emissionsvermeidung oder anpassung an den klimawandel: welche zukunft hat die klimapolitik?

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ifo Schnelldienst 5/2011 – 64. Jahrgang 3 Nach dem Scheitern von Cancún: Politik zwischen Klimaschutz und Anpassung Klimaschutz ist eine globale Aufgabe. Um das Ziel zu erreichen, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur zu begrenzen, muss die globale Gesamt- menge der Emissionen reduziert werden. Ohne entsprechende Anstrengungen der größten Verursacher von Emissionen – China und die Vereinigten Staaten von Amerika, die zusammen fast 40% der weltweiten Treibhausgasmengen aussto- ßen – wird ein effektiver Klimaschutz nicht möglich sein. Deutschland trägt heute nur noch gut 2 1 /2% zum gesamten weltwei- ten Ausstoß von Treibhausgasen bei. Die großen Bemühungen, in Deutschland Emissionen zu reduzieren, wirken sich auf das weltweite Klima kaum aus. Seit Jahren wird versucht, das für wirk- samen Klimaschutz kaum taugliche Kyo- to-Protokoll durch ein neues Abkommen zu ersetzen, bevor es Ende 2012 ausläuft (vgl. Bardt und Selke 2007). An den un- terschiedlichen Interessen der Länder sind aber bisher alle Versuche – auch auf den letzten Klimagipfeln in Kopenhagen und Cancún – gescheitert, die Weltgemein- schaft auf verbindliche Klimaschutzziele für die einzelnen Länder zu verpflichten. Obwohl Europa weitgehende Schritte an- geboten hatte, konnte keine Übereinkunft erzielt werden. Die Erfahrungen aus 18 Jahren Klimarahmenkonvention und 13 Jahren Kyoto-Protokoll sind ernüch- ternd. Während die Europäische Union mit ihren 27 Mitgliedern ihre Emissionen seit 1990 um über 11,3% gesenkt hat und Deutschland sogar ein Minus von 21,4% bis 2008 erreichen konnte, haben die USA als bisher größter Verursacher noch ein- mal 13,3% mehr Klimagase ausgestoßen. China hingegen hat seine Treibhausgas- emissionen seit 1990 mehr als verdoppelt und ist damit zum größten Emittenten der Welt aufgestiegen. Global sind die Emis- sionen seit 1990 um mehr als ein Fünftel angestiegen – trotz all der Konferenzen, Verpflichtungen, Regelungen und An- strengungen. Dem Ziel des Klimaschut- zes ist man auf globaler Ebene kaum nä- her gekommen. Das Gefangenendilemma im Klimaschutz Über die unterschiedlichen Kosten des Klimaschutzes und des Klimawandels wird ausführlich gestritten, spätestens seit der Stern-Report (Stern 2006) mit einer Kostenschätzung international für Aufse- hen sorgte. Unterstellt man die naturwis- senschaftlichen Ausführungen zum menschlich verursachten Klimawandel (vgl. IPCC 2007) als richtig, kann davon ausgegangen werden, dass aus globaler Perspektive eine Beschränkung der Treib- hausgasemissionen über die nächsten Jahrzehnte günstiger ist als eine dauer- hafte Veränderung des Klimas. Das grundlegende Problem des globa- len Klimaschutzes ist es aber, dass es für ein Land wirtschaftlich vorteilhafter ist, wenn andere die Lasten des Klimaschut- zes schultern. So verweisen die USA auf China und fordern ein klareres Engage- ment der Schwellenländer, bevor sie selbst verbindliche und anspruchsvolle Verpflichtungen akzeptieren wollen. Chi- na hingegen verweist auf die Industrielän- den Klimawandel: Welche Zukunft hat die Klimapolitik? Emissionsvermeidung oder Anpassung an Die gegenwärtige im Kyoto-Protokoll festgelegte Klimapolitik versucht vorrangig, dem Klimawan- del mit einer Strategie der Emissionsverminderung zu begegnen. Die dort festgelegten Redukti- onsziele für den CO2-Ausstoß sind für viele Länder nicht mehr zu realisieren. Und einige Länder, die zu den größten Emittenten gehören, vor allem die USA, haben sich dem Kyoto-Protokoll nicht angeschlossen. Sollte die Klimapolitik in Zukunft weniger auf Emissionsvermeidung und eher auf eine Anpassung an die Erderwärmung zielen? Hubertus Bardt* * Dr. Hubertus Bardt ist Stellv. Leiter des Wissen- schaftsbereichs Wirtschaftspolitik und Sozialpoli- tik und Leiter der Forschungsstelle Umwelt- und Energieökonomik am Institut der deutschen Wirt- schaft Köln.

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i fo Schne l ld ienst 5/2011 – 64. Jahrgang

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Nach dem Scheitern vonCancún: Politik zwischenKlimaschutz und Anpassung

Klimaschutz ist eine globale Aufgabe. Umdas Ziel zu erreichen, den Anstieg derweltweiten Durchschnittstemperatur zubegrenzen, muss die globale Gesamt-menge der Emissionen reduziert werden.Ohne entsprechende Anstrengungen dergrößten Verursacher von Emissionen – China und die Vereinigten Staaten vonAmerika, die zusammen fast 40% derweltweiten Treibhausgasmengen aussto-ßen – wird ein effektiver Klimaschutz nichtmöglich sein. Deutschland trägt heute nurnoch gut 21/2% zum gesamten weltwei-ten Ausstoß von Treibhausgasen bei. Diegroßen Bemühungen, in DeutschlandEmissionen zu reduzieren, wirken sich aufdas weltweite Klima kaum aus.

Seit Jahren wird versucht, das für wirk-samen Klimaschutz kaum taugliche Kyo-to-Protokoll durch ein neues Abkommenzu ersetzen, bevor es Ende 2012 ausläuft(vgl. Bardt und Selke 2007). An den un-terschiedlichen Interessen der Länder sindaber bisher alle Versuche – auch auf denletzten Klimagipfeln in Kopenhagen undCancún – gescheitert, die Weltgemein-schaft auf verbindliche Klimaschutzzielefür die einzelnen Länder zu verpflichten.Obwohl Europa weitgehende Schritte an-geboten hatte, konnte keine Übereinkunfterzielt werden. Die Erfahrungen aus18 Jahren Klimarahmenkonvention und13 Jahren Kyoto-Protokoll sind ernüch-ternd. Während die Europäische Union

mit ihren 27 Mitgliedern ihre Emissionenseit 1990 um über 11,3% gesenkt hat undDeutschland sogar ein Minus von 21,4%bis 2008 erreichen konnte, haben die USAals bisher größter Verursacher noch ein-mal 13,3% mehr Klimagase ausgestoßen.China hingegen hat seine Treibhausgas-emissionen seit 1990 mehr als verdoppeltund ist damit zum größten Emittenten derWelt aufgestiegen. Global sind die Emis-sionen seit 1990 um mehr als ein Fünftelangestiegen – trotz all der Konferenzen,Verpflichtungen, Regelungen und An-strengungen. Dem Ziel des Klimaschut-zes ist man auf globaler Ebene kaum nä-her gekommen.

Das Gefangenendilemma im Klimaschutz

Über die unterschiedlichen Kosten desKlimaschutzes und des Klimawandelswird ausführlich gestritten, spätestens seitder Stern-Report (Stern 2006) mit einerKostenschätzung international für Aufse-hen sorgte. Unterstellt man die naturwis-senschaftlichen Ausführungen zummenschlich verursachten Klimawandel(vgl. IPCC 2007) als richtig, kann davonausgegangen werden, dass aus globalerPerspektive eine Beschränkung der Treib-hausgasemissionen über die nächstenJahrzehnte günstiger ist als eine dauer-hafte Veränderung des Klimas.

Das grundlegende Problem des globa-len Klimaschutzes ist es aber, dass es fürein Land wirtschaftlich vorteilhafter ist,wenn andere die Lasten des Klimaschut-zes schultern. So verweisen die USA aufChina und fordern ein klareres Engage-ment der Schwellenländer, bevor sieselbst verbindliche und anspruchsvolleVerpflichtungen akzeptieren wollen. Chi-na hingegen verweist auf die Industrielän-

den Klimawandel: Welche Zukunft hat die Klimapolitik?Emissionsvermeidung oder Anpassung an

Die gegenwärtige im Kyoto-Protokoll festgelegte Klimapolitik versucht vorrangig, dem Klimawan-

del mit einer Strategie der Emissionsverminderung zu begegnen. Die dort festgelegten Redukti-

onsziele für den CO2-Ausstoß sind für viele Länder nicht mehr zu realisieren. Und einige Länder,

die zu den größten Emittenten gehören, vor allem die USA, haben sich dem Kyoto-Protokoll nicht

angeschlossen. Sollte die Klimapolitik in Zukunft weniger auf Emissionsvermeidung und eher auf

eine Anpassung an die Erderwärmung zielen?

Hubertus Bardt*

* Dr. Hubertus Bardt ist Stellv. Leiter des Wissen-schaftsbereichs Wirtschaftspolitik und Sozialpoli-tik und Leiter der Forschungsstelle Umwelt- undEnergieökonomik am Institut der deutschen Wirt-schaft Köln.

Zur Diskussion gestellt

der und stellt die eigene wirtschaftliche Entwicklung vorden Klimaschutz. Fraglich ist, mit welcher Strategie das ab-wartende Verhalten von USA und Schwellenländern aufge-brochen werden kann. Bisher gefährdet Europa die Wett-bewerbsfähigkeit seiner energieverbrauchenden Wirtschaft,solange sich die großen Verursacher von Treibhausgasennicht beteiligen und sich damit für das Klima auch kein Fort-schritt einstellt.

Auch wenn die Strategie der Klimagasvermeidung aus glo-baler Perspektive verschiedenen Untersuchungen folgenddie kostengünstigere Alternative zu einer Passivstrategie seinsollte, bei der die Schäden des Klimawandels zu tragen sind,stellen sich die Kosten-Nutzen-Kalküle auf nationaler Ebe-ne anders dar. Selbst für die Staaten, die die Folgen einerErderwärmung fürchten müssen, muss eine aktive Klima-schutzpolitik nicht die individuell rationale Lösung sein. Dieslässt sich am bekannten Grundmodell des Gefangenendi-lemmas darstellen (vgl. Abb. 1).

