswitz, auf die beiden vom Kriminalrat Brand stammenden Entwürfe einer Städteordnung einging und im Anhang einige interessante Quellenstücke abdruckte70.

Daß der Königsberger Polizeidirektor Johann Gottfried Frey bei der Ausarbei-tung der Städteordnung eine zentrale Rolle spielte, war seit langem bekannt; neue Einsichten über die Art und Intensität seiner Mitwirkung brachte die schon genannte biographisch angelegte Studie von Theodor Winkler, die hinsichtlich der Städteordnungs-Forschung aber kaum über Clauswitz, den er immerhin zwei-mal zitierte, hinausführte. A l l diese zumeist älteren Werke — eine moderne Gesamtdarstellung der preußischen Städtereform gibt es nicht — beruhen auf einem relativ überschaubaren Quellenfundus, dessen wichtigste Stücke mittler-weile leicht zugänglich sind: Mit der Neuausgabe der Stein-Edition71 und dem dreibändigen Werk von Heinrich Scheel und Doris Schmidt72 ist eine vorzügliche Ausgangsbasis für die weitere Erforschung der Städteordnung gegeben.

67 Gertrud Nicolaus, Die Einführung der Städteordnung vom 19. November 1808 in Königsberg i. Pr., Dissertation Königsberg 1930, Minden 1931. Zu den benutzten Akten vgl. ebd., 115, und Clauswitz (Anm. 23), 54.

68 Theodor Winkler, Johann Gottfried Frey und die Entstehung der preußischen Selbst-verwaltung, Stuttgart 1936, 2. Aufl., 1957.

69 Man vgl. zum Beispiel ebd., 137-141, und Clauswitz (Anm. 23), 78-93. 70 Allerdings nicht, wie Hubatsch (Anm. 1), 156, behauptet, die Entwürfe Brands

0Nicolaus [Anm. 67], 91 ff.). 71 Freiherr vom Stein. Briefe und amtliche Schriften. Neu herausgegeben von Walther

Hubatsch, 10 Bde., Stuttgart 1957-1974. Die einschlägigen Dokumente zur Städteord-nung von 1808 enthält der Band I I /2.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 67

Die erste Aufforderung, Vorschläge für eine Gemeindereform auszuarbeiten, hatte der Geheime Oberfinanzrat Theodor von Schön im Auftrag Steins bereits am 22. Dezember 1807 an Frey gerichtet73. Ein halbes Jahr später beauftragte Stein den Provinzialminister Friedrich Leopold Freiherr von Schroetter, „über die künftige Organisation der Magisträte und der Kommunalverwaltungen . . . einen Plan . . . gefälligst zu entwerfen" 74. Zu dieser Zeit, am 27. Juni 1808, hatte Stein von den angeforderten Gutachten „noch nichts erhalten".

In der ersten Hälfte des Monats Juli 1808 präsentierte Frey seine „Vorschläge zur Organisierung der Munizipal Verfassungen"75. Sie begannen mit dem berühmt gewordenen Satz: „Zutrauen veredelt den Menschen, ewige Vormundschaft hemmt sein Reifen." Es folgte eine geharnischte Kritik an den gegenwärtigen Zuständen: „Im preußischen Staat ist beinahe seit einem Jahrhundert die Autokra-tie der städtschen Gemeinden absichtlich niedergedrückt, die Verwaltung mit Ausschließung aller bürgerlichen Mitwirkung fremden Invaliden, juristischen Routiniers und Schreibern übergeben worden, und diese Verfassung hat auf völlige Tötung des so schätzenswerten Bürgersinns hingewirkt. Nur in den großen Städten findet sich wiewohl auch nur ein bloßer Schatten von Repräsentation durch die Zünfte vor, in welchem aber ein erbärmlicher Geist der Einseitigkeit, des Zwiespalts und des Eigennutzes herrschend ist . . . Das in der preußischen Staatsverwaltung allgemein herrschende Prinzip des Mißtrauens hat veranlaßt, daß Kontrollen über Kontrollen gehäuft und diesen auch die Angelegenheiten der Stadtgemeinde unterworfen worden. Alles, auch die unbedeutendste Kleinig-keit, mußte höhern Orts beprüft, alles von oben herab entschieden, alles von oben herab befohlen werden. Wie sehr dadurch die Arbeiten von beiden Seiten vermehrt und wie wenig dennoch zum guten Zweck gewürkt worden, dies werden die überfüllten Aktenschränke und der überall sichtbare schlechte Zustand der städtschen polizeilichen Anstalten sattsam erweisen."

Diesen scharfen Worten folgte ein „Konstitutionsentwurf 4 für die Städte, der in vier Abschnitten 74 Einzelvorschriften enthielt (Vom Bürger- und Wahlrecht; Von den Wahlversammlungen; Von den Rechten, Verbindlichkeiten und Ge-schäften der Repräsentanten; Von der Einrichtung der Magistraturen).

Stein war zwar „größtenteils" mit den Vorschlägen einverstanden, meldete aber doch Bedenken zu insgesamt 19 Punkten an und schickte die „Vorschläge" am 17. Juli 1808 an Schroetter76.

72 Heinrich Scheel (Hrsg.), Das Reformministerium Stein, Akten zur Verfassungs-und Verwaltungsgeschichte aus den Jahren 1807/08, bearbeitet von Doris Schmidt, 3 Bde., Berlin 1966-1968.

7 3 Vgl. Winkler (Anm. 68), 122. Frey sollte sich dieser Aufgabe gemeinsam mit Prof. Johann Gottfried Hoffmann, einem Staatsrechtler, unterziehen.

74 Reformministerium (Anm. 72), Bd. 2, Nr. 194, 628-632; Zitat 631 f. 75 Ebd., Nr. 206, 657-670. 76 Ebd., Nr. 207, 671-673. Clauswitz (Anm. 23), 75, weist darauf hin, daß in Steins

Bemerkungen zu den Frey-Vorschlägen „seine einzige schriftliche Mitarbeit für den

5*

68 li ja Mieck

Zwei Tage früher, am 15. Juli 1808, hatte die Königsberger Bürgerschaft in einer Immediatvorstellung dem König einen vom Kriminalrat Brand verfaßten und mit Erläuterungen versehenen „Entwurf zu einer neuen Verfassung der Königsberger Bürgerschaft" überreicht und um Genehmigung gebeten77. Fried-rich Wilhelm nahm die Eingabe zum Anlaß, die Angelegenheit auf eine höhere, gesamtstaatliche Ebene zu heben und beauftragte am 25. Juli nun auch seinerseits den Minister von Schroetter mit der Ausarbeitung einer umfassenden Munizipal-verfassung, „damit die Abänderung der städtschen Verfassung so bald als möglich ausgeführt werden könne"78.

Insgesamt standen also dem preußischen Provinzialdepartement, das sich unter der Federführung der Geheimen Räte Friesen und Wilckens an die Ausarbeitung der Städteordnung machte, folgende Informationsquellen zur Verfügung:

1. Ein Verfassungsentwurf für die Stadt Königsberg vom Kriminalrat Friedrich Brand vom 29. Dezember 1807 (siehe auch Nr. 5)79;

2. ein Gutachten des Kammerpräsidenten Hans Jakob von Auerswald vom 28. Januar 1808 zur Nassauer Denkschrift mit Vorschlägen zur Kommunalreform 80;

3. eine Denkschrift des Kammerpräsidenten Ludwig Freiherr von Vincke vom 24. März 1808 über den Steinschen Organisationsplan81;

4. die „Vorschläge zur Organisierung der Munizipalverfassungen" vom Polizei-direktor Johann Gottfried Frey, undatiert (wahrscheinlich erste Hälfte Juli 1808)82;

5. die Immediatvorstellung der Königsberger Bürgerschaft vom 15. Juli 1808 mit der Bitte, den ausführlich erläuterten Verfassungsentwurf Brands (siehe Nr. 1) zu genehmigen83;

6. ein zweiter Verfassungsentwurf von Friedrich Brand vom 24. August 1808. Von Stein nach dem 31. August an v. Schroetter weitergeleitet, konnte er wegen der bereits am 9. September erfolgten Fertigstellung des Entwurfs nicht mehr berücksichtigt werden84;

Inhalt der Städteordnung" bestand, wenn man von den entsprechenden Stellen in der Nassauer Denkschrift und dem Auftrag an v. Schroetter vom 27. Juni 1808 absieht.

77 Reformministerium (Anm. 72), Bd. 2, Nr. 204, 648-653 (Begleitschreiben); Nr. 205, 653-656 (Entwurf).

78 Ebd., Nr. 212, 687 f.: Kabinettsorder vom 25. Juli 1808. — „Man kann behaupten, daß der von Stein entworfenen Kabinettsorder vom 25. 7. 1808 allein das Zustandekom-men der Städteordnung zu verdanken ist" (Clauswitz [Anm. 23], 76).

79 Nicolaus (Anm. 67), 27-31; Teildruck der Fassung vom 15. 7. 1808: Reformmini-sterium (Anm. 72), Bd. 2, Nr. 205, 653-656.

so Winkler (Anm. 68), 123-125. 81 Reformministerium (Anm. 72), Bd. 2, Nr. 136, 430-452. 82 Ebd., Nr. 206, 657-670. 83 Ebd., Nr. 204, 648-653. 84 Vgl. Nicolaus (Anm. 67), 36-39.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 69

7. ein Schreiben von J. G. Frey an v. Schroetter vom 28. August 1808, in dem er sich zu den drei beigelegten Gutachten äußert, die der Geheime Justizrat Morgenbesser und die Stadträte Buck und Horn zu seinen „Vorschlägen . . . " (siehe Nr. 4) verfaßt haben85;

8. eine undatierte, vor dem 29. August verfaßte Denkschrift von J. G. Frey „Von der Polizei und ihrem Verhältnisse zur Stadtkommune", die er selbst als „zweiten Teil" seiner „Vorschläge . . . " (siehe Nr. 4) bezeichnet86;

9. ein ergänzendes, die Denkschrift (siehe Nr. 8) erläuterndes Schreiben von J. G. Frey vom 29. August 1808 einschließlich eines auf Königsberg bezogenen Planes „Von der Geschäftsorganisation"87;

10. eine Denkschrift von J. G. Frey an das Generaldepartement vom 18. September 1808 über das Verhältnis von Magistrat und Polizei in bestimmten städtischen Bereichen (Armenwesen, Feuerdienst, Schulwesen, Straßenreini-gung)88.

Vorwiegend auf der Grundlage dieser Materialien erarbeitete der Kriegs- und Domänenrat Wilckens einen Entwurf des geplanten Gesetzes zur Kommunalre-form. Dabei ging er nicht nur sehr gründlich vor, sondern bewies auch gute synthetische Fähigkeiten, denn „Wilckens Entwurf ist fast ganz so, wie er nieder-geschrieben wurde, als Städteordnung Gesetz geworden"89, nachdem er noch die verschiedenen, bereits erwähnten ministeriellen Beratungsebenen ohne wesentli-che Änderungen durchlaufen hatte.

Durch die Kabinettsorder vom 19. November 1808 wurde die „Ordnung für sämtliche Städte der Preußischen Monarchie mit dazu gehöriger Instruktion, Behuf der Geschäftsführung der Stadtverordneten bei ihren ordnungsmäßigen Versammlungen" in Kraft gesetzt. Da es für Preußen noch keine amtliche ge-druckte Gesetzsammlung gab90, wurde die Städteordnung aus Sparsamkeitsgrün-den im Dezember als Zeitungsbeilage mit vier Fortsetzungen publiziert. Die aus diesen Bruchstücken gebildeten Hefte mit dem Gesamttext erhielten die zuständi-gen Kriegs- und Domänenkammern im Januar 180991.

85 Zum Inhalt dieses bisher nur erwähnten (Reformministerium [Anm. 72], Bd. 3, 803, Anm. 8), nicht publizierten Schreibens vgl. Clauswitz (Anm. 23), 79.

86 Zu dieser ebenfalls ungedruckten Denkschrift vgl. ebd., 78. 87 Reformministerium (Anm. 72), Bd. 3, Nr. 248, 801-804. Zum (nicht gedruckten)

Organisationsplan vgl. Winkler (Anm. 68), 139, und Clauswitz (Anm. 23), 80 f. 88 Reformministerium (Anm. 72), Bd. 3, Nr. 258, 855-858. Bei Winkler (Anm. 68),

178, Anm. 61, sind die Daten zu den Dokumenten 7 und 8 vertauscht. 89 Clauswitz (Anm. 23), 83. 90 Da die amtliche Sammlung und Bekanntmachung der preußischen Gesetze und

Verordnungen durch die Jahresbände der „Gesetzsammlung" (künftig: GS) erst Ende 1810 begann, ließ die Regierung die Gesetze der Jahre 1806-1810 in einem späteren Band zusammenfassen, der allerdings erst 1822 erschien.

91 Clauswitz (Anm. 23), 94.

70 lija Mieck

Ohne im einzelnen auf die in neun Abschnitten präsentierten 208 teilweise recht umfangreichen Paragraphen und die 40 Punkte der „Geschäftsordnung" der künftigen Stadtverordnetenversammlungen einzugehen, lassen sich die wich-tigsten Bestimmungen der Städteordnung wie folgt zusammenfassen92:

1. Die Wahl der Stadtverordneten erfolgt unmittelbar durch einen durch Besitz qualifizierten Teil der männlichen Bürgerschaft.

2. Der Magistrat wird von der Stadtverordnetenversammlung gewählt, der die Verwaltung der Stadt obliegt; ihre Beschlüsse gelten für den nur exekutiv tätigen Magistrat als bindend.

3. Für besondere Aufgaben werden Deputationen gebildet, die aus Magistrats-mitgliedern, Stadtverordneten und Bürgervertretern bestehen.

4. Gerichtsbarkeit und Polizei fallen an den Staat, wobei letztere auftragsweise vom Magistrat verwaltet werden kann.

5. Es gibt keine Mediatstädte mehr.

6. Die rechtliche Unterscheidung von „Bürgern" und „Schutzverwandten" versperrte den Weg zur Einwohnergemeinde; die früheren „Eximierten" konnten weiterhin, sofern sie nicht über städtischen Grundbesitz verfügten oder ein Gewer-be betrieben, ohne politische Rechte in den Städten leben, jetzt als Schutzver-wandte.

Auch die gründliche Vorbereitung der Städteordnung hatte nicht verhindern können, daß sich bei der Umsetzung in die Praxis Gesetzeslücken herausstellten. Da die aufsichtführenden Behörden vor eigenmächtigen Interpretationen zurück-schreckten oder auch gelegentlich vom Ministerium korrigiert werden mußten, erfolgten zahlreiche Ergänzungen und Erläuterungen, auch noch in späteren Jahren. Die von der Regierung erteilten substantiellen Rechtsauskünfte, nicht aber die bloßen Interpretationshilfen, „Deklarationen" genannt, wurden gesam-melt und 1832 geschlossen gesondert publiziert93.

Ungeachtet ihrer mitunter in die Zukunft weisenden Bestimmungen stellte die Städteordnung, wie eingangs unterstrichen94, im Kern ein konservatives Gesetz dar. Obendrein war sie, wie ihre Entstehungsgeschichte zeigt, mit dem Blick auf die größeren preußischen Städte, in denen man eine nicht zu kleine, aktive bürgerliche Schicht voraussetzen konnte, zustandegekommen. Aber selbst in

92 In Anlehnung an Huber, Verfassungsgeschichte (Anm. 21), Bd. 1, 173-176, und Pahlmann (Anm. 49), 23 ff. Zum Text s. o. Anm. 13.

93 Die „Zusammenstellung" sämtlicher Deklarationen wurde durch eine Kabinetts-order vom 4. Juli 1832 genehmigt und als „Bekanntmachung des Ministers des Innern und der Polizei" vom 14. Juli 1832 verkündet. In der von August Krebsbach besorgten Textausgabe (s. Anm. 13) sind die jeweiligen Deklarationen im Anschluß an die betref-fenden Paragraphen aufgeführt, allerdings undatiert.

94 Siehe oben 54.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 71

Königsberg bat eben diese Bürgerschaft sofort, wenn auch vergeblich, das Inkraft-treten des Gesetzes95 nach Möglichkeit auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Gleichzeitig plädierte sie für die Beibehaltung der Wahl nach Ständen und ver-langte die Erhöhung der Einkommensgrenze für die Wahlberechtigung auf 500 Reichstaler96. Dieser Theaterdonner verzögerte natürlich die Einführung der Städ-teordnung in Königsberg, so daß Elbing der Ruhm zufiel, diejenige Stadt zu sein, „ in der unter allen Städten des Staates zuerst Schritte zur Einführung der neuen kommunalen Verfassung unternommen wurden"97: Hier fanden die Wahlen der Stadtverordneten bereits am 18. Dezember 1808 statt, in Königsberg dagegen erst am 1. Februar 1809.

In vielen anderen in der Provinz Preußen gelegenen Orten, besonders „ in den kleineren, landeinwärts gelegenen Städten hielt sich die Begeisterung bei den Betroffenen in Grenzen", beispielsweise in Heilsberg, Orteisburg und Soldau, während „im küstennahen und handelsorientierten Braunsberg" die neue Ordnung rasch zustandekam98.

Daß die Wahlen der Stadtverordneten nicht mit modernen Maßstäben zu mes-sen sind, liegt auf der Hand. Wahlberechtigt waren beispielsweise in Elbing 4,5 % der Bevölkerung; in Graudenz und Marienwerder war der Anteil der stimm-fähigen Bürger mit 5,0% und 7,1% nur wenig höher. Die für Marienburg und Königsberg (1817) zu ermittelnden Zahlen von 8,6% und 8,2% lassen auf eine breitere, besser situierte Mittelschicht schließen99.

Für die übrigen drei Provinzen liegen unterschiedlich gehaltvolle Untersuchun-gen vor. In der Haupt- und Residenzstadt Berlin, wo man erst Ende Januar 1809 von der neuen Gesetzeslage erfuhr, verstieg sich die amtierende Stadtregierung sogar zu der Feststellung, daß ihr „von einem Wunsch der Bürger auf stärkere Beteiligung am kommunalen Leben gar nichts bekannt geworden" sei 10°. Daß in Berlin, ähnlich wie in Königsberg, die Einführung der Städteordnung nach anfänglichen Reibungsverlusten doch noch relativ problemlos vonstatten ging, darf nicht übersehen lassen, daß sich die Situation in zahlreichen brandenburgi-

95 Die Generalkonferenz hatte am 19. 10. 1808 beschlossen, die Städteordnung zuerst in Königsberg und Elbing, und zwar zum 1. Januar 1809, einzuführen (Reformministe-rium [Anm. 72], Bd. 3, Nr. 281, 939).

96 Vgl. Nicolaus (Anm. 67), 44 f. Die Eingabe der Königsberger Bürgerschaft wurde vom Minister Dohna am 29. 12. 1808 zurückgewiesen.

97 Neugebauer, Altstädtische Ordnung (Anm. 26), 255. Wegen der Prioritätsfrage vgl. ebd., 256, Anm. 47.

98 Ebd., 254. 99 Max Bär, Die Behördenverfassung in Westpreußen seit der Ordenszeit, Danzig

1912, 235-237, gibt für die 39 westpreußischen Städte die Zahlen der Einwohner, der Bürger und der stimmfähigen Bürger. Danach die obigen Berechnungen; Königsberg: Winkler (Anm. 68), 145.

100 Mieck, Reformzeit (Anm. 47), 443.

72 li ja Mieck

sehen Kleinstädten ganz anders darstellte. Daß in der Landstadt Müllrose von 1116 Einwohnern nur 86 stimmberechtigt waren (= 7,7 %), lag ganz im üblichen Rahmen; schlimmer war, daß dieses „Liliputstädtchen" nun die Gehälter für einen städtischen Bürgermeister, einen königlichen Stadtrichter und einen Polizei-chef aufbringen mußte101.

In der während der Franzosenherrschaft verarmten Stadt Brandenburg gab man das Bürgermeisteramt an denjenigen, der das geringste Gehalt verlangte — mit dem Erfolg, daß die Stadt „ in den ersten Jahrzehnten" (!) nach Einführung der Städteordnung „eine ganz besonders schlechte Verwaltung" hatte. Daß in Einzelfällen sogar praeter legem entschieden wurde, belegt der Kampf des vom Landrat und sogar von Hardenberg unterstützten Guts-, Stadt- und Schloßherrn Graf Flemming gegen die Einführung der Städteordnung in dem ärmlichen Klein-städtchen Buckow im Land Lebus. „Sein Sieg über die Potsdamer Regierung, die die Buckower Bürgerschaft in ihrem gesetzlichen Recht verteidigte, ist in der Mark ohne Parallele", war allerdings, wie Berthold Schulze ausdrücklich betont, „ im Hinblick auf die Gesamtbeurteilung der Auswirkung der Städteord-nung in der Mark nicht von Bedeutung"102.

Auch in der Provinz Pommern gab es bei der Einführung der Städteordnung viele Schwierigkeiten. In fast der Hälfte der Städte, vor allem in den kleinen Ackerstädten, „machten die beschränkten Fähigkeiten der Magistratspersonen und Mißverständnisse über Geist und Sinn der Städteordnung es notwendig, daß staatliche Kommissare die Wahlen leiteten", nicht immer mit dem gewünschten Erfolg. Anfang Oktober 1809 waren erst in 31 Städten die neuen Magistrate im Amt, während in 22 Städten noch die alten fungierten. Im Schlußbericht vom 1. Februar 1811 mußte die Regierung zugeben, daß die Städteordnung in Greifen-hagen (von wo auch der früheste Protest ausgegangen war) und in Treptow a. d. Tollense noch immer nicht eingeführt war, im ersten Fall wegen eines schweben-den Gerichtsverfahrens, im zweiten, weil die Bürger dem künftigen Bürgermeister nur ein Gehalt von 200 Reichstalern zu zahlen bereit waren103.

Am ausführlichsten sind wir über die Einführung der Städteordnung in der vierten und letzten Provinz des damaligen Restpreußen unterrichtet, in Schlesien. Hier verband sich das Widerstreben der im absoluten Beamtenstaat alt gewor-denen Bürokraten mit einer verbreiteten Opposition aus bürgerlichen Kreisen: „Dieses unerhörte Maß von Freiheit, das Stein den Bürgern schenkte, hatte das Bürgertum in Schlesien ebenso wenig wie in den andern Provinzen begehrt, geschweige denn stürmisch gefordert" 104. Proteste, Weigerungen und Beschwer-den waren an der Tagesordnung, „auf besonders große Schwierigkeiten stieß

101 Schulze, Einführung (Anm. 39), 16. 102 Ebd., 14 und 16. 103 Vgl. Eggert (Anm. 34), 8-10. 104 Ziekursch, Städteverwaltung (Anm. 24), 148. Das folgende Zitat 150.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 73

man in der Hauptstadt"105, doch der staatliche Kommissar, der schlesische Ober-präsident v. Massow, schob energisch und tatkräftig alle Widerstände beiseite.

Der Anteil der Stimmberechtigten lag in den kleineren Städten bei 12-14% der Bevölkerung, in den größeren bei 10%. In Glogau betrug er 7,9 %, in Breslau 7,0%. Problematisch war besonders in Oberschlesien „der Bildungsmangel der Bürger, ihre Unkenntnis im Lesen und Schreiben": Von 115 stimmfähigen Bür-gern in Lublinitz konnten nur 11 schreiben, von 18 gewählten Stadtverordneten in Peiskretscham lediglich zehn106. Besondere Belastungen ergaben sich in eini-gen Gebieten Schlesiens aus der Sprachenproblematik, dem konfessionellen Ge-gensatz protestantisch / katholisch und national-polnischen Bestrebungen. In Gut-tentag protestierten die oberschlesischen Polen, allerdings vergeblich, gegen die Weisung der Breslauer Regierung, alle Verhandlungen über städtische Angele-genheiten künftig allein in deutscher Sprache zu führen. Lange Jahre blieb die Situation in dieser Stadt sehr unübersichtlich, erst 1817 wurde ein mehrjährig tätiger Bürgermeister gewählt, und nicht vor 1833 kam durch einen Gerichtsaktuar „Beständigkeit und Ordnung in die Kämmereiverwaltung"107.

So bleibt der Gesamteindruck zwiespältig. Die durch die Kriegsjahre noch verschärfte wirtschaftlich-soziale Notlage, die verbreitete Armut, der Analphabe-tismus, Hunger und Elend, Resignation und Apathie ließen sich in Schlesien durch die Städteordnung nicht aus der Welt schaffen. Man begegnete dem neuen Gesetz, wenigstens im deutsch-protestantischen Kern dieser Provinz zwar fast ausnahmslos in „schlichter Ruhe", aber zweifelsohne mit „viel Gleichgültigkeit und Verständnislosigkeit"108. „Die Anordnung und Befehle der vorgesetzten Be-hörde werden zwar befolgt", resümierte v. Massow am 20. März 1810 die Ergeb-nisse der bisherigen Reformarbeit, „deren Geist aber nicht richtig gefaßt, sondern verkannt, und fast gänzlich fehlt es an dem Gemeingeist, welche die Regierung näher den Regierten verbündet"109. Auch sieben Jahrzehnte nach dem Anschluß an Preußen waren die strukturellen Probleme der Provinz Schlesien so dominie-rend, daß sich erst in den 40er Jahren des 19. Jh. tiefergehende politische Strömun-gen in den schlesischen Städten zu entwickeln begannen — ähnlich wie in Brandenburg beruhte offensichtlich auch in weiten Teilen Schlesiens „die Bedeu-tung der Städteordnung in ihrer Fernwirkung auf weite Zeiträume"110.

1 0 5 Vgl. dazu die grundlegende Studie von Wendt (Anm. 53), Kapitel V: Schwierigkei-ten der Neugestaltung, 70-89.

106 Vgl. Ziekursch, Städteverwaltng (Anm. 24), 151 f. 107 Ebd., 156. los Ebd., 170 f. 1 0 9 Ein längerer Auszug aus dem Bericht des Oberpräsidenten v. Massow ebd., 174. ho Schulze, Einführung (Anm. 39), 14.

Ilja Mieck

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Abb. 4: Diese Zeitung — eher ein „Flugzettel" (Sembdner) — gab Heinrich von Kleist vom 1. Oktober 1810 (1. Blatt) bis zum 30. März 1811 (76. Nummer des zweiten Jahrgangs) in großer Auflage auf schlechtem Papier zu niedrigem Preis (18 Groschen für das Quartal) täglich, außer sonntags, heraus (insgesamt 153 Ausgaben). Der Verfas-

ser dieses Artikels ist unbekannt.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 75

IV. Zu den Städteordnungen im vergrößerten Preußen (1814-1856)

Nur wenige Jahre lang lebten sämtliche Städte der preußischen Monarchie unter dem einheitlichen Regiment der Städteordnung von 1808, denn der Wiener Kongreß bescherte dem zu den Siegermächten gehörenden Staat beachtliche territoriale Gewinne in Ost und West, Nord und Süd, aus denen, nach einigen Verschiebungen und Übergangslösungen, die vier Provinzen Posen, Sachsen, Westfalen und das Rheinland entstanden111.

Um die ohnehin schwierigen Integrationsprobleme nicht weiter zu komplizie-ren, entschloß sich die preußische Regierung, den Geltungsbereich der seit 1807 erlassenen Reformgesetze grundsätzlich nicht auf die neupreußischen Provinzen auszudehnen. Hinsichtlich der Kommunalverfassung wollte man stattdessen die inzwischen mit der Städteordnung gemachten Erfahrungen auswerten und in eine Gesetzesnovelle einfließen lassen. Vorläufig sollten die bestehenden städtischen Verhältnisse erhalten bleiben. Das betraf Westfalen und die Rheinprovinz mit ihrer aus der Franzosenzeit stammenden Mairie-Verfassung sowie Neuvorpom-mern mit einer von Schweden hinterlassenen altständischen Stadtverfassung. Nur in Danzig, das 1814 an Preußen zurückfiel, wurden die bestehenden Formen des Stadtregiments sogleich an die Steinsche Ordnung angeglichen, deren endgültige Einführung — mit gewissen Modifikationen — am 5. Mai 1817 genehmigt wurde. In allen anderen Städten der ehemals zum Herzogtum Warschau gehören-den Kreise Kulm, Michelau und Thorn, die wieder an die Provinz Westpreußen gelangten, blieb die französisch-polnische Munizipalitätsverfassung weiterhin bestehen, weil die preußischen Behörden allen Anträgen auf Einführung der Städteordnung mit dem Hinweis auf die bevorstehende Revision begegneten112. In der Provinz Posen wurde die Städteordnung von 1808 lediglich der Stadt Bromberg 1819 in Anerkennung ihrer patriotischen Gesinnung verliehen113.

Während die Ministerialbürokratie Materialien für eine revidierte Fassung der Städteordnung zu sammeln begann, entspann sich eine lebhafte öffentliche Dis-kussion über das Gesetz von 1808, das von manchen Zeitgenossen als zu weitge-hend empfunden, von anderen als Fortschritt gepriesen wurde. Auch der Freiherr vom Stein hatte angesichts der bei und nach der Einführung der Städteordnung aufgetretenen Probleme verschiedene Änderungsvorschläge unterbreitet. Auf die publizistische Debatte, die mit den Schriften von v. Raumer, Wehnert, Streckfuß, Horn, Deleuze de Lancizolle, Perschke und Ulmenstein in den Jahren 1828/29 ihren Höhepunkt erreichte, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden114.

ni Vgl. Mieck, Preußen 1807-1850 (Anm. 19), 84 ff. 112 Vgl. Erich Hoffmann, Danzig und die Städteordnung des Freiherrn vom Stein

(Königsberger Historische Forschungen 6), Leipzig 1934, passim; Bär (Anm. 99), 244 ff. 113 Manfred Laubert, Die preußische Polenpolitik von 1772-1914, 3. Aufl., Krakau

1944, 56; die Kabinettsorder vom 5. Februar 1819 erwähnt Bär (Anm. 99), 245. 114 Vgl. dazu Hubatsch (Anm. 1), 149-155.

76 lija Mieck

Nach schier endlosen Verhandlungen115 trat am 17. März 1831 die sogenannte „Revidierte Städteordnung" in Kraft 116.

Sie sollte keineswegs, wie Huber meint, „ein einheitliches Stadtverfassungs-recht für den preußischen Gesamtstaat schaffen" 117; diesen Gedanken hatte die Regierung schon seit 1827 / 28 aufgegeben, nicht zuletzt deshalb, weil „die alten Provinzen die Städteordnung ungeachtet ihrer Mängel lieb gewonnen hatten und nach keiner neuen verlangten"118. Dementsprechend sprach die Einführungsorder ausdrücklich nur von den „mit unserer Monarchie wieder und neu vereinigten Provinzen und Landesteilen". In den vier alten Provinzen sollte es den Städten freigestellt werden, sich auf Wunsch für die neue Ordnung entscheiden zu können.

Daß dies nur ganz vereinzelt geschah, lag wahrscheinlich auch an den inhaltli-chen Neuerungen des Gesetzes, das „ im ganzen . . . eine Einschränkung der bürgerlichen Rechte" brachte119. Die wichtigsten Bestimmungen der Revidierten Städteordnung lauteten:

1. Sämtliche Einwohner, auch die Schutzverwandten, waren fortan verpflichtet, zu den städtischen Lasten beizutragen. Damit war ein erster Schritt auf dem Wege zur Einwohnergemeinde getan.

2. Grundbesitz war nicht länger Voraussetzung für die Wahlberechtigung.

3. Die für die Stimmfähigkeit (= aktives Wahlrecht) nachzuweisende Einkom-mensgrenze wurde erhöht.

4. Für die Wählbarkeit zum Stadtverordneten wurde noch mehr Vermögen und Einkommen verlangt als für das Stimmrecht.

5. Der Vorrang der Stadtverordnetenversammlung vor dem Magistrat wurde beseitigt; der Magistrat erhielt als Stadtobrigkeit eine stärkere Position im Stadtre-giment.

6. Die Staatsaufsicht wurde genau geregelt und mit einer generellen Vorbe-haltsklausel versehen. Grundstücksverkäufe, Kreditaufnahmen, die Höhe der Kommunalsteuer u. a. unterlagen der aufsichtsrechtlichen Genehmigung durch den Staat.

Während sich in den vier alten Provinzen lediglich die drei unbedeutenden Orte Königsberg i. d. Neumark, Wendisch-Buchholz und Kremmen für die neue Ordnung entschieden, kam es in den vier neuen Provinzen zu unterschiedlichen Reaktionen:

1 1 5 Zu den Verhandlungen wegen der Revision der Städteordnung im Staatsrat vgl. Hans Schneider, Der Preußische Staatsrat 1817-1918. Ein Beitrag zur Verfassungs- und Rechtsgeschichte Preußens, München 1952, 161 ff.

116 GS 1831, 9 (Kabinettsorder zur Einführung), 10-37 (Text), 37-40 (Einführungs-verordnung), alle datiert vom 17. 3. 1831.

117 Huber, Verfassungsgeschichte (Anm. 21), Bd. 1, 176. na Clauswitz (Anm. 23), 146. 119 Ebd., 147.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 77

1. Nur in der Provinz Sachsen und den ehemals sächsischen Städten Branden-burgs wurde die Revidierte Städteordnung noch im Jahre 1831 bereitwillig ange-nommen.

2. In der Provinz Posen begann die Einführung 1832 in der Stadt Posen, der schrittweise 49 andere Städte folgten.

3. Neuvorpommern erreichte es, bei seiner althergebrachten Stadtverfassung aus schwedischer Zeit bleiben zu dürfen.

4. In Westfalen war es bis 1834 nur Minden, Herford, Bielefeld, Höxter und Dortmund gestattet worden, die Revidierte Städteordnung einzuführen; durch eine Kabinettsorder vom 18. März 1835 erhielten zwar alle Städte diese Genehmi-gung, aber nur 58 machten davon Gebrauch. Am 31. 10. 1841 wurde die Revidier-te Städteordnung in allen Städten mit über 2 500 Einwohnern eingeführt, doch konnten die Kommunen auf Antrag auch das Regime der Landgemeindeordnung für Westfalen vom gleichen Tage wählen120. Die übrigen Kommunen, in denen prinzipiell die Landgemeindeordnung gelten sollte, konnten sich aber ebenfalls für die westfälische Städteordnung entscheiden121.

5. Die schärfste Opposition kam aus der Rheinprovinz. Dort hatte man sich schon seit 1816 recht erfolgreich gegen die von Berlin ausgehende Integrationspo-litik zur Wehr gesetzt122. Jetzt lehnte man kategorisch die Übernahme der neuen Städteordnung ab und plädierte prinzipiell gegen eine unterschiedliche Rechtsstel-lung von Stadt und Land. Der Kampf um die Kommunalverfassung endete nach anderthalb Jahrzehnten mit dem Kompromiß der Rheinischen Gemeindeordnung vom 23. Juli 1845, die ein gestuftes Zensus Wahlrecht und etwas größere Selbstver-waltungsrechte mit der bisherigen Mairie-Verfassung in Einklang brachte. Vor die Wahl gestellt, entschieden sich lediglich Mülheim / Ruhr und Essen für die Revidierte Städteordnung (1846). Wetzlar hatte sie schon 1839 angenommen. So endete eine 30 Jahre währende Auseinandersetzung zwischen rheinischen Behörden und Berliner Ministerien, „deren legislatives Endprodukt in keinem Verhältnis zum administrativen und zeitlichen Aufwand stand"123.

Die Rheinische Gemeindeordnung war der vorläufige Schlußpunkt einer Ent-wicklung, die ganz anders verlaufen war als von den Reformern des Jahres 1808 erhofft und erwartet. Die mit der Städteordnung erreichte Einheitlichkeit der

120 Vgl. Krebsbach (Anm. 13: 2. Aufl., 1970! Die Erstauflage [1957] enthält einige Fehler [19]), 30.

121 GS 1841, 297-321: Landgemeindeordnung für Westfalen; 322-324: Städteord-nung für Westfalen, beide vom 31. 10. 1841.

122 Vgl. ¡¡ja Mieck, Die Integration preußischer Landesteile französischen Rechts nach 1814/15, in: Otto Büsch / Monika Neugebauer-Wölk (Hrsg.), Preußen und die revolutio-näre Herausforderung seit 1789 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 78), Berlin 1991, 345-362.

123 Rüdiger Schütz, Zur Eingliederung der Rheinlande, in: Peter Baumgart (Hrsg.), Expansion und Integration (Neue Forschungen zur brandenburgisch-preußischen Ge-schichte 5), Köln 1984, 220.

78 lija Mieck

Kommunalverfassung im Gesamtstaat hatte nur wenige Jahre Bestand. Regionale Besonderheiten und lokale Traditionen erwiesen sich als zählebige Elemente einer schon länger bestehenden städtischen Selbstverwaltung, deren Träger sie loyal, aber energisch gegenüber den Vorstellungen der Ministerialbürokratie verteidigten. Nach und nach zerbröselte die nur von 1808 bis 1813 / 14 vorhande-ne Einheitlichkeit, bis schließlich 1845, drei Jahre vor der Revolution, nicht weniger als sechs Stadtverfassungstypen in Preußen nebeneinander existierten:

1. Die Städteordnung von 1808,

2. die Revidierte Städteordnung von 1831,

3. die Sonderregelung für Neuvorpommern,

4. die Landgemeindeordnung für Westfalen von 1841,

5. die Städteordnung für Westfalen von 1841,

6. die Rheinische Gemeindeordnung von 1845.

Die Bereitschaft der Regierung, auf die Eigeninteressen der neuen Provinzen Rücksicht zu nehmen, zeigt aber auch, daß sich die führenden Köpfe der Bürokra-tie durch Flexibilität auszeichneten und keineswegs versuchten, ihre Vorstellun-gen rücksichtslos durchzusetzen. Von einem Versuch der „Verpreußung" kann in rechtlicher Hinsicht bei den neuen Provinzen jedenfalls nicht die Rede sein124.

Eine zweite Tendenz, die alle Nachfolgegesetze der Städteordnung kennzeich-net, ist die fortschreitende Einschränkung der bürgerlichen Selbstverwaltung durch eine verschärfte Staatsaufsicht und eine Erhöhung der Zensusschwelle. Im Zeitalter der Restauration war es nicht überraschend, daß selbst die bescheidenen Ansätze städtischer Selbstbestimmung, wie sie die Städteordnung vorsah, wieder beschnitten wurden. Auch die Revolution von 1848/49 konnte, da sie ja insge-samt scheiterte, diesen Trend nicht unterbrechen.

Vielleicht motiviert durch das Beispiel der Rheinischen Gemeindeordnung, legte die Regierung v. Auerswald am 13. August 1848 der preußischen National-versammlung den Entwurf einer einheitlichen Gemeindeordnung für die Stadt-und Landgemeinden des gesamten Staates vor, die „zur Stärkung der Nationalität" beitragen sollte. Er kam zwar nicht zur Beratung, aber da die „oktroyierte" Verfassung vom 5. Dezember 1848 im § 104 eine derartige Ordnung verlangte, griff die Regierung auf diesen Entwurf zurück und veröffentlichte ihn „mit geringfügigen Abänderungen und mit Fortlassung der Motive" am 20. Januar 1849 im Staatsanzeiger125.

Es folgte eine intensive Beratungsphase, an der die Regierung, die beiden Kammern und zahlreiche Städte mit Petitionen (Beibehaltung der Städteordnung von 1808!) oder eigenen Entwürfen (Berlin: August 1849) oder beiden (Berlin:

124 Ebd., 225; vgl. auch Mieck, Integration (Anm. 122), passim. 125 Vgl. dazu Clauswitz (Anm. 23), 239 f.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 79

November 1849) beteiligt waren. Das Ergebnis war die Gemeindeordnung vom 11. März 1850, die ein absolutes Novum darstellte. Zum erstenmal gab es eine Ordnung für sämtliche Stadt- und Landgemeinden des preußischen Staates, die — sozusagen nebenbei — für die Städte die Einheitlichkeit der Gesetzeslage von 1808 wieder herstellte126.

Von den Bestimmungen der Gemeindeordnung sollen nur einige erwähnt werden:

1. Die Unterscheidung von „Bürgern" und „Schutzverwandten" wurde aufge-hoben; jeder männliche Einwohner über 24 Jahre, der seine Steuern bezahlte, ein Gewerbe ausübte oder gewisse Einkünfte nachwies und mindestens ein Jahr in der Stadt lebte, besaß fortan das Bürgerrecht.

2. Das aktive Wahlrecht zum „Gemeinderat" (so hieß jetzt die frühere Stadtver-ordnetenversammlung) setzte ein Jahreseinkommen von 300 Reichstalern voraus.

3. Gewählt wurde nach dem Drei-Klassen-Wahlrecht, wie es seit dem 30. Mai 1849 auch für die Wahlen zur Zweiten Kammer galt.

4. Der Gemeinderat konnte bei Vernachlässigung seiner Pflichten vom Innen-minister für ein Jahr suspendiert werden.

5. Die Staatsaufsicht wurde weiter ausgedehnt.

Daß sich die politische Generallinie geändert hatte, zeigte sich bei den Vor-bereitungen der Berliner Kommunalwahl im Sommer 1850. Weil sie eine Manipu-lation der bezirklichen Wahlvorstände durch den Magistrat zu erkennen glaubten, verließen 24 Stadtverordnete die Versammlung und machten sie dadurch beschlu-ßunfähig. Die der liberalen Opposition zuzurechnenden Protestler wurden unter Hinweis auf § 131 der Städteordnung wegen Obstruktion ihres Mandates für verlustig erklärt und durch Stellvertreter ersetzt127.

Die Bestimmungen über das Wahlrecht führten dazu, daß im September 1850 bei einer Einwohnerzahl von etwa 415 000 nur 21 000 Bürger wahlberechtigt waren (=5,1 %); das waren — bei gestiegener Einwohnerzahl! — 6 000 weniger als drei Jahre zuvor. Von den Stimmberechtigten wählten 1 600 in der Ersten, 5 400 in der Zweiten und 14 000 in der Dritten Klasse je 34 Abgeordnete und 14 Vertreter 128.

Der Vergleich mit der bisher in Berlin geltenden Städteordnung von 1808 zeigt, „daß die neue Ordnung die Rechte der Gemeinde und ihrer Behörden im allgemeinen eher verminderte als erweiterte"129. Die Aufsichtsrechte des Staates

126 GS 1850, 213-251. 127 Vgl. Günter Richter, Zwischen Revolution und Reichsgründung (1848-1870), in:

Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Geschichte Berlins, Bd. 2: Von der Märzrevolution bis zur Gegenwart, 2. Aufl., München 1988, 646.

128 Ebd. (mit Anm. 29). 129 Clauswitz (Anm. 23), 242.

80 lija Mieck

in den Großstädten (Verfügung über städtisches Vermögen, Kreditaufnahme, Grundstückskäufe, Eingriffe in den Etat: „Zwangsetatisierung" bei Weigerung, städtische Steuer u. a.) waren beachtlich, aber „bei den kleineren Gemeinden gingen die Eingriffe noch tiefer".

Während man in Berlin recht unlustig an die Einführung der Gemeindeordnung heranging und sie mit der erneuten Wahl von Heinrich Wilhelm Krausnick zum Stadtoberhaupt130 am 5. November 1850 und der feierlichen Amtseinführung am 23. Januar 1851 abschloß, gingen aus der ganzen Monarchie mit Ausnahme der Rheinprovinz Proteste gegen die Gemeindeordnung ein. Namentlich in den östli-chen Provinzen hatte es sich nicht bewährt, Stadt- und Landgemeinden unter ein einziges Gesetz zu stellen. Da die Unzufriedenheit weit verbreitet war, wurde zunächst die Gemeindeordnung durch einen Allerhöchsten Erlaß vom 19. Juni 1852 sistiert131. Diesem ersten Schritt folgte ein ganzes Bündel legislativer Maß-nahmen:

1. Ein Gesetz vom 24. Mai 1853, das den Artikel 105 der Revidierten Verfas-sung vom 31. Januar 1850 änderte, weil es derzeit unmöglich schien, bei den Landgemeinden eine den Städten vergleichbare Selbstverwaltung einzuführen 132.

2. Die Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen vom 30. Mai 1853.

3. Die Städteordnung für Neuvorpommern und Rügen vom 31. Mai 1853.

4. Die Städteordnung für die Provinz Westfalen vom 19. März 1856.

5. Die Städteordnung für die Rheinprovinz vom 15. Mai 1856, die die Rheini-sche Gemeindeordnung von 1845, für die man so lange gekämpft hatte, ablöste133.

Um nach dem mißglückten Experiment mit der Gemeindeordnung nun auch die Landgemeinden zu bedenken, wurden in Weiterführung der isoliert gebliebe-nen Landgemeindeordnung für Westfalen vom 31. Oktober 1841 noch die folgen-den Gesetze erlassen:

6. Eine neue Landgemeindeordnung für Westfalen vom 19. März 1856.

7. Die Landgemeindeordnung für die sechs östlichen Provinzen vom 14. April 1856 (aufgehoben durch die Landgemeindeordnung vom 3. Juni 1891).

1 3 0 Die Gemeindeordnung sah für das Stadtoberhaupt nur noch die Bezeichnung „Bürgermeister" vor, doch Krausnick erhielt den Titel „Oberbürgermeister", den er bereits von 1834-1848 getragen hatte, durch einen Allerhöchsten Erlaß vom 16. Nov. 1850 erneut verliehen.

131 GS 1852,388. Ein »Allerhöchster Erlaß" erscheint in der Gesetzsammlung erstmals am 13. März 1848; nach kurzzeitiger Parallelität verschwindet die „Allerhöchste Kabi-nettsorder" nach dem 8. April 1848, wird also schon in vorkonstitutioneller Zeit durch den neuen Begriff ersetzt.

132 GS 1853, 228; Abdruck: Ernst Rudolf Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: 1803-1850, 3. Aufl., Stuttgart 1978, 513, Anm. 46.

133 Siehe oben, 77. Die Gesetzestexte: GS 1853, 261-290 (2), 291 f. (3); GS 1856, 237-264 (4), 406-434 (5).

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 81

8. Das Gemeindeverfassungsgesetz für die Rheinprovinz vom 15. Mai 1856134.

Damit war dem (geänderten) Verfassungsauftrag entsprochen, freilich um den Preis eines Bündels von sieben Gesetzen, die an die Stelle der einen Gemeindeord-nung von 1850 getreten waren.

Die neue Städteordnung von 1853 brachte im ganzen eine weitere Verschärfung der staatlichen Kontrolle gegenüber den Selbstverwaltungsorganen; „sie dehnte . . . die Aufsicht der Regierung weiter aus als alle früheren Gesetze"135 und enthielt unter anderem folgende Bestimmungen:

1. Alle Magistratsmitglieder wurden jetzt besoldete Wahlbeamte, mußten je-doch durch die Regierung bestätigt werden.

2. Bei fortwährender Vernachlässigung ihrer Pflichten konnte die Stadtverord-netenversammlung (die jetzt wieder diesen Namen trug) durch königliche Verord-nung aufgelöst und durch Neuwahlen ersetzt werden.

3. Es wurde den Stadtverordneten verboten, „über andere als Gemeindeangele-genheiten" zu beraten136.

4. Das Drei-Klassen-Wahlrecht (mit offener Stimmabgabe!) blieb weiterhin bestehen.

A l l diese Bestimmungen hatten mit Sinn und Inhalt der Steinschen Städteord-nung kaum noch etwas zu tun. Sie waren auch keine oberflächlichen oder redaktio-nellen Korrekturen, sondern sie gingen an die Substanz der kommunalen Selbst-verwaltungsidee, wie sie dem Freiherrn vom Stein vorgeschwebt hatte. Es ist deshalb schlechterdings irreführend, von der „Steinschen Städteordnung . . . in der dem bürokratischen Obrigkeitsstaat angepaßten Fassung von 1853" zu spre-chen 137. Geblieben war allenfalls das Gehäuse, der Inhalt hatte sich fundamental verändert. Zwar diskret, doch in wünschenswerter Klarheit hat Clauswitz schon vor acht Jahrzehnten auf die konservative Wende, die der Steinschen Städteord-nung zum Verhängnis wurde, aufmerksam gemacht: „Was die Regierung so nach und nach geändert oder hinzugefügt hatte, widersprach zum Teil dem Geiste des ursprünglichen Gesetzes, aber bei dessen Erlaß war man von anderen Gesichts-punkten ausgegangen, die später den leitenden Behörden fern lagen"138.

Als die Rheinprovinz, die sich von Anfang an für eine rechtliche Gleichstellung von Stadt und Land ausgesprochen hatte, im Jahre 1856 diesen Kampf endgültig verlor und fortan mit zwei Ordnungen zu leben hatte, war ein halbes Jahrhundert vergangen, seit Napoleons Maßnahmen die ersten Steine aus dem schon etwas morsch gewordenen Gebäude des spätfriderizianischen Stadtregiments herausge-

134 Die Gesetzestexte: GS 1856, 265-292 (6), 359-364 (7), 435-444 (8). 135 Clauswitz (Anm. 23), 240. 136 Vgl. ebd., 246 f., und Richter (Anm. 127), 646. 137 Diese Formulierung benutzt Heffter (Anm. 12), 608. 138 Clauswitz (Anm. 23), 244.

6 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

82 lija Mieck

brochen hatten. Viele Wege waren inzwischen beschritten worden, um die Bürger in Stadt und Land zur Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten zu bewegen, doch von einer Gradlinigkeit dieser Bemühungen konnte schon bald nach 1808 nicht mehr die Rede sein. Vollends in der Restaurationszeit und nach der Revolution drängten die gegenläufigen Kräfte nach vorn und ließen die ohnehin recht schwachen Pflänzchen städtischer Selbstverwaltung eher verküm-mern.

Schon die Revidierte Städteordnung von 1831 brachte eine deutliche Ein-schränkung der kommunalen Rechte, und diese Tendenz setzte sich kontinuierlich fort. Die Übernahme des Drei-Klassen-Wahlrechts in die Gemeindeordnung und in die Städteordnung von 1853 zeigte schließlich am augenfälligsten, was der preußische Staat von einer Demokratisierung der Stadtverfassung hielt. Und die Bürger reagierten entsprechend: Hatten an der Wahl 1850 noch 76 % der Wahlbe-rechtigten teilgenommen, so sank der Anteil bei den Ergänzungswahlen von 1852 auf 40, 1854 auf 31 %, wobei es in der Dritten Klasse nur 19,5% waren139. Resignation und politische Apathie, von der Reaktion durchaus erwünscht, griffen allenthalben um sich, wie schon einmal in der „Stillstands- und Polizeiperiode der 20er und 30er Jahre" (Fontane).

Die enttäuschten Hoffnungen nach der Märzrevolution und die konservative Grundstimmung bewirkten wohl auch, daß die Stadtverordneten nach 1853 die wenigen Möglichkeiten, die ihnen die neue Städteordnung noch ließ, kaum nutz-ten. „Die wichtigsten Entscheidungen für Berlin fällten staatliche Behörden. Die Stadt verlor auf fast allen kommunalpolitischen Feldern den Anschluß an die moderne Entwicklung"140. Unter ihrem Präsidenten v. Hinckeldey gewann die staatliche Polizeibehörde „wegen der Entschlußlosigkeit der städtischen Selbst-verwaltungsorgane sogar beherrschenden Einfluß" in den Belangen der preußi-schen Hauptstadt.

Die vom Freiherrn vom Stein 1807 erstrebte „Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinns,.. . der Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihren Ansich-ten und Bedürfnissen und denen der Staatsbehörden"141 sollte durch die Städteord-nung von 1808 zumindest annäherungsweise erreicht werden. Doch die guten Absichten zerbrachen am Widerstand der restaurativen Kräfte, und das Gesamter-

139 Ebd., 248. 140 Jürgen Wetzel, Oberbürgermeister Heinrich Wilhelm Krausnick und die Berliner

Kommunalpolitik von 1834-1862, in: „ . . . taub für die Stimme der Zeit". Zwischen Königstreue und Bürgerinteressen. Berlins Oberbürgermeister H. W. Krausnick von 1834-1862 (Ausstellungskataloge des Landesarchivs Berlin 4), Berlin 1986, 69 f. Dort auch das folgende Zitat. Den Zusammenhang zwischen der „Inaktivität der städtischen Behörden" und „der allgemeinen Resignation und politischen Apathie der Reaktionszeit" unterstreicht erneut Jürgen Wetzel, Heinrich Wilhelm Krausnick, in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Stadtoberhäupter. Biographien Berliner Bürgermeister im 19. und 20. Jhdt. (Berlinische Lebensbilder 7), Berlin 1992, 103 f.

141 Nassauer Denkschrift, in: Winter (Anm. 9), 202.

Städtereform in Preußen (1806 - 1856) 83

gebnis der Städtereform war, zieht man nach einem halben Jahrhundert Bilanz, mehr als enttäuschend: Weder gab es ein die ganze Monarchie umfassendes Stadtregiment, noch hatte sich die Idee der verantwortlichen Bürgerbeteiligung an der kommunalen Selbstverwaltung wirklich durchsetzen können. Betrachtet man beispielsweise das wenig erfreuliche Bild, das die Selbstverwaltungsorgane der preußischen Hauptstadt in den 50er Jahren boten, stellen sich sogar Zweifel ein, ob die oben zitierten Lobsprüche im Hinblick auf die „Fernwirkung" der Städteordnung von 1808142 eigentlich berechtigt sind. Schließlich wurde die Städteordnung 1850 amtlich aufgehoben, und von den diversen Nachfolge- und Anschlußgesetzen erreichte keins die Liberalität der Ordnung von 1808. So darf dieses preußische Reformgesetz auch weiterhin als ein außergewöhnlicher Ent-wurf angesehen werden, dessen Realisierung aber in den Niederungen des politi-schen Alltagslebens auf große Schwierigkeiten stoßen mußte, weil der Wind längst aus einer anderen Richtung zu wehen begonnen hatte.

142 Siehe oben, 53.

*

Landgemeinde und staatsbürgerliche Gleichheit

Die Auseinandersetzungen um eine allgemeine Kreis- und Gemeindeordnung während der preußischen Reformzeit*

Von Manfred Botzenhart, Münster

Eine tiefgehende Erneuerung der städtischen und ländlichen Kommunalord-nungen sowie der Kreisverfassung gehörte von Anfang an zu den Zielen der preußischen Reformpolitik. Den verantwortlichen Ministern und ihren Mitarbei-tern war klar, daß eine durchgreifende Modernisierung von Staat und Gesellschaft die untere Verwaltungsebene nicht unberührt lassen konnte. Trotz weitgehender korporativer Rechte, welche das Allgemeine Landrecht den städtischen und länd-lichen Kommunen eingeräumt hatte, war die städtische Selbstverwaltung auf Grund der Eingriffsmöglichkeiten von staatlichen Steuerräten oder — in Garni-sonsstädten — des Militärs, in Folge aber auch des Desinteresses der Bürgerschaft weitgehend abgestorben. Auf dem Lande ließen die obrigkeitlichen Funktionen von Rittergutsbesitzern und Domänenverwaltungen, von Korporationen und Stif-tungen sowie die aus der Erbuntertänigkeit entstehenden vielfachen Abhängig-keitsverhältnisse der Bauern zumindest in den östlichen Provinzen Preußens ein selbständiges Gemeindeleben nicht aufkommen. Auf den Kreistagen waren in der Regel nur die adeligen Grundbesitzer vertreten, aus deren Reihen auch der Landrat genommen wurde.

In den Auseinandersetzungen der Reformer um die Gestalt einer neuen Kreis-und Landgemeindeordnung spiegelt sich somit nicht nur das Bestreben nach einer Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten am öffentlichen Leben, sondern auch das Ringen um die Überwindung ständestaatlicher Strukturen in der preußi-schen Gesellschaft, und die Reformer wurden sich der allgemeinen verfassungs-und gesellschaftspolitischen Implikationen dieses Komplexes auch sehr schnell bewußt. Bevor man sich mit Problemen der Kommunalordnung im Detail befasse, meinte der spätere schlesische Oberpräsident Merckel1 im Mai 1809, müsse man sich über die Grundprinzipien der künftigen preußischen Verfassung verständi-gen, vor allem über den Grundsatz der staatsbürgerlichen Gleichheit. Eine zeitge-

* Stilistisch überarbeiteter und mit Anmerkungen versehener, im übrigen unveränder-ter Abdruck des in Hohengeismar gehaltenen Referates. Für mannigfache Hilfen, vor allem bei der Beschaffung der Literatur und dem Lesen der Korrekturen, danke ich Frau Katja Mitze und Herrn Lothar Snyders.

i Friedrich Theodor v. Merckel (1775-1846), 1809 Regierungsrat, später Regie-rungspräsident in Breslau, ab 1816 Oberpräsident von Schlesien.

86 Manfred Botzenhart

mäße Neuordnung der Lokalverwaltung sei erst möglich, „wenn die Verfassung die Stände nicht mehr unterscheidet vor dem Gesetz, erst dann, wenn die Nation nur ein Interesse kennt und nur von einem Gemeingeist belebt ist"2. Ebenso wurde umgekehrt auch betont, daß Entscheidungen über die Grundstruktur der Kommunalverfassung notwendig präjudizierende Folgen für die Gestalt der Pro-vinziallandtage und der Nationalrepräsentation haben müßten. Dementsprechend wurde auch der Kampf der Konservativen gegen die Verfassungspolitik der Reformzeit auf allen Ebenen gleichzeitig geführt.

Während die Einführung einer neuen Städteordnung noch unter Stein in er-staunlich kurzer Zeit im ersten Anlauf glückte, kamen die Pläne für eine Verwal-tungsreform auf dem Lande über das Stadium von Entwürfen, Gutachten und Gegengutachten nicht hinaus. Das lag nicht zuletzt daran, daß in den Städten trotz aller sozialen Unterschiede bereits eine mittelständische Schicht von selb-ständigen Kaufleuten, Handwerkern, Gewerbetreibenden, Beamten und Angehö-rigen akademischer Berufe existierte, während auf dem Lande die Verhältnisse noch durch Herrschaft und Untertänigkeit geprägt waren, jeder Reformschritt notwendig zu Kollisionen mit den Interessen des Gutsadels führte und überdies noch gar nicht abzusehen war, ob aus den Agrarreformen ein selbständiges mittelständisches Bauerntum und Landhandwerk hervorgehen würde, das Träger einer bäuerlichen Selbstverwaltung werden könnte. Trotz dieser Schwierigkeiten unternahmen die preußischen Reformer immer wieder neue Anläufe zur Neuge-staltung der ländlichen Kommunalordnungen, und noch zu den letzten Verfas-sungsinitiativen Hardenbergs in den Jahren 1819/20 gehörten auch Entwürfe für eine allgemeine Kreis- und Kommunalordnung, was in der historischen For-schung, abgesehen von Obenaus und v. Unruh3, bisher zu wenig beachtet wird.

2 Heinrich Scheel / Doris Schmidt (Hrsg.), Von Stein zu Hardenberg. Dokumente aus dem Interimsministerium Altenstein / Dohna, bearb. von Doris Schmidt (Akademie der Wissenschaft der DDR. Schriften des Zentralinstituts für Geschichte, Bd. 54), Berlin 1986, 276 (9. Mai 1809).

3 Herbert Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus in Preußen bis 1848 (Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus), Düsseldorf 1984, 128 ff., und Georg-Christoph von Unruh, Die Kreisordnungsentwürfe des Freiherrn vom Stein und seiner Mitarbeiter 1808-1810-1820, in: Westfälische Forschungen 21, 1968,5-41. Von Unruh beschränkt sich allerdings nach einer kurzen Einleitung auf den Abdruck der wichtigsten Kreisordnungsentwürfe, ohne auf die damit im Zusammenhang zu sehenden Entwürfe für eine Landgemeindeordnung einzugehen. Sehr gedrängt auch die Ausführungen v. Unruhs in: Kurt G. A. Jeserich u. a. (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes, Stuttgart 1983, 419 ff. Nur ganz knapp behandelt auch Heinrich Heffter das Gendarmerie-Edikt Hardenbergs und die Arbeiten der „Friese-Kommission" (vgl. dazu unten 97-99): Hein-rich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen, 2. Aufl., Stuttgart 1969, 111 und 129 f. Huber widmet den Problemen der Kreis- und Landgemeindereform ebenfalls nur wenige Seiten: Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I, Reform und Restaura-tion 1789 bis 1830, 2. Aufl., Stuttgart 1981, 178 ff. Vornehmlich das Scheitern der Kreisreform behandelt Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848 (Indu-

Landgemeinde und staatsbürgerliche Gleichheit 87

Das berechtigte Ansehen, welches die Steinsche Städteordnung in allen Darstel-lungen zur Geschichte der deutschen Selbstverwaltung genießt, verschleiert nur allzu leicht die Tatsache, daß Preußen in Fragen der ländlichen Kommunalverfas-sung bis in die Zeit der Weimarer Republik zu den rückständigsten Gliedstaaten des deutschen Reiches gehörte.

Blieben die Bemühungen der Reformer um die Kreis- und Landgemeindeord-nung im ganzen also erfolglos, so vermittelt eine Beschäftigung mit ihren Entwür-fen doch höchst aufschlußreiche Einblicke in ihre unterschiedlichen verfassungs-und gesellschaftspolitischen Konzeptionen — und vor allem unter dem Aspekt einer Art Verfassungsdebatte innerhalb der preußischen Verwaltungselite wird die Diskussion über die ländliche Kommunalordnung im folgenden nachgezeich-net werden.

Der hohe Rang des Selbstverwaltungsgedankens innerhalb der Reformideen des Freiherrn vom Stein soll hier nicht im einzelnen erörtert werden, da als bekannt vorausgesetzt werden kann, wie hoch Stein die Beteiligung am öffentli-chen Leben der Gemeinde für die Entwicklung von politischem Bewußtsein und staatsbürgerlicher Verantwortung, für die Verbindung von Volk und Staat, für die Vorbereitung auf politische Mitentscheidung in Provinzialständen und natio-naler Repräsentation einschätzte. Seine Vorstellungen über eine künftige Kommu-nal- und Kreisordnung skizzierte Stein in seiner „Nassauer Denkschrift" wie folgt 4:

In den Städten sollte ein von der Bürgerschaft, d. h. „den mit Häusern und Eigentum" angesessenen Bürgern5, auf sechs Jahre gewählter, vom Staat lediglich bestätigter Magistrat unter Hinzuziehung gewählter Stadtverordneter die Verwal-tung des Gemeindeeigentums und der Gemeindeeinrichtungen, die Handhabung der niederen Gerichtsbarkeit und die Wahrnehmung der Polizei im umfassenden Sinne der Fürsorge für Wohlfahrt und Sicherheit der Bürger übernehmen — dies alles unter Rechtsaufsicht des Staates und unter öffentlicher Kontrolle der Bürger-schaft.

Auf den Kreistagen des platten Landes wären nach Steins Vorstellungen alle adeligen Gutsbesitzer mit Virilstimmen sowie gewählte Abgeordnete der in den Kreis eingegliederten Städte und der Landgemeinden erschienen, wobei für akti-ves und passives Wahlrecht wiederum Besitzqualifikationen vorausgesetzt waren. Der Landrat wurde vom Kreistag gewählt, die Patrimonialgerichtsbarkeit aufge-

strielle Welt Bd. 7), 3. Aufl., Stuttgart 1981, 448 ff. Aus der älteren Literatur bleibt wegen des Materialreichtums grundlegend Friedrich Keil, Die Landgemeinde in den östlichen Provinzen Preußens und die Versuche, eine Landgemeindeordnung zu schaffen (Schriften des Vereins für Socialpolitik 43), Leipzig 1890.

4 Freiherr vom Stein, Briefe und amtliche Schriften, bearb. von Erich Botzenhart, neu hrsg. v. Walther Hubatsch, Bd. 2, 1. Teil, neu bearb. von Peter G. Thielen, Stuttgart 1959, 380 ff., bes. 391 f. und 397 f.

5 Ebd., 391.

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hoben und stattdessen Gerichte auf Kreisebene gebildet. Die Entscheidung in Bagatellfällen und die Verhängung von Ordnungsstrafen hätte allerdings weiter-hin zu den Kompetenzen der Lokalverwaltung gehört. Diese sollte nach dem Vorbild der schlesischen Schulzenordnung vom Mai 1804 eingerichtet werden, da sie den Schulzen nach Steins Ansicht in sehr zweckmäßiger Weise „Dorf-und Feldpolizei, Ausführung der landesherrlichen Befehle und gewisse Zweige der unteren Gerichtsbarkeit" übertragen hatte6.

Somit kommen die „Instruktion für die Dorf-Schulzen in Schlesien und der Grafschaft Glatz" vom 1. Mai 18047 und die unter dem gleichen Datum erlassene Dorfpolizeiordnung als mögliche Vorlage für die ersten Kommunalgesetzent-würfe der Reformzeit in Betracht. Sie übertrugen den Gemeinden eine Vielzahl kommunaler Angelegenheiten zu selbständiger Wahrnehmung: Nachtwächter-dienst, vorbeugenden Brandschutz, Feuerwehr, Genossenschaftshilfe bei Feuer-schäden, Reinigung von Wasserläufen, Schneeräumen, Unterhaltung von Wegen und Brücken, Bau und Pflege von Kirchen, Schulen oder sonstigen Gemein-schaftsgebäuden, Einhegung der Weiden, Sorge für Brunnen, Ausstattung von Schmieden, Mühlen und Hirtenhäusern, Anschaffung von Zuchttieren, Bekämp-fung von Seuchen u. a. m.. Die Gemeinde hatte auch obrigkeitliche Pflichten, vor allem die Verfolgung und Verhaftung von Deserteuren oder Verbrechern, die Beobachtung und gegebenenfalls Festnahme von Reisenden, Vagabunden, Bettlern und vor allem von „Aufhetzern", welche die Gemeinde „zu Widersetz-lichkeit oder zu ungegründeten Klagen verleiten"8. Auch gegen das Glücksspiel und gegen das „übertriebene schnelle Fahren und Reiten auf den Straßen und in den Dörfern" 9 hatte die Gemeinde einzuschreiten. Ein weiterer Pflichtenbereich der Gemeinde waren militärische Dienstleistungen wie die Hinnahme von Ein-quartierung, die Lieferung von Verpflegung für Soldaten und Pferde sowie die Leistung von Vorspanndiensten. Die Schulzen- und die Polizeiordnung vermitteln ein sehr anschauliches Bild vom dörflichen Gemeinschaftsleben am Anfang des 19. Jahrhunderts, das offensichtlich sehr viele Elemente korporativer Selbstorga-nisation enthielt. Die Gemeindeversammlungen, welche das Allgemeine Land-recht vor allem für Beschlüsse über das Gemeindevermögen oder die Aufbringung von Umlagen und Diensten vorgesehen hatte10, kennen diese Ordnungen jedoch nicht. Sie tauchen hier nur noch in Gestalt der „Gebote" auf, bei denen alle

6 Ebd. Vgl. auch ebd., Bd. 2, 2. Teil, 700 (Stein an Altenstein, 10. April 1808) und 768 (Stein an Schoetter, 27. Juni 1808).

7 Jetzt bequem zugänglich in der ausführlich kommentierten Ausgabe von Gerhard Wacke, Dorf-Policey-Ordnung und Instruction für die Dorf-Scholzen für das Herzogthum Schlesien und die Grafschaft Glatz vom 1. May 1804 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte), Bd. 15 Würzburg 1971.

s Ebd., 205. 9 Ebd., 194. 10 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten. 2. Teil. 7. Titel. 2. Abschnitt.

(Von den Dorfgemeinden), § 20 und § 52 (hier benutzt nach der „Neuen Ausgabe" Berlin 1806).

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Dorfbewohner erscheinen mußten, um die Anordnungen der Obrigkeit zur Kennt-nis zu nehmen11. Diese Dorfobrigkeit waren der Schulze und zumindest zwei Schöffen, die nach den Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts von der zuständigen Gutsherrschaft und der Gerichtsobrigkeit aus den angesessenen Mit-gliedern der Gemeinde ernannt wurden. Sie waren dem Gutsherren und dem Landrat zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Ihre von Stein genannten richter-lichen Kompetenzen betrafen im Grunde nur Verstöße gegen die Dorfpolizeiord-nung, Beurkundungen u. ä.. In strittige Rechtsfälle durften sie sich nicht einmi-schen 12.

Im ganzen ist diese Schulzen- und Polizeiordnung in starkem Maße von obrig-keitsstaatlichen Elementen geprägt13. Sie enthält keine Anregungen zur Entwick-lung des Selbstverwaltungsgedankens, und auch Stein erwähnt in der Nassauer Denkschrift ein politisches Organ der Dorfgemeinde nicht. Im Sommer 1808 aber verwies er dafür verschiedentlich auf das Vorbild der westfälischen „Erbenta-ge" 14, zu denen sich die selbständigen Bauern jährlich versammelten, um über gemeinsame Angelegenheiten, die Aufbringung von Diensten und Ab-gaben u. dgl., zu beraten und zu beschließen.

Neben diesem westfälischen Vorbild und den schlesischen Ordnungen wurden bei den Vorarbeiten für eine neue Kommunalordnung auch ein Reglement über die Gemeinde-Schulzen in Neu-Ostpreußen vom 5. Februar 1805 und eine Ver-ordnung des Großherzogtums Berg über die Munizipalverwaltung vom 13. Okto-ber 1807 herangezogen15. In ein konkretes Stadium traten diese Überlegungen, als Stein dem ostpreußischen Provinzialminister v. Schroetter16 am 27. Juni 1808 den Auftrag zur Ausarbeitung einer neuen Kreisordnung für die Provinz Preußen

11 Wacke (Anm. 7), 170. 12 Allgemeines Landrecht (Anm. 10), § 79 ff. 13 So auch Gerhard Ritter, Stein. Eine politische Biographie, 4. Aufl., Stuttgart 1981,

187. Wacke (Anm. 7, 133 ff.) hingegen ist der Auffassung, daß angesichts des großen Umfangs der selbständig zu erledigenden Gemeinschaftsaufgaben die dörfliche Selbst-verwaltung faktisch bestanden habe und daß das Fehlen einer beschließenden Gemeinde-versammlung, die obrigkeitliche Ernennung des Schulzen und seine Funktion als Ausfüh-rungsorgan staatlicher und gutsherrlicher Anordnungen demgegenüber nur ein formales, aber kein materielles Defizit bedeute.

14 Stein (Anm. 4), Bd. 2, 2, 700 (Stein an Altenstein, 10. April 1808) und 793 (Stein an Schroetter, 25. Juli 1808).

15 Max Lehmann, Freiherr vom Stein, 2. Teil: Die Reform 1807-1808, Leipzig 1903, 501. Anm. 3. Die Verordnung über die Munizipalverwaltung des Großherzogtums Berg ist gedruckt bei P. A. Winkopp (Hrsg.), Der Rheinische Bund, 12. Heft, Frankfurt 1807, 526 ff. Von Interesse ist hier vor allem Art. 4: „Die Direktoren, Beigeordneten, Polizei-kommissäre und Munizipalräthe werden in den Gemeinden, welche über 2 500 Einwoh-ner haben, von Uns ernannt werden. — Bei den übrigen Gemeinden wird dieselben der Minister des Innern ernennen. Alle diese Ernennungen gschehen nach einer von dem Provinzialrathe vorzulegenden dreifachen Liste" (ebd., 527). Die Schulzenordnung für Neu-Ostpreußen vom 5. Febr. 1805 war mir nicht zugänglich.

16 Friedrich Leopold Reichsfreiherr von Schroetter (1743-1815), 1795-1808 Provin-zialminister für Ostpreußen, 1810 Mitglied des Geheimen Staatsrates.

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erteilte17. Am 13. Oktober lag der Entwurf für eine Kreisordnung vor18, am 24. November der Plan zur Reorganisation der Ortsbehörden19. In groben Zügen sahen Schroetters Vorschläge wie folgt aus:

Die Provinz Preußen wird in 39 Kreise mit im Höchstfall 45 000 Einwohnern eingeteilt. Nur Königsberg bleibt außerhalb der neuen Landkreise. Zwecks besse-rer Handhabung der Kommunalaufsicht werden die Kreise in Distrikte von höch-stens 10 000 Einwohnern untergliedert. Die Lokalverwaltung liegt in den Städten bei den Ortspolizeibehörden, auf dem Lande bei den Gutsbesitzern oder bei den Schulzenämtern. An der Spitze jedes Kreises steht ein Landrat, der für die allgemeine Landespolizei, die Einziehung der Steuern, die Wahrnehmung der Militärangelegenheiten und die Ausführung von Gemeinschaftsaufgaben des Kreises zuständig ist. Die Distrikte unterstehen je einem „Kreisdeputierten", dem die Kommunalaufsicht übertragen ist. Landrat und Kreisdeputierte haben auch richterliche Kompetenzen insofern, als sie bei Verstößen gegen Polizeigesetze Haftstrafen bis zu 14 Tagen Dauer oder entsprechende Geldbußen verhängen dürfen. Landrat und Kreisdeputierte werden aus einer vom Kreistag aufgestellten Liste von der Regierung auf sechs bzw. drei Jahre eingesetzt. Die vorgeschlagenen Kandidaten müssen ein bestimmtes Einkommen aus Grundbesitz oder Gewerbe vorweisen. Die Qualifikation bemaß sich also nach bürgerlichen, nicht mehr ständischen Kriterien.

Der Kreistag, dessen Zusammensetzung und Wahl Schroetter offenließ, hatte die Tätigkeit des Landrats und der Kreisdeputierten zu kontrollieren und vor allem das Kassen- und Rechnungswesen des Kreises zu prüfen. Seine Zustim-mung war für alle neuen Einrichtungen des Kreises und alle finanziellen Belastun-gen nötig. Für die Gemeinden nahm Schroetter eine Mindestgröße von nur 50 Seelen, d. h. also etwa 10 Familien, an, Gutsbezirke und Vorwerke von dieser Mindestgröße sollten als selbständige Verwaltungsbezirke bestehen bleiben. In Bezirken mit adeligen Gütern oder Vorwerken sollten die Gutsbesitzer weiterhin die Lokalverwaltung ausüben. Nur in den Bezirken, wo die Grundstücke „ganz oder größtenteils" den Eingesessenen erblich gehörten, sollten „Schulzenämter" mit einem Schulzen und zwei Geschworenen die Orts Verwaltung handhaben20. Die Dorfgemeinde schlug in diesem Fall zwei Kandidaten für das Amt des Schulzen vor, von denen der Kreisdeputierte einen ernannte. Über weitere Befug-

17 Stein (Anm. 4), Bd. 2, 2, 763 ff. is Heinrich Scheel (Hrsg.), Das Reformministerium Stein. Akten zur Verfassungs-

und Verwaltungsgeschichte aus den Jahren 1807 / 08. Bearb. von Doris Schmidt. (Deut-sche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften des Instituts für Geschichte, Reihe I, Bd. 31 A-C). 3 Bde., Berlin 1966-1968. Vgl. hier Bd. 3, 906 ff. (Begleitschrei-ben Schroetters) und 914 ff. (Kreisordnungsentwurf). Der Entwurf ist auch gedruckt bei v. Unruh, Kreisordnungsentwürfe (Anm. 3), 12 ff.

19 Scheel / Schmidt, Reformministerium Stein (Anm. 18), Bd. 3, 1077 ff. Vgl. auch Keil (Anm. 3), 9 ff.

20 Schmidt / Scheel, ebd., 1078.

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nisse der Gemeindeversammlung, ihre Mitglieder usw. wurde nichts gesagt. Die so eingerichteten Ortsbehörden sollten auch Polizeistrafen bis zur Höchstdauer von acht Tagen Gefängnis aussprechen können. In wie vielen Gemeinden Ost-preußens es unter diesen Umständen zur Bildung frei gewählter Schulzenämter gekommen wäre, ist schwer abzuschätzen. Nach Ansichts Keils wäre dies wohl die Ausnahme gewesen21.

Mit diesem Entwurf Schroetters wurde eine lebhafte Diskussion innerhalb des Kreises der Reformer ausgelöst, die sich vor allem um folgende Punkte drehte:

1. Umfang der Kreise und Notwendigkeit einer Distriktseinteilung.

2. Bestellung des Landrates durch Wahl oder durch königliche Ernennung.

3. Durchführung der Gewaltenteilung auf Kreis- und Ortsebene.

4. Zusammensetzung, Wahl und Befugnisse von Kreistagen und Ortsvertre-tungen.

5. Stellung der Großgrundbesitzer und der Gutsbezirke innerhalb der Kreis Ver-fassung und ihr Verhältnis zu den Landgemeinden.

Eine erste prinzipielle Kritik an dem Kreisordnungsentwurf Schroetters formu-lierte Theodor von Schön, der spätere Oberpräsident von Ostpreußen, damals noch Finanzrat in Berlin, bereits Mitte November 180822.

Schön forderte dabei vor allem, daß alle Träger staatlicher Hoheitsgewalt ihre Autorität direkt oder indirekt der königlichen Macht verdanken müßten. Er be-mängelte deshalb, daß der Kreistag ein Vorschlagsrecht für die Ernennung von Landräten und Kreisdeputierten behalten sollte (letztere hielt er überhaupt für überflüssig). So bleibe das alte Übel bestehen, daß sich die Landräte mehr als Vertreter des kreisangesessenen Gutsadels denn als Beamte des Staates verstün-den und auf Grund der Interessenidentität zwischen ihnen und dem Grundadel „Kontrolleurs in ihrer eigenen Sache"23 seien. Demgemäß müsse auch den Guts-herren als solchen die örtliche Polizei- und Gerichtsbarkeit genommen und statt dessen in jeder Gemeinde ein Schulzenamt gebildet werden, das unter Aufsicht eines staatlich ernannten Friedensrichters Lokalverwaltung und Bagatelljustiz handhaben sollte. Die drei Mitglieder des Schulzenamtes müßten von den Land-räten ernannt werden. Dem Schulzenamt, so heißt es bei Schön ausdrücklich, „ist jeder, er sei von welchem Stande er wolle, unterworfen" 24. Er schloß nicht aus, daß auch ein Gutsherr zum Schulzen über seinen Guts- oder Gemeindebezirk ernannt werden könnte. Ein mit dem Besitz verbundenes vererbbares Recht oder einen Anspruch auf das Amt sollte es aber nicht mehr geben, und in jedem Fall wäre auch bei Übertragung des Schulzenamtes an den Gutsherrn die Mitwirkung

21 Keil (Anm. 3), 82. 22 Schmidt I Scheel, Reformministerium Stein (Anm. 18), 1016 ff. (14. Nov. 1808). 23 Ebd., 1017. 24 Ebd., 1018.

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von zwei Schöffen und die Aufsicht des Friedensrichters wirksam geworden. Zur Zusammensetzung und Funktion von Kreistagen und Gemeindevertretungen äußerte sich Schön ebensowenig wie Schroetter.

In den folgenden Monaten erhielt Schön Schützenhilfe vor allem vom General-landschaftspräsidenten v. Auerswald25 und dem Kammerpräsidenten v. Brosco-vius26. Auerswald meinte, es sei „ganz zweckwidrig und unangemessen", den Gutsbesitzern die örtliche Polizeigewalt anzuvertrauen27. So werde es nie zu einem Abbau der bekannten großen Mißstände in der Lokalverwaltung kommen. Ebensowenig dürften die Landräte von den adeligen Gutsbesitzern gestellt wer-den. Kaum einer von ihnen sei bereit, im Konfliktfall die Autorität der Regierung gegen den Widerstand seiner adeligen Standesgenossen durchzusetzen. Auch Broscovius befürwortete prinzipiell die Ernennung der Landräte durch den König, wollte den Kreisständen aber doch ein Vorschlagsrecht zubilligen, sofern der König die Möglichkeit behalte, auch die ganze Vorschlagsliste abzulehnen28.

In seiner Erwiderung auf Schöns Krit ik 29 wies Schroetter zunächst daraufhin, daß nach den Vorstellungen des ostpreußischen Provinzialdepartements die Kreis-tage künftig aus Vertretern des Großgrundgesitzes, der Städte und der Landge-meinden bestehen sollten und daß deshalb die Kandidaten für das Landratsamt nicht notwendig Adelige sein würden. Die Abschaffung des Wahlprinzips bei der Besetzung des Landratsamtes und dessen Übertragung an besoldete Beamte widersprächen in jeder Hinsicht dem Geist der Reformpolitik, welche die Beteili-gung der mündigen Bürger an den Staatsgeschäften zum erklärten Ziel habe. Ein solcher Schritt würde „nicht allein den Adel, sondern alle ( . . . ) Klassen der ländlichen Einsassen zum höchten Mißvergnügen reizen, ohne daß irgendeine zureichende Veranlassung dazu vorhanden sein könnte"30. Schroetter verteidigte auch noch einmal seinen Vorschlag, die Lokalverwaltung in allen Gemeinden mit adeligen Besitzungen den Gutsherren zu übertragen. Der doktrinäre Grund-satz, es könne kein angeborenes oder käufliches Recht zur Ausübung der Polizei-gewalt geben, sei nicht ausführbar, wenn man nicht eine „für die ganze Staatsver-waltung höchst ungünstige Sensation" in Kauf nehmen wollte31. Er plädierte dafür, die bisherige Stellung der Rittergutsbesitzer und die ihnen ohnehin abver-langten Opfer ebenso zu berücksichtigen wie „den großen Mangel an Bildung der untern Volksklasse"32. Er sprach sich überhaupt für behutsame und schritt-

25 Hans Jakob v. Auerswald (1757-1833), 1814-1824 Oberpräsident von Ostpreußen und Litauen.

26 Johann Daniel v. Broscovius (ca. 1745-1809), ab 1807 Kammerpräsident in Gum-binnen.

27 Schmidt / Scheel, Von Stein zu Hardenberg (Anm. 2), 114 (31. Jan. 1809). 28 Ebd., 118 (2. Febr. 1809). 29 Scheel I Schmidt, Reformministerium Stein (Anm. 18), 1065 ff. (24. Nov. 1808). 30 Ebd., 1071. 31 Ebd., 1068. 32 Ebd., 1072.

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weise Reformen aus: „Bei Anwendung des entgegengesetzten Verfahrens kann auffallende Sensation und große Unzufriedenheit nicht ausbleiben"33.

Schön ließ sich dadurch gleichwohl nicht überzeugen: „Wenn der Regierer nicht die Instrumente seiner Regierung bestimmen darf, so ist er abhängiger als ein Wahlmonarch. Ich glaube, dies widerstreitet dem Wesen unserer Verfas-sung"34, meinte er in seiner Entgegnung auf Schroetters Vorstellungen. Zwar sei der „heftigste Widerstand" der Gutsbesitzer zu erwarten35, doch müßten ihre öffentlich-rechtlichen Kompetenzen aufgehoben werden, da sie Eingriffe in die höchste Gewalt seien. Der Kampf gegen den Grundadel müsse allerdings „mit dem heiligsten Eifer 36" und dem Willen zu konsequenter Entschlossenheit aufge-nommen werden. Halbherzigkeit und Selbstzweifel würden einen Erfolg von vornherein ausschließen.

Zwei gegensätzliche Ansätze innerhalb des Kreises der Reformer standen sich hier gegenüber: Das Konzept der behutsamen konservativen Reform unter mög-lichster Schonung bestehender Strukturen, wie es letztlich auch der Freiherr vom Stein bevorzugte, und das System einer liberalen Modernisierung unter weitge-hender Aufhebung historischer Rechte, wie es im Grunde Hardenberg verfolgte, wenn auch nicht mit dem von Schön verlangten kämpferischen Durchsetzungswil-len.

Da Schroetter Ende 1808 aus dem Amt schied, beteiligte er sich nicht weiter an den Diskussionen über die Kommunalreform.

Einen neuen Gedanken brachte dann der spätere westfälische Oberpräsident Ludwig Freiherr von Vincke im März 1809 in die Diskussionen um die Schroetter-schen Entwürfe ein37. Vincke hatte sich im Jahre 1800 und noch einmal 1807 längere Zeit in England aufgehalten und von dort ein ausgesprochenes Faible für das englische „Seif Government" mitgebracht, das er in einer 1810 verfaßten, 1815 von Niebuhr veröffentlichten Schrift auch eigens darstellen und würdigen sollte38. Er kannte außerdem aus eigener Anschauung die auch von Stein so positiv bewerteten westfälischen Erbentage und hatte schon im Sommer 1808 Gutachten zur Reform der Kreis- und Lokalverwaltung ausgearbeitet39.

33 Ebd., 1076. 34 Ebd., Anm. 11 (13. Dez. 1808). 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Scheel / Schmidt, Von Stein zu Hardenberg (Anm. 2), 193 ff. (19. März 1809). 38 Ludwig Freiherr v. Vincke, Darstellung der inneren Verwaltung Großbritanniens,

hrsg. v. Barthold Georg Niebuhr, Berlin 1815. 39 Scheel / Schmidt, Reformministerium Stein (Anm. 18), 585 ff. (4. Juni 1808), 610 ff.

(14. Juni 1808), 701 ff. (3. Aug. 1808). Über Vinckes nach seinen eigenen Worten „sehr tätige Projektenfabrik" des Sommers 1808 s. Heinrich Kochendörffer, Vincke. 2. Teil (1807-1816), Soest 1933, 65 ff. (ebd., 65 das Zitat).

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Auch Vincke schlug vor, den Gutsherren die Polizei- und Gerichtsgewalt zu entziehen, hielt es jedoch für unzumutbar, sie oder ihren Gutsbezirk der Autorität bäuerlicher Schulzen zu unterstellen. Er regte daher an, die Schulzen zu reinen Ausführungsorganen ohne selbständige Verantwortung zu machen, die Recht-sprechung in jedem Kreis nach englischem Vorbild einem Kollegium von 15 unter sich gleichberechtigten Friedensrichtern und die Exekutive ebenso einem Gremium von Landräten zu übertragen. Landräte, Friedensrichter und Schulzen sollten vom König ernannt werden. Die Einrichtung eines Kreistages hielt Vincke für überflüssig 40. Für die Gemeindeverfassung sollte nach seiner Ansicht so weit wie möglich die mittlerweile in Kraft getretene Städteordnung adaptiert werden41. Eine wesentliche Modifikation schlug Vincke dafür schon selber vor: An die Stelle des Gremiums gewählter Stadtverordneter sollte eine jährliche Vollver-sammlung aller Gemeindemitglieder treten, welche mindestens 20 magdebur-gische Morgen Land zu Eigentum oder Pacht hatten42. Hier ist offenbar das Vorbild der westfälischen Erbentage wirksam geworden. Etwa 80-100 Feuerstel-len hätten nach Ansicht Vinckes eine Gemeinde ausgemacht.

Auch Staatsrat Köhler43, der bis zum Tode Hardenbergs noch mehrere Gesetz-entwürfe zur Kommunalreform ausarbeiten sollte, wollte den Landräten ihren Charakter als Repräsentanten des Kreises nehmen und sowohl Landräte als auch Schulzen zu staatlich ernannten Beamten machen. Der Einsetzung von Friedens-richtern widersprach er und schlug stattdessen vor, „die eigentlich entscheidende und strafende Gewalt in die Hände des Kreislandrates allein " zu legen44.

Im ganzen schien sich also die Waage zugunsten einer autoritär-bürokratischen Gestaltung der ländlichen Kommunalverfassung zu neigen. Die Befürworter die-ser Lösung glaubten nur auf diese Weise die Herrschaftsstellung des Grundadels auf dem Lande brechen zu können, welche nach ihrer Ansicht der geplanten umfassenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Modernisierung im Wege stand. Die Gefahr war allerdings, daß diesem Macht- und Beglückungsanspruch der Verwaltung nicht nur überkommene korporative Freiheitsrechte, sondern auch die Begründung neuer Formen kommunaler Selbstverwaltung geopfert wer-den könnten.

Bei etwa diesem Stand der Dinge schaltete sich auch Minister Dohna in die Diskussion ein und erweiterte sie dabei noch um eine Dimension. Er bat den früheren preußischen Kammerdirektor Borsche45, der 1808 vorübergehend im

40 Scheel I Schmidt, Von Stein zu Hardenberg (Anm. 2), 196. 41 Ebd., 203 (25. März 1809). « Ebd., 205 f. 4 3 Christian Philipp Köhler, Staatsrat im Innenministerium (Lebensdaten waren nicht

zu ermitteln). 44 Scheel I Schmidt, Von Stein zu Hardenberg (Anm. 2), 267 (5. Mai 1809). 45 Samuel Gottfried Borsche (1767-1821), ab 1803 Kammerdirektor in Heiligenstadt,

1810 Staatsrat im preußischen Finanzministerium.

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napoleonischen Königreich Westphalen Präfekt des Harz-Departements gewesen war und dabei die Einführung des französischen Verwaltungssystems miterlebt hatte, um ein Gutachten über die Vor- und Nachteile der Maine- Verfassung 46. Insbesondere bat er um eine Stellungnahme zu folgenden Punkten: Umfang der Kreise, Bestellung des Landrats, jurisdiktionelle Kompetenzen der Kreis- und Lokalbehörden, Eingliederung der Gutsbezirke in den Gemeindeverband. Beson-ders die letzte Frage lag ihm sehr am Herzen, und er bat um Auskunft darüber, ob dies nicht im Königreich Westphalen zu Unmut und Unruhe geführt habe. Es bestehe doch offensichtlich die Gefahr, durch einen solchen Schritt „zum größten Nachteil des allgemeinen Besten den patriotischem und gebildetem Teil der Bewohner des platten Landes im höchsten Grade mißvergnügt, denselben vor dem ungebildetem Teil abhängig zu machen und den größeren Produzenten die nachteiligsten Hindemisse in der Ausübung ihres Gewerbes in den Weg zu legen47". Dohna neigte zur Beibehaltung der selbständigen Gutsbezirke, wollte aber keinen Unterschied zwischen adeligen und nicht-adeligen Großgrundbesit-zern machen.

In seiner Antwort befürwortete Borsche eine weitgehende Übernahme der westfälischen Einrichtungen, mit der Maßgabe allerdings, daß die Mitglieder der Gemeinderäte nicht von der Regierung ernannt, sondern von den Mitgliedern der Gemeinde gewählt werden sollten48. Einwände Dohnas veranlaßten ihn später dazu, einen eigenen Entwurf für eine Gemeindeordnung vorzulegen49, nach dem die Existenz selbständiger Gutsbezirke wieder zulässig gewesen wäre. Der Schult-heiß der Landgemeinden sollte weiterhin ein vom Staat auf Lebenszeit ernannter Beamter sein.

Dohna selbst hat seine Vorstellungen offenbar erst während der Staatskanzler-schaft Hardenbergs in einer Aufzeichnung vom 1. Juli 1810 präzisiert50. Er ging hier davon aus, daß erst eine vollständige Durchführung der Agrarreformen und die Klärung der Rechts- und Eigentumsverhältnisse auf dem Lande die unerläßli-chen Vorbedingungen für die Autonomie der Landgemeinden schaffen können. Vor allem die jetzt noch nahezu unmündigen, ökonomisch völlig geschwächten, über keinen Realkredit verfügenden Lassiten mit schlechten Besitzrechten seien vorläufig zu echter Selbstverwaltung nicht imstande. Anders die von Eigentümern und Erbpächtem bewohnten Dörfer (und das waren seit Juli 1808 alle Domänen-dörfer), die nach Dohnas Schätzung immerhin zwei Drittel der preußischen Landgemeinden ausmachten. In ihnen glaubte Dohna Schulzenämter ohne staatli-che Aufsicht einrichten zu können. In den Dörfern der Lassiten hingegen sollte der Gutsherr als „natürlicher Oberschulze" eventuell das Recht haben, den Schul-

46 Scheel I Schmidt, Von Stein zu Hardenberg (Anm. 2), 377 ff. (1. Aug. 1809). 47 Ebd., 379. 48 Keil (Anm. 3), 93 (August 1809). 49 Vgl. ebd., 94. Ebd. 12 ff. Druck des Entwurfs Borsches, datiert vom 5. Juni 1810. so Ebd., 95 f.

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zen vorzuschlagen, während er auf seinen eigenen Besitzungen das Schulzenamt selbst ausgeübt hätte51. Ob sich Dohna in seinen Aufzeichnungen auch zu den anderen im Mittelpunkt der Diskussion stehenden Fragen geäußert hat, ist aus der bisher vorliegenden Literatur nicht ersichtlich.

Abgesehen von seiner Anfrage bei Borsche hatte Dohna aber auch dem schon erwähnten Staatsrat Köhler den Auftrag gegeben, den Entwurf für eine Gemeinde-ordnung auszuarbeiten. Er war Ende September 1809 fertiggestellt 52 und darf als das konsequenteste, nahezu revolutionäre Projekt zur Neuordnung des ländli-chen Kommunalwesens aus der Reformzeit bezeichnet werden. An den Anfang seiner Denkschrift stellt Köhler das persönliche Bekenntnis, daß er im Grunde Verfechter „einer reinen Monarchie mit voller Würksamkeit von den obersten bis zu den untersten Behörden aller Art" 5 3 sei. Mit der Einführung der Städteord-nung wäre nun aber einmal die Entscheidung zugunsten des Repräsentativsystems gefallen, und so müsse man diesen Weg auch mit voller Konsequenz weitergehen. Das gesamte Verfassungsleben des Staates von der Nationalrepräsentation an sei demgemäß „auf das Prinzip der natürlichen Gleichheit der staatsbürgerlichen Rechte"54 zu gründen. Köhler wendet sich vehement gegen den ganzen „Ideenin-begriff der adeligen Gutsbesitzer"55 und meint, es sei eine „abgedroschene Flos-kel", daß der Erbadel „eine notwendige Stütze der erblichen Monarchie sei"56. Damit wird endgültig deutlich, daß Köhlers monarchistische Grundeinstellung weniger eine anti-demokratische, als vielmehr eine anti-adelige Stoßrichtung hatte. Daß solche Vorstellungen innerhalb der preußischen Reformbürokratie offen ausgesprochen und zur Grundlage von Gesetzentwürfen gemacht werden konnten, ist beachtenswert, und es ist nur konsequent, wenn Köhler gleichsam im Vorbeigehen die Entwürfe Rehdigers für eine ständisch gegliederte Nationalre-präsentation verwirft, welche in den Grundzügen Steins Beifall gefunden hatten57.