Abbildung 1 skizziert das Gefangenendilemma im Klima-schutz aus Sicht eines einzelnen Landes. Dabei wird un-terstellt, dass die Kosten des Klimaschutzes deutlich un-ter den Schäden liegen, die das Land im Falle eines welt-weiten Klimawandels zu tragen hätte. Ferner wird unter-stellt, dass das einzelne Land den globalen Klimawandelnur in geringem Umfang beeinflussen kann. Somit kannes den zu erwartenden im Inland anfallenden Schadendurch eigene Vermeidungsanstrengungen nur um etwa 5%der maximalen inländischen Schadenssumme reduzieren.In jedem Fall, egal ob sich der Rest der Welt um Klima-schutz bemüht oder nicht, muss das Land bei seiner po-litischen Entscheidung abwägen, ob es die vollständigenKosten des nationalen Klimaschutzes tragen möchte, ob-wohl es dadurch nur in geringem Umfang niedrigere Scha-

denskosten vermeiden kann. Ein Verzicht auf klimaschutz-politische Maßnahmen ist die dominante Strategie, die injedem der beiden Fälle rational erscheint. Dies gilt für denGroßteil aller Länder, so dass eine wirksame internationa-le Klimapolitik kaum zu erwarten ist.

Klimaschutz als öffentliches Gut – Anpassung als privates Gut

Neben aktivem Klimaschutz und einer reinen Passivstrate-gie verbleibt eine weitere Politikoption, die nur langsam anAufmerksamkeit gewinnt. Es handelt sich um eine Anpas-sungsstrategie, die vor allem auf die Minimierung der Schä-den abzielt, die durch einen absehbaren Klimawandel ent-stehen. Derartige Anpassungsstrategien werden für einzel-ne Länder unumgänglich sein, die besonders vom Klima-wandel betroffen sind. Denkbar sind beispielsweise Maß-nahmen des Deichbaus zur Sicherung von Küstenlandschaf-ten, die durch einen steigenden Meeresspiegel bedroht sind.Die Bundesregierung hat hierzu ihre Deutsche Anpassungs-strategie (DAS) vorgelegt (Bundesregierung 2008). Aber nichtnur einzelne Länder werden Versuche unternehmen, sichder vermuteten Erderwärmung anzupassen. Selbst bei ei-ner erfolgreichen internationalen Klimapolitik ist mit einerErderwärmung von mindestens 2 Grad zu rechnen, bei ei-nem weiteren Scheitern der Verhandlungen muss von grö-ßeren Werten ausgegangen werden. Anpassung wird damitzu einer globalen Herausforderung, wenn auch mit unter-schiedlichen Problemlagen und Intensitäten in den verschie-denen Weltregionen.

Wird auf globaler Ebene nach einem wirtschaftlich optima-len Niveau von Klimagasemissionen gesucht, müssen so-wohl die durch die nicht vermiedenen Emissionen verursach-

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ten Schäden – egal bei wem sie anfallen – als auch die zurVermeidung von Klimagasemissionen aufzubringenden Kos-ten betrachtet werden. Aus den mit dem Emissionsvolumensteigenden Schadens- und sinkenden Vermeidungskostenergibt sich ein kostenminimales Emissionsniveau.

Die Strategie der Anpassung an den Klimawandel zieltdarauf ab, die Kosten der auftretenden Schäden des Kli-mawandels über das Spektrum möglicher Emissionsni-veaus hinweg zu senken. Wenn hier quasi »Effizienzgewin-ne« erzielt werden können, sinken nicht nur die gesamtenKosten des Klimawandels, auch die optimale Emissions-menge vergrößert sich (vgl. Abb. 2). Trotz der Senkung derKosten der Klimaschäden bleibt eine aktive Politik des Kli-maschutzes Bestandteil eines optimalen Politikmixes, wennauch die Klimagasvermeidung leicht an Bedeutung ver-liert und somit erhebliche Vermeidungskosten eingespartwerden können.

Der wesentliche ökonomische Unterschied zwischen einerVermeidungs- und einer Anpassungsstrategie liegt jedochweniger in den tatsächlichen Kosten, als vielmehr in derStruktur des hergestellten Gutes. Klimaschutz ist ein klas-sisches öffentliches Gut. Es gilt sowohl Nichtrivalität im Kon-sum als auch die Nichtanwendbarkeit des Ausschlussprin-zips. Kein Land kann von einem stabilen Weltklima deshalbnicht profitieren, weil irgendein anderes Land dies tut. DieNichtrivalität im Konsum ist für sich genommen aber nochkein hinreichender Grund, die freiwillige Bereitstellung durchdezentrale Akteure in Frage zu stellen. Durch die Nichtan-wendung des Ausschlussprinzips entsteht jedoch ein reinesöffentliches Gut. Niemand kann dazu gezwungen werden,einen Kostenbeitrag zu seiner Bereitstellung zu leisten, derseiner durch die zu erwartenden Schäden bestimmten Zah-lungsbereitschaft entspricht. Dies gilt insbesondere auch für

die Länder, die sogar von einem wärmerenKlima profitieren könnten. Bekanntlich ist beisolchen öffentlichen Gütern damit zu rech-nen, dass die Individuen von dem Gemein-schaftsgut profitieren wollen, ohne einen ent-sprechenden Beitrag zu leisten. Sie sind dar-an interessiert, ihre Zahlungsbereitschaftmöglichst niedrig anzugeben, um so kosten-günstig in den Genuss des Gutes zu kom-men. Dieses Trittbrettfahrerverhalten sorgtdafür, dass die Kosten nicht von den Nutzerngetragen werden können und letztendlichdas öffentliche Gut nicht bereitgestellt wird,obwohl die Beteiligten hiervon eigentlich pro-fitieren würden.

Ein wirkliches öffentliches Gut kann nur durcheine zentrale Institution bereitgestellt oder zu-mindest organisiert werden, die in der Lageist, die notwendigen Beiträge der Nutznießer

einzufordern. Dies findet im Fall des Klimaschutzes als glo-bales Umweltproblem nicht statt. Eine globale Institution, dieentsprechende Klimaschutzanstrengungen der einzelnenLänder erzwingen könnte, existiert nicht. Es gibt auch kei-nen Mechanismus, durch den die Länder an regelkonfor-mem Verhalten interessiert sind, wie dies beispielsweisedurch die Sanktionsmöglichkeiten der WTO im Außenhan-del der Fall ist, die Strafzölle als Reaktion auf protektionisti-sche Maßnahmen eines Landes für zulässig erklären kann.Zwar gibt es mit dem Kyoto-Protokoll internationale Verträ-ge zum Klimaschutz, die jedoch einen ausreichenden Sank-tionsmechanismus ebenso vermissen lassen wie einen An-reiz zur Teilnahme am Vertrag. Die Schwierigkeiten, zu ei-ner internationalen Übereinkunft über weitere Klimaschutz-maßnahmen nach 2012 zu kommen, zeigen die Folgen des-sen, dass Klimaschutz den Charakter eines öffentlichen Gutshat. Es ist sehr zweifelhaft, dass im internationalen Kontextausreichende Maßnahmen getroffen werden, um das Kli-ma dauerhaft zu stabilisieren.

Auch wenn die durch den verstärkten Treibhauseffekt mög-licherweise ausgelöste Erwärmung der Erde durch einen glo-balen ortsunabhängigen Ausstoß von Klimagasen verursachtwird, stellen sich die Auswirkungen doch oftmals als regio-nal beschränkte Phänomene dar. Die Schäden entstehennicht irgendwo in der Anonymität des Globus, sondern kon-kret in Regionen, die beispielsweise durch einen höherenMeeresspiegel oder zunehmende Extremwettersituationenwie Überschwemmungen und Wirbelstürme bedroht sind.Im Gegensatz zur Verhinderung des globalen Klimawan-dels handelt es sich bei den Maßnahmen zur Anpassungan den Klimawandel daher auch im Wesentlichen um pri-vate Güter oder regionale Clubgüter. Jedes Individuum oderjedes Land ist daran interessiert, sich so auf den absehbareintretenden Klimawandel vorzubereiten, dass die daraus

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Emissionen

Vermeidungskosten

Schadenskosten nach Anpassung

Schadenskosten

Quelle: Darstellung des Autors.

Globaler Klimaschutz nach Senkung der Schadenskosten (Schema)

Kosten

Gesamtkosten nach Anpassung

Gesamtkosten

Abb. 2

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resultierenden Schäden möglichst gering bleiben. Die hier-bei jeweils zu tragenden Anpassungslasten werden aufge-bracht, um die im Inland anfallenden Schäden zu minimie-ren. Der Kreis der Kostenträger entspricht im Prinzip demKreis der Nutznießer.

Derartige Anpassungsstrategien können auf einzelwirtschaft-licher Ebene implementiert werden, wenn beispielsweiseReiseveranstalter oder Hotelketten ihre Schwerpunkte in Re-gionen verlegen, die durch den Klimawandel attraktiver wer-den, während sie sich aus den Gegenden, die für Touristenweniger interessant werden, eher zurückziehen. Auch In-dustrieunternehmen würden gegebenenfalls ihre Produkti-onsstandorte aus den Regionen abziehen, die besondersdurch Hochwasser, Wirbelstürme oder andere Folgen desKlimawandels betroffen wären. Die Verlagerungskosten müs-sen von den einzelnen Unternehmen getragen werden, diedadurch aber den Schaden verringern können, der ihnendurch die Erderwärmung entstehen kann.

Regionale oder nationale Anpassungsmaßnahmen könnenvon der entsprechenden Gebietskörperschaft als Clubgutangeboten werden, von dem überwiegend die Bewohnerund Unternehmen der jeweiligen Region profitieren. Deich-bau zum Schutz von Landstrichen durch den von der Erder-wärmung ausgelösten Anstieg des Meeresspiegels wärehierfür ein klassisches Beispiel. Da hier die entsprechendeninstitutionellen Voraussetzungen für eine obligatorische Zah-lung von Steuern und anderen Abgaben vorliegen, kann auchdie Finanzierung derartiger Anpassungsmaßnahmen als si-chergestellt angesehen werden. Bei der schadensminimie-renden Anpassung an den Klimawandel handelt es sich al-so in vielen Fällen um private Güter oder aber um solcheregionalen öffentlichen Güter, in der die jeweilige Gebiets-körperschaft die Bereitstellung nicht nur sicherstellen kann,sondern dies auch tun möchte, sofern der vermiedene Scha-den in der Region größer ist als die aus dem öffentlichenHaushalt zu tragenden Kosten.

Aber auch bei der Bereitstellung privater Anpassungsgüterkann es zu Schwierigkeiten kommen, auch wenn in verschie-denen Branchen unterschiedlicher Anpassungsbedarf be-steht (vgl. Mahammadzadeh und Biebeler 2009). Kritisch istdabei die heute wahrgenommene Betroffenheit, die bei Un-ternehmen aus Deutschland teilweise vergleichsweise nied-rig ausfällt. Selbst wenn es eine wahrgenommene Notwen-digkeit einer Anpassung an den Klimawandel gibt, ist aberoftmals unklar, wie genau diese klimatischen Veränderun-gen an den jeweiligen Standorten aussehen werden. Ein grö-ßeres Hindernis stellt aber die zeitliche Dimension dar: An-passungsmaßnahmen, die erst in einigen Jahrzehnten not-wendig sind, können sich in der unternehmerischen Praxisheute in aller Regel noch nicht niederschlagen. Der optima-le Anpassungszeitpunkt liegt in den allermeisten Fällen fürdie jeweiligen Unternehmen noch in der Zukunft.