Die wichtigste Folgerung, die Köhler aus seinen Grundauffassungen ableitet, wird von ihm eindeutig formuliert: „Die Gutsbesitzer sollen aus eigentlichen Herren für sich Mitglieder einer Gemeinde werden58". Das würde zwar sehr viel

51 Ebd., 96. 52 Der Entwurf Köhlers, datiert vom 27. Sept. 1809, ist bei Keil, ebd., 22 ff. gedruckt,

die begleitende kommentierende Denkschrift bei Scheel / Schmidt , Von Stein zu Harden-berg (Anm. 2), 422 ff.

53 Scheel / Schmidt, ebd., 423. 54 Ebd. 55 Ebd., 436. 56 Ebd., 437. 57 Ebd., 436. Zu den Verfassungsplänen Rehdigers, der Mitglied der Gesetzgebungs-

kommission im Range eines Staatsrates war, s. Obenaus (Anm. 3), 38 ff. Uber die Stellungnahme Steins dazu s. Ritter (Anm. 13), 280 ff. sowie Stein (Anm. 6), 852 ff. und 920 ff.

58 Scheel / Schmidt, Von Stein zu Hardenberg (Anm. 2), 425.

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Unwillen erregen, müsse aber durchgesetzt werden, da „eine Begünstigung der gutsherrlichen Rechte" nicht im Sinne der Regierungspolitik sei59 und der Kreis-verband nicht aus heterogenen Elementen wie städtischen und dörflichen Gemein-den einerseits, Gutsbezirken andererseits bestehen könne. Köhler übersieht die Schwierigkeiten nicht, die sich aus den großen sozialen Unterschieden auf dem Landes sowie aus fehlender Bildung und mangelnder politischer Reife der Bauern ergeben können, hält sie jedoch für überwindbar. Er möchte die Städteordnung in Übereinstimmung mit Vincke und Merckel60 so weit wie möglich auf das Land übertragen und übernimmt aus ihr die Unterscheidung zwischen Einwoh-nern mit vollem Bürgerrecht und Angesessenen oder Schutzverwandten, die an der Selbstverwaltung aktiv nicht beteiligt sind. Nur die selbständigen spannfähi-gen Bauern und Gutsbesitzer sollen das Gemeindebürgerrecht haben. Bei einer Mindestgröße der Gemeinden von 60 Feuerstellen oder etwa 300 Einwohnern sollten diese Grundeigentümer entweder durch gewählte „Landverordnete" oder auch in Gemeindeversammlungen ihre Angelegenheiten erledigen (letzteres dann, wenn die Gemeinde weniger als 20 vollberechtigte Bürger hatte). Als Träger der Lokalverwaltung war ein „Oberschulze" vorgesehen, wobei allerdings nach § 135 des Gesetzentwurfes „jederzeit, wo nicht besondere Umstände entgegenstehen, auf die Klasse der Guts- und Vorwerksbesitzer, als die gebildetste und einfluß-reichste, vorzugsweise Rücksicht genommen werden"61 mußte. Auch Köhler sah sich also zu gewissen pragmatischen Zugeständnissen an den Großgrundbesitz gezwungen. Die den Oberschulzen als weitere Mitglieder des Schulzenamtes beigegebenen Schulzen sollten von der Gemeinde gewählt, vom Landrat bestätigt werden. Über die Stellung des Landrates und die Kompetenzen des Kreistages äußerte sich Köhler in diesem Entwurf für eine Gemeindeordnung nicht. Er schlug nur vor, einen Abgeordneten aus jeweils 300 Einwohnern in den Kreistag zu wählen und das passive Wahlrecht dafür ohne ständische Unterscheidungen an Ansässigkeit und an ein Einkommen aus Grundbesitz von 500 Talern zu binden.

Daß dieser Entwurf den Beifall Dohnas kaum gefunden haben dürfte, darf als sicher angenommen werden, auch wenn eine direkte Stellungnahme Dohnas bisher nicht bekannt ist. Es liegt jedoch ein kritisches Votum des Vortragenden Rates Friese62 vor, der unter Hardenberg der wohl wichtigste Experte für Fragen der Kommunalverfassung wurde. Friese sprach sich gegen die Übertragung der Städteordnung auf das platte Land aus, weil dort noch sehr viel stärkere soziale,

59 Ebd., 424. 60 Vgl. dazu Keil (Anm. 3), 96 ff. 61 Scheel / Schmidt (Anm. 58), 43. 62 Datiert vom 15. Nov. 1809, gedruckt bei Scheel / Schmidt , Von Stein zu Hardenberg

(Anm. 2), 477 ff. Karl Ferdinand Friese (1769-1837) war 1808 Vortragender Rat im Innenministerium geworden und hatte 1813/14 unter Stein dem Zentralverwaltungsrat der Verbündeten angehört. 1817 wurde er Präsident der Staatsbank und Mitglied des Staatsrates.

7 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

98 Manfred Botzenhart

wirtschaftliche und rechtliche Unterschiede, alte Herrschaftsstrukturen und Inter-essendivergenzen zu berücksichtigen seien. Er sah keine zwingende Notwendig-keit, die Gutsbezirke in die Landgemeinden einzugliedern. Zu weiteren Details wollte er zunächst keine Stellung nehmen, regte vielmehr an, sich zunächst unter Beteiligung der Gesetzgebungskommission über die Grundprinzipien der Kom-munalverfassung zu verständigen.

Gleichwohl machte Friese noch Vorschläge zur Zusammensetzung der Kreis-stände. Er hielt die von Köhler vorgesehenen Zensusschranken für zu hoch und wollte vor allem das Erfordernis der Ansässigkeit streichen, weil man sonst fast den „gesamten Gelehrtenstand und sämtliche Pächter" vom passiven Wahlrecht ausschließen würde, obwohl man doch gerade unter den Pächtern „nicht selten gebildetere Subjekte antrifft als bei den Gutsherren selbst"63. Die Mitglieder des Kreistages sollten zu je einem Viertel von den städtischen und den ländlichen Gemeinden durch indirektes Verfahren von Wahlmännern, zu einem weiteren Viertel von den Gutsbesitzern direkt gewählt werden. Die restlichen Abgeordne-ten hätten die auf diese Weise bestimmten 75 % der Kreistagsmitglieder kooptiert. Die Mitglieder des Kreistages sollten ohne weitere ständische Differenzierungen die Abgeordneten der Provinziallandtage bestimmen. Zensusqualifikationen wa-ren allerdings auch hier vorgesehen.

Ein neues Stadium der Beratungen wurde unter der Kanzlerschaft Hardenbergs erreicht, als Friese im Dezember 1810 detaillierte Entwürfe sowohl für eine Kreis- als auch für eine Landgemeindeordnung ausarbeitete64. Erstmals lag damit eine Konzeption für die Verwaltungsreform auf dem Lande aus einem Guß vor.

Für die Landgemeindeordnung hielt Friese daran fest, daß Dörfer und „Großgü-ter" als im Extremfall sehr kleine Verwaltungseinheiten nebeneinander bestehen bleiben konnten (15 Feuerstellen hätten bereits ein Dorf, 600 Morgen und 60 Seelen ein Großgut ausgemacht). Ähnlich wie in der Städteordnung wurde zwi-schen Gemeinde-Mitgliedern und Schutzverwandten unterschieden. Jeder Grund-besitzer oder selbständige Gewerbetreibende mußte Gemeindemitglied werden. Dienstboten, Tagelöhner, Knechte usw. waren Schutzverwandte. Zur Beratung von Gemeindeangelegenheiten traten alle Gemeindemitglieder zu Vollversamm-lungen zusammen. Überstieg die Zahl der dazu Berechtigten 50, wurden Gemein-deverordnete gewählt.

Die Gemeindeverwaltung lag beim Schulzenamt, das aus einem Schulzen und zwei Schöffen bestand. Der Schulze wurde auf Vorschlag der Gemeinde vom Landrat ernannt, die Schöffen vom Schulzen bestimmt. Das Schulzenamt konnte Polizeistrafen bis zur Höhe von fünf Talern verhängen. Einzelheiten blieben einer späteren Instruktion vorbehalten.

63 Scheel I Schmidt, Von Stein zu Hardenberg (Anm. 2), 478. 64 Druck des Kreisordnungsentwurfes bei v. Unruh (Anm. 3), 23 ff. und des Entwurfs

für die Landgemeindeordnung bei Keil (Anm. 3), 51 ff. (beide datiert vom 29. Dez. 1810).

Landgemeinde und staatsbürgerliche Gleichheit 99

Der Kreisordnungsentwurf Frieses enthielt insofern einen neuen Gedanken, als darin eine duale Verwaltungsstruktur in Form eines Nebeneinanders von Landrat und Kreisdirektor vorgesehen war. Der Landrat wäre offensichtlich als oberstes staatliches Aufsichtsorgan sowohl gegenüber dem Kreisdirektor als auch gegenüber dem Kreistag von der Regierung allein ernannt worden. Von seiner Zustimmung waren vor allem Beschlüsse über neue finanzielle Belastungen des Kreises abhängig, und er konnte Beschlüsse des Kreistags suspendieren, wenn dieser seine Kompetenzen überschritt oder gesetzliche Bestimmungen mißachte-te. Der Kreisdirektor hinwiederum wurde allein vom Kreistag gewählt; selbst von einer Bestätigung durch die Regierung ist nicht die Rede. Er führte die Kreis verwaltung in eigener Verantwortung, konnte dafür jedoch die Hilfe gewähl-ter Beigeordneter in Anspruch nehmen.

Die Kreisstände wären von Wahlversammlungen gewählt worden, die wie folgt zusammengesetzt waren: 1. aus den Besitzern von Großgütern (mit Viril-stimmen), 2. aus den Gemeindeverordneten der Städte und der größeren Landge-meinden, 3. aus Wahlmännern, die in den Zwerggemeinden nach dem Verhältnis von einem Wahlmann auf 100 Einwohner gewählt werden sollten. Diese Wahl-männer mußten über Grundbesitz von 120 Morgen verfügen, selbständig ein Gewerbe betreiben oder ein jährliches Einkommen von mindestens 300 Talern haben.

Diese Wahlversammlung hätte sämtliche Mitglieder des Kreistags gewählt, und zwar einen auf jeweils 100 Einwohner, wobei für eine Übergangszeit von 18 Jahren noch ständische Unterschiede insofern berücksichigt worden wären, als die Zahl der Einwohner von Städten, Landgemeinden und Großgütern auch den Maßstab für die Zahl der Abgeordneten abgeben sollte, welche jede Klasse von Kreiseinwohnern zu entsenden hatte. Das passive Wahlrecht für den Kreistag war an Zensusbestimmungen gebunden, welche geringfügig höher waren als bei den Wahlmännern.

Ob dieser Gesamtplan in Regierungskreisen genauso lebhaft diskutiert wurde wie frühere Entwürfe, ist aus den bisher publizierten Materialien nicht zu erken-nen. In dem Gendarmerie- Edikt Hardenbergs vom 30. Juli 181265, das die nächste Stufe der Entwicklung darstellt, findet sich von Frieses Konzeptionen allerdings kaum eine Spur.

Über die Einrichtung einer vom Militär getrennten staatlichen Polizeitruppe nach französischem Vorbild war in preußischen Regierungskreisen bereits seit der Amtszeit Steins diskutiert worden66, und Sack67 hatte als Leiter des Allgemei-

6 5 Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1812, Nr. 20, 141 ff. 66 Ernst v. Meier , Die Reformen der Verwaltungsorganisation unter Stein und Harden-

berg, 2. Aufl., Berlin 1912, 388 ff. 67 Johann August Sack (1764-1831), Oberfinanzrat, seit 1806 Zivilgouverneur von

Berlin. 1813/14 in leitender Stellung bei der Verwaltung der befreiten Gebiete Nord-und Westdeutschlands. 1816 wurde er Oberpräsident von Pommern.

7*

100 Manfred Botzenhart

nen Polizeidepartements im Verlauf des Jahres 1811 in mehreren Schreiben an Hardenberg auf die hohe Dringlichkeit dieser Angelegenheit hingewiesen. Im Staatskanzleramt hat danach vor allem Hardenbergs enger Mitarbeiter Scharn-weber68 den Plan verfolgt, die Errichtung einer Gendarmerie mit der Neuorganisa-tion der Kreisbehörden zu verbinden. Von ihm stammt der nahezu wörtlich als Gesetz publizierte Entwurf für das Gendarmerie-Edikt, das nach Auffassung Kosellecks geradezu „im Schnittpunkt" der Politik Hardenbergs im Bereich der Verfassungs- und Verwaltungsreform stand69.

Die Präambel des Ediktes bezeichnete es als seine Aufgabe, eine Reihe bekann-ter Mißstände in der Verwaltung des platten Landes zu beheben, vor allem die unzureichenden Durchgriffsmöglichkeiten der Regierung zu verbessern und das „Uebergewicht" zu beseitigen, „welches einzelne Klassen von Staatsbürgern durch ihren vorherrschenden Einfluß auf die öffentlichen Verwaltungen aller Art haben70".

Nach dem Edikt sollte der preußische Staat neu in Kreise von etwa gleicher Größe eingeteilt werden. Nur die sieben bedeutendsten Städte blieben kreisfrei, während die kleineren Orte als Städte 2. Klasse in die Kreise eingegliedert wurden. An die Spitze jedes Kreises trat ein vom Staat ernannter, beamteter Kreisdirektor. „Das Amt des Kreisdirektors wird künftig vom Staate aufgetragen, die Wahl desselben durch die Kreisstände nicht mehr stattfinden und aller Reprä-sentativ-Charakter davon getrennt sein"71, heißt es in Art. V I der Einleitung des Ediktes. Weitere Einrichtungen des Kreises waren das Kreisgericht, die Kreisren-dantur und die Kreiskommunalverwaltung.

Dem Kreisdirektor — und darin liegt das eigentlich Neue und Überraschende des Edikts — wurden sechs Vertreter der Bevölkerung unter der Bezeichnung „Kreisdeputierte" an die Seite gestellt, die mit dem Kreisdirektor und dem Kreis-richter ein Kollegium bilden und zusammen mit ihnen in freier Geschäftsvertei-lung die Kreisgeschäfte wahrnehmen sollten. Die eigentliche juristische Verant-wortung hatten dabei Kreisdirektor und Kreisrichter zu tragen.

Die Kreisdeputierten sollten von Wahlmännern gewählt werden, welche zu je einem Drittel von den Rittergutsbesitzern, den städtischen und den ländlichen Gemeinden bestimmt wurden. Je zwei der sechs Deputierten sollten auf eine der drei Klassen entfallen. Ein Kreistag war nicht vorgesehen. In der Lokalverwaltung sollte bis zum Erlaß einer neuen Kommunalordnung vorerst alles beim alten bleiben.

68 Christian Friedrich Scharnweber (1770-1822) war seit der Tätigkeit Hardenbergs in Ansbach-Bayreuth einer seiner engsten Mitarbeiter, vornehmlich dann in Fragen der Agrarreform. 1817 wurde er Mitglied des Staatsrates. Über seine Rolle bei der Formulie-rung des Gendarmerie-Ediktes s. v. Meier (Anm. 66), 393 ff.

69 Koselleck (Anm. 3), 195 f. 70 Gesetzsammlung 1812 (Anm. 65), 141. 71 Ebd., 143.

Landgemeinde und staatsbürgerliche Gleichheit 101

Im Gendarmerie-Edikt hatte sich somit unvermittelt eine Konzeption durchge-setzt, die zu den Grundideen auch des Freihern vom Stein gehörte, in den bisherigen Diskussionen aber kaum eine Rolle gespielt hatte: Die „Amalgamie-rung" von Administration und Repräsentation in der Form, daß sachkundige, aus dem Volk genommene Deputierte als gleichberechtigte, aber ehrenamtlich tätige Mitarbeiter auf Zeit in den Behörden arbeiten sollten, um auf diese Weise prakti-sche Erfahrung der Bürger und unmittelbare Bedürfnisse der Bevölkerung in den Ämtern zur Geltung bringen zu können72. Auch Hardenberg hat in dem großen Reformprogramm seiner „Rigaer Denkschrift" vom September 180773 im An-schluß an Altensteins Vorarbeiten mit großem Nachdruck die Amalgamierung der Repräsentanten der Bevölkerung mit den Behörden auf allen Stufen der Staatsverwaltung gefordert und die Einrichtung eigener repräsentativer Körper-schaften abgelehnt74. In der Rigaer Denkschrift hatte Hardenberg auch schon vorgeschlagen, die Ernennung des Kreisvorstehers ausschließlich der Regierung zu übertragen, und zwar „ohne Rücksicht auf den Stand"75. Ob die entsprechenden Bestimmungen des Gendarmerie-Edikts auf Hardenberg selbst zurückgeführt werden können oder ob sie nur im Staatskanzleramt von Scharnweber aufgegrif-fen wurden, sei dahingestellt. Eigenartig bleibt es auf jeden Fall, daß man in diesem Stadium der Reformdiskussion noch einmal auf den Gedanken der Amal-gamierung von Repräsentation und Administration zurückgriff, der doch dem modernen Prinzip der Gewaltenteilung diametral widersprach — und dies unge-achtet der schlechten Erfahrungen, die man in Königsberg bereits mit der Abord-nung ständischer Vertreter in die Kammer gemacht hatte76.

Auf die Einrichtung einer staatlichen, dem Kreisdirektor unterstellten Sicher-heitspolizei, die dem Edikt seine Bezeichnung gegeben hat, soll hier nicht näher eingegangen werden. Wichtig war daran vor allem, daß nunmehr alle Mittel zur Ausübung staatlicher Gewalt in der Hand des Kreisdirektors waren: „Die Stellen der Exekutoren bei den Regierungen, Oberlandesgerichten, Magisträten und Un-tergerichten, oder wie diese Behörden einen Namen haben mögen, werden dem-nach aufgehoben und deren Funktionen außer Kraft gesetzt", heißt es in § 55 des Ediktes77.

Wegen der Kriegshandlungen der Jahre 1812-14 kam das Gendarmerie-Edikt von vornherein kaum zur Anwendung78. Sofort nach seiner Verkündung erhoben

7 2 Vgl. dazu Steins Ausführungen in der Nassauer Denkschrift: Stein (Anm. 4), 389 ff. und bes. 393. Zum Gedanken der Zusammenführung von Verwaltung und ständischer Vertretung s. auch Ritter (Anm. 13), 194 ff. und vor allem Obenaus (Anm. 3), 34 ff.

73 Georg Winter (Hrsg.), Die Reorganisation des Preußischen Staates unter Stein und Hardenberg. Erster Teil: Allgemeine Verwaltungs- und Behördenreform. Bd. 1 (Publi-kationen aus den Preußischen Staatsarchiven, Bd. 93), Berlin 1931, 302 ff.

74 Ebd., 318 f. 75 Ebd., 318. 76 Obenaus (Anm. 3), 45 f. 77 Gesetzsammlung 1812 (Anm. 65), 151.

102 Manfred Botzenhart

außerdem Justizminister Kircheisen und der Chef des Departements für die Sicherheitspolizei im Innenministerium, v. Bülow, die beide vorher nicht beteiligt worden waren, schwere sachliche Einwände gegen das Edikt. Nicht befragt worden war auch die damals gerade tagende „Interimistische Nationalrepräsenta-tion". Diese forderte in Eingaben vom 19. August und 26. September 1812 — gegen den Widerspruch allerdings ihrer bäuerlichen Mitglieder — die Beibehal-tung der Patrimonialgerichtsbarkeit und der gutsherrlichen Polizeigewalt und die Unterordnung von Schulzen und Dorfgerichten unter die gutsherrliche Autorität. Sie verlangte außerdem ein Vorschlagsrecht des Kreises bei der Ernennung des Kreisdirektors. Als Hardenberg dennoch am 11. Dezember 1813 die Wahl der Kreisdeputierten gemäß den Bestimmungen des Ediktes anordnete, liefen so zahlreiche Proteste von ständischen Versammlungen und auch einzelnen Gutsbe-sitzern ein, daß man sich zur Suspendierung des Gesetzes entschloß. Zur Begrün-dung wurde dabei interessanterweise angeführt, daß die Verfassungspläne des Staatskanzlers auf eine strenge Trennung von ständischer Repräsentation und staatlicher Administration zielten und das Gendarmerie-Edikt insofern völlig systemwidrig sei79.

Die Suspendierung der neuen Kreisordnung kam den Anhängern der Selbstver-waltung entgegen — noch mehr jedoch (und darin zeigt sich wie auch bei anderen Fragen der ganze janusköpfige Charakter der Opposition gegen das System Hardenberg) den Vertretern der bedrohten altständischen Interessen, in denen „noch nach Jahrzehnten die Erregung über dies verwegene Projekt nachzitterte"80. Mit der mangelhaften Vorbereitung, der ungenügenden Klärung der verfassungs-politischen Grundprinzipien, der überhasteten Einführung und der schnellen Preisgabe des Gendarmerie-Ediktes hat sich das Ministerium Hardenberg kein Ruhmesblatt erworben.

Das Scheitern der Verfassungspolitik Hardenbergs, deren wichtigste Stationen hier als bekannt vorausgesetzt werden können, brachte dann auch das vorläufige Ende aller Bemühungen um die ländliche Kommunalreform. In seinen „Ideen zu einer landständischen Verfassung für Preußen" vom Oktober 181981 hatte Hardenberg geschrieben: „Das beste Fundament der Verfassung ist eine zweck-mäßige Munizipal- und Kommunalordnung. Sie ist also das nächste dringende Bedürfnis" 82. Die freien Eigentümer jeder Kommune, so skizzierte Hardenberg seine Vorstellungen, sollten ihre lokalen Angelegenheiten selbst verwalten und Deputierte für einen Kreistag wählen, der aus den im Kreis ansässigen Standesher-

78 Vgl. zum Folgenden v. Meier (Anm. 66), 404 ff.; Keil (Anm. 3), 410, und Koselleck (Anm. 3), 195 ff. und 204 ff.

79 v. Meier (Anm. 66), 407. so Keil (Anm. 3), 111 unter Berufung auf Carl Wilhelm v. Lancizolles Buch: Über

Königstum und Landstände in Preußen, Berlin 1846, 179 f f 81 Druck bei Heinrich v. Treitschke , Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 2. Teil:

Bis zu den Karlsbader Beschlüssen, 9. Aufl., Leipzig 1922, 637 ff. 82 Ebd., 637.

Landgemeinde und staatsbürgerliche Gleichheit 103

ren mit Virilstimmen und Abgeordneten der Gutsbesitzer, der kleinen Städte und der Landkirchspiele bestehen sollte. Der Kreistag hätte die Abgeordneten der Provinziallandtage, diese die Mitglieder der nationalen Repräsentation zu wählen. Die Kommunalordnung wäre somit die Basis für den ganzen Verfassungsaufbau gewesen.

Für die Ausarbeitung dieser Kreis- und Kommunalordnung wurde im Februar 1820 eine Kommission unter dem Vorsitz Frieses gebildet, der unter anderen auch Vincke und Köhler angehörten83. Ihre vom 7. August datierten Gesetzent-würfe 84 sahen in den Grundlinien wie folgt aus:

Die Abgeordneten des Kreistages sollten zu einem Drittel von den Großgrund-besitzern direkt, zu zwei Dritteln von den städtischen und ländlichen Gemeinden nach dem Maßstab der Einwohnerzahl indirekt gewählt werden. Das passive Wahlrecht war an die relativ hohe Zensusschranke von 500 Talern Einkommen gebunden, doch waren auch die Inhaber öffentlicher Ämter wählbar. Wahlmänner sollten in den Städten die Stadtverordneten, auf dem Lande die Schulzen und Schöffen sein. Die Mitglieder des Kreistages sollten nach dem Grundsatz der allgemeinen Repräsentation ein freies Mandat haben. Die Friese-Kommission ging davon aus, daß der Landrat ohne Mitwirkung des Kreistags von der Regie-rung allein bestimmt werden würde. In seinen Händen lag die ganze Kreisverwal-tung und gegebenenfalls die Bestätigung und Ausführung der Kreistags-beschlüsse. In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es dazu: „Daß ( . . . ) nur dem Landrate die Vollziehung der Kreis-Beschlüsse und (. ..) der Versamm-lung der KreisVerordneten keine Art von Administration, auch nicht des gering-sten Anteils an der vollziehenden Gewalt, zugestanden werden dürfe, würde selbst dann, wenn es in der Theorie minder begründet wäre, nach all den schlech-ten Erfahrungen, die man von ständischen Administrationen gemacht hat, nicht mehr zu bezweifeln sein"85. Damit war das Gendarmerie-Edikt endgültig begra-ben.

Der gleichzeitig vorgelegte Entwurf für eine Landgemeindeordnung ailer Pro-vinzen des preußischen Staates entsprach dem Entwurf Frieses vom Dezember 1810: Beibehaltung der selbständigen Gutsbezirke, wo sie noch bestanden; Unter-scheidung von Dorfbewohner in Gemeindegenossen und Schutzverwandte; Über-tragung der Gemeindeverwaltung an von der Gemeinde gewählte, vom Staat bestätigte Schulzen und Schöffen; Einführung von Gemeindeversammlungen in kleineren Gemeinden mit bis zu 30 Gemeindegenossen; Wahl von 6 bis 15 Gemeindeverordneten in den größeren Dörfern. Vincke hatte sich allerdings gegen den Erlaß einer einheitlichen Landgemeindeordnung für ganz Preußen

8 3 Über die weiteren Mitglieder der „Friese-Kommission" und ihre Arbeit s. Obenaus (Anm. 3), 428 ff.; v. Unruh (Anm. 3), 10 ff. und 37, Anm., sowie Keil (Anm. 3), 114 ff.

8 4 Druck bei v. Unruh, ebd., 31 ff. (Kreisordnung und kommentierende Denkschrift) und bei Keil, ebd., 87 ff. (Landgemeindeordnung).

S5 v. Unruh, ebd., 41.

104 Manfred Botzenhart

ausgesprochen86, Köhler erneut gegen die Selbständigkeit der Gutsbezirke votiert (so auch schon in einem Kommunalordnungsentwurf vom Januar 181587). Neu war an dem Entwurf der Friese-Kommission, daß jetzt die Bildung von „Samtge-meinden" vorgesehen war, d. h. der Zusammenschluß mehrerer Zwerggemeinden für die Übernahme kommunaler Aufgaben größerer Art (z. B. Unterhaltung von Kranken- und Armenhäusern). Mit dem Sieg der konservativen Kräfte in Preußen wurden auch diese Entwürfe Makulatur.

Nachdem Wilhelm v. Humboldt im Jahre 1819 zum Minister für ständische Angelegenheiten ernannt worden war, hatte er sich in mehreren Denkschriften zur preußischen Verfassungsfrage geäußert und darüber auch mit Stein korrespon-diert88. Beide Staatsmänner waren sich darin einig, daß die Selbstverwaltung das beste Mittel für die ,JLrziehung des Volkes zur Einsicht und Tat"* 9 sei und in diesem Sinne das Fundament der preußischen Verfassung bilden müsse. Der König von Preußen konnte sich im Jahre 1820 jedoch nicht dazu entschließen, diesen Weg einzuschlagen. Als in den Jahren 1825-1828 neue Kreisordnungen für alle preußischen Provinzen erlassen wurden, versuchte die Regierung viel-mehr, „ im Osten den status quo der Sozialstruktur einfrieren zu lassen, im Westen

86 Keil, ebd., 120. 87 Druck bei Keil, ebd., 77 ff. 88 Humboldts Denkschrift zur preußischen Verfassungsfrage vom 4. Febr. 1819 ist

gedruckt bei Bruno Gebhardt (Hrsg.), Wilhelm von Humboldts politische Denkschriften, Bd. 3 (Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften, hrsg. v. der Königlich Preußi-schen Akademie der Wissenschaften, Bd. 12), Berlin 1901,226 ff. Steins Stellungnahme dazu in Stein, Briefe (Anm. 4), Bd. 6, neu bearb. von Alfred Hartlieb von Wallthor, Stuttgart 1965, 25 ff. Vgl. auch Arndt Schreiber, Wilhelm von Humboldt und Karl Freiherr vom Stein. Über Einrichtung landständischer Verfassungen in den preußischen Staaten, Heidelberg 1949.

89 So Stein in einer Humboldt ebenfalls mitgeteilten Denkschrift vom 10. Okt. 1815, in: Stein (Anm. 4), Bd. 5, neu bearb. von Manfred Botzenhart, Stuttgart 1964, 432, wörtlich übernommen von Humboldt in seiner Denkschrift vom Oktober 1819: Humboldt, Politische Denkschriften (Anm. 88, 2. Hälfte), 399. Nach den weitgehend übereinstim-menden Vorstellungen Humboldts und Steins wären für die einzelnen Provinzen Preußens unterschiedliche Gemeinde- und Kreisordnungen erlassen worden. Eigentum und Ansäs-sigkeit sollten Grundlage des Gemeindebürgerrechts sein, die Wahlen jedoch im Unter-schied zur Städteordnung von 1808 nicht nach Gemeindebezirken, sondern durch berufs-ständische Korporationen erfolgen. Der Staat hätte das Recht zur Bestätigung der Schul-zen gehabt, die von den Gemeinden vorgeschlagen werden sollten. Die Sonderstellung der Gutsbezirke in den östlichen Provinzen wäre prinzipiell beibehalten worden. Der Kreistag sollte aus den Gemeindevertretungen heraus gewählt werden. Der Landrat wäre vom König auf Grund einer Vorschlagsliste des Kreistags ernannt worden.

Auch der sonst vor allem im Rahmen der Heeresreform hervorgetretene General Boyen hat sich damals in einem Schriftwechsel mit Humboldt intensiv mit der preußi-schen Verfassungsfrage auseinandergesetzt, woran Stefan Hartmann während der Diskus-sion auf der Tagung in Hofgeismar erinnerte. Vgl. dazu Friedrich Meinecke, Das Leben des Generalfeldmarschalls Hermann v. Boyen, Bd. 2, Berlin 1899,337 ff. Nach Meinecke (ebd., 344) gab es in wesentlichen Punkten bemerkenswerte Übereinstimmungen zwi-schen den Vorstellungen Boyens und den Entwürfen Köhlers, obwohl Boyen diese kaum gekannt haben dürfte.

Landgemeinde und staatsbürgerliche Gleichheit 105

dagegen die Anpassung an den Osten soweit wie möglich voranzutreiben"90. Bis zum Ende der preußischen Monarchie und sogar noch bis weit in die Zeit der Weimarer Republik hinein blieben die Kreis- und Gemeindeordnungen in den östlichen Provinzen Preußens eine durch Halbherzigkeit und Zugeständnisse an den Großgrundbesitz geprägte Stütze des Konservativismus.

90 Koselleck (Anm. 3), 465.

I I .

„Soll die Nation veredelt werden, so muß man Freiheit,

Selbständigkeit und Eigentum geben"

Die preußischen Agrarreformen in der Geschichtsschreibung der DDR*

Von Helmut Bleiber, Berlin

Ein besonderes Anliegen der DDR-Geschichtswissenschaft bestand von Be-ginn an in der kritischen Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Gewalt-herrschaft und der Rolle Deutschlands in den beiden Weltkriegen in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. Die Opfer der Kriege und das Vermächtnis des antifaschistischen Widerstandes verpflichten zur Auseinandersetzung mit der faschistischen Ideologie, mit dem Rassenwahn, dem Dünkel von Herrenmen-schentum, der Kriegsverherrlichung und militaristischem Ungeist. Diese Ausein-andersetzung schloß notwendigerweise die Geschichte ein, und sie traf zunächst nicht selten auch Erscheinungen und Tatbestände der Vergangenheit, die von der Naziideologie zur historischen Rechtfertigung faschistischer Politik benutzt worden waren, obwohl sie ihrem Wesen und ihrem geschichtlichen Zusammen-hang nach mit Faschismus nicht das Geringste zu tun hatten.

Die Geschichte Preußens, von den Naziideologen bekanntlich in hohem Maße als Quelle für obrigkeitsstaatliches und militaristisches Denken und als Rechtferti-gung für politisches Abenteurertum und für Durchhalteappelle strapaziert, wurde zu einem bevorzugten Feld kritischer Vergangenheitsbewältigung. Dieser Vor-gang war unausweichlich, und unvermeidlich war dabei wohl auch, daß die notwendige Zuspitzung manche Überspitzung mit sich brachte. Die Schrift von Ernst Niekisch „Deutsche Daseinsverfehlung"1 oder der Titel des Buches von Alexander Absuch „Der Irrweg einer Nation"2 zeugen von einer Tendenz, die gesamte deutsche Geschichte als eine Kette von Fehlentwicklungen zu deuten. Gegen diese kurz und treffend als Miserekonzeption umschriebene Sicht meldeten sich aber sehr bald auch Stimmen zu Wort, die einen solchen nationalhistorischen Nihilismus ablehnten und dafür eintraten, die Auseinandersetzung mit negativen Erscheinungen in der deutschen Geschichte mit der gebührenden Würdigung der keineswegs fehlenden glanzvollen Seiten zu verbinden3. In diesem Sinne wurde

* Redigierter Text eines Vortrages auf dem vom 9. -11. Oktober 1989 veranstalteten Kolloquium

1 Ernst Niekisch, Deutsche Daseinsverfehlung, Berlin 1946. 2 Alexander Abusch, Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis deutscher

Geschichte, Berlin 1946. 3 Vgl. Werner Berthold, Marxistisches Geschichtsbild — Volksfront und antifaschi-

stisch-demokratische Revolution. Zur Vorgeschichte der Geschichtswissenschaft der DDR und zur Konzeption der Geschichte des deutschen Volkes, Berlin 1970.

110 Helmut Bleiber

1948 der 100. Jahrestag der Revolution von 1848 begangen. Anfang der fünfziger Jahre rückten für einige Zeit die antinapoleonischen Befreiungskriege und in ihrem Umfeld die preußischen Reformer ins Zentrum der Bemühungen um die Erschließung und Popularisierung positiver Traditionen deutscher Geschichte. Äußeren Anlaß bot das einhundertvierzigjährige Jubiläum jener Ereignisse. Die generelle inhaltliche Funktion, einer nur Misere-Sicht auf die deutsche Geschichte entgegenzuwirken, verband sich mit speziellen politisch-ideologischen Bedürf-nissen wie der Förderung von Wehrbereitschaft und der Popularisierung von Traditionen deutsch-russischer Waffenbrüderschaft.

Während ausgangs der fünfziger und in den sechziger Jahren die Intensität des Forschungsinteresses an jenem 1807 beginnenden knappen Jahrzehnt preußi-scher Geschichte insgesamt sichtbar abnahm, blieb sie für einen Teilbereich unvermindert stark erhalten oder stieg sogar. Dieser Teilbereich sind die mit Steins Oktoberedikt 1807 einsetzenden Agrarreformen. Wenn man dieses Phäno-men nicht allein auf persönlich-subjektive Neigungen oder andere Zufälle, die in der Wissenschaftsgeschichte ja bekanntlich auch eine beträchtliche Rolle spie-len, zurückführen will, sondern nach inhaltlich-sachlichen Erklärungen sucht, wird man wohl vor allem in Rechnung zu stellen haben, daß durch die Agrarrefor-men einer jener beiden ökonomischen Grundprozesse vermittelt wurde, die die wirtschaftliche Basis der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft in Deutschland konstituierten. Die Annahme, daß es vor allem diese ihre objektive Funktion als gesetzlich-rechtliche Wegbereiter der agrarkapitalistischen Entwicklung war, die das Interesse der DDR-Forschung an den Agrarreformen bestimmte, wird durch die Tatsache gestützt, daß auch die industrielle Revolution in ähnlicher Weise starke Beachtung fand4. Verkörpert werden das in Rede stehende agrarhistorische Interesse an den preußischen Reformen und die daraus erwachsenen Forschungs-ergebnisse vor allem durch die Namen von Rudolf Berthold, Hartmut Harnisch, Georg Moll, Hans-Heinrich Müller und Klaus Vetter5.

4 Hans Mottek, Zur Literatur über die Entwicklung der Elemente des Kapitalismus innerhalb der Feudalordnung in Deutschland, in: ZfG (1960), Sonderband: Historische Forschungen in der DDR. Analysen und Berichte. Zum XI. Historikerkongreß in Stock-holm 1960, 163-178; Elisabeth Giersiepen, Die deutsche Wirtschafts- und Sozialge-schichte in der Forschungsarbeit der Wirtschaftshistoriker der DDR, in: ebd., 229-244; Karin Lehmann / Heinzpeter Thümmler, Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, in: ZfG (1970), Sonderband: Historische Forschungen in der DDR 1960-1970. Analysen und Berichte. Zum XIII. Internationalen Historikerkongreß in Moskau 1970, 95-120; Auto-renkollektiv des Instituts für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte, in: ZfG (1980), Sonderband: Histori-sche Forschungen der DDR, 1970-1980. Analysen und Berichte. Zum XV. Internationa-len Historikerkongreß in Bukarest 1980, 593-618, Hartmut Harnisch, Forschungen zur Bevölkerungsgeschichte, in: ebd., 660-665.

5 Gerhard Heitz, Die Erforschung der Agrargeschichte des Feudalismus in der DDR (1945-1960), in: ZfG (1960), Sonderband, 116-141; Gerhard HeitzIHanna Haack! Sigrid Dillwitz / Martin Polzin / Hans Georg Wilhelm, Forschungen zur Agrargeschichte, in: ZfG (1970), Sonderband, 121-126; Gerhard Heitz / Renate Schilling / Ilona Ballwanz, Forschungen zur Agrargeschichte, in: ZfG (1980), Sonderband, 619 ff.

Die preußischen Agrarreformen

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Abb. 5: Edikt des Freiherrn vom Stein zur Aufhebung der Leibeigenschaft „Oktoberedikt".

112 Helmut Bleiber

Der im Folgenden zu unternehmende Versuch, einige Ergebnisse der DDR-Forschung zu den preußischen Agrarreformen bzw. deren Behandlung in der DDR-Historiographie vorzustellen, erfordert zunächst den Hinweis auf das Bemü-hen, diese Reformen nicht isoliert nur für sich, sondern in ihrem historischen Umfeld zu erfassen. Theoretisch-konzeptionell fand und findet dieses Bestreben vor allem in der Diskussion um das Verhältnis von Revolution und Reform seinen Niederschlag6. Einmütig wird in der einschägigen DDR-Literatur die Auffassung vertreten, daß die Reformen, die in den deutschen Staaten den Weg zur bürgerlichen Gesellschaft öffneten, ohne die wirkliche Revolution (in Frank-reich) und deren Nachwirkungen und ohne eine befürchtete Revolution oder — präziser — die Furcht vor revolutionären Bewegungen (in Deutschland) nicht denkbar sind. Für den hier interessierenden agrarischen Teilbereich zitiere ich — stellvertretend für andere — Hartmut Harnisch, der ein wichtiges Ergebnis seiner langjährigen Forschungen zur preußischen Agrargeschichte des 18. und 19. Jh. wie folgt formuliert: „Die Agrarreformgesetze wären ohne den Druck der Bauern nicht zustande gekommen, und ebenso ist ihre Verwirklichung un-denkbar ohne die aktive Mitwirkung und das ständige weitere Drängen dieser Hauptklasse der der Auflösung entgegengehenden Feudalgesellschaft"7. „Der Druck von der Basis her war einer der Hauptfaktoren beim Heranreifen der bürgerlichen Umwälzung auf dem Lande seit den letzten zwei bis drei Jahrzehnten vor 1807, und dieser Druck begleitete die Agrarreformen bis zum Siege kapitalisti-scher Produktionvsverhältnisse auf dem Lande"8.

Dieser Druck von unten, die antifeudalen Bestrebungen und Kämpfe der Bau-ern, wurzelten in der autochthonen spätfeudalen Krisensituation der deutschen Gesellschaft ausgangs des 18. Jh. Das Beispiel der französischen Revolution hatte das Aufbegehren gegen die feudalen Zustände wesentlich stimuliert und angefacht9. Hinzu kam, daß von dieser Revolution und dem aus ihr hervorgehen-den bürgerlichen französischen Staat aber auch handfeste direkte Einwirkungen auf die Neugestaltung der Agrarverfassung Deutschlands ausgingen. Sie reichte von der Beseitigung aller feudalen Bindungen in den bis 1814 annektierten linksrheinischen Gebieten über die Anstöße zu liberalen Reformgesetzen in eini-

6 Manfred Kossok / Wolf gang Küttler, Die bürgerliche Revolution: Grundpositionen einer historisch-vergleichenden Analyse, in: Vergleichende Revolutionsgeschichte — Probleme der Theorie und Methode, hrsg. v. Manfred Kossok, Berlin 1988, 1 ff.

7 Hartmut Harnisch, Kapitalistische Agrarreform und industrielle Revolution. Agrar-historische Untersuchungen über das ostelbische Preußen zwischen Spätfeudalismus und bürgerlich-demokratischer Revolution von 1848 / 49 unter besonderer Berücksichtigung der Provinz Brandenburg, Weimar 1984, 28.

8 Ebd., 66; vgl. auch Rudolf Berthold, Die Große Französische Revolution und das preußische Reformwerk, in: 1789 — Weltwirkung einer großen Revolution, hrsg. v. Manfred Kossok und Editha Kross, Berlin 1989, Bd. 1, 218 ff.

9 Ich lehne mich hier und an einigen anderen Stellen an Textpassagen meines Beitrages an, der unter dem Titel „Französische Revolution 1789 und Agrarfrage in Deutschland in der DDR-Geschichtsschreibung" erschienen ist in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Die Französische Revolution und Europa 1789-1799, Saarbrücken 1989, 579 ff.

Die preußischen Agrarreformen 113

gen Rheinbundstaaten bis hin zur militärischen Unterwerfung Preußens auf dem Schlachtfeld von Jena und Auerstedt im Jahre 1806, mit der erst die Voraussetzun-gen für das erfolgreiche Wirken der Reformer in Preußen entstand.

In diesem Punkte einig, gibt es indes auch innerhalb der DDR-Historiographie kontroverse Auffassungen über die Bedeutung der französischen Revolution für den Gang der deutschen und preußischen Geschichte. Umstritten ist das Verhältnis von inneren Voraussetzungen einerseits und äußerem Einfluß andererseits bei der Öffnung für bürgerlich-kapitalistische Entwicklungen. Von Jürgen Kuczyns-ki, dem die DDR-Geschichtswissenschaft zu vielen Sachfragen produktive und kreative Denkanstöße verdankt, wurde und wird zu diesem Punkt seit langem und immer wieder die Auffassung vorgetragen, daß die gesamtgesellschaftliche Situation im Deutschland der zweiten Hälfte des 18. Jh. ausschließlich durch Stagnation, Niedergang und Ausweglosigkeit charakterisiert gewesen sei. Die Wirkungen, die die französische Revolution und ihr großbürgerlich-diktatorischer Nutznießer Napoleon auf Deutschland ausübten, bezeichnete er dementsprechend als „Revolution von Außen und von Oben"10. Forschungsergebnisse, die dieses Gemälde über allgemeinen Stillstand und durchgängige Fäulnis nicht bestätigen, wertet Kuczynski in seiner letzten Äußerung zu diesem Thema ab als „kleine Lichtblicke sich vorwärts entwickelnder Produktivkräfte", die „das düstere Ge-samtbild" nicht veränderten11.

Solch „kleine Lichtblicke", die sich der großen Mehrzahl der DDR-Historiker als bemerkenswerte und ernst zu nehmende Ansätze für Entwicklungen darstellen, die perspektivisch über die spätfeudale Ordnung hinausweisen, förderten alle jene DDR-Autoren zutage, die sich forschungsmäßig mit der Wirtschaftsge-schichte der zweiten Hälfte des 18. Jh. befaßten. Untersuchungen sowohl zur gewerblichen als auch zur landwirtschaftlichen Entwicklung jener Jahrzehnte erbrachten den Nachweis, daß die These vom Stillstand und Verfall in der apodiktischen Form, wie sie vertreten wurde, einer Überprüfung anhand der Quellen nicht standhält12. Für den agraren Bereich haben vor allem Arbeiten von Rudolf Berthold, Hartmut Harnisch und Hans-Heinrich Müller die teilweise durchaus beachtenswerten Ansätze in Richtung kapitalistischer Wirtschaftsent-

10 Jürgen Kuczynski, Darstellung der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1789 bis 1849 (Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Teil I, Bd. 1), Berlin 1961, 45.

11 Ders., Gesellschaften im Untergang. Vergleichende Niedergangsgeschichte vom Römischen Reich bis zu den Vereinigten Staaten von Amerika, Berlin 1984, 41.

1 2 Vgl. Wolf gang Küttler / Ingrid Mittenzwei, Die deutsche Geschichte und der histori-sche Fortschritt im 17. und 18. Jh. Diskussionsfragen zum zweiten Band der „Geschichte des Alltags des deutschen Volkes" von Jürgen Kuczynski, in: ZfG (1981), 621-636; Ingrid Mittenzwei, Preußen nach dem Siebenjährigen Krieg. Auseinandersetzungen zwi-schen Bürgertum und Staat um die Wirtschaftspolitik, Berlin 1979; Horst Krüger, Zur Geschichte der Manufakturen und der Manufakturarbeiter in Preußen. Die mittleren Provinzen in der zweiten Hälfte des 18. Jh., Berlin 1958 (Schriftenreihe des Instituts für Allgemeine Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin, Bd. 3).

8 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

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Wicklungen ins Blickfeld gerückt13. Diese Ansätze äußerten sich etwa in der Nachahmung englischer Vorbilder rationeller lanwirtschaflicher Verfahren und Methoden oder in der freiwilligen Ersetzung feudaler Fronarbeit durch kapitalisti-sche Lohnarbeit seitens ökonomisch aufgeschlossener Gutsherren. Zu den bemer-kenswerten Forschungsergebnissen der DDR-Historiographie zu diesem Sach-komplex gehört der von Klaus Vetter im einzelnen geführte Nachweis, daß die Opposition preußischer Junker gegen die Stein-Hardenbergschen Agrarreformen sich in der Regel keineswegs grundsätzlich gegen den Übergang von feudalen zu kapitalistischen Verhältnissen richtete. Sie zielte vielmehr fast durchweg auf die Erreichung von für die Gutsherren noch günstigeren Loskaufmodalitäten sowie gegen jeden Versuch, ihre politischen Privilegien und Befugnisse zu be-schneiden14.

Dieser Befund einer im Schöße der spätfeudalen Gesellschaft sich ansatzweise ausprägenden Entwicklung kapitalistischer Wirtschaftsbeziehungen, der Entste-hung kapitalistischer Produktionsverhältnisse und damit des Heranreifens objekti-ver Bedingngen für die bürgerliche Umwälzung bietet den einzig brauchbaren Schlüssel zum Verständnis der Tatsache, daß die deutschen Staaten ganz anders als etwa Rußland, aber auch als Spanien oder beliebige andere Länder des europäischen Kontinents einen empfindsamen und aufnahmebereiten Resonanz-boden für die revolutionären Erdstöße bildeten, die im benachbarten Frankreich ab 1789 die alte Ordnung zerstörten15.

13 Rudolf Berthold, Einige Bemerkungen über den Entwicklungsstand des bäuerlichen Ackerbaus vor den Agrarreformen des 19. Jh., in: Beiträge zur deutschen Wirtschafts-und Sozialgeschichte des 18. und 19. Jh., Berlin 1962, 81-131; ders., Die Entwicklungs-tendenzen des Ackerbaus in spätfeudaler Zeit unter besonderer Berücksichtigung des Anteils der Bauern am landwirtschaftlichen Fortschritt, phil. Habil.-Schrift, Berlin 1963; ders., Wachstumsprobleme der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Spätfeudalismus (zir-ka 1500 bis 1800), in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte^1964), IL/JII, 5 - 23; Hartmut Harnisch, Bauerneinkommen, feudale Ausbeutung und agrarischer Fortschritt in der Mark Brandenburg gegen Ende des 18. Jh., in: ebd. (1970), 1,191 -197; ders., Produktiv-kräfte und Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft der Magdeburger Börde von der Mitte des 18. Jh. bis zum Beginn des Zuckerrübenanbaus in der Mitte der dreißiger Jahre des 19. Jh., in: Untersuchungen zur Lebensweise und Kultur der werktätigen Dorfbevölkerung in der Magdeburger Börde vom Ende des 18. Jh. bis zur Gegenwart, in: Landwirtschaft und Kapitalismus in der Magdeburger Börde, 1. Halbbd., Berlin 1978, 67-173; ders., Kapitalistische Agrarreform und Industrielle Revolution. Agrarhistorische Untersuchungen über das ostelbische Preußen zwischen Spätfeudalismus und bürgerlich-demokratischer Revolution von 1848 / 49 unter besonderer Berücksichtigung der Provinz Brandenburg, Weimar 1984; Hans-Heinrich Müller, Entwicklungstendenzen der Vieh-zucht in Brandenburg vor den Agrarreformen von 1807, in: Jahrbuch für Wirtschaftsge-schichte (1966), II, 137-189; ders., Märkische Landwirtschaft vor den Agrarreformen von 1807, Potsdam 1967 (Veröffentlichung des Bezirksheimatmuseums Potsdam, Heft 13); ders., Der agrarische Fortschritt und die Bauern in Brandenburg vor den Reformen von 1807, in: Deutsche Agrargeschichte des Spätfeudalismus, hrsg. v. Hartmut Harnisch und Gerhard Heitz, Berlin 1986, 186-212 (Studienbibliothek DDR-Geschichtswissen-schaft, Bd. 6). Erstdruck in: ZfG (1964), 629-648.

14 Klaus Vetter, Kurmärkischer Adel und preußische Reformen, Weimar 1979.

Die preußischen Agrarreformen 115

Die in der DDR-Historiographie übliche nachdrückliche Betonung des engen Zusammenhangs zwischen französischer Revolution bzw. revolutionärer Bewe-gung in Deutschland einerseits und Reformen in mehreren deutschen Staaten andererseits erfolgt in bewußter Abgrenzung von Auffassungen, die, um den revolutionären Druck von unten aus dem Blickfeld zu verdrängen, eine mehr oder weniger ausgeprägte Eigenständigkeit und Unabhängigkeit spätfeudaler deutscher Regierungen bei der Öffnung für bürgerlich-kapitalistische Entwicklun-gen sehen wollen. Ein spezieller Streitpunkt ist in diesem Zusammenhang die historische Einordnung der agrarpolitischen Reformmaßnahmen Preußens in dem Jahrzehnt vor 1806. Während seinerzeit (1896) Otto Hintze16 und in seinem Gefolge bis in unsere Tage nicht wenige andere Autoren die in den neunziger Jahren des 18. Jh. einsetzenden Bestrebungen zur Reform der Verhältnisse der Domänenbauern als Vorläufer oder als Beginn der Bauernbefreiung in Peußen verstanden wissen wollen, ist von DDR-Historikern nachdrücklich auf die qualita-tiven Unterschiede zwischen den preußischen Agrarreformen vor und nach 1807 hingewiesen worden.

Die wichtigsten Ergebnisse einer Studie über die agrarpolitischen Reformmaß-nahmen in Preußen in dem Jahrzehnt vor 1806 — wiederum aus der Feder von Hartmut Harnisch17 — sind folgende:

Als Motive für die Inangriffnahme von Veränderungen in den Verhältnissen der Domänenbauern durch die preußische Regierung weist der Autor aus Denk-schriften und anderen Quellen die Sorge bzw. Furcht vor bäuerlichen Unruhen nach. Einen ökonomisch-materiellen Grund erkennt er in dem Bestreben, die Getreideproduktion zu erhöhen, um der steigenden Nachfrage im Inland (Bevöl-kerungswachstum in den letzten Jahrzehnten des 18. Jh.) und im Ausland (vor allem England) entsprechen zu können. Das in unserem Zusammenhang bemer-kenswerteste Ergebnis der referierten Untersuchung sind ihre Aussagen zum sozialökonomischen Charakter dieser Reformmaßnahmn. Die sogenannte Eigen-tumsverleihung machte danach die Bauern nicht zu Eigentümern im Sinne bürger-lichen Rechts. Sie brachte ihnen lediglich einen neuen und besseren Status als feudale Eigentümer, einen Status, der dem Erbzinsrecht entsprach. Die Dienste wurden weder entschädigungslos aufgehoben noch in eine kapitalistische Renten-schuld verwandelt, sondern durch eine feudale Geldrente ersetzt. Ohne zu negie-

!5 Helmut Bleiber, Zu den inneren Voraussetzungen und zur Bewertung der preußi-schen Reformen, in: Preußische Reformen — Wirkungen und Grenzen. Aus Anlaß des 150. Todestages des Freiherrn vom und zum Stein (Sitzungsberichte der AdW der DDR (1982), Nr. 1 /G, Berlin 1982, 155-159).

16 Otto Hintze, Preußische Reformbestrebungen vor 1806, in: Historische Zeitschrift, Bd. 76 (1896), 413-443. Wiederabdruck in: ders., Regierung und Verwaltung. Gesam-melte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens, Göttingen 1967, 504-529 (= Gesammelte Abhandlungen, Bd. 3).

17 Hartmut Harnisch, Die agrarpolitischen Reformmaßnahmen der preußischen Staats-führung in dem Jahrzehnt vor 1806 / 07, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1977), Teil III, 136 ff.

8*

116 Helmut Bleiber

ren, daß die Geldform der Feudalrente die letzte und höchste Form dieser Rente ist, deren Einführung logisch-historisch einem Schritt zur Auflösung der feudalen und zur Herausbildung kapitalistischer Produktionsverhältnisse gleichkommt, betont der Verfasser den qualitativen Unterschied dieser den Boden spätfeudaler Eigentumsstrukturen nicht überschreitenden Reformen von jenen, die ab 1807 das Tor zur Ausbildung kapitalistischer Agrarverhältnisse weit öffneten.

In Widerspruch zu seiner in der eben referierten Arbeit enthaltenen Bewertung des Oktoberedikts von 1807 hat Harnisch an anderer Stelle in Anlehnung an Jürgen Kuczynski die Auffassung vertreten, daß die unter der Verantwortung Steins erlassenen agrarischen Reformgesetze noch nicht die Wende gebracht hätten, daß diese Gesetze vielmehr noch als in eine „feudal-humanistische Phase" gehörig zu betrachten seien. Erst mit dem Regulierungsedikt vom September 1811 habe eine qualitativ andere Agrargesetzgebung in Preußen begonnen18.

Von der Mehrzahl der DDR-Autoren ist diese These in dieser zugespitzten Form nicht angenommen worden. Überzeugend, verdienstvoll und weiterführend -so die mehrheitlich vertretene Auffassung — ist die schärfere positive Beleuch-tung der mit dem Namen Hardenberg verknüpften Phase der Reformgesetzge-bung. Eine solche gegenüber früher höhere Bewertung Hardenbers hat auch in entsprechenden Passagen des 1984 erschienenen Bandes 4 der „Deutschen Ge-schichte" ihren Niederschlag gefunden19. Sachlich nicht gerechtfertigt erscheint es jedoch, die agrarreformerischen Schritte und Bemühungen der Jahre 1807 bis 1810 faktisch von denen der folgenden Jahre zu trennen, indem sie als noch nicht bürgerlich-kapitalistisch charakterisiert und damit qualitativ von der Har-denbergschen Phase der Reformzeit abgehoben werden20. Übrigens wird die pauschale Einschätzung der Agrarreformgesetze zwischen 1807 und 1810 als noch feudal von Harnisch faktisch dort selbst in Frage gestellt, wo er jene Gesetze konkret-empirisch behandelt und dabei durchaus auch auf deren antifeudalen und prokapitalistischen Inhalt eingeht.

18 Ders., Vom Oktoberedikt des Jahres 1807 zur Deklaration von 1816. Problematik und Charakter der preußischen Agrarreformgesetzgebung zwischen 1807 und 1816, in: Studien zu den Agrarreformen des 19. Jahrhunderts in Preußen und Rußland. Sonderband des Jahrbuchs für Wirtschaftsgeschichte, Berlin 1978, 229-293. Ders., Kapitalistische Agrarreform und Industrielle Revolution (Anm. 13). Ausgewogener in der jüngsten Äußerung zu diesem Thema: ders., Der Weg zum Regulierungsedikt vom 14. September 1811 oder die endgültige Option für eine kapitalistische Agrarreform in Preußen, in: 1789 — Weltwirkung einer großen Revolution, hrsg. v. Manfred Kossok und Editha Kross, Berlin 1989, Bd. 1, 257-306.

Deutsche Geschichte in 12 Bänden. Bd. 4: Die bürgerliche Umwälzung von 1789-1871, Autorenkollektiv unter Leitung von Walter Schmidt, Berlin 1984, 100 ff.

2 0 Siehe dazu Helmut Bock, Karl Freiherr vom und zum Stein. Soziale und nationale Ziele seines preußischen Reformministeriums zur Zeit des napoleonischen Hegemonial-systems, in: Preußische Reformen — Wirkungen und Grenzen. Aus Anlaß des 150. Todestages des Freiherrn vom und zum Stein (= Sitzungsberichte der AdW der DDR, 1 / 1982), 26 f.; Georg Moll, „Preußischer Weg" und bürgerliche Umwälzung in Deutsch-land, Weimar 1988, 34 ff.

Die preußischen Agrarreformen 117

Bei der Untersuchung der einzelnen Reformmaßnahmen und ihres Zustande-kommens hat die agrarreformerische Konzeption und Tätigkeit von Christian Friedrich Scharnweber, des agrarpolitischen Fach- und Gewährsmannes Harden-bergs, besondere Beachtung gefunden. Wie die anderen Reformer war Scharnwe-ber von der Überzeugung zutiefst durchdrungen, daß feudale Privilegien, Eigen-tumsbeschränkungen und Abhängigkeiten der Entfaltung und dem Aufschwung nicht nur der Landwirtschaft, sondern auch der gewerblichen Produktion den Weg versperrten und daher zu beseitigen seien. Dabei — so wurde unterstrichen — zeichnete sich sein Konzept der Agrarreform gegenüber anderen Plänen durch seinen Grad an Bauernfreundlichkeit aus. Wie die anderen Reformer vertrat auch Scharnweber das Prinzip der Entschädigung der Grundherren für die Aufgabe feudaler Rechte, was für die bäuerliche Bevölkerung die Verpflichtung zum Loskauf und damit die Aufbürdung schwerer Belastungen bedeutete. Im Unter-schied zu anderen Reformern war Scharnweber aber, wie in detaillierter Untersu-chung belegt wurde21, darauf bedacht, die Bauern aller Besitzrechtskategorien in die Regulierung einzubeziehen. Gegen den Widerstand der Gutsherren setzte er durch, daß auch die sogenannten Zeitpachtbauern nicht als bloße Pächter, sondern als Feudalbauern angesehen wurden. Damit wurde der Anspruch der Gutsherren zurückgewiesen, volle Eigentümer des Landes der Zeitpachtbauern zu sein, und diese mußten, um Eigentümer ihrer Stellen zu werden, nicht deren vollen Wert bezahlen. „Die Gesamtzahl der mittleren und großen Bauern in den sechs preußischen Ostprovinzen wäre ohne diesen Erfolg" — so Harnisch — „möglicherweise um schätzungsweise ein Drittel verrringert worden"22.

Dieses Beispiel verdeutlicht anschaulich, welche perspektivische Bedeutung die Art und Weise, die konkreten Festlegungen dieses oder jenes Reformgesetzes erlangten. Neben dem gesetzgeberisch-juristischen Akt, den das Reformwerk darstellt, seinen gesellschaftlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen und seinem politischen und juristischen Inhalt, waren es dann auch gerade der Prozeß der praktischen Umsetzung und damit der ökonomischen, gesellschaftli-chen und politischen Fernwirkungen der preußischen Agrarreformen, die die Aufmerksamkeit der DDR-Historiographie fanden. Hervorgehoben und mit stati-stischem Material belegt wurde, daß Preußen der einzige deutsche Staat war, in dem auf der Grundlage der in der Reformperiode geschaffenen gesetzlichen Bestimmungen, die 1816 zwar eingeschränkt worden, in der Substanz aber doch unangetastet geblieben waren, bereits vor 1830, in den zwanziger Jahren der Prozeß des Loskaufs der Bauern von feudalen Verpflichtungen in breitem Ausmaß im Gange war. Dieser Vorgang setzte sich in den dreißiger und vierziger Jahren zügig fort und führte dazu, daß bis zum Jahre 1848 84 Prozent aller Regulierungen

21 Hartmut Harnisch, Vom Oktoberedikt des Jahres 1807 zur Deklaration von 1816. Problematik und Charakter der preußischen Agrarreformgesetzgebung zwischen 1807 und 1816, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1978), Sonderband, 229-293.

22 Ebd., 275.

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durchgeführt und 94 Prozent der Spann- und 71 Prozent der Handdiensttage abgelöst waren.

Harnisch hat aus diesem Befund den Schluß abgeleitet, daß bis zur Mitte des 19. Jh. in den ostelbischen Provinzen Preußens mit Ausnahme Schlesiens die Durchsetzung und Ausbildung kapitalistischer Verhältnisse in der Landwirtschaft bereits zum Abschluß gekommen sei. Demgegenüber verweisen Berthold, Moll und andere auf das Ausmaß noch bestehender feudaler Verpflichtungen und Bindungen, die erst nach der Revolution von 1848/49 und zum Teil vermittelt durch erst von dieser erzwungene weitere Reformgesetze überwunden wurden. Fortschritte und Grenzen des bis 1848 Erreichten gleichermaßen benennend, formulierte Berthold: „Den Schwerpunkt bei der Durchführung der Agrarrefor-men bildete bis zur Jahrhundertmitte die Beseitigung der persönlichen Unfreiheit aller Bauern, die Herstellung des freien Eigentums an den Produktionsmitteln bei den spannfähigen Bauern und die weitgehende Aufhebung der Spanndienste und die bereits beträchtliche Verringerung der Handdienste. Außerdem wurde die Hälfte aller Gemeinheitsteilungen und Separationen durchgeführt. Aber die große Masse der nichtspannfähigen Kleinstellen und der größte Teil der Feudal-rente der spannfähigen Bauern guten Besitzrechtes (gemeint sind hier vor allem Abgaben der verschiedensten Art — H. B.) waren noch nicht abgelöst"23. „Damit war bis 1850 der von den Bauern bewirtschaftete Teil des Bodens im kapitalisti-schen Sinne frei, aber noch mit erheblichen feudalen Lasten behaftet, was seine kapitalistische Verwertung vorerst einschränkte"24. Das Ende der praktischen Durchführung der Agrarreformen in Preußen wird zumeist in den sechziger Jahren gesehen. Moll hat in seinem 1988 erschienenen Buch „Preußischer Weg und bürgerliche Umwälzung in Deutschland" darauf aufmerksam gemacht, in welch beträchtlichem Ausmaß Auseinandersetzungsverfahren auch noch in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jh. stattgefunden haben25.

Aufmerksam machen möchte ich ferner auf Untersuchungen zur Veränderung der Sozialstruktur der ländlichen Bevölkerung im Ergebnis des durch die Agrarre-formen vermittelten Wandlungsprozesses der Landwirtschaft. Verwiesen sei hier auf eine Studie von Rudolf Berthold über die Veränderungen im Bodeneigentum und in der Zahl der Bauernstellen, Kleinstellen und Rittergüter in den preußischen Provinzen Sachsen, Brandenburg und Pommern während der Durchführung der

23 Rudolf Berthold, Die Entwicklung der deutschen Landwirtschaft von den Agrarre-formen bis zum Ausbruch der allgemeinen Krise des Kapitalismus, in: Agrargeschichte. Von den bürgerlichen Agrarreformen zur sozialistischen Landwirtschaft in der DDR, Berlin 1978, 19.

24 Ders., Die Veränderungen im Bodeneigentum und in der Zahl der Bauernstellen, der Kleinstellen und der Rittergüter in den preußischen Provinzen Sachsen, Brandenburg und Pommern während der Durchführung der Agrarreformen des 19. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1978), Sonderband, 29.

25 Georg Moll, „Preußischer Weg" und bürgerliche Umwälzung in Deutschland, Wei-mar 1988, 79 ff.

Die preußischen Agrarreformen 119

Agrarreformen 26. In Weiterführung eigener und anderer Untersuchungen über jeweils einzelne Provinzen legt Berthold eine vergleichende Analyse der Entwick-lung in den genannten drei Provinzen vor. Seine Quellenbasis bilden vor allem diverse statistische Erhebungen, die von amtlichen Stellen Preußens aus unter-schiedlichen Anlässen vorgenommen wurden. Von den Ergebnissen seiner detail-lierten und minutiösen Untersuchung sind zwei von besonderer Bedeutung für die Präzisierung bzw. Korrektur früherer Vorstellungen. Im Unterschied zu der in der DDR-Geschichtsschreibung zunächst verbreiteten Annahme, daß der nach Lenin so genannte preußische Weg agrarkapitalistischer Entwicklung zu einer massenhaften Vernichtung von Bauernstellen geführt habe, erweist Bertholds Analyse, daß der Rückgang der Zahl bäuerlicher Stellen relativ geringfügig war. Die Anzahl der Bauernstellen verminderte sich von 1816 bis 1867 in der Provinz Sachsen von 41 556 auf 40 034, in der Provinz Brandenburg von 50 882 auf 48 034 und in der Provinz Pommern von 22 971 auf 20 97721. Auch wenn — worauf bereits Harnisch aufmerksam gemacht hat28 — Bertholds Untersuchung die zwischen dem Beginn der Agrarreformen und 1816 gelegten bzw. eingezoge-nen Bauernstellen nicht erfaßt und daher die Gesamtzahl der in der Zeit der bürgerlichen Umwälzung eingetretenen Verminderung bäuerlicher Stellen etwas höher zu veranschlagen sein wird, bleibt die Schlußfolgerung unangefochten, daß die Masse der Bauernschaft als solche den reformerischen Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus überstand. Dieser Tatbestand wurde zweifellos zu einem der charakteristischen und prägenden Elemente der sozialökonomischen Struktur, aber auch der politischen Landschaft und ihrer verschiedenen Gestal-tungsmöglichkeiten im bürgerlich- kapitalistischen Deutschland.

Ein zweites, wesentliches Ergebnis der Untersuchungen von Berthold besteht in dem Nachweis, daß die Zahl der Kleinstellen von 1816 bis 1867 sprunghaft anstieg: in Pommern auf das Dreifache, in Brandenburg fast auf das Doppelte und in Sachsen um drei Viertel. Die Ursache für dieses rasche Anwachsen der Kleinstellen, deren Besitzer durchweg ganz oder weitgehend auf Einkünfte aus Lohnarbeit angewiesen waren, lag generell in der Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse, speziell in der Ersetzung der Fronarbeit durch Lohnar-beit auf den Rittergütern sowie im kapitalistischen Intensivierungsprozeß, der nicht nur die großen Güter, sondern in wachsendem Maße auch bäuerliche Wirt-schaften erfaßte. Diese Feststellungen korrigieren ein Bild, das aus der fälschlich verallgemeinernden Interpretation der schon Ende des 19. Jh. bei Georg Friedrich Knapp und anderen Autoren zu findenden Beobachtung über das Legen zahlrei-cher nichtregulierungsfähiger Kleinstellen durch die Gutsbesitzer entstanden war. Das Einziehen solcher Kleinstellen in großem Umfang bleibt ein unbestrittener

26 Rudolf Berthold, Die Veränderungen im Bodeneigentum (Anm. 24), 7-116. 27 Ebd., 102. 28 Hartmut Harnisch, Kapitalistische Agrarreform und Industrielle Revolution

(Anm. 13), 273 f.

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Vorgang. Ihn als repräsentativ für die Entwicklung der Kleinstellen überhaupt mißzuverstehen, führte, wie Berthold zeigt, zu einem der historischen Realität nicht entsprechenden Bild.

Die Unterschiede im Ausmaß der Zunahme von Kleinstellen in den verschiede-nen Provinzen erklärt Berthold aus dem unterschiedlichen Niveau bereits erreich-ter agrarkapitalistischer Entwicklung im Stichjahr 1816. Der Anteil der Kleinstel-len an der Gesamtzahl aller vorhandenen Besitzungen betrug in diesem Jahr in der fortgeschritteneren Provinz Sachsen bereits 61 Prozent, im zurückgebliebenen Pommern dagegen erst 34,3 Prozent. Bis zum Jahre 1867 stieg er hier auf 64,1 Prozent und in Sachsen auf 74 Prozent29.

Große Bedeutung wird in der DDR-Historiographie bei der Untersuchung der sozialen Prozesse, die durch die Agrarreformen in Gang gesetzt oder vermittelt wurden, der Tatsache beigemessen, daß die den altpreußischen Staat dominieren-de und tragende Klasse, die durch feudale Revenuen der verschiedensten Art in ihrer Existenz gesicherte herrschende Adelsschicht, durch die Reformen die Perspektive der Weiterexistenz in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft erhielt. So wird betont, daß die Regulierungs- und Ablösungsgesetze, die die Bedingungen für den Loskauf der Bauern von feudalen Fron- und Abgabever-pflichtungen fixierten, den Gutsherren die Aussicht auf reichen Gewinn an Boden und vor allem an finanziellen Mitteln boten. Die Tatsache, daß die preußischen Reformen der Jahre 1807 bis 1811 die völlige militärische Niederlage des feudalen Preußens in den Schlachten von Jena und Auerstedt zur Voraussetzung hatten und daß ein Teil des preußischen Adels diese Reformen nur notgedrungen und widerstrebend akzeptierte, darf nicht den Blick dafür trüben, daß die Reformge-setzgebung alles in allem dem Grundinteresse dieser Klasse entsprach. Statt zur Guillotine, die die jakobinische Phase der siegreichen bürgerlichen Revolution in Frankreich für die dortigen Repräsentanten des absolutistischen Staates errich-tet hatte, wiesen die Reformen dem preußischen Adel einen Weg zur Sicherung seiner Existenz als Klasse, zur Erhaltung ökonomischer und politischer Macht. Der Preis für diese Perspektive bestand allerdings in der Anpassung an Bedingun-gen und an Grundbedürfnisse der entstehenden bürgerlich-kapitalistischen Gesell-schaft.

Der durch die Agrarreformen vermittelte Wandlungsprozeß des preußischen Adels bzw. seines Kerns, der ostelbischen Gutsherren, zu Agrarkapitalisten bzw. kapitalistischen Großgrundeigentümern wird auch als Schlüssel für das Verständ-nis des Wandels begriffen, der sich im Charakter bzw. im sozialen Inhalt des preußischen Staates seit 1807 zu vollziehen begann30. Gegenüber älteren Darstel-

29 Rudolf Berthold, Die Veränderungen im Bodeneigentum (Anm. 24), 67, 93. 30 Helmut Bleiber, Staat und bürgerliche Umwälzung in Deutschland. Zum Charakter

besonders des preußischen Staates in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Universal-historische Aspekte und Dimensionen des Jakobinismus. Dem Wirken Heinrich Scheels gewidmet. (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Gesellschafts-

Die preußischen Agrarreformen 121

lungen, in denen Greußen noch bis zur Jahrhundertmitte uneingeschränkt als Feudalstaat betrachtet wurde, hat sich längst die Auffassung durchgesetzt, daß mit Beginn der Reformen ab 1807, die staatlicherseits in breitem Umfang den Abbau feudaler Bindungen förderten und den Weg zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft hin — wenn auch begrenzt — öffneten, der preußische Staat eine qualitativ neue Stufe seiner Entwicklung erreichte. Er verkörperte von diesem Moment an einen Übergangstyp, in dem noch feudale und schon bürgerlich-kapitalistische Züge und Elemente gleichzeitig und nebeneinander wirksam wa-ren. Vergröbert und vereinfacht, im Kern aber zutreffend kann man sagen, daß eine der wichtigsten sozialen Funktionen des preußischen Staates in der Zeit der bürgerlichen Umwälzung die Sicherung des Hineinwachsens der altpreußischen Eliten in die entstehende bürgerliche Gesellschaft war. Die agrarischen Reformge-setze bildeten die staatlicherseits geschaffene Grundlage und die juristischen Rahmenbedingungen für diesen Anpassungsprozeß.

Ich muß darauf verzichten, weitere Aspekte und Problemfelder zu benennen, die die DDR-Historiographie im Zusammenhang mit dem Thema preußische Agrarreformen beschäftigt haben. Die mir verbleibende Zeit möchte ich für einige Bemerkungen zur Gesamtbewertung dieser Reformen benutzen. Die Modifizie-rungen, die dabei zu konstatieren sind, offenbaren zugleich an diesem konkreten Beispiel einen Trend, der für die Entwicklung der DDR-Historiographie insge-samt festzustellen ist. Um Unterschiede ausmachen zu können, müssen einige Hauptzüge im Bild über die preußischen Agrarreformen früher — das heißt ausgangs der vierziger und in den fünfziger Jahren — und heute angedeutet werden.

Die Agrarreformen wie die preußischen Reformen ab 1807 überhaupt wurden in der DDR-Historiographie von Anfang an stes positiv gewürdigt. Dies erfolgte in Anlehnung und in Übereinstimmung mit Auffassungen, wie sie bereits im 19. Jh. von marxistischen Theoretikern und Historikern wie etwa Friedrich Engels und Franz Mehring vertreten worden waren. Stets wurden diese Reformen als Beginn der bürgerlichen Umwälzung in Preußen begriffen und entsprechend als ein, wenn nicht sogar als der positive und progressive Höhepunkt preußischer Geschichte bewertet. Diese prinzipielle Wertschätzung der preußischen Agrarre-formen war jedoch mit einer starken Betonung ihrer Grenzen, Defizite und negativen Auswirkungen verbunden, eine Kritik, die ihre Maßstäbe historisch aus dem erfolgreichen Verlauf der großen französischen Revolution und klassen-mäßig-sozial aus den Bedürfnissen des einfachen Volkes, der Bauern und Dorfar-men ableitete. Die Belastungen, die diesen Schichten mittels des in den Reformge-setzen verankerten Loskaufprinzips aufgebürdet wurden, Landabtretungen, Ablö-sungsgelder, Verschuldungen der bäuerlichen Stellen, alle diese Tatsbestände

Wissenschaften, 10 G/ 1976), Berlin 1976, 201-239; Wiederabdruck in: Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Studienbibliothek DDR-Geschichtswissenschaft, Bd. 3), Berlin 1983, 82-115.

122 Helmut Bleiber

sind gebührend zu berücksichtigen, wenn es um eine Gesamtbewertung der preußischen Agrarreformen geht. Der Ruin eines beträchtlichen Teiles der Bau-ernschaft wurde als gegeben vorausgesetzt und auf dem Schuldkonto der Agrarre-formen verbucht. Als negativ wurde ferner der schleppende Verlauf des Reform-prozesses bewertet sowie nicht zuletzt die Tatsache, daß er dem preußischen Adel die Anpassung an die bürgerliche Gesellschaft und die Bewahrung von ökonomischer und politischer Macht ermöglichte.

Alle diese kritischen Einwände — von dem Vorwurf des massenhaften Ruins bäuerlicher Stellen einmal abgesehen — sind geblieben. Sie sind sogar in jüngster Zeit noch ergänzt worden durch die These, die Art und Weise des preußischen Agrarreformprozesses sei für eine Verzögerung der industriellen Revolution um zwei bis drei Jahrzehnte verantwortlich zu machen31. Dennoch hat sich alles in allem eine wesentlich positivere Gesamtbewertung der preußischen Agrarrefor-men durchgesetzt. Zwei Umstände oder Entwicklungen haben diese veränderte Akzentuierung bewirkt. Zuerst ist darauf zu verweisen, daß die intensive empiri-sche Forschung in wachsendem Maße Ergebnisse zeitigte, die manche ältere Aussage als zweifelhaft oder hyperkritisch erscheinen ließ. Auf die aus konkreten Untersuchungen gewonnene Erkenntnis von der Haltlosigkeit der Vorstellung von einem massenhaften Ruin der Bauernschaft wurde am Beispiel der erwähnten Studie von Rudolf Berthold aus dem Jahre 1978 aufmerksam gemacht. Bereits die in ersten gründlicheren Untersuchungen zum Thema in zwei Dissertationen aus der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre32 gwonnenen Befunde wiesen in diese Richtung. Als nicht stichhaltig wurde auch die Vorstellung überwunden, daß der schleppende Gang des Reformprozesses notwendig eine stark gehemmte Ent-wicklung der landwirtschaftlichen Produktion zur Folge gehabt haben müsse. Allmähliche Beseitigung der feudalen Bindungen auf dem Lande bedeutete in Preußen keineswegs eine entsprechend geprägte Entwicklung von Produktion und Produktivität in der Landwirtschaft. Besonders Hans-Heinrich Müller und Hartmut Harnisch haben nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß die erste Hälfte des 19. Jh. im Gegenteil eine Zeit raschen Aufschwungs und schnellen Wachstums der landwirtschaftlichen Produktion war. Müller verwies — soweit ich sehe als erster DDR-Autor — dabei auf einen Aspekt, der bei einer Gesamt-schau auf die Agrarentwicklung jener Jahrzehnte zweifellos Beachtung verdient: Das starke Wachstum der landwirtschaftlichen Produktion sei auch als Zeugnis

31 Hartmut Harnisch, Kapitalistische Agrarreform und Industrielle Revolution (Anm. 13), ders., Die Agrarreformen in Preußen und ihr Einfluß auf das Wachstum der Wirtschaft, in: Landwirtschaft und industrielle Entwicklung. Zur ökonomischen Bedeu-tung von Bauernbefreiung, Agrarreform und Agrarrevolution, hisg. v. Toni Pierenkem-per, Stuttgart 1989.

32 Erich Langelüddeke, Die Veränderung der ländlichen Eigentumsverhältnisse in den ostelbischen Provinzen Preußens durch die Reformen im 18. und 19. Jahrhundert, Diss. A, Halle / Saale 1957; Heinz Paul, Zur Frage der Übereinstimmung der Produktionsver-hältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus in der Landwirtschaft Preußens, Diss. A, Leipzig 1957.

Die preußischen Agrarreformen 123

dafür zu werten, „daß der für die Bauern an Land und Geld so verlustreiche, undemokratische »preußische Weg der Landwirtschaft' doch recht produktions-trächtig und produktionsfördernd gewesen sei. Er hatte die Bauern gezwungen, ihre Wirtschaften zu intensivieren, wenn sie überleben wollten"33. Ähnlich äußer-te sich Harnisch34, der in seinem 1984 erschienenen Buch gleichfalls unterstreicht, daß der Fortschritt in der landwirtschaftlichen Produktion nicht auf den Groß-grundbesitz beschränkt geblieben, sondern auch von bäuerlichen Betrieben mitge-tragen worden sei.

Der zweite Aspekt, der für die Erklärung der insgesamt positiveren Bewertung der preußischen Agrarreformen Beachtung verdient, ist die Bereitschaft für die Annahme der von der Forschung erbrachten Ergebnisse. Sie entwickelte sich im Zusammenhang mit der seit Mitte der siebziger Jahre in der DDR geführten Diskussion um Erbe und Tradition35. Ein Anliegen dieser Diskussion war und ist es ja gerade, grobschlächtige und vereinfachende Wertungen über in sich widersprüchliche historische Prozesse, Erscheinungen und Personen zu überwin-den und progressive Züge und Elemente, auch dort, wo sie nicht uneingeschränkt zur Geltung kamen oder in sich begrenzt waren, stärker hervorzuheben und zu würdigen.

Abschließend noch eine Anmerkung zum Problem der viel diskutierten negati-ven Fernwirkungen der preußischen Reformen. Außer Frage steht wohl, daß die 1807 begonnene Öffnung zur bürgerlichen Gesellschaft hin Preußen für jene Vorreiterrolle qualifizierte, die es bei der Schaffung des bürgerlichen deutschen Nationalstaats Bismarckscher Prägung spielen sollte. Reform bedeutet immer neben der Etablierung von Neuem die Bewahrung von Überkommenem. Reform-weg der bürgerlichen Umwälzung hieß insbesondere auch Ausgleich zwischen dem sozialen Hauptrepräsentanten der sich entwickelnden bürgerlichen Gesell-schaft, der Bourgeoisie, und dem Hauptrepräsentanten der alten Ordnung, dem Adel. Der Klassenkompromiß zwischen Junker und Bourgeoisie und besonders der damit verbundene Verzicht des Bürgertums auf die eigene politische Macht-ausübung hatten zur Folge, daß feudale Formen und Relikte in der bürgerlichen Gesellschaft weiterlebten. Die Tradition der Reform, der Revolution von oben und die damit zusammenhängende Konservierung altpreußisch-militaristischer

33 Hans-Heinrich Müller, Entwicklungstendenzen der Agrarproduktion während der 1. Etappe der kapitalistischen Intensivierung in der deutschen Landwirtschaft, in: Al-brecht-Daniel-Thaer-Tagung. Vorträge einer wissenschaftlichen Tagung mit internatio-naler Beteiligung, veranstaltet von der Humboldt-Universität zu Berlin, der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR und der Historiker-Gesellschaft der DDR vom 26.-28. Oktober 1978 in Berlin aus Anlaß des 150. Todestages von Albrecht Daniel Thaer, Tagungsbericht Nr. 173 (= Akademie der Landwirtschafts Wissenschaften der DDR), Berlin 1979, 12.

34 Hartmut Harnisch, Kapitalistische Agrarreform und Industrielle Revolution (Anm. 13), 221 f.

35 Erbe und Tradition in der DDR. Die Diskussion der Historiker, hrsg. v. Helmut Meier und Walter Schmidt, Berlin 1988.

124 Helmut Bleiber

und bürokratisch-obrigkeitsstaatlicher Züge im gesellschaftlichen Leben Deutschlands trugen zur Herausbildung von Besonderheiten in den politischen Strukturen, im Bewußtsein und Verhalten zahlreicher Menschen bei, Besonder-heiten, die den herrschenden Kräften nach der Wende zum 20. Jh. ihre aggressive und antidemokratische Politik im Innern wie nach außen erleichterten.

Allerdings scheint es mir eine historisch-wissenschaftlich unzulässige Kon-struktion zu sein, wenn alle negativen Seiten der folgenden deutschen Geschichte einschließlich des deutschen Faschismus ursächlich aus der Verpreußung Deutschlands im 19. Jh. abgeleitet und erklärt werden. Diese Auffassung ver-kennt, daß über die Wirksamkeit historischer Traditionen in letzter Instanz nicht diese Traditionen selbst, sondern jeweils ganz bestimmte Interessengruppen ent-scheiden, die sich ihrer zur Durchsetzung realer gegenwärtiger Bedürfnisse bedie-nen. Entscheidend für die besondere Aggressivität des deutschen Staates in der ersten Hälfte des 20. Jh. waren in erster Linie nicht die Vereinbarung zwischen Bourgeoisie und Adel im 19. Jh. und die sich daran knüpfende staatliche und sonstige Tradition, sondern das Streben des bei der Aufteilung der Welt zu kurz gekommenen deutschen Imperialismus nach Gewinnung einer Vormachtstellung in Europa und in der Welt.

In der DDR-Historiographie haben derartige Auffassungen einer kausalen Ableitung von Phänomenen des 20. Jh. aus der älteren preußischen Geschichte nie Boden gewinnen können. Eine Überbewertung der Rolle preußischer Traditio-nen im Wesen und im Erscheinungsbild des deutschen Faschismus — und damit kehre ich zu einem am Beginn meiner Ausführungen geäußerten Gedanken zurück —, eine solche Überbewertung hat es zweifellos zunächst auch hier gegeben. Auch heute noch sind gelegentlich Anklänge an eine solche Betrach-tungsweise vernehmbar.

Als vorausschauende Skizzierung des Schicksals des 1871 gegründeten Rei-ches wird öfter Wilhelm Liebknechts Stellungnahme aus dem Jahre 1872 zitiert: „Auf dem Schlachtfelde geboren, das Kind des Staatsstreichs, des Krieges und der Revolution von oben, muß es ruhelos von Staatsstreich zu Staatsstreich, von Krieg zu Krieg eilen und entweder auf dem Schlachtfeld zerbröckeln oder der Revolution von unten erliegen"36. Häufig wird diese Aussage als weitsichtige Prognose des Weges Deutschlands in den ersten und zweiten Weltkrieg verstan-den. Eine solche Interpretation ist insofern einseitig, als sie die von Liebknecht formulierte mögliche und von der revolutionären Sozialdemokratie erstrebte Per-spektive einer siegreichen „Revolution von unten" außer acht läßt37 und in letzter

3 6 Der Leipziger Hochverratsprozeß vom Jahre 1872. Neu herausgegeben von Karl-Heinz Leidigkeit, Berlin 1960, 256 f.

3 7 Vgl. etwa Engels Bemerkung aus dem Jahre 1891: „Und wir haben nicht die 1866 und 1870 gemachte Revolution von oben wieder rückgängig zu machen, sondern ihr die nötige Ergänzung und Verbesserung zu geben durch eine Bewegung von unten." Karl Marx l Friedrich Engels, Werke, Bd. 22, Berlin 1963, 236.

Die preußischen Agrarreformen 125

Konsequenz ebenfalls einen kausalen Zusammenhang zwischen Reichsgründung und imperialistischem Krieg nahelegt.

Noch einmal in einem Satz:

Ich sehe sehr wohl beträchtliche negative Belastungen aus dem Reformweg der bürgerlichen Umwälzung für die fernere deutsche Geschichte, halte aber die ursächliche Ableitung von Weltkriegen und Faschismus aus der preußisch-deut-schen Geschichte des 19. Jh. für historisch-wissenschaftlich unzulässig.

Auch und nicht zuletzt eine solche Abgrenzung von angedeuteten anderen Interpretationen ermöglicht eine wissenschaftliche Behandlung und Bewertung der Rolle Preußens in der Geschichte des 19. Jh. und insbesondere auch der preußischen Agrarreformen ab 1807.

Preußische Agrarreformen in neuer Sicht

Kommentar zum Beitrag von Helmut Bleiber

Von Clemens Zimmermann, Heidelberg

Obgleich die Forschungsübersicht von Helmut Bleiber erst 1989, kurz vor der „Wende", verfaßt wurde, ragt sie in Stil und Duktus wie ein Monument der Kathederhistorie in unsere Zeit. Bleiber läßt manches aus, was schon vor 1989 auf eine partielle Konvergenz ost- und westdeutscher Agrargeschichtsforschung hinauslief, etwa, was die Überwindung der These eines leidvollen „preußischen Weges" der agrarökonomischen Transformation und die Revision bisheriger Vorstellungen über die Eigenart bäuerlicher Ökonomie und Mentalität betrifft 1. Anderes, nämlich innovative Thesen aus den archivalischen Forschungsarbeiten H. Harnischs und R. Bertholds, wird gleichsam als Munition im letzten Gefecht eingesetzt. Doch verabschiedet sich der Autor von krassen ökonomistischen Dogmen und übergeht schließlich auch das traditionelle Formationenschema, in das die Reformen bislang eingordnet wurden2.

Den Stand der Debatte zu den preußischen Agrarreformen insgesamt stellte kürzlich Christof Dipper in einem lesenswerten Aufsatz vor3. Hier geht es allein

1 Vgl. Christof Dipper, Die Bauernbefreiung in Deutschland 1790-1850, Stuttgart 1980, 36; Josef Mooser, Ländliche Klassengesellschaft 1770-1848. Bauern und Unter-schichten, Landwirtschaft und Gewerbe im östlichen Westfalen, Göttingen 1984, 26 ff.; Hartmut Harnisch, Die Agrarreformen in Preußen und ihr Einfluß auf das Wachstum der Wirtschaft, in: Toni Pierenkemper (Hrsg.), Landwirtschaft und industrielle Entwick-lung. Zur ökonomischen Bedeutung von Bauernbefreiung, Agrarreform und Agrarrevolu-tion, Stuttgart 1989, 27-40; dersZwischen Junkertum und Bürgertum. Der Bauer im ostelbischen Dorf im Widerstreit der Einflüsse von traditionalem Führungsanspruch des Adels und moderner kapitalistischer Gesellschaft, in: Wolfgang Jacobeit / Josef Mooser / Bo Sträth (Hrsg.), Idylle oder Aufbruch? Das Dorf im bürgerlichen 19. Jahrhundert. Ein europäischer Vergleich, Berlin 1990, 25-36.

2 „Das gemeinsame Interesse an der Überwindung des Feudalismus verband bäuerli-chen Widerstand und bürgerliche Opposition. Dieses gemeinsame Interesse war die unabdingbare Voraussetzung und der wirksame Hebel für den Untergang der Feudalord-nung und die Durchsetzung des Kapitalismus. Ob und inwieweit sich alle Beteiligten dieses objektiven Zusammenhangs bewußt waren, bleibt für den Tatbestand ganz uner-heblich . . . Jede halbwegs gewissenhafte Analyse der Umstände, unter denen sich Bauern auf das alte Recht berufen, führt zu der Einsicht, daß diese Forderung ein untrügliches Indiz für die Verschärfung der Ausbeutung durch die Feudalherren ist und damit dem Wesen nach elementar-demokratische Interessen der Bauernschaft zum Ausdruck bringt"; Helmut Bleiber, Bäuerliche Bewegungen, ins Abseits vom kapitalistischen Fort-schritt gestellt, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1986/1), 189-191.

3 Christof Dipper, Die Bauernbefreiung in Deutschland, in: GWU 43, 1992, 16-31.

128 Clemens Zimmermann

darum, einige Argumente aufzugreifen, die in dieser Debatte auch künftig kontro-vers behandelt werden dürften.

Zunächst: Bedeutete Hardenbergs Programm eine Festlegung auf die Schaffung der „bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft in Deutschland"?

Es gab in Deutschland mindestens zwei Wege der Reform von Landwirtschaft und ländlicher Gesellschaft. Neben der preußischen Agrarreform stand die Bau-ernbefreiung in den grundherrschaftlich geprägten Gebieten4. Allein die Existenz der Klein- und Mittelbauern West- und Süddeutschlands, die frei von feudaler und kapitalistischer Ausbeutung waren, widerspricht der Übertragung preußischer Verhältnisse auf die gesamte Geschichte der ländlichen Gesellschaft Deutsch-lands. Regionalstudien wie die Eckart Schremmers über Hohenlohe5 und Wolf-gang v. Hippels über Württemberg6 verdeutlichten durch ihren regionalhistori-schen Zugriff die komplexen Bezüge zwischen rechts-, wirtschafts- und sozialge-schichtlichen Faktoren. Zu diesen regionalen Differenzierungen gehört auch die Beobachtung, daß im westlichen Deutschland die Zielsetzung der „inneren Staats-bildung", die Erreichung der allgemeinen Staatsbürgergesellschaft eindeutiger hervortritt als in Preußen. Die ländliche Herrschafts- und Abgabenordnung galt es an die neuen Normen einer klaren Abgrenzung zwischen öffentlich-rechtlichem und privat-rechtlichem Bereich anzupassen. Was die nichtpreußischen Territorien angeht, bedeuteten die Agrarreformen im allgemeinen keinen radikalen Einschnitt in der Agrarstruktur.

Waren die Reformen wenigstens in Preußen „Wegbereiter der agrarkapitalisti-schen Entwicklung"? „Agrarkapitalismus" ist für die Kennzeichnung der Intentio-nen Steins, aber auch der Reformgruppe um Hardenberg unangemessen. Das theoretisch-methodische Hauptproblem bei der These vom Agrarkapitalismus liegt in ihrem finalistischen Charakter und darin, daß die Authentizität der Refor-men durch das einmal gewählte Vorbild der „Modernität" von vorneherein in Frage gestellt wird. Nur wenn man, wie Wehler in seiner Gesellschaftsgeschichte schreibt, „von evolutionstheoretischen Prämissen aus(geht), die stets Richtungs-kriterien erfordern, stand vom Entwicklungstrend her der Agrarkapitalismus . . . [auf der Tagesordnung]"7.

Die Gesetzgebung unter Stein und Hardenberg war zunächst ein Hilfsmittel angesichts des „Debakels einer ganzen überkommenen Ordnung"8, enthielt von

4 Zur Bauernbefreiung im Rheinbund vgl. ebd., 24 f. 5 Eckart Schremmer, Die Bauernbefreiung in Hohenlohe, Stuttgart 1963. 6 Wolf gang v. Hippel , Die Bauernbefreiung im Königreich Württemberg, 2 Bde.,

Boppart 1977. 7 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, Vom Feudalismus

des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700-1815, Mün-chen 1987, 425.

s Bernd v. Münchow-Pohl, Zwischen Reform und Krieg. Untersuchungen zur Bewußt-seinslage in Preußen 1809-1812, Göttingen 1987, 40.