Wie geht es weiter in der Klimapolitik?

Die derzeitige Klimapolitik setzt eindeutig auf eine Strategieder Emissionsvermeidung. Das Kyoto-Protokoll als zentra-les Element der internationalen Klimapolitik sieht Redukti-onsziele für Klimagase vor, ohne dass sich hierdurch einewirkliche Stabilisierung des Weltklimas erreichen ließe. Den-noch sind schon die derzeit verbindlichen Ziele für viele Län-der kaum noch zu realisieren, andere – allen voran die USA– haben sich dem Kyoto-Protokoll nicht angeschlossen. DieReduzierung der Schäden durch eine Politik der Anpassungan eine kaum zu vermeidende Erderwärmung steht als al-ternative oder zusätzliche Politikoption bisher zu wenig imMittelpunkt der Diskussion.

Die Stabilisierung des Weltklimas ist ein globales öffentlichesGut, für dessen Bereitstellung es keine mit zur Erhebung dernötigen Mittel ausreichenden Kompetenzen ausgestatteteglobale Institution gibt. Sich an der Bereitstellung dieses Gu-tes zu beteiligen, ist für jedes Land einzeln betrachtet nichtrational. Trittbrettfahrerverhalten lohnt sich. Bis auf eine Rei-he von klimaschutzpolitischen Vorreitern werden sich vieleLänder auch in Zukunft nicht an internationalen Übereinkom-men zum Klimaschutz beteiligen oder die vereinbarten Zie-le nicht mit der notwendigen Anstrengung verfolgen. Da imGegensatz zum Klimaschutz bei einer Politik der Anpassungnicht nur die Kosten im jeweiligen Land anfallen, sondernauch die Nutzen in Form von vermiedenen Schäden voll-ständig im Inland verbleiben, ist das Interesse der Länder aneiner solchen Anpassungspolitik groß. Instrumente zur Re-duzierung der eintretenden Schäden sind private oder re-gionale öffentliche Güter, die von den Gebietskörperschaf-ten bereitgestellt werden können. Dies gilt nicht nur für dieLänder, die Anpassung als Alternative zum Klimaschutz auf-fassen. Vielmehr werden sich auch diejenigen, die sich aneiner international abgestimmten Klimapolitik beteiligen, Maß-nahmen ergreifen, die die Kosten des dennoch anfallendenKlimawandels vermindern.

Das Dilemma der fehlenden internationalen Bereitschaft zumglobalen Klimaschutz will die deutsche und europäische Kli-mapolitik dadurch auflösen, dass eine Vorreiterrolle einge-nommen wird. Das positive Beispiel Europas solle andereLänder davon überzeugen, ihrerseits Anstrengungen im Kli-maschutz zu unternehmen. Entsprechend haben die 15 Län-der der damaligen Europäischen Union das Kyoto-Protokollunterzeichnet und ratifiziert und sich damit auf eine gemein-same Reduktion der Treibhausgasemissionen um 8% ge-genüber 1990 verpflichtet. Das weitgehende Ziel einer Sen-kung von 20% ist bereits einseitig für das Jahr 2020 fest-gelegt und gesetzlich umgesetzt. Das Angebot, die Reduk-tionsverpflichtung auf 30% zu erhöhen, sofern andere Län-der gleichwertige Minderungszusagen machen, liegt auf demTisch. Deutschland hat einseitig eine Reduktion der Treib-hausgasemissionen um bis 40% gegenüber 1990 bis 2020

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zugesagt und trägt damit weiterhin den größten Teil der eu-ropäischen Minderungsverpflichtung. Wichtige andere In-dustrieländer und die schnell wachsenden Schwellenlän-der haben sich diesem Ziel nicht angeschlossen, so dassinsgesamt der von den Experten des Weltklimarates vor-gegebene Korridor einer globalen Minderung von 25 bis 40%bis 2020 deutlich verfehlt wird.

Entgegen der Argumentation der Kommission würden An-reize für Drittländer, einem internationalen Klimaschutzregimebeizutreten, durch eine einseitige Verschärfung des europäi-schen Ziels weiter verringert. Europa hat auf der einen SeiteFrühstartervorteile erarbeitet, auf der anderen Seite aber auchWettbewerbsnachteile für bestimmte Branchen generiert. Die-se Kostennachteile Deutschlands und Europas sind Kosten-vorteile aus der Sicht von Drittländern. Durch den Beitritt zumKlimaschutzprozess würden diese Vorteile der Drittländer weg-fallen, während die Wettbewerbsnachteile in Klimaschutzin-dustrien, die gegenüber dem Vorreiter EU bestehen, beibe-halten werden. Eine Erhöhung der europäischen Klimaschutz-verpflichtung vergrößert diese Kostenvorteile und macht ei-ne Entscheidung pro Klimaschutz für Länder, die bisher nochkeinen Beitrag leisten, zunehmend unattraktiv. Zudemschwächt eine deutsche und europäische Politik, die es ener-gieintensiven Unternehmen unmöglich macht, hier zu produ-zieren, die häufig angeführte Vorbildfunktion, weil deutlich wür-de, dass Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung im Kon-flikt zueinander stehen können. Das wäre abermals ein erheb-licher Rückschritt für den globalen Klimaschutz. Schon heu-te ist die deutsche Klimaschutzpolitik nicht hinreichend effi-zient, um wirklich international als nachahmenswertes Vorbilddazustehen (vgl. Bardt 2009).

Die Erfahrungen aus dem Kyoto-Protokoll, das im Wesent-lichen in Europa zur Erfüllung von anspruchsvollen Emissi-onsminderungspflichten geführt hat, dürfen sich nicht wie-derholen. Eine solche einseitige Lastenverteilung wäre nichtzu tragen. Umso wichtiger ist eine gute Verhandlungsposi-tion der EU-Länder in den weiteren Verhandlungen. Strittigist vor allem, inwiefern die großen Vorleistungen der EU inden letzten Jahren einen Beitrag dazu leisten, andere Län-der zu vergleichbaren Anstrengungen zu bewegen.

Dabei schränkt die weitgehende Vorreiterrolle Europas dieeigene Verhandlungsposition schon aus den oben genann-ten Gründen ein. Ein wirksamer Klimaschutz kann jedochnur durch international konzertierte Anstrengungen gelingen,und das verbleibende Verhandlungspotenzial der EU darf nichtweiter durch ein Vorpreschen geschwächt werden. Zusätzli-che Reduktionsverpflichtungen über die angekündigten 20bis 30% bis 2020 hinaus kann die Europäische Union kaumübernehmen. Ein Zurückweichen hinter diese Vorstellungendürfte ebenso schwer zu realisieren sein. Schon die Schwie-rigkeiten bei der Realisierung der in Kopenhagen zugesag-ten Finanzierungshilfen für Klimaschutz und Anpassung in Ent-

wicklungsländern macht die Komplexität der Situation deut-lich. Die internationale Klimapolitik ist in weiten Teilen ein Ver-such, ein globales Verteilungsproblem (der Kosten des Klima-schutzes) so zu lösen, dass dies von allen Ländern für fair er-achtet wird. An dieser Herausforderung sind die bisherigenKlimaschutzverhandlungen gescheitert.

Die Bundesregierung hat sich einseitig auf eine Reduktionder Treibhausgasemissionen um 40% bis zum Jahr 2020gegenüber 1990 festgelegt. Dies entspricht einer drastischenVerschärfung des bisherigen Klimaschutzkurses, der durchdas Kyoto-Protokoll für Deutschland eine Verringerung derEmissionen um 21% in den 22 Jahren bis 2012 vorsah. Fürweitere 19% sind bei punktgenauer Erfüllung des Kyoto-Zie-les nur acht Jahre vorgesehen, gerechnet ab 2008 in zwölfJahren. Ein Vergleich mit den noch niedrigeren Emissions-werten von 2009 wäre unangemessen, da es sich hierbeium Werte handelt, die nur durch die schwere Wirtschafts-krise zu erklären sind. Der starke einmalige Rückgang wirdim Zuge der wirtschaftlichen Erholung spätestens 2011 wie-der ausgeglichen werden.

Das anspruchsvolle deutsche Ziel entspricht damit nahezu ei-ner Verdoppelung der Geschwindigkeit des Klimaschutzes.Da davon auszugehen ist, dass die günstigsten Vermeidungs-maßnahmen früh ergriffen werden und daher in Deutschlandweitgehend umgesetzt sind, muss mit einem deutlich höhe-ren Aufwand und höheren Kosten gerechnet werden. Deutsch-land hat sich auf eine Emissionsminderung von 40% gegen-über 1990 verpflichtet. Würde das EU-Ziel von 20 auf 30%erhöht, rücken die anderen europäischen Länder näher anDeutschland heran. Dennoch ist auch eine Verschärfung desEU-Emissionsziels mit erheblichen Auswirkungen auf den Wirt-schaftsstandort Deutschland verbunden. Dies kommt hinzuzu einem ohnehin schon hohen Energiepreisniveau in Deutsch-land. Dabei sind nicht nur einzelne, klar abgrenzbare Bran-chen belastet. Vielmehr werden ganze Wertschöpfungsket-ten in Deutschland gefährdet, wenn die Grundstoffprodukti-on untragbar verteuert wird. Gerade für Deutschland ist dieFrage der Kostenbelastungen für die Industrie besonders wich-tig, weil die Industrie hier einen deutlich höheren Beitrag fürWertschöpfung, Beschäftigung und Steuerzahlungen leistetals in anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder demVereinigten Königreich.

Trotz der deutschen und europäischen Vorreiterrolle ist da-von auszugehen, dass eine Stabilisierung des Klimas als glo-bales öffentliches Gut nicht in ausreichendem Maße zustan-de kommen wird, auch wenn dies insgesamt kostenmini-mierend wäre. Damit wird der Klimawandel stärker ausfal-len, als er unter optimalen Bedingungen ausfallen müsste.Maßnahmen zum Schutz vor Klimafolgen als private oderquasi private Güter werden hingegen bereitgestellt und fi-nanziert. Im Ergebnis ist zu erwarten, dass es zu einer Un-terversorgung mit dem öffentlichen Gut Klimaschutz kom-

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men wird, während zu viele Mittel für den Schutz vor Klima-folgen aufgewendet werden. Besonders negativ betroffenhiervon wären insbesondere diejenigen Länder, die sich aus-reichende Maßnahmen zum Schutz ihrer Bevölkerung undihrer Lebensgrundlagen nicht leisten können oder die bei-spielsweise aufgrund des Klimawandels von Wüstenbildungbedroht sind, wogegen kaum Schutzmaßnahmen getrof-fen werden können. Das globale Umweltproblem wird ver-mutlich nur unzureichend gelöst werden, regionale Teillösun-gen werden jedoch gefunden.

Wichtig wird es für die Zukunft sein, einen ausgewogenenPolicy-Mix aus Klimaschutz und Anpassung an den Klima-wandel zu finden. Hierdurch lässt sich der kostengünstigsteUmgang mit den Klimawirkungen menschlichen Handelnsverwirklichen. Daher ist auch Forschung in Anpassung vongroßer Bedeutung (vgl. Mahammadzadeh, Biebeler und Bardt2009). So werden im Rahmen der BMBF-FördermaßnahmeKLIMZUG in verschiedenen Regionen Anpassungsstrategienentwickelt und implementiert (KLIMZUG 2010). Weder einereine Anpassung an vermeidbare Klimaveränderungen er-scheint sinnvoll, noch eine Vermeidung von Klimagasemis-sionen um jeden Preis. Einzelne Länder und Ländergruppenhaben unterschiedliche klimapolitische Motivationen, unter-schiedliche Anpassungs- und unterschiedliche Vermeidungs-möglichkeiten. Hieraus ergeben sich jeweils andere Kombi-nationsmöglichkeiten beider Strategien. In einen funktions-fähigen internationalen Rahmen eingebunden, können der-artige Ideallösungen gefunden werden. Sollte sich jedoch ab-zeichnen, dass negative Auswirkungen des Klimawandelstrotz allem nicht zu vermeiden sind, oder dass die notwen-digen globalen Anstrengungen aufgrund ihres Charakters alsöffentliche Güter nicht in ausreichendem Maße zustande kom-men, werden einzelne Länder und Ländergruppen denSchwerpunkt der Klimapolitik auf eine individuelle Anpassungan das veränderte Klima verlegen müssen.

Literatur

Bardt, H. (2009), »Grundzüge einer effizienten Klimapolitik«, IW-PositionenNr. 42, Beiträge zur Ordnungspolitik aus dem Institut der deutschen Wirt-schaft Köln, Köln.Bardt, H. und J.-W. Selke (2007), »Klimapolitik nach 2012 – Optionen fürden internationalen Klimaschutz«, IW-Positionen Nr. 29, Beiträge zur Ord-nungspolitik aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Köln.Bundesregierung (2008), Deutsche Anpassungsstrategie an den Klima-wandel, Berlin.IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change (2007), Fourth Assess-ment Report: Climate Change, Cambridge.KLIMZUG (2010), Website des Förderprogramms KLIMZUG-Klimawandelin Regionen zukunftsfähig gestalten, www.klimzug.de.Mahammadzadeh, M. und H. Biebeler (2009), »Anpassung an den Klima-wandel«, IW Analysen Nr. 57, Forschungsberichte aus dem Institut der deut-schen Wirtschaft Köln, Köln.Mahammadzadeh, M., H. Biebeler und H. Bardt (Hrsg.) (2009), Klimaschutzund Anpassung an die Klimafolgen – Strategien, Maßnahmen und Anwen-dungsbeispiele, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Köln.Stern, N. (2008), »The Economics of Climate Change«, American EconomicReview 98(2), Papers and Proceedings, 1–37.

Umdenken in der Klimapolitik nach demGipfel von Cancún!

Mit Cancún kann die globale Klimapolitik auf ein weiteresinternationales Treffen zurückblicken, bei dem das Ziel ei-ner effektiven internationalen Klimavereinbarung nicht er-reicht wurde. Dies ist besonders enttäuschend für Europaund noch mehr für Deutschland, weil das Thema dort be-achtliches Medieninteresse findet und die Verhandlungspart-ner aus Deutschland und der Europäischen Union mit be-sonderem Nachdruck für das Zustandekommen einer Kli-mavereinbarung eingetreten sind. Die große Zahl von erfolg-losen Anläufen weckt Zweifel daran, dass die deutsche bzw.europäische Klimapolitik die richtige Strategie verfolgt.

Diese Strategie ist gekennzeichnet durch erhebliche Vorleis-tungen in der Klimapolitik. Zu diesen Vorleistungen gehö-ren unter anderem das EU-weite Handelssystem für CO2-Emissionszertifikate, die emissionspolitisch motivierten Steu-ern und Abgaben auf fossile Brennstoffe wie Heizöl oderBenzin, die massive Subvention der Energieerzeugung imBereich von Windkraft und Solarenergie, das Energieeffi-zienzgesetz, die EU-Verordnung zur Verminderung der CO2-Emissionen von Pkws oder das Verbot von klassischen Glüh-lampen. Dieses Maßnahmenbündel ist nicht selten wegender fehlenden Abstimmung zwischen den Maßnahmen indie Kritik geraten. Schwerer als die Ineffizienz des Maßnah-menmixes wiegt indes die Frage, ob einseitige Vorleistun-gen in Deutschland oder auf Europäischer Ebene überhaupteinen konstruktiven Beitrag zur Vermeidung der globalen Er-wärmung leisten.

Zu dieser Frage hat jüngst das Gutachten des Wissenschaft-lichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen zumThema »Klimapolitik zwischen Emissionsvermeidung und

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Lars P. Feld* Kai A. Konrad** Marcel Thum***

* Prof. Dr. Lars P. Feld ist Direktor des Walter Eucken Instituts und Profes-sor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg.

** Prof. Dr. Kai A. Konrad ist Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrechtund Öffentliche Finanzen, München.

*** Prof. Dr. Marcel Thum ist Geschäftsführer der Niederlassung Dresdendes ifo Instituts und Inhaber des Lehrstuhls für Finanzwissenschaft ander Technischen Universität Dresden.

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Anpassung« eine klare Position bezogen. Demnach kannman den Bedrohungen des Klimawandels mit unterschied-lichen Maßnahmen begegnen, die sich grob in zwei Kate-gorien einteilen lassen. Mit der einen Maßnahmenkategoriewird versucht, die globale Erwärmung an sich aufzuhaltenoder zu bremsen (Vermeidungsstrategie). Zu dieser Katego-rie gehören die verringerte Nutzung fossiler Brennstoffe, et-wa durch den Ersatz dieser Energieträger durch klimagas-neutrale Technologien, die Vermeidung von Brandrodungen,der Anbau von Pflanzen, die mit ihrer Biomasse CO2 bin-den, die Einlagerung von Treibhausgasen in der Erde oderin den Weltmeeren (Carbon Capture and Storage) sowiedie Technologie, die als »globales Dimmen« bezeichnet wirdund bei der das Einbringen von Partikeln in die Atmosphä-re der Energieaufnahme der Erde entgegenwirkt. Die zwei-te Kategorie begegnet nicht der globalen Klimaerwärmungan sich, sondern versucht, die Kosten einer gegebenen Kli-maänderung möglichst gering zu halten (Anpassungsstra-tegie). Zu solchen Anpassungsstrategien gehört die An-passung der Landwirtschaft einer Region an die veränder-ten Klimabedingungen, die Nutzbarmachung von bislangunwirtlichen Kälteregionen, die Prävention gegenüber mög-lichen Sturmfluten oder vermehrten Stürmen durch entspre-chende Baumaßnahmen, die bauliche Verbesserung der In-frastruktur z.B. zur Sicherung der Wasserversorgung undvieles andere mehr.

Kosten und Nutzen der Klimastrategien

Ein bedeutsamer Unterschied zwischen Vermeidungs- undAnpassungsmaßnahmen besteht darin, dass praktisch alleVermeidungsmaßnahmen den Charakter eines Beitrags zueinem weltweiten (»globalen«) öffentlichen Gut aufweisen,wohingegen Anpassungsmaßnahmen den Charakter priva-ter Güter haben oder, da wo sie eine größere Reichweite ha-ben, lokale öffentliche Güter (Flutrinne, Deiche, Abwasser-kanäle) darstellen.

Steigt durch die Klimaerwärmung etwa das Sturmrisiko ineiner Region, kann die Bevölkerung dieser Region durch ent-sprechende bauliche Änderungen den drohenden Sturm-schäden vorbeugen. Die Träger der Anpassungskosten unddie Bezieher der Vorteile aus diesen Anpassungen sind da-her identisch. Ähnliches gilt auch für den Küstenschutz, dieVersorgung einer Region mit Wasser, die Umstellungen inder Landwirtschaft etc. Gelegentlich erfordern die Anpas-sungen das Handeln der Regierung einer Region oder ei-nes ganzen Staats. Ein Beispiel hierfür ist der Küstenschutz,der in der Regel von der regionalen oder nationalen Regie-rung betrieben wird. Von dieser Aktivität profitieren die Ein-wohner der Region oder des Landes und sie finanzieren die-se Aktivitäten mit ihren Steuergeldern. Der Kreis der Nutz-nießer und der Kreis der Kostenträger sind auch bei solchenMaßnahmen weitgehend identisch.

Anders verhält es sich bei den Maßnahmen der Emissions-vermeidung. Eine zusätzliche Vermeidung von CO2-Emis-sionen im Umfang einer Tonne verringert die globale Erwär-mung. Dabei ist es für die weltweit eintretenden Klimafol-gen gleichgültig, ob diese Emissionsvermeidung in Europa,den USA, China oder Brasilien erfolgt. Hinsichtlich der Kos-ten, die die Bürger Europas zu tragen haben, ist es jedochkeineswegs gleichgültig, ob die Tonne CO2 in Europa oderanderswo vermieden wird. Die Kosten entstehen in demLand, das die Emission vermeidet. Der Kreis der Nutznie-ßer von Vermeidungsaktivitäten und deren Kostenträger fal-len also auseinander.

Die negativen Auswirkungen des Klimawandels könnten imGrunde durch eine Mischung von verschiedenen Vermei-dungs- und Anpassungsmaßnahmen minimiert werden. Gä-be es eine effiziente und wohlwollende Weltregierung, könn-te diese die unterschiedlichen klimapolitischen Maßnahmenso aufeinander abstimmen, dass sich mögliche für den ge-samten Planeten definierte Zielvorgaben mit möglichst ge-ringen volkswirtschaftlichen Kosten realisieren lassen. Tat-sächlich existiert eine solche Weltregierung schlichtwegnicht. Die tatsächliche Klimapolitik wird von privaten, öffent-lichen und staatlichen Entscheidungsträgern bestimmt. Re-gionale, nationalstaatliche oder europäische Regierungenmögen das Verhalten der einzelnen Konsumenten und Pro-duzenten dabei koordinieren. Eine globale Koordinierungfindet de facto nicht statt. Und alle Versuche der Koordi-nation im Rahmen globaler Klimaverhandlungen sind bis-lang gescheitert.