Preußische Agrarreformen in neuer Sicht 129

Anfang an zugleich ein reformerisches, systemveränderndes Potential, das in der Proklamierung der „Entfesselung aller Kräfte" zum Ausdruck kam. Die Reformen entfalteten sich vor dem Konsens reformbereiter Kräfte, die erkannt hatten, daß einzelne Verbesserungen nichts mehr bewirken konnten und nur noch eine „Radi-kalkur", ein die interdependenten Sphären von Staat und Gesellschaft umfassen-des Programm Aussicht auf eine „Wiedergeburt" Preußens bot9. Bei dieser Wie-dergeburt ging es nicht allein um ökonomische Transformation, sondern auch um einen politischen Integrations- und Mobilisierungsversuch, nämlich den, „Stützen des Staates zu gewinnen"10. Nun stellt sich freilich die Frage, was als „eigentliches" Ziel und was als Mittel zu dessen Durchsetzung gelten muß. Es scheint hier sinnvoll, zwischen bewußten und formulierten Motiven und den unbeabsichtigten, sich über den Kopf der Menschen hinweg entwickelnden Resul-taten eines Reformprozesses zu unterscheiden. In eigentümlicher Weise verban-den sich bei den Preußischen Reformen auf Modernisierung gerichtete und stabili-tätspolitische Motive miteinander. Stein und Hardenberg knüpften vielfältig an die Reformtradition des Aufgeklärten Absolutismus an, der ja nicht zuletzt von der widersprüchlichen Verbindung wirtschaftlicher und sozialer Innovationen mit politischen Stabilisierungsintentionen gekennzeichnet war. Auch die sozial-protektionistischen Züge, die sich auf die Erhaltung des Vollbauernstandes bezo-gen11, überhaupt die bei Stein wirksame Vorstellung von einer Aufrechterhaltung von gesellschaftlichen Bindungen12 sollten bei der Frage nach den Reformmoti-ven zur Kenntnis genommen werden. Die politische und soziale Führungsposition des Adels blieb weiterhin durch Verfassung und Rechtsordnung abgesichert, was man zum Teil auf das Reformprogramm selbst zurückführen kann13.

Der Freiherr v. Vincke brachte die Maximen des Reformprozesses auf den Begriff, wenn er am 3. August 1808 schrieb14, es sei mit „der mindesten Beein-trächtigung der bürgerlichen und Gewerbefreiheit" unvereinbar, weil dieses das „wichtigste Fundament der Staatserneuerung" darstelle. Wirtschaftliche Liberali-sierung blieb so auf eine übergreifende gesellschaftliche und politische Zielset-zung verpflichtet, wenn auch unter Hardenberg das Eigengewicht wirtschaftlicher Liberalisierung wie auch das Fehlen eines sozialpolitischen Konzepts immer krasser hervortrat.

9 Ebd., 63 f. 10 Hartmut Harnisch, Der Weg zum Regulierungsedikt vom 14. September 1811 oder

die endgültige Option für eine kapitalistische Agrarreform in Preußen, in: Manfred Kossok / Editha Kross (Hrsg.), 1789 — Weltwirkung einer großen Revolution, Vaduz 1989, 257-306, hier 281.

Vgl. Dipper, Bauernbefreiung in Deutschland 1790-1850 (Anm. 1), 114. 12 Vgl. Harnisch, Der Weg zum Regulierungsedikt (Anm. 10), 281 ff. 13 Vgl. Barbara Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit. Die Reformpolitik des preußi-

schen Staatskanzlers Hardenberg (1810-1820), Göttingen 1983, 227. 14 Heinrich Scheel / Doris Schmidt, Das Reformministerium Stein. Akten zur Verfas-

sungs- und Verwaltungsgeschichte aus den Jahren 1807/08* Bd. 3, Berlin 1968, 708 f.

9 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

130 Clemens Zimmermann

Gingen die Preußischen Reformen ursächlich auf die Französische Revolution zurück, wie H. Bleiber meint? Über die Vorbildwirkung der Französischen Revo-lution für die Reformbürokratien besteht durchaus Konsens: der französische Außendruck, die Vorbildwirkung der französische Reformen insbesondere im Königreich Westphalen und der weitgehende Zusammenbruch des politische Systems in Preußen werden immer wieder betont. Doch erfordert die Untersu-chung von Reformprozessen, sie als solche ernst zu nehmen, was bedeutet, daß der Hinweis auf ihren quasirevolutionären Gehalt in die Irre führen kann. Die heute weit verbreitete Verwendung von Reform und Revolution als Konvergenz-begriffe ist unangemessen. Gerade die Französische Revolution zwang die politi-schen Publizisten der Zeit dazu, der Revolution einen präzisen Gegenbegriff zur Umschreibung des Sachverhalts einer Veränderung durch Nicht-Revolution ent-gegenzustellen. Wer damals von „Reform" sprach, meinte damit eine vom Begriff der Revolution sich gerade absetztende Aktivität, die auf die „Veränderung im Rahmen des bestehenden Systems, Verbesserung durch Abschaffung veralteter und von den Zeitgegebenheiten überholter Formen, Anpassung an neue Bedingun-gen, Verfassungsgemäßheit, Gewaltlosigkeit, Vorsicht und Behutsamkeit bei den erforderlichen Eingriffen . . . (und auf die) Notwendigkeit der Abstimmung des Reformkonzepts mit der allgemeinen Überzeugung" abhob15. Damit waren Krite-rien vorgegeben, die auf die Absichten und die Vorgehens weisen bei den preußi-schen Reformen im wesentlichen zutreffen. Die preußischen Reformer waren bei ihrem Werk davon überzeugt, einen grundlegenden Reformprozeß in die Wege zu leiten und behaupteten, sich in Einklang mit dem zu befinden, was sie den „Geist der Zeit", den „heutigen Zustand der Dinge" oder die „Wünsche im Publikum" nannten. In den zentralen Quellen der preußischen Gesetzgebung begegnet uns der Reformbegriff immer wieder ausdrücklich und die aus der Aufklärungsbewegung stammenden sinngleichen Ausdrücke der „Verbesserung", der „Regeneration", der „Reorganisation" und der „Staatserneuerung" unterstüt-zen diese Begrifflichkeit 16. Der Minister Freiherr von Schroetter prägte Stein gegenüber (27. 9. 1808) den Begriff der „totalen Reform" 17. Freilich hat Harden-berg in der Rigaer Denkschrift vom September 1807 selbst davon gesprochen,

15 Eike Wolgast , Art. Reform, Reformation, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 5, Stuttgart 1984, 313-360, hier 344.

16 So wird im Finanzedikt von 1810 eine „gänzliche Reform des Abgaben-Systems" angekündigt; Scharnhorst spricht 1809 von der „gänzlichen Reorganisation der Armee, wo alle Verhältnisse geändert werden mußten". In der Phase der Vorbereitung der neuen Städteordnung, einem der erfolgreichsten Gesetzeswerke unter Stein, findet sich der wichtige Entwurf des Geheimen Kriegsrats und Polizeidirektors Frey, der realistisch sah, daß der seiner Auffassung nach in den Städten vorherrschende „Mangel an Gemein-geist, (die) Geringschätzung des Bürgers und des gesamten Ansehens der Magistraturen" erst in einem längeren Prozeß verbessert werden könnten, doch sei „es jetzt oder nie Zeit, eine Reform zu beginnnen, deren Früchte erst für die folgenden Generationen reifen können"; Scheel! Schmidt (Anm. 14), Bd. 2, Berlin 1967, 657. Vgl. ebd., Bd. 1, Berlin 1966, 203, 213; Bd. 3, Berlin 1968, 707, 709.

17 Ebd., Bd. 3, 869.

Preußische Agrarreformen in neuer Sicht 131

eine „Revolution im guten Sinn" solle durchgeführt werden, doch ist bei dieser entscheidend, daß sie „durch Weisheit der Regierung und nicht durch gewaltsame Impulsion von innen oder außen" durchgeführt wird18. D. h. von der Französi-schen Revolution grenzt Hardenberg diese Revolution im guten Sinn durch den Verzicht auf illegitime Gewalt ab. Hardenberg wil l das historische „Mittel gegen das Fortschreiten des Revolutionsgeistes" anwenden, das zur Verfügung stand, um so eine „gänzliche Wiedergeburt" Preußens in die Wege zu leiten, zugleich an die Reformkontinuität des aufgeklärten Absolutismus anknüpfen. Die Mobili-sierung einer Mentalität des Erwerbs, der „Industrie", überhaupt die Lancierung von Finanz-, Wirtschafts- und politischen Reformen soll die Modernisierungslei-stung der Französischen Revolution einholen19.

Nun ist es etwas anderes, ob, wie Bleiber meint, die „Furcht vor revolutionären Bewegungen" dem Reformwerk den gehörigen Schub gegeben haben soll, oder ob man, wie Harnisch, von „Druck von unten" bzw. „Aufbegehren gegen die feudalen Zustände" spricht. Strebte die bäuerliche Bevölkerung damals die Ab-schaffung des Feudalismus an?

Hier gibt die neuere Protestforschung Auskunft. Die Agrarunruhen nach 1790 standen in Kontinutät zu vorrevolutionären Widerstandsformen und -traditionen und auch die Protestgegenstände änderten sich durch die Revolution nur sehr wenig. Allerdings die Protestintensität wuchs in Deutschland während der 1790er Jahre, ohne daß es, von der Ausnahme Sachsen einmal abgesehen, zu überregiona-len Bündnissen von Bauern mit Bürgern kam. Der Soziale Protest der bäuerlichen Bevölkerung kann weder einfach als rückwärtsgerichtet oder als Ausdruck einer revolutionären Zielsetzung aufgefaßt werden. Einerseits häuften sich zwischen 1789 und 1793 die bäuerlichen Aktionen, andererseits ist bei ihnen weder ein radikaler Veränderungswille zu erkennen noch äußerten die Beteiligten grund-sätzlich Kritik am Feudalsystem20. Es ging nicht um eine soziale Polarisierung in Richtung von Klassenfronten. Solche Fronten waren um 1810 noch kaum angelegt.

Josef Mooser wies für Westfalen nach, daß die klein- und unterbäuerlichen Schichten im 19. Jahrhundert gegenüber der durch die Vollbauern vorangetriebe-nen Individualisierungsbewegung z. T. militant, aber durchgängig defensiv rea-gierten, nicht aber die Reformen veranlaßten21. Sozialer Protest wird somit bei den preußischen Reformen nicht so sehr als Ursache, sondern im Zuge ihrer

18 Zitiert nach Georg Winter (Hrsg.), Die Reorganisation des Preussischen Staates unter Stein und Hardenberg, 1. Teil, 1. Bd., Leipzig 1931, 306.

19 Vgl. Ernst Nolte, Staatsbildung als Gesellschaftsreform. Politische Reformen in Preußen und den süddeutschen Staaten 1800-1820, Frankfurt/ New York 1990, 33.

2 0 Vgl. die Beiträge von Elisabeth Fehrenbach, Erich Schunk und Christine und Gerd van den Heuvel, in: Helmut Berding (Hrsg.), Soziale Unruhen in Deutschland während der Französischen Revolution, Göttingen 1988.

21 Vgl. Mooser (Anm. 1), 113 ff.

9*

132 Clemens Zimmermann

praktischen Durchsetzung relevant. Der Protest der Bauern war wichtig, weil er das Tempo der Reformen verlangsamte und wohl auch manche Veränderungen zugunsten kleiner Landbesitzer im lokalen Rahmen bedingte. Die Reformen wurden gegen den Willen und gegen die alten Gewohnheiten und Traditionen von Bauern und Adel durchgesetzt und so notwendigerweise verzögert, abge-schwächt, modifiziert und in ihrem Gehalt verändert. Die bäuerliche Bevölkerung war zudem unter Hardenberg einem massiven Steuer- und Abgabendruck ausge-setzt, der dem Protest erst eine materielle Grundlage gab.

Überblickt man den gesamten Reformprozeß auf dem Lande, der sich bis 1848 hinzog, zeigt sich ein spezifisches bäuerliches Verständnis der Agrarreformen, nämlich ganz im Gegensatz zu den real wachsenden Lasten als Entlastung von der bisherigen schweren Abgabenbürde. Erwartungshorizont der Bauern und Reformpraxis klafften weit auseinander22. Von der Etablierung eines „abgeteil-ten" Eigentums an den Dorfallmenden, mit anderen Worten von der durch die Reformen veranlaßten Auflösung der jahrhundertealten genossenschaftlichen Produktionsweise waren neben- und kleinbäuerliche Schichten in anderer Weise betroffen als größere Hofbauern.

Insgesamt ist beim gegenwärtigen Forschungsstand der Hinweis Hartmut Har-nischs plausibel, daß man zu Beginn der Reformen zwar an lokal begrenze Unruhen gewöhnt und von einer größeren Revolte noch weit entfernt war, die zunehmende Intensität des bäuerlichen Widerstands aber die Reformbürokratie in ihrem Veränderungswillen bestärkte23. Die meist heterogenen Ziele, die unter-schiedliche Intensität und die jeweilige Wirkung ländlicher wie städtischer Sozial-proteste, überhaupt die Gemengelagen aus partieller Zustimmung, widerwilliger Akzeptanz und eigensinniger Widersetzlichkeit, die sich ja nicht nur gegenüber den Behörden, sondern auch innerhalb der bäuerlichen Gesellschaft zeigten, gilt es wahrzunehmen. Die Reformen waren das Werk einer Gruppe in der Bürokratie, die gegen eine überwiegend reformkonservativ und restaurativ eingestellte Um-welt stand, d. h. die „Reformgesetzgebung ging im wesentlichen von . . . eine(m) kleinen Stab von Fachleuten (aus), d ie . . . bis dahin keine ordentlichen Mitglieder der hohen Bürokratie gewesen (waren). Nach ihrer sozialen Herkunft, ihrer Ausbildung und ihrem beruflichen Werdegang waren sie Außenseiter innerhalb der akademisch geschulten Bürokratie"24. Diese Außenseiter mußten die innere Staatsbildung in der gesellschaftlichen Praxis durchsetzen. Das bedeutete den Kampf gegen die konfliktbereiten intermediären Gewalten sowie gegen die Refor-munwilligen oder von der Durchführung der Reformen Enttäuschten in der Ver-waltung selbst. Auch ihre Stimmen müssen gehört werden, um die Umgestal-tungsschwierigkeiten ermessen zu können und um zu erkennen, daß Übereilung

22 Vgl. v. Münchow-Pohl (Anm. 8), 103 ff. 23 Vgl. Harnisch , Der Weg zum Regulierungsedikt (Anm. 10), 301. 24 Barbara Vogel , „Revolution von oben" — der „deutsche" Weg in die bürgerliche

Gesellschaft?, in: SOWI 8 (1979), 67-74, hier 70 f.

Preußische Agrarreformen in neuer Sicht 133

und mangelnde Präzision beim Reformwerk folgenreichen Widerstand mobili-sierten: Friedrich von Merckel, Vizepräsident der Regierung zu Breslau, schrieb 1812 an Gneisenau: „Tagtäglich neue Versuche, der rechten Fährte auf die Spur zu kommen, hetzen uns vollends tot . . . Daher scheint es mir wenigstens das geratenste, alles im Ganzen liegen zu lassen, wie es liegt; es fehlt uns an Raum, das Gebäude mit Ordnung aufeinander zu legen, alles gehörig zusammen zu ordnen, was zueinander gehört, um den Neubau zu beginnen. Rütteln wir, so stürzt zuletzt alles in sich zusammen auf einen chaotischen Haufen"25.

Die Frage der Reformpraxis sollte schließlich hinsichtlich der Ablösungsmoda-litäten für die Bauern und deren Aktivitäten26 als Gegenstand ernst genommen werden. Über die ökonomischen Effekte der Auflösung der Genossenschaftsöko-nomie und der Separation von Allmenden liegen bislang nur regionale Ergebnisse vor27. Besonders die durch Hans-Jürgen Teuteberg für Westfalen genauer bekann-ten Schwierigkeiten für die kleinen Bauern, neuen Belastungen, etwa durch die Klassensteuer standzuhalten, sind von Interesse28.

Das insgesamt nötige Ablösungskapital kann man zumindest regional schätzen, doch Ablösungsquoten, vor allem bei den Kleinbauern, wurden bislang kaum ermittelt. Auch die regional sehr unterschiedliche Entwicklung der steuerlichen Belastung und der Zwang für die Bauern, feste Ablösungszahlungen ohne Rück-sicht auf die Ernteschwankungen zu entrichten, andererseits die Entlastung der bäuerlichen Familienbetriebe von der Bereitstellung von Arbeitskräften und Zug-vieh für die Gutswirtschaften müßte hier Beachtung finden.

Die landwirtschaftliche Nutzfläche wuchs bis 1848 von 7,3 Millionen auf 12,5 Millionen Hektar, also um ca. 60 %, die Agrarproduktion erhöhte sich so stark, daß die wachsende Bevölkerung bis auf das Krisenjahr 1846/7 ernährt werden konnte. Im Unterschied zu den rheinbündischen Territorien waren in Preußen die aus der Entfeudalisierung und der Individualisierung von Gemeinheiten resul-tierenden ökonomischen Effekte bedeutsam, wenn sich auch die Produktivitätszu-wächse in Grenzen hielten. Die Inputfaktoren Boden, Arbeit und Kapital wurden erheblich mobilisiert, erheblich verzögert erst spielte Intensivierung der Agrarpro-duktion eine Rolle. Ganz erhebliche methodische Probleme bestehen hinsichtlich der Meßbarkeit dieser Effekte, so daß quantitativen Aussagen enge Grenzen gesetzt sind. Ökonomisch war sicherlich problematisch, daß ein Teil des neu

25 Zitiert nach v. Münchow-Pohl (Anm. 8), 91. 26 Für nichtpreußische Territorien vgl. Karl Heinz Schneider, Bäuerliche Aktivitäten

während der Bauernbefreiung, in: ZAA 37 (1989), 9-27. 27 Vgl. Toni Pierenkemper, Der Agrarsektor in der vorindustriellen Gesellschaft.

Einige Anmerkungen zur preußischen Entwicklung 1815-1830 aus produktionstheoreti-scher Sicht, in: ZAA 37 (1989), 9-27.

28 Hans-Jürgen Teuteberg, Der Einfluß der Agrarreform auf die Betriebsorganisation und Produktion der bäuerlichen Wirtschaft Westfalens im 19. Jahrhundert, in: Fritz Blaich (Hrsg.), Entwicklungsprobleme einer Region: Das Beispiel Rheinland und Westfa-len im 19. Jahrhundert, Berlin 1981, 167-276, bes. 222-229.

134 Clemens Zimmermann

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Preußische Agrarreformen in neuer Sicht 135

bestellten Ackerlandes von neu entstandenen Kleinbauernstellen bewirtschaftet wurde, die zweifellos nicht die Hauptträger des agronomischen Fortschritts waren, die kleinen Kötter z. B. verlegten sich auf den Anbau von Kartoffeln und Gemüse und deckten auf sehr kleiner Ackerfläche ihren Nahrungsbedarf. Mit der Aufhe-bung des Flurzwanges wurde der Anbau von Futterkräutern und Hackfrüchten im Rahmen einer klassischen Fruchtwechselwirtschaft allgemein, und dies schuf die Grundlage für eine leistungsfähige Tierhaltung. Freilich wird man zugleich den Bevölkerungszuwachs im selben Zeitraum berücksichtigen müssen. Wenn insgesamt die Subsistenzmöglichkeiten für die ländliche Bevölkerung durch die Reformen stiegen, so sollte man dabei von erheblichen regionalen und sozialen Differenzierungen bei der Entwicklung des Lebensstandards und der Einkommen ausgehen29.

Kontrovers wird zuletzt die Frage nach dem kausalen Zusammenhang von Agrarreformen und Industrialisierung diskutiert. Die regionale Differenzierung des Wirtschaftswachstums im 19. Jahrhundert wurde im Hinblick auf die Wech-selwirkungen von Landwirtschaft und Industrie erst wenig systematisch unter-sucht. Man könnte zunächst einen Zusammenhang von landwirtschaftlichen Re-formen und Industrialisierung über die Empfänger von Ablösungssummen anneh-men, doch wurde diese offenbar nur zum geringen Teil in den Aufbau industrieller Kapitalgesellschaften gesteckt30. Kaum Bezüge bestanden zwischen Agrarreform und der Schaffung eines industriellen Arbeitskräftepotentials, denn die Expansion von Kleinstellen bot in Zusammenhang mit Nebenerwerbsmöglichkeiten bis 1850 noch neue, marginale Existenzmöglichkeiten und band so die sogenannte „Über-schußbevölkerung". Insofern ist die Nachfrageseite von besonderem Interesse, d. h. die Bedeutung des Agrarsektors als Markt für Gewerbeprodukte: Sie war (vor 1850) hinsichtlich einiger Handwerkszweige gegeben, nur marginal aber, was Industrieprodukte betraf. Steigende potentielle Kaufkraft seit den 1830er Jahren bedeutete noch nicht automatisch eine erhöhte Nachfrage nach Industrie-produkten. Vom landwirtschaftlichen Sektor gingen so kaum Nachfrageimpulse aus, die über lokale Märkte hinaus die Entstehung industrieller Branchen entschei-dend zu beeinflussen in der Lage waren, vielmehr war die Industrialisierung im wesentlichen ein selbsttragender Prozeß. Erst nach 1850 gab es in agrarisch-gewerblichen Mischzonen und in Gebieten mit hoher Städtedichte eine Nachfrage nach bestimmten Konsumgütern, während Investitionsgüter weiterhin nur in irre-levantem Umfang nachgefragt wurden.

Die Perspektive künftiger empirischer Forschungen liegt zunächst darin, die Agrarreformen von den Landgemeinden her zu thematisieren: zentral sind hier die grundsätzliche Frage nach den Bedingungen ökonomischen Fortschritts in der — als eigene Kategorie zu würdigenden — bäuerlichen Wirtschaft und die

29 Vgl. ebd., 272 f. 3 0 Im folgenden nach Pierenkemper (Anm. 1), 10 ff., und den Beiträgen von Hartmut

Harnisch , Josef Mooser und Christof Dipper, ebd., 27-40, 41-44, 63-75.

136 Clemens Zimmermann

Problematisierung mikrosozialer Konstellationen der Verteilungskämpfe zwi-schen den ländlichen Sozialgruppen31. Weiter bietet sich an, im Forschungsfeld, zu dem auch die Wechselbezüge zwischen Landwirtschaft und Gewerbe gehören, das Erkenntnispotential der regional-vergleichenden Methode zu erschließen. Und nicht zuletzt muß es darum gehen, die Kontinuität der Agrarreformen vom Aufgeklärten Absolutismus bis zu ihrem Abschluß in der Mitte des 19. Jahrhun-derts unbelastet von vermeintlich verbindlichen Zäsuren ins rechte Licht zu rücken. Solche Forschungsansätze dürften sich heute leichter als früher verwirkli-chen lassen: durch die Liberalisierung der wissenschaftspolitischen Rahmenbe-dingungen und die Öffnung einschlägiger Archive.

3 1 Zur relativen Autonomie der Landgemeinden in verfassungsgeschichtlicher Sicht vgl. jetzt Hartmut Harnisch, Pie Landgemeinde im ostelbischen Gebiet (mit Schwerpunkt Brandenburg), in: Peter Blickle (Hrsg.), Landgemeinde und Stadtgemeinde in Mittel-europa. Ein struktureller Vergleich, München 1991, 309-332.

Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert (bis zum Erlaß der Gewerbeordnung für den

Norddeutschen Bund 1869) und ihre Spiegelung in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik Deutschland

Von Karl Heinrich Kaufhold, Göttingen*

L

Der fast barock anmutende Umfang des Titels läßt sich ohne wesentlichen Verlust in der Sache in einen Begriff zusammenfassen, nämlich den der Gewerbe-freiheit. Denn ihre Vorbereitung, ihre Einführung, die Auseinandersetzungen um sie, die mit ihr eng verbundenen Fragen wie z. B. die Freizügigkeit markierten eindeutig den Schwerpunkt der preußischen Gewerbepolitik in der hier behandel-ten Zeit vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis 1869. Die einzige wesentliche Ausnahme, die Gewerbeförderung, bleibt vom Thema her außer Betracht.

Nicht ganz so eindeutig auf diesen zentralen Gegenstand konzentriert ist die Literatur. Nur wenige Arbeiten — darunter allerdings die wichtige von Barbara Vogel — sprechen die Gewerbefreiheit ausdrücklich an; in den meisten wird sie neben anderen Fragen behandelt. Besonders reich ist die Ernte ohnehin nicht, denn die Historiker der Bundesrepublik bevorzugten in der Regel andere Aspekte der Reformzeit in ihren Darstellungen.

Der Beitrag ist chronologisch gegliedert. Am Anfang stehen die „Reformen vor den Reformen". Die „eigentliche" Reformzeit wird selbstverständlich beson-ders betont, und Gleiches gilt für die Revolutionsjahre 1848/49. Die Periode dazwischen, also von 1812 bis 1847, tritt dagegen ebenso zurück wie die zwei Jahrzehnte von der Revolution bis zum Erlaß der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund 1869.

Sachlich wird die Darstellung der Gewerbepolitik, ihrer Motive und ihrer Wirkungen mit einer Schilderung der Spiegelungen verknüpft, die sie in vier Jahrzehnten der wissenschaftlichen Beschäftigung mit ihr in der Bundesrepublik gefunden hat — selbstverständlich nur in Auswahl, um den Rahmen des Beitrags nicht zu weit zu ziehen. Dabei darf nicht übersehen werden, wie wichtig für das Thema und für die heueren Auseinandersetzungen mit ihm die ältere, vor 1945 erschienene Literatur gewesen ist1.

* (Redaktionsschluß 31. 12. 1990).

138 Karl Heinrich Kaufhold

Der Begriff der Gewerbefreiheit, der hier im Mittelpunkt steht, ist nicht klar definiert und wird daher in der Literatur durchaus unterschiedlich verwendet2. Einige seiner wesentlichen Bestandteile sind aber so gut wie unbestritten, und von ihnen wird auch im Folgenden ausgegangen. Gewerbefreiheit besteht danach dann, wenn

— jeder freien Zugang zum Gewerbe hat,

— dieses uneingeschränkt betrieben werden kann3,

— kein Gewerbetreibender einer gewerblichen Korporation als Zwangsmitglied angehören muß,

— der freie Zugang und der freie Betrieb nur aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung beschränkt werden dürfen.

Wie sich der Gedanke der Gewerbefreiheit herausgebildet hat, kann in diesem Beitrage nicht dargestellt werden. Eine knappe, doch informative Zusammenfas-sung dieser auch geistesgeschichtlich aufschlußreichen Entwicklung findet sich in dem Artikel von Harald Steindl „Die Einführung der Gewerbefreiheit" in Coings Handbuch der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte4. Eine umfas-sende, die verschiedenen Entwicklungsstränge ausführlich schildernde Analyse steht indes noch aus.

II.

1. „Reformen vor den Reformen" (um 1780 bis 1806)

a) Voraussetzungen und Wirkungen der Reformperiode und damit diese selbst werden erst verständlich, wenn die Zeit davor und danach ebenfalls behandelt wird. Das scheint selbstverständlich zu sein, wird aber nicht immer beachtet, vor allem nicht hinsichtlich der Periode vor den Reformen, die in der neueren Literatur nur wenig Aufmerksamkeit gefunden hat.

1 Zu nennen sind hier vor allem drei Studien, die sich intensiv (z. T. mit ausführlichen Quellenzitaten) mit dem Übergang zur Gewerbefreiheit in Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts beschäftigen: Kurt von Rohr Scheidt, Vom Zunftzwange zur Gewerbefrei-heit. Eine Studie nach den Quellen, Berlin 1898; Hugo Roehl, Beiträge zur Preußischen Handwerkerpolitik vom Allgemeinen Landrecht bis zur Allgemeinen Gewerbeordnung von 1845 (Staats- und Sozialwissenschaftliche Forschungen 76), Leipzig 1900; Fritz Rüffer, Das gewerbliche Recht des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten vom 1. Juni 1794 und die Preußische gewerbliche Gesetzgebung von 1810 und 1811. Geschichte — Darstellung — Vergleich, Tübingen 1903.

2 Eine neuere Monographie fehlt. Vgl. den Art. Gewerbefreiheit von Egon Tuchtfeld, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 3, Stuttgart 1981, 611-617.

3 Diese Voraussetzung ist in der Literatur nicht unbestritten geblieben. 4 Harald Steindl, Die Einführung der Gewerbefreiheit, in: Helmut Coing (Hrsg.),

Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. I I I /3, München 1986, 3527-3628.

Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert 139

Etwas besser sieht es hinsichtlich unserer Kenntnis der tatsächlichen Verhält-nisse im Gewerbe des ausgehenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts aus. Dazu eine knappe Übersicht:

Über das Handwerk dieser Periode informiert neuerdings vorzüglich die knappe Darstellung von Friedrich Lenger in seiner „Sozialgeschichte der deutschen Hand-werker seit 1800"5. Es fand sich in bedeutendem Umfange in den Städten, wo es zu einem beachtlichen Teile in Zünften organisiert war. Das von der älteren Forschung wenig beachtete Landhandwerk6 kam dem städtischen an Umfang, nicht dagegen an Wirtschaftskraft gleich. Seine rechtlichen Verhältnisse waren von Territorium zu Territorium sehr unterschiedlich gestaltet: teils war es völlig frei, teils bedurfte es einer behördlichen Konzession, teils war es mit Ausnahme einiger Berufe für die handwerkliche Grundversorgung der Landbevölkerung7

verboten.

Die Manufakturen hatten im 18. Jahrhundert stark an Bedeutung gewonnen. Sie arbeiteten meist auf der Grundlage einer landesherrlichen Konzession; oft waren ihnen auch Privilegien verliehen, die ihnen für bestimmte Produkte und/ oder Gebiete eine Monopolstellung einräumten. Auch das Verlagswesen hatte sich weiter stark ausgebreitet. Es blieb im allgemeinen außerhalb rechtlicher Bindungen. Gleiches galt für das Heimgewerbe, zumal sich eine Grenze zwischen beiden Betriebsformen oft nur schwer ziehen läßt.

b) Die wirtschaftliche Entwicklung des gesamten Gewerbes wurde stark von der rasch wachsenden Bevölkerung beeinflußt: Die Massenarmut (der Pauperis-mus) hatte begonnen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, besonders in den 1840 Jahren, ihren Höhepunkt erreichte8. Wirtschaftspolitisch betrieben die meisten größeren deutschen Staaten eine merkantilistisch (kameralistisch) orientierte Politik. Preußen bietet dafür ein ebenso gutes wie bekanntes Beispiel, das hier nicht noch einmal im einzelnen dargestellt werden soll9. Wichtig für das Thema Gewerbefreiheit ist aber das Nebeneinander von hochsubventionierten Seidenmanufakturen in den mittleren Provinzen (vor allem in Berlin) und eines

5 Friedrich Lenger, Sozialgeschichte der deutschen Handwerker seit 1800 (Neue Historische Bibliothek), Frankfurt/M. 1988, 13-35.

6 Eine beachtliche Ausnahme bildete die knappe Studie von August Skalweit, Das Dorfhandwerk vor Aufhebung des Städtezwanges (Abhandlungen des Europäischen Handwerks-Instituts 1), Frankfurt/M. o. J. (1942).

7 Meist waren das Leineweber, Schmiede, Rade- und Stellmacher, Schneider, Schuh-macher.

8 Wilhelm Abel, Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa, Hamburg 1974, bes. 302-396.

9 Vgl. Karl Heinrich Kaußold, Das Gewerbe in Peußen um 1800 (Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 2), Göttingen 1978, bes. 433-451; ferner für die wichtigen mittleren Provinzen Herbert Krüger, Zur Geschichte der Manufakturen und der Manufakturarbeiter in Preußen. Die mittleren Provinzen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Schriften des Instituts für Allgemeine Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin 3), Berlin 1958.

140 Karl Heinrich Kaufhold

nicht öffentlich geförderten, ja durch Einfuhrverbote benachteiligten Seidenge-werbes in und um Krefeld im Westen der Monarchie. Dieser ganze Komplex ist durch Gustav Schmoller und Otto Hintze in den Acta Borussica sorgfältig unter-sucht worden10, und zwar durchaus mit einem kritischen Unterton gegenüber dem „Fabrikensystem" Friedrichs des Großen, eine Kritik, die vor allem Otto Hintze in späteren Arbeiten noch vertieft hat11. Ausdrücklich thematisiert wurde das Nebeneinander von Mitte und Westen, das eher ein Gegeneinander war, 1968 von Herbert Kisch in seinem Aufsatz „Preußischer Merkantilismus und der Aufstieg des Krefelder Seidengewerbes: Variationen über ein Thema des 18. Jahrhunderts"12. Allerdings galt sein Hauptinteresse weniger der Wirtschaftspoli-tik, sondern der Stellung Krefelds in der neuerdings als „Proto- Industrialisierung" bezeichneten gewerblichen Entwicklungsperiode unmittelbar vor der Industriali-sierung13. Doch enthält sein Aufsatz auch einen scharfen Angriff gegen die Wirtschaftsgeschichtsschreibung der jüngeren historischen Schule der National-ökonomie, besonders gegen Gustav Schmoller14, der leider nicht frei von Einsei-tigkeit und daraus folgenden Mißverständnissen ist. Dennoch stellt Kischs Aufsatz den bisher wichtigsten neueren Beitrag zu dem für die Gewerbepolitik des 18. Jahrhunderts in Preußen zentralen Thema dar.

Diese Politik ist hier von Interesse (und wurde daher so ausführlich behandelt), weil sie auf einen faktisch bestehenden Raum der Gewerbefreiheit in Preußen vor 1807 aufmerksam macht. Für das Gewerbe außerhalb des Handwerks bestand nämlich zumindest in den westlichen Provinzen de facto Gewerbefreiheit, und zu einem Teile galt das sogar für das Handwerk. Für Westfalen belehrt darüber neuerdings eine ausführliche rechtshistorische Studie von Gerhard Deter über das ,»Recht der Meister"15, die auch das übrige Gewerbe knapp berücksichtigt. Doch auch in den mittleren Provinzen schuf eine großzügige Handhabung des Konzessionswesens beachtliche Freiräume für das Gewerbe und führte etwa im Baumwollgewerbe Berlins zu faktisch bestehender Gewerbefreiheit 16.

10 Gustav Schmoller / Otto Hintze, Die preußische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert und ihre Begründung durch Friedrich den Großen (Acta Borussica Seidenindustrie), 3 Bde., Berlin 1892.

n Z. B. in: Geist und Epochen der preußischen Geschichte, in: ders., Regierung und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preu-ßens, hrsg. v. Gerhard Oestreich, 2. Aufl., Göttingen 1967, 1-29.

!2 Der zunächst in Philadelphia veröffentlichte Beitrag ist jetzt gut zugänglich in: Herbert Kisch, Die hausindustriellen Textilge werbe am Niederrhein vor der industriellen Revolution. Von der ursprünglichen zur kapitalistischen Akkumulation (Veröffentlichun-gen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 65), Göttingen 1981, 66-161.

13 Ebd., 38-54. 14 Ebd., 152-161. 15 Gerhard Deter, Rechtsgeschichte des westfälischen Handwerks im 18. Jahrhundert:

Das Recht der Meister (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XXII A 8), Münster 1990.

16 Kaufhold, Gewerbe (Anm. 9), 275 und 444.

Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert 141

c) Das zünftig organisierte Handwerk (also dessen Masse) blieb nicht außerhalb der Reformdiskussion, sondern wurde im Gegenteil schon früh zum Gegenstand einer (freilich moderaten) Reformpolitik. Diese begann 1731 mit dem Erlaß der Reichszunftordnung, deren Regelungen mit der Handwerksordnung für Ostpreu-ßen 1733 und den General-Innungsprivilegien der Kurmark und Neumark 1733 / 34 für wichtige Teile Preußens übernommen wurden. Wolfram Fischer hat in seiner schon 1955 erchienenen Studie über „Handwerksrecht und Handwerkswirt-schaft um 1800"17, die einen Neubeginn der Beschäftigung mit dem vorindustriel-len Handwerk markiert, auch die zentralen Elemente der Reichszunftordnung herausgearbeitet: Auflockerung des Zunftsystems und Zunahme des staatlichen Einflusses auf die Zünfte mit der Folge einer Minderung deren Autonomie.

In Preußen blieb es im wesentlichen bei diesen Bestimmungen. Das Allgemeine Landrecht von 1794 nahm nämlich die bestehende Zunftordnung ausdrücklich auf und definierte diese als Bestandteil der ständisch geprägten Sozialordnung. Darauf hat vor allem Reinhart Koselleck in seiner großen Arbeit „Preußen zwi-schen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848"18 aufmerksam gemacht, eine Untersuchung, die auch für die Reformzeit sowie für den „Vormärz" mit Nutzen heranzuziehen ist.

Indes sollte dieser Konservativismus des preußischen Gesetzgebers nicht über-schätzt werden. Denn vor allem in der hohen Bürokratie wuchs seit den 1790er Jahren eine grundsätzliche Abneigung gegen das Zunftwesen und entstand so allmählich ein reformfreundliches Klima. Ein Symptom dafür war die lebhafte Diskussion über eine Aufhebung des Zunftwesens, die von 1792 bis 1794 zwi-schen dem Fabriken-Department und dem Generaldirektorium geführt wurde19. Dabei setzte sich das Fabriken-Department für die Aufhebung des Zunftzwanges ein, damit Preußen nicht hinter die fortschreitende Fabrikindustrie anderer Länder zurückfiele. Das Generaldirektorium erhob dagegen verschiedene Bedenken, un-ter denen besonders der Hinweis auf Großbritannien interessant ist, wo neben blühender Industrie und großem Wohlstand verbreitet Armut und Verbrechen herrschten — eine solche Polarisierung der Gesellschaft lehnte es ab. Doch spielte auch — nach 1789 verständlich — deutlich die Furcht vor einem Überspringen der Revolution nach Preußen in die Auseinandersetzungen hinein. Sie endeten übrigens mit einem Kompromiß: Das Zunftwesen blieb bestehen, doch sollte es von den Behörden liberal gehandhabt werden.

Auch in der Wissenschaft geriet das Thema Zunftzwang in eine lebhafte Diskussion. Darüber informiert gut die Studie von Marie-Elisabeth Vopelius

17 Wolfram Fischer, Handwerksrecht und Handwerkswirtschaft um 1800, Berlin 1955; zur Reichszunftordnung darin 24-31.

18 Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Land-recht, Verwaltung und soziale Bewegung (Industrielle Welt 7), Stuttgart 1967.

19 Kaufhold, Gewerbe (Anm. 9), 438-441.

142 Karl Heinrich Kaufhold

über „Die altliberalen Ökonomen und die Reformzeit" 20. Das Ergebnis war, nach ihren Forschungen, ähnlich wie das der hohen Bürokratie: Das Zunftwesen galt allgemein als überholt, doch konnte man sich zu der radikalen Folgerung, es aufzuheben, nicht durchringen, da immer wieder auf die von ihm ausgehenden Fürsorgeelemente hingewiesen wurde. Das war in der Zeit des aufkommenden Pauperismus sicher ein gewichtiges Argument.

Im Ergebnis ist das Thema trotz seiner Bedeutung in der Forschung bisher nicht ausdiskutiert worden. Dies ist um so bedauerlicher, weil es nicht nur für den Zustand der faktischen Verhältnisse im Gewerbe, sondern auch und vor allem für das Gewerberecht und die gewerbliche Verfassung Preußens wichtig ist. Doch noch ein weiterer Umstand lohnte es, die Beschäftigung mit dieser Frage fortzusetzen. Denn aus ihr ließen sich auch beachtliche Hinweise auf den Entwicklungsstand und die Entfaltungsmöglichkeiten des gewerblich orientierten Bürgertums gewinnen, womit das Thema über die Gewerbegeschichte im engeren Sinne hinaus weit in den Bereich einer Sozialgeschichte des Bürgertums reicht.

d) Die ein wenig verwirrende Vielfalt der Gesichtspunkte dieses Kapitels verlangt nach einer knappen Zusammenfassung. Im Ergebnis bestand, wie im einzelnen dargelegt wurde, ein relativ hohes faktisches Maß an Gewerbefreiheit im Groß-, doch auch im Heimgewerbe und im Verlag, während im Handwerk das Zunftwesen weiterhin herrschend blieb. Doch zeigten sich auch hier deutliche Tendenzen zu seiner Einschränkung, etwa darin, daß Anträge auf Einrichtung neuer Zünfte oder auf Schließung bestehender in der Regel abgelehnt wurden. Bemerkenswert war weiter der deutliche Widerspruch zwischen der rechtlichen Regelung (weithin Verbot) und den faktischen Zuständen im Landhandwerk (anhaltendes Wachsen), ein Widerspruch, dessen die Behörden nicht Herr werden konnten. Mit Sicherheit hat hier der starke Druck der wachsenden Bevölkerung eine wichtige Rolle gespielt.

2. Die Reformzeit (1807-1811)

a) Reformzeit bedeutet, bezogen auf das Thema, Einführung der Gewerbefrei-heit nicht nur (wie gelegentlich geschehen) faktisch, sondern auch rechtlich als Grundsatz der Gewerbepolitik. In Preußen war sie Bestandteil einer umfassend konzipierten Reformpolitik als Antwort auf die Französische Revolution, vor allem aber auf die Niederlage durch Napoleon (1806). Die traditionelle Bezeich-nung dieser Politik als „Stein-Hardenbergsche Reformen" bindet dabei zwei unterschiedliche Ansätze zusammen, die trotz der zwischen ihnen bestehenden Verbindungslinien besser zu trennen sind, wie vor allem Barbara Vogel in ihrer grundsätzlichen Untersuchung über die „Allgemeine Gewerbefreiheit" gezeigt hat21.

20 Marie-Elisabeth Vopelius, Die altliberalen Ökonomen und die Reformzeit (Sozial-wissenschaftliche Studien 11), Stuttgart 1968.

Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert 143

Im Folgenden wird der Ablauf der Reformen knapp dargestellt (b). Der Schwer-punkt der Ausführungen liegt auf einer ausführlichen Diskussion der unterschied-lichen Deutungen, die die Reformmaßnahmen auf dem Gebiete des Gewerbes in der Literatur der Bundesrepublik Deutschland gefunden haben (c).

b) Die Grundentscheidung in Richtung auf die Gewerbefreiheit fiel bereits in dem mit Recht berühmten „Oktober-Edikt" Steins, dessen § 5 bestimmte:,freie Wahl des Gewerbes. Jeder Edelmann ist ohne allen Nachteil seines Standes befugt, bürgerliche Gewerbe zu betreiben, und jeder Bauer ist berechtigt, aus dem Bauern- in den Bürger-, und jeder Bürger, aus dem Bürger- in den Bauern-stand zu treten"22. Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger als die Freigabe der Erwerbstätigkeit ohne die bisher dafür geltenden ständischen Schranken, und weit über das Gewerberecht hinaus stellte die Bestimmung damit die ständische Ordnung allgemein zur Disposition. Sicher entfaltete sie ihr Hauptgewicht im Bereich der Agrarreformen, doch setzte sie auch im Gewerberecht einen neuen Anfang. Ernst Rudolf Huber hat darüber hinaus mit Recht im 1. Band seiner deutschen Verfassungsgeschichte seit 178923 auch das sozialgeschichtliche Ge-wicht dieser Regelung betont. Nach ihm stand sie am Beginn einer Schichtung der Gesellschaft ausschließlich oder zumindest überwiegend nach ökonomischen Kriterien, also am Beginn der Bildung von Klassen im modernen Sinne. Vielleicht mutet diese Interpretation dem Edikt eine zu schwere Erklärungslast zu, doch bezeichnet sie dessen Tendenz durchaus zutreffend.

Der Sturz Steins hinderte die weitere Entwicklung seines Reformprogramms. So geschahen die entscheidenden Schritte zur Einführung der Gewerbefreiheit erst einige Jahre später unter dem Staatskanzler Carl August v. Hardenberg24. Am Beginn stand das sog. Gewerbesteueredikt vom 28. 10. / 2. 11. 1810. Da dieses nur die Grundzüge regelte, folgte nach längeren Beratungen das Gewerbe-polizeigesetz vom 1.9. 1811 als für längere Zeit abschließende Regelung.

Im einzelnen sind folgende Bestimmungen hervorzuheben:

— Jeder konnte jedes Gewerbe frei treiben, wenn er einen Gewerbeschein löste und die (durch das Edikt eingeführte) Gewerbesteuer bezahlte.

— Die Zwangs- und Vorrechte der Zunftmitglieder wurden beseitigt (auch bei der Lehrlings- und Gesellenhaltung), doch blieben die Zünfte als Vereinigun-gen bestehen.

21 Barbara Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit. Die Reformpolitik des preußischen Staatskanzlers Hardenberg (1810-1820) (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 57), Göttingen 1983.

2 2 Zitiert nach Werner Conze, Quellen zur Geschichte der deutschen Bauernbefreiung (Quellensammlung zur Kulturgeschichte 12), Göttingen 1957, 103.

23 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, Stuttgart 1957, 205 f.

M Vgl. dazu vor allem Roehl (Anm. 1), bes. 103-129; Rohrscheidt (Anm. 1), bes. 375-379 und 398-409; Rüffer (Anm. 1), bes. 282-288; Vogel, Gewerbefreiheit (Anm. 21), bes. 179-187.

144 Karl Heinrich Kaufhold

— Die Taxen für Lebensmittel und Handwerksarbeiten wurden aufgehoben.

— Reale Gewerbeberechtigungen sollten allmählich gegen Entschädigung auf-gehoben werden.

— Die Gewerbefreiheit galt nicht für einige Berufe, bei denen ihr Gesichtspunkte der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entgegenstanden. Hier war ein Kon-zessionszwang mit den Voraussetzungen persönlicher Zuverlässigkeit und sachlicher Befähigung vorgesehen.

Im Ergebnis bestand nun also freier Zugang zum Gewerbe und waren die Verbietungs- und Kontrollrechte der Zünfte ebenso beseitigt wie die gewerbe-rechtliche Trennung zwischen Stadt und Land. Die traditionelle Gewerbeverfas-sung war damit aufgehoben und durch eine neue, gewerbefreiheitliche Ordnung ersetzt. Das war — vor allem vor dem Hintergrund der vorausgegangenen jahr-zehntelangen Auseinandersetzungen um eine Gewerbereform — eine beachtliche Leistung, die noch heute Respekt abnötigt. Doch sollte sie auf der anderen Seite auch nicht überschätzt werden. Denn, wie noch zu zeigen sein wird: Die Reform-maßnahmen riefen eine scharfe Opposition und einen verbreiteten Widerstand vor allem bei den Handwerkern hervor. Außerdem galten sie nur in den Provinzen, die bei ihrem Erlaß zum preußischen Staat gehörten, nicht dagegen in dessen, 1815 erheblich erweitertem gesamten Gebiet. Der Weg zur Gewerbefreiheit in ganz Preußen neuen Zuschnitts war damit noch weit. Die Verbindung der Gewer-befreiheit mit der Einführung der Besteuerung des Gewerbes schließlich hat immer wieder zu lebhaften Diskussionen darüber geführt, ob der liberale Gedanke oder das fiskalische Interesse dem Gesetzgeber 1810 / 11 die Hand geführt habe. Darauf wird gleich noch näher einzugehen sein.

c) Die Einführung der Gewerbefreiheit in Preußen wurde in bezeichnender Weise in der Forschung der Bundesrepublik Deutschland stark kontrovers disku-tiert. Im Folgenden können daher nur die wichtigsten Beiträge zu dieser Auseinan-dersetzung knapp vorgeführt werden.

aa) Schon die ältere Forschung hatte wegen der Verbindung der Reform mit der Einführung der Gewerbesteuer das fiskalische Motiv als entscheidend betont, und in der neueren griff Ernst Klein in seiner Arbeit „Von der Reform zur Restauration. Finanzpolitik und Reformgesetzgebung des preußischen Staats-kanzlers Karl August von Hardenberg"25 diesen Gedanken betont wieder auf und stellte das fiskalische Motiv in den Vordergrund der Reformmaßnahmen. Er sah in ihnen also in erster Linie Steuergesetze und betrachtete die Einführung der Gewerbefreiheit als „Kompensation" für die belastende Steuer. Dabei konnte er sich auf zeitgenössische Stimmen berufen, die das (in der Finanznot des Staates nur allzu verständliche) fiskalische Motiv in den Vordergrund rückten. Um eine

25 Ernst Klein, Von der Reform zur Restauration. Finanzpolitik und Reformgesetzge-bung des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 16), Berlin 1965.

Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert 145

liberal begründete Gesetzgebung zu sein, hätte sie gerade umgekehrt verfahren müssen, also die Steuer zum Annex der Gewerbefreiheit machen müssen. Darüber hinaus betont Klein, Preußen habe 1810 die Gewerbefreiheit nicht nötig gehabt, ja, sie sei für seine Wirtschaft sogar schädlich gewesen. Ähnlich wie Klein urteilte auch Eberhard Weis in seinem Aufsatz „Absolute Monarchie und Reform im Deutschland des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts"26.

bb) Reinhart Koselleck interpretierte dagegen in seiner schon zitierten großen Studie27 die durch die Gewerbefreiheit ausgelösten Veränderungen als einen Teil der sozialen Verwerfungen in Preußen, die letztlich zur Revolution von 1848 führten. Seine hochdifferenzierte Argumentation kann in der hier gebotenen Kürze nicht angemessen wiedergegeben werden. Koselleck hebt auf die in der Tat deutlichen und tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen im „Vor-märz" ab, für die er neben anderen Umständen die Gewerbefreiheit verantwortlich macht. So erwähnt er das starke Wachstum der Zahl der Handwerker, das deutlich die Bevölkerungszunahme übertraf, ferner die Entfremdung zwischen Meistern und Gesellen, die bei diesen zu einer revolutionären Unruhe führte. Mit Recht weist er darüber hinaus auf die Entwicklungen im Bereich der Fabriken hin, die die Stellung des Handwerks im Gewerbe deutlich beeinträchtigten. Das galt für den (oft staatlich geförderten) Aufstieg zum Fabrikanten, mehr aber noch für die Herausbildung einer Klasse von Fabrikarbeitern. Die strukturelle Krise des Textil-handwerks in den 1840er Jahren trug ebenfalls zu einem Wachsen der sozialen Spannungen in der preußischen Gesellschaft bei. Die Verwaltung konnte im härter werdenden Widerstreit der Interessen ihre überparteiliche Stellung nicht mehr wahren: „Der Verwaltungsstaat erlag gleichsam seiner eigenen Schöpfung: der modernen bürgerlichen Gesellschaft . . ."28 . Im Ergebnis häufte sich so ein starker sozialer Zündstoff auf, der sich in der Revolution entlud.

Aufgrund einer anderen, materialreichen Beweisführung mit zahlreichen Bele-gen aus ganz Deutschland kam Jürgen Bergmann in seiner Studie „Wirtschaftskri-se und Revolution. Handwerker und Arbeiter 1848/49"29 zu einem, in den wesentlichen Punkten mit Koselleck übereinstimmenden Ergebnis. Ähnlich, wenn auch nicht so stark betont, argumentiert Lenger30. Nach ihm erfaßte die Krise der späten 1840er Jahre auch das Handwerk und bedrohte es so stark in seiner sozialen Stellung, daß es „einen großen Teil der sozialen Basis der Revolu-tion" von 1848 stellte31.

, 26 Eberhard Weis, Absolute Monarchie und Reform im Deutschland des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts, in: Franklin Kopitzsch (Hrsg.), Aufklärung, Absolutis-mus und Bürgertum in Deutschland, München 1976, 192-219 (hier 210).

27 Koselleck (Anm. 18), 586-637. 28 Ebd., 587. 29 Jürgen Bergmann, Wirtschaftskrise und Revolution. Handwerker und Arbeiter

1848/49 (Industrielle Welt 42), Stuttgart 1986, bes. 85-115, 173-259. 30 Lenger, Sozialgeschichte (Anm. 5), 68-87. 31 Ebd., 70.

10 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

146 Karl Heinrich Kaufhold

cc) Barbara Vogel hat in mehreren Studien32 einen neuen Zugang zur Einfüh-rung und Bedeutung der, wie sie formuliert, „allgemeinen Gewerbefreiheit" entwickelt. Sie versteht diese umfassend (bezieht also auch die Bauernbefreiung mit ein) und interpretiert sie als eine geplante „bürokratische Modernisierungs-strategie", als „Bemühungen um ein neues Wirtschaftssystem". Ein kleiner Kreis von Staatsbeamten um den Staatskanzler von Hardenberg (Frau Vogel unterschei-det dessen Politik sehr deutlich von der Steins und sieht das Jahr 1810 als eine „Zäsur") setzte auf ein „liberales Programm wirtschaftlichen Wachstums": Es galt, die Bevölkerung ökonomisch zu aktivieren und die Leistungskraft des einzel-nen zu steigern, kurz die (modern gesprochen) volkswirtschaftliche Wertschöp-fung nachhaltig zu erhöhen. Dazu mußte in der Wirtschaft deren gebundene, am Grundsatz des standesgemäßen Auskommens (Nahrung) orientierte Ordnung ebenso aufgehoben werden wie in der Gesellschaft das ständische Sozialgefüge; an beider Stelle sollte der Wettbewerb gleicher und freier Individuen treten.

Dieses Konzept orientierte sich nicht nur an liberalen Grundsätzen, sondern auch an der ökonomischen und sozialen Wirklichkeit des beginnenden 19. Jahr-hunderts: „Das Bevölkerungswachstum hatte den Rahmen der ständischen Sozial-und Berufsordnung in den Städten wie auf dem Lande längst gesprengt" (Allge-meine Gewerbefreiheit, S. 225), und daher mußten die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft erhöht und Arbeitsplätze geschaffen werden, um den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen der Zeit zu begegnen, den Wohlstand zu stei-gern und nicht zuletzt auch die politische Macht des Staates zu stärken.

Über den Erfolg oder Mißerfolg dieses von Frau Vogel klar entwickelten Konzeptes ist hier nicht im einzelnen zu sprechen, da dies die Darstellung weit über den Rahmen des Gewerbes hinausführte. Vielmehr ist auf seine Beziehungen zu diesem, vor allem zum Handwerk, noch etwas näher einzugehen. Frau Vogel hat sich dazu in einem Aufsatz „Staatliche Gewerbereform und Handwerk in Preußen"33 ausführlich geäußert. Auch an dieser Stelle betont sie, die Gewerbe-freiheit reiche weit über das Handwerk hinaus, denn sie sei als eine „gesamtwirt-schaftliche Entwicklungspolitik" mit mehreren Zielen geplant worden, im einzel-nen Modernisierung der Produktionsanlagen und -methoden, Beschäftigungs-möglichkeiten für die un- oder unterbeschäftigten „arbeitenden Klassen", schließ-lich „Emanzipation im Erwerbsbereich" mit dem Ziel der bürgerlichen Freiheit.

Dieses Konzept einer Gewerbe- und Gesellschaftsreform wurde unter Harden-berg vor allem von Johann Gottfried Hoffmann und von Christian Friedrich

32 Vogel, Gewerbefreiheit (Anm. 21). Vgl. auch dies., Die „allgemeine Gewerbefrei-heit" als bürokratische Modernisierungsstrategie in Preußen, in: Dirk Stegmann et al. (Hrsg.), Industrielle Gesellschaft und politisches System. Festschrift für Fritz Fischer zum 70. Geburtstag (Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung 137), Bonn 1978, 59-78.

33 Barbara Vogel, Staatliche Gewerbereform und Handwerk in Preußen, in: Ulrich Engelhardt (Hrsg.), Handwerker in der Industralisierung (Industrielle Welt 37), Stuttgart 1984, 184-208.

Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert 147

Scharnweber entwickelt. Besonders Scharnweber sah die Gewerbefreiheit — im umfassenden Sinne verstanden als Beseitigung aller Schranken gegen die Freiheit der gewerblichen Niederlassung — als Mittelpunkt einer neuen, wie er schrieb, „Grundverfassung im Inneren". Sie sollte es jedem gestatten, seine Kräfte und Fähigkeiten dort einzusetzen, wo sie ihm am meisten einbrachten. Ein solches radikales, auch für die Unterschichten bestimmtes Konzept mußte freilich den Widerstand derjenigen wecken, die Gewerbefreiheit als ein Recht ausschließlich des selbständigen Bürgers verstanden. Damit kam der Wert der Selbständigkeit in die Diskussion. In dieser wurde er teils hoch eingeschätzt, nämlich als grundle-gend für die staatliche Ordnung, teils gering geachtet, weil ein ausreichendes Einkommen als wichtiger angesehen wurde. Hier zeichneten sich bereits die Grundzüge der gewerberechtlichen Auseinandersetzungen ab, die sich zuneh-mend am Begriff des Mittelstandes orientierten, gegen Ende des 19. Jahrhunderts besonders lebhaft wurden, jedoch bis in die Gegenwart anhalten.

Einige Überlegungen Frau Vogels wurden aufgenommen und verallgemeinert in der Studie von Paul Nolte „Staatsbildung als Gesellschaftsreform" 34. Sie ist indes hier nicht näher zu behandeln, da der Autor die Gewerbefreiheit nicht im einzelnen in den Kreis seiner Überlegungen einbezogen hat.

dd) Einige Verfasser vertreten die Auffassung, die Einführung der Gewerbefrei-heit habe auf die gewerbliche Entwicklung nicht nachhaltig eingewirkt. Sie reduzieren damit den Problemkreis auf das Gewerbe im engeren Sinne (also anders als Frau Vogel unter Ausschluß der Landwirtschaft), besonders auf das Handwerk und die sich entwickelnde Industrie (Fabriken).

Wohl als erster hat Friedrich-Wilhelm Henning in seinem Aufsatz „Die Einfüh-rung der Gewerbefreiheit und ihre Auswirkungen auf das Handwerk in Deutsch-land"35 diese Frage in der neueren Literatur thematisiert. Seine Untersuchung ist quantitativ orientiert, was ihr eine solide Grundlage verleiht. Zwei Größen stehen im Vordergrund der Überlegungen, nämlich einmal die durchschnittliche Betriebsgröße der Handwerksbetriebe (Zahl der Beschäftigten je Betrieb) sowie die sog. Handwerkerdichte (Zahl der im Handwerk Beschäftigten bezogen auf 1 000 Einwohner). Henning arbeitet heraus, nach den Ergebnissen der Gewerbe-zählung von 1861 sei im Deutschen Zollverein die Handwerkerdichte in den Gebieten ohne Gewerbefreiheit am höchsten gewesen. Auch die Größe der Hand-werksbetriebe habe zugenommen, ohne daß dabei Einflüsse der Gewerbefreiheit zu beobachten seien. Im Ergebnis spricht er der Gewerbefreiheit allenfalls kurzfri-stige Wirkungen in der Zeit unmittelbar nach ihrer Einführung zu. Die langfristige

34 Paul Nolte, Staatsbildung als Gesellschaftsreform. Politische Reformen in Preußen und den süddeutschen Staaten 1800-1820 (Historische Studien 2), Frankfurt/M. 1990.

35 Friedrich-Wilhelm Henning, Die Einführung der Gewerbefreiheit und ihre Auswir-kungen auf das Handwerk in Deutschland, in: Wilhelm Abel (Hrsg.), Handwerksge-schichte in neuer Sicht (Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1), Göttingen 1978, 147-177.

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148 Karl Heinrich Kaufhold

Entwicklung des Handwerks habe sie jedoch nicht entscheidend beeinflußt; hier seien andere Faktoren deutlich wichtiger gewesen.

Auch Karl Heinrich Kaufhold kommt in seiner breit angelegten Studie „Gewer-befreiheit und gewerbliche Entwicklung in Deutschland im 19. Jahrhundert"36, die sich mit Handwerk und Industrie beschäftigt, zu dem Ergebnis, die Gewerbe-freiheit habe sich nahezu ausschließlich auf das Handwerk bezogen, sei aber für dessen Entwicklung letztlich nicht auschlaggebend gewesen. Für die Industriali-sierung (Durchsetzung des Fabriksystems) blieb sie nahezu ohne Einfluß, denn diese vollzog sich unabhängig davon, ob in einem Territorium Gewerbefeiheit bestand oder nicht. So wurde in dem relativ am stärksten industrialisierten deut-schen Staat, dem Königreich Sachsen, die Gewerbefreiheit erst 1861 eingeführt, also zu einem Zeitpunkt, als dieses Land längst die Grundzüge der Industrie entwickelt hatte.

Wie sich die Einführung der Gewerbefreiheit konkret in einer großen, gewerb-lich bedeutenden Stadt auswirkte, stellt Jürgen Bergmann in seiner Untersuchung „Das Berliner Handwerk in den Frühphasen der Industrialisierung"37 auf breiter Materialgrundlage eindringlich und eindrucksvoll dar. In seinen Ausführungen finden sich beachtliche Hinweise auf das faktische Bestehen von Gewerbefreiheit bereits vor 1810, auf den auch danach anhaltenden, teilweise beachtlichen Einfluß der Zünfte, vor allem aber auf den nur allmählichen Wandel im mentalen Bereich bei den Handwerkern und den Zünften. Besonders dieser zeitigte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts — wenn auch nur langsam — deutliche Auswirkungen für das Erscheinungsbild und das Verhalten des Handwerks. So ging etwa dessen für die vorindustrielle Zeit bezeichnende Polyfunktionalität nach und nach zurück. Der empirische Wert der Studie Bergmanns ist hoch, und so muß man bedauern, daß vergleichbare Untersuchungen für andere Städte nahezu völlig fehlen. Dies gilt um so mehr, als Berlin wegen seiner Größe, seiner starken gewerblichen Entwicklung und seiner Eigenschaft als Residenzstadt nicht als typisch für andere deutsche Städte gelten kann.

ee) Diese unterschiedlichen Erklärungsansätze und Interpretationen in ihrem Gewicht einzuschätzen, sollte Gegenstand einer ausgiebigen fachlichen Diskus-sion sein. An dieser Stelle kann dafür nur ein Vorschlag gemacht werden in der Hoffnung, er möge eine solche Diskussion in Gang bringen.

Relativ leicht einzuordnen scheint mir das fiskalische Motiv (aa) zu sein: In ihm wird ein an sich treffender Ansatz durch Verabsolutierung übersteigert. Denn es läßt sich ja nicht leugnen, daß die Gewerbefreiheit in Verbindung mit der Besteuerung des Gewerbes eingeführt wurde, daß also das „liberale" mit dem

36 Karl Heinrich Kaufhold, Gewerbefreiheit und gewerbliche Entwicklung in Deutsch-land im 19. Jahrhundert, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, 118 (1982), 73-114.

37 Jürgen Bergmann, Däs Berliner Handwerk in den Frühphasen der Industrialisierung (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 11), Berlin 1973, bes. 35-54.

Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert 149

„fiskalischen" Motiv eng verbunden war. Es empfiehlt sich also, die steuerlichen Gesichtspunkte den anderen Erklärungsansätzen in geeigneter Weise zuzuordnen, da sie diese ergänzen, unter Umständen auch modifizieren. Diesen Weg ist z. B. Barbara Vogel in ihren Arbeiten gegangen.

Das Argument, die Gewerbefreiheit habe auf Handwerk und Industrie keine langfristig bemerkenswerten Wirkungen entfaltet (dd), wird überwiegend mit der quantitativen Entwicklung des Handwerks begründet. In diesem Rahmen trifft es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu. Die Kritik vor allem an Henning hat betont, er sehe diejenigen Veränderungen nicht ausreichend, die nicht (wie etwa die Mentalität) quantitativ zu fassen seien. Das ist nicht zu bestreiten, trifft ihn aber nicht, weil er solche Erklärungen gar nicht beabsichtigte. Im übrigen ist das Argument lediglich auf einen, wenn auch den größten Teil des Gewerbes bezogen. Es fehlt die Entwicklng des Heimgewerbes wie des Verlages, weil beide kaum über die Gewerbestatistik zu greifen sind.

Der hauptsächlich von Koselleck vertretene Ansatz (bb), durch die Gewerbe-freiheit seien wirtschaftliche und vor allem gesellschaftliche Veränderungen aus-gelöst worden, die zu einem beachtlichen Teile die Revolution von 1848 vorberei-tet hätten, bildet einen eigenen, wenn auch mit der übrigen Entwicklung nicht unverbundenen Argumentationsstrang, der in der weiteren Diskussion besondere Aufmerksamkeit verdient. So scheint es möglich, von ihm eine Brücke zu der von Barbara Vogel vorgeschlagenen Interpretation der Gewerbefreiheit als „büro-kratische Modernisierungsstrategie" (cc) zu schlagen. Von den bisher vorgetrage-nen Ansätzen Scheint mir dieser der fruchtbarste, weil die Forschung am meisten weiterführende zu sein. Er ist freilich mit den Problemen behaftet, die im Zusam-menhang mit der Modernisierungs-Theorie diskutiert werden. Meiner Ansicht nach läßt er sich aber davon lösen und kann für sich bestehen — wie gesagt, eventuell in Verbindung mit dem Argument Kosellecks. Wie auch immer, soviel dürfte sicher sein: Der Problemkreis der Gewerbefreiheit und ihrer wirtschaftli-chen, sozialen wie politischen Wirkungen ist noch längst nicht geklärt, und er lohnt durchaus weitere Interpretationsbemühungen.

3. Von der Erklärung der Gewerbefreiheit (1810/11) zur Preußischen Gewerbeordnung von 1845

a) Die Einführung der Gewerbefreiheit 1810 / 11 wurde vor allem vom Hand-werk nicht stillschweigend hingenommen. Vielmehr gab es lebhafte, anhaltende Proteste dagegen, die bis in die 1830er Jahre anhielten. Sie gingen fast ausschließ-lich von den Handwerkern in den Städten und hier vor allem von den Zünften aus, die ja nicht aufgehoben worden waren, sondern als „Privatvereinigungen" fortbestanden38. Für diese Kreise wurde die Gewerbefreiheit zum Kürzel für alle

38 Vgl. Roehl (Anm. 1), 135-173; Rohrscheidt (Anm. 1), 515-517, 564-579.

150 Karl Heinrich Kaufhold

Beschwerden, die das Handwerk bedrückten — und das waren in diesen Jahrzehn-ten des Pauperismus nicht wenige. Soweit es sich beim augenblicklichen For-schungsstande überblicken läßt, scheint die Verbindung zwischen Not der Hand-werker und Einführung der Gewerbefreiheit im wesentlichen eine bloße Behaup-tung gewesen zu sein. Denn auch das zunftgebundene Handwerk geriet in dieser Zeit in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im übrigen lehrt ein Blick auf das 18. Jahrhundert, in dem rechtlich Gewerbefreiheit noch nicht herrschte, daß handwerkliche Not auch unter einem Zunftregime zu Hause sein konnte.

Die Proteste ließen bezeichnenderweise mit der leichten Besserung der wirt-schaftlichen Lage nach, die in den 1830er Jahren einsetzte. Nicht immer waren sie also Ausdruck einer fundamentalen Opposition gegen die Gewerbefreiheit, sondern oft Ausfluß ökonomischer Probleme. In den 1840er Jahren nahmen sie übrigens mit sinkendem Realeinkommen im Handwerk wieder zu, was ebenfalls für die Richtigkeit dieser Behauptung spricht.

b) Im 1815 vergrößerten preußischen Staatsgebiet war die Rechtslage hinsicht-lich der Gewerbefreiheit überaus uneinheitlich. Es lassen sich (wie hier nicht im einzelnen belegt werden soll) zumindest drei große Gebiete unterschiedlichen Rechts erkennen. Im ganzen überwogen freilich die Gebiete mit Gewerbefreiheit, vor allem im Rheinland sowie in den alten (bereits vor 1815 zum Staat gehören-den) Provinzen39.

Das Ziel einer einheitlichen Gewerbeordnung für ganz Preußen wurde auf einem langen Weg erreicht. Sehr deutlich zeigte sich hier, wie schnell der Schwung der Reformzeit verflogen war und einem langwierigen, schwierigen Diskussionsprozeß und dem Versuch Platz machte, die sich immer stärker formie-renden unterschiedlichen Interessen möglichst auszugleichen40. Erst nach drei Jahrzehnten, am 17. 1. 1845, wurde eine einheitliche Gewerbeordnung für Preu-ßen verkündet41. Vor dem Hintergrund ihrer Entstehung wundert es nicht, daß sie einen Kompromißcharakter trug. Zwar blieb die Gewerbefreiheit, doch konn-ten Innungen gebildet werden, deren Bedeutung und Befugnisse über die bloßer „Privatvereinigungen" hinausgingen. Denn in den wichtigsten Handwerksberufen durften nur Innungsmitglieder oder geprüfte Meister Lehrlinge ausbilden — eine deutliche Diskriminierung der Nichtmitglieder und eine eindeutige Einschrän-kung der Gewerbefreiheit. Indem sie Handwerksberufe und Innungen heraushob, wurde die Gewerbeordnung zu einem Handwerkergesetz. Großgewerbe und Indu-strie wurden von ihr kaum, in ihrem Kern gar nicht betroffen.

39 Roehl (Anm. 1), 173-186; Rohrscheidt (Anm. 1), 579-581. 4 0 Dazu knapp, doch mit weiterer Literatur Kaufhold, Gewerbefreiheit (Anm. 36),

91-94. Zur Zeitschriftenliteratur vgl. Hans-Peter Franck, Zunftwesen und Gewerbefrei-heit. Zeitschriftenstimmen zu Fragen der Gewerbeverfassung in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunders, Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Dissertation, Hamburg 1971.

41 Roehl {Anm. 1), 251-264.

Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert 151

Die neuere Literatur hat sich der Entwicklung hin zur Gewerbeordnung von 1845 und dieser selbst bisher nicht angenommen. Hinzuweisen ist aber auf zwei wichtige Arbeiten, die den politischen Raum kennzeichnen, in dem sich die Auseinandersetzungen bewegten. Beide reichen zwar über Preußen hinaus, brin-gen aber auch für die dortige Entwicklung wichtige Hinweise. Es handelt sich einmal um die Studie von Hans-Ulrich Thamer „Emanzipation und Tradition. Zur Ideen- und Sozialgeschichte von Liberalismus und Handwerk in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts"42, die durch die Verbindung von Sozial- und Ideenge-schichte sehr anregend wirkt, zum anderen um die Dissertation von Hans-Peter Franck „Zunftwesen und Gewerbefreiheit. Zeitschriftenstimmen zur Frage der Gewerbeverfassung im Deutschland der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts"43, die ein reiches, für die Diskussion in vielen Punkten überaus bezeichnendes Material zusammengetragen hat.

4. Die Revolution von 1848/49 und die (ältere) Handwerkerbewegung

a) Die Fülle der Ereignisse in dieser Zeit zwingt dazu, die folgenden Ausführun-gen überaus knapp zu halten. Sie beschränken sich unter Verzicht auf die Einzel-heiten auf die Grundlinien der Entwicklung.

Im Frühjahr 1848 schienen alle ungelösten Fragen aus den Jahrzehnten nach den „Befreiungskriegen" zur Disposition zu stehen. Das galt auch für die Proble-me des Gewerbes, besonders für die Gewerbefreiheit. Es überrascht daher nicht, daß sich die Handwerker — Meister und Gesellen — allerorten spontan zusam-menschlossen und ihre Forderungen formulierten. Man bezeichnet diese überaus eindrucksvollen Aktivitäten als Handwerkerbewegung, oft mit dem Zusatz „älte-re", um sie von der sog. neueren am Ende des 19. Jahrhunderts zu unterscheiden. Träger dieser Bewegung waren, wie angedeutet, ganz überwiegend spontan gebil-dete Vereinigungen, die sich der ökonomischen und sozialen Probleme der Hand-werker annahmen, sie auf den Begriff brachten und Vorschläge zu ihrer Abhilfe vorlegten. Im Handwerk entstand ein erstaunliches Potential an politischer Aktion auf einem oft hohen Niveau. In den Verlautbarungen dieser Bewegung spiegelten sich auf einem im allgemeinen beachtlichen Reflektionsstand die „standespoliti-schen" Probleme des Handwerks.

Bedenkt man die Bedeutung der Handwerkerbewegung nicht nur für die Hand-werks-, sondern auch und vor allem für die Sozialgeschichte der Zeit wie für die Geschichte der Revolution von 1848 / 49, überrascht das Fehlen einer zusam-menfassenden größeren wissenschaftlichen Bearbeitung. Es liegt lediglich die

42 Hans-Ulrich Thamer, Emanzipation und Tradition. Zur Ideen- und Sozialgeschichte von Liberalismus und Handwerk in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Wolfgang Schieder (Hrsg.), Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 9), Göttingen 1983, 55-73.

43 Franck (Anm. 40).

152 Karl Heinrich Kaufhold

knappe Studie von Hans Meusch „Die Handwerkerbewegung von 1848/49"44

vor, eine solide, brauchbare Materialsammlung. Sie ist betont aus der Sicht der Handwerksorganisationen geschrieben, war ihr Verfasser doch Generalsekretär des Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages in der Zwischenkriegszeit. Kenner vermuten allerdings, ihr „eigentlicher" Verfasser sei Wilhelm Wernet, der zur Geschichte, Theorie und Politik des Handwerks zwischen 1940 und 1970 beachtete Beiträge geleistet hat. Meusch (oder Wernet) denkt in Ständen und Korporationen, was bei der Lektüre des Buches zu beachten ist. Im übrigen findet sich eine Gesamteinschätzung der Entwicklung in der bereits erwähnten Arbeit von Jürgen Bergmann „Wirtschaftskrise und Revolution"45; auf sie wird am Schluß dieses Kapitels (c) näher eingegangen.

b) Das vielfältige, auf den ersten Blick bisweilen verwirrende Geschehen dieser Jahre spielte sich auf vier Ebenen ab.

aa) Zunächst ergoß sich eine wahre Sturzflut von Petitionen über die Regierun-gen der Einzelstaaten, die provisorische Zentralgewalt, besonders aber über die Nationalversammlung in Frankfurt am Main. Sie war ein Teil (und nicht der kleinste) der großen Petitionsbewegung dieses Jahres. Die Eingaben hatten höchst unterschiedliche Verfasser: Neben zahlreichen Einzelpersonen traten Zünfte und verwandte Korporationen, spontan entstandene örtliche Zusammenschlüsse und nicht zuletzt die großen Kongresse der Handwerkerbewegung auf.

Die auf das Handwerk bezogenen Petitionen wurden ausführlich ausgewertet und untersucht in der Studie von Manfred Simon „Handwerk in Krise und Umbruch. Wirtschaftliche Forderungen und Sozialpolitische Vorstellungen der Handwerksmeister im Revolutionsjahr (!) 1848/49<<46. Der Autor wertet etwa 1 200 Petitionen aus, die allerdings überwiegend aus nichtpreußischen Gebieten stammen. Ihr Inhalt entspricht aber im wesentlichen denen der preußischen Peti-tionen, die im Geheimen Staatsarchiv Merseburg aufbewahrt werden. Die Studie ist gründlich und bietet ein reiches Material; ihre wesentlichen Ergebnisse werden weiter unten (in bb) kurz vorgestellt.

bb) Wichtiger noch als das Petitionswesen war die Kongreßbewegung, die recht eigentlich den Höhepunkt der Handwerkeraktivitäten im Revolutionsjahre bildete. Kongresse traten zunächst regional zusammen; sie sollten die nationalen im Sommer 1848 vorbereiten. Von den regionalen Treffen waren für unser Gebiet besonders wichtig der Norddeutsche Vorkongreß in Hamburg vom 2. - 6. 6. sowie der Kongreß der Handwerker- und Arbeitervereine in Berlin vom 18. - 20. 6. 1848. Die nationalen Kongresse tagten in Frankfurt am Main, um der Nationalversamm-

44 Hans Meusch, Die Handwerkerbewegung von 1848/49, Alfeld 1949. 45 Bergmann, Wirschaftskrise (Anm. 29). 46 Manfred Simon, Handwerk in Krise und Umbruch. Wirtschaftliche Forderungen

und Sozialpolitische Vorstellungen der Handwerksmeister im Revolutionsjahr 1848 / 49 (Neue Wirtschaftsgeschichte 16), Köln 1983.

Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert 153

lung nahe zu sein. Es waren drei: als wichtigster der Deutsche Handwerker- und Gewerbe- Kongreß vom 14. 7.-18. 8., der Meisterkongreß des Schneiderhand-werks vom 20.-25.7. sowie der Gesellen- und Arbeiterkongreß vom 20.7.-20. 9. 1848. Ihre wesentlichen Arbeitsergebnisse (Protokolle, Petitionen, Gesetz-entwürfe) sind 1983 von Dieter Dowe und Toni Offermann in dem Sammelband „Deutsche Handwerker- und Arbeiterkongresse 1848 -1852, Protokolle und Mate-rialien"47 mit einer informativen Einleitung von Offermann ediert worden. Meusch48 und Simon49 haben sie in ihre Darstellungen einbezogen. Wichtiges Material findet sich schließlich in den von Karl Traupe über das Herzogtum Braunschweig veröffentlichten Arbeiten50.

Welche gewerbepolitischen Forderungen erhob das Handwerk in seinen Peti-tionen und Kongressen? So gestellt, ist die Frage falsch, denn eine einheitliche Meinung des ganzen Handwerks gab es nicht und konnte es wohl auch angesichts der Vielfalt seiner Berufe und der unterschiedlichen örtlichen Verhältnisse nicht geben. Besonders bei der Gewerbefreiheit fanden sich Befürworter und Gegner. Diese überwogen allerdings entschieden, und die Kongresse erklärten sich sämt-lich dagegen. Dennoch ähnelten sich viele Forderungen auch, so daß es möglich ist, wesentliche Ziele der Handwerkerbewegung kurz zusammenzufassen (nach Simon51).

Hauptziel war, eine möglichst große Zahl selbständiger Handwerker in aus-kömmlichen wirtschaftlichen Verhältnissen und in gesicherter sozialer Stellung zu erhalten, und zwar durch eine zeitgemäße Gewerbeordnung, wobei eine Wie-derherstellung der Zünfte in der alten Form und Funktion ganz überwiegend abgelehnt wurde. Im einzelnen setzten sich die Handwerker für folgende Forde-rungen ein:

— sorgfältige Berufsausbildung in dem bewährten Dreischritt Lehrling, Geselle und Meister mit Prüfungen am Ende der Lehrzeit und vor der Verleihung der Meisterwürde

— starke Innungen mit Zwangsmitgliedschaft, um den Gemeinschaftsgeist im Handwerk zu pflegen und dessen Interessen nachhaltig zu vertreten

:— selbständige Führung eines Handwerksbetriebes nur nach erfolgreich abgeleg-ter Meisterprüfung (sog. großer Befähigungsnachweis)

— Aufhebung oder zumindest deutliche Einschränkung der Gewerbefreiheit

47 Dieter Dowe / Toni Offermann (Hrsg.), Deutsche Handwerker- und Arbeiterkon-gresse 1848-1852. Protokolle und Materialien, Bonn 1983.

4s Meusch (Anm. 44). 49 Simon (Anm. 46). so Karl Traupe, Johannes Jacob Selenka. Ein Braunschweiger im Kampf für das

deutsche Handwerkerprogramm von 1848, Braunschweig 1983; ders., Handwerkerpeti-tionen der Jahre 1848 und 1849 aus Städten, die nach 1941 dem Handwerkskammerbezirk Braunschweig zugeordnet sind, Braunschweig 1988.

51 Simon (Anm. 46), passim.

154 Karl Heinrich Kaufhold

— Begrenzung der Größe der Betriebe durch Maximalwerte der Beschäftigten

— Verminderung des Landhandwerks und Konzentration des Handwerks in den Städten

— Beschränkung des Handels (besonders der Magazine) und der Fabriken, so-weit sie mit dem Handwerk im Wettbewerb standen.

Die gesellschaftspolitischen Vorstellungen des Handwerker- und Gewerbe-Kongresses zielten auf eine korporative Gestaltung der gewerblichen Wirtschaft, um einer möglichst großen Zahl von „mittleren" Existenzen das Auskommen zu sichern. Die hochinteressanten Vorschläge können hier nicht im einzelnen wieder-gegeben werden; in ihrer Summe bilden sie ein Gegenmodell zur liberal-kapitali-stistischen Ordnung, die entschieden abgelehnt wurde.

Die Forderungen und Ziele der Handwerkerbewegung sind näher behandelt in den bereits zitierten Arbeiten von Meusch und Simon. Wichtige Hinweise zu der sich daraus bildenden Lehre vom Mittelstand bietet weiter der gleichnamige Artikel von Werner Conze in Band 4 des Sammelwerkes „Geschichtliche Grund-begriffe" 52, ferner der bereits erwähnte Beitrag von Thamer53.

cc) Wichtig für die Aufnahme der Forderungen der Handwerkerbewegung ist die Behandlung der Gewerbeangelegenheiten in der Frankfurter Nationalver-sammlung, besonders in derem Volkswirtschaftlichen Ausschuß, der dazu einen Unterausschuß für Gewerbe und Bergbau gebildet hatte. Die Nationalversamm-lung beriet die entsprechenden Grundrechte im Juli 1848. Wichtiger für Handwerk und Gewerbe war allerdings die geplante Gewerbeordnung, die vom Volkswirt-schaftlichen Ausschuß ausgiebig beraten wurde. Dieser spaltete sich dabei in drei Richtungen, erklärte sich jedoch mehrheitlich gegen eine uneingeschränke Gewerbefreiheit (eine ähnliche Tendenz zeigte sich übrigens im Plenum bei der Grundrechtsdebatte). Darüber hinaus sprach sich die Mehrheit im Ausschuß dahin aus, im Handwerk einen Befähigungsnachweis durch Prüfung einzuführen. Der Entwurf der Gewerbeordnung wurde am 26. 2. 1849 im Plenum eingebracht, und zwar mit zwei Minderheitsvoten, von denen das eine betont gewerbefreiheitlich, das andere ausgeprägt zunftfreundlich gehalten war. Die Gewerbeordnung wurde jedoch in der Nationalversammlung nicht mehr behandelt.

Dieser gesamte Komplex ist bisher noch nicht in einer Monographie behandelt worden. Das ist vor allem für den Volkswirtschaftlichen Ausschuß zu bedauern, dessen breit angelegte, sehr sachverständige Diskussionen weit über Gewerbe und Gewerbefreiheit hinaus wichtige Einblicke in den Stand der wirtschaftlichen Entwicklung und der ökonomischen Wissenschaft in der Mitte des 19. Jahrhun-derts eröffnen. Allerdings sind die Fragen im Zusammenhang anderer Arbeiten durchaus diskutiert worden, vor allem bei Simon ausführlich nach den Protokollen

52 Werner Conze, Art. Mittelstand, in: Otto Brunner et al. (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, Stuttgart 1978, 49-92.

53 Thamer (Anm. 42).

Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert 155

der Nationalversammlung54; er macht u. a. die Positionen der einzelnen Abgeord-neten in dieser Frage der Grundrechtsdebatte deutlich. Ein knapper Überblick über den Volkswirtschaftlichen Ausschuß findet sich bei Helmut Sedatis „Libera-lismus und Handwerk in Südwestdeutschland"55.

dd) In Preußen setzte die Nationalversammlung am 21. 7. 1848 eine Kommis-sion für Handwerker- und Gewerbeverhältnisse ein, deren Vorsitzender übrigens Hermann Schulze-Delitzsch war. Sie sah sich einer Flut von Petitionen sowie den Beschlüssen der Kongresse gegenüber; auf beides wurde bereits hingewiesen. Die Kommission schloß sich in ihren Diskussionen im Grundsatz den Vorstellun-gen des Handwerker- und Gewerbe-Kongresses in Frankfurt an. Zu Beschlüssen kam es indes nicht, da die Nationalversammlung am 5. 12. 1848 aufgehoben wurde.

Dennoch brachte die Revolution in Preußen eine wichtige Änderung des Ge-werberechts in bezug auf das Handwerk hervor: Am 9. 2. 1849 erging nach Beratungen mit Vertretern des Handwerks und des Gewerbes eine königliche Verordnung, durch die die Gewerbefreiheit teilweise deutlich eingeschränkt wur-de. Unter anderem wurde für die siebzig wichtigsten handwerklichen Berufe der große Befähigungsnachweis eingeführt und die Beschäftigung von Gesellen in Fabriken und Magazinen beschränkt. Gewerberäte, in denen Handwerk und Indu-strie gemeinsam verteten waren, sollten die gewerblichen Angelegenheiten bera-ten und die Staatsbehörden unterstützen.

Die relativ wenigen Arbeiten, die sich mit dieser Verordnung beschäftigt haben, sehen in ihr übereinstimmend eine „Notverordnung", mit der die aufge-brachten Handwerker beruhigt werden sollten; auch wird darauf hingewiesen, der König Friedrich Wilhelm IV. sei ein Freund des Handwerks und dessen zünftiger Organisation gewesen. Heinrich Volkmann geht in seiner Untersuchung „Die Arbeiterfrage im preußischen Abgeordnetenhaus 1848-1869"56 kurz auf die Verordnung ein und gesteht ihr lediglich eine „psychologische Wirkung" zu; er spricht in diesem Zusammenhang von einer „Placebo-Therapie" des Staates gegenüber den Handwerkern. Karl Heinrich Kaufhold hat sich in seinem Aufsatz „Die Auswirkungen der Einschränkung der Gewerbefreiheit in Preußen durch die Verordnung vom 9. Februar 1849 auf das Handwerk"57 ausführlich mit dem

54 Simon (Anm. 46), 124-173. 55 Helmut Sedatis, Liberalismus und Handwerk in Südwestdeutschland. Wirtschafts-

und Gesellschaftskonzeptionen des Liberalismus und die Krise des Handwerks im 19. Jahrhundert (Geschichte und Theorie der Politik, Unterreihe A, 4), Stuttgart 1979, 87-92.

56 Heinrich Volkmann, Die Arbeiterfrage im preußischen Abgeordnetenhaus 1848-1869, Berlin 1968, 39 f.

57 Karl Heinrich Kaufhold, Die Auswirkungen der Einschränkung der Gewerbefreiheit in Preußen durch die Verordnung vom 9. Februar 1849 auf das Handwerk, in: Harald Winkel (Hrsg.), Vom Kleingewerbe zur Großindustrie (Schriften des Vereins für Social-politik NF 83), Berlin 1975, 165-188.

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Thema beschäftigt. Er wertet dabei eine Umfrage des Ministers für Handel und Gewerbe bei den Regierungspräsidenten aus dem Jahre 1860 für die Provinz Brandenburg (mit Berlin) und die Rheinprovinz aus, die erging, als im Abgeordne-tenhaus die Aufhebung der Verordnung beantragt wurde. Die Stellungnahmen der Regierungspräsidenten fielen unterschiedlich aus, ließen aber zwei Tendenzen erkennen: In den stärker industrialisierten Provinzen wurde die Verordnung ein Mißerfolg und beeinflußte die wirtschaftliche Lage des Handwerks in den 1850er Jahren nicht entscheidend; dagegen wurden ihre Wirkungen in den weniger industrialisierten Bezirken günstiger beurteilt.

c) Eine zusammenfassende Folgerung aus den Ereignissen der Jahre 1848 und 1849 zu ziehen, fällt nicht leicht.

Beschränkt man sich auf die sichtbaren Wirkungen, blieb in Preußen lediglich die Verordnung vom 9. 2. 1849 mit ihren — wie eben angedeutet — fragwürdi-gen, keineswegs nur positiven Wirkungen auf Handwerk und Gewerbe. Deren Entwicklung lief auch nach der Revolution im wesentlichen unverändert fort, wie im nächsten Teil (5) noch kurz gezeigt werden wird.

Über das Äußerliche hinaus scheint aber die bemerkenswerte Selbstbesinnung des Handwerks in der Revolution über diese hinaus wirksam geblieben zu sein. Meister und Gesellen reflektierten grundsätzlich über ihre wirtschaftlichen Mög-lichkeiten und deren Grenzen, über ihre gesellschaftliche Lage und ihre Chancen in einer sich langsam durch die Industrialisierung verändernden Welt, über ihre politischen Bundesgenossen und ihre Gegner. Die Ergebnisse lassen sich nicht, wie bisweilen geschehen, auf eine einfache Formel (etwa Rückkehr zum „Zunft-geist") bringen, denn sie fielen deutlich differenziert aus. Immerhin wurde sich das Handwerk stärker als zuvor seiner selbst und seiner Stellung in Wirtschaft und Gesellschaft bewußt. Es begnügte sich nicht mehr damit, an die vergangene, angeblich gute Zeit der Zünfte zu erinnern und sich diese zurückzuwünschen, sondern es versuchte, seinen Platz in der „modernen Welt" zu definieren und daraus Forderungen abzuleiten, die weniger an der Vergangenheit orientiert, sondern mehr auf die Zukunft gerichtet waren. Allerdings darf dies auch nicht überschätzt werden, denn es war und blieb fatal, daß viele Instrumente, mit denen die Handwerker diese Zukunft bewältigen wollten, solchen aus der Zunftzeit zum Verwechseln ähnlich sahen. Das Handwerk bildete eine ihm eigene Ideologie heraus, die zunehmend zum Kern der „Mittelstandsideologie" wurde, die am Ende des 19. und 20. Jahrhunderts wirtschaftspolitisch zeitweise sehr bedeutend war und die bis heute wirksam geblieben ist. Ob und inwieweit Romantik und Historismus dem Handwerk und seiner Ideologie wie Politik förderlich waren, ist noch nicht untersucht worden.

Ein bemerkenswerter Versuch, die starke Differenzierung in der politischen Orientierung des Handwerks während der Revolution herauszuarbeiten, findet sich in der schon genannten Studie von Jürgen Bergmann „Wirtschaftskrise und Revolution"58. Bergmann betont, wie sich die Stellung der Vertreter des Hand-

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werks im Laufe der Revolution wandelte. Das anfänglich große Vertrauen in die Nationalversammlung schwand zunehmend mit der Folge, daß sich die Handwer-ker von der Revolution abwandten und durch diese ihre wirtschaftlichen Interes-sen gefährdet sahen. Im einzelnen fiel ihre Reaktion dabei freilich unterschiedlich aus. Bergmann unterscheidet drei große Gruppen59. Die erste und größte umfaßte die in ihren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Vorstellungen und Zielen konservativen Handwerker. Sie traten gegen die Gewerbefreiheit und für das Wiedererstehen von Korporationen des Handwerks ein. Eine zweite Gruppe vertrat ebenfalls diese Ziele, zeigte sich aber politisch demokratisch eingestellt. Eine dritte schließlich war betont republikanisch und bezog die damit verbundene Anerkennung der Grundsätze der demokratischen Gerechtigkeit und Gleichheit nicht nur auf die Politik, sondern auch auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung. Sie war entsprechend bereit, auf traditionelle Vorrechte zu verzichten.

5. Die Entwicklung in den 1850er und 1860er Jahren

Die Entwicklung des Handwerks, doch auch des Gewerbes überhaupt in dieser Zeit ist in nahezu jeder Hinsicht erst wenig erforscht, und daher ist hier nur ein oberflächlicher Überblick möglich60. Dieser unbefriedigende Forschungsstand ist gerade für diese Periode bedauerlich, da sich in ihr bedeutende Wandlungen vollzogen. In der wirtschaftshistorischen Forschung besteht Einvernehmen dar-über, in Deutschland habe sich damals die Industrialisierung endgültig durchge-setzt, d. h. der take-off im Sinne von W. W. Rostow habe sich in dieser Zeit vollzogen61.

a) Die wirtschaftliche Entwicklung des Handwerks verlief in den 1850er Jahren anscheinend alles in allem positiv. Die Beschwerden über wirtschaftliche Not gingen deutlich zurück, und die Gewerbestatistik weist steigende Betriebsgrößen in nahezu allen Handwerkszweigen auf. Die Gewerbeaufnahme des Zollvereins von 1861 (die letzte, in der das Handwerk gesondert erhoben wurde) zeigt ein im ganzen günstiges Erscheinungsbild, bietet allerdings ihrer Natur nach (sie enthält lediglich Angaben über die Zahl der Beschäftigten) keine direkten Aussa-gen über die wirtschaftliche Lage.

Mit verstärkter Industrialisierung und Ausdehnung des „großen Kapitals" er-scheint eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in den 1860er Jähen nicht "unwahrscheinlich, doch ist sie nicht hinreichend belegt. Besondere Auf-merksamkeit verdient das Vordringen des Verlags-Systems, das zunehmend selb-ständige Meister in seine Verbindungen einbezog und sie in eine zumindest

58 Bergmann, Wirtschaftskrise (Anm. 29), bes. 173-259. 59 Ebd., 246 f. 60 Lenger, Sozialgeschichte (Anm. 5). 61 Vgl. dazu neuerdings Hubert Kiesewetter, Industrielle Revolution in Deutschland

1815-1914 (Neue Historische Bibliothek), Frankfurt/M. 1989, bes. 64-74.

158 Karl Heinrich Kaufhold

wirtschaftlich abhängige Stellung brachte. Für Preußen ist diese Entwicklung allerdings bisher kaum untersucht. Erwünscht wären für dieses Thema Fallstudien über einzelne Orte oder Berufe. Ein gutes Beispiel bietet die Untersuchung von Friedrich Lenger „Zwischen Kleinbürgertum und Proletariat. Studien zur Sozial-geschichte der Düsseldorfer Handwerker 1816-1878"62, die sich nicht auf das Vordringen der Verlagsbeziehungen beschränkt, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse, die soziale Lage und das politische Verhalten des Handwerks in der genannten Zeit auf breiter Quellengrundlage gründlich untersucht.

b) In der Wirtschafts- und auch in der Gewerbepolitik gilt diese Zeit mit Recht als „Hochblüte des deutschen Liberalismus". Sie machte sich auch und vor allem in der Wirtschaft und im Gewerbe bemerkbar. Bezeichnend dafür erscheint der Siegeslauf, den die Gewerbefreiheit in den 1860er Jahren in den deutschen Staaten nahm. Die Gewerbefreiheit war bis dahin außerhalb Preußens gar nicht oder allenfalls eingeschränkt eingeführt worden. Nun ging ein Staat nach dem anderen dazu über, sie einzuführen. Denn Gewerbefreiheit und Freizügigkeit galten den liberalen Politikern und Volkswirten auch als Voraussetzung für die Lösung der immer mehr anwachsenden sozialen Probleme. Sie empfahlen dafür Selbsthilfe der Betroffenen, und diese erforderte unter anderem freie Beweglichkeit an den Märkten — eine Überlegung, die vor allem bei den Arbeitern großen Anklang fand, da sie ihnen sehr entgegenkam63.

Mit der Erichtung des Norddeutschen Bundes 1867 wurde auch das Gewerbe-recht zu einer Bundesangelegenheit und damit zum Teil der bedeutenden, meist nicht genug gewürdigten Werke der Gesetzgebung dieses kurzlebigen, gleichwohl aber für die zukünftige Entwicklung wichtigen Staatenbundes. Ein weiteres Mal setzten sich liberale Überzeugungen durch, und zwar im Freizügigkeitsgesetz vom 1.11. 1867, im sog. Gewerbe-Notgesetz vom 8. 7. 1868, das erstmals die Gewerbefreiheit für das gesamte Bundesgebiet brachte, und schließlich und end-lich in der am 21. 6. 1869 ergangenen Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, die vom Grundsatz der Gewerbefreiheit ausging. Da sie nach 1871 Reichs-recht wurde, war damit der Sieg der Gewerbefreiheit im geeinten Deutschland gesichert.

c) Wie sich das Handwerk zu diesen Entwicklungen stellte, ist weithin noch unbekannt. Recht früh folgte es der Tendenz der Wirtschaft, sich zu Interessenver-bänden zusammenzuschließen, denn bereits 1862 wurde in Weimar der Deutsche Handwerkerbund gegründet. Er schrieb den Kampf gegen die Gewerbefreiheit „auf Leben und Tod" auf seine Fahnen. Er steht damit am Beginn der langen

62 Friedrich Lenger, Zwischen Kleinbürgertum und Proletariat. Studien zur Sozialge-schichte der Düsseldorfer Handwerker 1816-1878 (Kritische Studien zur Geschichtswis-senschaft 71), Göttingen 1986.

63 Toni Offermann, Mittelständisch-kleingewerbliche Leitbilder in der liberalen Hand-werker- und handwerklichen Arbeiterbewegung der 50er und 60er Jahre des 19. Jahrhun-derts, in: Engelhardt (Anm. 33), 528-551.

Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert 159

Reihe handwerklicher Interessenverbände, die im Reich eine erfolgreiche Politik betrieben. Um so erstaunlicher ist es, daß sie bisher von der Forschung kaum berücksichtigt wurden.

d) Parallel zum Siegeszug des Liberalismus setzte in der Öffentlichkeit in den 1860er Jahren verstärkt auch Kritik an ihm ein. Es entwickelte sich eine breite Diskussion aus verschiedenen Ansätzen heraus, die hier nicht referiert werden kann. In den Vordergrund rückte das Stichwort der „sozialen Frage", hinter der die Enttäuschung der Arbeiter über die mangelhaften Ergebnisse der Gewerbefrei-heit und der Freizügigkeit für ihre wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse stand. Doch auch das Handwerk fühlte sich zunehmend betroffen. Es beklagte das Vorrücken des „großen Kapitals" und befürchtete auf Dauer seinen Unter-gang.

In dieser schwierigen Lage wurde die Frage diskutiert, wie ihr abgeholfen werden könne. Für das Handwerk kamen im wesentlichen zwei Ansätze infrage. Der Weg der Selbsthilfe durch die Bildung von Genossenschaften wurde lebhaft empfohlen; ihm redete vor allem Hermann Schulze-Delitzsch das Wort64. Zuneh-mend rückte indes ein anderer Gedanke in den Vordergrund, nämlich eine Kehrt-wendung in der Gewerbepolitik, konkret die Abwendung von der „schrankenlo-sen" Gewerbefreiheit. In der Wissenschaft ist hier vor allem das grundlegende Werk von Gustav Schmoller „Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert" aus dem Jahre 1871 zu nennen65, das auf die Schwächen, Mängel und Probleme des Handwerks in einer scharfen Analyse überzeugend hinwies und das unverhüllt die Abkehr von der liberalen Doktrin forderte. Noch war dies ein Programm, doch in der Handwerkerpolitik nach 1879 wurde es allmählich Wirklichkeit: Das Reich begann, sich von der Gewerbefreiheit abzuwenden.

III.

Damit scheint die Untersuchung an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt zu sein. Ging es ausgangs des 18.Jahrhunderts darum, die Bindungen des Gewerbes in Richtung auf Gewerbefeiheit allmählich zu lockern, so zeichnete sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Tendenz ab, die endlich nach langen Auseinandersetzungen erreichte Freiheit der gewerblichen Betätigung wieder einzuschränken. Doch war diese Rückkehr nur scheinbar, da sich inzwischen in Preußen und in ganz Deutschland die ökonomischen wie die sozialen Verhältnisse grundlegend verändert hatten. Anlaß dazu waren die Industrialisierung und die

64 Hermann Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden, hrsg. v. F. Thorwart, 5 Bde., Berlin 1909-1913 (Neuausgabe im Auftrage der Historischen Kommission zu Berlin von Wilhelm Treue und Karl Heinrich Kaufhold, Frankfurt/M. 1990).

65 Gustav Schmoller, Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Statistische und nationalökonomische Untersuchungen, Halle 1871.

160 Karl Heinrich Kaufhold

Ausbreitung kapitalistischer Produktionsverhältnisse gewesen, die auch im Hand-werk deutliche Veränderungen ausgelöst hatten. Vor allem aber war damit eine Entwicklungsrichtung unumkehrbar eingeschlagen worden, die immer weiter von den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des alten, zünf-tig organisierten Handwerks fortgeführt hatte und ständig weiter fortführte. Schon 1848 gab es für das Konzept der Handwerkerbewegung, das mit dem Entwurf einer kleingewerblich und korporativ bestimmten Wirtschafts- und Sozialordnung sich betont gegen Liberalismus und Kapitalismus richtete, keine ernsthafte Chan-ce, verwirklicht zu werden. Inzwischen waren drei Jahrzehnte vergangen, in denen sich die Industrie in Deutschland endgültig etabliert hatte. Der Kampf gegen die Gewerbefreiheit mußte damit eine andere Richtung nehmen. Es konnte nicht mehr darum gehen, zu den alten Verhältnissen zurückzukehren. Vielmehr kam es darauf an, inmitten einer rasch fortschreitenden industriellen und kapitali-stischen Entwicklung für das Handwerk „Nischen" zu schaffen. Der Staat sollte ihm damit eine Hilfe zum Überleben in einer völlig veränderten Umwelt geben. Wie wir heute wissen, war dieses Konzept erfolgreich, doch nicht so sehr wegen des Engagements des Staates, sondern wegen des entschlossenen Willens der Handwerker, durch Anpassung an die veränderten Verhältnisse in diesen zu überleben.

Die preußischen Gewerbereformen aus der Sicht der bisherigen ostdeutschen Historiographie

Von Lothar Baar, Berlin

Einen Forschungsüberblick über die preußischen Gewerbereformen aus der Sicht der bisherigen ostdeutschen Historiographie zu vermitteln, charakteristische Züge und Ergebnisse zu markieren sowie Desiderata zu nennen, erweist sich als problematisch, sind doch in der historischen und wirtschaftshistorischen For-schung im Osten Deutschlands die preußischen Gewerbereformen ein Desidera-tum geblieben1. Ihre herausragende Bedeutung für die deutsche Geschichte und Wirtschaftsgeschichte zu verfolgen, gebietet aber gerade die Aktualität im heute zusammenwachsenden Deutschland, 180 Jahre nachdem sich die Idee der Gewer-befreiheit gegen das Zunftdenken durchzusetzen begann. Während in der bisheri-gen Bundesrepublik die Gewerbefreiheit eine wesentliche Grundlage des Erfolges der sozialen Marktwirtschaft werden konnte, verhinderte im Osten Deutschlands eine restriktive Wirtschaftspolitik vier Jahrzehnte lang weitgehend die freie wirt-schaftliche Betätigung.

Soweit sich ostdeutsche Historiker in den vergangenen Jahrzehnten der preußi-schen Reformperiode zuwandten, galt das Interesse weniger der konkreten For-schung, vielmehr hauptsächlich theoretisch-methodologischen Erörterungen über ihren historischen Standort und Stellenwert2. Führte dies zur Vernachlässigung vertiefter Quellenerschließung, so hat es doch dazu beigetragen, die preußischen Reformen in die größere Phase der Wachstumsstrategie einzuordnen, in der besonders seit dem 18. Jahrhundert wegbereitende Elemente für die liberale Wirtschaftsverfassung des 19. Jahrhunderts heranwuchsen3.

Ebenso wie das Edikt, den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner betref-fend vom 9. Oktober 1807 (Oktoberedikt), das generalisierend gestattete, bürgerli-che Gewerbe zu betreiben, so wurden äüch das Edikt über die Einführung einer

1 Vgl. Preußische Reformen — Wirkungen und Grenzen, Aus Anlaß des 150. Todesta-ges des Freiherrn vom und zum Stein, Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR 1 / G (1982), 165; Von Stein zu Hardenberg, Dokumente aus dem Interimsmini-sterium Altenstein / Dohna, hrsg. v. Heinrich Scheel und Doris Schmidt, Berlin 1986, VII.

2 Ebd. 3 Vgl. Barbara Vogel, Das alte Preußen in der Geschichtswissenschaft der DDR.

Zum Wandel des Preußenbildes in der DDR, in: Geschichtswissenschaft in der DDR, Bd. II: Vor- und Frühgeschichte bis Neueste Geschichte, hrsg. v. Alexander Fischer und Günther Heydemann, Berlin 1990, 439.

11 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

162 Lothar Baar

allgemeinen Gewerbesteuer vom 2. November 1810 und das Gesetz über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe vom 7. September 1811 als jener histori-scher Wendepunkt begriffen, an dem die evolutionäre Entwicklung von „Keimfor-men der kapitalistischen Produktion" bzw. „kapitalistischer Elemente im Gewer-be" endigte4.

In diese evolutionäre Entwicklung ordneten sich nach Auffassung ostdeutscher Wirtschaftshistoriker seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts der Merkantilis-mus und seine deutsche Variante, der Kameralismus, ein. Mit der Vergabe von merkantilistischen Produktionsprivilegien konnten Zunftschranken durchbrochen werden und wurde Gewerbefreiheit hergestellt, selbst wenn die Gewährung eines solchen Monopolrechts in der Regel temporär, partiell und territorial begrenzt blieb. Dabei fand das Progressive des preußischen Merkantilismus besonders unter Friedrich Wilhelm I. durchaus Anerkennung, ohne jedoch zu verschweigen, daß diese Wirtschaftspolitik am Ende des 18. Jahrhunderts, zumindest in den letzten Regierungsjahren Friedrich des Großen von einem fördernden Faktor zu einer Fessel für das erstarkende Bürgertum und die weitere Modernisierung von Gesellschaft und Wirtschaft zu werden begann5.

Vor allem den unter dem Kameralismus geförderten gewerblichen Einwande-rern gelang es leichter, Zunftschranken zu durchbrechen, weil ihnen das Vorrecht gegeben war, die Meisterwürde ohne Meisterstück zu erlangen6. Wenn z. B. in Berlin am Ende des 17. Jahrhunderts bei einer Bevölkerung von etwa 20 000 bis 25 000 jeder vierte Bewohner der Stadt ein französischer Religionsflüchtling besonders gewerblicher Provenienz war, dann bedarf es kaum einer Erklärung, welche Bedeutung auch dies für eine partielle Gewerbefreiheit besaß, bevor sie 1810/11 in Preußen umfassenden und allgemeingültigen Charakter erhielt7.

Die Rezeption der preußischen Gewerbeformen in 40 Jahren ostdeutscher Historiographie war maßgeblich bestimmt durch ihre Einordnung in die „Revolu-tionstheorie". Sie stützte sich ursächlich auf die 1874 verfaßte Vorbemerkung von Friedrich Engels zu seiner Arbeit „Der deutsche Bauernkrieg", wo es heißt: „Somit hat also Preußen das sonderbare Schicksal, seine bürgerliche Revolution, die es 1808-1813 begonnen und 1848 ein Stück weitergeführt, Ende dieses Jahrhunderts in der angenehmen Form des Bonapartismus zu vollenden"8.

Die Hamburger Historikerin B. Vogel stellte hierzu fest: „Um den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus zu erforschen, ist für die marxistisch-lenini-

4 Vgl. Hans Mottek, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands, Ein Grundriß, Bd. 1, Berlin 1983, 180 ff., 262 ff.; ders., Bd. 2, Berlin 1987, 11 ff.

5 Mottek (Anm. 4), Bd. 1, 237. 6 Kurt v. Rohr Scheidt, Vom Zunftzwange zur Gewerbefreiheit, Berlin 1898, 21. 7 Vgl. Lothar Baar, Die Berliner Industrie in der industriellen Revolution, Berlin

1966, 14. 8 Friedrich Engels, Der deutsche Bauernkrieg (Vorbemerkung), in: Karl Marx / Fried-

rich Engels, Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Bd. I, Berlin 1951, 616.

Die preußischen Gewerbereformen 163

stische Geschichtswissenschaft die Theorie der bürgerlichen Revolution das ver-bindliche Erklärungsmodell. Die Schwierigkeiten, es im Einzelfall anzuwenden, hat das Problembewußtsein für Periodisierung und Triebkräfte der bürgerlichen Revolution geschärft und dazu geführt, daß heute als Beginn der bürgerlichen Revolution in Preußen zwar weiterhin die Reformzeit nach 1806 / 07 gilt, aber auf wegbereitende Elemente für die kapitalistische Gesellschaftsformation im Wirtschaftsleben der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hingewiesen wird"9.

Es war der Ostberliner Wirtschaftshistoriker Hans Mottek, der in dem 1964 erschienenen zweiten Band seiner „Wirtschaftsgeschichte Deutschlands" die preußischen Reformen, darunter die Gewerbereformen und die Veränderungen in der Gewerbepolitik ausdrücklich mit einem ersten Stadium der bürgerlichen Revolution verband und davon sprach, daß zwei Umwälzungen „für den Übergang vom niedergehenden Feudalismus zum entfalteten Kapitalismus, zur voll ausge-bildeten kapitalistischen Produktionsweise charakteristisch sind", eine bürgerli-che Revolution und eine industrielle Revolution, wobei er die Diskontinuität dieses Prozesses betonte und „die Entwicklung durch einen qualitativen Sprung" hervorhob10.

Dabei erfolgte der Verweis auf einen „qualitativen Sprung" nicht von ungefähr, wußte doch der Autor, daß metaphorisch gesprochen, die Revolution der Geburt einer neuen Ordnung gleicht, die, soll sie gelingen, im Schöße der alten Ordnung herangereift sein muß, bevor sie durch den Sprung der Revolution an das Tages-licht tritt.

Wenn wir den Terminus „Revolution" mit der Schaffung einer neuen gesell-schaftlichen Ordnung und neuer Rechtsformen verbinden, die über den bloßen Wechsel von Führungsgruppen hinausreichen und wenn die Sprengung der bishe-rigen Sozialstruktur im Sinne eines Bruchs mit der Tradition als entscheidend angesehen wird, so scheint es berechtigt zu sein, von einer „bürgerlichen Revolu-tion" zu sprechen, in welche die Gewerbereformen eingeordnet sind. Doch verbin-det sich mit dem Terminus „Sprung" die Unterbrechung der Allmählichkeit durch einen plötzlichen Übergang. So gesehen, ist es außerordentlich problematisch, einen über Jahrzehnte verlaufenden Modernisierungsprozeß als Revolution in drei Stadien zu qualifizieren. Wenn andere Autoren demgegenüber den rund sechs Jahrzehnte dauernden Übergangsprozeß, beginnend mit den liberalen Refor-men von 1807 bis 1813 und endend in den Jahren 1866 bis 1871, als „Entwick-lungstypus einer bürgerlichen Revolution im weiteren Sinne" kennzeichnen, so ist dies sicher ebensowenig gerechtfertigt 11.

Offensichtlich waren sich die Verfasser des 1974 in einer 1. Auflage und 1979 in 2. Auflage erschienenen „Grundriß der deutschen Geschichte", der von den

9 Vogel (Anm. 3), 439. 10 Mottek (Anm. 4), Bd. 2, Berlin 1964, 1, 45. n Deutsche Geschichte, Bd. 4, Berlin 1984, 515, Anm. 8.

Ii*

164 Lothar Baar

Historikern der ehemaligen DDR als Orientierung und Richtungsvorgabe verstan-den werden mußte, einig, daß eine solche These nur schwer aufrecht erhalten werden kann. Sie sprachen deshalb nicht von einer Revolution, sondern von einer „bürgerlichen Umwälzung in den deutschen Staaten in der Form eines rund acht Jahrzehnte dauernden Prozesses"12. Bei aller erforderlichen Distanz gegen-über dieser Veröffentlichung wurde hier verbal vermieden, den Weg des evolutio-nären Übergangs durch einen mehrere Jahrzehnte andauernden Reformprozeß mit einer Revolution zu identifizieren.

Diese Meinungsverschiedenheiten bei der Bestimmung des Charakters der preußischen Reformen dehnten sich unter den ostdeutschen Historikern auf die Verwendung des Begriffs „Revolution von oben" aus. So vertrat Heinrich Scheel in Übereinstimmung mit Ernst Engelberg den an der Reichseinigungspolitik Bismarcks gewonnenen Begriff der „Revolution von oben" auch für die Stein-Hardenbergschen Reformen 13. Jürgen Kuczynski überschrieb Kapitel I I seiner 1961 erschienenen „Darstellung der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1789 bis 1849" mit dem Titel: „1807 bis 1813 — Revolution von Außen und Oben". Es heißt dort: „Der Zerschlagung der absolutistischen Herrschaft feudaler Fürsten in den Hunderten von Territorien Deutschlands durch die revolutionären Heere Frankreichs in den Jahren bis 1807 verdanken es die fortschrittlichen Käfte Deutschlands, daß sie eine Revolution von Oben durchführen konnten"14.

Mit dieser Interpretation folgte ein Teil der ostdeutschen Historiker einer älteren deutschen historiographischen Tradition, die die Industrialisierungsanstö-ße „von oben" einseitig und unter Vernachlässigung anderer Triebkräfte hervor-hob. Tatsächlich präjudiziert jedoch die These der „Revolution von Außen und von Oben" eine grobe Vereinfachung und wird vor allem der reformbereiten Beamtenschaft als einer sozialen Gruppe und Institution mit starkem Eigenge-wicht und Initiativfunktion nicht gerecht15. Um die treibenden Kräfte der Refor-men wirklich identifizieren zu können, bedarf es offensichtlich einer größeren Differenzierung. Gegen die überlebten Produktionsmonopole der Zünfte und des Staates und damit gegen die Beschränkung von Gewerbefreiheit und freier Kon-kurrenz wandten sich in zunehmendem Maße auch junge Unternehmer in der gewerblichen Produktion und im Handel, ebenso wie Teile des zu neuen Produk-tionsmethoden übergehenden Adels. Sie reflektierten in der Praxis die Modellvor-stellungen des ökonomischen Liberalismus, der theoretisch die Notwendigkeit begründete, alle der freien Konkurrenz entgegenstehenden Hemmnisse zu beseiti-

12 Grundriß der deutschen Geschichte, Berlin 1979, 201. 13 Vgl. Preußische Reformen — Wirkungen und Grenzen (Anm. 1), 165; Zu Wirkun-

gen und Grenzen der Preußischen Reformen, in: Militärgeschichte (1983), 199 ff.; Hein-rich Scheel, Nochmals zur Frage der „Revolution von oben" in Preußen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (1983), 824 ff.

14 Jürgen Kuczynski, Darstellung der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1789 bis 1849, Berlin 1961, 45.

15 Geschichtswissenschaft in der DDR (Anm. 3), 556.

Die preußischen Gewerbereformen 165

gen. Das berühmt gewordene Postulat „laissez faire, laissez aller" forderte nichts anderes, als daß der Staat sich völlig aus dem Wirtschaftsleben heraushalten möge, da der Markt alles zum Guten richten würde. Es war dies jener Grund-gedanke, der, wenn auch ergänzungsbedürftig, sich in der späteren Marktwirt-schaft wiederfindet, in der die Unternehmer ihre Investitionsentscheidungen vor allem an der erwarteten kaufkräftigen Nachfrage ausrichten.

In dieser Richtung wirkten theoretisch bereits die Physiokraten, und später war es vor allem das Buch von Adam Smith über die „Ursachen des Volkswohl-standes", das bald nach seiner Veröffentlichung in England in den Jahren 1776 bis 1778 in deutscher Übersetzung vorlag und auch in Preußen einen tiefen Eindruck hinterließ. Hier war es vor allem der an der Universität Königsberg lehrende Professor C. J. Kraus, der als theoretischer Vertreter des ökonomischen Liberalismus einen starken Einfluß auf solche führenden preußischen Beamten wie Freiherr vom und zum Stein und Karl August von Hardenberg, dem Wegberei-ter der Gewerbereformen ausübte16.

Hardenberg, dessen Gewerbesteueredikt von 1810 sowie das Gesetz über die polizeilichen Verhältnisse im Gewerbe von 1811 eine Initial Wirkung auf alle anderen deutschen Staaten besaß, wurde am 6. Juni 1810 vom König aus dem Ruhestand an die Spitze einer neuen Regierung berufen. Aus einer Adelsfamilie des Landes Hannover stammend, hatte er als Verwaltungsbeamter bereits in preußischen Diensten gestanden und sich als Diplomat betätigt. Ostdeutsche Historiker charakterisierten ihn als einen patriotischen und einfallsreichen Staats-mann, der allen Schwierigkeiten die Stirn bot und das reformerische Werk des Ministeriums Stein weiterführte. Er sei, so wird festgestellt, „unter dem Einfluß der Französischen Revolution zur Anerkennung der Prinzipien staatsbürgerlicher Freiheit und Gleichheit gelangt und hielt demokratische Grundsätze in einer monarchischen Regierung4 für erforderlich" 17.

Hardenberg wird in den Kreis jener liberalen Adligen eingeordnet, die für Reformen im Interesse des Bürgertums eintraten, aber jede Initiative des Volkes ablehnten. Er habe, so heißt es, im Inneren lediglich einen Ausgleich zwischen Bürgertum und Adel erstrebt und außenpolitisch eine Aussöhnung mit Frankreich. Seine Reformmaßnahmen seien somit hinter den Zielsetzungen Steins zurückge-blieben und zum Teil Kompromisse mit den sich den Reformen widersetzenden Adligen gewesen18.

Man mag dieser Sicht zustimmen oder nicht, unbestritten bleibt, daß alle Reformen auf dem Kardinalprinzip der staatsbürgerlichen Rechtsgleichheit be-ruhten und tief in die traditionellen Rechtsgewohnheiten eingriffen. So bestand

16 Mottek (Anm. 4), Bd. 2, 49. 17 Deutsche Geschichte (Anm. 11), 101. 18 Günter Vogler / Klaus Vetter, Preußen. Von den Anfängen bis zur Reichsgründung,

Berlin 1974, 169.

166 Lothar Baar

eben der wichtigste juristische Inhalt der Gewerbeedikte darin, „daß für die Ausübung eines Gewerbes nur noch die Aushändigung eines Gewerbescheines notwendig war, den jede unbescholtene Person erhalten konnte. Die erste unmit-telbare Folge der Durchsetzung dieses Grundsatzes war, daß der überholten Zunftordnung die legale Grundlage entzogen wurde; denn jetzt war die Zugehö-rigkeit zu einer Zunft nicht mehr Voraussetzung für die Ausübung eines bestimm-ten Gewerbes"19.

Die grundsätzliche Bedeutung des Gewerbesteueredikts von 1810 wurde auch darin gesehen, daß die Steuerpflicht jetzt alle betraf, so daß diejenigen Adligen, die auf ihrem Gut ein Gewerbe ausüben ließen, ebenfalls zur Steuer herangezogen werden konnten. Damit verschwand der finanz- und gewerbepolitische Unter-schied zwischen Stadt und Land, und das Verbot, bestimmte Gewerbe auf dem Land zu betreiben, entfiel20.

Die Entstehung solcher freien Gewerbeverhältnisse, beginnend mit der Einfüh-rung der Gewerbefreiheit in Preußen, wurde in der bisherigen ostdeutschen Histo-riographie zumeist als ein Prozeß betrachtet, der erst mit der einheitlichen Gewer-begesetzgebung für das Deutsche Reich 1869 bis 1873 endete21. Ebenso sah man im Staat selbst einen „Übergangstyp", in dem feudale und kapitalistische Elemen-te nebeneinander wirksam waren. Dies, so konstatierte H. Bleiber, „vermittelt einen qualitativ veränderten Bezugspunkt für die Beurteilung der staatlichen Maßnahmen, die auf die Förderung von Gewerbe und Industrie abzielten. Sie sind nicht mehr ausschließlich als Schritte zu sehen, deren Motivation in finanz-und machtpolitischen Bedürfnissen des spätfeudalen absolutistischen Staates zu finden sind und die letztlich der Stabilisierung der feudalen Ordnung dienen sollten". Es wird jedoch in diesem Zusammenhang als unzulässig erachtet, „die Gewerbe und Industrie stimulierenden Maßnahmen als Zeichen für bürgerlich-kapitalistische Züge im Charakter dieser Staaten in Anspruch zu nehmen, ohne auf die Grenzen zu verweisen, innerhalb deren diese staatlichen Schritte sich bewegten"22.

Mitunter führte eine solche Übergangssicht zu völlig verfehlten Schlüssen. So betrachteten einzelne Historiker die Wirkungen der Gewerbereformen als irrele-vant und stellten die Schwierigkeiten und Probleme bei ihrer Realisierung über-höht dar. Ohne überzeugende Beweise zu erbringen, wurde jener Auffassung widersprochen, daß die Gewerbegesetzgebung auf dem Kardinalprinzip der staatsbürgerlichen Rechtsgleichheit beruhte und zum eigentlichen Durchbruch der kapitalistischen Rechtsverhältnisse auf wichtigen Gebieten des sozialökono-mischen Lebens geführt habe23.

19 Mottek (Anm. 4), Bd. 2, 50. 20 Deutsche Geschichte, Bd. 2 (1789-1917), Berlin 1965, 107. 21 Vgl. Handbuch Wirtschaftsgeschichte, Bd. 2, Berlin 1981, 661. 22 Vgl. Preußen in der deutschen Geschichte nach 1789, hrsg. v. Gustav Seeber und

Karl-Heinz Noack, Berlin 1983, 103 f.

Die preußischen Gewerbereformen 167

Es kann sicher nicht bestritten werden, daß es Jahrzehnte dauerte, bevor die Gewerbefreiheit als liberales Wirtschaftsprinzip breite Anerkennung und Durch-setzung erfuhr. So rief gerade in Berlin die Liberalisierung des Wirtschaftslebens durch die Reformergruppe um Hardenberg besonders große Entrüstung hervor. Die Auseinandersetzung um die von den Zünften ausgehende Kritik an der neuen Gewerbegesetzgebung fand sogar beim Magistrat der Stadt Unterstützung und zog sich 35 Jahre lang durch alle wirtschaftspolitischen Debatten24. Innungen und Ge werke behielten deshalb nach 1810/11 in Berlin und Preußen noch großen Einfluß auf das Gewerbeleben; die fest verwurzelten zünftlerischen Traditionen erwiesen sich als außerordentlich zählebig.

Die Gewerbefreiheit führte auch nicht in jedem Fall zur Vermehrung eines wirtschaftlich selbständigen Handwerks, wie es sich wiederum am Berliner Bei-spiel nachweisen läßt. Ebenso wie in anderen Gewerbezweigen der Stadt, so hatte bis Ende des 18. Jahrhunderts auch in der Schneiderei der Verlag einen beträchtlichen Umfang erreicht und Handwerker in Abhängigkeit gebracht. Nach Einführung der Gewerbefreiheit konnte der Widerstand der Berliner Schneidergil-de gegen den Verkauf der im Verlag hergestellten fertigen Kleidung noch leichter gebrochen werden, so daß Mitte der vierziger Jahre der wachsende Handel mit Kleidungsstücken zahlreichen Schneidern die Existenzgrundlage nahm und der Verarmung aussetzte25. Es etablierte sich eine große Anzahl Kleider- und Mode-magazine, die den selbständigen Schneidern zu einer wachsenden Konkurrenz wurden. Eine zeitgenössische Darstellung berichtete für Mitte der vierziger Jahre, daß zu diesem Zeitpunkt bereits 75 Prozent der Berliner Schneider von solchen Kleiderläden ruiniert und in Abhängigkeit gebracht worden seien26. Eine Bestäti-gung dafür findet sich in der Forderung der Berliner Kleidermacher, die im Jahre 1843 ein Verbot zu erwirken versuchten, das ihren ungelernten „Kollegen" in den Einzelhandelsgeschäften das Anfertigen von Kleidungsstücken durch Gesel-len und auf eigene Rechnung untersagen sollte27.

Aus dem Jahre 1848 wird berichtet, daß sich viele Meister in der „Sklaverei" der Kleiderhändler befänden, die sie für einen erbärmlichen Lohn beschäftigen würden. Deshalb unternahm das Berliner Schneiderhandwerk auch im Revolu-tionsjahr nochmals den Versuch, ein Verbot aller Kleiderhandlungen und -Werk-stätten durchzusetzen, deren Inhaber nicht gelernte und geprüfte Meister waren28.

23 Reinhard Lorenz, Die politische und rechtliche Stellung des Proletariats in Preußen in der Revolution 1848/49, Dissertation (B), Berlin 1988, 13 ff.

24 Ilja Mieck, Idee und Wirklichkeit: Die Auswirkungen der Stein-Hardenbergschen Reformen auf die Berliner Wirtschaft, in: Berlin und seine Wirtschaft, hrsg. v. der Industrie- und Handelskammer zu Berlin, Berlin/New York 1987, 53 f.

25 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Abt. Merseburg (GStAPK), Rep. 89 H, 1, XIII, Berlin 1, Bd. 2, Bl. 27 (1844-1880).

26 Friedrich Sass, Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwicklung, Leipzig 1846,261 f. 27 GStAPK, Rep. 89 C, XXXV, Kurmark Nr. 27, Bl. 117 ff. 28 GStAPK, Rep. 120 B, I, 1, Nr. 60, vol. 2, Bl. 7 ff. (1848).

168 Lothar Baar

Ähnliches beobachten wir auch in anderen Gewerbezweigen. So verloren in den Jahrzehnten nach Einführung der Gewerbefreiheit viele Berliner Tischler ihre Selbständigkeit an die entstehenden Möbelmagazine, viele Schuhmacher an die Schuhmagazine, die verschiedenen Baugewerke an die entstehenden Bauun-ternehmen29. In der Berliner Kattundruckerei, die besonders früh mechanisiert war, gab es seit den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts immer wieder Versuche, ein Beschäftigungsverbot für Ungelernte zu erreichen, um den gelernten Handdruckern im Gewerbe die Arbeit zu erhalten30.

Alle diese Versuche zur Restaurierung der alten Gewerbeverfassung, wie sie immer wieder unter den Handwerkern besonders im Vormärz auftraten, scheiter-ten jedoch, weil sie dem gesellschaftlichen und ökonomischen Modernisierungs-bedürfnis widersprachen. Daran änderten auch nichts die gesetzlichen Beschrän-kungen durch die Gewerbeordnungen von 1845 und 1849.

Einmal fehlte die Konsequenz bei der Durchsetzung des darin geforderten Prinzips, für viele Arten handwerklicher Tätigkeit einen Befähigungsnachweis erbringen zu müssen und einer Innung anzugehören. Zum anderen wurden größere Unternehmen davon kaum berührt31. Hinfällig wurden aber diese Beschränkun-gen dennoch erst mit der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869.

Erst zu diesem Zeitpunkt (1870) entfiel auch endgültig der bis dahin erforderli-che Konzessionszwang für Aktiengesellschaften. Deshalb scheiterte zunächst der Versuch von David Hansemann, im Jahre 1849 eine „Berliner Kreditgesellschaft" zu gründen, obwohl, wie es in einem Gesuch Hansemanns an den Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten, v. d. Heydt, hieß, die Kreditbedürfnis-se sehr stark seien und sich seit 1848 noch vergrößert hätten32. Nach Überwindung zahlreicher Schwierigkeiten kam es erst 1851 zur Gründung der Direktion der Diskonto-Gesellschaft und 1856 zu ihrer Umwandlung als Kommanditgesell-schaft auf Aktien, einer juristischen Form, in der zu diesem Zeitpunkt auch die Berliner Handelsgesellschaft entstand33.

Wenn auch der Liberalisierung der Wirtschaft seit den Gewerbereformen von 1810/11 keine unüberwindlichen Hindernisse entgegenwirkten, so läßt sich doch keine Kontinuitätslinie verfolgen. Ihre Verwirklichung war auch in Preußen durch eine stadiale Inkongruenz gekennzeichnet, ebenso wie sie sich im nationalen Rahmen Deutschlands asynchron durchsetzte.

29 Baar (Anm. 7), 86. 30 GStAPK, Rep. 120 D, VIII, 2, Nr. 16, Bl. 120; Rep. 89 H, 1, XIII, Berlin 1, Bd. 2,

Bl. 28 ff.; Rep. 120 B, I, 1, Nr. 60, vol. 1, Bl. 32 f. 31 Mottek (Anm. 4), Bd. 2, 51 f. 32 GStAPK, Rep. 120 A, XI, 2, Nr. 5, Bl. 2 ff. 33 Baar (Anm. 7), 159 f.

I I I .

„Der Geist des Militärs selbst wird dadurch eine andere Richtung bekommen"

Die preußische Heeresreform. Kontinuität und Wandel im Geschichtsbild

der Bundesrepublik Deutschland*

Von Heinz Stübig, Marburg

Das in der Titelformulierung umrissene Thema macht zwei Vorbemerkungen notwendig. Zunächst zum Begriff „Geschichtsbild": dieser Terminus wird im folgenden als heuristische Kategorie gebraucht, zur Bezeichnung der auf einer Wertung von historischen Fakten, Ereignissen und Prozessen beruhenden An-schauung über die Vergangenheit, im vorliegenden Fall also über die Reform des preußischen Heeres zwischen 1807 und 1814. Aus der in der Bundesrepublik Deutschland vorherrschenden pluralistischen Vorstellung von Gesellschaft und Wissenschaft ergibt sich, daß es sich hierbei nicht um eine monolithische Gesamtansicht handeln kann, sondern um Einsichten und Anschauungen, die in der Regel das Resultat kontroverser Diskussionen sind und die — wenn überhaupt — nur in gewissen generellen Annahmen, keineswegs jedoch in ihren Einzeler-gebnissen und -bewertungen übereinstimmen. Von daher stellt sich die Aufgabe, eben diesen Diskussionsprozeß an ausgewählten Problembereichen nachzuzeich-nen, um so Kontinuität und Wandel in der Beschäftigung mit der preußischen Heeresreform in der Bundesrepublik Deutschland herauszuarbeiten.

Zu den einleitenden Überlegungen gehört auch ein Blick auf die Quellenlage. Dazu ist festzustellen, daß wir uns bei der Erforschung der preußischen Heeresre-form insofern in einer komplizierten Situation befinden, als durch die Zerstörung des Heeresarchivs in Potsdam im Frühjahr 1945 das gesamte Material zur bran-denburgisch-preußischen Militärgeschichte, das zu dieser Zeit dort eingelagert war, vernichtet worden ist1. Erhalten blieben jedoch die nach Bad Reichenhall ausgelagerten Nachlässe von Scharnhorst, Gneisenau und Boyen, die unmittelbar nach dem Kriege beschlagnahmt und in die Vereinigten Staaten transportiert wurden. Nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik werden sie seit 1970 im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin aufbewahrt. Zwar gab es Bestrebungen, dieses Material zu erschließen, doch blieben alle größeren Unternehmungen in dieser Richtung bisher ohne greifbaren Erfolg.

* Eine gekürzte und überarbeitete Fassung dieses Beitrages erschien unter dem Titel „Die preußische Heeresreform in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik Deutsch-land", in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 48 (1990), 27-40.

i Vgl. Karl Ruppert, Heeresarchiv Potsdam 1936-1945, in: Der Archivar 3 (1950), Sp. 173-180; Bernhard Poll, Vom Schicksal der deutschen Heeresakten und der amt-lichen Kriegsgeschichtsschreibung, in: Der Archivar 6 (1953), Sp. 65-76.

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So zeitigte beispielsweise die Durchsicht des Gneisenau-Nachlasses durch Walther Hubatsch, die explizit unter dem Aspekt einer möglichen Ausgabe vorge-nommen wurde, zwar die interessante biographische Skizze „August Neidhardt von Gneisenau 1760 bis 1831"2, aber angesichts der sich abzeichnenden Schwie-rigkeiten führte diese Arbeit nicht zu einem konkreten Editionsvorhaben.

Hubatschs Plan, statt dessen die Herausgabe des Scharnhorst-Nachlasses in Angriff zu nehmen, wurde nach ersten, sondierenden Gesprächen durch den plötzlichen Tod des Bonner Historikers vereitelt.

Das sich aus diesen Hinweisen ergebende Fazit, daß nämlich die quellenmäßige Grundlage für Arbeiten über die preußische Heeresreform nach den Kriegsverlu-sten äußerst schmal ist, muß jedoch dann korrigiert werden, wenn man die gedruckten Materialien mit einbezieht.

Erstmalig wurden umfangreiche Quellen zur Reform des preußischen Heeres in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von der Histori-schen Abteilung des Generalstabes ediert3. Allerdings leidet diese Publikation darunter, daß zahlreiche Dokumente unvollständig, d. h. nur in Auszügen wieder-gegeben sind, während der übrige Inhalt, darunter natürlich auch Passagen, die für die heutige Forschung von großem Interesse sind, in Paraphrase erscheint. Gleichwohl hat diese Ausgabe einen bedeutenden Vorzug: Sie bildet bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt die einzige detaillierte Quellensammlung zur preußi-schen Heeresreform für den gesamten Zeitraum von 1806 bis 1812.

Ursprünglich sollte dieses Werk durch die Editionsarbeiten von Rudolf Vaupel ersetzt werden, der im Rahmen des breit angelegten Unternehmens, die Dokumen-te zur Reorganisation des preußischen Staates unter Stein und Hardenberg mög-lichst vollständig zu publizieren, die Aufgabe übernommen hatte, die Akten zur Heeresreform für die Zeit von 1807 bis 1814 herauszugeben. 1938 konnte er den ersten von insgesamt drei geplanten Bänden vorlegen, der in mustergültiger Edition das Quellenmaterial für die Jahre 1807 und 1808 enthält4.

Bereits durch die Kriegsereignisse wurde die Arbeit an diesem Projekt erheb-lich beeinträchtigt. Nach den großen Verlusten in der Endphase des Zweiten

2 Walther Hubatsch , August Neidhardt von Gneisenau 1760 bis 1831, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 18 (1981), 317-335.

3 Die Reorganisation der Preußischen Armee nach dem Tilsiter Frieden. Red. von' der hist. Abth. des Generalstabes. Abschn. 1, 2, in: Beiheft zum Militair-Wochenblatt' für Oktober bis einschl. Dezember 1854, und für Januar bis einschl. Juni 1855, Berlin o. J.; Abschn. 3, in: Beiheft zum Militair-Wochenblatt für Mai bis einschl. Dezember 1856, Berlin 1857, Beiheft zum Militair-Wochenblatt für Juli bis einschl. Dezember 1862, Berlin 1862; Abschn. 4, in: Beiheft zm Militair-Wochenblatt für August 1865 bis einschl. Oktober 1866, Berlin 1866.

4 Rudolf Vaupel (Hrsg.), Die Reorganisation des Preussischen Staates unter Stein und Hardenberg, T. 2: Das Preussische Heer vom Tilsiter Frieden bis zur Befreiung 1807-1814, Bd. 1 (Publikationen aus den Preussischen Staatsarchiven 94), Leipzig 1938.

Die preußische eerereform 173

Weltkrieges sowie nach dem Tode Vaupels im Sommer 1945 war dann die Fortsetzung dieses Unternehmens vollends unmöglich geworden.

Allerdings hatte Vaupel die Vorbereitungen für den zweiten Band noch wäh-rend des Krieges im Manuskript fast abschließen können. Diese Unterlagen gingen mit seinem Nachlaß zunächst in den Besitz des Bundesarchivs in Koblenz über und lagern heute im Geheimen Staatsarchiv in Berlin. Dabei handelt es sich um kollationierte, zum Teil bereits mit Anmerkungen versehene Aktenauszüge, in handschriftlicher, überwiegend jedoch in maschinenschriftlicher Fassung. Sie umfassen die Jahre 1809 und 1810 und bilden heute eine der bedeutendsten Materialsammlungen zur Erforschung dieses Zeitraums.

Angesichts der Quellenlage liegt es nahe, daß sich die Beschäftigung mit der preußischen Heeresreform in der Bundesrepublik weniger durch die Erschließung neuer Materialbestände auszeichnet als vielmehr durch die Formulierung verän-derter Fragestellungen und die Erprobung neuer Interpretationsansätze.

Dennoch soll im folgenden vorab auf eine nach 1945 erschienene Quellen-sammlung hingewiesen und deren erkenntnisleitendes Interesse erläutert werden. Danach geht es um die Behandlung der preußischen Heeresreform in ausgewähl-ten Gesamtdarstellungen bzw. Handbüchern sowie — am Beispiel Scharnhorsts — um den Ertrag biographischer Studien. Abschließend werden dann im Zusam-menhang mit einigen Spezialuntersuchungen „neue" Forschungsansätze vorge-stellt und in einem Exkurs das Verhältnis der Bundeswehr zur preußischen Reformzeit thematisiert.

I .

1955 gab Georg Eckert unter dem Titel „Von Valmy bis Leipzig" eine Samm-lung von Quellen zur Geschichte der preußischen Heeresreform heraus5. Auf 300 Seiten wurde die Entwicklung von den Revolutionskriegen bis zur Verab-schiedung des Wehrpflichtgesetzes im Jahr 1814 dokumentiert, wobei der Heraus-geber die Veränderung des Kriegsbildes sowie den Zusammenhang zwischen den politisch-gesellschaftlichen und militärischen Veränderungen besonders her-vorhob. Dementsprechend hieß es in dem Vorwort: „Seit 1792 lassen die Revolu-tionskriege und Napoleons Aufstieg das Ringen zwischen altem und neuem Kriegsbild nicht mehr zur Ruhe kommen. Die Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Gesellschaft, Staatsordnung, Kriegsstand und Nation werden nun zu einem bestimmenden Teil geistig-politischer Selbstbesinnung. Kaum ein zwei-tesmal in der deutschen Heeresgeschichte sind die Grund- und Sinnfragen militäri-scher Existenz, das Verhältnis von Krieg und Politik, von Gesellschaft und Armee, von Gehorsam und Freiheit, von Pflicht, Recht und Ethos des Soldaten

5 Georg Eckert, Von Valmy bis Leipzig. Quellen und Dokumente zur Geschichte der preußischen Heeresreform, Hannover 1955.

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so radikal und schonungslos gestellt worden wie in jenen Tagen, in denen Preußen und Österreich in das Spannungsfeld, in das Gegen- und Miteinander eines sich erneuernden Konservativismus, der Ideen der französischen Revolution und der Philosophie des deutschen Idealismus geraten"6.

Mit dieser Einordnung folgte Eckert einem Deutungsmuster, das die Auseinan-dersetzung mit der preußischen Heeresreform in der Nachkriegszeit im wesentli-chen bestimmte. Auffällig ist allerdings, daß der Autor nirgends den unmittelbaren Anlaß seiner Beschäftigung mit diesem Thema erwähnte, nämlich die seit dem Beginn der fünfziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland geführte Debatte über eine Wiederbewaffnung. Es blieb Richard Dietrich in seiner 1957 erschiene-nen umfangreichen Rezension des Werkes von Eckert vorbehalten, diesen Zusam-menhang gleich mit dem ersten Satz aufzuzeigen. „Selten wohl", so schrieb er, „ist ein historisches Forschungsproblem so unmittelbar wieder in den Bereich politischer Aktualität gerückt worden wie das der preußischen Reformperiode durch den Aufbau einer Bundeswehr faktisch aus dem Nichts heraus, da sich der Gedanke der Orientierung an Lösungsversuchen in ähnlichen Situationen dabei geradezu aufdrängen mußte"7.

Damit sind die in den Anfängen der Bundesrepublik Deutschland ausschlagge-benden Momente bei der Erforschung und Aneignung der preußischen Heeresre-form genannt: 1. der Hinweis auf die politische und soziale Zielsetzung des gesamten Reformwerks, wobei die Veränderungen von Staat und Gesellschaft als Vorbedingung der militärischen Reorganisation gesehen wurden — anders formuliert: das „Volk in Waffen" war nach dieser Interpretation nur möglich, wenn zunächst der Untertan als politisch mündiger Bürger anerkannt wurde — und 2. die Indienstnahme dieser Periode der preußisch-deutschen Geschichte als Orientierungspunkt für den Neuaufbau des westdeutschen Militärs.

Während in den fünfziger Jahren beide Aspekte noch weitgehend miteinander verbunden waren, war die nachfolgende Entwicklung dadurch gekennzeichnet, daß die Legitimationsproblematik im Hinblick auf die Streitkräfte in der wissen-schaftlichen Diskussion immer stärker ausgeblendet wurde, während die Bundes-wehr ihrerseits bestrebt war, einen eigenständigen positiven Bezug zu den militäri-schen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts herzustellen.

II.

Bereits ein Jahr vor der Edition Eckerts erschien 1954 der erste Band von Gerhard Ritters „Staatskunst und Kriegshandwerk", in dem sich der Freiburger Historiker unter seiner spezifischen Fragestellung auch ausführlich mit den Vor-

6 Ebd., 3. 7 Richard Dietrich, Staats- und Heeresreform in Peußen, in: Neue Politische Literatur

2 (1957), Sp. 403-420 (hier Sp. 403).

Die preußische Heeresreform 175

aussetzungen, der Durchführung und den Auswirkungen der Heeresreform in Preußen befaßte8. Den Grundriß seiner Interpretation, die er in diesem Band sowie in den nachfolgenden Bänden entfaltete, hatte er bereits während seines Vortrags über „Das Problem des Militarismus in Deutschland" auf dem 22. deutschen Historikertag im September 1953 vorgelegt9.

Bei seiner Darstellung der Reformzeit ging Ritter ausführlich auf die Verände-rungen des Krieges und des Kriegsbildes im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhun-dert ein10. Wesentlich erschien ihm dabei die im Gefolge der Französischen Revolution stattfindende Ablösung der Kabinettskriege durch die Volkskriege, d. h. die mit der allgemeinen Dienstpflicht verbundene ungeheuer gesteigerte Dynamik der Kriegführung, die, anders als die kriegerischen Auseinandersetzun-gen der vorangegangenen Zeit, auf die totale Vernichtung des Gegners abzielte.

Als zweites Charakteristikum nannte Ritter die damit einhergehende „Verwi-schung bzw. Überbrückung des natürlichen Gegensatzes zwischen bürgerlichem und militärischem Denken durch die (wenigstens zeitweise) Einfügung der ge-samten Staatsbürgerschaft in die Armee mit ihrer unerbittlich strengen Diszi-p l i n " n . In diesem Zusammenhang kritisierte er die liberale Vorstellung von einer allgemeinen „Volkserhebung" von 1813 und beharrte darauf, daß die Befreiungs-kriege mit der alten, königlich preußischen, noch auf der Konskriptionspflicht beruhenden Armee durchgefochten worden seien.

Jedoch räumte er ein, daß durch die allgemeine Wehrpflicht dem Militärwesen neue geistige Kräfte zugewachsen seien, was zu einer Rechtfertigung des Krieges beigetragen und dazu geführt habe, daß der Krieg nun als Stunde der Bewährung und als Selbstbestätigung der Nation begriffen worden sei. Daher sei es nur folgerichtig gewesen, daß sich das Heer der allgemeinen Dienstpflicht langfristig als Schule der Nation etablieren konnte.

Alle diese Entwicklungen wurden von Ritter jedoch nicht mit dem Begriff „Militarismus" belegt, für den nach seiner Ansicht zwei Momente konstitutiv waren, nämlich die „einseitige Bestimmung politischer Entscheidungen durch militärtechnische Erwägungen" sowie ganz allgemein das „einseitige Überwiegen militanter, kämpferischer Züge in der politischen Grundhaltung eines Staatsman-nes — oder auch einer Nation"12.

In Ritters Verständnis des Begriffes war also die außenpolitische Dimension entscheidend, oder wie er selbst formulierte: „Militarismus hängt immer mit

8 Gerhard Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des „Militarismus" in Deutschland, Bd. 1: Die altpreußische Tradition (1740-1890), München 1954.

9 Gerhard Ritter, Das Problem des Militarismus in Deutschland, in: Historische Zeit-schrift 177 (1954), 21-48.

10 Vgl. zum folgenden ebd., 26 ff. 11 Ebd., 27. 12 Ebd., 22.

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außenpolitischem Tatendrang zusammen"13. Das bedeutete auch, daß sich im, Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert Militarismus im Ritterschen Verständnis einerseits in der Gestalt Napoleons, andererseits in den Taten und Anschauungen der Gneisenau, Stein und Arndt manifestierte, also bei denjenigen, die den Befrei-ungskrieg als Kreuzzug proklamierten.

Die weitreichenden innenpolitischen Folgen der Reform, die aus dem Bestreben resultierten, „das Heer der allgemeinen Wehrpflicht so zu gestalten, daß es einer Berufsarmee von königlichen Leibgarden möglichst ähnlich sah"14, wurden von Ritter auf der Grundlage seines definitorischen Ansatzes aus der Militarismus-Debatte ausgeblendet. Erst für das wilhelminische Deutschland traf er die Feststel-lung: „Die Sonderstellung der Armee im Staate, die nach altpreußischer Tradition als Vorzugsstellung empfunden wird, wirkt sich je länger je mehr auf das öffentli-che Leben aus"15.

Es war diese Reduktion des Militarismus-Begriffes auf das Feld der Außenpoli-tik, die Hans Herzfeld in seiner Besprechung des Ritterschen Buches dazu veran-laßte, das Problem der „Ausstrahlung der »Militarismus'-Frage in den inneren Organismus des deutschen Lebens" in den Vordergrund zu rücken16. Dabei formulierte er seine Kritik an Ritter auch mit Blick auf die Ergebnisse der seinerzeit bereits abgeschlossenen Dissertation von Otto Büsch über die soziale Militarisierung im alten Preußen17. Vor allem insistierte Herzfeld auf dem engen Zusammenhang zwischen politischer und militärischer Verfassung und fragte nach den innenpolitischen Auswirkungen einer Entwicklung, in der die Armee letztlich zum Zentrum des Staates gemacht wurde.

Die Konsequenz aus seinen Überlegungen lautete: „Diese sozialgeschichtliche, innenpolitische Seite, eine Fragestellung, die sich auch für die Folgezeiten immer wieder anmeldet, ist in der bisherigen deutschen Forschung nicht annähernd so stark wie in der immer nach dieser Richtung weisenden Fragestellung des Auslan-des, Amerikas vor allem, berücksichtigt worden"18.

Damit hatte Herzfeld in seiner Auseinandersetzung mit den Thesen Gerhard Ritters einen Problemkomplex benannt, der für die weitere Beschäftigung mit der preußischen Heeresreform in der Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik Deutschland eine große Bedeutung erlangen sollte. Dieses zeigte sich nicht zuletzt an den Publikationen des Milifärgeschichtlichen Forschungsamtes, besonders in

13 Ebd., 23. 14 Ebd., 32. 15 Ebd., 40. 16 Hans Herzfeld , Zur neueren Literatur über das Heeresproblem in der deutschen

Geschichte, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 4 (1956), 361-386 (hier 367). 17 Otto Büsch, Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713-1807. Die

Anfänge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft (Veröffentli-chungen der Historischen Kommission zu Berlin 7), Berlin 1962.

iß Herzfeld (Anm. 16), 368.

Die preußische Heeresreform 177

dem „Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648-1939". Dessen erste Lie-ferung erschien 1964 mit Rainer Wohlfeils Artikel über die Entwicklung zwischen 1789 und 181419; die fünfte Lieferung aus dem Jahr 1975 enthielt Manfred Messerschmidts Beitrag über die politische Geschichte der preußisch-deutschen Armee im 19. Jahrhundert20. Beide Arbeiten haben die Beurteilung und Bewer-tung der preußischen Heeresreform in der Bundesrepublik Deutschland maßgeb-lich geprägt.

III.

Bevor diese Untersuchungen und ihre Bedeutung für das Verständnis der preußischen Heeresreform in der Gegenwart gewürdigt werden, soll noch ein Hinweis auf die Behandlung dieses Themas in der „Deutschen Verfassungsge-schichte" von Ernst Rudolf Huber erfolgen. Der erste Band dieses ausgreifenden Werkes, das in vielfältiger Weise die historischen Forschungen und Diskussions-prozesse in der Nachkriegszeit angeregt und beeinflußt hat, erschien 1957 und war der Entwicklung in der Reform- und Restaurationszeit, also der Epoche zwischen 1789 und 1830, gewidmet21.

Der darin enthaltene Überblick über die preußischen Reformen — er umfaßt über 200 Seiten — ist sowohl durch die Einbeziehung der verschiedenen Teilbe-reiche als auch im Hinblick auf die Ausführlichkeit der Darstellung bis heute noch nicht überholt. Die Heeresreform wird von Huber unter den Überschriften „Wehrverfassung und Staatsverfassung", „Die Anfänge der preußischen Militär-reformen", „Die Reform der militärischen Führung nach Jena und Auerstedt" und „Der Aufbau des Volksheeres" abgehandelt. Von der Zielsetzung her handelt es sich bei diesem Buch weniger um eine Verfassungsgeschichte als vielmehr um eine von einem Juristen geschriebene Staatsgeschichte, wobei das politische Schicksal des deutschen Volkes und die damit zusammenhängende staatsrechtli-che Gestaltung seiner verfassungsmäßigen Organisationsform im Vordergrund steht. Besonderes Gewicht legte Huber darauf, auch die geistesgeschichtlichen Hintergründe der Staatsentwicklung zu erfassen und die „großen Ströme der Ideen" zur Darstellung zu bringen. Gerhard Oestreich hat darauf hingewiesen, daß sich in der Arbeit Hubers ein Durchbruch „vom älteren institutionellen Staatsverfassungsdenken der Rechtshistoriker" zum „politisch-dynamischen Ver-fassungsbegriff der Historiker" abzeichne, ja, daß Huber eine allgemeine Struktur-

Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Militärge-schichte 1648-1939, Bd. 1, Abschn. II: Rainer Wohlfeil, Vom Stehenden Herr des Abso-lutismus zur Allgemeinen Wehrpflicht (1789-1814), Frankfurt a. M. 1964.

2 0 Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Militär-geschichte 1648-1939, Bd. 2, Abschn. IV, 1: Manfred Messerschmidt , Die politische Geschichte der preußisch-deutschen Armee, München 1975.

21 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration. 1789 bis 1830, Stuttgart 1957.

12 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

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anlayse der Epoche anstrebe22. Gleichwohl nehmen die Institutionen in diesem Abriß, gerade auch bei der Darstellung der preußischen Heeresreform, einen wichtigen Platz ein. Dementsprechend findet man hier, durchaus im Unterschied zu anderen zusammenfassenden Darstellungen, präzise Angaben über die militäri-schen Zentralinstanzen, also den obersten Kriegsherrn, das Kriegsministerium, das Militärkabinett und den Generalstab.

Im übrigen betonte Huber diejenigen Tendenzen des Reformwerks, die dazu führten, den Untertan als Staatsbürger anzuerkennen und ihn in die Lage zu versetzen, seine neue Rechtsposition auch tatsächlich wahrzunehmen. In diesem Kontext verwies er frühzeitig auf ein Element, das bei der weiteren Betrachtung der preußischen Heeresreform überaus wichtig wurde, nämlich auf die Bedeutung des Faktors Bildung. Dazu führte er aus: „Alle Reformen — die der Verfassung und der Verwaltung, der Wirtschaft und des Heeres — setzten einen neuen Menschen voraus, der aus allseitig entwickeltem Bildungsgrund, aus eigenem Antrieb und in eigener Verantwortung zu handeln vermochte. Nur durch neue Erziehung, so glaubte man, könne dieser neue Mensch geformt werden. Von der Bildungsreform hing somit der Erfolg aller anderen Reformen ab"23.

IV.

Durchgängige Beachtung fand dieser von Huber hervorgehobene Aspekt auch in der Interpretation der Reformzeit im „Handbuch zur deutschen Militärgeschich-te". Das Handbuch selbst stellte den Versuch dar, die Geschichte der bewaffneten Macht „in ihrer Abhängigkeit vom Staatsganzen und in ihrem Einfluß auf das staatliche Leben, als Mittel der Politik und als eigenständig wirkende politische Kraft" 24 zu beschreiben und zu analysieren. Dies hatte zur Folge, daß geistige, politische, soziale und ökonomische Strukturelemente generell in die Darstellung mit einbezogen wurden.

Die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes verdeutlichte bereits der Beitrag von Rainer Wohlfeil „Vom Stehenden Heer des Absolutismus zur Allgemeinen Wehrpflicht (1789-1814)", der erstmals auch einen umfassenden Überblick über die preußi-sche Heeresreform bot25. Es spricht für die Leistung Wohlfeils, daß seine Arbeit nach wie vor als Gesamtentwurf Bestand hat, was sich gerade auch dann zeigt, wenn man seine Analysen mit der 1983 herausgekommenen Monographie von Heinz G. Nitzschke „Die preußischen Militärreformen 1807-1813" vergleicht26.

22 Vgl. die Rezension von Gerhard Oestreich, in: Historische Zeitschrift 195 (1962), 657-660 (hier 657).

23 Huber (Anm. 21), 271. 24 Zit. nach der Besprechung von Wilfried von Bredow , in: Archiv für Sozialgeschichte

23 (1983), 826-828 (hier 827). 25 Vgl. Wohlfeil (Anm. 19), 100 ff.

Die preußische Heeresreform 179

Vor allem erkennt man dann, welcher Gewinn darin liegt, die Wechselwirkung von Wehr- und Staatsverfassung als konstitutives Element einer Militärge-schichtsschreibung zu begreifen.

Im Mittelpunkt der Ausführungen Wohlfeils steht das „Bündnis zwischen Regierung und Nation", das durch die allgemeinen politischen und geistigen Auseinandersetzungen der Zeit, insbesondere durch die Französische Revolution, hervorgerufen wurde. Dementsprechend heißt es: „Heeresreform und Staatsre-form verfolgten gemeinsam das Ziel, den Bürger aktiv und verantwortlich am Staatsleben zu beteiligen"27.

Dieser leitende Gesichtspunkt bestimmt die Darstellung der einzelnen Reform-maßnahmen sowie ihrer Vorgeschichte. Dabei betont Wohlfeil jedoch, daß es den Reformern weder gelang, das Verhältnis zwischen Krone und Armee zu verändern, noch die Armee mit dem vielbeschworenen „nationalen Geist" zu erfüllen. Nicht das plötzlich erwachte Volks- oder Nationalgefühl war die Ursache für das Zugehen der Regierung auf die Nation, sondern — so der Autor — „daß der verschuldete und wirtschaftlich schwer mitgenommene Staat ein starkes stehendes Heer leichter auf der Grundlage der Allgemeinen Wehrpflicht erhalten konnte als auf der Basis der friderizianischen Heeresaufbringung" 28.

Mit der Akzentuierung der Bedeutung der Heeresreform für den Übergang vom Untertan zum Staatsbürger präzisierte Wohlfeil ein Explikationsmuster, das in der Folgezeit immer stärker in den Vordergrund rückte. Gerade in einer Phase, in der die Forderung nach Emanzipation bzw. nach Selbst- und Mitbestimmung im politischen und gesellschaftlichen Raum vehement erhoben wurde, mußte eine derartige Interpretation der preußischen Reformzeit auf fruchtbaren Boden fallen.

Das bedeutete auch, daß die Frage nach den längerfristigen Auswirkungen des Reformwerks zunächst nicht thematisiert wurde. Wohlfeil selbst hatte seine Dar-stellung bis zum Jahr 1814 geführt, und es blieb der nachfolgenden Arbeit Messerschmidts vorbehalten, diese Fragen aufzugreifen und den politischen und sozialen Konsequenzen nachzugehen, die mit den Grundentscheidungen in der Reformära verbunden waren. In seinem Beitrag entwarf Messerschmidt ein breit angelegtes, sich jedoch nie in Details verlierendes Bild von der Rolle der preußi-schen Armee in der Restaurationsepoche, in der Revolution von 1848/49, im Heeres- und Verfassungskonflikt, in den sogenannten Einigungskriegen und in den beiden ersten Jahrzehnten des Kaiserreichs. Hier interessieren vor allem seine Ausführungen zur Restaurationszeit29.

26 Heinz G. Nitschke, Die Preußischen Militärreformen 1807-1813. Die Tätigkeit der Militärreorganisationskommission und ihre Auswirkungen auf die preußische Armee (Kleine Beiträge zur Geschichte Preußens 2), Berlin 1983.

27 Wohlfeil (Anm. 19), 121. 28 Ebd., 186. 29 Vgl. Messerschmidt (Anm. 20), 59 ff.

12*

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Charakteristisch für die Vorgehensweise Messerschmidts ist, daß er die speziell für das Bürgertum geschaffenen Formationen nicht nur in ihrer militärischen Bedeutung würdigt, sondern gerade auch in ihren sozialen und bildungspoliti-schen Auswirkungen darstellt. Ähnliches gilt unter dem Aspekt der sozialen Struktur des preußischen Offizierkorps auch für die Rolle des Adels. Ferner beschäftigte sich Messerschmidt in einem ergänzenden Beitrag unter dem Thema „Strukturen und Oranisation" gesondert mit dem Problem der soldatischen Erzie-hung und Bildung sowie mit der rechtlichen und sozialen Stellung des Soldaten und rückte auf diese Weise Fragen in das Zentrum seiner Darstellung, die bis dahin zumeist nur am Rande behandelt worden waren30.

Was die Einjährig-Freiwilligen und die Landwehr betraf, so arbeitete Messer-schmidt vor allem die Bedeutung dieser Einrichtungen für die langfristige Integra-tion des Bürgertums in die Armee heraus. Im einzelnen konnte er nachweisen, wie diese Institutionen — im Unterschied zur politischen Propaganda des Frühli-beralismus, der darin eine Alternative zu den stehenden Heeren sah und einen Ansatzpunkt zur Verbürgerlichung des Militärs — insgesamt militarisierend nach unten wirkten. Das lag im wesentlichen daran, daß beide Organisationen den Besitzenden und Gebildeten wichtige Privilegien bzw. Erleichterungen gewähr-ten, wodurch für diese Bevölkerungsschichten das Interesse an der gegebenen Ordnung wachgehalten und immer wieder neu produziert wurde.

Mit seinen Untersuchungen griff Messerschmidt in gewisser Weise die von Herzfeld formulierte Problematik auf und setzte sie produktiv um, indem er — anders als Ritter—den Militarisierungsprozeß an den Haltungen, Überzeugungen und Wertvorstellungen maßgeblicher Gruppen der Gesamtgesellschaft festmach-te.

Insgesamt läßt sich das Ergebnis der vom Militärgeschichtlichen Forschungs-amt vorgelegten Arbeiten in zwei Punkten zusammenfassen: Einerseits wurde die Heeresreform noch pointierter als zuvor in den Zusammenhang der großen bürgerlichen Emanzipationsbewegung im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert gestellt, wobei allerdings die realpolitischen Notwendigkeiten, die die einzelnen Veränderungen wenn auch nicht erzwangen, so doch notwendig machten, nicht aus den Augen verloren wurden; andererseits zeigte es sich, daß dieser Prozeß auf Dauer nicht dazu führte, das politische Gewicht des Bürgertums zu verstärken, sondern daß an dessen Ende vielmehr die Militarisierung von großen Teilen der deutschen Gesellschaft stand31.

3 0 Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Militärge-schichte 1648-1939, Bd. 2, Abschn. IV, 2: Strukturen und Organisation, München 1976, 10-225.

3 1 Der Einfluß dieser Arbeiten auf die Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht zu übersehen und wird greifbar, wenn man sich die einschlägigen Kapitel in neueren Gesamtdarstellungen ansieht. So ist beispielsweise die souveräne Darstellung der preußischen Heeresreform durch Manfred Botzenhart jn dem von ihm

Die preußische Heeresreform 181

V.

Hinsichtlich der Erträge der biographischen Forschung muß man zunächst feststellen, daß etwa im Unterschied zu den großen Darstellungen über Moltke32

in der Bundesrepublik Deutschland keine herausragende Publikation über einen der Heeresreformer erschienen ist. Das bedeutet zugleich, daß Einschätzung und Urteil über Scharnhorst, Gneisenau und Boyen — um nur einige zu nennen — noch immer auf den umfassenden älteren Biographien von Max Lehmann, Georg Heinrich Pertz bzw. Hans Delbrück und Friedrich Meinecke beruhen33. Das Werk, das im Bereich der biographisch orientierten Forschung einen Neuanfang

*liätte setzen können, ist leider Fragment geblieben. Dabei handelt es sich um Rudolf Stadelmanns Versuch über Scharnhorst, von dem 1952 unter dem Titel „Scharnhorst. Schicksal und Geistige Welt" posthum zwei umfangreiche abge-schlossene Teile publiziert worden sind34.

Die Titelgebung macht bereits deutlich, daß Stadelmann einerseits dem äußeren Lebensweg Scharnhorsts nachgeht, andererseits erörtert, was ihn im einzelnen dazu befähigte, nach dem Zusammenbruch des preußischen Staates das Reform-werk in Angriff zu nehmen und zu Ende zu führen. Stadelmann fragt von daher nach dem Bildungsgang Scharnhorsts, nach der Entwicklung seiner militärischen und politischen Vorstellungen, nach seinem Umgang und seiner Lektüre — kurz nach dem, was ihn lebensgeschichtlich geformt hat und wodurch er das Wissen und Können erwarb, das ihn nach dem Tilsiter Frieden in den Stand setzte, gemeinsam mit gleichgesinnten Offizieren und Beamten die Reorganisation der preußischen Armee durchzuführen. Die Reform selbst wird von Stadelmann nicht dargestellt, wohl aber deren Voraussetzungen.

In diesem Zusammenhang geht er auf Scharnhorsts Überzeugung vom Wert einer wissenschaftlichen Ausbildung der Offiziere ein, interpretiert dessen Erfah-rungen im französischen Revolutionskrieg im Hinblick auf das neue soldatische Leitbild, befaßt sich mit Scharnhorsts Vorschlägen für die Ausbildung der Gene-ralstabsoffiziere und entwickelt dessen Konzept einer geistigen Durchdringung

zusammen mit Kurt von Raumer verfaßten Band des „Handbuchs der Deutschen Ge-schichte" ohne die Vorarbeiten des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes kaum vor-stellbar. Kurt von Raumer I Manfred Botzenhart, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhun-dert, T. 1: Deutschland um 1800: Krise und Neugestaltung. Von 1789 bis 1815 (Handbuch der Deutschen Geschichte 3, 1 a), Wiesbaden 1980, 461-481.

32 Rudolf Stadelmann, Moltke und der Staat, Krefeld 1950; Eberhard Kessel, Moltke, Stuttgart 1957.

33 Max Lehmann, Scharnhorst, T. 1,2, Leipzig 1886/87; Georg Heinrich Pertz, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neithardt von Gneisenau, Bd. 1-3, Berlin 1864/69; Hans Delbrück, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neidhardt von Gneisenau, Bd. 1, 2, 3. Aufl., Berlin 1908; Friedrich Meinecke, Das Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen, Bd. 1, 2, Stuttgart 1896/99.

34 Rudolf Stadelmann, Scharnhorst. Schicksal und Geistige Welt. Ein Fragment, mit einem Geleitw. von Hans Rothfels, Wiesbaden 1952.

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des überlieferten Heeresapparates als Voraussetzung für die neue Gliederung und Kampfweise der Truppe.

Das, was an Stadelmanns Fragment auch heute noch fasziniert, ist neben der glänzenden Formulierungskunst des Autors vor allem die Art und Weise, wie er den Bildungshorizont der Aufklärung ausdeutet und für eine Analyse der Scharnhorstschen Gedankengänge und Konzeptionen fruchtbar macht. Dazu heißt es gegen Schluß des Fragments: „Und wenn er Menschen erziehen wollte, die in jeder Lage ihren Mann stehen, so war er sich bewußt, daß die Einheit von Wissen und Können, das Sich-Auskennen und Sich-Zurechtfinden nur auf einem begrenzten Gebiet möglich und zu erreichen ist. Mehr als einmal hat Scharnhorst ausgesprochen, daß der Mensch es nicht in mehreren Zweigen zugleich zu etwas bringen kann. ,Er kann nur einem Geschäfte vollkommen vorstehen; wil l er alles sein, so ist er nichts/ In der Form einer unwillkürlichen Absage an das Ideal der universalen Bildung hat Scharnhorst damit das innerste Anliegen seines Erziehertums am bündigsten ausgesprochen. Sein Ziel ist nicht Umkehr oder Erneuerung, nicht Reue oder Vollkommenheit, sondern nur — Meisterschaft" 35.

Es bleibt auch heute noch ein Desiderat der Forschung, den Ansatz Stadelmanns aufzunehmen und weiterzuentwickeln.

Im selben Jahr, in dem Hans Rothfels das Scharnhost-Fragment Stadelmanns publizierte, erschien auch die Arbeit von Reinhard Höhn „Scharnhorsts Vermächt-nis"36. Dieses Buch wurde inzwischen mehrfach aufgelegt, ab 1981 unter dem Titel „Scharnhorst. Soldat, Staatsmann, Erzieher", ohne daß allerdings der Text in irgendeiner Weise verändert worden wäre37.

Eine Auseinandersetzung mit dieser Arbeit kann nicht von der Tätigkeit Hohns während des „Dritten Reiches" als führender nationalsozialistischer Rechtstheore-tiker absehen, der neben seiner Professur an der Berliner Universität und der Leitung des dortigen Instituts für Staatsforschung auch eine hohe Position inner-halb des SD-Hauptamtes bekleidete und zuletzt den Rang eines SS-Oberführers innehatte38. Hinzu kommt, daß sein Scharnhorst-Buch in entscheidenden Partien auf die 1944 herausgekommenen umfangreichen Untersuchungen mit dem Titel „Revolution — Heer — Kriegsbild" zurückgeht — ein Werk, das Höhn seinerzeit dem Reichsschatzmeister der NSDAP, Franz Xaver Schwarz, „ in Verehrung und Dankbarkeit" gewidmet hatte39.

35 Ebd., 166 f. 36 Reinhard Höhn, Scharnhorsts Vermächtnis, Bonn 1952. 37 Reinhard Höhn, Scharnhorst. Soldat, Staatsmann, Erzieher, München 1981. 38 Vgl. Robert Wistrich, Wer war wer im Dritten Reich. Anhänger, Mitläufer, Gegner

aus Politik, Wirtschaft, Militär, Kunst und Wissenschaft, München 1983,139 -140; Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, Bd. 1, 2, Frankfurt a. M . 1969, 213, 231 ff., passim.

39 Reinhard Höhn, Revolution — Heer — Kriegsbild. Darmstadt 1944 (hier V).

Die preußische Heeresreform 183

Von daher stellt sich die Frage, ob und inwieweit die politische Vergangenheit dieses Autors in seiner Geschichtsinterpretation nachwirkt. Wolfram Wette ist diesem Problem am Beispiel von Hohns dreibändiger Darstellung „Sozialismus und Heer" nachgegangen und dabei zu dem Ergebnis gekommen, „daß der Autor insgesamt von einer Position aus interpretiert, in der diverse Elemente des natio-nalsozialistischen Ideenkonglomerats nach wie vor lebendig sind: eine geschichts-ontologische Wehrideologie, die Doktrin des totalen Krieges, eine antisozialisti-sche Stoßrichtung und schließlich die Volksgemeinschaftsideologie, die die realen Widersprüche durch den Gedanken überbrücken, das heißt verschleiern wi l l "4 0 .

Und tatsächlich gibt es Belege dafür, daß bestimmte Elemente dieses Denkens, wie etwa die spezifische Kriegs- und Gemeinschaftsideologie, auch in Hohns Scharnhorst-Buch wiederzufinden sind.

Höhn selbst hatte die Monographie seinerzeit durchaus als Beitrag zur politi-schen Debatte über die Remilitarisierung Westdeutschlands verstanden. In seinem Vorwort schrieb er: „Scharnhorsts Vermächtnis liegt im Vorbild seiner staatsmän-nischen Leistung. Es wird für denjenigen wenig bedeuten, der hier Rezepte für die Meisterung der Gegenwart und Material für billige Analogieschlüsse zu finden glaubt. Es geht jedoch den an, der sich darauf besinnt, wie entscheidende Männer der Vergangenheit mit den schwierigsten politischen und militärischen Situationen fertiggeworden sind. Scharnhorsts Vermächtnis gilt für den politi-schen Menschen in Katastrophenzeiten. Es besitzt eine über die nationale Begren-zung hinausgehende Weite"41.

Es ist dieser Zug zur Aktualisierung und Radikalisierung, der bereits von Walther Hubatsch in seiner umfangreichen Besprechung hervorgehoben wurde42, der dazu führt, daß Scharnhorst bei Höhn vor allem als „radikaler Revolutionär" erscheint. Auf diese Weise gelangt Höhn zu durchaus zutreffenden Einsichten in die vorwärtstreibenden Elemente des Reformwerks und deren potentiell sy-stemsprengende Perspektiven, allerdings stets auf Kosten einer Darstellung der beharrenden Elemente, die — was Scharnhorst angeht — in die Gedankenwelt des 18. Jahrhunderts zurückweisen. Insgesamt kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier in einer aktuellen Auseinandersetzung vermittels eines histori-schen Gegenstandes Partei für ein bestimmtes militärpolitisches Konzept ergriffen wird.

Festzuhalten bleibt jedoch, daß dieses Buch bis in die Gegenwart hinein die einzige neuere größere Untersuchung über einen der Heeresreformer darstellt, was auch bedeutet, daß Höhn das Scharnhorst-Bild und darüber hinaus auch das Verständnis der Heeresreform in der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig mit beeinflußt hat.

40 Wolfram Wette, Sozialismus und Heer. Eine Auseinandersetzung mit R. Höhn, in: Archiv für Sozialgeschichte 14 (1974), 610-622 (hier 622).

Höhn, Scharnhorsts Vermächtnis (Anm. 36), 5. 42 Göttingische Gelehrte Anzeigen 208 (1954), Nr. 1/2, 18-34 (hier 21-26).

184 Heinz Stlibig

VI.

Wo zeichnen sich neue Impulse für die Erforschung der preußischen Heeresre-form ab? Zunächst sind hier diejenigen Arbeiten zu nennen, die der Erscheinungs-form des Krieges im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert nachgehen, ferner Untersuchungen, die sich mit der Situation von Bevölkerungsgruppen beschäfti-gen, die bisher übergangen bzw. ausgegrenzt wurden, und schließlich die verein-zelten Ansätze zu einer generellen Revision unserer Auffassung des Reformpro-zesses.

Zu denjenigen Studien, die unser Verständnis des Kriegsbildes und der realen Erscheinung des Krieges in dem hier untersuchten Zeitraum wesentlich erweitert haben, gehört die 1962 erschienene Dokumentation von Werner Hahlweg „Preu-ßische Reformzeit und revolutionärer Krieg"43. Hahlwegs Untersuchungen ver-leugneten den Zusammenhang mit der damals geführten Debatte über das Wesen und die Erscheinungsformen des Krieges keineswegs — im Gegenteil: in der Zusammenfassung seiner Forschungsergebnisse stellte er diesen Bezug direkt her, als er schrieb: „In unserer Zeit, in der Epoche des universalen, immer wirksamer hervortretenden Bürger- und Partisanenkrieges, erfahren die Anschau-ungen der preußischen Reformer, die im Bereich des kleinen oder revolutionären Krieges Strukturen sichtbar gemacht haben und damit — trotz der heute auch im revolutionären Krieg wirksamen neuen kriegstechnischen Mittel — von hoher »Aktualität4 sind, eine weltweite Bestätigung"44.

Hahlweg war auf dieses Problem im Verlauf seiner Clausewitz-Forschungen gestoßen, und zwar im Zusammenhang mit der Frage, welche Rolle der sogenann-te „kleine Krieg" — darunter wurde der Vorposten- oder Kordonkrieg, der Detachements- und Parteigängerkrieg regulärer Truppen sowie der Volkskrieg verstanden — in der preußischen Reformzeit spielte. Dabei interessierten ihn die Vorbilder der Heeresreformer und ihre Motive, sich mit dieser Kriegsform einge-hend zu beschäftigen, sowie die Auswirkungen ihrer Überlegungen auf das Re-formwerk selbst. Ausgangspunkt seiner Untersuchungen waren die Vorlesungen, die Clausewitz als Lehrer an der Allgemeinen Kriegsschule in Berlin gehalten hatte. Indem Hahlweg diese Materialien und weitere Zeugnisse der Heeresrefor-mer, einschließlich der Vorschriften über die leichten Truppen, sowie die tatsäch-lichen Kriegshandlungen in dem betreffenden Zeitraum analysierte, kam er zu dem Ergebnis, daß der kleine Krieg „vielleicht die Grundlage, zumindest einen der gewichtigsten konkreten Ausgangspunkte für die Herausbildung der neuen Kriegskunst im Zeitalter der französischen Revolution und Napoleon I., des Volkskrieges wie der regulären Massenarmee neuen Typus" bildete45. Damit

43 Werner Hahlweg, Preußische Reformzeit und revolutionärer Krieg (Wehrwissen-schaftliche Rundschau, Beih. 18), Frankfurt/M. 1962.;

44 Ebd., 57. 45 Ebd., 49.

Die preußische Heeresreform 185

hatte er zugleich ein wichtiges Moment für die Veränderung der militärischen Ausbildungskonzeption offengelegt, denn ein derartiger Krieg ließ sich nur mit Soldaten führen, die über ein hohes Maß an Selbständigkeit und Eigeninitiative

• verfügten und auch dementsprechend geschult waren. Die konkreten Folgen dieser Überlegungen lassen sich nicht nur in dem veränderten Einsatz und der neuartigen Kampfweise der Infanterie, insbesondere des dritten Gliedes, nachwei-sen, sondern ebenso bei der Aufstellung der freiwilligen Jägerdetachements sowie der Einrichtung des Landsturms.

Fragt man nach den Bevölkerungsgruppen, die — unter dem Aspekt der Auswirkungen der allgemeinen Wehrpflicht — erst in jüngerer Zeit das Interesse der Forschung gefunden haben, so wird man zunächst auf die jüdische Minderheit im preußischen Staat verwiesen. Ihre Situation wurde umfassend in der Arbeit von Horst Fischer „Judentum, Staat und Heer in Preußen im frühen 19. Jahrhun-dert" analysiert46.

In seinen Untersuchungen arbeitete Fischer die Bedeutung des Rechtes auf Militärdienst für die generelle rechtliche Gleichstellung der Juden heraus und zeichnete am Beispiel der gesetzlichen Bestimmungen die Problematik der offi-ziellen Politik nach, insbesondere das Scheitern aller Bemühungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Wehrpflicht für die Juden in Preußen einheitlich zu regeln.

Unbeschadet der zahlreichen Widersprüche, die daraus für die preußische Militärpolitik resultierten, kann jedoch festgestellt werden, daß von Seiten der Regierung im Wehrdienst ein vorzügliches Mittel gesehen wurde, nicht nur die „soziale Assimilierung" der Juden, sondern auch ihren „Übertritt zur christlichen Religion" vorzubereiten47. Für die politische Führung stand fest, „daß die Armee für die Juden in erster Linie eine pädagogisch-missionarische, und erst in zweiter Linie eine militärische Aufgabe zu erfüllen hatte"48.

Im Gegensatz zu diesen politischen Bestrebungen standen jedoch die Regi-mentschefs wie überhaupt das Offizierkorps den jüdischen Rekruten mit einer spürbaren Reserve gegenüber, was sich unter anderem dahingehend auswirkte, daß Juden nicht zu den Landwehrübungen eingezogen und dementsprechend auch nicht befördert wurden — von den Offiziersstellen in der Armee waren sie sowieso ausgeschlossen. Trotz dieser Vorbehalte und Diskriminierungen kam dem Militärdienst bei dem offiziell angestrebten „Erziehungsprozeß zur Taufe" eine Schlüsselstellung zu.

46 Horst Fischer, Judentum, Staat und Heer in Preußen im frühen 19. Jahrhundert. Zur Geschichte der staatlichen Judenpolitik (Schriftenreihe Wissenschaftlicher Abhand-lungen des Leo Baeck Instituts 20), Tübingen 1968.

4? Vgl. ebd., 113. 48 Ebd.

186 Heinz S tb ig

Festzuhalten bleibt daher, daß die Ableistung des Wehrdienstes für die Juden in Preußen einerseits ein Stück realer Emanzipation bedeutete, andererseits in vielen Fällen mit Eingriffen in die persönliche Identität des jüdischen Rekruten verbunden war. Vieles spricht dafür, daß die Ableistung der Wehrpflicht durch die polnisch sprechenden Staatsbürger von der Regierung in ähnlicher Weise, nämlich als Zeit einer intensiven politischen Beeinflussung im Hinblick auf die angestrebte nationale Assimilierung, begriffen wurde. Allerdings müßte diese These, die durch die von Walther Hubatsch angeregten Dissertationen über den Regierungsbezirk Bromberg nahegelegt wird, noch durch weitere Untersuchun-gen erhärtet werden49.

Derartige Arbeiten würden generell dazu beitragen, die Diskussion über die preußische Heeresreform noch deutlicher von einer Auseinandersetzung über die „leitenden Ideen" hin zu einer Erforschung der realen Prozesse zu führen, wodurch eine fundiertere Antwort auf die Frage nach den tatsächlichen Auswirkungen der Reformen im positiven wie im negativen Sinne möglich wäre.

Ansätze dazu finden sich beispielsweise in den Untersuchungen von Rudolf Ibbeken über Staat und Volk als Idee und in Wirklichkeit, die er 1970 unter dem Titel „Preußen 1807-1813" vorlegte50. Ibbeken fragte nach den Motiven und dem Charakter der preußischen Freiheitsbewegung von 1813, wobei er seine geistes- und sozialgeschichtlichen Studien durch die bis dahin unbekannten und inzwischen vernichteten „Statistischen Erhebungen über die Freiwilligenbewe-gung 1813 (1815 / 15) ermittelt an Hand der Konskriptionslisten für die Freiwilli-gen der preußischen Armeekorps" untermauern konnte. Der Autor schlug sich mit seiner Darstellung auf die Seite derjenigen Historiker, die in dem Aufbruch von 1813 eine dynastisch-patriotische Bewegung für König und Vaterland sehen, und wandte sich heftig gegen die liberale Auffassung von den Freiheitskriegen als einer Bewegung für nationale Einheit und bürgerliche Freiheit. Das bedeutete zugleich, daß Ibbeken prinzipiell den Zusammenhang zwischen den Motiven der Freiheitsbewegung von 1813 und dem Kampf um eine Verfassung im frühen 19. Jahrhundert bestritt. Für ihn wurde die Freiheitsbewegung nicht von dem Bürgertum getragen, sondern von den unteren Bevölkerungsschichten, die er als „friderizianisch-loyal und legal" charakterisierte51. Von diesem Ansatzpunkt her erschien dann auch die Verwandlung der Volksbewegung zur Zeit des Befreiungs-krieges in eine demokratische und liberale Emanzipationsbewegung im Vormärz als eine — so Ibbeken — „politisch und geistesgeschichtlich fast grotesk zu nennende Situation"52.

49 Vgl. Irene Berger , Die preußische Verwaltung des Regierungsbezirks Bromberg, 1815-1847 (Studien zur Geschichte Preußens 10), Köln 1966, 138 ff.

so Rudolf Ibbeken, Preußen 1807-1813. Staat und Volk als Idee und in Wirklichkeit. Darstellung und Dokumentation (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kul-turbesitz 5), Köln 1970.

51 Ebd., 436. 52 Ebd.

Die preußische Heeresreform 187

Ibbekens Werk stieß seinerzeit nicht zuletzt wegen der von ihm „geretteten" Quellen auf große Resonanz. Jedoch war die Aufnahme der Arbeit insgesamt eher zwiespältig, weil ihr Verfasser nach dem Urteil Helmut Berdings die gesamte Literatur nach 1945 — von wenigen Ausnahmen abgesehen — ebenso souverän vernachlässigt hatte, wie er die ältere Literatur beherrschte53. In der Tat nahm Ibbeken alle diejenigen Untersuchungen nicht zur Kenntnis, die die revolutionär-demokratische und liberal-konstitutionelle Unterströmung in der Freiheitsbewe-gung von 1813 aufgewiesen hatten.

Insgesamt zeichnet sich in diesem Buch wie auch in der 1987 erschienenen Dissertation von Bernd von Münchow-Pohl, in der im Sinn der neueren Mentali-tätsgeschichte die Bewußtseinsstrukturen der preußischen Reformära, ihre psychi-sche Konstitution sowie ihre emotionalen und geistigen Kräfte untersucht wer-den54, die Tendenz ab, die liberale Überlieferung und die daran orientierte Ge-schichtsschreibung mit der Alltagswirklichkeit, soweit diese aus den Quellen rekonstruierbar ist, zu konfrontieren. Von daher korrigieren derartige Arbeiten immer auch jene Untersuchungen, die sich primär mit den Reformkonzeptionen befassen und eine relativ friktionslose Umsetzung der einzelnen Maßnahmen suggerieren. Problematisch wird dieses Vorgehen allerdings in dem Augenblick, wenn das Beharrungsvermögen einseitig hypostasiert und das Ereignis in seinem Prozeßcharakter aufgehoben wird55.

VII.

Fragt man schließlich nach der Rezeption der preußischen Heeresreform durch die Bundeswehr, so finden sich wichtige Hinweise darauf in den Äußerungen von Wolf Graf von Baudissin. Wiederholt hat Baudissin das Selbstverständnis derjenigen Militärs, die seinerzeit die Grundlagen des Konzepts der Inneren Führung erarbeiteten, beschrieben und deren geistige Nähe zu den Heeresrefor-mern betont. Dazu heißt es beispielsweise: „Die meisten derer, die sich Anfang der fünfziger Jahre um Inneres Gefüge und Innere Führung einer neuen Bundes-wehr mühten, waren sich einer grundsätzlichen Ähnlichkeit der Lagen nach 1807 oder 1945 bewußt. Die Überzeugung, daß der Zusammenbruch weder zufällig noch auf das bloße militärische Kräfteverhältnis zurückzuführen sei, brachte sie in gleiche Front gegen die Traditionalisten ihrer Zeit wie einst die Reformer um Scharnhorst und Gneisenau. Die Feststellung, daß es kein Zurück in ,heile4

Epochen gäbe, also keinen rettenden Rückgriff auf friderizianische oder Reichs-

53 Vgl. Historische Zeitschrift 214 (1972), 420-422 (hier 422). 54 Bernd von Münchow-Pohl, Zwischen Reform und Krieg. Untersuchungen zur Be-

wußtseinslage in Preußen 1809-1812 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 87), Göttingen 1987.

55 Vgl. die Rezension von Heinz Stübig, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 44 (1988), 166-168.

188 Heinz S t i i g

wehrtraditionen und daß eine neue Epoche mit einem neuen Menschenbild, einer neuen gesellschaftlichen Ordnung und einem neuen zwischenstaatlichen Bezie-hungsrahmen begonnen habe, traf hier wie dort auf erbitterte Ablehnung. Je stärker sich der Widerstand gegen die neue Konzeption formierte, desto intensiver beschäftigte uns das frühe Scheitern der preußischen Heeresreform und seine bis in unsere Tage spürbaren Folgen"56.

An vielen Stellen läßt sich in dem Schrifttum der damaligen Zeit nachweisen, daß in der Aufbauphase der westdeutschen Streitkräfte der Bezug auf die preußi-sche Heeresreform eine herausragende Bedeutung hatte. So führte beispielsweise das 1957 erschienene „Handbuch Innere Führung", das den Untertitel „Hilfen zur Klärung der Begriffe" trug, den Namen Scharnhorsts im Personenregister fünfmal auf, den Arndts dreimal, die Namen von Clausewitz und Gneisenau je zweimal und den Boyens einmal — von den übrigen Militärs wurde nur Moltke mit vier Nennungen hervorgehoben57.

Die Bedeutung dieses gezielten Rückgriffs auf die Heeresreformer erschließt sich vor allem in dem Kapitel „Soldatische Tradition: In der Gegenwart". Hier wurde nämlich an den Gedanken Scharnhorsts, Gneisenaus und Boyens über die politische Partizipation und die Mitwirkung des Bürgertums im Staat das neue Verständnis vom „Bürger in Uniform" expliziert58.

Diese Art der Rezeption, die die emanzipatorischen Ansätze innerhalb der Heeresreform herausstellt und von da aus das Verhältnis zu dieser Epoche eindeu-tig positiv bestimmt, zieht sich bis in die Gegenwart hin. So konnte 1980 der damalige Verteidigungsminister Hans Apel in seiner Rede zum 25jährigen Beste-hen der Bundeswehr unter anderem feststellen: „Indem Scharnhorst in der preußi-schen Armee an die Stelle herkunftsbedingter Privilegien das Leistungsprinzip setzte, verwirklichte er ein Stück Chancengleichheit. Sein Ziel war es, in der Armee einen Schritt zu mehr Menschenwürde zu tun. Indem er für die allgemeine Wehrpflicht eintrat, ging es ihm zugleich um die enge Verbindung von Armee und Nation, letztlich also um das, was wir heute mit dem Begriff Integration bezeichnen. Ich denke, es ist nicht übertrieben zu sagen, daß Scharnhorst einiges von dem vorwegnehmen wollte, was heute Innere Führung ausmacht"59.

Da diese Deutung im militärischen Bereich weitgehend konsensfähig ist, kam es über den Stellenwert der preußischen Heeresreform innerhalb der Bundeswehr

56 Wolf Graf von Baudissin, „Preußens Heeresreform. Kein Zurück in eine ,heile Epoche'", in: „Die Zeit", Nr. 24, 8. 6. 1973, 29. Vgl. darüber hinaus: Wolf Graf von Baudissin, Die Bedeutung der Reformen aus der Zeit der deutschen Erhebung für die Gegenwart, in: ders., Soldat für den Frieden. Entwürfe für eine zeitgemäße Bundeswehr. Hrsg. u. eingel. v. Peter v. Schubert, München 1969, 86-94.

57 Bundesministerium für Verteidigung (Hrsg.), Handbuch Innere Führung. Hilfen zur Klärung der Begriffe (Schriftenreihe Innere Führung), Bonn 1957, 189 ff.

58 Vgl. ebd., 47 ff. 59 Hans Apel, „25 Jahre Bundeswehr", in: Presse- und Informationsamt der Bundesre-

gierung (Hrsg.), „Bulletin", Nr. 119, 13. 11. 1980, 1009-1013 (hier 1009).

Die preußische Heeresreform 189

auch kaum zu Auseinandersetzungen. Die teilweise scharfe Debatte über Tradi-tionsbildung und Traditionspflege lief an anderen Beispielen ab und resultierte aus dem Dilemma, daß die militärische Tradition in Deutschland für lange Zeit außenpolitisch durch Expansionismus bzw. Revisionismus und innenpolitisch durch eine antidemokratische und antirepublikanische Haltung sowie durch die Verstrickung der Wehrmacht mit der NS-Herrschaft belastet ist. Da jedoch die Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik freiheitlich-demokratische, soziale und rechtsstaatliche Normen auch für die Bundeswehr bindend vor-schreibt, sind die bisherigen Versuche, eine an diesen Kriterien sich orientierende Tradition zu entwickeln, nur zu einem geringen Teil gelungen. Oft genug blieb es bei dem punktuellen Herausgreifen von Gestalten und Ereignissen, wobei einerseits versucht wurde, „demokratische" Traditionen in die Geschichte zu verlängern, andererseits aber von dem politischen Umfeld abgesehen wurde, um soldatische Tugenden „an sich" als vorbildhaft darzustellen. Insgesamt belegen die Bemühungen, die mehr beanspruchen, als eine Tradition der Bundeswehr aus ihrer eigenen Geschichte heraus zu entwickeln, in erster Linie die Schwierig-keit, wenn nicht gar die Unlösbarkeit dieser Aufgabe60.

VIII.

Faßt man die Elemente zusammen, die das Bild der preußischen Reformzeit in der wissenschaftlichen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland bestim-men, so kann man zunächst feststellen, daß der Gesamtzusammenhang der einzel-nen Reformen betont wird und diese primär unter dem Aspekt einer bürgerlichen Emanzipationsbewegung gedeutet werden. Bezogen auf den Soldaten bzw. die Institution Armee bedeutet dies, daß vor allem diejenigen Momente hervorgeho-ben werden, die die Ablösung überkommener Zwänge zugunsten einer Anerken-nung des Soldaten als „Mann von Ehre" intendierten. Sie betreffen gleichermaßen Organisation, Ausbildung und Menschenführung in den Streitkräften.