Die Probleme der Vermeidungsstrategie

Bei Abwesenheit von Kooperation auf internationaler Ebe-ne wird jeder Staat seine Vermeidungspolitik an einem ein-fachen Grenzkostenkalkül ausrichten. Angesichts der vonanderen Staaten vermiedenen Emissionsmengen lohnt sichfür den Staat die Vermeidung einer zusätzlichen Tonne, wenndie in diesem Staat dadurch anfallenden Kosten höchstensgleich dem Vorteil sind, den seine Einwohner aus dieser zu-sätzlichen Vermeidung und der daraus resultierenden ge-ringeren Klimaerwärmung haben. Der Einzelstaat berück-sichtigt bei seinem Kalkül also nur die eigenen Klimavortei-le seiner Politik – nicht die Klimavorteile, die in anderen Län-dern entstehen. Die konsequente Anwendung dieser Über-legung im Rahmen einer Gleichgewichtsanalyse führt zu fol-genden Erkenntnissen: An einer Emissionsverminderungwerden sich nur wenige Nationen in substanziellem Um-fang beteiligen. Dass eine Nation substanzielle Beiträge leis-tet, ist umso wahrscheinlicher, je bevölkerungsreicher sieist, je wohlhabender sie ist und je größer die vermuteten ne-gativen Auswirkungen aus der globalen Erwärmung für siesind, weil diese Faktoren die einzelstaatlichen Vorteile ge-ringerer Klimaerwärmung bestimmen. Aber auch ökologi-

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sche Grundüberzeugungen der Bevölkerung und die tech-nologischen Möglichkeiten für eine Minderung der Emissio-nen sind für diese Frage bedeutsam. Im Rahmen unkoor-dinierter einzelstaatlicher Maßnahmen kann man insgesamtdavon ausgehen, dass die betriebenen Vermeidungsauf-wendungen in den Einzelstaaten weit hinter dem effizien-ten Maß zurückbleiben.

Tatsächlich wurde in Deutschland und auch in der Euro-päischen Union häufig gefordert, dass angesichts dieserAnreize zum Trittbrettfahrerverhalten den Industriestaateneine besondere Verantwortung zufällt. Sie sollten einseitigund unabhängig vom Ausgang internationaler Klimagipfeleine Vorreiterpolitik betreiben. Sie sollten sich zu einseiti-gen Vorleistungen verpflichten, was ihre klimapolitischenEmissionsziele angeht. In der Tat lässt sich eine Reihe dergenannten klimapolitischen Maßnahmen so interpretieren.Die Befürworter solcher einseitiger Vorleistungen betonen,dass das gute Vorbild andere Staaten, namentlich Staa-ten wie die USA, China oder Indien dazu veranlassen wer-de, ihrerseits ehrgeizige Ziele für ihre Emissionsminderun-gen zu setzen. Zugleich besteht wohl die Hoffnung, dasssolche einseitigen Vorleistungen den Weg zu einer interna-tionalen klimapolitischen Vereinbarung auf den zahlreichenKlimagipfeln ebnen würden.

Die finanzwissenschaftliche Theorie freiwilliger Beiträge zuinternationalen öffentlichen Gütern stellt die Effektivität ei-ner solchen Vorleistungsstrategie für das Weltklima in Fra-ge. Denn einseitige Verpflichtungen auf eigene klimapoliti-sche Ziele würden dazu führen, dass andere Staaten in ih-ren Anstrengungen bei der Emissionsvermeidung nachlas-sen. Gerade wenn sie angesichts der von Europa verspro-chenen Leistungen zu dem Ergebnis kommen, dass sich fürsie selbst eigene Emissionsvermeidungen nicht mehr loh-nen, stellen sie auch diejenigen Leistungen ein, die sie an-dernfalls noch erbracht hätten. Für Europa ergeben sich indieser Situation hohe Kosten aus der eigenen Klimapolitik.Da indes die eigenen Anstrengungen durch die Rücknah-me der Anstrengungen anderer Staaten großenteils aufge-wogen werden, hat der europäische Alleingang nur sehr ge-ringe positiven Klimawirkungen – und im Extremfall einesvollständigen »Crowding Out« sogar überhaupt keine.

Leider kann man noch nicht einmal hoffen, dass wenigstensdie Koordination innerhalb der Europäischen Union beson-ders hilfreich ist. Der Zusammenschluss von Staaten führtin der Regel zu verstärkten Vermeidungsanstrengungen die-ser Staatengruppe. Und für sich betrachtet hätte dies po-sitive Konsequenzen für das Weltklima. Allerdings werdendiese erhöhten Anstrengungen von den Staaten antizipiert,die der Gruppe nicht angehören. Diese Nichtmitglieder wür-den auf die erhöhten Anstrengungen der Europäischen Uni-on ähnlich wie auf einseitige Vorleistungen reagieren, näm-lich mit einer Rücknahme ihrer eigenen Anstrengungen. So

kann die Koordination der Klimapolitik in einer Teilgruppevon Staaten dazu führen, dass diese Staaten erheblich hö-here Kosten ihrer Klimapolitik haben, die Effekte ihrer Kli-mapolitik aber weitgehend verpuffen, weil andere Staatenihre Anstrengungen zurücknehmen.

Kritiker dieser finanzwissenschaftlichen Sichtweise wendenein, dass es letztlich gar nicht um isolierte Klimaanstren-gungen einzelner Länder geht, sondern um den Konsensin internationalen Klimaverhandlungen. Das Bild egoisti-scher, nationaler Klimapolitiken – so das Argument – seifalsch. Denn die Vorleistungen dienten dem Ziel, in inter-nationalen Klimagesprächen die übrigen Länder zu Zuge-ständnissen zu bewegen. Allerdings greift dieses Argumentzu kurz. Denn das Ergebnis nicht-kooperativen Verhaltensstellt immer die Rückfallposition in internationalen Klima-gesprächen dar. Wenn alle Gespräche scheitern, muss je-des Land mit dem Ergebnis egoistischer, nationaler Politi-ken leben. Je mehr ein Land im Falle des Scheiterns derKlimaverhandlungen an Vermeidungsanstrengungen aufsich nimmt, desto schlechter ist seine Verhandlungspositi-on. Eine gemeinsame europäische Position mit mehr Ver-meidung oder mit einseitigen Vorleistungen bedeutet da-her, dass sich für Staaten im Rest der Welt der Vorteil ver-mindert, den sie aus dem Zustandekommen einer globa-len Klimavereinbarung erwarten können. Es besteht des-halb die Gefahr, dass der innereuropäische Konsens dieChancen auf globale Klimavereinbarungen nicht verbessert,sondern verschlechtert!

Angesichts dieser Zusammenhänge warnt der Wissenschaft-liche Beirat beim BMF die Politik davor, die Vorreiterrolle zuforcieren. Dabei wendet sich das Gutachten nicht grund-sätzlich gegen das Führen von internationalen Klimaverhand-lungen. Es stellt aber den Nutzen von bedingungslosen Vor-leistungen in Frage – sowohl was den Nutzen bei Abwe-senheit eines globalen Abkommens angeht, als auch hin-sichtlich der Chancen, überhaupt ein im Prinzip wünschens-wertes Abkommen zu erzielen.

Anpassungsstrategie

Wesentlich günstiger fällt eine Analyse von Anpassungs-maßnahmen aus. Da bei diesen Maßnahmen Kostenträ-ger und Nutznießer zusammenfallen, kann man davon aus-gehen, dass die lokalen Entscheidungsträger zu effizien-ten Politikmaßnahmen greifen. Zudem können Anpas-sungsmaßnahmen in der Regel zeitnah getroffen werden.Der Einzelne und die Politik können also abwarten, wel-che Klimafolgen sich aus der globalen Erwärmung tat-sächlich ergeben und dann reagieren. Das gilt beispiels-weise für Anpassungen in der Land- und Forstwirtschaft.Aber auch Dämme und Änderungen der Wasserversor-gung lassen sich in Zeitspannen herbeiführen, die gemes-

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sen an der Geschwindigkeit des Klimawandels verhältnis-mäßig kurz sind.

Strategisches Zusammenspiel

Paradoxerweise kann die scheinbar egoistische Fokussie-rung auf die Anpassungsstrategie sogar helfen, bei der glo-balen Vermeidung von CO2-Emissionen Fortschritte zu er-zielen. Das Zusammenspiel von Anpassungsmaßnahmenund Vermeidungsmaßnahmen ist hier entscheidend. Ver-folgt ein Land konsequent die Anpassungsstrategie, kannes sich an den Klimawandel verhältnismäßig schnell an-passen. Dies vermindert die Bereitschaft des Landes zurVermeidung. Auf den ersten Blick mag diese Strategie fürdie Welt insgesamt desaströs erscheinen. Allerdings wer-den andere Länder reagieren und freiwillig mehr vermei-den. Ein Land, das auf Anpassung setzt, wird also durchdie erhöhten Vermeidungsanstrengungen anderer Länder»belohnt«. Ähnliche Konsequenzen lassen sich für ein mög-liches internationales Klimaabkommen beschreiben. Auchhier gilt: Ein Land, das auf Anpassung setzt und deshalb kei-ne großen Vorteile aus einem internationalen Klimaabkom-men hat, wird im Rahmen eines solchen Abkommens zu ge-ringeren Beiträgen bereit sein. Das Land, das aktiv eine An-passungsstrategie verfolgt, kann daher seine Verteilungs-position verbessern, ohne dem globalen Klima nennenswertzu schaden.

Fazit

Das Scheitern einer ganzen Reihe von internationalen Kli-magipfeln ist auch ein Scheitern der deutschen und euro-päischen Politik. Einseitige klimapolitische Vorleistungen undder Fokus auf eine koordinierte Klimapolitik auf EU-Ebenewerden nicht die erwünschten globalen Wirkungen haben.Es ist Zeit für ein Umdenken. Statt übermäßiger einseitigerVermeidungspolitik benötigen wir mehr Anstrengungen beider Anpassungsstrategie. Anpassungsmaßnahmen setzenkeine internationalen Vereinbarungen voraus. Zudem kannein Land, das Anpassungsmaßnahmen ergreift, andere Län-der zu mehr Emissionsvermeidung veranlassen und die Vor-aussetzungen für eine Klimavereinbarung verbessern.

Vermeidungs- vs. Anpassungsstrategienin der zukünftigen Klimapolitik: Der Versuch einer realistischen Einschätzung1

Die Zukunft der Klimapolitik ist ungewiss. Das im Hinblick aufdie Verminderung der weltweiten Treibhausgasemissionen oh-nehin ziemlich erfolglose Kyoto-Protokoll läuft bereits im nächs-ten Jahr aus, und ein Folgeabkommen ist nicht in Sicht. Eswachsen die Zweifel, ob ein globales Übereinkommen, daswie das Kyoto-Protokoll Vorgaben für nationale Emissions-vermeidungen vorsieht, überhaupt realistische Chancen hat.Doch selbst bei Zustandekommen eines derartigen Abkom-mens bleibt fraglich, ob die darin vereinbarten Vermeidungs-anstrengungen ausreichen werden, um einen gefährlichen Kli-mawandel zu vermeiden oder auch nur das von der Staaten-gemeinschaft anvisierte 2-Grad-Ziel zu erreichen. Angesichtsder somit höchst unsicheren Erfolgsaussichten einer reinenVermeidungsstrategie und des mittlerweile bis zu einem ge-wissen Grade zudem als unvermeidlich angesehenen Klima-wandels findet die Anpassung an dessen Folgen zunehmendBeachtung. Der folgende Beitrag soll dazu dienen, die Zu-kunftsperspektiven der Klimapolitik im Spannungsfeld von Ver-meidungs- und Anpassungsoption näher auszuloten. Dabeidiskutieren wir zunächst einige Gründe, mit denen sich einer-seits die weitverbreitete Skepsis, andererseits aber auch ge-wisse Hoffnungen gegenüber einer auf Emissionsvermeidungabzielenden Klimapolitik rechtfertigen lassen. Anschließenderörtern wir, welche Vor- und Nachteile mit der Anpassungs-option als alternativer klimapolitischer Strategie verbunden sind.

Vermeidungspessimismus

Unter Ökonomen bestehen, was die Erreichbarkeit einer wir-kungsvollen Vermeidung von Treibhausgasemissionen durch

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Wolfgang Buchholz* Dirk Rübbelke**

* Prof. Dr. Wolfgang Buchholz lehrt an der Fakultät Wirtschaftswissen-schaften der Universität Regensburg und ist Forschungsprofessor desifo Instituts.

** Prof. Dr. Dirk Rübbelke ist Ikerbasque Forschungsprofessor am BasqueCentre for Climate Change (BC3), Bilbao.

1 Wir danken Rüdiger Pethig für sehr wertvolle Hinweise zu diesem Aufsatz.

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globale klimapolitische Vereinbarungen angeht, nicht uner-hebliche Zweifel, die vor allem auf den folgenden Einschät-zungen beruhen.

a) Beim Klimaschutz handelt es sich um ein globales öf-fentliches Gut, bei dem sich die autonomen National-staaten in einer Gefangenen-Dilemma-Situation befin-den und sowohl beim Abschluss (»Participation«) als auchbei der Einhaltung (»Compliance«) kooperativer Verein-barungen Freifahreranreize bestehen. Dieses altbekann-te Argument weist zwar auf die aus spieltheoretischerSicht zentrale Problematik internationaler Umweltverträ-ge hin (vgl. Finus 2001), wird aber manchmal etwas zuabsolut gesetzt und damit überstrapaziert. In wiederhol-ten Spielen können durch Sanktionsmechanismen An-reize zur Absicherung des Kooperationserfolgs geschaf-fen werden, und in einer Vielzahl ökonomischer Experi-mente und Feldstudien wurde gezeigt, dass auf indivi-dueller Ebene vielfach sogar eine am Reziprozitätsge-danken orientierte intrinsische Kooperationsbereitschaftzu beobachten ist (vgl. zu dieser Argumentation bereitsBuchholz 2003). Zudem ist zahlreichen internationalenAbmachungen (im Bereich der Handels- aber auch derUmweltpolitik wie auf globaler Ebene vor allem bei derBekämpfung des Ozonlochs) ein gewisser Erfolg nichtabzusprechen. Dass somit – erfreulicherweise – einScheitern der internationalen Klimakooperation kein a priori unausweichliches Schicksal darstellt, heißt na-türlich noch lange nicht, dass ein Gelingen im konkre-ten Fall wahrscheinlich ist. Im Gegenteil: Gerade im Be-reich des Klimaschutzes ist kaum damit zu rechnen, dassdie für eine Überwindung des Sozialen Dilemmas ent-scheidenden Faktoren aktuell gegeben sind.

b) Um von den Partnern akzeptiert zu werden, muss diein einem Vertragswerk vorgesehene Aufteilung vonRechten und Pflichten als fair wahrgenommen werden.Im Bereich des Klimaschutzes existiert jedoch keinerleiEinvernehmen darüber, nach welchen Gerechtigkeits-kriterien das »Effort Sharing« vorgenommen werden soll-te. Eine Einigung wird dadurch erschwert, dass ein imHinblick auf Verteilungskriterien »fokaler Punkt« (im Sin-ne von Schelling 1960) fehlt (vgl. z.B. Lange et al. 2010).Erheblicher Dissens besteht insbesondere darüber, in-wieweit sich die Bestimmung von Lastenverteilungs-schlüsseln an Gleichheitsgesichtspunkten (d.h. im Ex-trem gleich viele Emissionsrechte für jeden Erdenbür-ger) orientieren sollte, welches Gewicht den Treibhaus-gasemissionen in der Vergangenheit beizumessen istund wie dem Anspruch auf zukünftige Entwicklungs-chancen (zur Bekämpfung von Armut und zur Minde-rung der immensen globalen Einkommensdisparitäten)Rechnung getragen werden kann.

c) Subjektive Einschätzungen, die bei den beteiligten Ak-teuren höchst unterschiedlich ausfallen, erschweren ei-ne Einigung auch in anderer Hinsicht. So führen unter-

schiedlich hohe soziale Diskontraten zu starken Abwei-chungen bei der Erfassung zukünftiger Kosten und Nut-zen von Klimaschutzmaßnahmen (vgl. Buchholz und Schu-macher 2009), und unterschiedliche Grade der Risikoa-version bewirken erhebliche Differenzen in der Beurtei-lung der Gefahren des Klimawandels. Besonders augen-fällig wird das Fehlen objektiver Bewertungskriterien im Zu-sammenhang mit den »katastrophischen Risiken« (= ex-tremer Klimawandel durch einen sehr starken Anstieg derErdtemperatur etwa um mehr als 10 Grad Celsius), de-nen in der klimapolitischen Diskussion immer mehr Auf-merksamkeit geschenkt wird (vgl. Weitzman 2009).

d) Sowohl die Folgen der Erderwärmung als auch die Kos-ten klimapolitischer Maßnahmen fallen zum großen Teilerst in einigen Jahrzehnten an. Dies schwächt den un-mittelbaren politischen Handlungsdruck und ist auch Ur-sache dafür, dass die internationalen Klimaverhandlun-gen höchst zeitaufwendige und mit hohen Transaktions-kosten verbundene Veranstaltungen sind. Dadurch wirdnicht nur das Einsetzen klimapolitischer Maßnahmen ver-zögert, sondern es ergeben sich für die beteiligten Län-der auch mehr Möglichkeiten, durch strategisches Han-deln ihre spätere Verhandlungsposition zu verbessern(vgl. zur Übersicht Harstad 2010). Als wichtige Beispie-le für entsprechende strategische Optionen werden inder Literatur vor allem die Unterinvestition in Vermei-dungstechnologien auf der einen und die Untertreibungder eigenen Präferenzen für Klimaschutz (durch strate-gische Delegation klimapolitischer Beschlüsse an Ent-scheidungsträger mit niedrigerer Umweltschutzpräfe-renz) auf der anderen Seite genannt. Eine »Selbstbin-dung« – mit der Absicht, kostspielige Klimaschutzakti-vitäten auf andere Staaten abwälzen zu können – ist auchdadurch möglich, dass man in Anpassungsmaßnahmeninvestiert und sich dadurch vom (Miss-)Erfolg von Klima-vereinbarungen unabhängiger macht (vgl. Wissenschaft-licher Beirat 2010). Aus angebotsseitiger Perspektive(vgl. Sinn 2009) haben auch solche Länder eine besse-re Verhandlungsposition, die in den Genuss der bei derNutzung fossiler Energieträger anfallenden Rohstoffren-ten kommen und dadurch ein geringeres Interesse ander Emissionsvermeidung haben. Seine reichlich vorhan-denen Kohlereserven verhelfen China somit nicht nurzu einer Kostenersparnis bei der Energieerzeugung, son-dern schaffen auch einen strategischen Vorteil, der durchden Bau zahlreicher Kohlekraftwerke noch gesteigertwird. Die Erfolgsaussichten der auf Emissionsvermei-dung abzielenden Klimapolitik werden auf diese Weisezusätzlich beeinträchtigt.

e) Anspruchsvollere Vermeidungsziele lassen sich umsoleichter durchsetzen, je niedriger die Vermeidungskostensind. Aus diesem Grund finden in der klimapolitischenDiskussion diejenigen umweltpolitischen Instrumente be-sondere Beachtung, die ein hohes Maß an Vermeidungs-kosteneffizienz versprechen, das sind Emissionsabgaben

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und Emissionszertifikate (vgl. zum detaillierten Instrumen-tenvergleich in der Klimapolitik Aldy et al. 2010). Der Ein-satz dieser Instrumente auf globaler Ebene und in idea-ler Ausgestaltung erscheint jedoch illusorisch. Bei ho-hen umweltpolitischen Zielen würde der flächendecken-de Einsatz dieser preisbasierten Instrumente extrem star-ke und, insbesondere beim Emissionshandel mit schwan-kenden Zertifikatepreisen, ex ante auch höchst unsiche-re Verteilungseffekte bewirken, die bis zu einem gewis-sen Grad neutralisiert werden müssten, um die Akzep-tanz entsprechender Mechanismen zu sichern. Zu die-sem Zweck wären aber komplexe Ausgleichs- und Ab-sicherungsmaßnahmen (etwa die viel diskutierten »SafetyValves« beim Zertifikatehandel) erforderlich, welche dieSteuerungskapazität internationaler Institutionen bis aufweiteres übersteigen dürften. Dazu treten Governance-Probleme vor allem in Entwicklungs- und Schwellenlän-dern, die eine wirksame Kontrolle der regelgerechten An-wendung dieser Instrumente erheblich beeinträchtigen.Auf welche Schwierigkeiten pretiale Instrumente in derPraxis sogar unter relativ günstigen Rahmenbedingun-gen stoßen, zeigt ganz deutlich das Emission TradingSystem in der EU, das lediglich ca. 40% der gesamtenTreibhausgasemissionen in der EU einbezieht (Europäi-sche Kommission 2009), von anderen umweltpolitischenMaßnahmen wie der Subventionierung regenerativerEnergien überlagert wird und dessen Design zudem nachnur sieben Jahren ab dem Jahr 2013 in wesentlichenPunkten modifiziert wird.