Dabei ist allgemein anerkannt, daß die Ursachen für diese Entwicklung sowohl in den Veränderungen von Staat und Gesellschaft seit der Französischen Revolu-tion als auch in dem damit einhergehenden neuen Kriegsbild sowie den gewandel-ten Erscheinungsformen des Krieges zu finden sind und die Heeresreform von daher als Anpassungsprozeß an sich ändernde politische und militärische Notwen-digkeiten gesehen werden muß. In diesen Zusammenhang gehört ferner die Einsicht, daß das angestrebte „Bündnis zwischen Regierung und Nation" nur dann verwirklicht werden konnte, wenn sich die Eingriffe in die Struktur der Armee partiell an den Bewußtseinshaltungen und Wertvorstellungen des Bürger-

60 Vgl. Martin Kutz, Tradition und soldatische Erziehung. Zu den gegenwärtigen historischen Leitbildern der Offiziersausbildung der Bundeswehr, in: Karl-Emst Schulz (Hrsg.), Streitkräfte im gesellschaftlichen Wandel. Sozialwissenschaftliche Analyse zum Selbst- und Umweltverständnis modemer Streitkräfte, Bonn 1980, 219-234.

190 Heinz S tb i g

tums, das für den Waffendienst und damit für den nationalen Befreiungskampf gewonnen werden sollte, orientierten. Der Preis für die generelle Aufhebung der Exemtionen bestand darin, daß man dem Bürgertum politische Mitspracherechte in Aussicht stellte und ihm auch in den neuen Streitkräften eine privilegierte Stellung einräumte — zu denken ist hier vor allem an das Institut des einjährig-freiwilligen Dienstes. Diese Politik führte jedoch nicht dazu, daß das Heer langfri-stig verbürgerlichte. Im Gegenteil: schon einer der ersten Biographen Scharn-horsts, Eduard Schmidt-Weißenfels, sprach im Hinblick auf die Zielsetzung des Reformwerks sowohl von der „Nationalisirung einer Armee" als auch von der „Militärisirung eines Volkes"61, wobei er allerdings diesen Prozeß eindeutig positiv bewertete.

Darüber hinaus ist festzuhalten, daß die allgemeine Wehrpflicht nicht dazu führte, daß der militärische Dienst für alle Staatsbürger den gleichen Zielsetzun-gen unterlag. Zumindest für die Rekruten jüdischer und offenbar auch für diejeni-gen polnischer Herkunft spielten andere Motive eine ebenso wichtig Rolle. In diesem Kontext müßte allerdings noch mehr als bisher nach der Sozialisations-funktion der Streitkräfte gefragt werden, d. h. nach den offenen und verborgenen Mechanismen, die die Unterwerfung des Wehrpflichtigen unter die Disziplin des Obrigkeitsstaates zur Folge hatten. Hier wie an anderen Stellen fehlt es in der Bundesrepublik Deutschland noch an Analysen, die den Realprozeß umfassender als bisher erschließen und von daher die Aussagen über Motive, Durchführung und Auswirkungen des Reformwerkes auf eine solidere Basis stellen.

Schließlich erscheint auch der Umstand erwähnenswert, daß die preußische Heeresreform selbst in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahrzehn-ten kaum mehr ein Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen war und daß dieses Thema in den neueren Sammelbänden, die vor allem aus Anlaß des „Preußenjahres" publiziert wurden — durchaus im Unterschied zu anderen Berei-chen der sektoralen Erneuerung des preußischen Staates nach 1806 —, generell ausgespart wurde62. Von daher spricht man, wenn man heute in der Bundesrepu-blik über die preußische Heeresreform redet — sieht man einmal von dem Sonderfall Bundeswehr ab —, wahrscheinlich in mehrfacher Beziehung über Geschichte.

61 Eduard Schmidt-Weißenfels , Scharnhorst. Eine Biographie, Leipzig 1859, 39. 6 2 Das gilt auch für Sammelbände, die speziell der Reformära gewidmet sind, wie

z. B. Barbara Vogel (Hrsg.), Preußische Reformen 1807-1820 (Neue Wissenschaftliche Bibliothek 96), Königstein / Ts. 1980.

Zur Entwicklung der Reformen im Militär-Erziehungs-und Bildungswesen der preußischen Armee (1800-1850)

Von Friedrich-Christian Stahl, Gundelfingen bei Freiburg

Aus aktuellem Anlaß fragte Eberhard Kessel Ende 1955, was es mit der Bildung des Soldaten auf sich habe. Die Polarität bildungsfeindlicher und bil-dungsfördernder Betrachtungen faßte er in der Erkenntnis zusammen:

„Auf der einen Seite steht die Sorge vor dem ,zu viel Wissen', ja vor der Schädlichkeit des Wissens für die Tatkraft und schnelle Entschlußbildung, auf der das Wissen des Soldaten vornehmlich beruht, auf der anderen die Notwendigkeit des Wissens schon für die rein technische Leistung im militärischen Beruf, mehr noch für die Übersicht im Gesamtzusammenhang der eigenen Tätigkeit mit Staat und Gesell-schaft."

Die Spezialbildung des Soldaten sei durch die Allgemeinbildung nicht eigent-lich zu ergänzen, sondern müsse durch die Vertiefung ihrer Grundlagen zu einer solchen werden, was nicht durch „Schulung" und „Ablichtung", „sondern allein durch selbsttätiges Eindringen in die Problematik der allgemeinen Lebenszusam-menhänge erzielt werden" könne1.

Scharnhorst handelte danach bereits vor den eigentlichen Reformen, indem er den Hörern der „Lehr-Anstalt für junge Offiziere" 1801 an den frei bleibenden Nachmittagen die Teilnahme an Privatkollegien gestattete, wie sie vor der Grün-dung der Berliner Universität vielfältig gehalten wurden2.

Ein Blick in die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ergibt, daß die preußische Armee nur wenige Anstalten mit eigenem Personaletat unterhielt, die der Erzie-hung und Bildung dienten. Zu ihnen gehörten laut Rangliste von 1800

— das Kadettenkorps mit den Häusern in Berlin, Stolp, Kulm und Kaiisch,

— die Ingenieur-Akademie in Potsdam und

— die Chirurgische Pepiniere, an der der Nachwuchs des chirurgischen Dienstes ausgebildet wurde3.

1 Eberhard Kessel, Die „Bildung" der Soldaten, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau (WWR), 5. Jg. (1955), 562 f.

2 Ebd., 564. 3 Rangliste der Königl. Preußischen Armee für das Jahr 1800, Berlin 1800, 154 u.

LXIV.

192 Friedrich-Christian Stahl

Als Bildungsstätte für den Unteroffiziernachwuchs wirkte das Militär-Waisen-haus in Potsdam, dessen Aufsicht Friedrich der Große 1779 dem General von Rohdich anvertraut hatte4.

Die Académie des Noblés, aus der später die Militär-Akademie hervorging, war keine rein-militärische Anstalt, da an dieser Akademie auch der Nachwuchs für den politischen und diplomatischen Dienst seine wissenschaftliche Bildung erfuhr 5.

Darüber hinaus gab es zahlreiche schulische Einrichtungen bei den Truppentei-len, die von diesen zu bewirtschaften waren und daher in ihrer Gestaltung weitge-hend von der Initiative und dem Interesse der regionalen Inspekteure6 und örtli-chen Kommandeure abhingen7. So gab es beispielsweise in Königsberg

— eine école militaire, „in der die Offiziere aller Waffengattungen Unterricht in der deutschen und französischen Sprache, in Geschichte und Geographie, in Mathematik, Befestigungslehre, Geländezeichnen und im Messen erhiel-ten"8,

— seit 1797 eine Artillerieschule und

— 7 Regimentsschulen für insgesamt 1000 Soldatenkinder, an denen Feldpredi-ger und Küster Unterricht erteilten9.

In dieser Stadt trug das Wirken Kants auch im Adel und im Offizierkorps Früchte. Offiziere, u. a. Boyen, besuchten seine Kollegien und trafen sich mit ihm in Gasthäusern zur Mittagstafel. Im Hause des Generals von Meyer10 hielt Kant vor jungen Offizieren geographische Vorlesungen, deren Nachschriften der General eigenhändig korrigierte 11.

4 Kurt von Priesdorff\ Soldatisches Führertum, Bd. 2, Hamburg o. J., 137 ff. 5 Vgl. Bernhard Poten, Geschichte des Militär-Erziehungs- und Bildungswesens in

den Landen deutscher Zunge, Bd. 4, Berlin 1896 (Bibliotheca Rerum Militarum, XXIV. Osnabrück 1982), 26-45.

6 Als Kommandobehörden fungierten in der preußischen Armee — laut Rangliste von 1800 (Anm. 3) — 13 Inspektionen von der Infanterie, 6 Inspektionen von der Kavallerie, 8 Füsilierbrigaden, die Inspektion der Towarczys, die Artillerieinspektion, der Chef des Ingenieurkorps und der Generalinspekteur für das Kadettenkorps.

7 General von Tschammer und Osten war bestrebt, „die Kinder und Erwachsenen vor dem Müßiggang zu bewahren und die Unglücklichen aus dem Elend zu retten". In Neuruppin richtete er eine Schule ein, stellte in ihr zwei Lehrer an und leitete die Schule nach den damals neuesten Grundsätzen. Er hielt öffentliche Prüfungen ab und lud dazu die Bürger der Stadt ein. Die Bemühungen Tschammers fanden den Beifall des Königs, der 1803 4 000 Taler für die Erbauung eines Schulhauses für Soldatenkinder in Stendal zur Verfügung stellte. Vgl. Priesdorff (Anm. 4), Bd. 3, 92 f.

s Fritz Gause, Die Geschichte der Stadt Königsberg in Preußen, 2. Bd., Köln 1968, 290.

9 Ebd., 290 f., — Gelder für den Bau von Schulhäusem konnte der König nur selten bewilligen.

10 Priesdorff (Anm. 4), Bd. 1, 429 f. h Gause (Anm. 8), Bd. 1, 259 f.

Reformen innerhalb der preußischen Armee (1800 - 1850) 193

Die Verbindung vom Adel und vom Offizierkorps zum gebildeten Bürgertum ist offensichtlich vielfach enger gewesen, als das häufig angenommen wird. Wenn man untersucht, inwieweit der Adel durch Nobilitierung von bürgerlichen Offizieren ergänzt wurde und inwieweit durch Heirat mit Frauen aus dem gebilde-ten Bürgerstand eine der Aufklärung entsprechende Lebenshaltung auch im Offi-zierkorps Einzug hielt, dann wird verständlich, daß die Reformen von 1808, soweit sie die gesellschaftliche Seite betrafen, auch in den Offizierkorps nicht selten auf fruchtbaren Boden fielen12.

Hatte Friedrich der Große die Fäden der Armeeführung und -Verwaltung noch ganz in seiner Hand behalten, so schuf Friedrich Wilhelm II. mit dem Ober-Kriegs-Collegium eine zentrale Behörde, deren sieben Departements im wesentli-chen die Belange der einzelnen Waffengattungen und Spezialeinrichtungen bear-beiteten. Trotz Unterstellung des Kadettenkorps wurde den Bildungsfragen in dieser Institution noch kein besonderes Augenmerk geschenkt. Mit der Ernennung des Oberst von Beulwitz zum Inspekteur sämtlicher militärischer Erziehungsan-stalten, der adligen Kadettenkorps und der Académie militaire entstand 1796 in Preußen die erste das Bildungswesen betreffende Führungsinstitution13. Ein Jahr später wurde Beulwitz in Gestalt des Generals von Rüchel ein „General Inspecteur der Militair Academie und . . . sämtlicher Cadetten Institute" mit dem Auftrage vorgesetzt, „solche von Zeit zu Zeit zu revidiren und darauf zu halten, daß die zweckmäßigsten Maßregeln ergriffen werden, um der Armee brauchbare und geschickte Cadetts zu erziehen"14.

Spezialschulen bzw. -akademien entstanden für die Artillerie und das Inge-nieurkorps. 1791 übernahm Oberst von Tempelhoff die Direktion der Artillerie-Akademie in Berlin und sämtlicher Artillerieschulen, da dem König „viel daran

Zum Ge-neral be-fördert

davon mit bürgerli-chen Fa-milien

verbunden

durch bürgerl. Vater

durch bürgerl. Mutter

durch bürgerl. Ehefrau

unehel. geboren

1740- 1786 472 63 24 35 36 3 1786- 1797 210 53 13 25 40 2 1797- 1806 170 55 18 22 31 —

1806- 1820 180 69 11 43 46 —

13 Priesdorff (Anm. 4), Bd. 3, 42 f. — Es wird in diesem Beitrag bewußt davon abgesehen, auf die Entwicklung der Führungsorganisation im Militär-Erziehungs- und Bildungswesen näher einzugehen, weil die Kompetenzen vielfach wechselten und die leitenden Persönlichkeiten eher eine Berichts- und Kontroll- als eine Gestaltungsfunktion ausübten, bis General von Peucker 1854 Generalinspekteur des Militär-Erziehungs- und Bildungswesens wurde und seinen Bereich den damaligen Erfordernissen entsprechend umgestaltete. Vgl. Priesdorff (Anm. 4), Bd. 6, 146-152.

14 Ebd., Bd. 2, 396.

13 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

194 Friedrich-Christian Stahl

gelegen" war, daß „so wie es bei anderen Puissancen geschieht, die dahin einschla-genden Wissenschaften bestmöglich exsolviret und angewandt werden"15. Die Direktion der 1788 ins Leben gerufenen Ingenieurschule in Potsdam übernahm der erst ein Jahr vorher aus dänischen Diensten gekommene Major von Scheel, der sich dort als Militärschriftsteller einen Namen gemacht hatte16.

Zur Fortbildung von Offizieren auf dem Gebiet der Militärwissenschaften hielt Major Ludwig Müller 17 vom Ingenieurkorps in Berlin Vorträge, die um die Jahrhundertwende immer größeren Zulauf fanden. General von Geusau, seit 1796 Generalquartiermeister, Generalinspekteur sämtlicher Festungen und Chef des Ingenieurkorps, überwachte auf Befehl des Königs diesen Unterricht auf Form und Inhalt und erweiterte ihn 1801 zu einem über das Winterhalbjahr laufenden Lehrbetrieb, dessen Aufsicht der aus Hannover stammende, in die preußische Armee übernommene Artillerist Gerhard Scharnhorst zugleich mit dem Unterricht in der Kriegskunst übernahm18. Scharnhorst, zu dessen ersten Schülern Karl von Clausewitz zählte19, schuf mit diesen Winterkursen die Grundlage für die spätere Allgemeine Kriegsschule und legte bereits 1804 Geusau einen Plan zur Errichtung und zum Ausbau dieser Militärakademie vor20 . Zugleich gründete Scharnhorst damals die Militärische Gesellschaft zu Berlin, die bis 1918 bestanden hat und deren Vorträge zum großen Teil in den Beiheften zum Militär-Wochenblatt publiziert wurden21. Diese Gesellschaft bildete das Muster für zahlreiche ähnliche Vereinigungen in den größeren Garnisonen. Diese letztlich von der Zeitrichtung diktierte Entwicklung des geistigen Lebens im Offizierkorps wurde von Friedrich Wilhelm III. gefördert, der erstmalig — 1799 — die Anforderungen an die wissenschaftliche Bildung der Offiziere festgesetzt und — 1801 — die für bedürf-tige Offizierssöhne bestimmte Abteilung des Potsdamer Waisenhauses in eine Kadettenanstalt umgewandelt hatte22.

Bei Jena und Auerstädt mußte die preußische Armee erfahren, daß ihre vor-nehmlich auf Disziplin und Dri l l basierende Führungs- und Gefechtsweise der Krieg- und Gefechtsführung der politisch motivierten, mit Enthusiasmus kämp-

15 Ebd., 452. — General von Tempelhoff, 1784 in den erblichen Adelsstand erhoben, war seit 1787 Mitglied der Akademie der Wissenschaften und seit 1800 Mitglied der Akademie der Künste.

1 6 Ebd., Bd. 3, 73 ff. — Aufzeichnungen von ihm befinden sich — laut Priesdorff — im Kriegsarchiv in Kopenhagen.

17 Biographische Angaben bei Bernhard Poten, Handwörterbuch der gesamten Mili-tärwissenschaften, 7. Bd., Bielefeld 1879, 75.

18 Priesdorff (Anm. 4), Bd. 2, 337 f. und Bd. 3, 238. 19 Vgl. Clausewitz über Scharnhorst als Lehrer, in: Militärgeschichtliches Forschungs-

amt — Mitteilungen Nr. 1 (Januar 1959), 5 f. (mit Literaturhinweisen). 20 Priesdorff (Anm. 4), Bd. 2, 339. 21 Hermann Teske, Schamhorst, in: WWR, 5. Jg. (1955), 522. 22 Ottomar Freiherr von der Osten-Sacken und von Rhein, Preußens Heer von seinen

Anfängen bis zur Gegenwart, 1. Bd.: Die alte Armee, Berlin 1911, 337 f.; Poten, Ge-schichte (Anm. 5), Bd. 4, 78 ff.

Reformen innerhalb der preußischen Armee (1800 - 1850) 195

fenden französischen Armee nicht gewachsen war. Aus den Berichten, die der „Immediatkommission zur Untersuchung der Kapitulationen und sonstigen Ereig-nisse des letzten Krieges" vorgelegt wurden, geht eindeutig hervor, daß „die Offiziere im Gelände ungeschult und wenig an Selbständigkeit gewöhnt" waren. Die Anschauung, daß es „gar nicht gut" sei, „viel gebildete Generale zu haben", hatte sich nach unten fortgepflanzt: „An ihren Platz im Gliede gefesselt, brachten die Truppenoffiziere zum Kriege wenig mehr mit als auf ganz bestimmten Voraus-setzungen beruhende Exerziergewohnheiten"23.

Es wäre falsch, diese Mängel ausschließlich dem Erziehungs- und Bildungswe-sen, wie es vor 1806 bestand, anzulasten. „Das Versagen der Führung, die Sturheit der Formen und die überholte Taktik der preußischen Truppen"24, wie sie in Reglements gelehrt wurde, die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens ihre Berechti-gung haben mochten, gehören neben einer offensichtlich unglücklichen Personal-politik in Bezug auf Alter und Fähigkeiten in den Ursachenkatalog.

Der von der Aufklärung genährte Glaube, das alte System „mit Hilfe einer aufgeklärten Bildung . . . aufrechterhalten zu können"25, war gescheitert. Es vertrug sich nicht miteinander, einerseits „das stehende Heer als höchst gesteigerte rationalistische Organisation mitformen" zu helfen und andererseits „mit der Veredelung des Menschen . . . die Rentabilität" dieser Heeresmaschine „zu stei-gern, aus ihr viel mehr als bisher herauszuholen und sie auf die bestmögliche Höhe zuverlässiger Leistung bringen zu können"26. Die Auseinandersetzung mit der längst gestellten Frage „nach der zweckmäßigen Form des neuen Heeres, der Ausbildung der strategischen und taktischen Prinzipien, insbesondere aber der künfigen Fechtweise im Bereich der niederen Taktik"27 zerstob, als die begeisterungsfähige napoleonische Armee Mitteleuropa überflutete und Preußen zwang, die Realitäten der seit 1789 vollzogenen Veränderungen zu erkennen und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.

In seiner und des preußischen Staates größten Not berief der König Scharnhorst zum Präses der Reorganisationskommission. Zu den Mitgliedern gehörten zu-nächst nicht nur Reformanhänger, sondern auch Reformgegner. Sie wurden aus-getauscht, da sich sonst ein ergiebiges Ergebnis nicht hätte erzielen lassen. Scharnhorst kam es darauf an, im Einklang mit Stein und den anderen Reformern sowie deren Reformbestrebungen im Verwaltungsbereich ein Wehrsystem zu schaffen, dessen oberste Aufgabe zunächst nur darin bestehen konnte, daß es

2 3 1806. Das Preußische Offizierkorps und die Untersuchung der Kriegsereignisse, hrsg. vom Großen Generalstabe — Kriegsgeschichtliche Abteilung II, 2. unveränd. Aufl., Berlin 1906, 69.

24 Kurt Hesse, Militärisches Erziehungs- und Bildungswesen in Deutschland, in: Die Deutsche Wehrmacht 1914-1939. Rundblick und Ausblick, hrsg. v. Gen. d. Inf. a. D. Wetzell, Berlin 1939, 468.

25 Reinhard Höhn, Scharnhorsts Vermächtnis, Bonn 1952, 47. 26 Ebd., 46 f. 2? Ebd., 52.

13*

196 Friedrich-Christian Stahl

dem modernen napoleonischen System kämpferisch gewachsen war. Er fragte daher:

— „Wie ist gegenwärtig die Gestalt des Krieges,

— was muß daher eine Armee im Kampfe leisten können,

— wie muß ihre Zusammensetzung, Organisation, Bewaffnung und Ausrüstung sein,

— welchen Geist muß sie haben und

— nach welchen Grundsätzen und Regeln muß sie geführt werden?"28

In Königsberg, der „letzten Heimstatt des Selbstvertrauens und der Hoffnung" — wie sich Josef Nadler ausdrückte — 2 9 , fanden sich 1808 die Reformer zusam-men und setzten ihre Pläne oft gegen heftige Gegenströmungen durch. Stein, Scharnhorst, Gneisenau und die Kant-Schüler Schön, Nicolovius und Süvers trafen sich wöchentlich in einem vom Feldpropst Röckner angeregten Bund30, so daß die Reformplanungen für die Verwaltung, das Militär und die geistigen Belange von gemeinsamen Grundübereinstimmungen ausgingen. Zu gleicher Zeit trafen sich im Perponcherschen Klub die Gegner der Reformpartei, unter ihnen als „leidenschaftlichster" der General von Yorck31, dem der Befehl über die Küstenverteidigung anvertraut war und der in den beabsichtigten Reformen Steins und seiner Freunde den falschen Weg sah, um den „Kampf gegen den Verhaßten", gegen Napoleon, zu führen 32.

Das von Scharnhorst mit wenigen Vertrauten geschaffene Reformwerk umfaßte im wesentlichen

— die Errichtung von Institutionen, die der Realisierung der allgemeinen Wehr-pflicht dienten,

— die Beschränkung der Ausbildung auf das für die Kriegsbrauchbarkeit Not-wendige,

— die militärische Gerichtsbarkeit und die Humanisierung der Disziplinarstrafen sowie

— den gleichen Anspruch aller Stände auf die Offizierstellen 33.

28 Werner Gembruch, Das Reformwerk Scharnhorsts, in: WWR, 8. Jg. (1958), 628. 29 Gause (Anm. 8), 2. Bd., 322. — Zur zeitgenössischen Sicht der Königsberger

Atmosphäre vgl. Karl und Marie von Clausewitz. Ein Lebensbild in Briefen und Tage-buchblättern, hrsg. u. eingeleitet v. Karl Linnebach, Berlin 1916, 151-266, und Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, 3. Bd.: Weltbürgertum und preußischer Staatsdienst. Briefe aus Rom und Berlin — Königsberg 1808-1810, hrsg. v. Anna von Sydow, Berlin 1909, 134-288.

30 Gause (Anm. 8), 2. Bd., 326. 31 Johann Gustav Droysen, York von Wartenburg. Ein Leben preußischer Pflichterfül-

lung, Berlin o. J., 88. 32 Ebd., 95.

Reformen innerhalb der preußischen Armee (1800 - 1850) 197

Scharnhorst brachte die Idee vom Bündnis zwischen der Regierung und der Nation ein, „welches Zutrauen und Liebe zur Verfassung erzeugt"34 und stellte den „Kampf für das Vaterland", wie er die französischen Truppen beflügelte, als das derzeitig wichtigste Motiv in den Mittelpunkt der Erziehung von Volk und Armee zu einem wirklichen „Freiheitskrieg"35. Diesem Gesichtspunkt hatten sich alle Maßnahmen anzupassen oder unterzuordnen. Wenn das Heer in Zukunft als „Vereinigung aller moralischen und psychischen Kräfte" wirken sollte, so mußte — nach dem Immediatbericht der Reorganisationskommission vom 26. September 1807 — auch das Offizierkorps als Elite „aus der ganzen Nation" kommen36.

Im „Reglement über die Besetzung der Stellen der Portepee-Fähnriche und über die Wahl zum Offizier bei der Infanterie, Cavallerie und Artillerie" vom 6. August 1808 heißt es:

„Einen Anspruch auf Offizier-Stellen sollen von nun an in Friedenszeiten nur Kenntnisse und Bildung gewähren, in Kriegszeiten ausgezeichnete Tapferkeit und Überblick. Aus der ganzen Nation können daher alle Individuen, die diese Eigen-schaften besitzen, auf die höchsten Ehrenstellen Anspruch machen. Aller bisher Statt gehabte Vorzug des Standes hört beim Militair ganz auf, und jeder ohne Rücksicht auf seine Herkunft hat gleiche Pflichten und gleiche Rechte"37.

Scharnhorst erkannte, „daß es von großen Nutzen sein müßte, wenn eine zweckmäßigere Folge, eine angemessenere Zusammensetzung in den Gegenstän-den des Unterrichts der verschiedenen Institute künftig stattfände, und daß diese ein Ganzes bildeten, indem die Schüler von der unteren Stufe der Kenntnisse nach und nach zu den höheren fortschritten". Er schlug daher vor, die Militär-Erziehungs- und Bildungsinstitute in drei Gruppen zu gliedern, nämlich in Kadet-tenanstalten, in Schulen für schon im Dienst befindliche Unteroffiziere, Junker und Portepeefähnriche sowie in Institute für junge Offiziere zur Erlangung der angewandten militärischen Kenntnissse38. Dementsprechend wurden neben dem bereits bestehenden Kadettenkorps in Berlin drei Kriegsschulen für Fähnriche in Berlin, Königsberg und Breslau sowie die Allgemeine Kriegsschule in Berlin

33 Gembruch (Anm. 28), 635. 34 Höhn, Scharnhorsts Vermächtnis (Anm. 25), 181. 35 Ebd., 187. — Vgl. Reinhard Höhn, Die Armee als Erziehungsschule der Nation.

Das Ende einer Idee, Bad Harzburg 1963, 17-32 (Armee und Nation im Blickpunkt Scharnhorsts).

36 Offiziere im Bild von Dokumenten aus drei Jahrhunderten (Beiträge zur Militär-und Kriegsgeschichte, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, 6. Bd.), Stuttgart 1964, 165.

37 Ebd., 171. — Acht Jahre später abgedruckt in: Militair-Wochenblatt Nr. 9 vom 24. 8. 1816 (gedruckt bei Dieterici, Berlin). — Vgl. Rainer Wohlfeil, Vom Stehenden Heer des Absolutismus zur Allgemeinen Wehrpflicht (1789-1814), in: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648-1939, hrsg. v. Hans Meier-Welcker, Leitung: Gerhard Papke. 1. Lieferung Frankfurt a. M. 1964, 142.

38 von Scharfenort, Die Königliche Preußische Kriegsakademie 1810-1910, Berlin 1910, 5 f.

198 Friedrich-Christian Stahl

errichtet, die einerseits den höheren Unterricht in der Kriegskunst für Offiziere aller Waffen, andererseits die Weiterbildung der Artillerie- und Ingenieuroffiziere übernahm39.

Zu Unrecht hat man Scharnhorst vorgeworfen, er wolle aus dem Offizierkorps eine „Gelehrtenrepublik" machen, „die wohl zum Debattieren, nicht zum Fechten tauge"40. Für ihn galt nach wie vor die persönliche Tapferkeit im Kriege als höchste Bewährung, aber das Wissen des Offiziers sollte sich zugleich zur letzten Stufe seines Könnens entfalten. Dieses Wissen, erlernt und überprüft, sollte neben den charakterlichen Eigenschaften, wie sie sich im Verhalten gegenüber Vorge-setzten, Kameraden und Untergebenen herausstellten, die Grundlage für die Wahl der Offizieranwärter zum Offizier durch das zuständige Offizierkorps eines Regi-ments bilden41. Dabei handelt es sich jedoch eigentlich nicht um eine Wahl, sondern um einen Wahlvorschlag, dessen Annahme oder Ablehnung sich der König vorbehielt. Er — Friedrich Wilhelm III. — bewahrte sich damit das Gefühl — und auf dieses persönliche Empfinden des Königs nahm Scharnhorst stets Rücksicht —, als der Chef der preußischen Armee Inhaber der absoluten Kom-mandogewalt über das stehende Heer zu sein.

Alle Bildungseinrichtungen der Armee, seien es die Kadettenanstalten, die Offizierschulen, die Allgemeine Kriegsschule und ab 1824 auch die Unteroffizier-schulen waren ebenso wie die Studien- und Examinationskommissionen auf die Bedürfnisse des stehenden Heeres ausgerichtet, während die Landwehr eine Streitkraft eigener Art bildete. In ihr erfolgte die Offizierwahl tatsächlich aus den Reihen derer, die mit dem zur Wahl Stehenden in örtlichen Gemeinschaften lebten. Der König bestätigte die erfolgten Wahlen und ließ diesen Akt im Militair-Wochenblatt publizieren42.

Für das bestehende Kadettenkorps, das in Berlin über eine Stärke von 4 Kompanien verfügte, bestimmte der König am 20. März 1809, daß Söhne gefalle-ner Offiziere, Offizierssöhne, die ihre Eltern verloren haben, und Söhne von auf halbem Sold stehenden oder pensionierten Offizieren in das Korps aufgenommen werden sollten43. Auch die Gestaltung des Unterrichts beeinflußte der König, indem es ihm darauf ankam, daß der erlernte Wissensstoff nach Möglichkeit im Gedächtnis der Kadetten haften blieb. So sollte „die Geschichte nicht, wie vorge-schlagen, in einem Cursus von 5 Jahren auseinander gezogen, sondern in kürzern Übersichten zusammengedrängt, einzelne wichtige Perioden dagegen ausführli-

39 Die Berliner Kriegsschule war zunächst als Abteilung der Allgemeinen Kriegsschule unterstellt. Vgl. Poten (Anm. 5), Bd. 4, 154-164.

40 Höhn, Scharnhorsts Vermächtnis (Anm. 25), 229. 41 Offiziere im Bild (Anm. 36), 168. — Vgl. Wohlfeil (Anm. 37), 143 f. 4 2 So wurden beispielsweise am 29. 8. 1818 beim 2. Bataillon des 2. Breslauer Land-

wehr-Regiments (IIb) die Gutsbesitzer Heger und Matzke sowie der Pächter Hedett als Sekonde-Lieutenants bestätigt (Militair-Wochenblatt Nr. 125 vom 14. 11. 1818, 781).

43 Priesdorff {Anm. 4), Bd. 3, 346.

Reformen innerhalb der preußischen Armee (1800 - 1850) 199

eher behandelt, auch mehrfach wiederholt werden, weil sie sich sonst dem Ge-dächtnisse der Zöglinge nicht genügsam einprägen würden." Eine Studienkom-mission beim Kadettenkorps, bestehend aus den Professoren der Anstalt, habe unter der Direktion des Kommandeurs des Korps und unter der Leitung des diesem vorgesetzten Chefs den vom König abgeänderten Unterrichtsplan zur Ausführung zu bringen44.

Trotz seiner vielfachen Arbeitsbelastung erbat sich Scharnhorst die Leitung der Kriegsschulen. In dieser Eigenschaft unterstand er dem General von Diericke, der 1809 die Leitung sämtlicher Examinationskommissionen übernommen hatte und 1810 zum Präses der Ober-Militär-Examinations-Kommission ernannt wor-den war45. Ihm oblag die endgültige Beurteilung über die Examina, auf Grund derer er dem König die Junker oder Fähnriche zur Beförderung vorschlug. Die-ricke war offensichtlich ein gestrenger Prüfherr, so daß der König ihn mehrfach ermahnte, „unter den gegenwärtigen Umständen nicht mehr zu fordern, als was die jungen Leute in ihren Verhältnissen mit Fleiß und Application leisten könn-ten"46. Scharnhorst litt offensichtlich unter dem bürokratischen Eifer Dierickes, denn er bat den „hohen Chef sämmtlicher wissenschaftlicher Militairanstalten, die von den Fähnrichen zum Offz. Examen mitzubringenden Studienzeugnisse nicht monatlich, sondern höchstens vierteljährlich ausstellen zu dürfen, da bei ca. 70 Schülern kein Lehrer so genau Fortschritte beobachten kann, die Censur flüchtig ausfällt und als zu häufiges Disciplinarmittel die Jugend abstumpft"47.

Nach Beendigung des Krieges erfolgte die Neugliederung des Friedensheeres. Das Garde-Korps und 8 Armee-Korps mit insgesamt 18 Divisionen, in denen je 1 Infanterie-, 1 Kavallerie- und 1 Landwehr-Brigade vereinigt waren, bildeten bis zur Roon'sehen Heeresreform den organisatorischen Rahmen der preußischen Armee48. Jede Division verfügte über eine Divisionsschule für die Ausbildung des Offizierersatzes 49, die unter Aufsicht des Divisionskommandeurs stand und von einem Stabsoffizier geleitet wurde. Ein Militärgeistlicher, jüngere Offiziere und sonst geeignete Persönlichkeiten übernahmen den Unterricht. 1822 wurde für jede Divisionsschule eine Direktion eingesetzt, die aus einem Militär-Direktor, einem Studien-Direktor, „wozu einer von den beiden Divisions-Predigern zu wählen" war, und nach Wahl des Divisionskommandeurs aus einem Lehrer

44 Ebd. 45 Ebd., Bd. 3,77. — Diericke war zugleich Obergouverneur der königlichen Prinzen,

Chef aller militärischen Bildungsanstalten und Präses der General-Ordenskommission. 46 W. Nottebohm, Hundert Jahre militärische Prüfungsverfahren. Die Königlich Preu-

ßische Ober-Militär-Prüfungs-Kommission 1808-1908, Berlin 1908, 7, und Priesdorff (Anm. 4), Bd. 3, 78.

47 Nottebohm (Anm. 46), 11 f. 48 Änderungen in der Organisation traten nur insofern ein, als die Landwehr-Brigaden

in Infanterie-Brigaden umgewandelt wurden und jede Infanterie-Brigade sich aus einem Linien- und einem Landwehr-Regiment zusammensetzte.

49 Bis 1818 Brigade-Schulen. Vgl. Poten (Anm. 5), Bd. 4, 205-225.

200 Friedrich-Christian Stahl

bestehen sollte50. Bedingung für den Eintritt in die Divisionsschule, deren Besuch auf drei Jahre festgelegt wurde, war, daß der Eintretende „sowohl kalligraphisch, als orthographisch in dem Verhältniß gut schreiben, daß er dem Unterricht bei der Schule sogleich beiwohnen kann; er muß seine Lebensbeschreibung verständ-lich abfassen, und gewöhnliche Aufgaben aus den vier Rechnungsarten lösen." Dabei war „vorzüglich auf Anlagen und Fähigkeiten des jungen Menschen Rück-sicht zu nehmen"51.

Die Bestimmung, daß gute Dienste als Lehrer bei Divisionsschulen bei Beför-derungsvorschlägen und bei Vorschlägen von Offizieren zum Eintritt in den Generalstab berücksichtigt werden sollten52, fand u. a. auch auf Helmuth von Moltke Anwendung, der nach Absolvierung der Allgemeinen Kriegsschule Lehrer an der Divisionsschule der 5. Division in Frankfurt / Oder war, dort die „polizei-liche Aufsicht über 31 junge Leute" führte und 14 Wochenstunden, u. a. im Feldmessen und Zeichnen, sowie 8 Inspektionsstunden zu halten hatte53.

Das Lehrpersonal jeder Divisionsschule übte zugleich die Funktion einer Examinations-Kommission für Portepeefähnriche aus. Damit die Kommissions-mitglieder aber nicht ihre eigenen Schüler zu prüfen hatten, wurden die Examinan-den einer benachbarten Kommission zur Prüfung zugewiesen. Die Aufsicht über die regionalen Examinationskommissionen führte die Ober-Militär-Examina-tionskommission in Berlin, der allein das Recht zur Offizierprüfung zustand.

Das Schul- und Examinationssystem, wie es sich ab 1816 entwickelte, wies nicht unerhebliche Mängel auf, die sich vor allem aus der Vielzahl der Schulen, aus der notgedrungenen Auswahl oft wenig geeigneter Lehrer, aus den unter-schiedlichen Lehrmethoden in den einzelnen Fächern und aus den Differenzen in den Beurteilungsmaßstäben für die Leistungen der Schüler ergaben54. Damit war Scharnhorsts Konzeption für die militärischen Lehrinstitute, die 1807 die Errichtung der Kriegsschulen in den Provinzialhauptstädten vorgesehen hatte, ebenso verwässert worden wie seine Idee vom zentralen Prüfverfahren, dessen zeitbedingte Zersplitterung er 1809 „als eine lediglich durch die Umstände abge-nötigte Maßnahme betrachtet hatte"55. Hinzu kam, daß die den Divisionsschulen überwiesenen Kadetten mitunter über ungenügende Grundkenntnisse verfügten 56.

Nach dem Tode Dierickes übernahm Gneisenau den Vorsitz der Ober-Militär-Examinations-Kommission. Seine noch durch Boyen beeinflußte Ernennung

so Offiziere im Bild (Anm. 36), 177. 51 Ebd. 52 Ebd. 53 Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten des General-Feldmarschalls Grafen

Helmuth von Moltke, 4. Bd.: Briefe; erste Sammlung, Berlin 1891, 19. 54 Nottebohm (Anm. 46), 16 ff. 55 Ebd., 17. 56 Ebd., 22.

Reformen innerhalb der preußischen Armee (1800 - 1850) 201

konnten die Reformgegner nicht verhindern, doch setzten sie, „um wenigstens die Ausbildung des Offizierersatzes vor den »teutonischen Jakobinern' sicherzu-stellen, nach Boyens Rücktritt durch, daß die Oberleitung der militärischen Insti-tute vom Präsidium abgetrennt" und dem bereits verabschiedet gewesenen Gene-ral von Pirch (II) übertragen wurden. Zugleich Vorsitzender der Militär-Studien-Kommission, verfügte er über einen kleinen Stab, bestehend aus 4 Stabsoffizieren und einigen praktischen Schulmännern, der den wissenschaftlichen Teil des ge-samten Militärunterrichts einschließlich des Kadettenkorps überwachen sollte. Da aber außer den Divisionsschulen alle höheren Lehranstalten ihre eigenen Studienkommissionen im Hause hatten, war die Militär-Studienkommission nur für das Ressort der Divisionsschulen zuständig. Eine echte Einwirkung auf den Lehrbetrieb in diesen über das ganze Staatsgebiet verstreuten Anstalten blieb ihr versagt, da dem Präses keine Reisegelder zur Verfügung standen und den Kom-missionsmitgliedern bei ihrer zufälligen Anwesenheit am Ort der unmittelbare Zutritt verwehrt wurde57.

Die stets sich wiederholenden „traurigsten Erfahrungen" über den allgemeinen Bildungszustand der Examinanden veranlaßten 1835 den Kriegsminister von Witzleben58 zu einem außerordentlichen Schritt. Er erwirkte eine Kabinettsorder an den Präses der Ober-Militär-Examinations-Kommission, General von Stülpna-gel59, wonach im Einvernehmen mit dem General-Inspekteur für das Militär-Erziehungs- und Bildungswesen, General von Luck60, das Prüfungsreglement in der Weise umzuarbeiten war, daß „die Anforderungen der Fähnrichsprüfung, soweit das militärische Interesse nur irgend zuließ, an die Lehrziele der Gymna-sialtertien anzuschließen" seien61. Der Entwurf wurde einer Anzahl von höheren Offizieren zur Stellungnahme zugeleitet. Der Chef des Allgemeinen Kriegs-Departements, General von Schoeler62, nahm „einen sehr abweichenden Stand-punkt" ein63. Demgegenüber unterstrich der Chef des Generalstabes der Armee, General von Krauseneck64, die Notwendigkeit einer Mindestbildung für den Offizier. „Komme der Offizier", so betonte er, „unter die Stufe der Bildung, die alle übrigen oberen Schichten des Volks durchdringe, und diesen als Bedingung der Brauchbarkeit gelte, so dürfte es bald auch um die allgemeine Achtung des Officierstandes geschehen sein"65.

57 Ebd., 25 f. 58 Priesdorff (Anm. 4), Bd. 4, 275-281. 59 Ebd., 300-306. 60 Ebd., 403-410. 61 Ebd., 32. 62 Ebd., 225 ff. 63 Nottebohm (Anm. 46), 33. — Nottebohm bezeichnet das Gutachten Schoellers „als

Niederschlag der Anschauungen einer absterbenden Zeit". 64 Priesdorff (Anm. 4), 288-300. 65 General W. J. v. Krauseneck, Berlin 1857, S. 172. — General von Reyher, derzeit

Direktor des Allgemeinen Kriegs-Departements, äußerte sich als 1. Mitglied der Militär-Studien-Kommission: „Die Ausbildung und Prüfung zu Offizieren genügt nicht mehr,

202 Friedrich-Christian Stahl

Das Reglement von 1837 setzte an Stelle des Fähnrichsexamens die „Eintritts-prüfung". Dabei stellte sich schon bald heraus, daß Schüler des humanistischen Gymnasiums die besondere, für den Offizierberuf geforderte Vorbildung auf Grund ihrer Fächerzusammenstellung nicht erbringen konnten und daher auch als „fähige Köpfe" gezwungen wurden, eine der jetzt aufkommenden „Pressen" aufzusuchen66. Auch die spätere — 1844 — geforderte „Primareife" erwies sich nicht zuletzt aus finanziellen Gründen als undurchführbar, so daß sie bis 1872 ein „toter Buchstabe" blieb67.

Die am 15. Oktober 1810 — am gleichen Tag wie die Universität Berlin — gegründete Allgemeine Kriegsschule litt zunächst darunter, daß sie als Ausbil-dungsstätte für Offizieranwärter, für die Fortbildung der Artillerie- und Ingenieur-offiziere und für den dringend benötigten Nachwuchs im Generalstabs- und Adjutanturdienst diente. Von dieser Dreiteilung wurde sie nach Beendigung des Krieges befreit, indem die Divisionsschulen und die Vereinigte Artillerie- und Ingenieurschule als selbständige Anstalten gegründet wurden. Immerhin war es gelungen, aus den ersten Kursen für den Generalstabs- und Adjutanturdienst Persönlichkeiten zu gewinnen, die sich während des Krieges in den neu gebildeten Führungsstäben voll bewährten und z. T. später höchste Führungsfunktionen bekleideten68.

Außer den militärischen Fächern im engeren Sinn — Taktik, Strategie, kleiner Krieg, Generalstabsgeschäfte, Fortifikation, Artillerie, Militärgeographie und Kriegsgeschichte — wurden die mathematischen Fächer, Chemie, Physik, Deutsch und Französisch gelehrt. Die Auswahl der Vorlesungen wurde den studierenden Offizieren überlassen, die mitunter mit einem zu nichts führenden Übereifer ihrem Studium oblagen. Doch Scharnhorst, der mehrfach mit den jungen Offizieren „die Art besprach, wie man studieren müsse", vertrat den

überall sind die Forderungen gesteigert worden. Die allgemeine Bildung läßt sich am einfachsten auf den Bildungsanstalten erlangen. Es geht nicht an, daß junge Leute die Divisionsschule besuchen, weil sie aus Mangel, an Reiß oder Fähigkeit sich nicht die Kenntnisse erworben haben, welche ein Zivilberuf fordert. Die Armee gerät dadurch dem Zivil gegenüber in eine schiefe Stellung. Die nationale Einheit fordert eine gleichmä-ßige Bildung. Deshalb müssen die Eintrittsforderungen gesteigert werden. Der Offizieran-wärter muß mindestens das Reifezeignis für Prima haben. Die Divisionsschulen dienen in Zukunft nur der Berufsausbildung." {Priesdorff [Anm. 4], Bd. 5, 419 f.).

66 Nottebohm (Anm. 46), 35. 67 Ebd., 44. 68 Zu den ersten Besuchern der Allgemeinen Kriegsschule gehörten u. a. die Sekonde-

Lieutenants v. Below, später Adjutant bzw. Flügeladjutant des Kronprinzen und Königs Friedrich

Wilhelm IV., Brese (v. Brese-Winiary), später Generalinspekteur der Pioniere und Festungen, Chef

des Ingenieurkorps, Freiherr v. Canitz und Dallwitz, später Minister des Auswärtigen, O'Etzel, später Telegraphendirektor, v. Prittwitz, später Kommandierender General des Gardekorps.

Reformen innerhalb der preußischen Armee (1800 - 1850) 203

Standpunkt, „den Offizieren zwar zu raten, aber sie so wenig als möglich zu beschränken", weil er es „für weniger nachteilig" hielt, „sie einmal fehlgehen zu lassen, als ihre Eigentümlichkeit zu beschränken, die im ersten Augenblick so schwer richtig zu beurteilen ist und weil derjenige, der zu viel übernommen hat, doch immer noch den Ausweg behält, einige Unterrichtsgegenstände aufzuge-ben"69.

Die dem Chef des Generalstabes unterstelle Allgemeine Kriegsschule stand unter Leitung von zwei Direktionen, einer militärischen und einer wissenschaftli-chen. Scharnhorst hatte dem militärischen Direktor auch Einfluß in der Studiendi-rektion einräumen wollen, konnte sich damit aber nicht durchsetzen70. So hatte Clausewitz, der 1810 den Kleinen Krieg und Generalstabsdienst gelehrt hatte, während seiner über 10jährigen Verwendung als Direktor der Allgemeinen Kriegsschule keinerlei Einfluß auf den wissenschaftlichen Lehrplan seiner Anstalt ausüben können. Vielleicht verdanken wir diesem Umstand, daß er sein umfassen-des, leider unvollendet gebliebenes Werk „Vom Kriege" hinterlassen hat und noch heute mit seinen Gedanken die Diskussion belebt71.

Alljährlich veröffentlichte die Studiendirektion der Allgemeinenn Kriegsschule ihr „Programm über die Prüfungsarbeiten, welche diejenigen Offiziere einzusen-den haben, die in dem Jahre 18 . . in die Königliche allgemeine Kriegsschule einzutreten wünschen". Im ersten Teil dieses Programms gab die Direktion be-kannt, was der Studierende an Lehrstoffen zu erwarten hatte, und machte darauf aufmerksam, „daß über den Zweck und Nutzen der allgemeinen Schulwissen-schaften (wozu außer den Sprachen und der Geschichte vorzüglich die Mathema-tik gehört), nur gar zu häufig unbestimmte und unrichtige Begriffe herrschen. Fast Jedermann setzt den Nutzen der Schulwissenschaften in die Sachen, die man lernt, nicht in die Uebung des Kopfes, die man durch eifriges Studium dieser Wissenschaften erwirbt" 72.

Im zweiten Teil des Programms wurden die Prüfungsaufgaben bekannt gege-ben. Im Bereich der Geschichte handelte es sich 1821 um folgende Themen:

— „Entweder: Aus welchen Gesichtspunkten in Beziehung auf die Staatsverwaltung und die Maximen der Partheien in Rom müssen die Gracchischen Unruhen beurtheilt werden?

— Oder: Wie entstand die Eifersucht zwischen Oestreich und Frankreich, und wie gestaltete sich in dieser Hinsicht die Politik dieser Mächte im löten und 17ten Jahrhundert?

69 Scharfenort (Anm. 38), 15 f. 70 Ebd., 7 f. 71 Carl von Clausewitz, Vom Kriege. Hinterlassenes Werk, Berlin 1832. — Das Werk

erfuhr zahlreiche Auflagen und Sonderausgaben, zuletzt als Ullstein Sachbuch, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1991.

72 Militair-Wochenblatt Nr. 245 vom 3. 3. 1821, 1745.

204 Friedrich-Christian Stahl

— Oder: Welche entfernte und nähere Ursachen hat die Nordamerikanische Revolu-tion gehabt73?"

Die Allgemeine Kriegsschule hat als Lehrer und als Schüler Persönlichkeiten hervorgebracht, die als Lehrer und als Soldaten herausragten74, ja Geschichte gemacht haben. Letztere, wie Moltke, Roon und Stosch, haben die Zeit ihres Studiums und die sich ihnen bietenden geistigen Möglichkeiten genutzt, so daß sie ihren militärischen Beruf in einem umfassenderen Sinne wahrnehmen konnten.

Stosch bemerkt in seinen Erinnerungen: „Ich blicke auf die drei Jahre der Kriegsakademie noch heute mit Freuden zurück, es war eine Zeit reich an Genüs-sen; im Freundesbunde schwärmten wir für Kunst und Wissenschaft"75. Doch seine während des Studiums entwickelte Begeisterung für die Hegeische Philo-sophie, die er damals seinen Urteilen und Anschauungen zu Grunde gelegt hatte, schlug im Alter um, und er war zornig über sich, daß er „an diesem gewaltsamen geschraubten Denken jemals Gefallen gefunden hatte"76.

Schon kurz nach dem Kriege machte sich in der preußischen Armee der Mangel an geeigneten Unteroffizieren für das Friedensheer bemerkbar. Das Allgemeine Kriegs-Departement stellte daher Überlegungen an, wie es den für die Armee erforderlichen Unteroffiziernachwuchs sichern könne und welche Bildungsvor-aussetzungen in den „Lehranstalten für Unteroffiziere und Gemeine bei den Regimentern und Bataillonen" geschaffen werden müßten. Dabei galt der Grund-satz, daß „dieser niedere Unterricht durchaus nicht ausgedehnt werden" dürfe, „damit die Leute nicht aus ihrem angewiesenen Wirkungskreise hinausgerückt, und Wünsche in ihnen erzeugt werden, die in der Masse nicht zu befriedigen stehen"77. Der Unterricht sollte sich daher auf folgende Gegenstände beschränken:

,,a) Gut deutsch lesen, sowohl gedrucktes als geschriebenes sowohl in deutscher als lateinischer Schrift,

b) Leserlich und möglichst ortographisch schreiben, in deutscher und lateinischer Schrift,

c) Anfertigung von Rapporten, Meldungen, Listen und anderen schriftlichen Auf-sätzen, die von einem Unterofficier verlangt werden, in erforderlicher Verständ-lichkeit,

d) Fertigkeit, sich bei mündlichen Berichten und Meldungen deutlich auszudrük-ken,

e) Rechnen in den gemeinen Rechnungsarten .. . "7 8

73 Ebd., Nr. 246 vom 10. 3. 1821, 1752. 74 Vg. bei Scharfenort (Anm. 38), 364-383 die namentlichen Aufstellungen für die

Direktoren, Mitglieder der Militär-Direktion und der Studien-Direktion, Bibliothekare und Lehrer.

75 Denkwürdigkeiten des Generals und Admirals Albrecht v. Stosch, hrsg. v. Ulrich v. Stosch, Stuttgart 1904, 9.

76 Ebd., 10. 77 Militair-Wochenblatt Nr. 10 vom 31. 8. 1816 (2).

Reformen innerhalb der preußischen Armee (1800 - 1850) 205

Aus dem Militär-Waisenhaus in Potsdam bezog die preußische Armee, in erster Linie wohl die Garde, einen Teil ihres Unteroffiziernachwuchses. 1815 wurde infolge der Grenzveränderungen das bisher unter sächsischer Verwaltung stehende „Militär-Knaben-Erziehungs-Institut" zu Schloß Annaburg in die preu-ßische Armee übernommen79. Neben der in Annaburg seit langem bestehenden Musikschule wurde 1826 eine Handwerkerschule eingerichtet. Im Alter von 17 Jahren wurden die Zöglinge dem Lehr-Infanterie-Bataillon in Potsdam zugeführt, das 1820 mit dem Auftrag, „Gleichmäßigkeit und Übereinstimmung im Dienste und in den Exercier-Uebungen, so wie in der Bekleidung und Armatur der Infanterie" zu befördern, aufgestellt und dem 1. Garde-Regiment zu Fuß zugeteilt worden war80.

Dem Lehr-Infanterie-Bataillon wurden alljährlich von jedem preußischen In-fanterie-Regiment 10 Mann zur Ausbildung zum Unteroffizier überwiesen, wäh-rend die Zöglinge aus Potsdam und Annaburg in einer 1824 beim Lehr-Infanterie-Bataillon eingerichteten Schul-Abteilung zusammengefaßt wurden, aus der 1860 die Unteroffizierschule Potsdam hervorging81.

Längst bevor die Universität Berlin gegründet wurde und sich in ihr die medizinische Fakultät entfalten konnte, wurden in Berlin die Militärchirurgen bzw. -ärzte ausgebildet. Entsandte man in den ersten Regierungsjahren Friedrich Wilhelms I. noch Regimentsfeldschere nach Paris zur Ausbildung in der Chirur-gie82, so konnten 1719 im Theatrum anatomicum die Vorlesungen der aus Paris zurückgekehrten Dozenten beginnen. Wenige Jahre später — 1724 — wurde das Collegium medico-chirurgicum in Berlin errichtet, bei dem acht Kompagnie-Feldschere der Garde als sogenannte „Pensionairs" Unterricht in der Chirurgie und in der Medizin erhielten. Auch diente der Botanische Garten den Unterrichts-zwecken. 1726 wurde auf Anregung des Generalchirurgus Holtzendorff das Cha-rite-Krankenhaus gegründet, das auch als Bürger-Lazarett diente, jedoch 1810 noch „ganz unter militärischer Leitung" stand83.

So waren die Medizinstudenten bei Gründung der Universität Berlin noch weitgehend auf die Räumlichkeiten des alten Theatrum anatomicum angewiesen und mußten diese „mit den Zöglingen der Pepiniere und den Pensionärchirurgen

78 Ebd. (1 f.). 79 G.A. Erdmann, Geschichte des Königlich Preußischen Militär-Knaben-Erziehungs-

Instituts zu Schloß Annaburg, Wittenberg 1883,25. — Vgl. Poten, Geschichte (Anm. 5), 499-503.

so Das Lehr-Infanterie-Bataillon in Potsdam, in: Der Soldatenfreund, 20. Jg. (1852), 4.

81 Ebd., 10 u. 58 sowie von Versen: Geschichte der Unteroffizierschule in Potsdam 1824 bis 1899, Berlin 1899, 43.

82 Schjerning, Gedenktage aus der Geschichte des Königlich Preußischen Sanitäts-korps, Berlin 1910, 3.

83 Max Lenz, Rede zur Jahrhundertfeier der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universi-tät zu Berlin, Halle 1910, 12.

206 Friedrich-Christian Stahl

teilen", die — wie Max Lenz in einer 1910 gehaltenen Jubiläumsrede festhielt — „für sich die vordersten Bänke beanspruchten"84.

Statt des aufgelösten Collegium medico-chirurgicum übernahm 1811 die neu gegründete Medizinisch-chirurgische Akademie die Ausbildung der Militärärzte. Während die Anatomie und der Botanische Garten gleichermaßen von der Univer-sität und der Akademie genutzt wurden, diente die Charité vornehmlich der neuen Akademie als Klinikum85.

Die Entwicklung des Militär-Medizinalwesens wurde durch die in den Befrei-ungskriegen gemachten Erfahrungen nachhaltig beeinflußt. 1818 erhielt die chi-rurgische Pepiniere den Namen „Medizinisch-chirurgisches Friedrich-Wilhelm-Institut". 1820 entstanden in Breslau, Königsberg, Greifswald, Magdeburg und Münster Chirurgenschulen, an denen bis 184886 Wundärzte II. Klasse ausgebildet wurden. Diese durften nur die kleine Chirurgie betreiben. Die Ausübung der inneren Praxis war ihnen untersagt.

Das Studium der Eleven des Medizinisch-chirurgischen Friedrich-Wilhelm-Instituts berechtigte laut Verfügung des Ministers der geistlichen Unterrichts-und Medizinal-Angelegenheiten vom 12. November 1822 gleich den Studieren-den der Universität zur Zulassung zum tentanum pro gradu doctoris, „da sie ein dem nötigen Universitätsstudium gleiches Studium zurückgelegt und in mancher Beziehung wirklich mehr geleistet haben, als viele andere Studierende auf der Universität"87. Nachdem jeder Unterschied in der Ausbildung des militär- und zivilärztlichen Personals durch das Reglement für die Staatsprüfungen der Ärzte aufgehoben und die Promotion Voraussetzung für die Meldung zum Staatsexamen sowohl für Mediko-Chirurgen als auch für reine Mediker geworden war, gelang es innerhalb eines Vierteljahrhunderts, das 1850 etwa 325 Köpfe zählende preußi-sche Sanitätskorps zu 84% mit promovierten Ärzten auszustatten88.

Das Friedrich-Wilhelm-Institut hat als Ausbildungsstätte für Militärärzte der preußischen Armee bedeutende Persönlichkeiten hervorgebracht, die nach prakti-scher Tätigkeit als Militärarzt in der Wissenschaft Hervorragendes geleistet ha-ben. Hier seien nur Hermann von Helmholtz, Rudolf Virchow und aus späterer Zeit Emil von Behring genannt.

Die Reformen im Bildungswesen der preußischen Armee sind immer auch im Zusammenhang mit der Gesamtentwicklung des Staates, der Gesellschaft und der Armee zu sehen. So können wir

84 Ebd., 12 f. 85 Schjerning (Anm. 82), 15. 86 Die Chirurgenschulen wurden am 15. 9. 1848 aufgelöst. 87 Schjerning (Anm. 82), 20. 88 Laut Rangliste von 1800 (Anm. 3) besaßen von 202 Chirurgen 2 den Doktortitel.

Laut Rang- und Quartierliste der Königlich Preußischen Armee für das Jahr 1851 führten von 323 Ärzten 272 den Doktortitel.

Reformen innerhalb der preußischen Armee (1800 - 1850) 207

— von einer Vor-Reformzeit, die vor 1806 liegt und in der einzelne Reformen durchgeführt, erdacht oder — im Widerspruch zu den noch bestehenden Gegebenheiten stehend — erhofft wurden,

— von der eigentlichen Reformzeit zwischen 1807 und 1819, in der Nation, Volk und Armee weitgehend zu einem neuen Denken und zu kraftvollem Handeln fanden, und

— von einer Nach-Reformzeit sprechen, die bis in die fünfziger Jahre reicht und in der die Reformen nachwirkten, ergänzt oder durch restaurative Kräfte reduziert wurden.

Ein Zeitzeuge, der sich intensiv mit der Geschichte des Erziehungswesens befaßte, charakterisiert „ im Hinblick auf das Bedürfniß einer Umgestaltung der heutigen Militair-Unterrichts- und Bildungs-Anstalten" den Zustand dieses Be-reichs um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit folgenden Worten:

„Wie die meisten menschlichen Einrichtungen, so verdanken auch die Anstalten zur Militair-Bildung ihre Entstehung, ihr Wachsthum und ihren gegenwärtigen Zustand weit mehr den gerade zu Tage gekommenen einzelnen Erfordernissen und Ansprüchen, als übersichtlich erwogenen, nach bestimmten Zielen verfolgten Ideen. Es darf darum nicht befremden, daß sie keinen entschiedenen Charakter zeigen, keiner planmäßigen Stufenfolge unterliegen, daß ihnen überhaupt pädagogische Gediegenheit fehlt und daß ihr Nutzen oft genug durch unbesonnenes Vorgreifen, grundloses Fortbauen und schädliche Wiederholungen nach und nach verkürzt und mitunter aufgehoben wird"89.

89 Nachgelassene Schriften von Emst Ludwig von Aster, 4. Bd.: Abriß der Geschichte des Erziehungswesens, Berlin 1857, 1. Zu Aster Näheres bei Priesdorff (Anm. 4), 355-360.

Die preußischen Militärreformen (1807-1814) im Geschichtsbild der DDR

Von Harald Müller, Potsdam

Die Problematik der geschichtlichen Rolle Preußens in der deutschen Geschich-te wurde nicht erst mit der Gründung der DDR im Oktober 1949, sondern bereits schon bald nach Kriegsende und sowjetischer Besetzung zum Gegenstand kriti-scher Reflexionen in der Publizistik der damaligen Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands erhoben, soweit sie sich historischen Themen zuwandte1. Das gilt auch für die 1946 veröffentlichten „Richtlinien für den Unterricht in deutscher Geschichte"2, die von der auf der Grundlage des Befehls Nr. 17 der Sowjetischen Militäradministration für Deutschland (SMAD) vom 27. Juli 1945 geschaffenen „Deutschen Verwaltung für Volksbildung" ausgearbeitet und von kommuni-stischen Emigranten in der UdSSR konzipiert worden waren. In diesen „Richtli-nien" erfuhr gerade die historische Entwicklung Brandenburg-Preußens eine außerordentliche Berücksichtigung, wobei die grundsätzlich negative Beurteilung der Politik seiner Herrscher überwog3. Ja, mehr noch, in ihnen wurde pointiert die Aufgabe gestellt, den spezifischen Charakter des brandenburgisch-preußi-schen Staates als „reaktionärer Militär- und Feudalstaat" hervorzuheben und zugleich herauszuarbeiten, wie er die Vormachtstellung in Deutschland errang und es damit auf den verhängnisvollen „preußischen Weg" zwang4.

Doch wurden hierbei auch Einschränkungen sichtbar. Wenn auch bei den Autoren der „Richtlinien" die negative Sicht auf die vor 1945 in Preußen herr-schaftsausübenden Kräfte und deren Repräsentanten dominierte, suchten sie den-noch auch nicht als ausgesprochen „revolutionär" eingestuften Persönlichkeiten gerecht zu werden, was auch und besonders sichtbar für die Urheber und Träger der preußischen Reformen nach 1806 Geltung beanspruchen kann. Eine ähnliche Sicht prägte auch die Schrift, die — 1944/45 im mexikanischen Exil verfaßt

1 Siehe dazu Gustav Seeber, Einleitung: Preußen seit 1789 in der Geschichtsschreibung der DDR, in: Preußen in der deutschen Geschichte nach 1789, hrsg. von Gustav Seeber/ Karl-Heinz Noack, Berlin 1983, 12.

2 Richtlinien für den Unterricht in deutscher Geschichte, T. 2: Deutsche Geschichte in der neueren Zeit, Berlin / Leipzig 1946.

3 Siehe dazu Seeber, Einleitung: Preußen seit 1789 (Anm. 1), 18. 4 Siehe dazu ders., Preußen nach 1789 in der DDR-Historiographie. Entwicklungsetap-

pen und Grundpositionen, in: Gesellschaftswissenschaftliche Informationen (1982), Nr. 17, 129.

14 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

210 Harald Müller

— nach Kriegsende in der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR in mehreren Auflagen verbreitet, der Frage nachzugehen suchte, welche histori-schen Voraussetzungen es ermöglichten, daß das Hitlerregime den blutigsten Krieg in der Geschichte der Menschheit entfesseln konnte. Obwohl der Verfasser Alexander Abusch im „Irrweg einer Nation" auch dem Preußentum die Verant-wortung dafür anlastete, Wegbereiter von Deutschlands größtem Unglück und seiner tiefsten nationalen Katastrophe gewesen zu sein, bezog er doch zugleich Position gegen die „mechanistisch vereinfachende Meinung", daß die deutsche Geschichte „nur ein einzig reaktionärer Vorgang" und Hitlers Diktatur seine unabwendbare Folge gewesen sei5.

Positiv würdigte er demgegenüber nachdrücklich auch die Reformergruppe um Stein: Um Napoleon zu schlagen und eine Volkserhebung gegen ihn möglich zu machen, „mußten jene Männer in die verrotteten preußischen Zustände eingrei-fen und sie umzustürzen versuchen"6. Auch den Epochenzusammenhang ihres Wirkens suchte Abusch zu berücksichtigen, wenn er speziell zu den Militärrefor-mern bemerkte, sie häten sich von dem Willen und der Vorstellung leiten lassen, die Ideen der Großen Revolution in Frankreich in eine Waffe gegen Napoleons Weltherrschaftspolitik zu verwandeln7.

Dieses hier erkennbar werdende Bemühen, die preußischen Reformen in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang einzuordnen, manifestierte sich auch in der ersten ausführlicheren geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ihnen, geführt in einem zweiteiligen Artikel in der damals einzigen geschichts-wissenschaftlichen Zeitschrift der DDR, der „Geschichte in der Schule", im Sommer 1950. Allerdings erfuhr die zutreffende Andeutung, daß sich diese Reformen in den Prozeß der bürgerlichen Umwälzung der Gesellschaft einordnen lassen, durch die These, daß die Gegensätze zwischen tradierter Feudal- und sich konstituierender bürgerliche Klasse durch die Reformen verschärft worden seien, eine Abschwächung8.

Im ganzen überwog in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR im Geschichtsverständnis der Periode zwischen 1945 und 1950 zweifellos ein zum Negativen hin tendierendes Bild von der deutschen Geschichte im allgemeinen und von der preußischen im besonderen. Doch wenn auch die Aktivitäten von Fürsten und Regierungen, die Niederlage revolutionärer Kräfte und das Versagen verschiedener sozialer und gesellschaftlicher Gruppen und Parteien in bezug auf die von ihnen zu lösenden historischen Aufgaben deutlich stärker als progressive

5 Alexander Abusch, Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte, neu bearbeitete Ausgabe mit einem Nachwort des Autors, Verständnis deut-scher Geschichte, Berlin 1949.

6 Ebd., 64. 7 Ebd., 68. 8 Günther Kluge, Über den widerspruchsvollen Charakter der preußischen Reformen,

in: Geschichte in der Schule (1950), H. 7, 30.

Die preußischen Militärreformen (1807 - 1814) 211

Ansätze akzentuiert wurden9, gehörten dennoch gerade die preußischen Reformen zu jenen Elementen des Geschichtsprozesses, über welche die Meinung vertreten wurde, daß sich in ihnen gesellschaftliche Kräfte artikuliert hatten, die für den gesellschaftlichen Fortschritt in die Schranken getreten waren.

In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre konstituierte sich eine eigenständige Geschichtswissenschaft in der DDR unter dem Einfluß der SED als herrschender Staatspartei wie unter deren fortwährenden „politisch-ideologischen Dominie-rung und institutionellen Administrierung"10, was sich u. a. darin ausprägte, daß der Marxismus-Leninismus zu ihrer herrschenden theoretisch-methodologischen Grundlage erhoben wurde11. In dieser Periode erfolgte insbesondere zwischen 1952 und 1954 eine erste breitangelegte und intensive Auseinandersetzung mit der Problematik der preußischen Reformperiode und der nationalen Unabhängig-keitsbewegung gegen die napoleonische Fremdherrschaft 12. Ein Referat Leo Sterns auf dem ersten Kongreß der Archivare der DDR im Mai 1952 „Gegenwarts-aufgaben der deutschen Geschichtswissenschaft" und eine Rede W. Ulbrichts im Herbst des gleichen Jahres hatten die Aufgabe gestellt, sich in der Forschung „selektiv" auf bestimmte Zeitabschnitte zu konzentrieren, wozu auch und vor allem die Zeit der Fremdherrschaft Napoleons und die Befreiungskriege gezählt wurden13. Wiederum Ulbricht hatte am 3. Mai 1952 alle „Patrioten Deutschlands" dazu aufgefordert, sich im Kampf um den Abschluß eines Friedensvertrages und zur Verteidigung „gegen Aggressions- und Vernichtungspläne" aus Richtung Washington und Bonn zusammenzuschließen14. Diese Aufforderung gab der Historiographie der DDR in bezug auf die Reformperiode und die Befreiungskrie-ge Weg und Ziel vor, wobei der 140. Jahrestag der Völkerschlacht von Leipzig als herausragendes Ereignis im Verlauf der Befreiungskriege den äußeren Anlaß bot. Die Lage in den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten war im Frühjahr 1952 u. a. gekennzeichnet durch die Zurückweisung des sowjetischen Entwurfs für einen Friedensvertrag mit Deutschland durch die Westmächte und durch den Abschluß des sogenannten Generalvertrages zwischen ihnen und der

9 Siehe dazu Walter Schmidt, Zur Entwicklung des Erbe- und Traditionsverständnisses in der Geschichtsschreibung der DDR, in: ZfG (1985), H. 3, 198.

Vgl. Alexander Fischer / Günther Heydemann, Weg und Wandel der Geschichts-wissenschaft und des Geschichtsverständnisses in der SBZ/DDR seit 1945, in: Ge-schichtswissenschaft in der DDR. Bd. I: Historische Entwicklung, Theoriediskussion und Geschichtsdidaktik, hrsg. v. Alexander Fischer / Günther Heydemann, Berlin 1989, 12.

11 Siehe dazu Walter Schmidt, Die Geschichtswissenschaft in der DRR in den fünfziger Jahren, in: ZfG (1983), H. 4,291; W. Berthold, Zur Entwicklung der marxistisch-leninisti-schen Geschichtswissenschaft zu einer voll entfalteten wissenschaftlichen Disziplin, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 1984, H. 1, 22 f.

1 2 Siehe dazu Horst Haun, Unabhängigkeitsbewegung, preußische Reformen und Befreiungskrieg (1806 bis 1813) in der Geschichtswissenschaft der DDR in den frühen fünfziger Jahren, in: Gesellschafswissenschaftliche Informationen (1982), Nr. 17, 104 ff.

13 Siehe dazu Fischer I Heydemann (Anm. 10), 9. 14 Siehe dazu Geschichtliche Zeittafel der DDR, Berlin 1959, 88.

14*

212 Harald Müller

Bundesregierung, womit nach Auffassung der in der DDR herrschenden Kräfte eine der letzten Möglichkeiten zunichte gemacht wurde, die Zerstörung der Einheit der deutschen Nation aufzuhalten15.

Angesichts der gespannten internationalen Lage trat in der Geschichtswissen-schaft der DDR vorübergehend die nationale Problematik beherrschend in den Vordergrund 16. Das von der Führung der SED ausgehende Bemühen, mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft die nationalen Traditionen der preußisch-deutschen Geschichte besonders zur Darstellung zu bringen17, vereinigte sich jetzt mit der Schaffung der Kasernierten Volkspolizei im Sommer 1952 und anderen auf die Entwicklung der „Wehrbereitschaft" der Bevölkerung der DDR zielender Maßnahmen, unter Gleichsetzung der Politik der Westmächte mit der napoleonischen Hegemonialpolitik. Diesem Anliegen diente namentlich auch die Herausgabe von Schriften von und über Scharnhorst, von und über Gneisenau, einer Auswahl von Clausewitz-Briefen sowie der Erinnerungen Boyens18.

Für den Großteil dieser Arbeiten und Stellungnahmen war kennzeichnend, daß sie im wesentlichen noch nicht auf eigenen Forschungen beruhten, sondern daß neue Erkenntnisse über den Inhalt und die Folgen der preußischen Reformen in erster Linie durch Verarbeitung und Neubewertung vorliegenden, von der bürger-lichen Geschichtsforschung überlieferten Faktenmaterials gesucht wurden19. Grenzen in den Darstellungen waren aber auch dadurch gegeben, daß Vorgänge wie die preußischen Reformen und der nationale Unabhängigkeitskampf vorran-gig in ihrer nationalgeschichtlichen Dimension aufgefaßt und dadurch nicht im welthistorischen Zusammenhang bewertet wurden20. Die führenden Militärrefor-mer Scharnhorst und Gneisenau sah und wertete man in erster Linie in ihrer Bedeutung für den nationalen Unabhängigkeitskampf, und das von ihnen mitge-tragene Reformwerk wurde vorrangig unter dem Aspekt erfaßt, den Kampf gegen die Fremdherrschaft vorzubereiten21. Dies galt namentlich für Thiele, der die Bedeutung der Militärreformen vorrangig sektoral, nämlich als Vorbereitungs-

15 Siehe dazu Klassenkampf, Tradition, Sozialismus. Von den Anfängen der Geschich-te des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Grundriß, Berlin 1974, 608.

16 Siehe dazu Seeber, Preußen nach 1789 (Anm. 4), 133. 17 Siehe dazu Heinz Heitzer, Arbeiten über die Geschichte der Befreiungskriege

(1806-1813), in: ZfG (1960), Sonderheft: Historische Forschungen in der DDR. Analysen und Berichte, 190 f.

is Scharnhorst, der Schöpfter der Volksbewaffnung. Schriften von und über Scharn-horst, hrsg. u. eingel. v. Gerhard Thiele, Berlin 1953; Neithardt von Gneisenau. Schriften von und über Gneisenau, hrsg. v. Fritz Lange, Berlin 1954; Carl von Clausewitz. Ausgewählte Briefe an Marie von Clausewitz, hrsg. u. eingel. v. Christfried Coler, Berlin 1953; Hermann v. Boyen, Erinnerungen 1771 -1813, hrsg. u. eingel. v. Christfried Coler, Berlin 1953.

19 Siehe dazu Schmidt, Die Geschichtswissenschaft der DDR (Anm. 11), 301. 20 Siehe dazu Haun (Anm. 12), 107. 21 Siehe dazu Heitzer (Anm. 17), 192.

Die preußischen Militärreformen (1807 - 1814) 213

schritt für den Unabhängigkeitskampf, aber nicht universaler in ihrer sozialen Dimension als Teil umfassender Transformationsprozesse in der Gesellschaft ansprach, sondern ausdrücklich ausführte, daß sie das „Fundament für die natio-nale Erhebung des deutschen Volkes" gelegt hätten22. Damit korrespondierten in anderen Publikationen vorgenommene unzutreffende Bewertungen der Militär-reformen. Diese wurden entweder überschätzt, so, wenn man ihnen attestierte, sie hätten ermöglicht, „aus dem Söldnerheer Preußens ein Volksheer zu schaf-fen" 23, oder sie wurden als in Halbheiten und Ansätzen steckengeblieben abge-wertet24, bzw. ihre Langzeitwirkungen erfuhren eine Unterschätzung, da sie, nur Stückwerk bleibend, die „preußisch-militaristische Junkerherrrschaft" nicht ernst-haft zu erschüttern vermocht hätten25.

In Veröffentlichungen über die nationale Befreiungsbewegung und deren Vor-bereitung aus dieser Zeit haben die Reformen in Preußen einen dominierenden Platz eingenommen. Durch die ihnen zuteil werdende intensive Zuwendung und durch die Konzentration auf in Preußen wirkende Persönlichkeiten vernachlässig-te man aber die unerläßliche nationalgeschichtliche Sicht auf diese Ereignisse ebenso wie die weltgeschichtliche Sicht26. Diese Feststellung traf indes nicht für alle Arbeiten zu. So wurden die preußischen Reformen teilweise bereits als Einleitung des bürgerlichen Umwälzungsprozesses aufgefaßt 27 und die preußi-schen „Reformer-Patrioten" als eine politische Kraft charakterisiert, die in einer Periode bereits bürgerliche Interessen vertrat, in der es noch keine genügend entwickelte Bourgeoisie gab, die fähig gewesen wäre, diese durchzusetzen28. Eine konsequente Einordnung der preußischen Reformperiode und des nationalen Unabhängigkeitskampfes in jene neue weltgeschichtliche Epoche, die durch die Große Revolution der Franzosen eingeleitet wurde, nahmen damals bereits F. Donath und W. Markow in einer Dokumentation vor, die der Zeit der nationalen Erhebung gewidmet war29.

In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre trat die Geschichtswissenschaft der DDR in eine neue Entwicklungsetappe ein; sie wurde dadurch charakterisiert, daß man jetzt dazu überging, durch eigene Forschungen Tatsachengrundlagen für wertende Aussagen über historische Entwicklungsprozesse zu schaffen 30. Es

22 Siehe dazu Scharnhorst (Anm. 18), 15. 23 Siehe dazu Der nationale Befreiungskampf des deutschen Volkes gegen die napoleo-

nische Fremdherrschaft. Quellenauszüge, hrsg. v. Harald Müller / Günther Westphal, Berlin 1954, 35.

24 Siehe dazu Boyen, Preußen seit 1789 (Anm. 1), 26. 25 Siehe dazu Neithardt von Gneisenau, Einführung von Lange (Anm. 18), 23. 26 Siehe dazu Seeber, Preußen seit 1789 (Anm. 1), 26. 27 Siehe dazu Der nationale Befreiungskampf (Anm. 23), 30. 28 Siehe dazu Albert Norden, Das Banner von 1813, Berlin 1952, 48. 29 Siehe dazu Kampf um Freiheit. Dokumente zur Zeit der nationalen Erhebung 1789 -

1815, hrsg. v. Friedrich Donath I Walter Markov, Berlin 1964. 30 Siehe dazu Schmidt, Die Geschichtswissenschaft der DDR (Anm. 11), 306.

214 Harald Müller

erfolgte u. a. auch eine intensivere Hinwendung zur deutschen Militärgeschichte und damit auch zur preußischen Militärreform seit 1807. Organisatorisch-institu-tionell wurden hierfür durch die Gründung eines militärgeschichtlichen Instituts in Potsdam (März 1958) und die Bildung einer von Ernst Engelberg geleiteten Abteilung Militärgeschichte am Institut für Deutsche Geschichte an der Universi-tät Leipzig (1956) die Voraussetzungen geschaffen. Das ermöglichte es, daß bis zum Anfang des folgenden Jahrzehnts sich die Militärgeschichte als selbständige historische Disziplin etablieren konnte31.

Weitreichende methodische und methodologische Folgerungen für die weitere Auseinandersetzung mit der Reformperiode durch die Historiker der DDR wie für die offene Inanspruchnahme der darauf gerichteten Arbeiten zugunsten der strategischen Zielsetzungen der herrschenden Partei besaß der von ihrem Politbü-ro im Juli 1955 initiierte Beschluß „Die Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der DDR", der allerdings gleichzeitig jetzt auch kritisch auf die in der Geschichtspropaganda der DDR anzutreffende Tendenz verwies, Tatsachen aus ihrem gesetzmäßigen historischen Zusammenhang zu lösen und die Gegenwart in die Vergangenheit zu projizieren32.

Eine eingehendere Analyse erfuhr die preußische Militärreform in dieser Etap-pe zunächst durch Ernst Engelberg, der sich in seiner Einleitung für das von ihm herausgegebene Hauptwerk von Clausewitz mit dem „antinapoleonisch-bürgerli-chen Reformwerk" der preußischen Militärs auseinandersetzte. Er qualifizierte letzteres als bürgerlich-liberales wie nationales Reformwerk, attestierte den Re-formern die Absicht, Adel und Bürgertum miteinander versöhnen zu wollen, sah die beginnende bürgerliche Revolution als Ergebnis der ein Ensemble bildenden Veränderungen im Bereich der Agrarverhältnisse, der Armee, der Städteverwal-tung und der staatlichen Zentralverwaltung und wollte diese zugleich als „Muster-beispiel einer bürgerlichen Revolution von oben"33 gesehen wissen, womit in der Folge ein lebhafter Meinungsstreit ausgelöst wurde34.

Eine der Engelbergs nahekommende Wertung nahm J. Streisand in seinem Beitrag für das „Lehrbuch der deutschen Geschichte" vor, der 1959 erschien. Bei wiederum überwiegender einseitiger Hervorhebung Preußens im Hinblick auf die Formierung der nationalen Unabhängigkeitsbewegung zwischen 1807

3 1 Siehe dazu Hans-Joachim Beth, Zu den Hauptetappen der Entwicklung der marxis-tisch-leninistischen Militärgeschichtswissenschaft der DDR, in: Militärgeschichte (1982), H. 2, 208 f.; Reinhard Brühl, Entwicklung und Aufgaben der Militärgeschichts-wissenschaft in der DDR, in: ebd. (1974), H. 4, 428 ff.

32 Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 5, Berlin 1956, 343.

33 Siehe dazu Ernst Engelberg, Preußische Militärs und das antinapoleonisch-bürgerli-che Reformwerk, Einleitung zu Clausewitz' „Vom Kriege", Berlin 1957, in: Preußen in der deutschen Geschichte nach 1789, 52 f.

34 Heinrich Scheel, Nochmals zur Frage der Revolution von oben in Preußen 1808-1813, in: ZfG (1983), H. 9, 824.

Die preußischen Militärreformen (1807 - 1814) 215

und 1813 wurden die preußischen Reformen konsequent als Beginn des bürgerli-chen Umwälzungsprozesses begriffen und der sich in ihnen ausdrückende Konnex zwischen nationaler und sozialer Frage mit der Feststellung angesprochen, daß es in Deutschland keine wesentlichen gesellschaftlichen Entwicklungen geben konnte, „wenn nicht die nationale Unabhängigkeit so bald als möglich errungen wurde"35.

Die Feststellung W. Schmidts, die um 1960 von der DDR-Geschichtswissen-schaft vertretene „nationale Grundkonzeption" habe u. a. zur Folge gehabt, daß den geschichtlichen Kämpfen um die Überwindung der feudalen Zersplitterung und um die Bildung eines bürgerlichen deutschen Nationalstaates ein hoher Stellenwert beigemessen und einseitig-simplifizierende Pauschalurteile über Adel und Bürgertum überwunden wurden36, trifft insbesondere für die preußisch-liberalen Reformer zu. Ihre Aktivitäten im zivilen und militärischen Bereich wurden jetzt endgültig als traditionswürdige Leistungen begriffen.

Nach einer Periode relativer Ruhe erreichten die Arbeiten über die preußischen Militärreformen und über den in den Befreiungskrieg von 1813 mündenden nationalen Unabhängigkeitskampf in der DDR-Historiographie im Zusammen-hang mit dem 150. Jahrestag der Ereignisse von 1813 einen neuen Höhepunkt37. Vor allem ist in diesem Zusammenhang der Sammelband „Das Jahr 1813" zu nennen, der u. a. das Ziel verfolgte, „immer tiefer auch die progressiven nationalen Traditionen" des deutschen Volkes für die Gegenwart zu erschließen. In H. Scheels einleitendem Beitrag wurde die Unabhängigkeitsbewegung konsequent vom weltgeschichtlichen Aspekt des Übergangs vom Feudalismus zur bürgerli-chen Gesellschaft aus gesehen. Das bedeutete auch, stärker als bisher Napoleons fördernde Rolle für diesen Umwälzungsprozeß auf deutschem Boden zu berück-sichtigen, ungeachtet der Tatsache, daß es dem französischen Antifeudalismus außerhalb der eigenen Landesgrenzen an Konsequenz fehlte, weil sein Träger dem Wesen nach antidemokratisch war und die durch ihn personifizierte Fremd-herrschaft in Widerspruch zu den nationalen Entwicklungsbedürfnissen der be-troffenen Völker geriet. Die Feststellung, daß der Kampf gegen die Fremdherr-schaft nur dann entfaltet werden konnte, wenn er vom bürgerlichen Fortschritt getragen war, verband Scheel mit der These, daß die antinapoleonische Zielset-zung der Reformtätigkeit am deutlichsten auf militärischem Gebiet zutage getre-ten sei38. Dem schloß sich der Versuch H. Helmerts an, die neuen strategisch-

35 Joachim Streisand, Deutschland von 1789 bis 1815 (Von der Französischen Revolu-tion bis zu den Befreiungskriegen und dem Wiener Kongreß), Berlin 1959,155. Lehrbuch der deutschen Geschichte (Beiträge), hrsg. v. Alfred Meusel / Roland Franz Schmiedt.

3 6 So Schmidt, Zur Entwicklung des Erbe- und Traditionsverständnisses (Anm. 9), 203 f.

3 7 Siehe dazu u. a. Hansjürgen Usczeck, Scharnhorst. Theoretiker — Reformer — Patriot. Sein Werk und seine Wirkung in seiner für unsere Zeit, Berlin 1972, 318.

38 Heinrich Scheel, Die nationale Befreiungsbewegung, in: Das Jahr 1813. Studien zur Geschichte und Wirkung der Befreiungskriege, Berlin 1963, 1, 5 f., 9.

216 Harald Müller

operativen und taktischen Grundsätze zu analysieren, die die Militärreformer in der preußischen Armee zwischen 1807 und 1813 durchsetzten und die — wie er einschätzte — für den Verlauf des nationalen Unabhängigkeitskampfes von 1813 von ausschlaggebender Bedeutung waren. Dabei ging der Autor von der Prämisse aus, daß durch die Französische Revolution zwar eine Reform der taktischen, strategischen und organisatorischen Grundsätze von Heer und Krieg-führung für alle großen europäischen Heere auf die Tagesordnung gesetzt wurde und daß die preußischen Militärreformer an das französische Vorbild anknüpfen wollten, aber aufgrund eigener Erfahrungen bei einer Reihe bedeutender militäri-scher Fragen zu anderen eigenständigen Lösungen gelangten, als sie durch die kriegerische Praxis Frankreichs seit 1792 gegeben waren. Helmert sieht solche Lösungen in der organisatorischen Verbindung einer regulären Armee mit bereits im Frieden organisierten und ausgebildeten Milizen sowie insbesondere in der Entwicklung einer neuen Taktik, die sich am französischen Vorbild anlehnte, aber wesentlich auch durch eigene Traditionen und Erfahrungen modifiziert wurde. Als völlig neues Element in der Kriegskunst des preußischen Heeres charakterisiert er die Taktik der „verbundenen Waffen", die zum Teil auf der Einführung der Brigadestruktur beruhte. Im Ergebnis einer Analyse der entspre-chenden Arbeiten und Denkschriften Scharnhorsts arbeitete Helmert als Kernge-danken der neuen preußischen strategischen Lehren und operativen Grundsätze so u. a. heraus: volle Mobilisierung der eigenen Volkskräfte und Eröffnung der Kriegshandlungen mit maximaler Stärke an Truppen und Waffen; Erringung der Initiative in den wichtigsten Operationsrichtungen; getrennter Marsch der einzel-nen Armeen bei rechtzeitiger Vereinigung noch vor der Schlacht; unablässiges Streben nach der Durchführung der Schlacht während der Operationen; rechtzeiti-ge Bildung und Heranführung starker Reserven; Streben nach einer energischen Verfolgung des Gegners nach einer siegreich beendeten Schlacht bis zu dessen vollständiger militärischer Vernichtung; Verschmelzung eines Insurrektionskrie-ges mit den Operationen regulärer Armeen und straff organisierter Milizen als Voraussetzung, die strategische Offensive bis in das Hinterland des Gegners zu ergreifen 39.

Auf die Bedeutung der bisher von der Historiographie der DDR viel zu wenig beachteten verfassungs- und verwaltungsgeschichtlichen Aspekte bei der Durch-führung der Militärreformen und auf die der sozialökonomischen und politischen Reformen als unerläßliche Voraussetzung für die Umgestaltung des Militärwe-sens hat H. Scheel in seiner Einleitung zu einer Aktenpublikation von 1966 aufmerksam gemacht40. Seine Auffassungen stützte er u. a. auf Steins Plan vom 23. November 1807, der für eine „neue Organisation der Geschäftspflege im

39 Siehe dazu Heinz Helmert, Die Kriegskunst der preußischen Armee am Vorabend des Befreiungskrieges, in: ebd., 17, 28, 34 f., 37 ff.

4 0 Das Reformministerium Stein. Akten zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte aus den Jahren 1807/08, Bd. 1, hrsg. v. Heinrich Scheel, Berlin 1966, XVI, XII.

Die preußischen Militärreformen (1807 - 1814) 217

Preußischen Staat" auch Festlegungen für das „Departement des Kriegsministers" einschloß41.

Dagegen hat die Militärgeschichtsschreibung der DDR, die sich in den sechzi-ger Jahren mehr und mehr zu einer selbständigen Disziplin innerhalb der Historio-graphie ihres Landes entwickelte, was seinen Ausdruck in der Erhöhung der Zahl der auf diesem Gebiet tätigen Wissenschaftler, in der Schaffung weiterer Institutionen und in der Herausgabe eines eigenen Periodikums (seit 1962 erschien mit der „Zeitschrift für Militärgeschichte" ein eigenes Publikationsorgan42) fand, keine weiteren Arbeiten über die preußischen Militärreformen vorgelegt. Diese Thematik wurde lediglich in einer Übersichtsdarstellung zur Geschichte des preußisch-deutschen Generalstabes reflektiert. Diese Publikation konzentrierte sich — ihrem Thema gemäß — auf die bedeutende Stellung, die dem bisherigen Generalquartiermeisterstab im Reformwerk zugedacht war. Scharnhorst arbeitete seit 1807 zielbewußt daran, diese Institution in einen modernen Generalstab umzuwandeln, der schon in Friedenszeiten in der Armee neue Erkenntnisse über die Kriegskunst durchsetzen, die Aus- und Weiterbildung der Offiziere fördern und im Kriege auf allen Ebenen eine energische und einheitliche Kriegführung zu garantieren imstande war. Die Reorganisation der militärischen Bildungsan-stalten wurde in diesem Zusammenhang als einer der größten militärischen Fort-schritte für das neue preußische Heer nach der Katastrophe von 1806 / 07 gewer-tet43.

Die in den siebziger Jahren feststellbare neue Etape in der Entwicklung der Geschichtswissenschaft der DDR ist wesentlich auch dadurch zu charakterisieren, daß sie — wie auf dem V. Historikerkongreß der DDR 1972 als Ziel formuliert — die Darstellung der „Geschichte des deutschen Volkes im welthistorischen Prozeß" in das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit rückte44. Für die hier behandelte Thematik der preußischen Militärreformen bedeutete dies, den nationalgeschicht-lichen Prozeß der bürgerlichen Umwälzung noch akzentuierter als bisher unter dem weltgeschichtlichen Aspekt der 1789 beginnenden neuen historischen Epo-che zu sehen. Die Umsetzung dieser konzeptionellen Leitlinie führte auch zu der Erkenntnis, daß für die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland bis 1848 zwar weitgehend der reformerische Weg wirksam wurde, daß man als ihren bestimmenden Grundzug indes nicht ihn schlechthin, sondern seine Auseinander-

41 Ebd., 137 ff. 42 Siehe dazu Beth (Anm. 31), 208; Hans-Joachim Beth! Otto Hennicke, Zwanzig

Jahre Zeitschrift „Militärgeschichte" — Position, Bilanz, Ausblick, in: Militärgeschichte 1981, H. 6, 648 ff.

43 Siehe dazu Gerhard Förster / Heinz Helmert / Helmut Otto l Helmut Schnitter, Der preußisch-deutsche Generalstab 1640-1965, Zu seiner politischen Rolle in der Geschich-te, Berlin 1966, 9 f.

44 Siehe dazu Schmidt, Zur Entwicklung des Erbe- und Traditionsverständnisses (Anm. 9), 205 f.

218 Harald Müller

Setzung mit dem revolutionären Weg werten muß45. Damit war das Verhältnis von Reform, Revolution von oben und Revolution von unten in der bürgerlichen Umgestaltung umfassender angesprochen46.

Der 1974 erstmalig erschienene „Grundriß zur deutschen Geschichte" enthielt zunächst eine modifizierte Sicht auf die Ereignisse des Jahres 1806. Diese wurden jetzt nicht mehr nur im Hinblick auf negative nationale Folgen für Deutschland bewertet, sondern aus dem Epochenverständnis heraus andererseits auch positiv, und zwar insofern, als Napoleon mit dem Diktatfrieden von Tilsit den Verfall des Feudalsystems auf deutschem Boden besiegelte. Die preußischen Militärrefor-men wurden jetzt konsequent als Teil der Reformen auf dem gesamten deutschen Territorium aufgefaßt, mit denen die revolutionäre Wandlung der Gesellschaft vom Feudalismus zum Kapitalismus eingeleitet wurde. Als eigenständige Rezep-tion des Militärwesens der Französischen Revolution und Napoleons hätten sie — so lautete die zusammenfassende Schlußfolgerung — die Ausbildung einer progressiven Strategie und Taktik gefördert 47.

Eine ähnliche Sicht bot der erste gedrängte Überblick über die militärhistori-schen Grundlinien in der Geschichte des deutschen Volkes: Auch hier wurde ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Revolution von 1789 und einer allgemein in Gang kommenden, von der bürgerlichen Aufklärung getragenen militärischen Reformbewegung konstatiert. Zu Scharnhorst stellte man fest, daß er von einer eingeschränkt militärisch-fachlichen Betrachtungsweise zu einer gesellschaftskritischen Methode bei der Analyse des zeitgenössischen Militärwe-sens überzugehen begann. Die Grenzen der von Scharnhorst initiierten Militärre-formen sahen die Autoren der genannten Überblicksdarstellungen im Weiterbe-stehen der uneingeschränkten Kommandogewalt der Krone über das preußische Heer48.

Wenn sich die Historiker der DDR in ihren Publikationen zur Reformzeit in den siebziger Jahren von der Auffassung leiten ließen, daß der Kampf um natio-nale Unabhängigkeit Maßnahmen verlangte, die ihrerseits der Lösung des gesell-schaftlichen Hauptwiderspruchs zwischen Feudalismus und Kapitalismus dien-ten49, gibt es in ihren Arbeiten gleichwohl doch unterschiedliche Akzentuierungen hinsichtlich der Antriebsmotive bei den preußischen Reformern. Während D. Wiens es als das Ziel der Militärreformer bezeichnete, eine bürgerliche Natio-

45 Siehe dazu Harald Müller, Forschungen zur deutschen Geschichte 1789-1848, in: ZfG (1980), Sonderband: Historische Forschungen in der DDR 1970-1980.

4 6 Siehe dazu Walter Schmidt, Aspekte der Erbe- und Traditionsdebatte in der Ge-schichtswissenschaft, Berlin 1988, 12 f. (Sitzungsberichte der Akademie der Wissen-schaften der DDR. Gesellschaftswissenschaften [1988], Nr. 1/G).