f) Einen weiteren wichtigen Bestandteil vieler klimapoliti-scher Konzepte stellt die Forderung nach umfangreicheninternationalen Transfers dar. Diese sollen zur Verbes-serung der Vermeidungskosteneffizienz beitragen, ver-gangene Ungerechtigkeiten bei der Aufteilung der CO2-Emissionen kompensieren und durch Vertrauensbildungdie gemäß Kyoto-Protokoll nicht vermeidungspflichtigenNon-Annex-B-Staaten mit ins klimapolitische Boot ho-len. Im Grundsatz sind konditionale, d.h. an die Durch-führung von Emissionsvermeidungsmaßnahmen gekop-pelte Transfers zwar geeignet, Entwicklungsländer zu ei-genen Vermeidungsmaßnahmen zu bewegen. Analogwie im Verhandlungsmodell von Coase »erkaufen« sichdabei ja die Industrieländer die Kooperationsbereitschaftder Entwicklungsländer, indem sie einen Teil der dort ent-stehenden Vermeidungskosten übernehmen. SolcheZahlungen sind aber nur von begrenztem Wert, solan-ge die Empfängerländer selber keinerlei Emissionsbe-grenzungen unterliegen und somit feste Eigentumsrech-te an dem gehandelten »Gut« Emissionsvermeidung feh-len. In diesem Fall ist sogar zu befürchten, dass Emp-fängerländer in Erwartung von Transfers den perversenAnreiz erhalten, sich Vermeidungspflichten noch mehrzu verschließen und ihre Emissionen sogar zu steigern.Die »Additionalität« der Vermeidungsmaßnahmen giltschon heute als gravierendes Problem bei dem durch

das Kyoto-Protokoll etablierten CDM-Transfermechanis-mus (vgl. zur kritischen Einschätzung des CDM Waraund Victor 2008). Durch asymmetrische Information undhochdefizitäre Governance-Strukturen ist die Überwa-chung der als Gegenleistung für die Transfers verspro-chenen Vermeidungsmaßnahmen nur eingeschränktmöglich. Dazu tritt ein »Zeitinkonsistenzproblem«, wennmit den Transfers die Erhaltung kohlestoffhaltiger Res-sourcen (tropische Regenwälder, potentiell aber auchVorkommen fossiler Energieträger) erreicht werden soll.Angesichts der nationalstaatlichen Souveränität ist kaumzu gewährleisten, dass nach Ablauf einiger Zeit eine neueRegierung im Empfängerland die Ressourcen nicht dochnutzen wird, so dass sich durch die Transfers der CO2-Ausstoß lediglich in die Zukunft verlagert. Schon dieseklar vorhersehbaren Probleme führen dazu, dass die Be-reitschaft zur Zahlung von Transfers in den Industriestaa-ten sinkt. Die Abneigung wird noch verstärkt, wenn dieBürger der Geberländer befürchten müssen, dass dieZahlungen in die Taschen korrupter Politiker fließen, Steuererhöhungen oder die Einschränkung öffentlicherLeistungen im Heimatland drohen und die Wettbewerbs-position von Konkurrenten auf den Weltmärkten gestärktwird.

Vermeidungsoptimismus

Neben der gut begründeten Skepsis über die Erfolgsaus-sichten einer global koordinierten Vermeidung von Treibhaus-gasen gibt es aber auch einige Lichtblicke, d.h. Gründe zurAnnahme, dass sich die Vermeidungsanstrengungen welt-weit intensivieren werden.

a) Durch eine intelligentere Ausgestaltung der klimapoliti-schen Institutionen lassen sich zumindest einige der zu-vor festgestellten Mängel korrigieren. So können etwa dieOrgane für die Überwachung von Transfers gestärkt unddurch transparentere Regelungen die Möglichkeiten zurKontrolle durch Politik und Öffentlichkeit verbessert wer-den. Komplexe Allokationsmechanismen wie Emissions-handelssysteme lassen sich nicht einfach am Reißbrettentwerfen, sondern benötigen zu ihrer Perfektionierungpraktische Erfahrungen durch Versuch und Irrtum. Zu-dem muss die Klimapolitik nicht dem Muster eines dieganze Welt umfassenden »Top-Down-Ansatzes« folgen.Viel realistischer ist vielmehr der »Bottom-Up-Ansatz«,bei dem sich die globale Kooperation auf der Basis de-zentraler Initiativen ergibt und es beispielsweise zum »Zu-sammenwachsen« regionaler Zertifikatemärkte kommt.Allerdings sind solche institutionellen Lern- und Entwick-lungsprozesse mit einem beträchtlichen Zeitaufwand ver-bunden, der in Konflikt mit der Forderung nach einer sehrraschen Absenkung der Treibhausgas-Emissionen steht.

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b) Unabhängig vom Nutzen, der aus der Bereitstellung desglobalen öffentlichen Gutes »Klimaschutz« resultiert, zie-hen die einzelnen Länder aus Vermeidungsmaßnahmenvielfach auch »private« Vorteile, die in erster Linie nur ih-nen selber zugute kommen (vgl. zu solchen »Ancillary Be-nefits« Pittel und Rübbelke 2005). So können Verminde-rungen von Treibhausgasemissionen durch den »egois-tischen« Wunsch motiviert sein, lokale Umweltschädeneinzudämmen, wie sie etwa durch »Black Carbon« ver-ursacht werden (vgl. The Economist 2011). Diese durchVerbrennungsvorgänge entstehenden Schmutzpartikelstellen ein erhebliches Gesundheitsrisiko (vor allem imHinblick auf Atemwegserkrankungen) dar und tragengleichzeitig in sehr starkem Maße zur Erderwärmung bei.Die Bemühungen um die Verbesserung der regionalenLuftqualität lassen sich deshalb als Vehikel für »Fast Acti-ons« (vgl. Molina et al. 2009) in der Klimapolitik nutzen.Auf einer anderen Ebene des nationalen Eigeninteres-ses liegt es, wenn Staaten etwa durch Energiesparmaß-nahmen oder durch die Förderung regenerativer Ener-gien versuchen, sich vor Verknappungen im Angebot fos-siler Rohstoffe und dem damit verbundenen Preisrisikozu schützen. Solchen Bestrebungen kann sowohl derWunsch nach Vermeidung einer zu großen Importabhän-gigkeit als auch die Antizipation der Erschöpfbarkeit derfossilen Energieträger zugrunde liegen.

c) Technische Entwicklungen entfalten typischerweise einesich selbst verstärkende Eigendynamik: Wenn sich allge-mein die Erwartung durchsetzt, dass einer bestimmtenTechnik die Zukunft gehört, werden sich die weiteren In-novationsentscheidungen an dieser Erwartung ausrich-ten. So zieht etwa der proklamierte Einstieg in die Elek-tromobilität zu stärkeren Forschungsanstrengungen beiÜbertragungs- und Speichertechnologien nach sich, waswiederum die Verbreitung elektrischer Fahrzeugantriebebegünstigt. Zudem führt der F&E-Prozess zu einem sichauch in ökologischer Hinsicht stetig verbessernden Standder Technik, hinter den – aufgrund des vielfach integra-tiven Charakters neuer Vermeidungstechnologien – einspäterer Rückfall kaum mehr möglich ist. Auch die in Chi-na in großer Zahl neu errichteten Kohlekraftwerke weisenkeine schlechteren Energieeffizienzwerte auf als hiesigeNeuanlagen. Aus dieser Perspektive dürfte die Förderungdes energie- und umwelttechnischen Fortschritts denwichtigsten Erfolg darstellen, der sich aus der klimapoli-tischen Vorreiterrolle Deutschlands und der EU ergibt.

Anpassung als Alternative?

Die positive Botschaft aus der vorangehenden Betrachtunglautet, dass die globalen Treibhausgasemissionen auf Dauerniedriger ausfallen werden als in einem hypothetischen Sze-nario, in dem das Klimaproblem überhaupt keine Rolle spielt.Auch ohne internationale Vereinbarungen über konkrete Ver-

meidungsziele werden viele Länder ihre Treibhausgasemis-sionen in gewissem Umfang freiwillig reduzieren. Die negati-ve Botschaft ist jedoch, dass – vor allem aufgrund der enor-men Schwierigkeiten bei der internationalen Kooperation –diese Ursachentherapie realistisch gesehen kaum die raschenund durchgreifenden Erfolgen verspricht, die viele Beobach-ter zur Vermeidung eines zu starken Klimawandels als not-wendig erachten. Anpassungsmaßnahmen stellen demge-genüber zwar nur eine Symptomtherapie (vgl. Pethig 2011)dar. Zumindest als eine zur Vermeidung komplementäre Vor-sichtsmaßnahme sind sie jedoch ein unentbehrlicher Bestand-teil einer jeden vorausschauenden, am Vorsorgeprinzip orien-tierten Klimapolitik. Überdies haben sie aus der Sicht der ein-zelnen Länder den Vorteil, dass sie ohne komplexe interna-tionale Abstimmungsprozesse im nationalen Alleingang durch-geführt werden können. Bei einigen dieser Anpassungsmaß-nahmen sind nicht einmal umfangreiche staatliche Eingriffeerforderlich, weil sich die privaten Wirtschaftssubjekte (etwadurch Umstellung ihres Ernährungs- und Freizeitverhaltens)von selber an die geänderten Bedingungen und insbeson-dere die damit verbundenen neuen Preisstrukturen anpassen(vgl. Wissenschaftlicher Beirat 2010).

Im Falle einer begrenzten Erhöhung der durchschnittlichenErdtemperatur wären Anpassungsmaßnahmen (Deichbauan Nord- und Ostsee, Installation zusätzlicher Klimaanla-gen gegen die Sommerhitze) in Deutschland wohl auch zuüberschaubaren Kosten möglich, die durch Vorteile an an-derer Stelle (Einsparung von Heizkosten, Belebung des Som-mertourismus) teilweise sogar ausgeglichen werden. So at-traktiv die Anpassungsoption auf den ersten Blick erschei-nen mag, so ist sie doch mit zahlreichen Problemen behaf-tet und in ihrer Reichweite beschränkt. Dafür sind die fol-genden Gründe verantwortlich.

a) Naturkatastrophen, wie sie insbesondere als Folge einerextremen Klimaentwicklung zu erwarten sind, können inihren Auswirkungen auf ein Land nur schwer prognosti-ziert werden. Damit bleibt das Ziel der Anpassung unbe-stimmt, was naturgemäß die Einleitung zielgerichteter An-passungsmaßnahmen unmöglich macht.

b) Deutschland kann sich von den Folgen des Klimawan-dels in anderen Regionen der Welt durch auf nationalerEbene vorgenommene Anpassungsmaßnahmen nur un-vollkommen abschotten. Eine Zunahme der Armut in denvon der Erderwärmung besonders stark betroffenen Re-gionen erhöht den Migrationsdruck und eventuell auchdie Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen. Zumin-dest verschlechtert ein durch den Klimawandel verringer-tes Wachstum der Weltwirtschaft auch die wirtschaftli-che Situation Deutschlands.

c) Arme Länder, die Anpassungsmaßnahmen nur schwerselber finanzieren können, werden unter den Folgen desKlimawandels in besonderem Maße leiden (vgl. z.B. Stern2007). Die asymmetrische Schadensverteilung führt zu