4 7 Siehe dazu Klassenkampf, Tradition, Sozialismus (Anm. 15), 212, 214. 4 8 Siehe dazu Kurzer Abriß der Militärgeschichte von den Anfängen der Geschichte

des deutschen Volkes bis 1945, 2. Aufl., Berlin 1977, 101, 107. 4 9 Siehe dazu Müller (Anm. 45), 127 f.

Die preußischen Militärreformen (1807 - 1814) 219

nalarmee zu schaffen 50, unterstrich R. Brühl, daß die Ereignisse von 1807/07 bei den Patrioten den Willen aktiviert hätten, „Deutschland aus seinem schmach-vollen Zustand herauszuführen"; sie hätten erkannt, daß ein Zusammenhang zwischen der Fremdherrschaft und der inneren Lage Preußens bestand51. Auch K. Vetter und G. Vogler verwiesen in ihrer erstmalig 1974 erschienenen Über-blicksdarstellung zur Geschichte Preußens namentlich bei Stein auf das „natio-nale" Handlungsmotiv. Ähnlich urteilten sie hinsichtlich der von einer Gruppe liberaler adliger Offiziere getragenen Militärreform, die im Einklang mit den anderen Reformen insbesondere die Absicht verfolgt hätte, den Befreiungskampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft vorzubereiten, zugleich aber auch dar-auf zielte, eine Armee rechtlich freier Soldaten zu schaffen 52. Ausgehend von den Struktur- und Entwicklungszusammenhängen der preußischen Reformzeit, unterstrich E. Engelberg jetzt stärker den sozialen Inhalt der Reformen, deren ' Schwerpunkt er überhaupt im Ökonomisch-Sozialen angelegt sah. Die subjekti-ven Mängel im Denken und Wollen der Reformer, die sich in dem Bestreben äußerten, auf Kosten einer ungehemmten Entwicklung der bürgerlichen Gesell-schaft Adel und Bürgertum miteinander zu versöhnen und die Monarchie zu erhalten, führte er auf objektive Umstände der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und die berufliche Stellung der Reformer zurück53.

Die von W. Schmidt getroffene Feststellung, daß die Geschichtswissenschaft der DDR zwar seit geraumer Zeit der preußischen Reformperiode ein gesteigertes Interesse entgegenbringe, daß sich diese Hinwendung allerdings weniger in der Forschung, sondern vor allem in theoretisch-methodologischen Erörterungen über die historische Einordnung der preußischen Reformen in die deutsche und Weltge-schichte niederschlage54, trifft sicherlich für die vorstehend angeführten Arbei-ten zu, gilt indes nicht für die 1972 erschienene Scharnhorst-Biographie von H. Usczeck. Sie verstand sich als Versuch, auch durch die Erschließung neuer Quellen (das bezieht sich auf Briefe, Berichte und Denkschriften Scharnhorsts aus der Zeit der Niederlagen von 1806 / 07 und der Heeresreform) ein umfassen-des Bild vom Wirken und von der Wirkung des wohl bedeutendsten preußischen

so Siehe dazu Dorothea Wiens, Zu den Auswirkungen der Französischen Revolution auf den Beginn der bürgerlichen Umgestaltung des preußischen Militärwesens, in: Mili-tärgeschichte (1972), H. 3, 296.

51 Reinhard Brühl, Carl von Clausewitz — Reformer und Militärtheoretiker, in: ebd. (1972), H. 2, 226.

5 2 Siehe dazu Günter Vogler / Klaus Vetter, Preußen. Von den Anfängen bis zur Reichsgründung, Berlin 1984, 165, 174.

5 3 Siehe dazu Ernst Engelberg, Die preußische Reformzeit in ihren Struktur- und Entwicklungszusammenhängen, in: Universalhistorische Aspekte und Dimensionen des Jakobinismus. Dem Wirken Heinrich Scheels gewidmet, Berlin 1976, 42 f. (Sitzungsbe-richte [1976], Nr. 10/G).

5 4 Siehe dazu Schmidt, Marx und Engels über den historischen Platz der preußischen Reformen, in: Preußische Reformen. Wirkungen und Grenzen. Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR / Gesellschaftswissenschaften, Jahrgang 1982, Nr. 1/G, Berlin 1982, 54 ff.

220 Harald Müller

Militärreformers zu zeichnen. Usczeck konzentrierte sich in seiner Untersuchung auf zwei Schwerpunkte: auf die militärtheoretischen Auffassungen Scharnhorsts in ihrer historischen Bedingtheit und Bedeutung sowie auf ihre Umsetzung in der preußischen Militärreform und bei der militärischen Vorbereitung des nationa-len Unabhängigkeitskampfes. An der bisherigen Scharnhorst- Literatur der DDR kritisierte er, daß sie sich mehr auf die progressiven und patriotischen Elemente bei Scharnhorst konzentriert habe, ohne sein militärtheoretisches und militäri-sches Werk detailliert und komplex zu untersuchen. Usczeck analysierte zunächst die Entwicklung der militärtheoretischen Auffassungen Scharnhorsts vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Französischen Revolution auf Heerwesen und Kriegführung. Als Kernfrage der Militärreform betrachtete er die Gestaltung der Militärverfassung des preußischen Staates, d. h. die Durchsetzung des Prinzips der allgemeinem Wehrpflicht als der bürgerlichen Forderung nach der Gleichheit aller vor dem Gesetz, auch auf militärischem Gebiet. Als bedeutenden Schritt sah Usczeck den „Vorläufigen Entwurf der Verfassung der Provinzialtruppen", der den Zusammenhang von sozialen und militärischen Reformen reflektierte, indem er eine gute Verfassung des Landes, Eigentum und Rechte für seine Bewohner für die Heranziehung aller Staatsbürger zur Landesverteidigung vor-aussetzte. Eine Zäsur in der Durchführung der Militärreform setzte der Autor für das Jahr 1809, weil sich ihr Fortgang von diesem Zeitpunkt an deutlich verlangsamte. Dennoch wertete er die von den Militärreformern bis 1813 durchge-setzten Veränderungen so hoch, daß er das preußische Heer in der abschließenden Periode des nationalen Unabhängigkeitskampfes als die „militärisch fortgeschrit-tenste Armee Europas" charakterisierte. Ihre Grenzen müßten aus dem subjekti-ven Unvermögen der Reformer abgeleitet werden, um zu erkennen, daß eine bürgerliche Nationalarmee nur auf den Trümmern der absolutistischen Monarchie zu errichten war55.

Eine neue Hinwendung zur Stellung Preußens im Erbeverständnis der DDR-Historiographie wurde am Ausgang der siebziger Jahre zweifellos durch einen Beitrag Ingrid Mittenzweis ausgelöst56. In seiner Wirkung entwickelte sich eine z. T. auch kontrovers geführte Diskussion um die preußischen Reformen, in der sich das intensivierte Bemühen widerspiegelte, den komplizierten Vorgang der bürgerlichen Umwälzung in Deutschland tiefer und genauer zu erfassen. Der Diskussion kam u. a. auch der Ansatz historisch- komparativer Betrachtungsweise zugute57, wie er in der Debatte über den bürgerlichen Revolutionszyklus der Weltgeschichte zur Geltung kam. Als wertvolle Anregung für die Bestimmung des Verhältnisses von Reform und Revolution erwiesen sich Bemerkungen W. Küttlers, der den „reformerischen Weg" der bürgerlichen Umwälzung durch

55 Siehe dazu Usczeck (Anm. 37), 6 f., 167, 177, 224 ff. 56 Siehe dazu Ingrid Mittenzwei, Die zwei Gesichter Preußens, in: Forum (1978),

Nr. 19, 8 f. 57 Siehe dazu Schmidt, Marx und Engels (Anm. 54), 54 f.

Die preußischen Militärreformen (1807 - 1814) 221

die dominierende Tendenz transformatorischer „Reformen von oben" charakteri-siert sah, die die alten herrschenden Klassen und ihren Machtapparat im wesentli-chen bestehen ließen, andererseits aber allmählich zu ihrer Verbürgerlichung führten. Ein weiteres Kennzeichen dieses Weges sah Küttler in dem erforderlichen Anstoß von außen, der in Verbindung mit endogenen Krisenerscheinungen die Reformen von oben erzwang58.

Die Diskussion um die Frage, ob es anginge, die Kategorie „Reform von oben" durch die einer „Revolution von oben" zu ersetzen, wurde 1980 von H. Bock weitergeführt, der gegen diesen von E. Engelberg und H. Scheel zur Kennzeich-nung der preußischen Reformen verwandten Begriff Einwände erhob59. Gegen die damit vorgenommene gleiche Begriffsverwendung für Stein und Scharnhorst wie für Bismarck wandte Bock vor allem ein, daß die Reformen nach 1807 lediglich Beginn und nicht Vollzug der bürgerlichen Umwälzung waren. Zugleich aber, so suchte Bock zu begründen, verwische die gleiche Begriffsanwendung den grundsätzlichen Unterschied der Reformer zu Bismarck als Betreiber einer „konterrevolutionären Fortschrittsstrategie", die sich gegen die bürgerlich-demo-kratische Revolution von unten richtete. Dies wie die Feststellung Bocks, daß die nationale Erhebung gegen Napoleon von Scharnhorst und Gneisenau nahezu im jakobinischen Geiste eines Revolutionskrieges konzipiert wurde60, rief den entschiedenen Widerspruch H. Scheels hervor, der dazu aufforderte, die preußi-schen Reformer kritisch zu würdigen, anstatt sie unkritisch zu überhöhen, und zugleich seine Auffassung bekräftigte, daß keiner der preußischen Reformer als verhinderter Revolutionär gewertet werden könne, daß Konservativismus zu ihren Wesenszügen gehörte61.

Bock ordnete darüber hinaus das Militärwesen als vierten Reformbereich in die Gesamtreformen ein und erklärte im Sinne Scharnhorsts die Volksbewaffnung auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht als Hauptaufgabe der Militärre-form. Auf die Frage, ob das System der Reformen unter Stein und Scharnhorst nur die Erneuerung Preußens im Innern bezweckte oder ob das außenpolitische Ziel des Kampfes gegen die Vormacht Frankreichs im Vordergrund stand, plä-dierte er dafür, letzteres als dominierend zu werten62.

58 Siehe dazu Wolf gang Küttler, Probleme des reformerischen Weges der bürgerlichen Umwälzung, in: ZfG (1985), H. 10, 904 f., 908.

59 Siehe dazu Helmut Bock, Reform und Revolution. Zur Einordnung des preußischen Reformministeriums Stein in den Kampf zwischen Fortschritt und Reaktion, in: Militärge-schichte (1980), H. 5, 599 ff.

60 Siehe dazu ebd., 610. 61 Siehe dazu Heinrich Scheel, Eine notwendige Polemik in Sachen Stein, in: Preußi-

sche Reformen — Wirkungen und Grenzen. Aus Anlaß des 150. Todestages der Freiherrn vom und zum Stein, Berlin 1982, 78 (Sitzungsberichte [1982], Nr. 1/G).

62 Siehe dazu Helmut Bock, Karl Freiherr vom und zum Stein. Soziale und nationale Ziele seines preußischen Reformministeriums zur Zeit des napoleonischen Hegemonial-systems, in: ebd., 29 f.

222 Harald Müller

Demgegenüber bekräftigte Engelberg seinen Standpunkt, daß es sich bei den preußischen Reformen um eine „Revolution von oben" handelte63 und dem Oktoberedikt der entscheidende Platz im Gesamtwerk der Reformen einzuräumen sei, weil es die ständischen Schranken zwischen den einzelnen Gesellschaftsklas-sen weitgehend abgetragen und damit auch die Grundlagen für die Militärreform gelegt habe, die die bisher geltenden Exemtionen des Kantonreglements aufhob64. Engelbergs Darlegungen waren als klares Plädoyer zumindest für die Gleichran-gigkeit innerer und äußerer Motivationen und Wirkungen zu werten.

Dieselbe Sicht prägte auch die Darstellung und Bewertung der preußischen Militärreformen im 1984 erschienenen vierten Band der Gesamtdarstellung der „Deutschen Geschichte". Konsequent wurden hier nationale Vorgänge mit den weltgeschichtlichen Entwicklungen verbunden. Den preußischen Militärreformen sprach man eine bedeutende Rolle im acht Jahrzehnte umfassenden historischen Prozeß der bürgerlichen Umwälzung zu, die die Gesellschaft durchgreifend im bürgerlichen Sinne veränderte. Zugleich stellten die Autoren nichtmilitärische wie militärische Reformen in einen engen Zusammenhang und unterstrichen erneut, daß sich aus dem Oktoberedikt auch bestimmte militärische Konsequenzen ergaben. Reformen hätten das „Doppelziel" vertreten, die bürgerliche Gesell-schaft und den Nationalstaat zu erreichen, wofür die nationale Unabhängigkeit eine unabdingbare Voraussetzung bildete65.

Ähnlich wie Bock sah R. Brühl hingegen den „äußeren" Beweggrund als leitenden Handlungsimpuls Steins in seinem Verhältnis zu den preußischen Mili-tärreformen und -reformern. Um die Fremdherrschaft abschütteln zu können, hätte es demzufolge einer Veränderung der Staats- und Militärverfassung bedurft, „die den Militärdienst . . . sinnvoll und auch den gemeinen Soldatenstand zu einem achtbaren Stand machte"66. Die Hinweise Brühls darauf, daß Stein bevoll-mächtigt war, an den Sitzungen der Militär-Reorganisationskommission teilzu-nehmen, und ein intensiver Gedankenaustausch zwischen ihm und den Militärre-formern stattgefunden hat, wiesen darauf hin, daß in dieser Richtung weitere Forschungen notwendig sind.

Diese Feststellung gilt auch für das Verhältnis der Militärreformer zur Außen-politik. 1809 hielten diese bekanntlich die Zeit für gekommen, an der Seite Österreichs in den bewaffneten Kampf gegen Napoleon einzutreten und für die Unterstützung von Volksinsurrektionen in den Rheinbundstaaten und deren be-wußte Einbeziehung in die eigene Kriegführung zu werben. Neue Aufschlüsse

63 Siehe dazu Ernst Engelberg, Die historischen Dimensionen der preußischen Refor-men in der Epoche der sozialen Revolution (1789-1871), in: ebd., 48.

64 Ebd., 46 f. 65 Deutsche Geschichte, Bd. 4: Die bürgerliche Umwälzung von 1789 bis 1871, Berlin

1984, 7 f., 90 ff. 66 Reinhard Brühl, Stein und die Militärreformer, in: Preußische Reformen — Wirkun-

gen und Grenzen, 87.

Die preußischen Militärreformen (1807 - 1814) 223

zu dieser Problematik, namentlich zu deren Einfluß auf das preußische Staatsmini-sterium, erbrachte eine umfangreiche Dokumentation, die H. Scheel 1986 zur Tätigkeit des Interimsministeriums Altenstein-Dohna veröffentlicht hat67. Aus den hier veröffentlichten Dokumenten geht erneut hervor, daß beide Minister zunehmend hilfloser einer Situation gegenüberstanden, in der die preußische Gesellschaft aus sich „wechselseitig lähmenden Käften" 68 zu bestehen schien. Allein die Erfüllung der maßlosen französischen Kontributionsansprüche bean-spruchte Altenstein so sehr, daß eine negative Rückwirkung auf die Fortsetzung des Reformwerkes im ganzen wie der Militärreformen im besonderen nicht ausbleiben konnte. Die Aktenpublikation ermöglichte schließlich einen differen-zierteren Blick auf das Verhältnis des Interimsministeriums zu den Militärrefor-mern, so auf sein Verhalten in der Krise von 1809, in der Altenstein auf Vorschlag Scharnhorsts empfahl, mit der Ableistung der Kontributionen zu zögern und sich im Bündnis mit Wien für den Entscheidungskampf zu rüsten, eine Auffassung, die er übrigens in seinem Immediatbericht an den König am 15. Juli 1809 nachdrücklich bekräftigte 69.

Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen, daß das Interesse der Ge-schichtswissenschaft der DDR an den preußischen Militärreformen als Bestand-teil des preußischen Reformwerkes nach der Katastrophe von 1807 auch in den achtziger Jahren vorrangig auf Einschätzungen ihres Charakters und Standortbe-stimmungen zielte. Ihre umfassende Analyse u. a. auf der Grundlage des von R. Vaupel seinerzeit aufbereiteten Materials70 sowie der auf sie bezüglichen in Potsdam und Merseburg ruhenden umfangreichen Aktenbestände gehörte und gehört daher nach wie vor zu den Desideraten historischer Forschung.

6 7 Siehe dazu Von Stein zu Hardenberg. Dokumente aus dem Interimsministerium Altenstein / Dohna, hrsg. v. Heinrich Scheel I Doris Schmidt, Berlin 1986.

68 So Altenstein am 11. September 1807, zit. nach: Preußische Reformen 1807-1820, hrsg. v. Barbara Vogel, Königstein / Ts. 1980, 250.

69 Siehe dazu Von Stein zu Hardenberg (Anm. 67), 350 ff. 7<> Die Reorganisation des preußischen Staates unter Stein und Hardenberg, T. 2: Das

preußische Heer vom Tilsiter Frieden bis zur Befreiung 1807-1814, Bd. 1, hrsg. v. Rudolf Vaupel, Leipzig 1938.

IV .

„Man schrecke ja nicht zurück vor möglichster Freiheit und Gleichheit"

15 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

Nationalpädagogische Bestrebungen oder Dienst für den Staat?

Bildungsreform in Preußen 1807-1840

Von Peter Mast, Oberwinter / Rh.

Die Reorganisation des preußischen Staates seit 1807 ist ohne eine Bildungsre-form nicht zu denken. Die Antwort auf die Frage, ob die Schöpfung der drei großen Hohenzollern die Niederlage von Jena und Auerstedt überleben konnte, hing in einem besonderen Maße von Erziehung ab. Denn die preußischen Refor-mer gingen in einer der dunkelsten Stunden des Staates, dem sie dienten, darauf aus, im Volke schlummernde Kräfte zu wecken und zur Mitwirkung an dem ganz von oben her gedachten Staatskunstwerk zu gewinnen, um diesem so neue Kräfte zuzuführen. An die Seite der traditionellen, im Dienste ermüdeten und in manchem auch degenerierten Führungsschichten, deren Schwäche und Versagen offenbar geworden war, wollten sie die junge unverbrauchte Volkskraft berufen. Statt einer ständisch aufgespaltenen Masse passiver Untertanen sollte eine Wil-lensgemeinschaft freier Bürger Staat und Königtum unterbauen. Erstrebt wurde ein selbsttätiges Mitwirken des Einzelnen am Staate, als dessen organischen Bestandteil er sich und die soziale Schicht, der er zugehörte, zu begreifen hatte.

Voraussetzung für eine solche revolutionierende Umgestaltung des preußi-schen Staates war aber das selbstdenkende Individuum. Doch an ihm fehlte es im Preußen des beginnenden 19. Jahrhunderts mit einem erst ansatzweise entwik-kelten Bürgertum. Sollte das große Experiment der Staatserneuerung von unten her auch nur die geringste Chance des Gelingens haben, so mußte das Bildungswe-sen in den Stand gesetzt werden, den Menschen heranzubilden, den man brauchte. Es kennzeichnet neben der Not die Bildungsgläubigkeit der Zeit, wenn man das Wagnis der Erneuerung des preußischen Staates auf diesem Wege einging.

Aber mit dem selbstdenkenden Individuum war es nicht getan. Der Staatsbürger sollte ja begreifen, daß er einer nationalen Gemeinschaft angehörte, deren Belange auch die seinen waren. Daraus mußte ein Verantwortungsgefühl entwickelt wer-den, das sich im Handeln für die Gemeinschaft ausdrückte. Diese Aufgabe war zuerst und im kleinen von der Schule, später und im großen vom Staate zu bewältigen. Die Schule mußte als Anstalt für die ganze Nation diese schon sinnlich erfahrbar darstellen; der Staat hatte den Bürger zu lehren, wie er am Gemeinwesen mitarbeiten konnte. Der Freiherr vom Stein ist das Ziel, das innere Verwachsen des Bürgers mit seinem Staatswesen zu bewirken und ihm damit

15*

228 Peter Mast

eine sittliche Bestimmung zu geben, in einem ausgesprochen pädagogischen Sinn mit frischem Mut angegangen. Die Städteordnung von 1808, dasjenige der Werke Steins, das die ihnen zugedachte Aufgabe am preußischen und dann auch am deutschen Volke am ehesten zu leisten vermocht hat, bietet eine Fülle von Beweisen dafür. So ist die preußische Reform durch den nassauischen Reichsritter zu einer volkspädagogischen Bewegung geworden. Wie Gerhard Ritter, der Bio-graph Steins, schreibt, war dessen „ganze Politik nichts anderes als eine Pädagogik höheren Stils: die Tätigkeit für das öffentliche Wohl, die Tätigkeit für den Staat sollte unmittelbar erzieherisch wirken, eine Nation von freien, auf sich selbst gestellten, charaktervollen, gemeinnützigen Männern allmählich heranzubilden." Mit dieser „moralpädagogischen Wendung selbst des Politischen — die ihm allein gehört — übertraf er noch allen pädagogischen Eifer seiner Zeitgenossen"l.

Das alles besagt, daß die Reform des preußischen Staates sowie des ihm zugehörigen Gesellschaftssystems und die Reform des Erziehungswesens auf das engste miteinander verknüpft waren. Karl von Stein zum Altenstein, der Mitarbeiter Steins bei dessen Verwaltungsreform 1807 / 08 gewesen war, schrieb in seinem Entwurf zu Hardenbergs Rigaer Denkschrift vom Jahre 1808: „Es ist kein Augenblick zu verlieren, um eine wohltätige Reform des Erziehungswesens vorzunehmen. Vergeblich sind alle Bemühungen, die höchste Kraftäußerung des Staates herbeizuführen, wenn die Erziehung widerstrebt, flache Staatsbeamte gebildet werden, welche das Ruder des Staats zu führen nicht taugen, und kraftlose Bürger erzogen werden"2.

I .

Streng genommen hatte der preußische Staat vor der Errichtung des Oberschul-kollegiums im Jahre 1787, der ersten rein pädagogischen Zentralbehörde in Preußen, überhaupt keine Bildungspolitik getrieben; die Schuldinge waren in ihrer traditionellen Vermischung mit den geistlichen Angelegenheiten noch im-mer „ein Annex der Kirche"3. Doch hielt die Pädagogik Abstand zum absolutisti-schen Staat und damit auch zu den Bildungsreformern, weniger zu Karl Abraham Freiherr von Zedlitz als zu Julius von Massow, dessen durchaus verdienstvolles Werk im wesentlichen fruchtlos blieb; Wilhelm von Humboldt traf in seiner berühmten Schrift „Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen" von 1792 den Sinn des gebildeten Publikums, wenn er schrieb, es komme „schlechterdings Alles auf die Ausbildung des Menschen in der höchsten Mannigfaltigkeit an; öffentliche Erziehung aber muss, selbst

1 Gerhard Ritter, Stein. Eine politische Biographie, 3. Aufl., Stuttgart 1958, 300. 2 Die Reorganisation des Preußischen Staates unter Stein und Hardenberg. Erster

Teil: Allgemeine Verwaltungs- und Behördenreform, hrsg. v. Georg Winter, Leipzig 1931,459.

3 Eduard Spranger, Das Ministerium der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten, in: Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik 12 (1917), Sp. 135.

Nationalpädagogische Bestrebungen oder Dienst für den Staat? 229

wenn . . . sie sich bloss darauf einschränken wollte, Erzieher anzustellen und zu unterhalten, immer eine bestimmte Form begünstigen"4. Der Staat mußte ein anderer werden, einer, der der Pädagogik „nicht subjektive, eigensüchtige Zwecke aufdrängt", ja der „in Wechselwirkung" mit der Erziehungskunst „das künftige bessere Zeitalter" heraufführte, wie Johann Wilhelm Süvern in einer Vorlesung im Winter 1807/08 an der Königsberger Universität forderte 5.

Diesem Ziele sollte sich Süvern bald widmen können. An seine Seite trat Georg Heinrich Ludwig Nicolovius, der mit ihm und anderen Männern der preußischen Reformpartei „die Ueberzeugung von der Notwendigkeit, nach dem Gottesgerichte des Zusammenbruches alle sittlichen und religiösen Kräfte des Volkslebens zu wecken, einen Läuterungsprozeß zu vollziehen", teilte, „aber auch den Glauben an Preußens Zukunft" 6.

Süvern und Nicolovius gehörten zunächst dem provisorischen „Departement für das geistliche, Schul- und Armenwesen" an, das am 5. August 1808 als Abteilung I I I des Provinzialministeriums für West- und Ostpreußen unter F. L. von Schroetter gebildet worden war, dem vorerst das Innere des Reststaates oblag7. Mit der „Verordnung, die veränderte Verfassung der obersten Verwal-tungsbehörden in der preußischen Monarchie betreffend" 8, die Minister vom Stein am 24. November 1808, in der Stunde seiner Entlassung, dem König zur Genehmigung vorlegte, wurde das Provisorium in eine „Sektion für den Kultus und den öffentlichen Unterricht", die als Abteilung I I I dem neugebildeten Innen-ministerium inkorporiert war, umgewandelt; auf der Ebene der Provinzen wurden statt der Provinzialkonsistorien die neuen Regierungen für die Kirchen- und Schulangelegenheiten zuständig9. Als Leiter der Sektion war ein Vorsitzender Geheimer Staatsrat vorgesehen, der daneben in der Unterrichtsabteilung den Vorsitz innehatte und dieselbe in spezieller Direktion führen sollte. Die Kultusab-teilung dagegen stand unter einem eigenen Vorsitzenden Staatsrat. Dessen Position

4 Wilhelm von Humboldt, Gesammelte Schriften, hrsg. v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1, Berlin 1903, 143.

5 Aus Süverns Vorlesungen über Geschichte. 1807-1808, in: Mitteilungen aus dem Literaturarchive, Berlin 1901, 51.

6 Ernst Müsebeck, Das Preußische Kultusministerium vor hundert Jahren, Stuttgart / Berlin 1918, 50.

7 Zum Folgenden Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, 2. Aufl., Stuttgart [u. a.] 1967, 148 ff. und 277 ff.; Müsebeck (Anm. 6), 31 ff.; Fritz Fischer, Ludwig Nicolovius. Rokoko, Reform, Restauration (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte, Bd. 19), Stuttgart 1939, 221 ff.

8 Text: Das Reformministerium Stein. Akten zur Verfassungs- und Verwaltungsge-schichte aus den Jahren 1807/08, hrsg. v. Heinrich Scheel, bearb. v. Doris Schmidt, Bd. 3, (Ost-)Berlin 1968, 1088 ff.

9 Das ließ auch das „Publikandum, betreffend die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden der preußischen Monarchie in Beziehung auf die innere Landes- und Finanzverwaltung" vom 16. 12. 1808 (Reformministerium Stein [Anm. 8], Bd. 3, 1149 ff.) unberührt.

230 Peter Mast

wurde mit Nicolovius besetzt, während an die Spitze der Sektion am 20. Februar 1809 Wilhelm von Humboldt trat10.

Für die Reform wie für das, was an ihrem Ende stehen sollte, ist der Freiherr vom Stein nicht der Vorstellung Fichtes von dem radikalen zentralistischen Zugriff eines Volksstaates gefolgt; er hat mit dem Prinzip der Selbsttätigkeit ernstgemacht. Einer Kräftigung der Staatsleitung sollte nach Steins Entwurf Beratung und Mitwirkung durch die Regierten gegenüberstehen. Ein Grundprin-zip der Bildungsreform war es daher, daß sich eine Zentralisation und Vereinheit-lichung des Bildungswesens von der obersten Behörde her einerseits und Mitspra-che wie Mitwirkung auf der Ebene der Provinzen, Regierungsbezirke und Ge-meinden sowie der Bildungsinstitute selbst andererseits entsprechen sollten. Hin-zu trat in den Behörden das Prinzip der Kollegialität und Beratung.

Dieser Grundsatz kam in dem Plan zur Geltung, den obersten Staatsbehörden wissenschaftliche Deputationen beizugeben. Er stammte aus der nach dem Frie-den von Tilsit gebildeten Immediatkommission, in der der von Hardenberg geför-derte Baron Altenstein die Fragen der Behördenorganisation bearbeitet hatte. In dem abschließenden Immediatbericht Steins vom 23. November 1807, dem ein „Plan zu einer neuen Organisation der Geschäftspflege im Preußischen Staat" nach einem Konzept Altensteins als Anlage beigegeben war, gewann der Gedanke der „Beiziehung wissenschaftlicher und technischer Männer aus allen Ständen als Ratgeber der Geschäftsmänner" erstmalig Gestalt11. Das Vorhaben „wissen-schaftlicher und technischer Deputationen" entsprach der Wissenschaftsgläubig-keit der Zeit im allgemeinen wie derjenigen des Fichte-Schülers Altenstein im besonderen. Es kam aber auch dem Bestreben Steins entgegen, die Dienstroutine der Bürokratie mit der praktischen Erfahrung der Regierten zu verbinden12.

In den Genuß der Deputationen ist bei der Ausführung des Gedankens lediglich die Sektion des Kultus und des Unterrichts gekommen, wobei auch nur die wissenschaftliche Deputation zu Berlin (eine solche gab es auch in Königsberg und Breslau) die ihr zugedachte Bedeutung erlangte13. Sie sollte die Sektion beraten und ihr zuarbeiten sowie Fehlläufe im Bildungswesen aufdecken. Sie war — allgemein gesprochen — für die Lösung aller derjenigen Aufgaben da, die gründlicher wissenschaftlicher Studien oder langwieriger Erhebungen sowie

1 0 Zu Humboldt insbesondere: Siegfried A. Kaehler, Wilhelm von Humboldt und der Staat. Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Lebensgestaltung um 1800, München / Berlin 1927, und Eberhard Kessel, Wilhelm von Humboldt. Idee und Wirklichkeit, Stuttgart 1967.

11 Reformministerium Stein (Anm. 8), Bd. 1, (Ost-)Berlin 1966, 94 ff., besonders 96 f., Zitat 97.

12 Ritter (Anm. 1), Bd. 1, Stuttgart / Berlin 1931, 365. 13 Die Wissenschaftlichen Deputationen zu Königsberg und Breslau waren den am

Orte befindlichen Regierungen zugeordnet und blieben im wesentlichen auf die auch von der Berliner Deputation zu erfüllende Aufgabe, die Kandidaten für das höhere Lehramt zu examinieren, beschränkt.

Nationalpädagogische Bestrebungen oder Dienst für den Staat? 231

diffiziler Formulierungen bedurften, wozu im Drang der Staatsgeschäfte die nötige Muße fehlte. Dazu zählten die Prüfung von Unterrichtsmethoden, das Entwerfen von Lehrplänen, die Auswahl von Lehrbüchern und die Formulierung von Gesetzes- und Verordnungstexen. Die wissenschaftliche Deputation war in erster Linie als „eine Instanz ständiger Selbstreflexion der Verwaltung des Erzie-hungswesens" konzipiert14. Sie sollte aber „auch eine Brücke zwischen der Sek-tion und dem Publikum bedeuten"15. Die Sektion für allgemeine Gesetzgebung schlug am 25. Januar 1810 allerdings vor, die wissenschaftlichen Deputationen „bloß auf die Grenzen einer consultativen Behörde zu beschränken, ihnen alle unmittelbare Kommunikation mit dem Publikum und anderen Staatsbehörden zu nehmen"16. Dabei ist es geblieben.

Inhalt und Ausdehnung der Reform bestimmten sich nach dem Prinzip der Nationalerziehung17. Nation war gefaßt als politische Willensgemeinschaft der Bürger, die im Vollbesitz der ihnen von Natur aus zukommenden Rechte waren, im Gegensatz zur politischen Passivität der Untertanen in der partikular-arbeitstei-ligen ständischen Gesellschaft. Dementsprechend sollte das gesamte Schulwesen in einen einzigen, in sich gegliederten Bildungsgang zusammengefaßt werden, der seinerseits wieder scharf gegen das Universitätswesen abzugrenzen war. Als Glieder dieses Bildungsganges hatte Humboldt in einem Immediatbericht der Sektion vom 1. Dezember 1809 die Elementarschule und das Gymnasium be-zeichnet 18. Die Bürgerschule wollte er vorerst tolerieren — nicht als eigenständige Mittelstufe, sondern als an manchen Orten zweckmäßige erweiterte Elementar-schule oder Unterstufe der gelehrten Schule19. Denn die Sektion suchte „diejenige Entwicklung der menschlichen Kräfte zu befördern, welche allen Ständen gleich nothwendig ist und an welche die zu jedem einzelnen Beruf nöthigen Fertigkeiten und Kenntnisse leicht angeknüpft werden können." Ihr Bemühen war es daher, „den stufenartig verschiedenen Schulen eine solche Einrichtung zu geben, daß jeder Unterthan Ew. Königl. Majestät darin zum sittlichen Menschen und guten Bürger gebildet werden könne, wie es ihm seine Verhältnisse erlauben, allein keiner den Unterricht, dem er sich widmet, auf eine Weise empfange, die ihm für sein übriges Leben unfruchtbar und unnöthig werde; welches dadurch zu

14 Karl-Ernst Jeismann, Das preußische Gymnasium in Staat und Gesellschaft. Die Entstehung des Gynasiums als Schule des Staates und der Gebildeten. 1787-1817 (Indu-strielle Welt, Bd. 15), Stuttgart 1974, 306.

15 Spranger (Anm. 3), Sp. 144. Nach Jeismann (Anm. 14), 308.

17 Quelle hierfür sind vor allem Fichtes Reden an die deutsche Nation, Neunte Rede. Dazu Helmut König, Zur Geschichte der bürgerlichen Nationalerziehung in Deutschland zwischen 1807 und 1815, 2 Tie. (Monumenta Paedagogica, 12, 13), (Ost-)Berlin 1972/ 1973, sowie Deutsche Nationalerziehungspläne aus der Zeit des Befreiungskrieges, ein-gel. und erl. von Helmut König, (Ost-)Berlin / Leipzig 1954.

18 Humboldt (Anm. 4), Bd. 10, Berlin 1903, 199 ff. 19 Ebd., Bd. 13, Berlin 1920, 267. Siehe dazu Jeismann (Anm. 14), 326 ff. und Müse-

beck (Anm. 6), 102.

232 Peter Mast

erreichen steht, daß man bei der Methode des Unterrichts nicht sowohl darauf sehe, daß dieses oder jenes gelernt, sondern in dem Lernen das Gedächtnis geübt, der Verstand geschärft, das Urtheil berichtigt, das sittliche Gefühl verfeinert werde"20.

Die Aufgabe der Schule im Verständnis der Humboldtschen Bildungsreform war es nach Formulierungen Süverns, dem die Schuldinge im speziellen übertra-gen waren, die „Grundkraft der menschlichen Natur in den verschiedenen Zwei-gen anzuregen, zu wecken, im allgemeinen zu üben und zu entwickeln"21. Es ging dabei auch, ja an bevorzugter Stelle, um den formalen Bildungswert der Sprachen22.

Jedem Schüler sollte die Möglichkeit eröffnet werden, von einer Stufe in die nächst höhere überzugehen. Wer nicht für die Gelehrtenschule taugte, sollte von der Anstalt vorher abgehen, ohne daß die höhere Elementarschule aber in irgend-einer Weise dem Bedürfnis mittelständischer Berufe zu dienen hatte. Die „unteren und mittleren Classen" der neuen Einheitsschule sollten „nicht etwa in Special-schulen für einzelne Stände oder in Erziehungsanstalten zur technischen Brauch-barkeit ausarten", wie es in einem Entwurf der wissenschaftlichen Deputation vom 26. Mai 1811 hieß23. Die Sektion berechnete „ihren allgemeinen Schulplan", so Humboldt in seinem zitierten Bericht, „auf die ganze Masse der Nation"24.

Mit der Berufung des Fürsten Karl August von Hardenberg durch König Friedrich Wlheltn III. am 4. Juni 1810 trat an die Stelle des von Stein vorgesehenen kollegialischen Leitungs- und Koordinationsorgans, des Staatsrates, in dem die Minister und die Geheimen Staatsräte, die die Sektionen im Innen- und im Finanzministerium leiteten, gleiches Stimmrecht gehabt hätten, der Ministern wie Staatsräten bürokratisch vorgesetzte Staatskanzler25. Mit der Kabinettsorder vom 31. März 1810 war die Bildung eines Staatsrates zwar angeordnet, ihm aber nur eine beratende Funktion eingeräumt worden und somit eine zentrale Säule der Stein'sehen Verwaltungsorganisation gefallen26. Die Antwort Humboldts hatte darin bestanden, daß er am 29. April 1810 um seine Entlassung als Sektion-schef eingekommen war27. Am 14. Juni 1810 wurde sein Abschiedsgesuch geneh-

20 Humboldt (Anm. 18), 205. 21 Entwurf Süvems vom 16.(?) 5. 1811; nach Wilhelm Dilthey, Johann Wilhelm

Süvem; in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 37, Leipzig 1894, 241. 22 Siehe dazu einen Brief Humboldts von Anfang September 1800 an Schiller; Der

Briefwechsel zwischen Friedrich Schiller und Wilhelm von Humboldt, hrsg. v. Siegfried Seidel Bd. 2, (Ost-)Berlin 1962, 206 f.

23 Nach Dilthey (Anm. 21), 240. 24 Humboldt (Anm. 18), 205. 25 Hierzu vor allem Hans Haussherr, Hardenberg. Eine politische Biographie, Bd. 3:

Die Stunde Hardenbergs, 2. Aufl., Köln/Graz 1965, insbesondere 177 ff. 26 Siehe dazu Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte (Anm. 7), 157. 27 Dazu Müsebeck (Anm. 6), 65 f. Zu den Motiven für Humboldts Demission die

gegensätzlichen Standpunkte Kaehlers (Anm. 10), 243 ff., und Kessels (Anm. 10), 172 ff.

Nationalpädagogische Bestrebungen oder Dienst für den Staat?

Abb. 7: Grundriß und Seitenansicht eines Schulhauses von 1835.

234 Peter Mast

migt. Sein Ausscheiden aus dem Amte wäre für Humboldt spätestens am Ende des Jahres unausweichlich geworden, als Hardenberg in eigener Person dem Grafen Dohna als Innenminister nachfolgte, d. h. sein unmittelbarer Vorgesetzter geworden wäre und für ihn somit ein unerträgliches Gewicht gewonnen hätte.

Der sich seit der Berufung Hardenbergs zunehmend verfestigende bürokrati-sche Staatsaufbau kam mit der Neuordnung der Provinzialbehörden, wie sie die Kabinettsorder vom 30. April 1815 („wegen verbesserter Einrichtung der Provin-zialbehörden")28 vorsah, zu einem ersten Abschluß. Danach wurde dem Oberprä-sidenten als dem obersten Repräsentanten des Staates in der Provinz ein Konsisto-rium beigegeben, dem neben den Kirchendingen die Aufsicht über die Unter-richts- und Erziehungsanstalten oblag. Die Universitäten blieben jedoch unmittel-bar dem Ministerium unterstellt, während ihnen der Oberpräsident derjenigen Provinz, in der sie lagen, als Kurator vorstand. Im Jahre 1817 dann wurde den Konsistorien neben der Zuständigkeit für die Kirchenangelegenheiten nur diejeni-ge für die Interna des höheren Schulwesens bestätigt, die 1825 an die in diesem Jahre aus den Konsistorien ausgegliederten Provinzialschulkollegien überging. Demgegenüber fielen die Externa des höheren Schulwesens und die übrigen Schulen in die Kompetenz der Regierungen29.

Zum Nachfolger Humboldts als Chef des Departements für Kultus und Unter-richt berief der König am 20. November 1810 nicht den interimistischen Depar-tementschef Nicolovius, wie Minister Graf Dohna gewollt hatte30, und nicht Schleiermacher, der von Stein empfohlen worden war, sondern den Juristen Kaspar Friedrich von Schuckmann, der Hardenberg von seiner Wirksamkeit in Franken her vertraut war. Der vom friderizianischen Rechtsreformer Carl Gottlieb Svarez einst hochgeschätzte Mann war 55 Jahre alt, also mehr als zehn Jahre älter als Humboldt, und von der Staatsmechanik früherer Tage noch derart erfüllt, so sehr Bürokrat reinsten Wassers, daß Stein ihn einen „Erzphilister" nannte. Außer dem Kultusdepartement übernahm Schuckmann in der Nachfolge Theodor von Schöns das Departement für Handel und Gewerbe, das ebenfalls dem Innen-minister unterstellt war31.

Bezeichnend ist die Instruktion für Schuckmann, die Hardenberg selbst unter dem 20. November 1810 verfaßte 32. Zunächst war da von Gewissensfreiheit und Toleranz die Rede. Sodann betonte der Staatskanzler, daß das Departement als

28 Abdruck bei Wilhelm Altmann (Hrsg.), Ausgewählte Urkunden zur brandenbur-gisch-preußischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 2. Teil, 1. Hälfte, 2. Aufl., Berlin 1915, 154 ff.

2 9 Instruktion für die Oberpräsidenten vom 23. 10. 1817 und Instruktion für die Regie-rungen vom gleichen Tage; gedruckt bei Altmann (Anm. 28), 213 ff. und 181 ff.

30 Fischer (Anm. 7), 237-240. 31 Müsebeck (Anm. 6), 123 ff. und 151 f. 32 Das Folgende nach Müsebeck (Anm. 6), 121 f.

Nationalpädagogische Bestrebungen oder Dienst für den Staat? 235

oberste Behörde für das Unterrichtswesen dafür sorgen müsse, „daß eine gründli-che Erlernung der Wissenschaften und Erlernung der nöthigen Kenntnisse für alle Stände stattfinde und daß gesunde, klare Begriffe und solche Gesinnungen verbreitet werden, wodurch Nutzen für das praktische Leben, wahre, sich in den Handlungen äußernde Moralität, Patriotismus, Anhänglichkeit an die Verfassung und Vertrauen und Folgsamkeit gegen die Regierung bewirkt und erhalten wer-den, . . . " Ähnliches findet man in einer zur gleichen Zeit an Nicolovius ergange-nen Kabinettsorder33. Auch hier wurde auf eine gründliche „Erlernung der Wis-senschaften" und auf eine „Mitteilung derjenigen Kenntnisse in den niederen Ständen" Gewicht gelegt, „welche diesen wirklich nützen und die einfachen ursprünglichen Tugenden der Menschheit wecken." Maßgeblich war also wieder die Werteskala des aufgeklärten Absolutismus. Vom Humboldt'sehen Ideal der Menschenbildung und dem diesem zugrundeliegenden modernen Individualitäts-gedanken, durch den das aufgekläre Menschenbild überwunden worden war, sowie dem Prinzip der Nationalerziehung zeigten sich diese Richtlinien denkbar weit entfernt.

Wenn Süvern dennoch zunächst seine Arbeiten zur Schulreform fortsetzen konnte, dann lag das vor allem an der dienstlichen Überbeanspruchung Schuck-manns, der seit 1812 auch das Polizeiressort leitete und endlich 1814 zur Entla-stung Hardenbergs (Preußen hatte ja einen erheblichen territorialen Zuwachs erfahren) das Innenministerium insgesamt übernahm. Zudem war der im Dienste ergraute Staatsjurist mit Bildungsfragen kaum vertraut. So konnten Süvern und die wissenschaftliche Deputation zu Berlin die Bildungspolitik vorerst noch nach ihren Vorstellungen und Entwürfen bestimmen34.

Das galt auch für die erste Zeit nach den Befreiungskriegen, während etwa Kriegsminister Hermann von Boyen sein Wehrgesetz bereits 1814 nur gegen den Widerstand starker Reformgegner hatte durchfechten können. Immerhin setzten diese zum 19. Dezember 1816 die Auflösung der Wissenschaftlichen Deputation zu Berlin durch. Obwohl die reaktionäre Hofpartei um Herzog Karl von Mecklenburg und Fürst Wittgenstein, im engen Einverständnis mit Fürst Metternich in Wien, mehr und mehr das Ohr des Königs gewann und die nach dem Abtritt Napoleons von der weltgeschichtlichen Bühne nicht mehr unentbehr-lichen Reformer aus der ersten Reihe der politischen Ratgeber zu verdrängen vermochte, dachte Süvern, dem das Vermächtnis Humboldts anvertraut war, vorerst nicht daran, sein Werk, den Plan eines Schulgesetzes, das das Prinzip der Nationalerziehung in die Tat umsetzen sollte, verlorenzugeben. Dazu kam ihm ein besonderer Umstand zu Hilfe.

33 Ebd., 122. 34 Conrad Varrentrapp, Johannes Schulze und das höhere preussische Unterrichtswe-

sen in seiner Zeit, Leipzig 1889, 266 f.

236 Peter Mast

Im Herbst 1817 wurde die Stellung Schuckmanns im Zuge einer Ministerkrisis erschüttert35. „In den Ministerien der Justiz und des Innern sind blosser und reiner Mechanismus und Ertödtung alles Geistes an der Tagesordnung", hieß es in einem Schreiben Wilhelm von Humboldts an Kanzler Hardenberg vom 14. Juli 181736. In dem wichtigen geistlichen Departement sei seit 1810 kaum etwas geschehen, manches aber verschüttet worden. Nur Kriegsminister von Boyen nahm Humboldt von seiner Kritik aus37. Hardenberg sah sich zum Handeln gezwungen. Er begnügte sich aber, wohl mit Rücksicht auf die Hofpartei und aus Eifersucht auf Humboldt, mit „einem traurigen Halb werk". Schuckmann verlor das Departement für Kultus und Unterricht, „den dürrsten Zweig seiner Verwaltung"38, blieb aber Innenminister. Am 3. November 1817 wurde Karl Freiherr von Stein zum Altenstein zum Nachfolger Schuckmanns als Leiter des Departements für den Kultus und den Unterricht bestimmt und dieses zugleich in ein Ministerium für Kultus, Unterricht und Medizinalwesen umgewandelt. Humboldt war schon wegen seiner soeben wieder geäußerten Kritik am Staats-kanzlersystem nicht in Frage gekommen und von Hardenberg noch vor der Begründung des Ministeriums auf seinen Londoner Gesandtschaftsposten zurück-geschickt worden.

Dem Andrang der kritischen Stimmen, zu denen vor allem auch die der Ober-präsidenten gehörten, dankte es Süvern, wenn sein „Promemoria, eine zu entwer-fende allgemeine Schulordnung und darauf zu gründende Provinzialschulordnung betreffend", vom 8. August 181739 einer vom König am 3. November berufenen Kommission überwiesen wurde, deren Referent er selber war40. Das Promemoria, in dem Süvern nochmals die Grundsätze seines Schulplanes darlegte, nennt Spranger „das schönste Zeugnis" dafür, „wie sich in dem damaligen Preußen der alte feste Staatsgedanke mit dem neuen liberalen Prinzip zu vermählen strebte"41.

Bei Altenstein verband sich mit einer dem Humboldtschen Reformgedanken entgegengesetzten Staatsgläubigkeit eine Hochschätzung des Geistigen und der Wissenschaft sowie das Wissen darum, daß der Geist zu seiner Entfaltung Freiheit brauchte. Diese, so zweifelte der getreue Schüler Fichtes und Förderer Hegels

35 Dazu Müsebeck (Anm. 6), 159 ff., und Friedrich Meinecke, Das Leben des General-feldmarschalls Hermann von Boyen, Bd. 2, Stuttgart 1899, 318 ff.

36 Humboldt (Anm. 4), Bd. 12, Berlin 1904, 197 f. 37 Ebd. 38 Meinecke (Anm. 35), 327. 39 Druck bei Gunnar Thiele (Hr^g.), Süvems Unterrichtsgesetzentwurf vom Jahre

1819, Leipzig 1913, 4 ff. 4 0 Druck der Kabinettsorder in: Die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Unterrichts we-

sens in Preußen. Vom Jahre 1817 bis 1868. Aktenstücke mit Erläuterungen aus dem Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten, Berlin 1869, 12 f.

Spranger (Anm. 3), Sp. 149.

Nationalpädagogische Bestrebungen oder Dienst für den Staat? 237

allerdings nicht, werde er am ehesten beim Staate finden. Denn das Reich der Ideen und der Moral war für ihn von diesem nicht zu trennen. Die Reformer der Schule Humboldts und Süverns konnten sich also durch die Berufung Altensteins durchaus ermutigt fühlen. Die Vorstellung Steins von der Reform als einer großen pädagogischen Bewegung war dem Minister freilich fremd. Bildung blieb bei ihm ein Ressort der Staatsverwaltung, wenn auch ein zentrales. Aber sie hatte bei ihm nichts mehr mit der zweckgerichteten Wissensvermittlung der Aufklärung zu tun, sondern war ihm Erziehung des Menschen in seiner Ganzheit zu einer vorwiegend geistig, nicht politisch verstandenen Selbsttätigkeit42. Im Kreise sei-ner Untergebenen wurde der Minister zudem bald zu den Menschen gerechnet, „die sich selbst ganz vergessen und sich mit reinem Gemüthe der Sache hinge-ben"; Unzufriedenheiten mit ihm führte man auf die „entsetzliche Last der Ge-schäfte" zurück43.

Altenstein hatte am Schulgesetzentwurf zunächst auch Interesse und zeigte sich mit seinen letzten Tendenzen und Zielen einverstanden44. Am 27. Juni 1819 wurde ihm jener Entwurf, den die Ende 1817 gebildete Kommission erarbeitet hatte, vorgelegt45. Am 11. Juli ließ ihn Hardenberg dem Staatsministerium zur gemeinschaftlichen Prüfung zugehen. Da er kirchliche, finanzielle, kommunale und gerichtliche Verhältnisse betraf, hielten es die Minister für erforderlich, vor einer Weiterberatung auf oberster Ebene Gutachten der Provinzialbehörden anzu-fordern. Auf eine Anregung Altensteins hin sollten auch die katholischen Bischöfe um Äußerung gebeten werden. Die Rundschreiben Hardenbergs an die Oberpräsi-denten und die Bischöfe datierten vom 14. September und vom 22. Oktober 1819.

Doch angesichts des Mordes an Kotzebue am 23. März desselben Jahres und seiner Folgen mußte das Schulgesetz als unzeitgemäß erscheinen. So konnten die in den Provinzen aufkommenden Widerstände gegen das Gesetz — die Oberpräsidenten sprachen sich gegen die den katholischen Bischöfen eingeräum-ten Befugnisse46 aus, die diesen aber nicht weit genug gingen — kaum überwun-den werden. In einem Bericht an den König vom 15. Februar 1821 machten sich auf die Initiative des Hausministers Fürst Wittgenstein hin der Hof-, Garde- und Garnisonsprediger Bischof Eylert, Altensteins neuer Volksschulreferent Becke-

4 2 Vgl. Müsebeck (Anm. 6), 61 f. Über Altenstein orientiert am besten: Georg Winter, Karl Freiherr von Stein zum Altenstein, preußischer Kultusminister 1770-1840, in: Lebensläufe aus Franken, Bd. 4 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte, 7. Reihe, Bd. 4), Würzburg 1930, 410-442.

43 Konsistorialschulrat Kohlrausch, Münster i. W., an Oberpräsident von Vincke am 18. 3. 1819; St. A. Münster, Nachlaß Vincke, A III, 146.

4 4 Dazu und für das Folgende vor allem die Amtliche Dokumentation (Anm. 40), 85 ff., sowie Müsebeck (Anm. 6), 229 ff., und Varrentrapp (Anm. 34), 276 ff.

45 Text bei Thiele (Anm. 39), 12 ff., und bei Lothar Schweim (Bearb.), Schulreform in Preußen. 1809-1819. Entwürfe und Gutachten (Kleine Pädagogische Texte, Bd. 30), Weinheim a. d. B. 1966, 123 ff.

46 Vgl. Paragraph 16 des Gesetzestextes; bei Schweim (Anm. 45), 142.

238 Peter Mast

dorff, der statt des Kurators der Universität Berlin eingesetzte Regierungsbevoll-mächtigte Schulz und Bernhard Moritz Snethlage, der Direktor des Joachimsthaler Gymnasiums und alte Gegner Pestalozzis, zu Befürwortern einer strikten Konfes-sionalisierung der Schule. Das Jahr 1809, das Reformjahr Humboldts also, be-zeichneten sie als Ursprung einer revolutionären Bewegung. Fichte, Schleierma-cher, Arndt und Jahn stellten sie als Verführer der Jugend hin47. Nach Beckedorff nötigte die Reaktion Altenstein Karl von Kamptz aus dem Polizeiministerium als 1. Direktor der Unterrichtsabteilung auf. „Nicht auf eine allgemeine und gleichartige Volksbildung kommt es an", so hieß es in einem Votum Beckedorffs zum Süvernschen Schulgesetzentwurf, „auf ein Tüchtigmachen aller und jeder zu allem Möglichen, auf ein Abrichten für alle Fälle; sondern darauf, daß ein jeder zu dem Stande oder Berufe, wozu er durch Geburt oder elterlichen Willen oder eigene Entschließung bestimmt worden ist, auch mit allem Ernste von früher Kindheit auf gründlich und vollständig auferzogen und vorgebildet werde." Durch jene allgemein-menschliche oder Nationalerziehung, wie sie der Gesetzentwurf vorsehe, könne „in der Nation nicht anderes hervorgebracht werden, als ein seichtes und oberflächliches Wesen, ein ungründliches Halbwissen und ein drei-ster Fürwitz, neben einer unsteten, wirrigen und ungenügsamen Tätigkeit"48.

Minister von Altenstein entschloß sich, wie er in einem Immediatbericht vom 11. Februar 1823 darlegte, schließlich dazu, nötige rechtliche Bestimmungen vorerst von Fall zu Fall zu treffen; im September 1826 wurde der Gesetzentwurf zu den Akten geschrieben. Süvern hatte bereits im Sommer 1818 resigniert49. Im Referat über das Gymnasialwesen folgte ihm Johannes Schulze.

Die preußische Bildungsreform hatte damit nicht ihr Ende gefunden. Der tatkräftige und energische, zu einer Überspannung der bürokratischen Leitung des höheren Schulwesens von Berlin her neigende Johannes Schulze ist der Schöpfer des preußischen Gymnasiums geworden — gedeckt durch Minister von Altenstein, der in seiner hinhaltenden Unbestimmtheit durch die tonangebenden reformfeindlichen Kräfte nicht zu fassen war49a. Freilich mußte das Prinzip der Nationalerziehung aufgegeben werden, womit der politische Gehalt der Bildungs-reform entfiel. Das heißt nicht, daß nur etwas für das Gymnasium geschehen wäre, wenn dieses auch Priorität genoß und die begrenzten Mittel allzusehr in

47 Müsebeck (Anm. 6), 230 ff.; Fischer (Anm. 7), 422 f. 4 8 Undatiert, zwischen 1819 und 1822 entstanden. Abdruck bei Schweim (Anm. 45),

222 ff., Zitat 226. Siehe auch das niveauvollere Promemoria des Bischofs Eylert vom 16. 10. 1819, gedruckt bei Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 4: Urkunden, Akten und Briefe, Halle a. S. 1910, 380 ff.

49 Über Süvern ist noch immer Dilthey am erschöpfendsten (Anm. 21). Siehe neuer-dings mein Porträt in: Wissenschaftspolitik in Berlin. Minister, Beamte, Ratgeber. Berli-nische Lebensbilder, Bd. 3, hrsg. v. Wolf gang Treue und Karlfried Gründer (Einzel Veröf-fentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 60), Berlin 1987, 107-118.

49 a Über Schulze grundlegend Varrentrapp (Anm. 34). Siehe auch Peter Mast, Johan-nes Schulze, in: Pädagogen in Berlin, hrsg. von Benno Schmoldt (Materialien und Studien zur Geschichte der Berliner Schule, Bd. 9), Hohengehren 1990, 69-85.

Nationalpädagogische Bestrebungen oder Dienst für den Staat? 239

Anspruch nahm. Es entstand in Abweichung von einem Humboldtschen Grund-satz und als Zugeständnis an die Welt der Zwecke ein preußisches Real- und Gewerbeschulwesen50, und es erfolgte eine wesentliche Verbesserung der Volks-schulen. Die Universitäten wurden trotz stärkster Behinderung durch die Karlsba-der Beschlüsse und die in ihrem Zusammenhang stehende Politik, die übrigens auch das höhere Schulwesen nicht unberührt ließ51, weiter ausgebaut52.

II.

Was hat die preußische Bildungsreform geleistet? Ihren Ruf verdankt sie dem Humboldtschen Entwurf einer Universität neuen Typs53. Er trug der Tatsache Rechnung, daß die Hochschulen der Zeit in einen allgemeinen Verfall geraten, zu einer Stätte geworden waren, wo nur noch lebloser Stoff vermittelt wurde. Nach Humboldt war es „eine Eigentümlichkeit der höheren wissenschaftlichen Anstalten, daß sie die Wissenschaft immer als ein noch nicht ganz aufgelöstes Problem behandeln und daher immer im Forschen bleiben, da die Schule es nur mit fertigen und abgemachten Kenntnissen zu thun hat und lernt." Daraus folgt die Einheit von Lehre und Forschung. Humboldt zufolge mußte der akademische Lehrer seine Schüler, „wenn sie sich nicht von selbst um ihn versammelten,... aufsuchen, um seinem Ziele näher zu kommen durch die Verbindung der geübten, aber eben darum auch leichter einseitigen und schon weniger lebhaften Kraft mit der schwächeren und noch parteiloser nach allen Richtungen muthig hinstre-benden"54.

Dabei war Humboldt auch unter den seit 1806 / 07 in Preußen gewandelten Verhältnissen einiges von seiner Skepsis gegenüber dem Staate geblieben, das sich freilich mit dem von Stein in den Mittelpunkt gestellten Gedanken der

so Dazu: Peter Mast, Die höhere Schule an der Schwelle zum Industriezeitalter. Real-und höhere Bürgerschulen in Preußen unter Kultusminister von Altenstein (1817-1840), in: Zeitschrift für internationale erziehungs- und sozialwissenschaftliche Forschung 8 (1991), Heft 1, 79-102.

Dazu im einzelnen: Peter Mast, Preußische Schulreform zwischen politischer Re-stauration und wirtschaftlicher Notwendigkeit 1817-1837. Zur Bildungspolitik unter Minister von Altenstein und Johannes Schulze, in: Bildung, Staat, Gesellschaft. Mobili-sierung und Disziplinierung. Nassauer Gespräche der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, Bd. 2, hrsg. v. Karl-Ernst Jeismann, Stuttgart 1989, 129 ff.

52 Siehe dazu etwa: Christian Renger, Die Gründung und Einrichtung der Universität Bonn und die Berufungspolitik des Kultusministers Altenstein (Academia Bonnensia, Bd. 7), Bonn 1982.

53 Darüber Otto Vossler, Humboldts Idee der Universität, in: Historische Zeitschrift 178 (1954), 251-268; Eberhard Kessel, Wilhelm von Humboldt und die deutsche Univer-sität, in: Studium Generale, 8. Jg., Heft 7 (1955), 409-425, und Helmut Schelsky, Einsam-keit und Freiheit. Idee und Gestalt der deutschen Universitäten und ihrer Reformen (rowohlts deutsche enzyklopädie, Bd. 171/172), Reinbek bei Hamburg 1963.

54 Humboldt (Anm. 18), 251.

240 Peter Mast

Selbsttätigkeit des Bürgers zu vermählen mochte. „Was man . . . höhere wissen-schaftliche Anstalten nennt", so schrieb er im Anschluß an das zuvor Wiedergege-bene, „ist, von aller Form im Staate losgemacht, nichts Anderes als das geistige Leben der Menschen, die äußere Muße oder inneres Streben zur Wissenschaft und Forschung hinführt." Dem müsse auch der Staat Rechnung tragen, „wenn er das in sich unbestimmte und gewissermaßen zufällige Wirken in eine festere Form zusammenfassen will. . . . Er muß sich eben immer bewußt bleiben, daß er nicht eigentlich dies bewirkt noch bewirken kann, ja, daß er vielmehr immer hinderlich ist, sobald er sich hinein mischt, daß die Sache an sich ohne ihn unendlich besser gehen würde. . . ."55 .

Der Staat blieb für Wilhelm von Humboldt, zumindest was die höheren wissen-schaftlichen Anstalten anbetraf, ein notwendiges Übel. „Überall spürt[e] er die Fesseln für das selbsttätige, rein aus dem Innern herauswirkende Individuum, und auch nicht der leiseste Hauch, der die Freiheit des Innenlebens trüben könnte, . . . [entging] seinem empfindlichen Auge"56. Unter dieser Voraussetzung sind die Reformuniversitäten Berlin, Breslau und Bonn entstanden. Als sie ins Leben traten (Berlin im Herbst 1810, Breslau Oktober 1811 und Bonn Herbst 1818), war ihr geistiger Vater nicht mehr im Amte.

Die Schulpläne, die Bestandteile der preußischen Bildungsreform waren, gehen vor allem auf Süvern zurück, der sich dem Vermächtnis des aus dem Amte geschiedenen Humboldt verpflichtet fühlte und schließlich als Summe seines Wirkens den am Ende gescheiterten Schulgesetzentwurf vorlegte. Als Grundlage dafür war im Zusammenwirken mit Pestalozzi das Elementarschulwesen verbes-sert und das Seminarwesen begründet (Normalinstitut in Königsberg) worden, 1809 und 1810 eine Regelung der Schulaufsicht (Schuldeputationen) erfolgt sowie am 12. Juli 1810 ein Edikt, die allgemeine Lehramtsprüfung für die Gymnasien betreffend, und am 25. Juni 1812 ein Abiturreglement (Kabinettsorder vom 12. Oktober 1812) ergangen57.

Beim höheren Schulwesen lag das Gewicht entsprechend den Konfessionen des herrschenden Neuhumanismus im Gymnasialwesen, so sehr, daß man von einem „Gymnasialmonopol" sprechen kann58. Dementsprechend wurden die

55 Ebd., 252. 56 Friedrich Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, hrsg. und eingel. von Hans

Herzfeld (Friedrich Meinecke Werke, Bd. 5), 9. AufU München 1969, 43. 57 Dazu Jeismann (Anm. 14), 312 ff. Text des Abiturreglements bei Friedrich Schulze,

Die Abiturientenprüfung vornehmlich im Preußischen Staate, Liegnitz 1831, 6 ff. 58 Friedrich Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen

und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart. Mit besonderer Rücksicht auf den klassischen Unterricht, hrsg. v. R. Lehmann, Bd. 2, 3. Aufl., Berlin/ Leipzig 1921; Jeismann (Anm. 14); Hans-Jürgen Apel, Das preußische Gymnasium in den Rheinlanden und Westfalen. 1814-1848. Die Modernisierung der traditionellen Gelehrtenschulen durch die preußische Unterrichtsverwaltung (Studien und Dokumenta-tionen zur deutschen Bildungsgeschichte, hrsg. v. Christoph Führ und Wolfgang Mitter, Bd. 25), Köln/Wien 1984.

Nationalpädagogische Bestrebungen oder Dienst für den Staat? 241

Real- und höheren Bürgerschulen, obgleich man ihre Notwendigkeit beim Eintritt Preußens in das Industriezeitalter erkannte, vernachlässigt59. Am 20. April 1831 erging ein neues Reglement für die Lehramtsprüfung, betreffend den Dienst an höheren Schulen60, demzufolge das geforderte gründliche philologische Fachstu-dium mit einer breiten wissenschaftlichen Bildung verknüpft werden sollte. Es folgte am 4. Juni 1834 ein erneuertes Abiturreglement61, das die Bestimmung der Anforderungen schärfer faßte und den bisher noch möglichen Hochschulzu-gang durch Prüfungen an den Universitäten ausschloß. Die „Summe und zugleich der Epilog zu der gesetzgebenden Tätigkeit Johannes Schulzes"62 stellte die Lehrordnung für den Gymnasialunterricht vom 24. Oktober 1837, das sogenannte Blaue Buch, dar63. Einen Markstein für die Entwicklung der Real- und höheren Bürgerschulen in Preußen bildete die „vorläufige Instruction" vom 8. März 1832, betreffend förmliche Entlassungsprüfungen an diesen Instituten64. Wer diese Prüfungen bestand, hatte Zugang zum höheren Dienst im amtlichen Post-, Forst-und Bauwesen sowie in anderen Behörden, der bisher nur den Absolventen der oberen Klassen der Gymnasien offenstand. Dasselbe galt für den Einjährig-freiwilligen Militärdienst, in dessen Genuß die Realschüler nach sieben Jahren Schule, seit 1841 mit der Primareife (die Gymnasiasten mit der Obertertiareife) kamen. Doch bei aller Förderung, die das Realschulwesen in den folgenden Jahren in Preußen erfuhr, blieb es doch im Vergleich zu den Gymnasien minderen Ranges. Die Gleichstellung erfolgte erst als Folge der Schulkonferenzen von 1890 und 190065.

Was das Pensum des gymnasialen Unterrichts in Preußen anbetraf, so hatte Süvern dieses im wesentlichen auf die abendländischen Grundsprachen, nämlich Griechisch, Latein und Deutsch sowie auf Mathematik beschränken wollen66. Einer „allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften" waren seiner Meinung nach Gymnasiasten „noch nicht fähig" 67. Schulze hingegen wollte nicht nur die' Philosophie, sondern mit der Geschichte auch eine der heraufkommenden Erfah-rungswissenschaften als eigenständiges Fach sowie im Französischen eine moder-

5 9 Dazu Mast, Die höhere Schule (Anm. 50). 60 Text bei Ludwig von Rönne (Hrsg.), Die Verfassung und Verwaltung des Preußi-

schen Staates, 8. Teil: Die kirchlichen und Unterrichtsverhältnisse, Bd. 2: Das Unter-richts-Wesen des Preußischen Staates, Berlin 1855, 26 ff.

61 Text ebd., 259 ff. 62 Paulsen (Anm. 58), 349. 63 Text bei von Rönne (Anm. 60), 144 ff. Dazu Paulsen (Anm. 58), 349 ff., und

Varrentrapp (Anm. 34), 421 ff. 64 Text bei von Rönne (Anm. 60), 308 ff. 65 Dazu neuerdings: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 4(1870 -1918),

hrsg. v. Christa Berg, München 1991, insbesondere 234 ff. {James C. Albisetti und Peter Lundgreen).

66 Unterrichtsverfassung der Gymnasien und Stadtschulen von 1816, insbesondere Paragraph 3, 6; nach Schweim (Anm. 45), 62.

67 Paragraph 3, 5, ebd., 61 f.

16 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

242 Peter Mast

ne Sprache berücksichtigt sehen. Die Anforderungen in den alten Sprachen wur-den dabei allerdings nur geringfügig vermindert. Schulze blieb ein strenger Ver-treter des Neuhumanismus, ohne sich den Forderungen der neuen Zeit völlig zu verschließen.

Bei alldem überwog freilich das Unpolitische, das schon im Wesen des Huma-nismus selbst begründet, also nicht erst durch Restauration und Reaktion erzwun-gen worden war68. In ihm herrschte bereits in den Anfängen das ästhetische und sprachliche Interesse vor. So sieht Franz Schnabel auch den Neuhumanismus ohne tieferes Verständnis des Römertums und Sinn für seine Größe69. Der Unter-richt am preußischen Gymnasium zeichnete sich, was sich in manchem damit berührt, durch Verstandesbetontheit und Streben nach Abstraktion aus. Vollends unter Schulze rückte die Schulung des Denkvermögens und des Pflichtempfindens in den Mittelpunkt. Literarische Werte, Inhalte, die hinter dem Sprachlichen standen, gerieten nicht selten in Vergessenheit. Viele Lehrer verlegten sich wie eh und je darauf, „die Schüler durch verzwickte Grammatikregeln, unübersichtli-che Satzgebilde und hochgradige griechische Verbalformen zu Fall zu bringen und ihnen Übungsstile zu diktieren, in denen zwar kein Sinn war, wohl aber Regeln"70.

Recht eigentlich zurückgeblieben unter den preußischen Bildungseinrichtun-gen war zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Volksschulwesen. Der Berliner Kammergerichtsrat Ludwig von Rönne, der um die Jahrhundertmitte eine umfang-reiche Dokumentation der Verfassung und der Verwaltung des preußischen Staa-tes herausbrachte, hat von einer „bodenlosen Vernachlässigung"71 und Leopold Clausnitzer Jahrzehnte später von einem „ A s c h e n b r ö d e l ,Volksschule'"72 spre-chen können. Dafür war nicht nur der Mangel an Mitteln, der insbesondere nach den opferreichen Jahren der französischen Okkupation und der Befreiungskriege in Preußen herrschte, verantwortlich, sondern auch das Bestreben der Obrigkeit, die Untertanen in den Ständen festzuhalten, in die sie hineingeboren worden waren. So hatte König Friedrich Wilhelm III. in einer Zirkularverfügung an sämtliche Regimenter und Bataillone, den Unterricht in den Garnisonschulen betreffend, vom 31. August 179973 davon gesprochen, daß einige der Garnison-schulen sich ihre Ziele zu hoch steckten. Die Zeit, welche man in den Volksschu-len auf „oberflächlichen Unterricht in Wissenschaften" verwendete, war nach

6 8 Dazu treffend Franz Schnabel, Das humanistische Bildungsgut im Wandel von Staat und Gesellschaft (Akademierede), 2. Aufl., München 1964, 47 f.

69 Ebd., 47. 70 Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Bd. 2,2. Aufl.,

Freiburg i. Br. 1949, 352. 71 von Rönne (Anm. 60), Bd. 1, Berlin 1855, 316. 72 Leopold Clausnitzer, Geschichte des preußischen Unterrichtsgesetzes mit besonde-

rer Berücksichtigung der Volksschule, hrsg. v. H. Rosin, 6. Aufl., Spandau bei Berlin 1912, 51.

73 Bei von Rönne (Anm. 71), 89 ff.

Nationalpädagogische Bestrebungen oder Dienst für den Staat? 243

seiner Meinung „größtenteils verloren". Der Schüler vergesse das Gehörte sehr bald — und was noch in seinem Gedächtnisse haften bleibe, seien „unvollständige Begriffe, aus welchen falsche Schlüsse und solche Neigungen entstehen, deren Befriedigung sein Stand ihm nicht verstattet, und welche ihn nur mißvergnügt und unglücklich machen"74.

Trotz dieser Furcht vor „Überbildung" der Unterschichten, die niemals ganz zum Verstummen gebracht werden konnte, ist es mit der preußischen Volksschu-le, wenn auch langsam, aufwärts gegangen75. Und es ist eine Ironie der Geschich-te, daß das zu einem großen Teile demjenigen zu danken war, der sich beim Könige, 1819 in das neuerrichtete Oberzensurkollegium und in das Unterrichtsmi-nisterium berufen, durch seine bereits berührte Kritik an der angeblich gleichma-cherischen Tendenz des Süvernschen Unterrichtsgesetzentwurfes empfohlen hat-te: Georg Philipp Ludolph Beckedorff 76. Der Niederschlag seines Werkes war das Zirkularreskript an sämtlichen Provinzialschulkollegien, betreffend die Prü-fung und Anstellungsfähigkeit der Schulamtskandidaten und das Verhältnis der Schullehrerseminarien zu dem Schulwesen der Provinzen vom 1. Juni 182677. Hatte es 1812 in Preußen nur sieben Lehrerbildungsanstalten gegeben, so bestan-den 1840 (auf freilich größerem Staatsgebiet) 28 Hauptseminare78. Beckedorff, der bereits 1827 infolge Übertritts zum Katholizismus seines Amtes verlustig ging, hat die Lehrerbildungsanstalten als die Seele des gesamten Schulbetriebs entdeckt und sie in einer unmittelbar zupackenden Art mehr und mehr für ihre Aufgabe tüchtig gemacht, weshalb ihn Wilhelm Harnisch, als Seminardirektor in Breslau und Weißenfels keiner seiner unkritischen Bewunderer, einen „wahren Vater der Seminare" nannte79.

Am Ende ist es in der Ära Altenstein tatsächlich dahin gekommen, daß die Volksbildung „etwas anderes" geworden war als — so der Minister in einem Immediatbericht vom 31. Juli 1829 — „ein notdürftiger Unterricht in den bloßen

74 Ebd., 90. 75 Zur Entwicklung der deutschen Volksschule siehe: Handbuch der deutschen Bil-

dungsgeschichte, Bd. 3, hrsg. v. Karl-Ernst Jeismann und Peter Lundgreen, München 1987,123 ff. (GerdFriederich). Siehe auch EduardSpranger, Zur Entstehungsgeschichte der deutschen Volksschule (Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaf-ten, Jg. 1944, Philosophisch-historische Klasse, Nr. 1), Berlin 1944.

7 6 Über ihn siehe Fritz Fischer, Neue deutsche Biographie 2, Berlin 1955, 709. Vgl. auch Reinhard Lüdicke, Die Preußischen Kultusminister und ihre Beamten im ersten Jahrhundert des Ministeriums. 1817-1917, Stuttgart und Berlin 1918, 44. Aus der Sicht des Mitarbeiters: Wilhelm Harnisch, Der jetzige Standpunkt des gesamten Volksschulwe-sens, mit besonderer Beachtung seiner Behörden wie der Bildung und äußeren Stellung seiner Lehrer; geschichtlich nachgewiesen mehr für Beamte und Ständemitglieder als für Lehrer, Leipzig 1844, 59 ff. und (über Beckedorffs Konversion) 69 ff.

77 Text bei von Rönne (Anm. 71), 411 ff. 78 Nach Heinrich Lewin, Geschichte der Entwicklung der preußischen Volksschule,

Leipzig 1910, 189 f., und. Heinrich Heppe, Geschichte des deutschen Volksschulwesens, Bd. 3, Gotha 1858, 134 ff.

79 Harnisch (Anm. 76), 61.

16*

244 Peter Mast

Vehikeln der Kultur: Lesen, Schreiben, Rechnen"80. Allerdings sah sich die preußische Volksschule in ihrer Wirkung durch das zeitgenössische Übel der Kinderarbeit eingeschränkt. Waren 1822 1 950 000 Kinder ohne jeden Unterricht gewesen, so blieben 1840 noch immer mehr als eine halbe Million dem Unterricht fern 81. Das Regulativ „Über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken" vom 9. März 183982 verriet den staatlichen Willen zur Abhilfe, ohne freilich noch dem Schaden selbst zu Leibe zu gehen83.

III.

Die moderne Forschung zur preußischen Bildungsgeschichte verdankt das Interesse an ihrem Gegenstand der Bildungsdiskussion und Bildungsreform der sechziger und der siebziger Jahre und hat unsere Kenntnis in manchem bereichert. Aber sie hat infolge ihres aktuellen Bezugs den Ergebnissen der preußischen Bildungspolitik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht gerecht werden können. Karl-Ernst Jeismann machte dem preußischen Bildungswesen jener Jahre 1970 zum Vorwurf, daß „die straffe Bildungsorganisation, das hochgesteckte philologische und literarische Bildungsziel und die an Bildungsnachweise gebun-dene Laufbahnreglementierung sozial abschließend gegenüber den unteren Klas-sen" gewirkt habe84.

Ganz abgesehen davon, daß diese sozial abschließende Wirkung nur bedingt eingetreten ist, wie die Forschung seither gezeigt hat85, ist nach der Legitimität des Maßstabes zu fragen, an dem hier der historische Gegenstand gemessen wird. Mit welchem Recht wird in den auf der modernen Forschung beruhenden Veröf-fentlichungen immer wieder über einen „elitären" Zug des preußischen Bildungs-wesens geklagt?86 Dieser Sichtweise liegt die seit den sechziger Jahren verbreite-

8 0 Nach Johann Tews, Ein Jahrhundert preußischer Schulgeschichte. Volksschule und Volksschullehrerstand in Preußen im 19. und 20. Jahrhundert, Leipzig 1914, 86.

8 1 Ebd., 104 ff.; Konrad Fischer, Geschichte des Deutschen Volksschullehrerstandes, Bd. 2, 2. Aufl., Hannover/Berlin 1898, 180, Anm. 1.

8 2 Druck bei von Rönne (Anm. 71), 618 f., und Ernst Rudolf Huber (Hrsg.), Deutsche Verfassungsdokumente. 1803-1850 (Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1), Stuttgart 1961, Nr. 26. Siehe dazu auch Peter Bucher, Kinderarbeit im 19. Jahrhundert. Die Anwendung des Regulativ des 9. März 1839 im Regierungsbezirk Koblenz, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 9 (1983), 221 ff.

S3 Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte (Anm. 7), Bd. 2, Stuttgart 21975, 29. 84 Karl-Ernst Jeismann, Gymnasium, Staat und Gesellschaft in Preußen. Vorbemer-

kungen zur Untersuchung der politischen und sozialen Bedeutung der,»höheren Bildung" im 19. Jahrhundert, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 21 (1970), 465.

8 5 Siehe etwa Margret Kraul, Gymnasium und Gesellschaft im Vormärz. Neuhumani-stische Einheitsschule, städtische Gesellschaft und soziale Herkunft der Schüler (Studien zum Wandel von Gesellschaft und Bildung im Neunzehnten Jahrhundert, Bd. 18), Göttin-gen 1980; zusammenfassend Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte. 1800-1866. Bür-gerwelt und starker Staat, München 1983, 460 f.

Nationalpädagogische Bestrebungen oder Dienst für den Staat? 245

te, in vielem einem westlichen Neomarxismus verpflichtete Ansicht zugrunde, daß Bildungspolitik zu einer „Demokratisierung" der Gesellschaft (man könnte auch sagen: Egalisierung nach unten) beizutragen habe. Dementsprechend bemän-gelte noch im Jahre 1982 der damalige Bundesminister für Bildung und Wissen-schaft, Björn Engholm (SPD), daß Sprache, Unterrichtsformen, Leistungsmaßstä-be und Verhaltensanforderungen in den Schulen, zumal am Gymnasium, vom Alltag der Arbeiterkinder nach wie vor weit entfernt seien. Er warnte vor einem „Roll-Back in der Pädagogik", dessen Ziel es sei, „wieder stärker auf Leistung zu setzen, wieder stärker zu selektieren"87.

Die Frage, ob sich die hiermit angedeutete gesellschaftspolitische Anforderung mit dem Wesen von Erziehung und Bildung verträgt, muß hier unerörtert bleiben; festzustellen ist hingegen, daß sie mit den Problemen der preußischen Bildungsre-form in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nichts zu tun hat, nur dank des Dranges Nachgeborener, die Vergangenheit nach dem Maß ihrer eigenen Glau-bensüberzeugungen zu zensieren, mit dem historischen Gegenstand in Beziehung gesetzt wurde. Denn die wichtigste Aufgabe des Reformzeitalters bestand in der Überwindung der sozialen Statik des noch ständisch geprägten Ancien Régimes durch Weckung und Förderung der Initiative des Bürgers. Es galt, den Weg weg von der Privilegiengesellschaft, hin zur Leistungsgesellschaft zu beschreiten — im Kampfe gegen die Kräfte der Reaktion, die, wie gezeigt, etwa mit Hilfe der Volksschule die ständische Gliederung zu erhalten suchten. Neuerdings hat Jeis-mann zwar den alten Maßstab nicht aufgegeben, aber doch erkannt, daß das strikte, gesinnungstüchtige Messen an ihm der historischen Wirklichkeit der preußischen Bildungsreform Gewalt antut. Im dritten Bande des Handbuchs der deutschen Bildungsgeschichte von 1987 schrieb er: „Das historische Urteil muß sich hüten, die Faktizität des Unterrichtswesens am Ende des [19.] Jahrhunderts mit der Idealität der Reformentwürfe an seinem Anfang wertend zu vergleichen. Vergleicht man die wirklichen Zustände von 1800 und 1870, kann nur ein Absehen von der Bedingtheit aller historischen Prozesse zu der Klage führen, daß sich eine strikte Demokratisierung der Bildungsorganisation und eine Egali-sierung der Erziehungsangebote nicht eingestellt habe"88.

Man ist noch weiter gegangen und hat nicht nur eine sozial abschließende Wirkung des preußischen Bildungssystems konstatiert, sondern hinter der Festle-gung von Leistungsstandards geradezu „Strategien" zur sozialen Konservierung am Werke gesehen. Schuckmanns und Kamptz' Widerstand gegen die altsprachli-chen Anforderungen des Gymnasiums und dessen Monopolstellung im höheren

86 Etwa bei Peter Lundgreen, Techniker in Preußen während der frühen Industrialisie-rung. Ausbildung und Berufsfeld einer entstehenden sozialen Gruppe (Einzelveröffent-lichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 16), Berlin 1975, 56 ff., 43 f. und 46 f.

87 Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24. 3. 1982. 88 Handbuch (Anm. 75), 110.

246 Peter Mast

Schulwesen89 hätten Zweifel an der Richtigkeit einer solchen, von einem gewissen Standpunkt aus zwingend erscheinenden Erklärung aufkommen lassen müssen.

Doch die einseitig sozialgeschichtliche Betrachtungsweise der modernen Bil-dungsgeschichtsforschung macht offensichtlich in einem weitgehenden Sinne unfähig dazu, die Wirksamkeit von Ideengut wie das des Neuhumanismus für möglich zu halten und es nicht als Maskierungen sozioökonomischer Interessen zu werten. Gerade die Zeit der deutschen Klassik, die „Goethezeit", und damit auch die der preußischen Reform war in einem großen Maß von Ideen bestimmt und von dem Glauben erfüllt, daß die Ideen die Welt beherrschten. Das galt insbesondere für Minister von Altenstein, der selbst die Entscheidung über die Wahrung der Autorität des preußischen Staates und die Stellung der deutschen Sprache im Großherzogtum bzw. der Provinz Posen auf der Ebene des Geistigen und des Moralischen fallen sah. Um so eher darf man Altenstein und auch Schulze beim Worte nehmen, wenn sie sich im Zusammenhange des Bildungswesens und der Bedeutung des altsprachlichen Unterrichts auf geistige Fundamente beriefen, deren Tragfähigkeit die Zukunft des preußischen Staates verbürgten90.

89 Dazu Mast, Preußische Schulreform (Anm. 51), 134 ff. 90 Näheres ebd.

Die Bedeutung des Hardenbergschen Edikts von 1812 für den Emanzipationsprozeß der preußischen Juden

im 19. Jahrhundert

Von Stefan Hartmann, Berlin

Nach Arno Herzig vollzog sich der Emanzipationsprozeß der preußischen Juden im 19. Jahrhundert in sechs Phasen. Die erste, die sogenannte Aufklä-rungsphase, umfaßt die Zeit von 1781 — in diesem Jahr erschien der erste Band von Dohms Buch „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden" — bis zum Erlaß des Hardenbergschen Emanzipationsedikts im Jahre 1812. Die zweite, von restaurativen Maßnahmen bestimmte Phase betrifft die Zeit vom Wiener Kongreß bis zur Verkündung des Judengesetzes am 23. Juli 1847, als die preußische Regierung versuchte, die jüdische Minderheit als Korporation aus der bürgerli-chen Gesellschaft auszugliedern. Die dritte fällt in die Zeit der Revolution von 1848 / 49, in der lediglich in der Theorie die Gleichstellung durch die Erklärung der bürgerlichen Grundrechte erreicht wurde. In der vierten, von 1850 bis zum Beginn der 1860er Jahre reichenden Phase konnte zwar das Rad der Geschichte nicht mehr auf den Stand vor 1848 zurückgeschraubt werden, dennoch dauerten die Versuche, den Emanzipationsprozeß der Juden zu hemmen, in dieser Zeit an. Die darauf folgende fünfte Phase lief parallel mit der Liberalisierung der

, Wirtschaft, deren Kennzeichen die Gewerbegesetzgebung und der Übergang von der älteren Bürger- zur modernen Einwohnergemeinde waren. Sie fand ihren Abschluß in der im Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869 vollzoge-nen völligen rechtlichen Gleichstellung der Juden mit den Christen, die 1871 für das gesamte Deutsche Reich verbindlich wurde. Die sechste und letzte Phase setzte schon in den 1870er Jahren ein und wurde durch die wirtschaftliche Depression und die Abwendung vom bürgerlichen Liberalismus bestimmt. Damit hing das verstärkte Aufflammen antijüdischer Stimmungen zusammen, die nun zunehmend in der Ideologie des Antisemitismus verfestigt wurden1.

In diesem Zusammenhang gilt es, das Edikt betreffend die bürgerlichen Ver-hältnisse der Juden vom 11. März 1812 zu betrachten, das zu den wichtigsten Reformgesetzen Steins und Hardenbergs gehört. Es stellte die Juden in bürgerli-chen Beziehungen grundsätzlich den christlichen Staatsuntertanen gleich, wenn sie feste Familiennamen annahmen und sich im Rechts- und Handelsverkehr der

1 Arno Herzig, Die Juden in Preußen im 19. Jahrhundert, in: Peter Freimark (Hrsg.), Juden in Preußen — Juden in Hamburg (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deut-schen Juden 10), Hamburg 1983, 32-58 (hier 33 f.).

248 Stefan Hartmann

deutschen Sprache und Schrift bedienten. Sie erhielten das Recht, akademische Lehr-, Schul- und Gemeindeämter zu verwalten, während ihnen die Staatsämter in Justiz und Verwaltung wie auch die Offiziersstellen verschlossen blieben. Die das Staatsbürgerrecht besitzenden Juden konnten nunmehr städtischen und ländli-chen Grundbesitz erwerben und sollten in ihren privatrechtlichen Verhältnissen nach den für die anderen preußischen Staatsbürger geltenden Gesetzen beurteilt werden2. Großen Einfluß auf das Zustandekommen dieses Edikts hatte die Stein-sche Städteordnung vom 19. November 1808, die den Juden, soweit sie den vorgeschriebenen Anordnungen genügten, die Möglichkeit zum Erwerb des Bür-gerrechts und damit auch des aktiven und passiven Wahlrechts einräumte. Das Gesetz von 1812 ist überdies eng mit der Person Humboldts verknüpft, der in seiner Denkschrift vom 17. Juli 1809 die Gleichstellung der Juden mit den Christen in allen Bereichen gefordert hatte und das Wort „Jude" in keiner anderen Beziehung als in der religiösen mehr gelten lassen wollte3. Das Hardenbergsche Edikt ist insofern bedeutsam, als es an die Stelle der bisherigen unterschiedlichen Rechtsverhältnisse der preußischen Juden — das friderizianische Generalregle-ment von 1750 unterschied hier zwischen den Kategorien der generalprivilegier-ten, ordentlichen und außerordentlichen Schutzjuden sowie der tolerierten Juden4

— ein einheitliches Staatsbürgerrecht der Juden setzte. Nachteile des Hardenberg-schen Edikts waren indes seine Begrenzung auf das Restpreußen, das Napoleon nach dem Tilsiter Frieden übriggelassen hatte — gemeint sind damit die Provinzen Brandenburg, Preußen, Pommern und Schlesien — sowie das Offenlassen der Frage der Bekleidung öffentlicher Staatsämter. Schon bald sollte sich erweisen, daß die preußischen Juden, die sich jetzt als „jüdische Preußen" bezeichneten5, nur in privatrechtlicher Sicht den Christen gleichgestellt waren. Von einer wirkli-

I chen Emanzipation des Judentums konnte daher selbst in den alten preußischen Provinzen keine Rede sein.

Arno Herzig führt aus, daß das Hardenbergsche Edikt nicht den Anfang, sondern den Endpunkt der fortschrittlichen Entwicklung am Ende des 18. Jahrhun-derts darstellt. Hardenberg habe sich kaum in der Tradition von Dohm und Mendelssohn gesehen, indem er den Juden weitergehende Rechte verlieh. Nur soweit der Bürger als „homo oeconomicus" im Staat bestimmend wurde, war auch der Jude emanzipiert. Von Liberalismus konnte damals noch keine Rede sein6. Festzuhalten bleibt, daß die Judenemanzipation von 1812 zum integrieren-

2 Vgl. Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten (1812) Nr. 5; Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restaura- , tion 1789 bis 1830, Stuttgart 1957, 199 f.; Heimann Jolowicz, Geschichte der Juden in' Königsberg i. Preußen, Posen 1867, 123 f.

3 Bruno Gebhardt, Wilhelm vom Humboldt als Staatsmann, Bd. 1: Bis zum Ausgang des Präger Kongresses, Stuttgart 1896, 315.

4 Selma Stern, Der Preußische Staat und die Juden. T. 3: Die Zeit Friedrichs des Großen, 1. Abt.: Darstellung, Tübingen 1971, 79 f.

5 Jolowicz (Anm. 2), 124. 6 Herzig (Anm. 1), 35.

Die Bedeutung des Hardenbergschen Edikts von 1812 249

den Bestandteil eines großen unvollendet gebliebenen Reformwerks, einer „Revo-lution von oben", wurde, die den Versuch unternahm, die Umwandlung der ständischen Ordnung in die moderne Gesellschaft unter Führung und Kontrolle des Staates zu vollziehen. Dem Wesen dieser Gesamtreform entsprach, daß man sich trotz einiger entschiedener Ansätze nicht zu einer völligen Gleichstellung der Juden durchringen konnte und dem Edikt von 1812 den Charakter eines Erziehungsgesetzes gab7.

Die Durchführung des Hardenbergschen Emanzipationsedikts läßt sich in Kö-nigsberg anhand eines Generalverzeichnisses der dortigen Judenschaft vom 24. März 1812, das im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin überliefert ist, im einzelnen nach vollziehen8. Es stellt die erste Staatsbürgerliste der Königsberger Juden dar, die von der örtlichen Polizeibehörde geführt wurde. Jedes jüdische Familienhaupt — als solches wurde jeder Jude angesehen, der nicht mehr unter väterlicher Gewalt stand, unabhängig davon, ob er ein eigenes Gewerbe betrieb oder bei einem anderen diente — hatte unaufgefordert seine Angaben bei der listenführenden Stelle zu machen. Anderenfalls verzichtete es auf die Erlangung des Staatsbürgerrechts. Die Quelle läßt die Schwierigkeiten erkennen, die für die Juden mit der Annahme fester Familiennamen verbunden waren. Diese lagen in der starken Veränderlichkeit jüdischer Namen nicht nur in der Schreibweise, sondern auch durch die Möglichkeit, Personen entweder mit dem Familiennamen, dem Patronymikum, dem Herkunfts- oder Berufsnamen zu bezeichnen, was bis heute die jüdische Familienforschung erschwert9. Die von hebräischen Rufnamen abgeleiteten Familiennamen bilden die größte Kate-gorie in der Königsberger Aufstellung von 1812. Großen Einfluß auf jüdische Familiennamen übten auch Herkunftsbezeichnungen wie Orts-, Stammes- und Hausnamen aus. Der im 19. Jahrhundert im Zuge der Assimilierung breiter Kreise des preußischen Judentums an ihre christliche Umwelt verstärkte Gebrauch deut-scher Rufnamen ist 1812 in Königsberg erst in Ansätzen erkennbar. Eine wichtige Erkenntnis ist, daß das Emanzipationsedikt von 1812 den Übertritt von Königs-berger Juden zum Christentum förderte, die damit ihre völlige Gleichstellung mit den Christen erreichen wollten. Nach den Angaben der Königsberger Polizei-behörde vollzogen zwischen 1812 und 1816 18 dortige jüdische Staatsbürger diesen Schritt. Von 1812 bis 1840 ließen sich 166 Königsberger Juden evangelisch taufen10.

7 Reinhard Rürup, Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur „Judenfrage" der bürgerlichen Gesellschaft (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 15), Göttingen 1975, 20.

s Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (abgek. GStAPK), XX. HA Rep. 17/11 Abt. 26, Nr. 24 a.

9 Hans-Jürgen Krüger, Die Städteordnung von 1808 und das Königsberger Judenbür-gerbuch, in: Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte Ost- und Nordeuropas (Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des Europäischen Ostens 55), Wies-baden 1971, 211.

10 GStAPK, XX. HA Rep. 17/11 Abt. 26, Nr. 31.

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Wenn auch das Emanzipationsedikt von 1812 den Assimilationsprozeß der preußischen Juden förderte, wovon allerdings zunächst nur die dünne Schicht des sich allmählich entwickelnden jüdischen Groß- und Bildungsbürgertums erfaßt wurde, boten seine 39 oft nicht eindeutig formulierten Paragraphen der sich nach 1815 in Preußen verfestigenden Reaktion viele Möglichkeiten, ihrer Idee eines christlichen Staates, in dem alle nichtchristlichen Mitglieder aus den bestimmenden Gremien ferngehalten werden sollten, Geltung zu verschaffen. Dieser den Emanzipationsprozeß hemmende Gesichtspunkt sollte bis zur Verfas-sung des Norddeutschen Bundes in der preußischen Judengesetzgebung zentrale Bedeutung haben. Hinzu kam, daß auf dem Wiener Kongreß keine einheitliche Regelung der Judenemanzipation in Deutschland erreicht wurde. Der entspre-chende Artikel 16 der Bundesakte beließ es lediglich bei einer allgemeinen Zusicherung der Beratung und Entscheidung dieser Frage durch die Bundesver-sammlung und einer Garantie des gegenwärtigen Rechtsstandes der Juden11. Als verhängnisvoll erwies sich, daß die Aussetzung der Einführung des Hardenberg-schen Edikts auf die neupreußischen Gebiete ein folgenschwerer Rückschlag für die Judenemanzipation in Preußen darstellte. Am 5. September 1817 hatte ein Ministerialreskript verfügt, „die in den neuen Provinzen sich befindenden Juden in eben der Lage zu belassen, in welcher sie bei der Occupation angetroffen worden sind"12. Die hier sichtbare Politik des Aufschiebens hatte nicht nur ihre Ursache in dem sich nach 1815 vollziehenden Umschwung zur Restauration, sondern auch in der Schwierigkeit, das in den westlichen Gebieten geltende französische Recht, das allerdings 1808 durch ein Napoleonisches Dekret zuun-gunsten der Juden verändert wurde, aber doch noch fortschrittlicher als die Gesetzgebung in anderen Teilen Preußens war, mit dem für die östlichen Provin-zen maßgebenden Edikt von 1812 und rückständigeren Verhältnissen in anderen Landesteilen in Einklang zu bringen. Als alleiniger Ausweg bot sich hier die Zugrundelegung des Emanzipationsgesetzes von 1812 — allerdings in einer Veränderung des § 9 hinsichtlich einer Öffnung der Staatsämter — für die Juden an, wenn man den sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung tragen wollte. Dazu war aber die preußische Regierung damals nicht bereit. In einem Gutachten des für die geistlichen Angelegenheiten zuständigen Ministers Altenstein von 1830 hieß es, die Erfahrung widerlege, daß durch eine völlige Emanzipation die „bürgerliche Verbesserung der Juden bewirkt" werde13. So blieb in den folgenden Jahren der Zustand bestehen, daß in der Monarchie zahlreiche Judenverfassungen miteinander konkurrierten, was zu kuriosen Ergeb-nissen führte, zumal auch in einzelnen Provinzen das Bild nicht einheitlich war.

11 Rürup, Emanzipation und Antisemitismus (Anm. 7), 20 f. 1 2 Entwurf zu einer zeitgemäßen Verfassung der Juden in Preußen, Breslau 1842, 11. 13 Stefan Hartmann, Die jüdische Bevölkerung in Ostpreußen von der Emanzipation

bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: Gotthold Rhode (Hrsg.), Juden in Ostmittel-europa von der Emanzipation bis zum Ersten Weltkrieg (Historische und Landeskundli-che Ostmitteleuropa-Studien 3), Marburg 1989, 23-47 (hier 25).

Die Bedeutung des Hardenbergschen Edikts von 1812 251

Abb. 8: Einbürgerungsurkunde für einen Juden.

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Selbst in den dem Edikt Hardenbergs von 1812 unterworfenen Gebieten war das der Fall, wei l in Religionsangelegenheiten weiterhin das Generalreglement von 1750 verbindlich blieb. Besonders verwickelt war die Lage der Juden in der Provinz Sachsen. Hier galten das Edikt von 1812 für einige Ortschaften rechts der Elbe, das Generalreglement von 1750 in Religionsangelegenheiten, die Kon-stitution von 1808 für das ehemalige königl ich westfälische Gebiet und das kursächsische Mandat von 1746 für das frühere königl ich sächsische Gebiet. Es setzte besondere Kenntnisse der Administration voraus, daß in dem zum Kreis Beizig gehörenden Städtchen Treuenbrietzen das Edikt von 1812, in der Kreisstadt Beizig jedoch das die Rechte der Juden stark beschränkende kursächsische Man-dat von 1746 galt. A m rückständigsten war der Status der Juden in einigen Teilen Westfalens, die von Hessen-Darmstadt an Preußen abgetreten worden waren. Dort blieben sie weiterhin Schutzjuden, wenn ihnen auch später das Schutzgeld erlassen wurde. Infolge der Einschränkung des Niederlassungsrechts konnten die Juden nur mi t ministerieller Genehmigung in ein anderes preußisches Gebiet ziehen, um dort einer progressiveren Gesetzgebung teilhaftig zu werden 14 .

Die restriktiven Tendenzen der Judengesetzgebung in den neuen Gebieten wirkten sich auch auf die alten Provinzen aus, wo das Emanzipationsedikt von 1812 zunehmend durchlöchert und zurückgenommen wurde. Ledigl ich eine be-sondere Judengesetzgebung für Posen stellte schließlich 1833 im Großherzogtum eigentümliche Zustände her, die die „Naturalisierung" der dortigen Juden nicht förderten 15. Dieses Gesetz war in viel stärkerem Maße als andere Emanzipationse-dikte ein Erziehungsgesetz, wei l nur diejenigen Juden eine Verbesserung ihrer Rechtsstellung erlangten, die sich in ihrer Sprache und ihrem Verhalten zum preußischen Staat bekannten16. Die Konfusion der Verwaltung in Judenangele-genheiten wuchs, wei l außer den in der Gesetzsammlung veröffentlichten Edikten von 1812 und 1833 keine damals noch bestehende ältere Juden Verfassung den Behörden mitgeteilt worden war. Vieles blieb daher wi l lkür l ichen Entscheidungen der Administration überlassen, die dem Emanzipationsprozeß der Juden ableh-nend gegenüberstand. Auch die preußischen Provinziallandtage hatten sich 1824-1828 durchweg negativ zur Frage der Emanzipation geäußert. Insgesamt waren die Jahre 1815-1847 eine Zeit des Rückschritts gegenüber dem Hardenbergschen Reformedikt von 1812, das allerdings off iziel l in seinem Geltungsbereich nicht aufgehoben wurde und wenigstens unterschwellig — wie bereits erwähnt — im

1 4 G. Riesser, Betrachtungen über die Verhältnisse der jüdischen Unterthanen der Preußischen Monarchie, Altona 1834, 102 f.

15 Jacob Toury, Soziale und Politische Geschichte der Juden in Deutschland 1847-1871. Zwischen Revolution, Reaktion und Emanzipation (Veröffentlichungen des Dia-spora Research Institute 20 = Schriftenreihe des Instituts für Deutsche Geschichte, Universität Tel Aviv 2), Düsseldorf 1977, 282.

16 Stefi Jersch-Wenzel, Zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in der Provinz Posen im 19. Jahrhundert, in: Gotthold Rhode (Hrsg.), Juden in Ostmitteleuropa von der Emanzipation bis zum Ersten Weltkrieg (Historische und Landeskundliche Ostmittel-europa-Studien 3), Marburg 1989, 73-84 (hier 79).

Die Bedeutung des Hardenbergschen Edikts von 1812 253

Bereich einer gewissen Assimilation durch die Förderung der Konversion refor-merischer Juden weiterwirkte, während sich die orthodoxen Kreise infolge ihres Festhaltens am traditionellen Kultus von diesem Prozeß ausschlossen.

Wie sehr damals antiemanzipatorisches Denken in führenden Kreisen der Verwaltung vertreten war, belegt die Denkschrift des westfälischen Oberpräsiden-ten Ludwig von Vincke vom 4. Februar 1827, in der es hieß: „Es wäre zu wünschen, wi r hätten gar keine Juden im Lande. Die wi r einmal haben, müssen wi r dulden, aber unablässig bemüht sein, sie möglichst unschädlich zu machen"1 7 . Die zunehmende Entfernung vom Geist des Hardenbergschen Reformedikts ent-sprach der Stagnation der preußischen Verfassungsentwicklung zwischen 1815 und 1847. Anstelle der im Versprechen des Königs in Aussicht gestellten Natio-nalrepräsentation blieb es bei der Schaffung von Provinzialständen, womit den Konzeptionen der Altständischen und der hinter diesen stehenden restaurativen Hofpartei entsprochen wurde. Für eine fortschrittliche Judengesetzgebung war hier kein Raum. Auch der Beginn der Regierung Friedrich Wilhelms IV . brachte hier zunächst keine Änderung, war doch dieser Monarch ein entschiedener Ver-fechter der Idee eines „christlichen Staates". So sah der dem Vereinigten Landtag 1847 vorgelegte Gesetzentwurf, der eine einheitliche Regelung der jüdischen Rechtsverhältnisse in Preußen außer im Posenschen schaffen sollte, lediglich eine Gleichstellung im wirtschaftlichen Leben, aber keine Gleichheit der staats-bürgerlichen Rechte vor. Die Juden wurden hier als eine ethnisch-religiöse Gruppe betrachtet, deren volle Integration in den christlichen Staat nicht möglich schien. Angestrebt wurde ein korporativer Zusammenschluß der Juden zu „Judenschaf-ten", die eine ihrem Bevölkerungs- bzw. Wähleranteil entsprechende Zahl jüd i -scher Repräsentanten in die Stadtverordnetenversammlungen entsenden sollten. Dadurch sollten die preußischen Juden zumindest teilweise aus der allgemeinen Gesellschaft ausgegliedert und Ausnahmeregelungen unterworfen werden 18 . M i t diesem reaktionären Gesichtspunkt stand die Anregung des Königs im Einklang, in ganz Preußen für alle Juden die allgemeine Wehrpfl icht aufzuheben, wofür er sich schon als Kronprinz ausgesprochen hatte. Nach Auffassung Friedrich Wilhelms IV . sollte in den zukünftigen Naturalisationspatenten nicht mehr „ vom Staatsbürgerrecht", sondern von den „Rechten der Juden nach dem Edikt vom I l t e n März 1812" gesprochen werden, wobei unberücksichtigt blieb, daß das Staatsbürgerrecht gerade den Kern des Edikts von 1812 darstellte19. Hier wi rd der Versuch erkennbar, das Edikt von 1812 auf den Zuschnitt des christlichen Staates zu bringen, d. h. den Juden lediglich bürgerliche, aber keinerlei staatsbür-

17 Reinhard Rürup, Emanzipation und Krise. Zur Geschichte der , Judenfrage" in Deutschland vor 1890, in: Werner Mosse (Hrsg.), Juden im Wilhelminischen Deutschland 1890-1914, Tübingen 1976, 1-56 (hier 8).

18 Ebd., 9. Horst Fischer, Judentum, Staat und Heer in Preußen im frühen 19. Jahrhundert

(Schriftenreihe Wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts 20), Tübingen 1968, 157.

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gerliche Rechte zu gewähren. Aufgrund energischer Proteste des preußischen Judentums, das in der Zeit des Vormärz ein gewichtiger wirtschaftlicher Faktor im Hohenzollernstaat geworden war — nach Jacob Toury waren um 1849 mehr als die Hälfte der preußischen Juden verbürgerlicht, d. h. sie hatten sich eine den neubürgerlichen Auffassungen entsprechende reelle bürgerliche Existenz ge-schaffen 20 — , mußte allerdings die Regierung ihre rückständigen Auffassungen teilweise revidieren, wobei sie der gewandelten Stimmung in den Provinzialstän-den, die sich 1845 mehrheitlich für die Ausdehnung des Edikts von 1812 auf alle Provinzen ausgesprochen hatten, Rechnung zu tragen suchte. Das Gesetz vom 23. Juli 1847 entsprach in vielen Punkten einer gesamtstaatlichen Reform der staatsrechtlichen Verhältnisse der Juden. Ein Rückschritt war jedoch, daß im § 1 — abweichend vom Edikt von 1812 — den Juden der Monarchie nicht die Rechte als Staatsbürger, sondern ledigl ich das Prinzip zugestanden wurde, „neben gleichen Pflichten auch gleiche bürgerliche Rechte mit unseren christli-chen Untertanen" zu besitzen21. Weiterhin blieb den Juden der Zugang zu Staats-ämtern verwehrt, die mi t der Ausübung einer richterlichen, polizeil ichen oder exekutiven Gewalt verbunden waren. Positiv waren dagegen die generell gewähr-te Freizügigkeit und die Zulassung zu bestimmten Kategorien von Schulen — mi t Ausnahme von Berl in blieben Juden allerdings von allen preußischen Univer-sitäten als Lehrende ausgeschlossen — sowie der unbeschränkte Erwerb von Grundbesitz, was jedoch nicht die damit verbundene Ausübung ständischer Rech-te einschloß. Günstig wirkte sich das Gesetz vor allem auf den Status der religiösen Verfassung der Juden aus, die nun in festen Synagogengemeinden zusammenge-faßt wurden. Sie erhielten in bezug auf ihre Vermögensverhältnisse die Rechte juristischer Personen und wurden durch einen Vorstand, der von den Repräsentan-ten der Gemeinde gewählt wurde, geleitet. Trotz gewisser fortschrittlicher Bestim-mungen bedeutete das Festhalten an bestimmten diskriminierenden Kriterien und damit an einer scharf fühlbaren Trennung auf politischer und gesellschaftlicher Ebene, was im Einklang mit der Formel vom „christlichen Staat" stand, keine Verwirkl ichung der Judenemanzipation in Preußen. Erst die Revolution von 1848 bildete einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der „Judenfrage", auch wenn sie nicht den erhofften Abschluß der Emanzipationsgesetzgebung brachte. Die preußischen Juden standen zur Revolution wie die andernorts in einem relativ unkomplizierten Verhältnis, versprachen sie sich doch von ihr nichts weniger als die Erfüllung ihrer Wünsche als Juden und Deutsche22. Bereits in der königl i-chen Verordnung vom 6. Apr i l 1848 „über einige Grundlagen der künftigen preußischen Verfassung" galten die einschränkenden Bestimmungen des Geset-

20 Jacob Toury, Der Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum, in: Hans Liebeschütz (Hrsg.), Das Judentum in der Deutschen Umwelt 1800-1850 (Schriftenreihe Wissen-schaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts 35), Tübingen 1977, 139-242 (hier 230).

21 Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1812, Nr. 30. 22 Fischer (Anm. 19), 193.

Die Bedeutung des Hardenbergschen Edikts von 1812 255

zes von 1847 weitgehend als aufgehoben. Im Juli 1848 wurde erstmals die Rückkehr eines getauften Juden zu seiner ursprünglichen Religion gestattet, ohne daß der Betreffende dabei seine politischen Rechte verlor. Auch im Heer fielen sämtliche Beschränkungen bei der Beförderung jüdischer Soldaten weg. Den Abschluß dieser Entwicklung bildete der in der Verfassung vom 5. Dezember 1848 verkündete Grundsatz der Religions- und Gewissensfreiheit und der Unab-hängigkeit der staatsbürgerlichen Rechte vom Glaubensbekenntnis23.

Nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49 und dem Wiedererstarken der Reaktion kam es in Preußen in der „Judenfrage" wie in anderen Bereichen grundsätzlich zu keiner einfachen Rückkehr zu vorrevolutionären Prinzipien. Kennzeichnend für die 1850er Jahre war vielmehr eine „tiefgreifende Unsicher-heit der Rechtsverhältnisse der Juden", die von einer weitgehend stagnierenden Gesetzgebung und gleichzeitigem Fortschritt der sozialen Integration — wofür das Hardenbergsche Edikt von 1812 erste Voraussetzungen geschaffen hatte — begleitet wurde.

Zwar enthielt die preußische revidierte Verfassung vom 31. Januar 1850 den Gleichheitsgrundsatz für die verschiedenen Konfessionen, der von der Ideologie vom „christlichen Staat" bestimmte Art ikel 14 schränkte diesen jedoch erheblich ein. Die Spannungen zwischen diesen beiden Verfassungsbestimmungen wurden von der Regierung in der Regel im Sinne des „christlichen Staates" entschieden und auf diese Weise die in Art ikel 12 ausgesprochene Emanzipation ständig ausgehöhlt. Wie schon im Gesetz von 1847 blieben die Juden von der Wahrneh-mung ständischer Rechte in den Kreis- und Provinziallandtagen ausgeschlossen. Erschwert war ihnen der Zugang zu öffentlichen Ämtern, was in der juristischen Laufbahn besonders strikt gehandhabt wurde. Die Bekleidung von Lehrämtern im öffentlichen Bildungswesen war ihnen versagt. Eine Ausnahme bildete hier — wie schon erwähnt — nur die Universität Berlin, während die Universitäten Bonn, Halle, Königsberg und Greifswald lediglich in Ausnahmefällen die Beru-fung jüdischer Wissenschaftler zuließen. Diese Ausgliederung wurde von der jüdischen Bildungsschicht als besonders reaktionär empfunden, wei l sie an den fortschrittlichen Strömungen im Vormärz und im Revolutionsjahr 1848 beachtli-chen Antei l hatte. Ein Beispiel dafür liefert Königsberg, wo der durch seine Flugschrift „V ier Fragen beantwortet von einem Ostpreußen" bekannt gewordene Johann Jacoby, der Literat Ludwig Walesrode und der Schriftsteller Ferdinand Falkson als Repräsentanten des gesellschaftlichen Fortschritts, der nach ihrer Meinung nur durch die völl ige Gleichstellung der Juden mit den Christen zu erreichen war, hervortraten. Anders als im Vormärz war die jüdische Minderheit in Preußen — gemeint ist damit die Schicht des Bildungs- und Großbürgertums — nach 1850 nicht mehr bereit, auf den endgültigen Abschluß der Emanzipation zu verzichten. M i t Recht sieht hier Toury die 48er Revolution als „innerjüdischen Wendepunkt", was dazu führte, daß man das, was man in den 1820er und 1830er

23 Ebd., 196 f.

256 Stefan Hartmann

Jahren als Gnade erbeten hatte, nun als Recht forderte. Dabei wurde die Emanzipa-t ion nicht mehr als Rechtsfrage, sondern als Konsequenz der sozialen Entwicklung gedeutet24. Die Revolution führte auch zu einer Lockerung des jüdischen Zusam-mengehörigkeitsgefühls und zu einer verstärkten Assimilation reformerischer Kreise des preußischen Judentums an ihre christliche Umwelt , was für den Verlauf des Emanzipationsprozesses große Bedeutung bekommen sollte.

Die nach 1850 volleinsetzende Industrialisierung in Preußen, die jüdische Unternehmer und Bankiers in erheblichem Maße mittrugen — gerade das Juden-tum hatte an dem sich nach der Wirtschaftskrise von 1857 schnell vollziehenden Aufschwung in Preußen großen Antei l — führte im Verbund mi t der sich heraus-bildenden Vormachtstellung des Liberalismus zum entscheidenden Umschwung in der Diskussion der „Judenfrage". A m Ende dieser Entwicklung stand die endgültige rechtliche Gleichstellung der Juden im Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869, wobei festzuhalten bleibt, daß der preußische Staat bis 1918 von sich aus und in seinem engeren Rahmen die sich widersprechenden Paragraphen 12 und 14 der Verfassung von 1850 nicht im liberalen Sinne interpre-tiert und damit dem Judengesetz von 1847 lebendige Gesetzeskraft bewahrt hat. Die Vollemanzipation der Juden kam vom Norddeutschen Bund und dem Deut-schen Reich, nicht von Preußen25.

Durch die Übernahme des Norddeutschen Bundesgesetzes von 1869 in die Bismarcksche Reichsverfassung 1871 war die fast 90 Jahre in Preußen geführte Emanzipationsdebatte, die im Hardenbergschen Edikt von 1812 zu ersten wicht i-gen Ergebnissen in dem Prozeß der rechtlichen Gleichstellung der preußischen Juden geführt hatte, abgeschlossen. Erst jetzt waren die Ziele erreicht worden, die 1812 allenfalls in Umrissen erkennbar sind. Was damals lediglich in privat-rechtlicher Hinsicht — und auch nur unvol lkommen — den Juden zuerkannt worden war, der im Edikt von 1812 verwandte Begriff „Staatsbürger" ist insofern mit Vorsicht zu gebrauchen, als nach § 9 den hier angesprochenen Juden der Zugang zu Staatsämtern und öffentlichen Bedienungen verwehrt blieb, wurde ihnen nun unter Wegfal l aller Klauseln in allen Bereichen des öffentlichen Lebens gewährt. Erst jetzt, sieht man einmal vom Revolutionsjahr 1848/49 ab, kann mari mit Fug und Recht die Juden als Staatsbürger bezeichnen. Der Abschluß des Emanzipationsprozesses wäre ohne den schnellen wirtschaftlichen Auf-schwung des preußischen Judentums undenkbar gewesen. Während zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Gros der Juden zu den sozialen Randgruppen zählte, gehörten 1848 bereits 33 Prozent der preußischen Juden zum Groß- und Mittelbür-gertum, 25-27 Prozent zum Kleinbürgertum und nur noch 40-43 Prozent zur Marginal- und noch nicht verbürgerten Schicht. Durch den Eintritt von Juden in

24 Herzig (Anm. 1), 38; Jacob Toury, Die Revolution von 1848 als innerjüdischer Wendepunkt, in: Hans Liebeschütz (Hrsg.), Das Judentum in der Deutschen Umwelt 1800-1850 (Anm. 20), 359-376.

25 Toury, Soziale und politische Geschichte der Juden in Deutschland (Anm. 15), 317.

Die Bedeutung des Hardenbergschen Edikts von 1812 257

das Großbürgertum der Städte konnten diese in wirtschaftlicher Sicht schon die Emanzipation vor der verfassungsmäßigen Gleichstellung vollziehen, während sich auf dem platten Lande der grundbesitzende Adel, vor allem aber die bäuerlich und handwerklich orientierten Mit tel- und Unterschichten diesem Prozeß wider-setzen. Daß die preußischen Juden am Wirtschaftsaufschwung nach 1860 größe-ren Antei l hatten, zeigt sich an ihrem Steueraufkommen nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht. So gehörten 1874 15 Prozent der Breslauer Juden und nur 2 Prozent der dortigen Christen der höchsten, 49 Prozent der Juden und 13 Prozent der Christen der mittleren und 36 Prozent der Juden gegenüber 85 Prozent der Christen der unteren Steuerklasse an2 6 .

Aufschlußreich ist, daß alle „Erziehungsmaßnahmen" des preußischen Staates, der aus jüdischen Kaufleuten, Krämern und Händlern Handwerker und Bauern machen wollte, an der traditionellen Berufsstruktur der Juden nichts änderten. Schwerpunkte der jüdischen Betätigung blieben nach wie vor Handel und Ge-werbe, wobei der sich nach der Reichsgründung vollziehende Prozeß der Ver-schiebung vom Klein- und ambulanten zum Groß- und Geldhandel nur eine Modif izierung darstellt. Die Herausbildung eines jüdischen Bildungsbürgertums und der damit verbundene Prozeß der Akkulturation förderten zwar in außeror-dentlichem Maße die Emanzipation des preußischen Judentums, beschränkten sich jedoch auf eine sehr dünne Bevölkerungsschicht. Die Einseitigkeit der jüdi-schen Berufsstruktur konnte dadurch nicht überwunden werden.

Eine wesentliche Schwäche des Hardenbergschen Reformedikts bestand darin, daß es keine sofortige umfassende, sondern nur eine stufenweise Emanzipation der Juden, die wichtige Fragen der Gleichstellung, z. B. den uneingeschränkten Zugang zu Staatsämtern, außer acht ließ und überdies nicht für die neuen preußi-schen Provinzen galt, darstellte. Das Hauptproblem der stufenweisen Emanzipa-t ion lag darin, daß sie nur schwer zum Abschluß zu bringen war und mit fortschrei-tender sozialer Umschichtung und wachsender wirtschaftlicher Bedeutung der Juden der Widerstand gegen den Abbau der letzten Barrieren in breiten Volks-schichten eher größer wurde. Nach Reinhard Rürup bleibt festzuhalten, daß in Preußen wie in anderen deutschen Staaten nicht die Erfolge einer bestimmten Judenpolitik, sondern die allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Ent-wicklungen den Abschluß der Emanzipationsgesetzgebung bewirkt hatten27. Als belastend für die preußische Judenemanzipation wirkte sich auch aus, daß der erwähnte Art ikel 16 der Bundesakte einer unterschiedlichen Gangart der einzel-nen Staaten in der „Judenfrage" Raum ließ. Humboldt hatte bereits erkannt, daß ein Land allein in dieser Frage, in der es um die Überwindung eingewurzelter Vorurteile ging, kaum etwas ausrichten konnte, solange die Judengesetzgebung im Nachbarstaat an reaktionären Prinzipien festhielt. Die Debatten in den vor-

26 Ebd., 110; Herzig (Anm. 1), 43. 27 Rürup, Emanzipation und Antisemitismus (Anm. 7).

17 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

258 Stefan Hartmann

märzlichen Kammern bestätigen, daß man sich in der Judenpolitik gern auf die Verhältnisse in anderen Staaten des Deutschen Bundes berief, um die im eigenen Land praktizierte Hemmung der Judenemanzipation damit zu rechtfertigen. Im-mer wieder wies man auf Preußen mit seiner relativ großzügigen Gesetzgebung von 1812 hin, um daran die Feststellung zu knüpfen, daß auch dadurch wenig gewonnen sei. Den weit in die Zukunft weisenden fortschrittlichen Charakter des Hardenbergschen Reformedikts woll te oder konnte man andernorts nicht sehen, zumal dieses nur für einen kleinen Tei l der preußischen Monarchie galt und auch dort bereits vielfält ig durchlöchert war 2 8 . Eine gewichtige Rolle spielte auch, daß die Gegner einer Judenemanzipation damit argumentierten, andere Emanzipationsforderungen seien ebenso wicht ig oder gar vordringlicher, wobei sie der Erkenntnis Rechnung trugen, daß die Judenemanzipation nur ein Emanzi-pationsvorgang unter vielen war. Das Grundproblem der preußischen und deut-schen Judenemanzipation liegt in der zwischen Fortschritt und Beharren schwan-kenden Polit ik der deutschen Staaten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und noch darüber hinaus. Solange nicht die wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten den veränderten Zeitverhältnissen angepaßt waren, konnte keine Realisierung der Judenemanzipation erfolgen. Die Integration einer ethnisch, religiös und sozial bestimmten Minderheit wie der der Juden in einer nicht- oder nur teilemanzipierten Gesellschaft mußte daher als unlösbar erscheinen. Damit erweitert sich die Frage nach der Emanzipation der Juden in Deutschland und Preußen zur Frage nach der Emanzipation der Deutschen überhaupt, d. h. zu einer Frage nach der deutschen Geschichte im Zeitalter der bürgerlichen Revolu-t ion 2 9 .

M i t der 1869 bzw. 1871 erreichten rechtlichen Gleichstellung ist der von mir geschilderte Emanzipationsprozeß der preußischen Juden abgeschlossen. Für ihn bildete das Hardenbergsche Reformedikt trotz aller seiner Unvollkommenheiten ein wichtiges Fundament, auf das sich die fortschrittlichen Kreise des Judentums in ihrer Argumentation immer wieder bezogen. Für den positiven und negativen Verlauf der preußischen Judenemanzipation im 19. Jahrhundert können die Aus-sagen dieses Edikts einen Gradmesser bilden, das dadurch eine zentrale Bedeu-tung in dem Ringen des Judentums um soziale und rechtliche Gleichstellung mit seinen christlichen Mitbürgern erhält. Die nach der Reichsgründung erneut einset-zende Diskussion der „Judenfrage" unter zunehmend antisemitischem Kennzei-chen gehört nicht mehr hierhin, wei l es sich dabei nicht nur zeitlich, sondern auch sachlich um ein postemanzipatorisches Phänomen handelt. Es erreichte 1879 in der radikalen, rassistischen Publizistik Wi lhe lm Marrs, der den Begrif f „Antisemitismus" in Umlauf setzte, einen ersten Höhepunkt in der sich neuentfa-chenden judenfeindlichen Argumentation, die sich als Abwehrbewegung gegen eine sogenannte „Judenherrschaft" verstand und die „Emanzipation" von den

28 Ebd., 33. 29 Ebd., 36.

Die Bedeutung des Hardenbergschen Edikts von 1812 259

Juden forderte 30. Hier wurde ein Weg eingeschlagen, der zumindest indirekt nach dem Ersten Weltkrieg in die Ideologie der Nationalsozialisten mi t ihren Nürnber-ger Rassegesetzen einmündete. Die hier sichtbare Pervertierung der „Judenfrage" war nur dadurch möglich, daß der Begrif f „Jude" nicht — wie früher — allein unter konfessionellem Aspekt, sondern ausschließlich unter rassistischen Ge-sichtspunkten gesehen wurde. Juden waren daher nicht nur wie in der Ideologie des 19. Jahrhunderts Glaubensjuden, sondern auch alle zum Christentum konver-tierten Juden. Die Ausrichtung der „Judenfrage" auf rassisch-biologische Kompo-nenten bot Hit ler den Vorwand zur Vernichtung des deutschen und damit auch des preußischen Judentums, das sich im mühevollen Ringen im 19. Jahrhundert die Gleichstellung mit den Christen erkämpft hatte.

Die Verteilung des Judentums auf die Provinzen des Preußischen Staates (Ende 1840)31

Verhältnis zu den Christen

Posen 77102 1 16 Schlesien 26703 1 107 Rheinprovinz 26367 1 98 Preußen 25779 1 90 Westfalen 13766 1 101 Brandenburg 13747 1 135 Pommern 6832 1 155 Sachsen 4262 1 385

Judenverfassungen in den Preußischen Provinzen zwischen 1815 und 18473 2

Preußen 1. Edikt vom 11. März 1812 2. Generaljudenreglement von 1750 (für Religionsangelegenheiten) 3. Generaljudenreglement von 1797 für das Kulmer und Michelauer

Gebiet

Brandenburg 1. Edikt von 1812 2. Generaljudenreglement von 1750 (für Religionsangelegenheiten) 3. Kursächsisches Mandat von 1746 4. Reskript von 1751 für das Lausitzer Gebiet

Pommern 1. Edikt von 1812 2. Generaljudenreglement von 1750 (für Religionsangelegenheiten) 3. Schwedisch-pommersche Verfassung für Neu-Vorpommern

30 Rürup, Emanzipation und Krise. Zur Geschichte der „Judenfrage" (Anm. 17), 42. 31 J. G. Hoffmann, Zur Judenfrage. Statistische Erörterung, Breslau 1842, 16. 32 Entwurf zu einer zeitgemäßen Verfassung der Juden in Preußen (Anm. 12), 16.

17*

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Schlesien 1. Edikt von 1812 2. Edikte von 1790 ff. (für Religionsangelegenheiten) 3. Reskript von 1751 für das Lausitzer Gebiet

Sachsen 1. Edikt von 1812 für einige Ortschaften rechts der Elbe 2. Generaljudenreglement von 1750 (für Religionsangelegenheiten) 3. Konstitution von 1808 für das königlich westfälische Gebiet 4. Kursächsisches Mandat für das königlich sächsische Gebiet

Posen 1. Generaljudenreglement von 1797 2. Gesetze des Herzogtums Warschau 3. Generaljudenreglement von 1750 für den Netzedestrikt An die Stelle dieser Bestimmungen tritt am 1. Juni 1833 die „Vorläufi-ge Verordnung wegen des Judenwesens im Großherzogtum Posen"

Westfalen 1. Konstitution von 1808 2. Hannoversche Judenverfassung 3. Kurkölnische Judenordnung 4. Hessen-Darmstädtische Verordnungen von 1805 ff. 5. Wittgensteinsche Judenordnung 6. Herzoglich nassauische Judenordnung für das Fürstentum Siegen

Rheinprovinz 1. Code Napoleon für Niederrhein und Jülich-Kleve-Berg 2. Generaljudenreglement von 1750 für Kleve, Mörs in Religionsan-

gelegenheiten 3. Herzoglich nassauische Judenordnung 4. Wetzlarsche Judenordnung

Die Rolle von Staat und Monarchie bei der Modernisierung von oben

Ein Literaturbericht mit ergänzenden Betrachtungen zur Person König Friedrich Wilhelms I I I .

Von Thomas Stamm-Kuhlmann, München

1. Einleitung

Die preußischen Reformen sind eine Kollektivleistung. Das Bewußtsein für diese Tatsache ist in den letzten sechzig Jahren ständig gewachsen1. Als dieses handelnde Kol lekt iv läßt sich die preußische Bürokratie auffassen, an deren Spitze immer noch, wenn auch inzwischen in einem problematischen Verhältnis zu ihr, der Monarch steht.

Zu diskutieren ist die Bedeutung, die beide, Bürokratie und Monarch, bei der Herbeiführung eines Wandels in Preußen gehabt haben, den man wohl zutreffend die Schaffung bürgerlicher Verhältnisse nennen muß, und der ohne Zweifel nicht interpretiert werden kann, wenn man ihn nicht in den Zusammenhang der weltge-schichtlichen Veränderung rückt, die mi t der Jahreszahl 1789 bezeichnet wird.

Das Gewicht eines Akteurs läßt sich nur abwägen, wenn man danach fragt, wer denn noch als Handelnder auf der Szene erscheinen könnte. Wenn es also darum geht, zu bestimmen, wie Bürokraten und König auf die Herbeiführung bürgerlicher Verhältnisse eingewirkt haben, so ist zu fragen, wieweit die Bürger selbst nicht an der Schaffung bürgerlicher Verhältnisse mitgewirkt haben — wenn es schon nicht Einflüsse von außen gewesen sind. Es geht also unter anderem auch um die Frage nach dem Verhältnis von „Revolut ion von oben" und „Revolution von unten" beziehungsweise der Mögl ichkeit eines stillen Wan-dels, der ganz ohne den Zeitraffer einer Revolution ausgekommen wäre.

Und es geht natürlich auch um die Frage nach dem „Klassencharakter" des Staates, danach also, ob ein noch der Epoche des Feudalismus verpflichteter Staat überhaupt Schrittmacher bei der Herbeiführung bürgerlicher Verhältnisse

i Als Ausgangspunkt kann der Beginn der Arbeiten an der Aktenedition der Preußi-schen Staatsarchive zur Reformzeit gelten. Vgl. auch die Vorrede von Georg Winter zu: ders., Die Reorganisation des Preussischen Staates unter Stein und Hardenberg, Erster Teil: Allgemeine Verwaltungs- und Behördenreform (Publikationen aus den Preus-sischen Staatsarchiven 93), Leipzig 1931, X.

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sein kann. Tut er das, so muß er zumindest in einem — noch zu erörternden — Ausmaß von den Interessen der in ihm tonangebenden Klasse unabhängig sein. Und ist der Monarch etwa Agent des Wandels, so gi l t das Erfordernis dieser Unabhängigkeit auch für ihn. Er muß unabhängig sein gegenüber den Kräften der Gesellschaft wie gegenüber der Mentalität und den Zielvorstellungen seiner Beamten, die bei dem Weg in das bürgerliche Zeitalter ihm entweder voraus oder hinter ihm zurück sein können.

In vorbildlicher Weise ist das Kräftedreieck aus Monarchie, Bürokratie und Bürgertum im Jahre 1979 von Ingrid Mittenzwei vermessen worden, freil ich nur angewendet auf die Spätzeit Friedrichs I I . und seiner Ära des Aufgeklärten Absolutismus2 . Sie kam dort zu dem Resultat, daß der Merkantil ismus des altern-den Königs in einen zunehmenden Gegensatz zu den Interessen der entstehenden Fabrikantenschicht besonders der Westprovinzen geraten sei. Die Beamtenschaft habe sich teilweise eindeutig mi t den Unternehmern solidarisiert, doch habe der König seine kritischen Beamten, die für Freihandel eintraten, mundtot gemacht. A u f diese Weise sei der Charakter des friderizianischen Staates konservativ und überwiegend feudal gewesen. Eine entsprechende zusammenfassende Darstellung zur Reformzeit und zum Vormärz steht noch aus; hier hat unter anderem Dietrich Eichholtz mi t seiner Arbeit „Junker und Bourgeoisie vor 1848 in der preußischen Eisenbahngeschichte" schon 1962 einen Beitrag geliefert 3. A u f westlicher Seite hat zuletzt Hans- Ulr ich Wehler im Rahmen seiner jahrzehntelangen Bemühungen um die Rehabilitation von Eckart Kehr dessen Quellenfunde zur Reformzeit von 1807 bis 1810 neu herausgegeben. Durch Kehrs Aktenauswahl wurde dabei vor allem ins Licht gerückt, wie sich die unterschiedlichen ökonomischen Interessen-lagen bei den finanzpolitischen Entscheidungen jener Jahre niedergeschlagen haben4.

2. Der westdeutsche Modernisierungsansatz und der Lobpreis der Bürokratie

Den dem marxistischen Paradigma von der „bürgerlichen Umwälzung" ent-sprechenden Zugang zur Geschichte versuchten westliche Historiker seit etwa dreißig Jahren über die Modernisierungstheorien zu finden. Der Modernisierungs-ansatz, demzufolge die „Industriegesellschaft" das vorläufige Zie l der Geschichte dargestellt hat, war in der D D R schon früh als konvergenztheoretischer An-

2 Vgl. Ingrid Mittenzwei, Preußen nach dem Siebenjährigen Krieg. Auseinanderset-zungen zwischen Bürgertum und Staat um die Wirtschaftspolitik (Akademie der Wissen-schaften der DDR, Schriften des Zentralinstituts für Geschichte, Bd. 62), Berlin 1979.

3 Dietrich Eichholtz, Junker und Bourgeoisie vor 1848 in der preußischen Eisenbahn-geschichte, Berlin 1962.

4 Preußische Finanzpolitik 1806 bis 1810. Quellen zur Verwaltung der Ministerien Stein und Altenstein, bearbeitet v. Eckart Kehr, hrsg. v. Hanna Schissler I Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1984.

Modernisierung von oben 263

schleichversuch eingeschätzt und gewissermaßen verbellt worden 5 . Kein Zweifel kann aber daran bestehen, daß mi t der „Herstellung bürgerlicher Verhältnisse" ein wesentlicher Inhalt des Modernisierungsprozesses benannt ist.

Denn zentrale Elemente einer bürgerlichen Gesellschaft — wie zum Beispiel das frei bewegliche, ungeteilte Eigentum und die Orientierung des wirtschaften-den Subjekts am rechnerisch erfaßbaren Gewinn und die damit erzwungene Rationalität im wirtschaftlichen Handeln — sind unweigerlich zentrale Elemente der Modernität überhaupt. A l le modernen Gesellschaften sind bürgerliche Gesell-schaften. Letzten Endes zielte die westliche Modernisierungstheorie nicht weniger auf eine Totalbeschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse ab als das Ge-schichtsmodell des Marxismus-Leninismus. Der Veränderungsprozeß braucht auch immer ein Ziel. Reinhart Koselleck hat dieses Zie l in seiner Habilitations-schrift als die Auflösung der alten ständisch gebundenen Societas und die „allge-meine Befreiung der Untertanen durch Arbeit, Handel und Produktionssteige-rung" definiert 6.

Die preußische Reformzeit ist zuletzt unter der modernisierungstheoretischen Fragestellung von Hanna Schissler7 und Barbara Voge l 8 untersucht worden. Dabei spannte Schissler mi t der Zeit von 1763-1847 den Bogen über nahezu die gesamte Periode, die wir heute als Epochenschwelle zur Jetztzeit anzusehen gewohnt sind. Beide Studien bemühten sich, die preußische Reformbürokratie als soziale Gruppe aufzufassen und die Spannung zwischen beanspruchter Re-formkompetenz 9 und realen Erfolgen herauszuarbeiten. Besonders Barbara Vogel hat, noch bevor sie die preußischen Reformen als „Revolut ion von oben" be-st immte1 0 , der „,Rol le des Staates' in der industriellen Revolution" ein eigenes Kapitel gewidmet1 1 . In ihrer Betrachtung der Hardenbergschen Gewerbepolitik kam sie zu dem Resultat, daß die Reformgesetzgebung „nicht das Werk der Bürokratie, also der traditionellen Herrschaftselite insgesamt" war, sondern auf den radikalen Grundgedanken einer kleinen Personengruppe zurückgegangen sei. Zwar befand sich diese Gruppe „innerhalb der Bürokratie", aber sie war „abgeho-ben von ihr durch politischen Standort und persönlichen Bildungsweg." „A ls

5 So z. B. in der Rezension Helmut Bleibers zu Reinhart Koselleck; Preußen zwischen Reform und Revolution, in: ZfG 19 (1971), 112 f.

6 Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Land-recht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, 3. Aufl., München 1989, 388.

7 Hanna Schissler, Preußische Agrargesellschaft im Wandel. Wirtschaftliche, gesell-schaftliche und politische Transformationsprozesse von 1763 bis 1847, Göttingen 1978 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 33).

8 Barbara Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit. Die Reformpolitik des preußischen Staatskanzlers Hardenberg (1810-1820), Göttingen 1983 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 57).

9 Vgl. Schissler (Anm. 7), 116 f. 10 Vogel (Anm. 8), 30. n Ebd., 21-29.

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Ergebnis des innerbürokratischen Kampfes", sagte Vogel, „bei dem es immer zugleich um Machtpositionen ging, kamen schließlich Kompromisse zustande, die von Intentionen Einzelner unabhängige Tatsachen schufen und eine eigene Dynamik sozialen und wirtschaftlichen Wandels entfalteten 12".

Auch diese beiden neueren Arbeiten stellten nur eine Fortschreibung der Analy-se dar, die Reinhart Koselleck klassisch zusammengefaßt hatte. Koselleck be-schrieb die preußische Bürokratie als eine „sich selbst stabilisierende Handlungs-einheit", die „innerhalb der sich auflösenden Ständegesellschaft soweit und solan-ge autonom" war, „als sie diesen Vorgang [den Vorgang der Auflösung der Ständegesellschaft nämlich T. S.-K.] vorantreiben konnte1 3 " . Dies wiederum stand unverkennbar in der Tradit ion des mainstream der nichtmarxistischen Preu-ßenhistoriographie und deckte sich darüber hinaus mit der Einschätzung, die jene Beamten der Reformzeit, der Restauration und des Vormärz selbst von sich hatten14. Koselleck hat aber auch die Kr i t ik mi t aufgegriffen, die schon Zeitgenos-sen an dem „Vormundschaftsstaat 15" übten, der sich da herausgebildet hatte: einem Gemeinwesen, in dem nur die Beamten wirkl iche Staatsbürger waren, die für die nicht beamtete Bevölkerung treuhänderisch und stellvertretend agierten und beanspruchten, der am meisten erleuchtete Tei l der Nation zu sein. Koselleck hat versucht, eine Erklärung für das Scheitern der preußischen Verfassung unter Friedrich Wi lhe lm I I I . zu geben. Diese Erklärung lieferte indirekt Stützmaterial dafür, daß die Bürokratie der Bevölkerung, oder anders gesagt, daß die Repräsen-tanten des Staates den Repräsentanten der Gesellschaft geistig voraus gewesen seien. Koselleck stellte fest, daß die Hardenbergsche Reformpolit ik, die auf Herstellung bürgerlicher Verhältnisse abzielte, verkörpert in der Gewerbefreiheit und dem relativ freihändlerischen Zol l tar i f nach 1818, in einer gesamtpreußischen Nationalrepräsentation wahrscheinlich gescheitert wäre. Dies zumindest dann, wenn in dieser Repräsentation Vertreter der wirtschaftenden Elemente der Gesell-schaft, des grundbesitzenden Adels wie des Stadtbürgertums, so dominiert hätten, wie es dem Antei l dieser Gruppen an der Erwirtschaftung des Sozialprodukts entsprochen hätte. Infolgedessen habe die Bürokratie nach 1819 das Interesse an der Verfassungsgebung verloren 16 . Dieses Urtei l ähnelt nun sehr stark älteren Auffassungen, etwa der Einschätzung durch Hermann von Petersdorff in seiner Biographie des Finanzministers Friedrich von M o t z 1 7 und dem Urtei l Paul Haakes in seinem Aufsatz über die preußische Verfassungsfrage von 191618 .

12 Ebd., 224 f. 13 Koselleck (Anm. 6), Vorwort zur zweiten Auflage. 1 4 Vgl. Jürgen Kocka, Preußischer Staat und Modernisierung im Vormärz: Marxis-

tisch-leninistische Interpretationen und ihre Probleme, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Sozialgeschichte heute. Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 11), Göttingen 1974, 212.

15 Koselleck (Anm. 6), 283. 16 Koselleck (Anm. 6), 323. 1 7 „Es war ein Glück, daß Preußen damals [bei der Gründung des Zollvereins,

T. S.-K.] selbst noch keine Kammern hatte. Bei dem offensichtlichen pekuniären Nach-

Modernisierung von oben 265

3. Die Positionen der DDR und Jürgen Kockas Empfehlungen

Gegen diese Hochschätzung der Bürokratie und ihrer Leistungen, die die „neue bürgerliche Gesellschaft als Schöpfung des preußischen Staates19", den „preußi-schen Staat als Stammvater der Industriegesellschaft 20", erscheinen ließen, wand-ten sich schon bald DDR-Historiker. Verbunden mit dieser Abwehr war aber im Jahre 1976 das Eingeständnis, daß man in der eigenen Historiographie zur Bestim-mung des Wesens des Staates zu wenig getan hatte. So räumte Helmut Bleiber 1976 ein, daß in der DDR- Geschichtswissenschaft zu diesem wichtigen Punkt „Unsicherheit" vorhanden sei21 . Helmut Bleiber hat diese Unsicherheit auch benannt. Sie gründete in der Tatsache, daß nach dem Paradigma von Marx und Engels der Übergang von einem feudalen zu einem bürgerlichen Klassencharakter des Staates auf revolutionärem Wege erwartet werden mußte, daß diese Revolu-t ion aber ausblieb und man stattdessen einen von 1789 bis 1871 sich hinziehenden Übergang von einem feudalen zum bürgerlichen Klasseninhalt auf dem Weg der Reform anzunehmen gezwungen wurde. „Wenn nicht die indiskutable Behaup-tung aufgestellt werden soll, daß der Charakter des 1871 gegründeten preußisch-deutschen Kaiserreiches feudal gewesen sei," so formuliert Helmut Bleiber die theoretische Anpassungsnotwendigkeit, „wenn — wie in der marxistischen Ge-schichtsschreibung allgemein anerkannt wi rd — dieser Staat vielmehr seinem Wesen nach junkerlich-bürgerlich war, so bleibt rein logisch nur der Schluß, daß während des langwierigen und allmählichen Prozesses der bürgerlichen Umwäl-zung in Deutschland auch der Staat sich qualitativ gewandelt haben muß. Zu beantworten und näher zu untersuchen bleibt dann die Frage, ab wann, in welchen Phasen und in welcher Form sich diese Wandlung vollzogen hat 2 2 " .

Einmütigkeit bestand in der DDR-Forschung vor allem darin, daß der Anfangs-punkt dieser Wandlung allerspätestens 1807 zu setzen war. Damit wurden die rheinbündischen und die preußischen Reformen gleichermaßen der „unwiderrufl i-che" Beginn der „bürgerlichen Umwälzung in Deutschland23".

teil, den Preußen infolge des Vertrags zunächst erlitt, den die Regierung ja vollkommen vorausgesehen hatte und zu dem einzelne Minister ein sehr mißvergnügtes Gesicht machten, wäre es wohl geradezu ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, diese Vertragspo-litik durchzuhalten". Hermann von Petersdorff, Friedrich von Motz. Eine Biographie, Bd. 2, Berlin 1913, 131.

18 Paul Haake, König Friedrich Wilhelm ID., Hardenberg und die preußische Verfas-sungsfrage, 3. Teil, FBPG 29 (1916), 313.

19 Helmut Bleiber, Staat und bürgerliche Umwälzung in Deutschland. Zum Charakter besonders des preußischen Staates in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sitzungsbe-richte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Gesellschaftswissenschaften, 10 G (1976), 203.

20 Bleiber, Preußen zwischen Reform und Revolution (Anm. 5), 115. 21 Bleiber, Staat und bürgerliche Umwälzung (Anm. 19), 203. 22 Ebd., 209. 23 Ebd., 211.

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Wer aber war die treibende Kraft dieser bürgerlichen Umwälzung? Wer setzte sich am meisten dafür ein, daß kapitalistische Formen in die Landwirtschaft eindringen konnten? Hier habe sich, so meinte Helmut Bleiber, die DDR-Ge-schichtswissenschaft zu lange von der Opposition der Marwitze und Finkensteins darüber hinwegtäuschen lassen, daß „die Reformgesetzgebung alles in allem dem Grundinteresse" der Gutsbesitzerklasse entsprach. Aber er brachte eine wichtige Modif ikat ion an: In der Zeit der Reformgesetzgebung müsse die Gutsbesitzerklas-se differenziert gesehen werden. Der Staat sowohl der Reformperiode als auch der Zeit nach 1815 habe vorrangig nur jenem Tei l der Gutsherrenklasse entspro-chen, der „die Anpassung an neue veränderte Bedingungen akzeptierte" und den „allmählichen Übergang von feudaler zu kapitalistischer Ausbeutung als unum-gänglich erkannt" hatte24 .

In seiner Beschreibung der Umwandlung der alten Feudalklasse zu „kapita-listisch wirtschaftenden agrarischen Unternehmern bzw. zu kapitalistischen Groß-grundbesitzern" wandelte Helmut Bleiber auf den Spuren Lenins und seiner Definit ion des „preußischen Wegs" und außerdem Hans Rosenbergs, den er allerdings nicht nannte25.

Schon im Vormärz war auf jeden Fall für Helmut Bleiber der Staat nicht mehr rein feudaler Natur, „da die Klasse, deren Interessen er verkörperte, die ihn beherrschte und der er diente, eben die Junker waren, die ihn zur Sicherung ihrer allmählichen, häufig widerstrebend vorgenommenen, aber dennoch stetig fort-schreitenden Umstellung von gutsherrlich-feudalen zu kapitalistischen Groß-grundbesitzern einsetzten."

Der Vertreter der klassenmäßigen Gesamtinteressen muß sich nun des öfteren gegen Partialinteressen durchsetzen, diese unterdrücken. So schrieb Helmut Blei-ber dem Staat des Vormärz auch eine gewisse Selbständigkeit zu: „Das Ausmaß der relativen Selbständigkeit des Staates gegenüber der ihn tragenden Klasse war in der Periode der Reformen, aber auch in den Jahrzehnten bis zur Revolution von 1848 / 49 wohl kaum geringer als in der zeitl ich vorangehenden Periode des spätfeudalen Absolut ismus2 6" . Wohlgemerkt, die Selbständigkeit war relativ. Und während für Koselleck gerade die Spannung zwischen der Bürokratie und den von ihr geweckten neuen bürgerlichen Kräften das spannende Thema war, betonte Helmut Bleiber die Gegensätze zwischen Beamtenschaft und den Teilen des Junkertums, die noch nicht erkannt hatten, was im neuen Zeitalter ihre wahren Interessen waren. Beiden Autoren gemeinsam aber war die Einschätzung der Bürokratie als eines verkannten, zu Unrecht angefeindeten Anwaltes der Moderni-

24 Ebd., 212. 2 5 Vgl. Hans Rosenberg, Die Pseudodemokratisierung der Rittergutsbesitzerklasse,

in: ders., Machteliten und Wirtschaftskonjunkturen. Studien zur neueren deutschen So-zial- und Wirtschaftsgeschichte, Göttingen 1978, 83-101.

26 Bleiber, Staat und bürgerliche Umwälzung (Anm. 19), 213.

Modernisierung von oben 267

sierung im Interesse von Staatsbürgern, die in ihrer Schlafmützigkeit auf den richtigen Weg geprügelt werden mußten.

Zwei gewichtige Aussagen waren es, die Helmut Bleiber 1976 miteinander verbunden hat. Die eine lautete dahin, daß der Staat in den Jahrzehnten vor 1848 „fast ausnahmslos den Interessen und Wünschen der Junkermehrheit" entspro-chen habe, also insofern das dienende Instrument einer Klasse war, die andere dahin, daß er aber dennoch nicht als feudal eingeschätzt zu werden braucht. Die Lösung besteht darin, daß „die Klasse, die mi t seiner Hil fe ihre Interessen reali-sierte, in wachsendem Maße keine rein feudale Klasse mehr war 2 7 " .

Bei späterer Gelegenheit hat Helmut Bleiber sich dann noch einmal gegen Versuche abgegrenzt, die kapitalistischen Züge des preußischen Staates ab 1807 zu pointiert zu sehen28. Diese Versuche sah er besonders bei Ernst Engelberg, der seit 1957 die These vertritt, daß es sich bei den Reformen von 1807 bis 1813 um nichts weniger als eine „Revolut ion von oben" gehandelt habe, nicht anders als die Bismarcks 29 .

Das marxistische Paradigma, so wie es mir erscheint, läßt uns keine andere Möglichkeit , als den Staat entweder noch überwiegend feudal oder schon überwie-gend bürgerlich sein zu lassen. Auch für den Nichtmarxisten war es klar, daß sich im Staat die in der Gesellschaft tonangebenden Kräfte äußern. Doch war er zu keiner solchen Wesensbestimmung gezwungen, die ihm nur die Wahl zwischen zwei gleichermaßen problematischen Begriffen ließ. Aus einer Ar t von methodischer Abstinenz heraus haben sich westliche Historiker, die von dem Paradigma der Historischen Sozialwissenschaft ausgehen, darauf zurückgezogen, die „ i n einem prinzipiellen Sinn jede Gesellschaft erst formierenden, sich gleich-wohl wechselseitig durchdringenden und bedingenden Dimensionen" von Herr-schaft, Wirtschaft und Kultur in ihrer „Gleichrangigkeit" bestehen zu lassen und darauf zu verzichten, einen Bereich aus den anderen abzuleiten30. Nur dann ist es auch möglich, den Staat seines Charakters als abstrakter Wesenheit zu entklei-

27 Ebd., 216. 28 Helmut Bleiber, Zu den inneren Voraussetzungen und zur Bewertung der preußi-

schen Reformen. Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR - Gesell-schaftswissenschaften — 1982, Nr. 1 G., 157 f.

29 Vgl. Ernst Engelberg, Carl Clausewitz in seiner Zeit, in: Vom Kriege. Hinterlasse-nes Werk des Generals Carl von Clausewitz, Berlin 1957, XXXII I . Wiederholt u. a. auf dem Kolloquium der Akademie der Wissenschaften der DDR „Preußische Reformen — Wirkungen und Grenzen. Aus Anlaß des 150. Todestages des Freiherrn vom und zum Stein", das die Klasse Gesellschaftswissenschaften I I gemeinsam mit dem Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR am 18. Juni 1981 veranstalte-te: Ernst Engelberg, Die historischen Dimensionen der preußischen Reformen in der Epoche der sozialen Revolution (1789-1871). Sitzungsberichte der Akademie der Wis-senschaften der DDR, Gesellschaftswissenschaften, Jahrgang 1982, Nr. 1/G, 44-53.

30 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700-1815, Mün-chen 1987, 7 f.

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den und in ihm wieder die handelnden Menschen zu sehen, das heißt den Beamten-apparat zum Gegenstand der Betrachtung zu machen. Und hier hi l f t es, wenn man sich fragt, ob es nicht ein, in den Worten Jürgen Kockas, „spezifisch bürokratische[s] Standes-, Klassen- oder Gruppeninteresse der Bürokratie" gibt, „welches nicht vö l l ig in einem adligen oder bürgerlichen Klasseninteresse auf-geht3 1 " . E in solches Gruppeninteresse könnte etwa darin bestehen, die Abläufe in der Wirtschaft kontrollieren zu wollen, und sich deshalb gegen ein generelles Aktiengesetz zu sträuben, das die Kapitalbildung freigeben würde. Hier wären auch kulturell vermittelte Werthaltungen zu nennen, wie ein Vorurtei l gegen Spekulation und Zins, und es wäre denkbar, daß solche Werthaltungen in der Beamtenschaft verwurzelt sind, ohne deswegen einem Klasseninteresse der Jun-ker zu entsprechen.

Kocka hat deswegen dafür plädiert, doch wieder den einzelnen Entschei-dungsprozessen nachzugehen, und jene „Haltungen, Mot ive und Kompromisse" zu erforschen, die nun einmal nur in „einer generell nicht deduzierbaren Weise" erfaßt werden können3 2 .

4. Staat und Krone in der Differenzierung

Diese Aufforderung muß man sich natürlich erst recht zu eigen machen, wenn man den Staatsapparat weiter aufgliedert und sich an eine Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Monarchen und seinen Beamten begibt, wobei wie-derum stets die Rückwirkung auf die und durch die gesellschaftlichen Kräfte im Auge behalten werden muß. In einer 1988 erschienenen Veröffentlichung, für die Günter Vogler verantwortlich zeichnete, haben sich eine Reihe von Histori-kern aus Ost und West zusammengetan, um sich dieser Herausforderung zu stellen, wobei sie sich allerdings auf die Frühe Neuzeit beschränkt haben33. Bevor überhaupt Zweifel daran aufkommen konnten, welchen grundsätzlichen Standort ein Monarch in dieser Epoche haben konnte, stellte Günter Vogler klar: „ Immer blieb . . . subjektiv die Verteidigung der alten Ordnung das hauptsächliche Anl ie-gen des Herrschers 34." Subjektiv: diese Einschränkung baute gleich für die Mög-lichkeit vor, daß die Defensivaktionen durch die „L is t der Vernunft" auch Verän-derungen in Gang setzen können, die sich schließlich ungewollt systemsprengend auswirken. Das nämlich war mehr oder weniger die Diagnose von Ingrid Mitten-zwei am Exempel Friedrichs I I . 3 5 . Auffäl l ig ist ferner, daß Günter Vogler die

31 Jürgen Kocka, Preußischer Staat und Modernisierung (Anm. 14), 215. 32 Ebd., 216. 33 Günter Vogler (Hrsg.), Europäische Herrscher. Ihre Rolle bei der Gestaltung von

Politik und Gesellschaft vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Weimar 1988. 34 Ebd., 14. 35 Vgl. Ingrid Mittenzwei, Aufgeklärter Absolutismus und Klassenverhältnisse in

Brandenburg-Preußen, Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 4 (1980), 340 f.

Modernisierung von oben 269

Mögl ichkeit heranzog, ein sogenannter großer Mann sei eben gerade derjenige, der vollzieht, was man „ je nach dem Ausgangspunkt als Wi l le Gottes, als Wi l le einer Nation oder Gesamtheit, als Wi l le eines Zeitalters" bezeichnen könne3 6 . Auffäl l ig ist auch, daß Vogler diese Definit ion von Jacob Burckhardt hergenom-men hat und nicht auf Hegels Bestimmung des „welthistorischen Individuums" eingegangen ist.

U m auf das Kontingente und nicht Zwangsläufige an der einzelnen Herrscher-persönlichkeit zu sprechen zu kommen, verwendete Vogler einen Ausdruck von Kar l Marx, der einmal vom „Zufal l des Charakters" geschrieben hat, und fuhr fort:

„Ein Herrscher mit Fähigkeiten, die diesen zur Machtausübung qualifizierten, konnte einen Staat so führen, daß wesentlichen gesellschaftlichen Erfordernissen Rechnung getragen wurde, aber auch eher ihn attackierenden Kräften aus der eigenen Klasse — etwa einer Adelsfronde — widerstehen oder tatkräftiger auf revolutionäre Bewe-gungen reagieren. Ein Herrscher, der Entschlossenheit und Tatkraft vermissen ließ, bot damit oftmals — wenngleich nicht gewollt — den Widersachern aus den eigenen Reihen Einflußmöglichkeiten, geriet in deren Abhängigkeit, und von ihren Fähigkei-ten hing es nunmehr ab, ob die mangelnden Qualitäten des Herrschers kompensiert oder potenziert wurden. In einer solchen Situation konnte sich aber auch der Spiel-raum für nicht an der Machtausübung beteiligte Klassen und Schichten erweitem, um ihre Interessen durchzusetzen."37

Jenseits der immer noch mechanisch anmutenden Wiederholung des Grundsat-zes, daß der Adel zu den „eigenen Reihen" des Monarchen gehörte, war hier ein interessantes Beobachtungsfeld umrissen. U m dieses Feld, um den „Spiel-raum", den eine monarchisch-bürokratische Herrschaft ermöglichen kann, soll es uns — neben der Diskussion der Staatsfunktion — deshalb im folgenden auch gehen. Nun waren alle Beobachtungen, auch die des von Günter Vogler herausge-gebenen Bandes, an Beispielen gewonnen, die vor 1800 liegen. Für den aufgeklär-ten Absolutismus sah Manfred Kossok schon 1985 die „kardinale Bedeutung" der Persönlichkeit darin bestätigt, daß nach dem Tod der überragenden Herrscher-persönlichkeiten eines Friedrich, Joseph oder einer Katharina oder auch nach dem Ausscheiden eines aufgeklärten Reformministers wie des Marqués de Pom-bai oder Grafen Aranda der „aufgeklärte Absolutismus endet und der traditionelle Absolutismus . . . sans phrase wiederhergestellt w i rd 3 8 . "

36 Vogler (Anm. 33), 12, unter Verwendung von Jacob Burckhardt, Weltgeschichtli-che Betrachtungen.

37 Vogler (Anm. 33), 16. 38 Manfred Kossok, Der aufgeklärte Absolutismus. Überlegungen zum historischen

Ort und zur Typologie, in: ZfG 33 (1985), 636.

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5. Friedrich Wilhelm I I I .

Für den östlichen wie den westlichen Historiker aber ist es spannender, zu verfolgen, wie sich das Gewicht der Persönlichkeit in der Epoche nach dem aufgeklärten Absolutismus, in der Zeit Friedrich Wilhelms I I I . also, darstellt.

Das klassische Urtei l in der marxistischen Tradition über Friedrich Wi lhe lm I I I . ist vernichtend. Als „ I d i o t 3 9 " und „Schwachkopf 4 0" figuriert er in den aller-dings nicht aus den Quellen geschriebenen zusammenfassenden Darstellungen Franz Mehrings, und Mehrings am wenigsten polemisches Urtei l ist immer noch vernichtend genug: „Der preußische König, in dessen Person sich alle Unvernunft der Monarchie nach der intellektuellen wie nach der moralischen Seite klassisch verkörperte, ist immer nur das fünfte Rad und meistens sogar der Hemmschuh am Wagen gewesen41 ." Sanfter hatte sich da Engels selbst ausgedrückt, als er schrieb, der König von Preußen habe aus Furcht vor Napoleon „einer Partei von Halb- und Halb-Reformern" „gestattet", „an seiner Stelle zu regieren 42".

In der eigentlichen DDR-Forschung ist der König der preußischen Reformzeit immer zu kurz gekommen. Die negative Beurteilung seiner Person hielt sich in den Publikationen zur Zeit der Befreiungskriege von Percy Stulz und Fritz Strau-be 4 3 , und eine Arbeit zum Wartburgfest aus dem Jahre 1966 sagt von ihm, er sei als „Preußens König Repräsentant und Exponent der reaktionärsten Klasse Deutschlands zu dieser Zeit . . . — des preußischen Junkertums" gewesen44.

In der Tat ist mi t der Frage nach dem Verhältnis von König und Bürokratie das grundlegende Verfassungsproblem der Monarchien auf dem Weg vom aufge-klärten Absolutismus zum Konstitutionalismus gestellt. Es wurde von westdeut-schen Historikern gerne mit der Formel vom „bürokratischen Absolutismus" beantwortet, der in Folge der gestiegenen Selbständigkeit der Beamtenschaft und der zunehmenden rechtlichen Sicherungen für die Stellung des Beamten sich

39 Franz Mehring, Jena und Tilsit. Ein Kapitel ostelbischer Junkergeschichte, in:. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Thomas Höhle / Hans Koch / Josef Schleifstein, Bd. 6, Berlin 1965, 81.

40 Franz Mehring, 1813 bis 1819. Von Kaiisch nach Karlsbad. Gesammelte Schriften 6, 358.

Ebd., 388. 42 Friedrich Engels, Deutsche Zustände, in: Marx / Engels-Werke, Bd. 2, Berlin, 572 f. 43 Percy Stulz, Fremdherrschaft und Befreiungskampf. Die preußische Kabinettspoli-

tik und die Rolle der Volksmassen in den Jahren 1811 bis 1813, Berlin 1960; Fritz : Straube, Frühjahrsfeldzug 1813. Die Rolle der russischen Truppen bei der Befreiung Deutschlands vom napoleonischen Joch (Veröffentlichungen des Instituts für Geschichte der Völker der UdSSR an der Martin-Luther-Universität Wittenberg, Reihe B, Bd. 5), Berlin 1963.

44 Günter Steiger, Das „Phantom der Wartburgverschwörung" 1817 im Spiegel neuer Quellen aus den Akten der preußischen politischen Polizei, Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Geistes- und sprachwissenschaftliche Reihe 15 (1966), 197.

Modernisierung von oben 271

schleichend schon zu Lebzeiten der großen aufgeklärten Despoten an die Stelle des aufgeklärten Absolutismus gesetzt habe45 . Das Weiterbestehen des Bürokrati-schen Absolutismus wurde von Koselleck für die Vormärzperiode konstatiert und die Stellung des Königs folgendermaßen umschrieben: „Er konnte Handlun-gen unterlassen, ohne daß die Behörden ihn hätten zwingen können. Aber er konnte nicht handeln, ohne der ministeriellen Zustimmung sicher zu sein. Obwohl an deren Spitze, blieb der Monarch eingebunden in die Verwal tung 4 6 . " Koselleck fand dementsprechend die Formulierung zutreffend, die Ernst von Bülow- Cum-merow 1842 in seiner Darstellung von „Preußen, seine[r] Verfassung, seine[r] Verwaltung, sein[em] Verhältnis zu Deutschland" geliefert hat: daß die Verwal-tung der eigentliche Souverän sei, der Herrscher nur noch „Souveränitäts-Reprä-sentant", nämlich als „Chef der Verwal tung 4 7 " . Diese Formulierung ging über die zahlreichen Brüche und Wendungen hinweg, die es im Verhältnis zwischen Friedrich Wi lhe lm I I I . und seiner Beamtenschaft in den langen Jahren zwischen 1797 und 1840 gegeben hat. In den Animositäten des Königs gegen Stein ist auch ein Aufbäumen des Monarchen gegen die von Stein verkörperte Tendenz zu seiner Entmachtung durch die Bürokratie zu erkennen. Denn es ist ein alter, immer weitergeschleppter Fehler, wenn wi r Stein als den Reichsritter sehen, der zum Minister wurde, und dabei außer acht lassen, daß er sich auf der Ochsentour des Verwaltungsdienstes nach oben gearbeitet hat4 8 .

Der König als Agent eines Modernisierungsprozesses: Sehen wi r uns einmal an, was das heißt.

Das erfordert zunächst einmal, daß er eine Vis ion hat, eine Vorstellung von seinem Reich, wie es sein sollte. Das setzt ferner voraus, daß er ein Gespür hat für die Tendenzen des Zeitalters, für die Strömungen, die man fördern und sich zunutze machen muß. Es liegt nahe, hierfür nach programmatischen Äußerungen und Schriften Friedrich Wilhelms zu suchen.

Für die Innenpolit ik sind programmatische Niederschriften nur aus der Zeit der Thronbesteigung nachweisbar; hier wäre die wahrscheinlich nach einem Diktat des Königs vom General Ernst Friedrich Phil ipp Kar l von Rüchel niederge-schriebene Instruktion für die Finanzkommission vom 19. Februar 1798 zu nennen — ein Dokument des Eklektizismus, das Einflüsse verschiedener wirtschaftswis-

4 5 Vgl. u. a. Hans Rosenberg, Die Überwindung der monarchischen Autokratie, in: Karl Othmar von Aretin (Hrsg.), Der Aufgeklärte Absolutismus, Köln 1974, 182-204.

46 Koselleck (Anm. 6), 278. 47 Berlin 1842, 187 f. 48 Obwohl schon Eckart Kehrs Aufsatz „Zur Genesis der preußischen Bürokratie und

des Rechtsstaats" (erstmals 1932, wieder abgedruckt in: dersDer Primat der Innenpoli-tik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert), hrsg. und eingeleitet v. Hans-Ulrich Wehler [Veröffentlichungen der Histo-rischen Kommission zu Berlin, Bd. 19]), Berlin 1965, 36, auf Stein als Exponenten der Bürokratie aufmerksam macht, werden seine Invektiven gegen die Federfuchser immer noch für bare Münze genommen.

272 Thomas Stamm-Kuhlmann

senschaftlicher Systeme erkennen läßt und absolut ungeeignet ist, eine Umgestal-tung nach einem ganzheitlichen Entwurf in die Wege zu leiten. Danach finden sich derartige programmatische Niederschriften nur noch im Bereich des Mil i tärs, und zwar zunächst in zwei Aufsätzen, deren einer vor Kriegsbeginn 1806 verfaßt sein muß, und die am 23. November 1806 als „Instruktion für die Generale bei der Armee in Ostpreußen" ihre endgültige Form erhielten. In dieser Instruktion erweist der König, genauso wie in dem eigenhändigen Aufgabenkatalog für die Immediat-Militär-Reorganisationskommission vom Juli des folgenden Jahres, daß er die Notwendigkeiten einer veränderten militärischen Takt ik und daraus folgend auch eines veränderten Führungsstils in der Armee erkannt hat.

Der König als vorantreibende Kraft der Reform, ausgestattet mi t einer Vision: das hätte erfordert, daß Friedrich Wi lhe lm I I I . so, wie Friedrich I I . noch die französische Frühaufklärung rezipiert hat, in den Schriften der Physiokraten, der Ökonomie des Adam Smith, dem rationellen Landbau eines Albrecht Thaer und den Militärtheorien eines Berenhorst, Bülow und Scharnhorst gleichermaßen zu Hause gewesen wäre. Das hätte von ihm einen Bildungsstand verlangt, auf dem die Einsichten eines Stein in die Selbstverwaltung, die finanztheoretischen Kennt-nisse eines Hardenberg und Niebuhr mi t einer von den Hohenzollern aus Tradition geforderten, durchgreifenden militärischen Praxis verbunden gewesen wären. Einen solchen Monarchen hat es seit dem Tod der Joseph, Friedrich und Katharina nirgendwo mehr gegeben, was nicht heißt, daß es nicht mehr menschenmöglich war.

Doch sieht man sich die entscheidenden Jahre der Reformperiode von 1808 bis 1811 an, so läßt sich tatsächlich nichts anderes sagen, als daß der König in diesen Jahren beiseitegetreten ist. Nichts anderes enthüllen die vier Bände der Quellenedition von Doris Schmidt und Heinrich Scheel, in der mi t minutiöser Genauigkeit dem Werdegang jedes einzelnen Aktenstücks nachgespült worden ist. Und nichts anderes enthüllt auch die geradezu hilflose Antwort, mi t der der König im September 1811 gegenüber Hardenberg das Regulierungsedikt und das Landeskulturedikt vollzogen zurücksandte: „Durch beigehendes von mir vollzogenes Edikt w i rd das Glück der Unterthanen und der Flor des Landes beabsichtigt, daß beides dadurch wenigstens zum Theil möge erreicht werden, wünscht natürlich keiner inniger und lebhafter als ich, und darf es zum Thei l hoffen und erwarten aus dem was Sie mi r über die vorher gegangene Prüfung schätzbarer und erfahrener Personen berichtet haben4 9" . Das Glück des Landes wi rd beabsichtigt und erhofft — keine Rede davon, daß der König etwa sagen würde: ich bin zuversichtlich, daß es erreicht werden kann. Denn diese Maßnah-men habe ich geprüft und beurteilt. Nichts davon, vielmehr: andere, nämlich schätzbare und erfahrene Personen, haben den Entwurf begutachtet, womit wohl

49 Der König an Hardenberg, Charlottenburg, 14. September 1811. Eigenhändiges Konzept, GSTA Merseburg HA Rep. 49 J 96 Bl. 124.

Modernisierung von oben 273

die von Februar bis September 1811 in Berl in tagende Notabelnversammlung gemeint sein dürfte, in der das Regulierungsedikt tatsächlich beraten worden ist. Nicht einmal die potentielle Bedrohung seiner Machtstellung durch diese Keim-zelle einer parlamentarischen Körperschaft hat der König erkannt.

Da fällt uns wieder das Urtei l Gneisenaus ein, das dieser drei Monate früher formuliert hat: „Der König steht noch immer neben dem Throne, worauf er nie gesessen50".

A u f dem Throne, so w i l l es uns fast scheinen, sitzt in diesen Jahren der Staatskanzler. Sein Büro weist alle Entartungserscheinungen auf, die früher das königliche Kabinett besessen hat. Minister klagen, wie Kaspar Friedrich von Schuckmann 1817, nicht über mangelnden Zugang zum König, sondern zum Staatskanzler51. Der königliche Absolutismus weicht, das ist kein Zweifel, in der Innenpolit ik dem Staatskanzlerabsolutismus. Aber nur da! Denn in der Außenpoli-t ik hat, wie eine gründliche Durchmusterung der Krisen von 1809 und 1811 beweist, Friedrich Wi lhe lm die Zügel nicht aus der Hand gegeben. Das französi-sche Bündnis vom Frühjahr 1812 ist sein Werk, nicht das Hardenbergs. Erst nach 1816 läßt auch hier Friedrich Wilhelms Interesse nach.

In der Reformpolit ik dagegen war dem König der Staatskanzlerabsolutismus recht, so lange er sich von den gedanklichen Problemen, die damit verbunden waren, nur belästigt und überfordert fühlte. Der königliche Absolutismus erwach-te erst in dem Augenblick, als der absolutistische Minister seinem Reformwerk den konsequenten Abschluß in Gestalt einer gesetzlich verankerten Volksvertre-tung zu geben suchte. Denn die Minister — und das trifft für Stein wie für Hardenberg gleichermaßen zu—hat ten ein System, das bestimmte Konsequenzen erforderte. Der König aber hatte keins, sondern nur eine Regierungsmaxime, die aus dem einen Satz bestand: Da mir die Macht nun einmal auferlegt ist, w i l l ich sie behalten. Eigentlich war, so hatte Caroline von Humboldt 1816 beobachtet, Hardenberg „der Regierende". Er konnte aber dennoch „zuletzt nicht so handeln wie nur der König kann 5 2 " . Das zeigte sich eben dann, wenn der König, der bei den Geschäften nur pflichtgemäß anwesend, nicht wirk l ich gegenwärtig war, aus seinem Dämmer hochschreckte, wie im Jahre 1817, als er erkannte, wie weit Hardenberg mit der Nationalrepräsentation schon gegangen war. „ Ich b in ent-schloßen", schrieb er da am 12. Apr i l 1817 im eigenhändigen Konzept zu einer Kabinettsorder an Hardenberg, „den Fortgang dieser höchst wichtigen Angelegen-heit fest im Auge zu behalten", und deswegen werde er sich sämtliche Verhand-

50 Gneisenau an Freiherrn vom Stein, Breslau, 26. Juni 1811, in: Karl Griewank (Hrsg.), Gneisenau. Ein Leben in Briefen, Leipzig 1939, 163.

5 1 Vgl. Schuckmann an Hardenberg, Berlin, 4. November 1817, GSTA Merseburg Rep. 92 Hardenberg H 15 a Bl. 64-65 v.

52 Caroline an Wilhelm von Humboldt, Karlsbad, 15. Juli 1816, in: Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, hrsg. v. Anna von Sydow, Bd. 5, Berlin 1912, 285 f.

18 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

274 Thomas Stamm-Kuhlmann

lungen der Verfassungskommission vorlegen lassen53. Aber auch hier bleibt, und insofern müßte man Koselleck recht geben, der Einfluß des Königs ein rein negativer. Er behält sich vor, die Verfassungsangelegenheit zur Not anzuhalten. Eine Kabinettsorder, in der Hardenberg zum raschen Handeln in Sachen Verfas-sung angetrieben worden wäre, gibt es nicht.

Eine der entscheidenden Fragen im Verhältnis von Monarch und Bürokratie ist, ob das Staatsministerium dem König als Einheit gegenübertritt oder nicht. Nach Steins Entwurf, der, obwohl vom König genehmigt, niemals Wirkl ichkeit geworden ist, sollte diese Einheit durch den Staatsrat gestiftet werden. In einem gemeinsamen Immediatbericht vom 17. März 1810 aber haben die Staatsminister Goltz, Altenstein, Dohna, Beyme und Scharnhorst dem König gegenüber die Befürchtung ausgesprochen, die Staatsratskonstruktion könne dazu führen, daß dem König die Macht entgleite. Er werde nämlich zu einem bloßen Vorsitzenden herabgewürdigt, und das sei der monarchischen Verfassung zuwider. Stattdessen hielten diese Minister an der traditionellen Konstruktion der separaten Kabinetts-vorträge fest 54 . E in Ministerium, ob nun eingebettet in den Staatsrat oder nicht, das sich auf einen Beschluß einigt, bevor es dem König gegenübertritt, ist etwas ganz anderes, als eine Reihe von Einzelbehörden, die ihre Pläne jeweils einzeln dem König unterbreiten müssen.

Paradoxerweise hatte der König also sogar nach den Wünschen seiner Bürokra-ten ein Schiedsrichteramt, aber er machte davon viel zu wenig Gebrauch. Auch dies ist beispielsweise mit ein Grund dafür, daß vor Hardenbergs Antr i t t kein Gendarmerieedikt zustandekommt. Meinungsverschiedenheiten waren im Staats-ministerium aufgetaucht, und, wie der Staatsrat Borsche den Akten anvertraute: „Des Königs Majestät . . . haben diese Verschiedenheit der Ansichten nicht entschieden55".

Eckart Kehr hat diesen Vorgang in seine drastischen Ar t schon vor sechzig Jahren so charakterisiert: „Friedrich Wi lhe lm I I I . (hat) seinen Ministern die Macht direkt vor die Füße geworfen: wenn ein Minister persönlich zu unfähig war, sie aufzunehmen, wie etwa Altenstein kurz vor seinem Sturz, konnte der Zwischenzu-stand eintreten, daß der König verlangte, vom Minister geführt zu werden, wäh-rend der Minister devotest dem König die Entscheidung über die Richtung der Poli t ik anheimstellte56".

53 Friedrich Wilhelm III. an Hardenberg, Berlin, 12. April 1817. Eigenhändiges Kon-zept, GSTA Merseburg 2.2.1. Nr. 178 Bl. 1 f.

5 4 Immediatbericht des Staatsministeriums, gez. Goltz, Altenstein, Dohna, Beyme, Scharnhorst, Berlin, 17. März 1810, in: Heinrich Scheel I Doris Schmidt (Hrsg.), Von Stein zu Hardenberg. Dokumente aus dem Interimsministerium Altenstein / Dohna (Aka-demie der Wissenschaften der DDR, Schriften des Zentralinstituts für Geschichte, Bd. 34), Berlin 1986, 582.

55 Ebd., 662 (Votum des Staatsrats Borsche, Berlin, 28. April 1810). 56 Kehr (Anm. 48), 38 f.

Modernisierung von oben 275

Kein Wunder, daß die Einrichtung des Staatskanzleramtes mit seinen die Ansichten und Entscheidungen bündelnden Funktionen hier zunächst Besserung schafft. Aber Hardenberg selbst hat nicht versucht, dem König für die Zeit nach seinem Abtreten die Beibehaltung des Staatskanzleramts zu empfehlen. Er hat in seinem Immediatbericht vom 25. M a i 1818 stattdessen vorgebracht, daß er für sich selbst keinen geeigneten Nachfolger wisse, und daß der König daher am besten zwei Minister neu berufen solle, mi t denen er sich schon jetzt angewöh-nen könne, „höchstselbst zu arbeiten". Er schlug dafür Christian Graf Bernstorff als Außenminister und Friedrich Heinrich Graf von Wy l i ch und Lottum als Schatzminister und Generalkontrolleur der Finanzen vor 5 7 . Später wurde Lot tum bekanntlich der Kabinettsminister, durch den dem König die inneren Angelegen-heiten vorgetragen wurden. Der für die letzten zwei Jahrzehnte Friedrich Wi l -helms typische Regierungsstil, der auf eine Wiederbelebung der Kabinettsregie-rung hinauslief, ist also von Hardenberg vorausgesehen und in Kauf genommen worden. Er bedeutete, daß die meisten Ressortminister am langen Zügel arbeiten konnten. Die Vereinheitlichung der Geschäfte in gemeinsamen Sitzungen des Staatsministeriums war schwach. Hier hat, wie die durchlaufende Protokollsamm-lung beweist, bis 1918 die Kabinettsorder vom 4. November 1817 die Rechts-grundlage gebildet, die noch auf einem Entwurf Hardenbergs beruht. In dieser K O sind, anders als in einer früheren Order vom 31. März 1810, die Sitzungsinter-valle des Staatsministeriums nicht f ix ier t 5 8 . In der Regel traf es sich, wie Werner Frauendienst aus den Protokollen entnommen hat, einmal wöchentl ich59 . Der Staatsrat, der ab Frühjahr 1817 bestand, war zu schwerfällig, um ein echtes Gegengewicht zum Monarchen darzustellen. Während Stein in seinem Organisa-tionsplan vom November 1807 ausgeführt hatte: „D ie Regierungsverwaltung g e h t . . . künft ig von einem dem Oberhaupt des Staates unmittelbar untergeordne-ten obersten Punkt aus6 0" , so gi l t für die Jahre ab 1822 wieder: der oberste Punkt ist das Staatsoberhaupt selbst. Dieser oberste Punkt hat jetzt auch in einer Kabi-nettsorder vom 1. Dezember 1829 ausdrücklich bestimmt, daß Meinungsdifferen-zen der einzelnen Minister, über die im gesamten Staatsministerium keine Eini-gung erzielt werden konnte, ihm vorgetragen werden mußten61 . Jederzeit hatte, das war die herrschende Rechtsauffassung, ein im Staatsministerium überstimm-ter Minister das Recht, durch ein Separatvotum die Entscheidung des Königs

57 Immediatbericht Hardenbergs, Glienicke, 25. Mai 1818, GSTA Merseburg Rep. 92 Hardenberg H 15 b Bl. 3 - 4 v.

58 Vgl. GSTA Merseburg Rep. 92 Hardenberg H 15 a Bl. 43 f. 59 Vgl. Werner Frauendienst , Das preußische Staatsministerium in vorkonstitutionel-

ler Zeit, Zeitschrift für die gesamte Staats Wissenschaft 116 (1960), 163. 6 0 „Plan zu einer neuen Organisation der Geschäftspflege im Preußischen Staat".

Anlage A zum Immediatbericht Steins vom 23. November 1807, in: Heinrich Scheel I Doris Schmidt (Hrsg.), Das Reformministerium Stein. Akten zur Verfassungs- und Ver-waltungsgeschichte aus den Jahren 1807/08 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Schriften des Instituts für Geschichte, Reihe 1, Bd. 31/A), Berlin 1966, 100.

61 Vgl. Frauendienst (Anm. 59), 168.

18*

276 Thomas Stamm-Kuhlmann

anzurufen 62. U m so deutlicher fällt auf, daß diese Schiedsrichterfunktion die Person des Königs so wenig hat durchscheinen lassen.

Ein energischer König hätte von dieser Behördenstruktur aus weiterhin den Kurs bestimmen können. Es sei hier klargestellt: natürlich war eine Rückkehr zur Selbstregierung nach Ar t Friedrichs I I . nicht möglich. Dies schon deshalb nicht, wei l die preußische Monarchie sich gewaltig vergrößert hatte und es gerade ein Kennzeichen der Modernisierung ist, daß der Regelungsbedarf ständig zu-nimmt. Aber nichts hätte den König gehindert, weiter auch im Innern die Richt-l inien der Poli t ik zu bestimmen. Daß er das nicht konnte, daß er seinen Ministern nicht eine Vis ion vor Augen stellen konnte, um ihnen dann die Umsetzung zu überlassen, liegt — ich wiederhole es — in der Individualität Friedrich Wilhelms I I I . begründet.

8. Bürokraten und König zwischen Beharrung und bürgerlicher Umwälzung

U m Reformen zu initi ieren und durchzusetzen, so haben wi r gesagt, ist es außerdem erforderlich, daß Monarch und Staatsapparat sich über die Borniertheit der gesellschaftlichen Interessen erheben, mi t dem Ziel, langfristig die Zukunft des Gemeinwesens zu sichern.

Es bedeutet also, daß Königtum und Bürokratie imstande gewesen sein müssen, sich über die Kurzsichtigkeit von Fabrikanten, die nach Monopolen und Prohibi-t ivzöllen schrien, ebenso hinwegzusetzen wie über den junkerlichen Widerstand gegen die Agrar- und sonstige Reformen. Da läßt sich an drei Beispielen, nämlich dem Schicksal des Gendarmerie- 63 und des Regulierungsedikts nach 18146 4 und am Beispiel der Gewerbefreiheit zeigen, daß Friedrich Wi lhe lm I I I . seinem Staatskanzler ganz massiv als Bremser ins Handwerk gepfuscht hat. Er war den unzähligen ständischen Eingaben und Petitionen gegenüber immer zugänglich. I m Spätherbst 1819 rechnete ein ständischer Reaktionär wie Gustav von Rochow-Reckahn ganz auf den König und meinte, Friedrich Wi lhe lm sei „von allen der einzig Kluge; er fühlt wie w i r und ist unserem Stande vielleicht niemals so geneigt gewesen als grade jetzt. Er soll fest entschlossen sein, nicht anders als übereinstimmend mit Ostreich zu agieren 65". Darüber hinaus hat Friedrich Wi l -helm, als er meinte, nicht mehr mi t dem Rücken zur Wand zu stehen, an wesentli-chen Stellen die systematisch angelegte Modernisierungspolitik behindert, wenn

62 Vgl. ebd., 167. 63 Vgl. Koselleck (Anm. 6), 205 f. 6 4 Vgl. Hartmut Harnisch, Vom Oktoberedikt des Jahres 1807 zur Deklaration von

1816. Problematik und Charakter der preußischen Agrarreformgesetzgebung zwischen 1807 und 1816, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1978), Sonderband, 269.

65 Zitiert nach: Ernst Müsebeck, Märkische Ritterschaft und preußische Verfassungs-frage von 1814 bis 1820, Deutsche Rundschau 174 (1918), 365.

Modernisierung von oben 277

auch nicht vollständig zum Stillstand gebracht. Dazu fehlte ihm der Einbl ick, und das hat sicherlich viele Aktivi täten der preußischen Gewerbeförderungspoli-t ik ermöglicht. Hardenberg hat sich teilweise auch erfolgreich gegen die königl i -chen Eingriffe gewehrt 66 . Die Bürokratie hat es gelegentlich gewagt, königliche Befehle nicht auszuführen 67. Die königliche Souveränität über die Außenpolit ik aber führte auf jeden Fall dazu, daß gewinnträchtige Früchte derZollvereinspolit ik nicht eingebracht werden konnten68 .

Folgenschwer war es, daß Friedrich Wi lhe lm 1824 seinem von alten Ritterzei-ten und Ständestaat träumenden Thronfolger dauernden Einfluß auf den Ge-schäftsverkehr zuwischen dem König und den Provinzialständen einräumte und in einer vom Grafen Lot tum entworfenen Kabinettsorder zugab, die Hardenberg-sche Gesetzgebung passe nicht mehr vo l l in die Ze i t 6 9 .

Schon vorher erweist sein persönliches Beharren darauf, daß der Aufbau reprä-sentativer Organe über die Provinzialstände beginnen und daß alle Vertretungen kein Bewil l igungs-, sondern nur ein Beratungsrecht bekommen sollten, zusam-men mit seinem Eingreifen in die Beratung des Staatsschuldengesetzes von 1820, daß er die Tragweite der Verfassungsfrage erkannt und sich ihren Konsequenzen bewußt entgegengestellt hat. Metternichs Wort über ihn hat deshalb Endgültig-keitswert: „Das aktivste Prinzip seiner Seele", so schrieb dieser dem Kaiser Franz von den Konferenzen in Teplitz 1819, sei „das Hemmende7 0" .

Dennoch wäre es verkehrt, zu sagen, allein ein aristokratischen Einflüssen ausgesetzter König habe die Umgestaltungsversuche einer entschlossenen bürger-lichen Bürokratie zunichte gemacht. Genauso wicht ig sind innerbürokratische

67 Nach der Ablösung Karl Friedrich Beymes als Justizminister durch Friedrich Leo-pold von Kircheisen 1810 blieb eine vollzogene Kabinettsorder liegen, in der die Aufhe-bung der Patrimonialgerichtsbarkeit angeordnet worden war. Vgl. Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen. Aus seinem Nachlaß hrsg. v. Friedrich Nippold, Bd. 2, Leipzig 1889, 54. Sieg der Reaktion über den Fortschritt. Die Kabinettsorder, in der Friedrich Wilhelm den Juden das Führen christlicher Vornamen verbieten wollte, hat Hardenberg am 12. Dezember 1816 aus eigener Machtvollkommen-heit zu den Akten geschrieben. Vgl. Dietz Bering, Der Name als Stigma. Antisemitismus im deutschen Alltag 1812-1933, Stuttgart 1987, 70. Sieg des Fortschritts über die Reaktion.

68 Ein Beispiel: Die Weigerung Friedrich Wilhelms, der hier unter dem Einfluß seines Außenministers Ancillon steht, im Jahre 1832 eine mögliche Annäherung an Belgien herbeizuführen. Vgl. Harald Müller, Der Weg nach Münchengrätz. Voraussetzungen, Bedingungen und Grenzen der Reaktivierung des reaktionären Bündnisses der Habsbur-ger und Hohenzollern mit den Romanows im Herbst 1833, in: Jahrbuch für Geschichte 21 (1980), 31.

69 Vgl. Herbert Obenaus, Anfänge des Parlamentarismus in Preußen bis 1848 (Hand-buch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus, Bd. 3), Düsseldorf 1983, 237, 253 f.

70 Metternich an Kaiser Franz, Teplitz, 1. August 1819, in: Aus Metternichs nachgelas-senen Papieren, hrsg. v. dem Sohne des Staatskanzlers, Fürsten Richard Metternich-Winneburg, geordnet und zusammengestellt von Alfons von Klinkowström, Bd. 3, Wien 1882, 264.

278 Thomas Stamm-Kuhlmann

Prozesse gewesen, denn in ihrem bevormundenden und gängelnden Mißtrauen gegen die politische Reife des Volkes trafen sich die Reformbürokraten mi t den Anhängern des sozialen status quo. Gegen das Landsturmedikt wandte sich der Reformbeamte Scharnweber, und an der Rücknahme des Gendarmerieedikts ist der Reformbeamte Theodor Gottl ieb von Hippel, der Verfasser des Aufrufs A n Mein Volk , betei l igt71 .

Friedrich Wi lhe lm I I I . von Preußen war eine Persönlichkeit, die aufgrund der Nüchternheit und Schlichtheit vor allem des jungen Monarchen durchaus auch Anziehendes hatte. Seine anfängliche Unsicherheit und Orientierungslosigkeit weckt Mitgefühl. I m Alter war diese Unsicherheit zwar einer gewissen Reife gewichen, doch trat ebenso oft die Neigung ursprünglich Unsicherer zutage, sich in bloßen Starrsinn zu flüchten. Die Beliebtheit des Königs durchlebte manche Schwankungen. Die mangelnde Wil l fährigkeit des Berliner Magistrats bei der Durchsetzung seiner Agendenordnung empörte Friedrich Wi lhe lm und ließ die Beziehungen des Königs zu seiner Haupt- und Residenzstadt jahrelang zu Eis erstarren 72. Der Unfal l und Beinbruch des Jahres 1826 und schließlich die letzte Krankheit Friedrich Wilhelms dagegen lösten bei den Berlinern eine beeindruk-kende Anteilnahme aus73 .

Friedrich Wilhelms I I I . Einfluß auf Gestalt und Aussehen der preußischen Monarchie, wie sie sich dann 1840 schließlich darstellte, war sehr, sehr groß. Doch bestand er wesentlich im Negativen. Aber auch seine Unterlassungen zeigen noch, welche bedeutenden Möglichkeiten sich einem energischen, umgestaltungs-wi l l igen Herrscher immer noch geboten hätten. Auch seinem Nachfolger standen diese Möglichkeiten offen. Er hatte sogar eine Vision, nämlich die Vis ion einer bewußten ideologischen Neubegründung des absoluten Königtums7 4 . Doch führte er damit das Königtum von der Wirkl ichkeit fort und geradewegs in die Katastro-phe von 1848 hinein.

7 1 Vgl. Theodor Bach, Theodor Gottlieb von Hippel, der Verfasser des „Aufrufs an Mein Volk", Breslau 1863, 233-239.

7 2 Vgl. die testamentarische Verfügung Friedrich Wilhelms III. vom 1. Dezember 1827, GSTA Dahlem, Rep. 192 Wittgenstein III , 8, 2 a Bl. 14, und Erich Foerster, Die Entstehung der preußischen Landeskirche unter der Regierung König Friedrich Wilhelms des Dritten, nach den Quellen erzählt, Bd. 2, Tübingen 1907, 105, 172 f.

7 3 Belege für diese Anteilnahme bei Paul und Gisela Habermann, Friedrich Wilhelm III., König von Preußen, im Blick wohlwollender Zeitzeugen, Schernfeld 1990,94,139 f.

7 4 Ich verweise hier nur summarisch auf das demnächst erscheinende Buch von David E. Barclay (Kalamazöo), Frederick William IV and the Prussian Monarchy, 1840-61.

V.

Bibliographie

Die preußischen Reformen

Eine Bibliographie (1976-1992)

Von Bernd Sösemann, Berl in

Vorbemerkung

Die Stein-Hardenbergschen Reformen nehmen einen herausragenden Platz in der deutschen Geschichte ein. In ihrer Gesamtheit, also auch unter Einschluß der Wirtschaftspolitik, finden sie, wie die Bemühungen der Forschung in den letzten Jahren bewiesen haben, auch„kein Gegenstück von gleichrangiger Bedeu-tung" (Elisabeth Fehrenbach) in den Rheinbundstaaten. Richtet sich der B l ick auf die weiteren Zusammenhänge der deutschen Geschichte und damit auf die Frage, welche langfristigen Ergebnisse die Reformen hervorgebracht haben, dann gehen die Einschätzungen deutlich auseinander. Die dabei in der jüngeren For-schung zwischen dem Rheinland, Bayern und Preußen gezogenen Vergleiche lassen für den preußischen Tei l mitunter nicht die gleiche Intensität und Tiefe der Kenntnisse erkennen wie für die Entwicklungen in den übrigen deutschen Staaten. Zu diesem B i l d mag nicht unerheblich beigetragen haben, wie Thomas Nipperdey meint, daß die Verfassungsgebung in Süddeutschland die entsprechen-den Reformen nachträglich aufgewertet, ihnen zumindest „einen veränderten und neuen Charakter" gegeben habe.

Eine klare und überzeugende Antwort w i rd derjenige sicher geben können, der sich erfolgreich um einen genauen, differenziert angelegten und möglichst alle Sachbereiche in seine Interpretation mit einbeziehenden Überblick bemüht. Forschungsberichte und Bibliographien leisten dazu einen gewichtigen Beitrag. 1977 veröffentlichte Walther Hubatsch in der Reihe „Erträge der Forschung" als Band 65 der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt, eine insgesamt gelungene Mischung beider Hi l fsmittel unter dem Titel „D ie Stein-Hardenberg-schen Reformen". A u f knapp 250 Druckseiten stellte er die damals in über anderthalb Jahrhunderten angewachsene, von einem einzelnen Forscher kaum noch zu übersehende Literatur dar. In den Mittelpunkt seiner Bemühungen rückte er deshalb die bibliographisch gespiegelte „Wahrnehmung und Festlegung einer Reihe von verschiedenartigen Standpunkten" (Vorwort, S. IX) . Er berücksichtigte den heute noch gültigen Grundsatz, daß die Forschung gut beraten sei, wenn sie ältere Ergebnisse keineswegs bereits aufgrund ihres Erscheinungsdatums als überholt ansähe.

282 Bernd Sösemann

Wenn die hier vorgelegte „Fortsetzung" der Hubatsch-Bibliographie den Ver-such unternimmt, die letzten siebzehn Jahre der Forschung zu den Reformen in Preußen zu erfassen, dann sind drei Hinweise vonnöten. Es werden Quellen, Dokumentationen, Biographien, Darstellungen und Untersuchungen in der Sach-gliederung grundsätzlich nur einmal erfaßt, so daß es sich empfiehlt, gelegenlich mehrere Rubriken durchzusehen. Ältere Beiträge, die „Forschungsgeschichte" gemacht haben oder für spezielle Fragen immer noch herangezogen werden müssen, sind dennoch an mehreren Stellen leicht zugänglich. Die entsprechenden Anthologien haben zusammen mit den Handbüchern, Gesamtdarstellungen und allgemeinen Aufsatzsammlungen bewußt einen eigenen Abschnitt ( I I I .) erhalten. „Nachträge" zu Walther Hubatschs „Erträge der Forschung"-Band mußten unter-bleiben. Diese Entscheidung fiel nicht primär aus Raumgründen, sondern vorran-gig, wei l die jüngeren Arbeiten mit ihren mitunter umfangreichen Bibliographien alle wichtigen Ti tel berücksichtigten. In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf die leicht zugängliche, kenntnisreich und mit großer Akr ibie erarbeitete „Auswahlbibliographie zur preußischen Geschichte" verweisen, die Wolfgang Neugebauer in der von ihm zusammen mit Otto Büsch herausgegebenen „Moder-ne [n] Preußische[n] Geschichte 1648 -1947. Eine Anthologie" publiziert hat (Ver-öffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 5 2 / 1 - 3 , Berl in 1981, hier Bd. 3, S. 1677-1764).

Die detaillierte Gliederung der Bibliographie soll einen leichten und schnellen Zugr i f f ermöglichen. Dabei ist zu beachten, daß die Aufsätze in den Sammelwer-ken in der Regel nicht einzeln aufgeführt wurden; die wenigen Ausnahmen betreffen Beiträge, denen in der Forschungsliteratur nach herrschender Meinung eine überdurchschnittliche Bedeutung zuzubill igen ist. Die relative Weite der biographischen Kategorie hat es gestattet, dort auch speziellere Monographien zum Werk oder zur geistigen Haltung mit aufzunehmen.

In enger Verbindung mit den hier publizierten APG-Vorträgen ist diese Bibl io-graphie entstanden. Sie hätte in dieser ausführlichen Form und mit dem Anspruch, möglichst alle einschlägigen Arbeiten zu erfassen, kaum entstehen können, wenn mir nicht drei Mitarbeiter meines Lehrstuhls mi t wachsender Sachkunde und mi t großem Engagement zur Seite gestanden hätten. Herrn cand. phil . Albrecht Hop-pe, Frau stud. phil. Nicolette Mankowsky und Herrn stud. phil. Mart in Röbke danke ich an dieser Stelle dafür herzlich.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 283

Übersicht

I. Abgeschlossene Bibliographien II. Editionen und Dokumentationen III. Handbücher, Gesamtdarstellungen und allgemeine Aufsatzsammlungen

1. Deutsche und europäische Geschichte 2. Preußen

IV. Staat und Gesellschaft V. Die Preußischen Reformen: Allgemeine Darstellungen und Einschätzungen VI. Biographien und Biographisches VII. Literatur zu einzelnen Sachbereichen

1. Philosophische und geistesgeschichtliche Grundlagen 2. Reformbestrebungen vor 1806 3. Rechtsordnung 4. Regierung und Verwaltung 5. Städte- und Gemeindeordnung 6. Nationalrepräsentation und Verfassungsfrage 7. Wirtschaft und Gewerbefreiheit 8. Finanz- und Steuersystem 9. Agrarverfassung

10. Schul- und Bildungswesen 11. Militärwesen 12. Juden und Judenemanzipation

I . Abgeschlossene Bibliographien

1 Hubatsch, Walther: Die Stein-Hardenbergschen Reformen (Erträge der Forschung 65). Darmstadt 21989.

2 Müller, Klaus: Absolutismus und Zeitalter der Französischen Revolution, 1715-1815 (Quellenkunde zur deutschen Geschichte der Neuzeit von 1500 bis zur Gegen-wart 3). Darmstadt 1982.

3 Neugebauer, Wolfgang: Auswahlbibliographie zur preußischen Geschichte. In: Büsch, Otto / Neugebauer, Wolfgang (Hrsg.): Moderne preußische Geschichte 1648-1947. Eine Anthologie (Veröffentlichung der Historischen Kommission zu Berlin 52/3) . Bd. 3. Berlin 1981, 1677-1764.

4 Sachse, Wieland: Bibliographie zur preußischen Gewerbestatistik 1750-1850 (Göt-tinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 6). Göttingen 1981.

5 Siemann, Wolfram: Restauration, Liberalismus und nationale Bewegung, 1815 -1870 (Quellenkunde zur deutschen Geschichte der Neuzeit von 1500 bis zur Gegen-wart 4). Darmstadt 1982.

6 Wehler, Hans-Ulrich: Bibliographie zur modernen deutschen Sozialgeschichte (18.-20. Jh.). Göttingen 1976.

7 Wehler, Hans-Ulrich: Bibliographie zur modernen deutschen Wirtschaftsgeschichte (18.-20. Jh.). Göttingen 1976.

284 Bernd Sösemann

I I . Editionen und Dokumentationen

8 Biermann, Kurt R.: Alexander von Humboldt. Vier Jahrzehnte Wissenschaftsförde-rung. Briefe an das preußische Kultusministerium 1818-1859 (Beiträge zur Alexan-der-von-Humboldt-Forschung 14). Berlin 1985.

9 Brandt, Hartwig: Restauration und Frühliberalismus 1814 -1840 (Quellen zum politi-schen Denken im 19. und 20. Jahrhundert 3). Darmstadt 1979.

10 Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Hrsg. von Werner Hahlweg. Bonn 191980.

11 Dann, Otto: Preußen. Entwicklung und Probleme eines modernen Staates (Tempora. Quellen zur Geschichte und Politik 4). Stuttgart 1983.

12 Dill, Günter (Hrsg.): Clausewitz in Perspektive. Materialien zu Carl von Clausewitz: Vom Kriege (Ullstein Materialien). Frankfurt/M. 1980.

13 Förster, Gerhard / Gudzent, Christa (Hrsg.): August Wilhelm Anton Neidhardt von Gneisenau. Ausgewählte militärische Schriften (Schriften des Militärgeschichtlichen Instituts der DDR). Berlin (DDR) 1984.

14 Förster, Gerhard / Schmidt, Dorothea (Hrsg.): Carl von Clausewitz. Ausgewählte militärische Schriften (Schriften des Militärgeschichtlichen Instituts der DDR). Berlin (DDR) 21981.

15 Franz, Eckhart G. (Hrsg.): Italien im Bannkreis Napoleons. Die römischen Gesandt-schaftsberichte Wilhelms von Humboldt an den Landgraf / Großherzog von Hessen-Darmstadt 1803-1809 (Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission NF 4). Darmstadt 1989.

16 Freese, Rudolf (Hrsg.): Wilhelm von Humboldt. Sein Leben und Wirken, dargestellt in Briefen, Tagebüchern und Dokumenten seiner Zeit. Darmstadt 21986.

17 Gersdorff, Ursula von (Hrsg.): Gerhard von Scharnhorst. Ausgewählte Schriften (Bibliotheca Rerum Militarium 49). Osnabrück 1983.

18 Hahlweg, Werner (Hrsg.): Carl von Clausewitz. Schriften — Aufsätze — Studien — Briefe. Dokumente aus dem Clausewitz-, Schamhorst- und Gneisenau-Nachlaß sowie aus öffentlichen und privaten Sammlungen. Bd. 2 .1 /2 (Deutsche Geschichts-quellen des 19. und 20. Jahrhunderts 49). Göttingen 1990.

19 Hahlweg, Werner (Hrsg.): Carl von Clausewitz. Verstreute kleine Schriften (Biblio-theca Rerum Militarium 45). Osnabrück 1979.

20 Hein, Alfred W.: Die Briefe des Prinzen August von Preußen an Madame R6camier 1807-1843. In: Francia 4 (1976), 433-579.

21 Henning, Hansjoachim (Hrsg.): Quellen zur sozialgeschichtlichen Entwicklung in Deutschland von 1815 bis 1860 (Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegen-wart). Paderborn 1977.

22 Huber, Emst Rudolf (Hrsg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850. Stuttgart 31978.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 285

23 Kleßmann, Eckart (Hrsg.): Deutschland unter Napoleon in Augenzeugenberichten. München 21982.

24 Köllmann, Wolfgang (Hrsg.): Quellen zur Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftssta-tistik Deutschlands 1815-1875. Bd. 1: Quellen zur Bevölkerungsstatistik Deutsch-lands 1815-1875 (Forschungen zur deutschen Sozialgeschichte 2). Boppard/Rh. 1980.

25 Lautemann, Wolfgang (Hrsg.): Geschichte in Quellen. Bd. 5: Amerikanische und Französische Revolution. München 41989.

26 Linnebach, Karl (Hrsg.): Scharnhorsts Briefe. Hrsg. von Heinz Stübig. Bd. 1: Privat-briefe. Nachdruck München 1980.

27 Lipgens, Walter (Hrsg.): Briefe Ferdinand Augusts von Spiegel zum Diesenberg, Domdechanten zu Münster und Erzbischofs von Köln, an Karl vom und zum Stein, 1802-1831 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 19. Westfälische Briefwechsel und Denkwürdigkeiten 9). Münster 1989.

28 Massenbach, Christian von: Historische Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Ver-falls des preußischen Staats seit dem Jahre 1794. Gallerie Preußischer Charaktere von Friedrich Buchholz. Frankfurt/M. 1979.

29 Mattson, Philip: Verzeichnis des Briefwechsels Wilhelm von Humboldts (Wilhelm-von-Humboldt-Briefarchiv 1/2) . Heidelberg 1980.

30 Mattson, Philip (Hrsg.): Wilhelm von Humboldt. Briefe an Friedrich August Wolf. Berlin 1990.

31 Niemeyer, Joachim (Hrsg.): Carl von Clausewitz. Historische Briefe über die großen Kriegsereignisse im Oktober 1806. Bonn 1977.

32 Niemeyer, Joachim (Hrsg.): Scharnhorst-Briefe an Friedrich von der Decken 1803-1813. Bonn 1987.

33 Rothkirch, Malve Gräfin (Hrsg.): Königin Luise von Preußen. Briefe und Aufzeich-nungen 1786-1810. München 1985.

34 Scheel, Heinrich / Schmidt, Doris (Hrsg.): Von Stein zu Hardenberg. Dokumente aus dem Interimsministerium Altenstein / Dohna (Schriften des Zentralinstituts für Geschichte 54). Berlin (DDR) 1986.

35 Spies, Hans-Bernd (Hrsg.): Die Erhebung gegen Napoleon 1806-1814/15 (Quellen zum politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert 2). Darmstadt 1981.

36 Süvern, Johann Wilhelm: Die Reform des Bildungswesens. Schriften zum Verhältnis von Pädagogik und Politik. Hrsg. von Hans-Georg Große Jäger und Karl-Emst Jeismann (Schöninghs Sammlung pädagogischer Schriften). Paderborn 1981.

37 Usczeck, Hansjürgen / Gudzent, Christa (Hrsg.): Gerhard von Scharnhorst. Ausge-wählte militärische Schriften (Schriften des Militärgeschichtlichen Instituts der DDR). Berlin (DDR) 1986.

286 Bernd Sösemann

38 Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. Hrsg. von Konrad Feilchenfeldt. 3 Bde. Frankfurt/M. 1987.

39 Varnhagen von Ense, Karl August: Kommentare zum Zeitgeschehen. Publizistik, Briefe, Dokumente 1813-1858. Leipzig 1984.

40 Vischer, Eduard: Briefe von Frau Dore Hensler geb. Behrens an Staatsrat L. Nicolvius aus dem Zeitraum von 1815-1820. In: AKG 62/63 (1980/81), 301-349.

41 Vischer, Eduard (Hrsg.): Barthold Georg Niebuhr. Briefe. NF. Bd. 1.1 / 2. Bern 1981.

42 Weber, Rolf (Hrsg.): Emst Moritz Arndt. Erinnerungen 1769-1815. Berlin (DDR) 1985.

43 Weber, Rolf (Hrsg.): Drei Flugschriften von Emst Moritz Arndt. Nachdruck Berlin (DDR) 1985.

44 Weber, Rolf (Hrsg.): Karl Friedrich Klöden. Von Berlin nach Berlin 1786-1824. Berlin (DDR) 1976.

45 Wegeleben, Christel: Eine Neuerwerbung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz (Akten zur Frage der Einrichtung der preußischen Landwehr im Jahre 1813 aus dem Nachlaß des Reichsburggrafen und Grafen Friedrich Ferdinand Alexan-der zu Dohna-Schlobitten). In: Preußenland 18 (1980), 45-47.

46 Westphalen, Ludger Graf von (Hrsg.): Die Tagebücher des Oberpräsidenten Ludwig Freiherrn Vincke 1813-1818 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 19. Westfälische Briefwechsel und Denkwürdigkeiten 7). Münster 1980.

I I I . Handbücher, Gesamtdarstellungen und allgemeine Aufsatzsammlungen

1. Deutsche und europäische Geschichte

47 Aretin, Karl Otmar Frhr. von: Vom Deutschen Reich zum Deutschen Bund (Deutsche Geschichte 7. Kleine Vandenhoek-Reihe). Göttingen 1980.

48 Aretin, Karl Otmar Frhr. von / Ritter, Gerhard A. (Hrsg.): Historismus und moderne Geschichtswissenschaft. Europa zwischen Revolution und Restauration 1797-1815 (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte. Beiheft 21). Stuttgart 1987.

49 Aubin, Hermann/Zorn, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch der deutschen Wirtschafts-und Sozialgeschichte. Bd. 2: Das 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1976.

50 Berding, Helmut / Ulimann, Hans-Peter (Hrsg.): Deutschland zwischen Revolution und Restauration (Athenäum-Droste-Taschenbücher). Königstein / Ts. 1981.

51 Bleiber, Helmut (Hrsg.): Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung in Deutschland 1789 -1871. Festschrift Karl Obermann (Schriften des Zentralinstituts für Geschichts-wissenschaften 50). Berlin (DDR) 1977.

52 Böckenförde, Emst-Wolfgang (Hrsg.): Moderne deutsche Verfassungsgeschichte, 1815-1918 (Neue Wissenschaftliche Bibliothek 51). Köln 21981.

53 Botzenhart, Manfred: Reform, Restauration, Krise. Deutschland 1789-1847 (Neue Historische Bibliothek). Frankfurt/M. 1985.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 287

54 Braubach, Max: Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß (Geb-hardt, Handbuch der deutschen Geschichte. DTV-Ausgabe 14). München 61983.

55 Bußmann, Walter (Hrsg.): Handbuch der europäischen Geschichte. Bd. 5: Europa von der Französischen Revolution zu den nationalstaatlichen Bewegungen des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 1981.

56 Dufraisse, Roger (Hrsg.): L'Allemagne à l'Epoque Napoléonienne. Questions d'histoire politique, économique et sociale (Pariser Historische Studien 34). Bonn 1992.

57 Faber, Karl Georg: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Restauration und Revo-lution. Von 1815 bis 1851 (Handbuch der deutschen Geschichte 3 / Ib ) . Wiesbaden 1979.

58 Fehrenbach, Elisabeth: Vom Ancien Régime zum Wiener Kongreß (Oldenbourg-Grundriß der Geschichte 12). München 21986.

59 Grimm, Dieter: Deutsche Verfassungsgeschichte 1776-1866. Vom Beginn des modernen Verfassungsstaats bis zur Auflösung des Deutschen Bundes (Neue Histo-rische Bibliothek). Frankfurt/M. 1988.

60 Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648-1939. Hrsg. vom Militärgeschicht-lichen Forschungsamt. Bd. 2 / I V : Militärgeschichte im 19. Jahrhundert 1814-1890. Bd. 5 / I X : Grundzüge der militärischen Kriegführung 1648-1939. München 1975-79.

61 Huber, Ernst-Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. 1: Reform und Restauration (1789-1830). Nachdruck Stuttgart 1990.

62 Jeismann, Karl-Ernst / Lundgreen, Peter (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungs-geschichte, Bd. 3: 1800-1870. Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches. München 1987.

63 Jeserich, Kurt G. A. /Pohl , Hans/Unruh, Georg-Christoph von (Hrsg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 2: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes. Stuttgart 1983.

64 Kellenbenz, Hermann: Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Bd. 2: Vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des 2. Weltkrieges. München 1981.

65 Langewiesche, Dieter: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815-1849 (Oldenbourg-Grundriß der Geschichte 13). München 1985.

66 Lutz, Heinrich: Zwischen Habsburg und Preußen (Die Deutschen und ihre Nation). Berlin 1985.

67 Möller, Horst: Fürstenstaat oder Bürgernation. Deutschland 1763-1815 (Die Deut-schen und ihre Nation). Berlin 1989.

68 Mottek, Hans: Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. Ein Grundriß. Bd. 2: Von der Zeit der Französischen Revolution bis zur Zeit der Bismarckschen Reichsgründung. Berlin 31987.

69 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800 bis 1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 51991.

288 Bernd Sösemann

70 Pols, Werner (Hrsg.): Staat und Gesellschaft im politischen Wandel. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt. Festschrift Walter Bußmann. Stuttgart 1979.

71 Raumer, Kurt von / Botzenhart, Manfred: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Deutschland um 1800: Krise und Neugestaltung. Von 1789 bis 1815 (Handbuch der Deutschen Geschichte 3/ Ia) . Wiesbaden 1980.

72 Reden-Dohna, Armgard von (Hrsg.): Deutschland und Italien im Zeitalter Napoleons (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte. Beiheft 5). Wiesbaden 1979.

73 Rürup, Reinhard: Deutschland im 19. Jahrhundert 1815-1871 (Deutsche Geschichte 8. Kleine Vandenhoek-Reihe). Göttingen 21992.

74 Schmidt, Walter u. a. (Hrsg.): Die bürgerliche Umwälzung von 1789-1871 (Deutsche Geschichte in zwölf Bänden 4). Köln 1984.

75 Schneider, Jürgen (Hrsg.): Wirtschaftskräfte und Wirtschaftswege. Festschrift Her-mann Kellenbenz. Bd. 3: Auf dem Weg zur Industrialisierung (Beiträge zur Wirt-schaftsgeschichte 6). Stuttgart 1978.

76 Streisand, Joachim: Deutschland von 1789 bis 1815. Von der Französischen Revolu-tion bis zu den Befreiungskriegen und dem Wiener Kongreß (Lehrbuch der Deutschen Geschichte — Beiträge 5). Berlin (DDR) 51981.

77 Treue, Wilhelm: Gesellschaft, Wirtschaft und Technik. Deutschland im 19. Jahrhun-dert (Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte. DTV-Ausgabe 17). München 41980.

78 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur defensiven Modernisierung der Reformära 1700 bis 1815. Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen Doppelrevolution 1815-1845/49. München 21989.

79 Wehler, Hans-Ulrich (Hrsg.): Moderne deutsche Sozialgeschichte (Athenäum-Dro-ste-Taschenbücher). Königstein / Ts. 1981.

80 Weis, Eberhard: Der Durchbruch des Bürgertums 1776-1847 (Propyläen-Geschichte Europas 4). Frankfurt/M. 1978.

2. Preußen

81 Blasius, Dirk (Hrsg.): Preußen in der deutschen Geschichte (Neue Wissenschaftliche Bibliothek 111). Königstein / Ts. 1980.

82 Bodensieck, Heinrich (Hrsg.): Preußen, Deutschland und der Westen. Auseinander-setzungen und Beziehungen seit 1789. Festschrift Oswald Häuser. Göttingen 1980.

83 Bornhak, Conrad: Preußische Staats- und Rechtsgeschichte. Nachdruck Köln 1979.

84 Brandt, Peter (Hrsg.): Preußen — Zur Sozialgeschichte eines Staates. Eine Darstel-lung in Quellen (Preußen. Versuch einer Bilanz 3). Reinbek 1981.

85 Büsch, Otto (Hrsg.): Handbuch der Preußischen Geschichte. Bd. 2: Das 19. Jahrhun-dert und Große Themen der Geschichte Preußens. Berlin 1992.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 289

86 Büsch, Otto (Hrsg.): Preußen und das Ausland. Beiträge zum europäischen und amerikanischen Preußenbild am Beispiel von England, den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Österreich, Polen und Rußland (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 35). Berlin 1982.

87 Büsch, Otto (Hrsg.): Das Preußenbild in der Geschichte. Protokolle eines Sympo-siums (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 50). Berlin 1981.

88 Büsch, Otto / Neugebauer, Wolfgang (Hrsg.): Moderne preußische Geschichte 1648-1947. Eine Anthologie (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 52/1-3) . Berlin 1981.

89 Dönhoff, Marion Gräfin: Preußen — Maß und Maßlosigkeit. Berlin 1987.

90 Dollinger, Hans: Preußen. Eine Kulturgeschichte in Bildern und Dokumenten. Mün-chen 1980.

91 Düwell, Kurt / Köllmann, Wolfgang (Hrsg.): Rheinland-Westfalen im Industriezei-talter. Bd. 1 : Von der Entstehung der Provinzen bis zur Reichsgründung. Bd. 4: Zur Geschichte von Wissenschaft, Kunst und Bildung an Rhein und Ruhr (Beiträge zur Landesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts). Wuppertal 1983 / 85.

92 Engelmann, Bernt: Preußen. Land der unbegrenzten Möglichkeiten. München 1979.

93 Feuchtwanger, Edgar J.: Preußen. Mythos und Realität (Heyne-Geschichte 19). München 1978.

94 Haffner, Sebastian: Preußen ohne Legende (Goldmann-Stern-Bücher)-. Hamburg 1981.

95 Häuser, Oswald (Hrsg.): Preußen, Europa und das Reich (Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte 7). Köln 1987.

96 Heinrich, Gerd: Geschichte Preußens. Staat und Dynastie. Frankfurt/M. 21984.

97 Hentschel, Volker: Preußens streitbare Geschichte 1594-1945. Düsseldorf 1980.

98 Hintze, Otto: Die Hohenzollern und ihr Werk. Fünfhundert Jahre vaterländischer Geschichte. Nachdruck Moers 1979.

99 Hubatsch, Walther: Grundlinien preußischer Geschichte. Königtum und Staatsge-staltung 1701-1871. Darmstadt 31988.

100 Hubatsch, Walther (Hrsg.): Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815-1945. Reihe A: Preußen. 12 Bde. Marburg 1975-81.

101 Koch, Hansjoachim W.: Geschichte Preußens. München 21980.

102 Kohl, Wilhelm (Hrsg.): Westfälische Geschichte. Bde. 2 und 3: Das 19. und das 20. Jahrhundert. Düsseldorf 1983/84.

103 Knopp, Werner: Preußens Wege — Preußens Spuren. Gedanken über einen versun-kenen Staat. Düsseldorf 1981.

104 Krockow, Christian Graf von: Preußen. Eine Bilanz. Stuttgart 1992.

105 Krockow, Christian Graf von: Warnung vor Preußen. Berlin 1981.

19 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

290 Bernd Sösemann

106 Labrenz, Hanna: Das Bild Preußens in der polnischen Geschichtsschreibung (Histo-rische Forschungen 16). Rheinfelden 1986.

107 Meinecke, Friedrich: Brandenburg — Preußen —Deutschland. Kleine Schriften zur Geschichte und Politik (Werke 9). Hrsg. von Eberhard Kessel. Stuttgart 1979.

108 Mieck, Ilja: Von der Reformzeit zur Revolution (1806 -1847). In: Ribbe, Wolfgang: Geschichte Berlins. Bd. 1 : Von der Frühgeschichte bis zur Industrialisierung. Mün-chen 21988, 407-602.

109 Neumeyer, Heinz: Westpreußen 1807-1815. Vom Tilsiter Frieden bis zu den Frei-heitskriegen. In: WestprJb 34 (1984), 121-138.

110 Petri, Franz / Droege, Georg (Hrsg.): Rheinische Geschichte. Bd. 2: Neuzeit. Bd. 3: Wirtschaft und Kultur im 19. und 20. Jahrhundert. Düsseldorf 1976/79.

111 Preußen. Seine Wirkung auf die deutsche Geschichte. Vorlesungen von Karl Dietrich Erdmann u. a. Stuttgart 21985.

112 Prusse et Prussianisme aux X I X e et X X e siècles. In: RevAllemagne 19/3 (1987).

113 Puhle, Hans-Jürgen / Wehler, Hans-Ulrich (Hrsg.): Preußen im Rückblick. (Ge-schichte und Gesellschaft. Sonderheft 6). Göttingen 1980.

114 Ribbe, Wolfgang / Schmädecke, Jürgen (Hrsg.): Berlin im Europa der Neuzeit. Ein Tagungsbericht (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 75). Berlin 1990.

115 Salmonowicz, Stanislaw: Preußen. Geschichte von Staat und Gesellschaft. Poznan 1987.

116 Schlenke, Manfred (Hrsg.): Preußische Geschichte. Eine Bilanz in Daten und Deu-tungen. Freiburg 21991.

117 Schlenke, Manfred (Hrsg.): Preußen. Beiträge zu einer politischen Kultur (Preußen. Versuch einer Bilanz 2). Reinbek 1981.

118 Schlenke, Manfred (Hrsg.): Preußen. Politik, Kultur, Gesellschaft (Rororo-Sach-buch). 2 Bde. Reinbek 1986.

119 Schlenke, Manfred (Hrsg.): Preußen-Ploetz. Einen historische Bilanz in Daten und Deutungen. Freiburg 1983.

120 Schoeps, Hans-Joachim: Preußen und Deutschland. Wandlungen seit 1763. Berlin 71984.

121 Schoeps, Hans-Joachim: Preußen. Geschichte eines Staates. Frankfurt/M. 1981.

122 Schützsack, Axel: Der preußische Traum. Der Hohenzollernstaat im Spannungsfeld von Gehorsam, Pflicht und Freiheit. Moers 1981.

123 Seeber, Gustav / Noack, Karl-Heinz (Hrsg.): Preußen in der deutschen Geschichte nach 1789 (Studienbibliothek DDR- Geschichtswissenschaft 3). Berlin (DDR) 1983.

124 Sinn, Dieter/Sinn, Renate: Der Alltag in Preußen. Frankfurt/M. 1991.

125 Thadden, Rudolf von: Fragen an Preußen. Zur Geschichte eines aufgehobenen Staates. München 1981.

126 Treue, Wilhelm: Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 56). Berlin 1984.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 291

127 Veltzke, Veit (Hrsg.): Spuren Preußens in Nordrhein-Westfalen (Schriften des Preu-ßen-Museums 1). Minden 1992.

128 Vetter, Klaus: Preußen (Schriften der Historiker-Gesellschaft der DDR). Berlin (DDR) 1987.

129 Vogler, Günter / Vetter, Klaus: Preußen. Von den Anfängen bis zur Reichsgründung (Kleine Bibliothek 192). Köln 1980.

IV. Staat und Gesellschaft

130 Baumgart, Peter (Hrsg.): Expansion und Integration. Zur Eingliederung neugewon-nener Gebiete in den preußischen Staat (Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußi-schen Geschichte 5). Köln 1984.

131 Baumgart, Peter (Hrsg.): Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen. Ergebnisse einer internationalen Fachtagung (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 55). Berlin 1983.

132 Berdahl, Robert M.: The Politics of the Prussian Nobility. The development of a conservative ideology, 1770-1848. Princeton 1988.

133 Berding, Helmut (Hrsg.): Soziale Unruhen in Deutschland während der Französi-schen Revolution (Geschichte und Gesellschaft. Sonderheft 12). Göttingen 1988.

134 Blaich, Fritz (Hrsg.): Entwicklungsprobleme einer Region. Das Beispiel Rheinland und Westfalen im 19. Jahrhundert (Schriften des Vereins für Socialpolitik NF 119). Berlin 1981.

135 Blasius, Dirk: Bürgerliche Gesellschaft und Kriminalität. Zur Sozialgeschichte Preu-ßens im Vormärz (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 22). Göttingen 1976.

136 Bleiber, Helmut: Bourgeoisie und bürgerliche Umwälzung in Deutschland. Zum Stand und zu Problemen der Forschung. In: ZfG 25 (1977), 305-332.

137 Bleiber, Helmut: Die bürgerliche Umwälzung in Deutschland. In: GUnterrStaatsbür-gerkde 31 (1989), 143-152.

137a Bock, Helmut / Plöse, Renate (Hrsg.): Napoleon und nationale Unabhängigkeit. Der Widerspruch des Fortschritts (Studien zur Geschichte 6). Berlin (DDR) 1990.

138 Büsch, Otto / Neugebauer-Wölk, Monika (Hrsg.): Preußen und die revolutionäre Herausforderung seit 1789. Ergebnisse einer Konferenz (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 78). Berlin 1991.

139 Carsten, Francis L.: Geschichte der preußischen Junker (Neue Historische Biblio-thek). Frankfurt/M. 1988.

140 Dann, Otto: Deutschland unter französischem Einfluß. In: AfS 26 (1986), 416-428.

141 Drewitz, Ingeborg: Berliner Salons. Gesellschaft und Literatur zwischen Aufklärung und Industriezeitalter. Berlin 1979.

*

292 Bernd Sösemann

142 Engelberg, Ernst: Immer noch Meinungsverschiedenheiten über die Epoche der sozialen Revolution von 1789 bis 1871. In: ZfG 33 (1985), 728-736.

143 Gall, Lothar (Hrsg.): Vom alten zum neuen Bürgertum. Die mitteleuropäische Stadt im Umbruch 1780-1820 (Stadt und Bürgertum 3). München 1991.

144 Gembruch, Werner: Staat und Heer. Ausgewählte historische Studien zum ancien régime, zur Französischen Revolution und zu den Befreiungskriegen. Hrsg. von Johannes Kunisch (Historische Forschungen 40). Berlin 1990.

145 Hofmann, Hanns Hubert: Eliten und Elitentransformation in Deutschland zwischen der französischen und der deutschen Revolution. In: ZBLG 41 (1978), 607-631.

146 Hohorst, Gerd: Wirtschaftswachstum und Bevölkerungsentwicklung in Preußen 1816 bis 1914 (Dissertation in European Economic History). New York 1977.

147 Koselleck, Reinhart: Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Land-recht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791-1848 (Industrielle Welt 7). Stuttgart 41987.

148 Lärmer, Karl (Hrsg.): Studien zur Geschichte der Produktivkräfte. Deutschland zur Zeit der Industriellen Revolution (Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte 15). Ber-lin (DDR) 1979.

149 Lärmer, Karl/Beyer, Peter (Hrsg.): Produktivkräfte in Deutschland 1800-1870 (Geschichte der Produktivkräfte in Deutschland von 1800 bis 1945, 1). Berlin (DDR) 1990.

149a Landwehr, Götz: Staatszweck und Staatstätigkeit in Preußen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine Skizze über Preußens Weg vom absolutistischen Wohlfahrts- zum modernen Sozialstaat. In: Köbler, Gerhard (Hrsg.): Wege europäi-scher Rechtsgeschichte. Festschrift Karl Kroeschell (Rechtshistorische Reihe 60). Frankfurt/M. 1987. 249-264.

150 Langewiesche, Dieter (Hrsg.): Liberalismus im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. 30 Beiträge (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 79). Göttingen 1988.

151 Lorenz, Reinhard: Die politische und rechtliche Stellung des Proletariats in Preußen in der Zeit zwischen den Reformen und der Revolution 1848 / 49 (Rechtshistorische Reihe 94). Frankfurt/M. 1991.

152 Nitsche, Peter (Hrsg.): Preußen in der Provinz (Kieler Werkstücke F / 1). Frank-fur t /M. 1991.

153 Pfeiffer, Gerhard: Bayern und Brandenburg-Preußen. Ein geschichtlicher Vergleich. München 1984.

154 Reif, Heinz: Westfälischer Adel 1770-1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 35). Göttingen 1979.

155 Bürgerliche Revolutionen. Probleme des Übergangs vom Feudalismus zum Kapita-lismus. Hrsg. vom Institut für Marxistische Studien und Forschungen (Theorie und Methode 2). Frankfurt/M. 1979.

156 Scheuner, Ulrich: Der Staatsgedanke Preußens (Studien zum Deutschtum im Osten 2). Köln 21983.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 293

157 Schieder, Wolfgang (Hrsg.): Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vor-märz (Geschichte und Gesellschaft. Sonderheft 9). Göttingen 1983.

158 Schier, Rolf: Standesherren. Zur Auflösung der Adelsvorherrschaft in Deutschland 1815-1918 (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts A / 11). Heidelberg 1978.

159 Schütz, Rüdiger: Preußen und die Rheinlande. Studien zur preußischen Integra-tionspolitik im Vormärz. Wiesbaden 1979.

160 Stamm-Kuhlmann, Thomas: Der Hof Friedrich Wilhelms III. von Preußen 1797-1840. In: Möckl, Karl (Hrsg.): Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Büdinger Forschungen zur Sozialgeschich-te 23 / 24 (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 18). Boppard 1990,275 - 319.

161 Gesellschaftliche Strukturen als Verfassungsproblem. Intermediäre Gewalten, Asso-ziationen, Öffentliche Körperschaften im 18. und 19. Jahrhundert (Der Staat. Bei-heft 2). Berlin 1978.

162 Teppe, Karl / Epkenhans, Michael (Hrsg.): Westfalen und Preußen. Integration und Regionalismus (Forschungen zur Regionalgeschichte 3). Paderborn 1991.

163 Timmermann, Heiner (Hrsg.): Die Französische Revolution und Europa 1789 -1799 (Forum: Politik 7). Saarbrücken 1989.

163a Torabi, Habibollah: Das Jahr 1813 im Spiegel bürgerlich-revolutionärer zeitgenös-sischer Presse. Zur nationalen und sozialen Frage der deutschen Befreiungskriege (Europäische Hochschulschriften 22/88). Frankfurt/M. 1984.

164 Umwälzung der deutschen Wirtschaft im 19. Jahrhundert. Jahrbuch für Wirtschafts-geschichte Sonderband. Berlin 1989.

165 Valjavec, Fritz: Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770-1815 (Athenäum-Droste-Taschenbücher). Nachdruck Düsseldorf 1978.

166 Vetter, Klaus: Der brandenburgische Adel und der Beginn der bürgerlichen Umwäl-zung in Deutschland. In: Reden-Dohna, Armgard von / Melville, Ralph (Hrsg.): Der Adel an der Schwelle des bürgerlichen Zeitalters 1780-1860 (Veröffentlichun-gen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Beiheft 10). Stuttgart 1988, 285-303.

167 Vierhaus, Rudolf: Vom aufgeklärten Absolutismus zum monarchischen Konstitutio-nalismus. Der deutsche Adel im Spannungsfeld von Revolution, Reform und Restau-ration (1789-1848). In: Hohendahl, Peter Uwe/Lützeler, Paul Michael (Hrsg.): Legitimationskrisen des deutschen Adels 1200-1900 (Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 11). Stuttgart 1979, 119-135.

168 Volsung, Sieglind: Preußen und die Grundlage kapitalistischer Entwicklung in Deutschland. In: MarxistBll 19 (1982), 60-66.

168a Wehler, Hans-Ulrich (Hrsg.): Europäischer Adel 1750-1950 (Geschichte und Ge-sellschaft. Sonderheft 13). Göttingen 1990.

169 Wehler, Hans Ulrich: Wirtschaftlicher Wandel in Deutschland 1789-1815. In: Berding, Helmut / Francois, Etienne / Ullmann, Hans- Peter (Hrsg.): Deutschland und Frankreich im Zeitalter der Französischen Revolution (Edition Suhrkamp). Frankfurt/M. 1989, 100-120.

294 Bernd Sösemann

V. Die Preußischen Reformen: Allgemeine Darstellungen und Einschätzungen

170 Berding, Helmut (Hrsg.): Napoleonische Herrschaft und Modernisierung. In: GG 6 / 4 (1980).

171 Berthold, Rudolf: Die Große Französische Revolution und das preußische Reform-werk. In: Kossok, Manfred / Kross, Editha (Hrsg.): 1789 — Weltwirkung einer großen Revolution. (Studien zur Revolutionsgeschichte). Bd. 1. Vaduz 1989, 218-256.

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308 Wirth, Gerhard (Hrsg.): Barthold Georg Niebuhr. Historiker und Staatsmann (Bon-ner Historische Forschungen 52). Bonn 1984.

309 Witte, Barthold C.: Der preußische Tacitus. Aufstieg, Ruhm und Ende des Histori-kers Barthold Georg Niebuhr. 1776-1831. Düsseldorf 1979.

310 Wollstein, Günter: Scharnhorst und die Französische Revolution. In: HZ 227 (1978), 325-352.

302 Bernd Sösemann

VII . Literatur zu einzelnen Sachbereichen

7. Philosophische und geistesgeschichtliche Grundlagen

311 Birtsch, Günter: Religions- und Gewissensfreiheit in Preußen von 1780-1817. In: ZHF 11 (1984), 177-204.

312 Brunschwig, Henri: Gesellschaft und Romantik in Preußen im 18. Jahrhundert. Die Krise des preußischen Staates am Ende des 18. Jahrhunderts und die Entstehung der romantischen Mentalität. Berlin 1976.

312a Burg, Peter: Die Verwirklichung von Grund- und Freiheitsrechten in den Preußi-schen Reformen und Kants Rechtslehre. In: Birtsch, Günter (Hrsg.): Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte. Beiträge zur Geschich-te der Grund- und Freiheitsrechte vom Ausgang des Mittelalters bis zur Revolution von 1848 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte 1). Göttingen 1981, 286-309.

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314 Ley, Hermann: Bemerkungen zur Situation in Preußen hinsichtlich Ökonomie, Philosophie und Wissenschaft zu einigen Abschnitten des 18. Jahrhunderts bis etwa 1830. In: WissZUnivRostock 30 (1981), 35-47.

314a Lucas, Hans-Christian / Pöggeler, Otto (Hrsg.): Hegels Rechtsphilosophie im Zu-sammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte (Spekulation und Erfahrung 2/1). Stuttgart 1986.

315 Mörike, Hans-Jürgen: Hegels Übergang nach Preußen. Philosophie der Reform — Reform durch Philosophie. In: WissZHumbUniv 33 (1984), 11-14.

315a Passerin d'Entrèves, Hector: Die Reformbewegung in Preußen bis 1830 und die deutsche Erhebung. Hegel und Clausewitz zwischen Realpolitik und Utopie, 1802-1830. In: Becker, Josef / Hillgruber, Andreas (Hrsg.): Die deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhundert. Referate und Diskussionsbeiträge eines Augsburger Sym-posiums (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg 24). München 1983, 19-35.

316 Pöggeler, Otto: Preußische Kulturpolitik im Spiegel von Hegels Ästhetik. In: JbPrKb 18 (1981), 355-376.

317 Seeba, Hinrich C.: Zeitgeist und deutscher Geist. Zur Nationalisierung der Epochen-tendenz um 1800. In: DtVjschr 61 (1987), 188-215.

318 Vierhaus, Rudolf: Die Revolution als Gegenstand der geistigen Auseinandersetzung in Deutschland, 1789-1830. In: Dufraisse, Roger (Hrsg.): Revolution und Gegenre-volution 1789-1830. Zur geistigen Auseinandersetzung in Frankreich und Deutsch-land (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquium 19). München 1991,251-266.

319 Weber, Ernst: Lyrik der Befreiungskriege (1812-1815). Gesellschaftspolitische Meinungs- und Willensbildung durch Literatur (Germanistische Abhandlungen 65). Stuttgart 1991.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 303

2. Reformbestrebungen vor 1806

320 Enders, Lieselott: Reformgedanken vor der Reform. Städtische Probleme in der freimütigen Sprache des Magistrats zu Angermünde 1797. In: JbWG 1990/1, 217-228.

321 Harnisch, Hartmut: Bäuerliche Ökonomik und Mentalität unter den Bedingungen der ostelbischen Gutsherrschaft in den letzten Jahrzehnten vor Beginn der Agrar-reformen. In: JbWG 1989/III , 87-108.

322 Harnisch, Hartmut: Die agrarpolitischen Reformmaßnahmen der preußischen Staats-führung in dem Jahrzehnt vor 1806/07. In: JbWG 1977/III , 129-153.

323 Heitz, Gerhard: Die Differenzierung der Agrarstruktur am Vorabend der bürgerli-chen Agrarreformen. In: ZfG 25 (1977), 910-927.

324 Mittenzwei, Ingrid: Preußen nach dem siebenjährigen Krieg. Auseinandersetzungen zwischen Bürgertum und Staat um die Wirtschaftspolitik (Schriften des Zentral-instituts für Geschichte 62). Berlin (DDR) 1979.

3. Rechtsordnung

325 Coing, Helmut / Wilhelm, Walter (Hrsg.): Wissenschaft und Kodifikation des Pri-vatrechts im 19. Jahrhundert (Studien zur Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts). Frankfurt/M. 1979.

326 Hattenhauer, Hans / Landwehr, Götz (Hrsg.): Das nachfriderizianische Preußen 1786-1806. Rechtshistorisches Kolloquium der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (Motive — Texte — Materialien 46). Heidelberg 1988.

327 Kaiser, Andreas: Preußisches und französisches Recht der Revolutionszeit. Zur Genese der bürgerlichen Gesellschaft im Spiegel von Allgemeinem Landrecht (1794) und Code Civil (1804). In: Herzig, Arno / Stephan, Inge/Winter, Hans G. (Hrsg.): „Sie, und nicht Wir". Die Französische Revolution und ihre Wirkung auf Norddeutschland und das Reich. Bd. 2. Hamburg 1989, 743-762.

328 Salmonowicz, Stanislaw: Prawo prowincjonalne Prus Zachodnich i sprawa jego kodyfikacji 1772-1844 [Das westpreußische Provinzialrecht und seine Kodifizie-rung in den Jahren 1772-1844]. In: ZapHist 45 (1980), 25-59.

329 Schrimpf, Henning: Die Auseinandersetzung um die Neuordnung des individuellen Rechtsschutzes gegenüber der staatlichen Verwaltung nach 1807. In: Staat 18 (1979), 59-80.

330 Schrimpf, Henning: Herrschaft, Individualinteresse und Richtermacht im Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft. Studien zum Rechtsschutz gegenüber der Ausübung öffentlicher Gewalt in Preußen 1782-1821 (Minerva Fachserie Rechts- und Staats-wissenschaften). München 1979.

331 Schubert, Werner: Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhun-derts. Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozeßrecht (Forschungen zur Neueren Privatrechtsgeschichte 24). Köln 1977.

304 Bernd Sösemann

332 Stölzel, Adolf: Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung dar-gestellt im Wirken seiner Landesfürsten und obersten Justizbeamten. 2 Bde. Hrsg. von Jürgen Regge. Neudruck Vaduz 1989.

333 Stühler, Hans-Ulrich: Die Diskussion um die Erneuerung der Rechtswissenschaft von 1780-1815 (Schriften zur Rechtsgeschichte 15). Berlin 1978.

334 Wollschläger, Christian: Zivilprozeß-Statistik und Wirtschaftentwicklung in Preu-ßen im 18. und 19. Jahrhundert. In: ZNR 3 (1981), 16-27.

Regierung und Verwaltung

335 Belke, Hans-Jürgen: Die preußische Regierung zu Königsberg 1808-1850 (Studien zur Geschichte Preußens 26). Köln 1976.

336 Fehrenbach, Elisabeth: L'influenza della Francia Napoleonica sul sistema giuridico-amministrativo della Germania. In: RivStorDirCont 1 (1976), 17-33.

337 Gamm, Hans-Jochen: Politische Zensur bei Wilhelm von Humboldt. Überlegungen zur einer Verwaltungsreform. In: NRdsch 98 (1987), 179-193.

338 Hartlieb von Wallthor, Alfred (Hrsg.): Geschichte und Funktion regionaler Selbst-verwaltung in Westfalen (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für westfäli-sche Landes- und Volksforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe 1 / 22). Münster 1978.

339 Kohnke, Meta: Das preußische Kabinettsministerium. Ein Beitrag zur Geschichte des Staatsapparates im Spätfeudalismus. In: JbGFeud 2 (1978), 313-356.

340 Lüdtke, Alf: „Gemeinwohl", Polizei und „Festungspraxis" — Die innere Verwaltung in Preußen 1815-50 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 73). Göttingen 1982.

341 Lüdtke, Alf: Police and State in Prussia. 1815-1850. Cambridge 1989.

342 Lüdtke, Alf: Praxis und Funktion staatlicher Repression: Preußen 1815-50. In: GG 3 (1977), 190-211.

342a Mueller, Hans-Eberhard: Bureaucracy, Education and Monopoly. Civil servive reforms in Prussia and England. Berkeley 1984.

343 Salmonowicz, Stanislaw: Uwagi o biurokracji pruskiej na Pomorzu (1815-1850) [Bemerkungen zur preußischen Bürokratie in Pommern (1815-1850)]. In: ZapHist 47 (1982), 239-248.

344 Selling, Heinz-Jürgen: Aufbau der preußischen Verwaltung in der Zeit von 1808 bis 1848. Diss. iur. Würzburg 1976.

345 Stelmach, Mieczyslaw: Pruskie wladze administracyjne Miasta Szczecina w okresie okupacji francuskiej 1806-1813 [Die preußischen Verwaltungsbehörden der Stadt Stettin während der französischen Besatzung 1806 -1813]. In: PrzeglZach 24 (1980), 57-68.

346 Stolz, Gerd: Die Gendarmerie in Preußen 1812-1923. In: ZHeereskde 40 (1976), 93-101, 148-159.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 305

347 Tieck, Klaus-Peter: Riforme amministrative e profilo etico del funzionario in Prussia (1808-1830). In: AnnTrento 16 (1990), 215-261.

348 Unruh, Georg-Christoph von: Die Veränderungen der preußischen Staatsverfassung durch Sozial- und Verwaltungsreformen. In: Jeserich, Kurt G. A. /Pohl , Hans/ Unruh, Georg-Christoph von (Hrsg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 2: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes. Stuttgart 1983, 399-470.

5. Städte- und Gemeindeordnung

349 Börner, Karl-Heinz: Beginn der bürgerlichen Umwälzung in Berlin. Einführung der preußischen Städteordnung. JbG 35 (1987), 151-200.

350 Clauswitz, Paul: Die Städteordnung von 1808 und die Stadt Berlin. Festschrift zur 100jährigen Gedenkfeier der Einführung der Städteordnung. Im Auftrage des Magi-strats. Berlin 1908. Neudruck Berlin 1986.

351 Hartmann, Stefan: Zur Einführung preußischer Städteordnungen im westpreußi-schen Kreis Strasburg im 19. Jahrhundert. In: ZfO 34 (1985), 449-472.

352 Naunin, Helmuth (Hrsg.): Städteordnungen des 19. Jahrhunderts. Beiträge zur Kom-munalgeschichte Mittel- und Westeuropas (Städteforschung A / 19). Köln 1984.

353 Neugebauer, Wolfgang: Altstädtische Ordnung —Städteordnung — Landesopposi-tion. Elbings Entwicklung in die Moderne im 18. und 19. Jahrhundert. In: Jähnig, Bemhart / Schuch, Hans-Jürgen (Hrsg.): Elbing 1237-1987. Beiträge zum Elbing-Kolloquium im November 1987 in Berlin (Quellen und Darstellungen zur Geschich-te Westpreußens 25). Münster 1991, 243-279.

354 Nürnberger, Richard: Städtische Selbstverwaltung und sozialer Wandel in der Pro-vinz Sachsen während des 19. Jahrhunderts. In: BDLG 112 (1976), 229-243.

355 Trzeciakowski, Lech: Polen und Deutsche in der städtischen Selbstverwaltung im Großherzogtum Posen 1815-1918. In: ArchKommunalwiss 27 (1988), 200-215.

6. Nationalrepräsentation und Verfassungsfrage

356 Angermeier, Heinz: Deutschland zwischen Reichstradition und Nationalstaat. Ver-fassungspolitische Konzeptionen und nationales Denken zwischen 1801 und 1815. In: Z R G / G A 107 (1990), 19-101.

357 Bosl, Karl (Hrsg.): Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation. Berlin 1977.

358 Botzenhart, Manfred: Verfassungsproblematik und Ständepolitik in der preußischen Reformzeit. In: Baumgart, Peter (Hrsg.): Ständetum und Staatsbildung in Branden-burg-Preußen. Ergebnisse einer internationalen Fachtagung (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 55). Berlin 1983, 431-455.

359 Gray, Marion: Government by Property Owners: Prussian Plans for Constitutional Reform on the County, Provincial, and National Levels in 1808. In: JModH 48 (1976).

20 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte — NF, Beiheft 2

306 Bernd Sösemann

360 Gray, Marion W.: Der ostpreußische Landtag des Jahres 1808 und das Reformmini-sterium Stein. Eine Fallstudie politischer Modernisation. In: JbGMOD 26 (1977), 129-145.

361 Hartmann, Stefan: Die Kontroverse zwischen Boyen und Schmalz über die Einfüh-rung einer ständischen Verfassung in Preußen. In: FBPG/NF 1 (1991), 209-239.

361a Levinger, Matthew: Hardenberg, Wittgenstein, and the Constitutional Question in Prussia, 1815-22. In: GermHist 8 (1990), 257-277.

362 Menze, Clemens: Die Verfassungspläne Wilhelm von Humboldts. In: ZHF 16 (1989), 329-346.

363 Neugebauer, Wolfgang: Politischer Wandel im Osten. Ost- und Westpreußen von den alten Ständen zum Konstitutionalismus (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 36). Stuttgart 1992.

364 Nohn, Ernst-August: Frei — wozu? Die deutsche Frage im Freundeskreis Scharn-horsts. In: WehrwissRdsch 30 (1981), 123-128.

365 Obenaus, Herbert: Anfänge des Parlamentarismus in Preußen bis 1848 (Handbuch der Geschichte des preußischen Parlamentarismus 3). Düsseldorf 1984.

366 Press, Volker: Landtage im Alten Reich und im Deutschen Bund. Voraussetzungen ständischer und konstitutioneller Entwicklungen 1750-1830. In: ZWLG 39 (1980), 100-140.

7. Wirtschaft und Gewerbefreiheit

367 Abel, Wilhelm (Hrsg.): Handwerksgeschichte in neuer Sicht (Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1). Göttingen 21978.

368 Baums, Theodor: Kartellrecht in Preußen. Von der Reformära zur Gründerkrise (Vorträge und Aufsätze. Walter-Eucken-Institut 127). Tübingen 1990.

369 Berding, Helmut: Die Reform des Zollwesens in Deutschland unter dem Einfluß der napoleonischen Herrschaft. In: GG 6 (1980), 523-537.

370 Büsch, Otto: Industrialisierung und Gewerbe im Raum Berlin / Brandenburg. Bd. 2: Die Zeit um 1800/Die Zeit um 1875 (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 19). Berlin 1977.

371 Friedrich-Freksa, Martin: Preußen und der Demiurg des Weltmarkts. Studie zur industriellen Revolution in Westeuropa und zu ihrer Wirkung auf die Agrarverhält-nisse im östlichen Deutschland (Hochschulsammlung Philosophie / Geschichte 4). Freiburg 1982.

372 Fuchs, Konrad: Die wirtschaftliche Entwicklung im deutsch- polnischen Grenzraum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: ScriptMerc 12 (1978), 49-66.

373 Heggen, Alfred: Erfindungsschutz und Industrialisierung in Preußen 1793-1877 (Studien zur Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft im 19. Jahrhundert 5). Göttingen 1977.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 307

374 Heinelt, Hubert: Studienreise und Innovation. Zur Reise Theodor von Schöns durch Deutschland und Großbritannien und deren Impulse für die Wirtschaft Ost- und Westpreußens. In: Arnold, Udo (Hrsg.): Preußen im 19. Jahrhundert (Schriftenreihe Nordost-Archiv 24. Tagungsberichte der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 4). Lüneburg 1984, 11-30.

375 Kaufhold, Karl Heinrich: Das Gewerbe in Preußen um 1800 (Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 2). Göttingen 1978.

376 Kaufhold, Karl Heinrich: Gewerbefreiheit und gewerbliche Entwicklung in Deutsch-land im 19. Jahrhundert. In: BDLG 118 (1982), 73-114.

377 Lärmer, Karl: Zur Einführung der Dampfkraft in die Berliner Wirtschaft in der ersten Phase der Industriellen Revolution. Vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zum Jahre 1830. In: JbWG 1977/IV, 101-126.

378 Landwehr, Götz: Die Verfassung der Aktiengesellschaften. Rechtsverhältnisse in Preußen vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Jahre 1870. In: Z R G / G A 99 (1982), 1-112.

379 Lüdtke, Alf: The Role of State Violence in the Period of Transition to Industrial Capitalism. The example of Prussia from 1815 to 1848. In: SocHist 4 (1979), 175-221.

380 Mieck, Ilja: Idee und Wirklichkeit: Die Auswirkungen der Stein-Hardenbergschen Reformen auf die Berliner Wirtschaft. In: Berlin und seine Wirtschaft: Ein Weg aus der Geschichte in die Zukunft. Lehren und Erkenntnisse. Hrsg. von der Industrie-und Handelskammer zu Berlin. Berlin 1987, 41-58.

381 Ohnishi, Takeo: Die regionale Verteilungsstruktur der preußischen Textilindustrie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein Versuch zur Auswertung der preußi-schen Gewerbetabelle. In: ShakenSeries 12 (1980), 1-18.

382 Pohl, Hans (Hrsg.): Die Auswirkungen von Zöllen und anderen Handelshemmnissen auf Wirtschaft und Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Gegenwart (VSWG-Beihefte 80). Stuttgart 1987.

383 Radtke, Wolfgang: Die preußische Seehandlung zwischen Staat und Wirtschaft in der Frühphase der Industrialisierung (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 30). Berlin 1981.

384 Reissig, Harald: Das Berliner Lagerhaus 1713-1816. Zum Einfluß von Regierung und Wirtschaft auf die Entwicklung einer altpreußischen Staatsmanufaktur. In: JbGMOD 29 (1980), 68-95.

385 Schaumann, Ralf: Technik und technischer Fortschritt im Industrialisierungsprozeß. Dargestellt am Beispiel der Papier-, Zucker- und chemischen Industrie der nördli-chen Rheinlande 1800-1875 (Rheinisches Archiv 101). Bonn 1977.

386 Scherner, Karl Otto / Willoweit, Dietmar (Hrsg.): Vom Gewerbe zum Unternehmen. Studien zum Recht der gewerblichen Wirtschaft im 18. und 19. Jahrhundert. Darm-stadt 1982.

387 Simsch, Adelheid: Die Wirtschaftspolitik des preußischen Staates in der Provinz Südpreußen 1793-1806/07 (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 33). Berlin 1983.

20*

308 Bernd Sösemann

388 Sonntag, Johannes-Hendrik: Die preußische Wirtschaftspolitik in Ostfriesland 1744 -1806/1813-1815 unter besonderer Berücksichtigung der Stadt Emden und des Emsverkehrs (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 66). Aurich 1987.

389 Steindl, Harald: Die Einführung der Gewerbefreiheit. In: Coing, Helmut (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsge-schichte. Bd. I I I / 3 . München 1986, 3527-3628.

390 Treue, Wilhelm: Wirtschaft und Technik in Preußen bis zu den Reformen. In: JbGMOD 29 (1980), 30-67.

391 Vogel, Barbara: Die „allgemeine Gewerbefreiheit" als bürokratische Modernisie-rungsstrategie in Preußen. Eine Problemskizze zur Reformpolitik Hardenbergs. In: Stegmann, Dirk/Wendt, Bernd-Jürgen / Witt, Peter-Christian (Hrsg.): Industrielle Gesellschaft und politisches System. Beiträge zur politischen Sozialgeschichte. Festschrift Fritz Fischer (Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Stif-tung 137). Bonn (1978), 59-78.

392 Vogel, Barbara: Allgemeine Gewerbefreiheit. Die Reformpolitik des preußischen Staatskanzlers Hardenberg, 1810-1820 (Kritische Studien zur Geschichtswissen-schaft 57). Göttingen 1983.

393 Vogel, Barbara: Staatliche Gewerbereform und Handwerk in Preußen. In: Engel-hardt, Ulrich (Hrsg.): Handwerker in der Industrialisierung (Industrielle Welt 37). Stuttgart 1984, 184-208.

394 Weber, Wolfhard: Innovationen im frühindustriellen deutschen Bergbau und Hütten-wesen. Friedrich Anton von Heynitz (Studien zu Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft im 19. Jahrhundert 6). Göttingen 1976.

395 Weber, Wolfhard: Preußische Transferpolitik 1780-1820. In: TechnikG 50 (1983), 181-196.

396 Wischermann, Clemens: Westfalens Weg in die Marktwirtschaft. Preußischer Staat und westfälische Unternehmer zwischen Spätmerkantilismus und Liberalismus (Münstersche Historische Forschungen 2). Köln 1991.

8. Finanz- und Steuersystem

397 Berding, Helmut (Hrsg.): Privatkapital, Staatsfinanzen und Reformpolitik im Deutschland der napoleonischen Zeit. Ostfildern 1981.

398 Blömer, Maria: Die Entwicklung des Agrarkredits in der preußischen Provinz West-falen im 19. Jahrhundert (Schriftenreihe des Instituts für bankhistorische Forschung 16). Frankfurt/M. 1990.

399 Braun, Rainer: Steuern und Staatsfinanzierung als Modernisierungsfaktoren. Ein deutsch-englischer Vergleich. In: Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Studien zum Beginn der modernen Welt. (Industrielle Welt 20). Stuttgart 1977, 241-262.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 309

400 Heuer, Carl-Heinz: Karl Freiherr vom Stein als Wegbereiter des deutschen Einkom-menssteuerrechts. Heidelberg 1988.

401 Krug, Leopold: Geschichte der Preußischen Staatsschulden. Nachdruck Vaduz 1977.

402 Piatkowski, Andrzej: Zadlujenie ludnoSci miejskiej i mniejszych miast Prus Zachod-nich w pocz^itkach X IX wieku [Die Verschuldung der städtischen Bevölkerung und der kleinen Städte Westpreußens zu Beginn des 19. Jahrhunderts]. In: ZapHist 45 (1980), 51-78.

403 Pick, Albert: Tresorscheine, das erste preußische Staatspapiergeld 1798-1824. In: GeldgeschichtlNachrr 12 (1977), 227-230.

404 Pohl, Hans: Das deutsche Bankwesen (1806-1848). In: Ashauer, Günter/Born, Karl Erich (Hrsg.): Deutsche Bankengeschichte Bd. 2. Frankfurt / M. 1982,13 -140.

405 Schissler, Hanna / Wehler, Hans-Ulrich (Hrsg.): Preußische Finanzpolitik 1806-1810. Quellen zur Verwaltung der Ministerien Stein und Altenstein. Bearb. von Eckart Kehr. Göttingen 1984.

406 Schissler, Hanna: Preußens Finanzpolitik nach 1807. Die Bedeutung der Staatsver-schuldung als Faktor der Modernisierung des preußischen Finanzsystems. In: GG 8 (1982), 367-385.

406a Vogel, Barbara: Patriotismus und Finanzen in den Befreiungskriegen. Hamburg und Preußen im Vergleich. In: Herzig, Arno (Hrsg.): Das alte Hamburg 1500-1848/49. Vergleiche, Beziehungen (Hamburger Beiträge zur öffentlichen Wissen-schaft 5). Berlin 1989, 135-154.

407 Witzleben, Alexander von: Staatsfinanznot und sozialer Wandel. Eine finanzsoziolo-gische Analyse der preußischen Reformzeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts (Studien zur modernen Geschichte 32). Wiesbaden 1985.

9. Agrarverfassung

408 Bentzien, Ulrich: Fortschritte und Fortschrittsträger der deutschen Landwirtschaft im Spätfeudalismus. In: JbVKG/NF 6 (1978), 125-165.

408a Berdahl, Robert M.: Junker and Burgher. Conflicts over the purchase of Rittergüter in the early nineteenth Century. In: Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit. Festschrift Rudolf Vierhaus. Göttingen 1982, 160-172.

409 Berthold, Rudolf (Hrsg.): Von den bürgerlichen Agrarreformen zur sozialistischen Landwirtschaft in der DDR. Berlin (DDR) 21985.

410 Böhme, Helmut: „Bauernbefreiung oder Bauernfreisetzung?" Anmerkungen zu einem größeren Thema: Preußen und Preußenbild zwischen Reform und Revolution. In: Büsch, Otto (Hrsg.): Das Preußenbild in der Geschichte. Protokolle eines Sympo-siums (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 50). Berlin 1981, 115-166.

310 Bernd Sösemann

411 Dipper, Christof: Die Bauernbefreiung in Deutschland 1790-1850. Stuttgart 1980.

412 Dipper, Christof: Die Bauernbefreiung in Deutschland. Ein Überblick. In: GWU 43 (1992), 16-31.

413 Evans, Richard J./Lee, William R. (Hrsg.): The German Peasantry. Conflict and Community in rural society from the 18th to 20th centuries. New York 1986.

414 Fleck, Peter: Bauernbefreiung oder Aufhebung der alten Agrarverfassung? In: AHG 39 (1981), 371-385.

415 Gudelius, Bärbel: Sozialer Wandel in Deutschland zwischen 1800 und 1850 am Beispiel der »Bauernbefreiung' in Preußen. [Weinheim] 1981.

416 Harnisch, Harmut: Kapitalistische Agrarreform und industrielle Revolution. Agrar-historische Untersuchungen über das ostelbische Preußen zwischen Spätfeudalismus und bürgerlich-demokratische Revolution von 1848/49 unter besonderer Berück-sichtigung der Provinz Brandenburg (Veröffentlichungen des Staatsarchivs Pots-dam 19). Weimar 1984.

417 Harnisch, Hartmut: Die kapitalistischen Agrarreformen in den preußischen Ostpro-vinzen und die Entwicklung der Landwirtschaft in den Jahrzehnten vor 1848. Ein Beitrag zupi Verhältnis zwischen kapitalistischer Agrarentwicklung und Industriel-ler Revolution. In: Bäuerliche Wirtschaft und landwirtschaftliche Produktion in Deutschland und Estland, 16.-19. Jahrhundert (Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. Sonderband 1981), 135-253.

418 Harnisch, Hartmut: Zwischen Junkertum und Bürgertum. Der Bauer im ostelbischen Dorf im Widerstreit der Einflüsse von traditionalem Führungsanspruch des Adels und moderner kapitalistischer Gesellschaft. In: Jacobeit, Wolfgang / Mooser, Josef / Strath, Bo (Hrsg.): Idylle oder Aufbruch? Das Dorf im bürgerlichen 19. Jahrhundert. Ein europäischer Vergleich. Berlin (DDR) 1990, 25-36.

419 Harnisch, Hartmut: Agrarpolitische und volkswirtschaftliche Konzeption einer kapi-talistischen Agrarreform bei Christian Friedrich Schamweber. In: Historiker-Gesell-schaft der Deutschen Demokratischen Republik. Wissenschaftliche Mitteilungen 1976, 66-87.

420 Harnisch, Hartmut: Rechtsqualität des Bauernlandes und Gutsherrschaft. Probleme und Materialien einer vergleichenden und retrospektiven Auswertung von statisti-schen Massendaten aus dem 18. Jahrhundert und der Zeit der kapitalistischen Agrarreformen für die Agrar- und Siedlungsgeschichte. In: JbGFeud 3 (1979), 311-363.

421 Harnisch, Hartmut: Der Weg zum Regulierungsedikt vom 14. September 1811 oder die endgültige Option für eine kapitalistische Agrarreform in Preußen. In: Kossok, Manfred / Kross, Editha (Hrsg.): 1789 — Weltwirkung einer großen Revolution (Studien zur Revolutionsgeschichte). Bd. 1. Vaduz 1989, 257-306.

422 Harnisch, Hartmut / Heitz, Gerhard (Hrsg.): Deutsche Agrargeschichte des Spätfeu-dalismus (Studienbibliothek DDR — Geschichtswissenschaft 6). Berlin (DDR) 1986.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 311

422a Jamin, Rainer: Aufbau, Tätigkeit und Verfahren der Auseinandersetzungsbehörden bei der Durchführung der preußischen Agrarreformen (Rechtshistorische Reihe 39). Frankfurt/M. 1985.

423 Kaak, Heinrich: Die Gutsherrschaft. Theoriegeschichtliche Untersuchungen zum Agrarwesen im ostelbischen Raum (Veröffentlichungen der Historischen Kommis-sion zu Berlin 79). Berlin 1991.

423a Moeller, Robert G. (Hrsg.): Peasants and Lords in Modern Germany. Recent studies in agricultural history. Boston 1986

424 Moll, Georg: Agrarfrage und bürgerliche Umwälzung in Deutschland. In: ZfG 30 (1982), 943-956.

425 Moll, Georg: Agrarreformen in Deutschland im 19. Jahrhundert. Vergleichende Überlegungen zur Entwicklung in Ost- und Westelbien. In: WissZUnivRostock 31 (1982), 7-10.

426 Moll, Georg: Bürgerliche Umwälzung und kapitalistische Agrarentwicklung. Zur Diskussion um die Wege der bürgerlichen Umgestaltung. In: ZfG 27 (1979), 145-148.

427 Moll, Georg: Zum „preußischen Weg" der Entwicklung des Kapitalismus in der deutschen Landwirtschaft. In: ZfG 26 (1978), 52-62.

427a Mooser, Josef: Preußische Agrarreformen, Bauern und Kapitalismus. Bemerkun-gen zu Hartmut Harnischs Buch „Kapitalistische Agrarreform und industrielle Revo-lution". In: GG 18 (1992), 533 -554.

428 Mooser, Josef: Ländliche Klassengesellschaft 1770-1848. Bauern und Unterschich-ten, Landwirtschaft und Gewerbe im östlichen Westfalen (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 64). Göttingen 1984.

428a Obenaus, Herbert: Gutsbesitzerliberalismus. Zur regionalen Sonderentwicklung der liberalen Partei in Ost- und Westpreußen während des Vormärz. In: GG 14 (1988), 304-328.

429 Pierenkemper, Toni: Der Agrarsektor in der vorindustriellen Gesellschaft. Einige Anmerkungen zur preußischen Entwicklung, 1815-1830, aus produktionstheoreti-scher Sicht. In: ZAA 37 (1989), 168-186.

430 Pierenkemper, Toni (Hrsg.): Landwirtschaft und industrielle Entwicklung. Zur öko-nomischen Bedeutung von Bauernbefreiung, Agrarreform und Agrarrevolution. Stuttgart 1989.

431 Räch, Hans Jürgen / Weissei, Bernhard (Hrsg.): Landwirtschaft und Kapitalismus. Zur Entwicklung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse in der Magdeburger Börde vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges. Bd. 1.1 (Akademie der Wissenschaften der DDR. Zentralinstitut für Geschichte. Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte 66/1) . Berlin (DDR) 1978.

432 Schissler, Hanna: Preußische Agrargesellschaft im Wandel. Wirtschaftliche, gesell-schaftliche und politische Transformationsprozesse von 1763 bis 1847 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 33). Göttingen 1978.

433 Schissler, Hanna: „Bauernbefreiung" oder Entwicklung zur agrarkapitalistischen Gesellschaft? In: SoWi 8 (1979), 136 -142.

312 Bernd Sösemann

434 Schneider, Karl Heinz: Bäuerliche Aktivitäten während der Bauernbefreiung. In: ZAA 37 (1989), 9-27.

435 Schremmer, Eckart: Faktoren, die den Fortschritt in der deutschen Landwirtschaft im 19. Jahrhundert bestimmten. In: ZAA 36 (1988), 33-77.

436 Stepiriski, Wlodzimierz: Wirtschaftlicher und politischer Wandel des Junkertums in den östlichen Provinzen Preußens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: PolnWeststud 6 (1987), 211-222.

437 Stepiriski, Wlodzimierz: Wlasnosc junkierska napomorzu Zechodnim w latach 1807-1914 [Der Junkerbesitz in Pommern in den Jahren 1807-1914]. Szczecin 1989.

438 Studien zu den Agrarreformen des 19. Jahrhunderts in Preußen und Rußland (Jahr-buch für Wirtschaftsgeschichte. Sonderband 1978).

439 Tenfelde, Klaus: Der kurmärkische Adel und das Oktoberedikt. In: AfS 19 (1979), 189-230.

440 Vetter, Klaus: Der kurmärkische Adel und das Oktoberedikt. In: ZfG 27 (1979), 439-457.

441 Wachowiak, Bogdan: Die Lage der Landwirtschaft in Pommern, Ost- und Westpreu-ßen nach den Napoleonischen Kriegen. In: JbWG 1990/1, 71-85.

442 Wachowiak, Bogdan: Realizacja reform uwlaszczeniowych na Pomorzu Zachodnim i Wschodnim w pierwszej polowie XIX wieku [Die Durchführung der Bauernbefrei-ung in Pommern. Ost- und Westpreußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts]. In: ZapHist 52 (1987), 149-163.

443 Wunder, Heide: Agrarwirtschaft und Klassenstruktur im Übergang vom Feudalis-mus zum Kapitalismus. In: SoWi 8 (1979), 124-128.

444 Wunder, Heide: Peasant Organization and Class Conflict in East and West Germany. In: PP 78 (1978), 47-55.

10. Schul- und Bildungswesen

445 Apel, Hans-Jürgen: Preußische Gymnasiallehrer 1820-1850. Soziale Herkunft, Stu-dienverhalten, Studienerfolg nach Prüfungszeugnissen insbesondere der Bonner Schulamtskandidaten. In: VSWG 72 (1985), 353-368.

446 Apel, Hans-Jürgen: Das preußische Gymnasium in den Rheinlanden und Westfalen 1814-1848. Die Modernisierung der traditionellen Gelehrtenschulen durch die preu-ßische Unterrichtsverwaltung (Studien und Dokumentationen zur deutschen Bil-dungsgeschichte 25). Köln 1984.

447 Apel, Hans-Jürgen / Klöcker, Michael: Schulwirklichkeit in Rheinpreußen. Analy-sen und neue Dokumente zur Modernisierung des Bildungswesens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Studien und Dokumentationen zur deutschen Bildungs-geschichte 30). Köln 1986.

448 Baumgart, Franzjörg: Zwischen Reform und Reaktion. Preußische Schulpolitik 1806-1859. Darmstadt 1990.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 313

449 Bolle, Rainer: Religionspädagogik und Ethik in Preußen. Eine problemgeschichtli-che Analyse der Religionspädagogik in Volksschulen und Lehrerausbildung in Preußen von der Preußischen Reform bis zu den Stiehlschen Regulativen (Internatio-nale Hochschulschriften 6). Münster 1988.

450 O'Boyle, Leonore: Learning for its Own Sake. The german university as Nineteenth-Century model. In: CompStudSocHist 25 (1983), 3-25.

451 Friedeburg, Ludwig von: Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesell-schaftlicher Widerspruch. Frankfurt/M. 1989.

452 Gaßen, Helmut: Preußische Reformbewegung und geisteswissenschaftliche Pädago-gik: von Clausewitz zu Weniger. In: GWU 31 (1980), 624-628.

453 Herrmann, Ulrich (Hrsg.): Schule und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Sozial-geschichte der Schule im Übergang zur Industriegesellschaft. Weinheim 1977.

454 Herzig, Arno: Der Primat der Politik in der Hochschulbildung des 18. und beginnen-den 19. Jahrhunderts. In: JbldtG 7 (1978), 71-109.

455 Hinz, Renate: Pestalozzi und Preußen. Zur Rezeption der Pestalozzischen Pädagogik in der preußischen Reformzeit (Pädagogische Versuche 17). Frankfurt/M. 1991.

455a Hohendahl, Peter Uwe: Reform als Utopie. Die preußische Bildungspolitik 1809-1817. In: Voßkamp, Wilhelm (Hrsg.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Bd.3. Stuttgart 1982, 250-272.

456 Jeismann, Karl-Ernst (Hrsg.): Bildung, Staat, Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Mobi-lisierung und Disziplinierung (Nassauer Gespräche der Freiherr-vom-Stein-Gesell-schaft 2). Stuttgart 1989.

457 Jeismann, Karl-Ernst: Preußische Bildungspolitik vom ausgehenden 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Thesen und Probleme. In: Arnold, Udo (Hrsg.): Zur Bildungs- und Schulgeschichte Preußens (Tagungsberichte der Historischen Kom-mission für ost- und westpreußische Landesforschung 8). Bd. 1. Lüneburg 1988, 9-37.

458 Kuhlemann, Frank-Michael: Modernisierung und Disziplinierung. Sozialgeschichte des preußischen Volksschulwesens 1794-1872 (Kritische Studien zur Geschichts-wissenschaft 96). Göttingen 1992.

459 Kenkel, Horst: Schulen und Lehrer im Regierungsbezirk Königsberg 1810/13 (Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas 118). Marburg 1982.

460 Kittler, Wolf: Kriegstheater. Heinrich von Kleist, die Reformpädagogik und die Französische Revolution. In: Herrmann, Ulrich / Oelkers, Jürgen (Hrsg.): Französi-sche Revolution und Pädagogik der Moderne. Aufklärung, Revolution und Men-schenbildung im Übergang vom Ancien régime zur bürgerlichen Gesellschaft. Wein-heim 1990, 333-346.

461 Kraul, Margret: Gymnasium und Gesellschaft im Vormärz. Neuhumanistische Ein-heitsschule, städtische Gesellschaft und soziale Herkunft der Schüler (Studien zum Wandel von Gesellschaft und Bildung im Neunzehnten Jahrhundert 18). Göttingen 1980.

462 Krause, Heinz: Fichtes Universitätsplan von 1807 und die Gründung der Berliner Universität. In: WissZHumbUniv 33 (1984), 6-9.

314 Bernd Sösemann

463' La Vopa, Anthony J.: Prussian Schoolteachers. Profession and office, 1763-1848. Chapel Hi l l 1980.

464 Mandel, Hans Heinrich: Geschichte der Gymnasiallehrerausbildung in Preußen-Deutschland 1787-1987 (Historische und Pädagogische Studien 14). Berlin 1989.

465 Mast, Peter: Die höhere Schule an der Schwelle zum Industriezeitalter — Real-und höhere Bürgerschulen in Preußen unter Kultusminister von Altenstein (1817-1840). In: ZlntErzSozForsch 8 (1991), 79-102.

466 Michalsky, Helga: Bildungspolitik und Bildungsreform in Preußen. Die Bedeutung des Unterrichtswesens als Faktor sozialen und politischen Wandels beim Übergang von der ständischen zur bürgerlich-liberalen Gesellschaft (Beltz-Forschungs-berichte). Weinheim 1978.

467 Müller, Detlef: Sozialstruktur und Schulsystem. Aspekte zum Strukturwandel des Schulwesens im 19. Jahrhundert (Studien zum Wandel von Gesellschaft und Bildung im 19. Jahrhundert 7). Göttingen 1977.

468 Rademacher, Bernd: Zentralisierung und Dezentralisierung. Zur Genese der Schul-verwaltung in der Konstitutionsphase der bürgerlichen Gesellschaft, dargestellt am Beispiel Preußens (Erlanger pädagogische Studien). Bad Heilbrunn 1978.

469 Renger, Christian: Die Gründung und Einrichtung der Universität Bonn und die Berufungspolitik des Kultusministers Altenstein (Académica Bonnensia. Veröffent-lichungen des Archivs der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn 7). Bonn 1982.

470 Ross, Erhard: Das Landschulwesen in Ostpreußen und die Einführung der Pestaloz-zischen Methode (1800-1815). In: Preußenland 28 (1990), 33-45.

471 Sauer, Michael: Volksschullehrerbildung in Preußen. Die Seminare und Präparan-denanstalten vom 18. Jahrhundert bis zur Weimarer Republik (Studien und Doku-mentationen zur deutschen Bildungsgeschichte 37). Köln 1987.

472 Schiersmann, Christiane: Zur Sozialgeschichte der preußischen Provinzial-Gewer-beschule im 19. Jahrhundert (Studien und Dokumentationen zur deutschen Bildungs-geschichte 8). Weinheim 1979.

473 Schleunes, Karl A.: Enlightenment, Reform, Reaction. The schooling revolution in Prussia. In: CEH 12 (1979), 315-342.

474 Schleunes, Karl A.: Schooling and Society. The politics of education in Prussia and Bavaria, 1750-1900. Oxford 1989.

475 Speitkamp, Winfried: Educational Reforms in Germany between Revolution and Restoration. In: GermHist 10 (1992), 1-23.

476 Speitkamp, Winfried: Staat und Bildung in Deutschland unter dem Einfluß der Französischen Revolution. In: HZ 250 (1990), 549-578.

477 Stübig, Heinz: Pädagogik und Politik in der preußischen Reformzeit. Studien zur Nationalerziehung und Pestalozzi-Rezeption (Studien und Dokumentationen zur deutschen Bildungsgeschichte 21). Weinheim 1982.

478 Thien, Hans-Günter: Schule, Staat und Lehrerschaft. Zur historischen Genese bür-gerlicher Erziehung in Deutschland und England (1790-1918). Frankfurt / M. 1984.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 315

11. Militärwesen

479 Ballin, Andreas: Die historische Rechtfertigung des Führungsanspruches Preußens in Deutschland (am Beispiel des 50. Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig). In: MG 27 (1988), 357-364.

480 Berdahl, Robert M.: Paternalism, Serfdom und Emancipation in Prussia. In: Anger-mann, Erich / Frings, Marie-Luise (Hrsg.): Océans Apart? Comparing Germany and the United States. Studies in commémoration of the 150. anniversary of the birth of Carl Schurz. Stuttgart 1981, 29-44.

481 Berding, Helmut: Das geschichtliche Problem der Freiheitskriege 1813-1814. In: Ludat, Herbert / Schwenges, Christoph (Hrsg.): Politik, Gesellschaft, Geschichts-schreibung. Festschrift Frantisek Graus (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 18). Köln 1982, 380-402.

482 Bock, Helmut: Bürgerliche Revolution und nationale Kriege. Zum 175. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig. In: Einheit 43 (1988), 937-946.

483 Börner, Karl-Heinz: Die Völkerschlacht bei Leipzig 1813 — Bedeutung und Wir-kung. In: MG 27 (1988), 323-327.

484 Craig, Gordon A.: Die preußisch-deutsche Armee 1640 -1945. Staat im Staate (Athenäum-Droste-Taschenbücher). Düsseldorf 1980.

485 Dufraisse, Roger: A Propos des Guerres de Délivrance Allemandes de 1813. Problè-mes et faux problèmes. In: RevInstNapoléon 148 (1987), 11-44.

486 Fesser, Gerd: Die Schlacht bei Jena und Auerstedt 1806 (Illustrierte historische Hefte 42). Berlin (DDR) 1986.

487 Fesser, Gerd: Der Zusammenbruch des preußischen Militärstaates 1806. In: GUnterrStaatsbürgerkde 29 (1987), 205-211.

488 Fiedler, Siegfried: Grundriß der Militär- und Kriegsgeschichte. Bd. 3: Napoleon gegen Preußen. München 1978.

489 Franke, Immo: Schlesien und der Befreiungskrieg 1813. In: JbUnivBreslau 19 (1978), 79-106.

490 Groote, Wolfgang von: Der Gestaltswandel der Wehrpflicht in der deutschen Ge-schichte. In: GWU 35 (1984), 273-293.

491 Hahlweg, Werner: Aktuelle Probleme der Clausewitz-Forschung. In: Wehr-wissRdsch 29 (1980), 86-92.

492 Hartmann, Stefan: Die militärische Katastrophe Preußens bei Jena und Auerstedt im Urteil von Scharnhorst, Clausewitz und Schlieffen. In: JbPrKb 25 (1988), 165-185.

493 Helmert, Heinz / Usczek, Hansjürgen: Europäische Befreiungskriege 1808-1814/ 15. Militärischer Verlauf (Kleine Militärgeschichte. Kriege). Berlin (DDR) 1976.

493a Kessel, Eberhard: Militärgeschichte und Kriegstheorie in neuerer Zeit. Ausgewähl-te Aufsätze. Hrsg. von Johannes Kunisch (Historische Forschunqen 33). Berlin 1987.

316 Bernd Sösemann

494 Knoll, Werner: Zur Entwicklung von Offiziersschulen und Militärakademien in Deutschland Anfang des 19. Jahrhunderts. In: MG 17 (1978), 457-462.

495 Koch, Hannsjoachim W.: Die Befreiungskriege 1807-1815. Napoleon gegen Deutschland und Europa. Berg 1987.

496 Lüdtke, Alf: „Wehrhafte Nation" und „innere Wohlfahrt". Zur militärischen Mobili-sierbarkeit der bürgerlichen Gesellschaft. Konflikt und Konsens zwischen Militär und ziviler Administration in Preußen, 1815-1860. In: M G M 30 (1981), 7-56.

497 Niedzielska, Magdalena: Prowincja £l<iska a wojna wyzwolencza Prus w 1813 roku [Die Provinz Schlesien und der preußische Freiheitskrieg von 1813]. In: Sl^skiKwartHist 39 (1984), 61-74.

498 Nitschke, Heinz G.: Die Preußischen Militärreformen 1807-1813. Die Tätigkeit der Militärorganisationskommission und ihre Auswirkungen auf die preußische Armee (Kleine Beiträge zur Geschichte Preußens 2). Berlin 1983.

498a Paret, Peter: Conscription and the End of the Old Regime in France and Prussia. In: Treue, Wilhelm (Hrsg.): Geschichte als Aufgabe. Festschrift Otto Büsch. Berlin 1988, 159-182.

498b Pawlas, Andreas: Militär, Freiheit und Demokratie in sozialethischer Perspektive. Texte und Kommentare zum Umbruch des Militärwesens und seiner geistigen Grundlagen im Zeitalter der Befreiungskriege (Europäische Hochschulschriften 29/ 295). Frankfurt/M. 1986.

499 Schmidt, Dorothea: Zur Einordnung der Landwehr in das preußische Militärsystem zwischen 1815 und 1819. In: MG 16 (1977), 572-583.

500 Schmidt, Dorothea: Die preußische Landwehr 1813 (Militärgeschichtliche Skizzen). Berlin (DDR) 1987.

501 Schmidt, Dorothea: Die preußische Landwehr. Ein Beitrag zur Geschichte der allgemeinen Wehrpflicht in Preußen zwischen 1813 und 1830 (Militärhistorische Studien NF 21). Berlin (DDR) 1981.

502 Schodrok, Karl-Heinz: Militärische Jugend-Erziehung in Preußen 1806-1820. Ols-berg 1989.

503 Schützle, Kurt: Über das Rekrutierungssystem in Preußen vor und nach 1806-07 und seine Auswirkungen auf die geistig- moralische Haltung der Soldaten. In: MG 16 (1977), 28-35.

504 Showalter, Dennis Edwin: Prussian Cavalry 1806-1871. The search for roles. In: MGM 19 (1976), 7-22.

505 Stübig, Heinz: Die Armee als ,Schule der Nation'. Entwicklungslinien der sozialen Militarisierung im 19. Jahrhundert. In: Hoffmann, Dietrich / Neumann, Karl (Hrsg.): Bildung und Soldatentum. Die Militärpädagogik Erich Wenigers und die Tradition der Erziehung zum Kriege. Weinheim 1992, 35-51.

506 Stübig, Heinz: Die preußische Heeresreform in der Geschichtsschreibung der Bun-desrepublik Deutschland. In: MGM 48 (1990), 27-40 (Erweiterte und überarbeitete Fassung in diesem Band).

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 317

12. Juden und Judenemanzipation

507 Agethen, Manfred: Die Situation der jüdischen Minderheit in Schlesien unter öster-reichischer und preußischer Herrschaft. In: Baumgart, Peter / Schmilewski, Ulrich (Hrsg.): Kontinuität und Wandel. Schlesien zwischen Österreich und Preußen (Schlesische Forschungen 4). Sigmaringen 1990, 306 -331.

508 Awerbuch, Marianne / Jersch-Wenzel, Stefi (Hrsg.): Bild und Selbstbild der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik. Beiträge zu einer Tagung (Einzelver-öffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 75). Berlin 1992.

509 Behnen, Michael: Probleme des Frühantisemitismus in Deutschland (1815-1848). In: BDLG 112 (1976), 244-279.

509a Belke, Ingrid: Zur Emanzipation der Juden in Preußen. In: Horch, Hans Otto/ Denkler, Horst (Hrsg.): Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutsch-sprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Bd. 1. Tübingen 1988, 29-46.

510 Brammer, Annegret H.: Judenpolitik und Judengesetzgebung in Preußen 1812 bis 1847 mit einem Ausblick auf das Gleichberechtigungsgesetz des Norddeutschen Bundes von 1869. Berlin 1987.

511 Braun, Johann: Die „Lex Gans" — ein Kapitel aus der Geschichte der Judenemanzi-pation in Preußen. In: Z R G / G A 102 (1985), 60-98.

512 Eisenbach, Artur: Die Judenemanzipation in den polnischen Gebieten im 19. Jahr-hundert vor dem europäischen Hintergrund. In: BullLeoBaecklnst 68 (1984), 3-21.

513 Erb, Rainer / Bergmann, Werner: Die Nachtseite der Judenemanzipation. Der Wi-derstand gegen die Integration der Juden in Deutschland 1780-1860. Berlin 1989.

514 Freimark, Peter (Hrsg.): Juden in Preußen — Juden in Hamburg (Hamburger Bei-träge zur Geschichte der deutschen Juden 10). Hamburg 1983.

515 Freimark, Peter: Sprachverhalten und Assimilation. Die Situation der Juden in Norddeutschland in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Saec 31 (1980), 240-261.

516 Freimark, Peter / Jankowski, Alice / Lorenz, Ina S. (Hrsg.): Juden in Deutschland. Emanzipation, Integration, Verfolgung und Vernichtung (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 17). Hamburg 1991.

517 Gestwa, Klaus: Protoindustrialisierung und „Judenfrage" in Schlesien. In: ZfO 38 (1989), 58-81.

518 Grab, Walter (Hrsg.): Deutsche Aufklärung und Judenemanzipation (Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte. Beiheft 3). Tel Aviv 1980.

519 Grab, Walter: Der deutsche Weg der Judenemanzipation 1789-1938 (Serie Piper). München 1991.

520 Hartmann, Stefan: Das Generalverzeichnis der Königsberger Juden vom 24. März 1812. In: Preußenland 29 (1991), 35-42.

318 Bernd Sösemann

520a Herzig, Arno: Die Emanzipationspolitik Hamburgs und Preußens im Vergleich. In: Freimark, Peter / Herzig, Arno (Hrsg.): Die Hamburger Juden in der Emanzipa-tionsphase, 1780-1870 (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 15). Hamburg 1989, 261-278.

520b Holeczek, Heinz: Die Judenemanzipation in Preußen. In: Martin, Bernd / Schulin, Ernst (Hrsg.): Die Juden als Minderheit in der Geschichte. München 1981.131-160.

521 Jersch-Wenzel, Stefi: Deutsche — Polen — Juden. Ihre Beziehungen von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. Beiträge zu einer Tagung (Einzelveröffentlichun-gen der Historischen Kommission zu Berlin 58). Berlin 1987.

522 Jersch-Wenzel, Stefi: Juden und „Franzosen" in der Wirtschaft des Raumes Berlin / Brandenburg zur Zeit des Merkantilismus (Einzelveröffentlichungen der Histori-schen Kommission zu Berlin 23). Berlin 1978.

523 Jersch-Wenzel, Stefi: Juden in Preußen — Preußische Juden? In: JbldtG 20 (1991), 437-448.

524 Juden in Preußen. Ein Kapitel deutscher Geschichte. Hrsg. vom Bildarchiv Preußi-scher Kulturbesitz. Dortmund 1981.

525 Katz, Jacob: Aus dem Ghetto in die bürgerliche Gesellschaft. Jüdische Emanzipation 1770-1870. Frankfurt/M. 1986.

526 Liebeschütz, Hans / Paucker, Arnold (Hrsg.): Das Judentum in der Deutschen Um-welt 1800-1850. Studien zur Frühgeschichte der Emanzipation (Schriftenreihe wis-senschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts 35). Tübingen 1977.

527 LivnS-Freudenthal, Rachel: Der „Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden" (1819-1824). Zwischen Staatskonformismus und Staatskritik. In: JbldtG 20 (1991), 103-125.

528 Lowenstein, Steven M.: The Rural Community and the Urbanization of German Jewry (19. Jh.). In: CEH 13 (1980), 218-236.

529 Lowenstein, Steven M.: Two Silent Minorities — Orthodox Jews and Poor Jews in Berlin 1770-1823. In: LBIY 1991, 3-25.

530 Rhode, Gotthold (Hrsg.): Juden in Ostmitteleuropa von der Emanzipation bis zum Ersten Weltkrieg (Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien 3). Marburg 1989.

531 Richarz, Monika (Hrsg.): Jüdisches Leben in Deutschland. Bd. 1: Selbstzeugnisse zur Sozialgeschichte 1780-1871 (Veröffentlichung des Leo-Baeck-Institutes). Stutt-gart 1976.

532 Rürup, Reinhard: Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur , Judenfrage" der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt/M. 1987.

533 Rürup, Reinhard: Emanzipation und Krise. Zur Geschichte der „Judenfrage" in Deutschland vor 1890. In: Mosse, Werner E. (Hrsg.): Juden im Wilhelminischen Deutschland 1890-1914 (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts 33). Tübingen 1976, 1-56.

Die Preußischen Reformen — Bibliographie 319

534 Rürup, Reinhard: Zwischen Integration und Entrechtung. Juden in der preußischen Geschichte. In: JoumG 3 (1981), 15-21.

535 Rürup, Reinhard: The tortuous and thorny Path to legal Equality:,Jew Laws" and Emancipatory Legislation in Germany from the late Eighteenth Century. In: LBIY 31 (1986), 3-33.

536 Sorkin, David: The Genesis of the Ideology of Emancipation. 1806-1840. In: LBIY 1987, 11-40.

537 Winkle, Stefan: Johann Friedrich Struensee und das Judentum. In: JbldtG 15 (1986), 45-90.

Verzeichnis der Mitarbeiter

Prof. Dr. Lothar Baar, Ernst-Reinke-Straße 23, 10369 Berlin

Prof. Dr. Helmut Bleiber , Klaustaler Straße 22, 13187 Berlin

Prof. Dr. Manfred Botzenhart, Historisches Seminar der Universität Münster, Domplatz, 48143 Münster

Dr. Stefan Hartmann, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Archivstraße 12-14, 14195 Berlin

Prof. Dr. Karl Heinrich Kaufhold, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Georg-August-Universität Göttingen, Platz der Göttinger Sieben 3, 37073 Göttingen

Dr. Peter Mast, Siebengebirgsweg 40, 53424 Remagen-Oberwinter

Prof. Dr. Ilja Mieck, Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Habel-schwerdter Allee 45, 14195 Berlin

Dr. Harald Müller, Roseggerstraße 12, 14471 Potsdam

Prof. Dr. Bernd Sösemann, Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin

Dr. Friedrich-Christian Stahl, Schwarzwaldstraße 68, 79194 Gundelfingen

Priv.-Doz. Dr. Thomas Stamm-Kuhlmann, Institut für Neuere Geschichte der Universität München, Herzogstraße 60 / II, 80803 München

Prof. Dr. Heinz Stübig, Forschungsstelle für Vergleichende Erziehungswissenschaft der Philipps-Universität Marburg, Ernst-Giller-Straße 5, 35039 Marburg

Prof. Dr. Klaus Vetter, Michelangelostraße 117, 10409 Berlin

Prof. Dr. Barbara Vogel, Universität Hamburg, Edmund-Siemers-Allee 1,20146 Hamburg

Priv.-Doz. Dr. Clemens Zimmermann, Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Heidelberg, Grabengasse 14, 69117 Heidelberg