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Forderungen nach internationalen Ausgleichszahlungen,denen sich die reicheren Länder nicht entziehen können.So wurde auf den Klimakonferenzen in Kopenhagen2010 und in Cancun 2011 die Einrichtung eines »GreenClimate Fund« auf den Weg gebracht, zu dessen zen-tralen Aufgaben es gehört, Entwicklungsländer bei Maß-nahmen zur Anpassung an den Klimawandel zusätzlichzu unterstützen und der ab 2020 ein jährliches Volumenvon 100 Mrd. US-Dollar aufweisen soll. Mit der Einrich-tung derart großzügig ausgestatteter Transfermechanis-men einher geht die Gefahr einer finanziellen Überfor-derung der Industriestaaten, die speziell für Deutschlanddadurch noch verschärft wird, dass innerhalb der EUauch entsprechende Zahlungen zugunsten südlicher Mit-gliedsländer anfallen können. Durch den Klimawandelwird der Solidargedanke zwischen verschiedenen Län-dern zusätzlich strapaziert, was zu einem erhöhten Span-nungspotential in den internationalen Beziehungen bei-trägt. Die EU-Staaten sind gut beraten, sich nicht vor-schnell und einseitig auf hohe internationale Zahlungenzur Finanzierung von Anpassungsaktivitäten in anderenLändern festlegen zu lassen. Stattdessen müssen siedarauf achten, dass private Mittel aus den Industrielän-dern aktiviert und die prosperierenden Schwellenländermit in die Pflicht genommen werden. Auf ihr Recht zurwirtschaftlichen Konvergenz können diese sich bei derKofinanzierung von Anpassungsmaßnahmen wenigerberufen als bei der Emissionsvermeidung. Wenn auf die-se Weise die finanzielle Belastung vor allem Chinas er-höht werden kann, wächst – als positiver Nebeneffekt –auch dessen Eigeninteresse an Abkommen zur Vermei-dung von Emissionen.

d) Bei einem globalen Problem mit der Tragweite des Klima-wandels bestehen zudem gewisse Zweifel am prinzipiel-len Nutzen finanzieller Transfers. Wenn als realwirtschaft-liche Folge des Klimawandels zeitgleich in verschiedenenWeltregionen die Nahrungsmittelproduktion einbricht, sokönnen selbst noch so große Zahlungsströme keine Hun-gerkatastrophe verhindern. Zur Vorbeugung solcher Groß-risiken können Innovationen im Bereich der Ernährungs-mitteltechnologie dienen, wie etwa die Entwicklung gen-technisch veränderter Pflanzen, die auch unter widrigenklimatischen Bedingungen gedeihen. Solche Anpassungs-strategien beinhalten zweifellos nicht unbeträchtliche Ri-siken eigener Art, die gegenüber denen des Klimawandelsabzuwägen sind. Gleiches gilt für die gezielte Klimabeein-flussung durch Geo-Engineering, die zumindest als Rück-falloption im Falle eines außerordentlich starken Tempera-turanstiegs verstärkte Aufmerksamkeit verdient.

Schluss

Es ist natürlich kein allzu überraschendes Ergebnis, dass we-der bei der Vermeidungs- noch bei der Anpassungsstrategie

perfekte und schnelle Lösungen zu erwarten sind. Jede Formder Klimapolitik ist realistisch betrachtet nur als das geduldi-ge Bohren dicker Bretter vorstellbar. Man mag dies angesichtsder von vielen Akteuren wahrgenommenen Dringlichkeit desProblems zwar beklagen, ändern lässt sich daran aufgrunddes enormen Veränderungsbedarfs und der Schwerfälligkeitder Entscheidungsprozesse auf nationaler und vor allem in-ternationaler Ebene nur wenig. Jedes Land wird, gemäß sei-ner Möglichkeiten, schon von sich aus eine Mischung aus Ver-meidung (zumindest gemessen an den maximal möglichenEmissionssteigerungen) und Anpassung wählen. Internatio-nale Kooperation wird bis zu einem gewissen Grade alleinschon deshalb stattfinden, weil kein Land in eine Außensei-ter- und Verweigerungsrolle gerückt werden möchte. Der Wertder Kommunikation zwischen den nationalen Entscheidungs-trägern (»Cheap Talk«) und der Herstellung von Transparenzin Bezug auf die klimapolitischen Intentionen der einzelnenStaaten darf dabei ebenso wenig unterschätzt werden wiedas Ausmaß des internationalen Kooperationsbedarfs, dersich auch bei Anpassungsmaßnahmen (und eben nicht nurbei der Emissionsvermeidung) ergibt. Genauso wie in derEuropäischen Währungsunion wird es in der zukünftigen Kli-mapolitik auch ganz entscheidend darum gehen (vgl. etwaKarp und Zhao 2010), ein ausgewogenes Verhältnis zwischenfesten Verpflichtungen auf der einen und der aufgrund der gro-ßen Unsicherheiten (vgl. in Bezug auf den Nutzen und die Kos-ten des Klimawandels etwa Tol 2009) unverzichtbaren Flexi-bilität auf der anderen Seite zu finden. Auf Regelwerke alleinsollte man dabei nicht bauen.

Literatur

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Zur Diskussion gestellt

Pethig, R. (2011), »Emissionsvermeidung oder Anpassung an den Klimawan-del: Klimapolitischer Handlungsbedarf strategisches Handeln«, ifo Schnell-dienst 64(5), 20–23.Pittel, K. und D. Rübbelke (2005), »Internationale Klimaschutzverhandlun-gen und sekundäre Nutzen der Klimapolitik«, Perspektiven der Wirtschafts-politik 6, 369–383.Schelling, T.C. (1960), The Strategy of Conflict, Harvard University Press,Cambridge.Sinn, H.-W. (2009), Das Grüne Paradoxon – Plädoyer für eine illusionsfreieKlimapolitik, Econ Verlag, Berlin.Stern, N. (2007), The Economics of Climate Change: The Stern Review, Cambridge University Press, Cambridge et al.The Economist (2011), Climate Change in Black and White, Vol. 398, No. 8721, 19. Feb., 73–75.Tol, R.S.J. (2009), »The Economic Effects of Climate Change«, Journal ofEconomic Perspectives 23, 29–51.Wara, M.W. und D.G. Victor (2008), »A Realistic Policy on International Carbon Offsets«, PESD Working Paper No. 74, Stanford University.Weitzman, M. (2009), »On Modeling and Interpreting the Economics of Catastrophic Climate Change«, Review of Economics and Statistics 91, 1–19.Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (2010),Klimapolitik zwischen Emissionsvermeidung und Anpassung, Gutachten,Berlin.

Vermeidung vor Anpassung – große Möglichkeiten im Stromsektor1

Angesichts der großen Schwierigkeiten, international ver-bindliche Übereinkommen zu erreichen, die eine substan-tielle Verminderung der Treibhausgasemissionen vorschrei-ben, wird immer wieder einmal gefordert, das Augenmerkverstärkt auf Adaptionsstrategien statt Emissionsvermeidungzu legen. Vor einer solchen Entweder-oder-Entscheidung istzu warnen. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregie-rung Globale Umweltveränderungen (vgl. WBGU 2007) hatgezeigt, dass der Klimawandel ohne entscheidendes Ge-gensteuern die Anpassungsfähigkeiten vieler Gesellschaf-ten sehr bald überfordern wird. Vielen Wirkungen eines ver-änderten Klimas auf Natur und Gesellschaften wie Extrem-wetterevents, dem Verlust genetischer Vielfalt, Arten undÖkosystemen, der Versauerung der Ozeane, einer Verknap-pung der weltweiten Wasserversorgung und Nahrungsmit-telproduktion oder verstärkten Gesundheitsrisiken kanndurch Anpassungsmaßnahmen entweder gar nicht oder nurmit sehr hohen Kosten entgegengetreten werden. Darüberhinaus wird der Klimawandel auch zu einer sicherheitspoli-tischen Herausforderung, weil er vielfältige Verteilungskon-flikte in und zwischen Ländern um Wasser, Land und die Be-wältigung von Flüchtlingsbewegungen auslösen wird (vgl.WBGU 2007). Aus diesen Gründen muss das Ziel sein, ei-ne Doppelstrategie zu fahren, wobei Vermeidungsmaßnah-men präventiv die größten Gefahren verhindern. Der WBGUhat diesbezüglich bereits 1995 empfohlen, die globale Er-wärmung auf eine Temperaturerhöhung von höchstens2 Grad Celcius zu begrenzen (vgl. WBGU 2009). Gleichzei-tig werden rechtzeitige Anpassungsmaßnahmen unverzicht-bar, die die globale Anfälligkeit einer Erwärmung reduzie-ren. Diese Doppelstrategie Vermeidung/Anpassung ist auch

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Christian Hey* Karin Holm-Müller** Michael Weber***

* DirProf. Dr. Christian Hey ist Generalsekretär des Sachverständigenratsfür Umweltfragen (SRU).

** Prof. Dr. Karin Holm-Müller, Universität Bonn, ist Mitglied des SRU.*** Michael Weber ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim SRU.1 Die Aussagen zu den Möglichkeiten in Deutschland basieren auf dem

SRU-Gutachten Wege zur 100% erneuerbaren Stromversorgung, an demdie Autoren mitgearbeitet haben. Darüber hinausgehende Ausführun-gen stellen allein die Sicht der Autoren dar.

Zur Diskussion gestellt

aus dem Vorsorgeprinzip der Klimarahmenkonvention (Art. 3Abs. 3 UNFCCC, 1992) zu erschließen, zu der sich Deutsch-land völkerrechtlich verpflichtet hat.

Im Rahmen dieser Betrachtungsperspektive ist auch voreiner fatalistischen Logik zu warnen, die aufgrund von Be-fürchtungen eines Carbon Leakage ambitionierte nationaleKlimaschutzanstrengungen kritisiert. Es wird bemängelt,dass nationale Emissionsreduktion lediglich zur regionalenUmverteilung von Treibhausgasemissionen, nicht aber zuderen effektiven Vermeidung führe. Der Sachverständigen-rat für Umweltfragen (SRU) hat sich wiederholt gegen einesolche Ansicht ausgesprochen (SRU 2002, 2005, 2008).Regionale Vorreiterrollen, sektorale Technologiekooperati-on, Dynamisierung vorhandener nationaler Selbstverpflich-tungen oder sogar lokale Maßnahmen können selbst in Ab-wesenheit eines starken globalen Klimaschutzregimes ineinem aufgeklärten Eigeninteresse sein. Wie auch die Wirt-schaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom (2009) argumen-tiert, gehen Klimaschutzmaßnahmen oft auch mit anderenNutzeffekten einher: weniger Energieverbrauch, geringereImportabhängigkeit, Kostenersparnis, lokale Luftreinhaltung,Erhalt wertvoller Natur, wirtschaftlicher Modernisierung, tech-nische Weltmarktführerschaft, und Arbeitsplatzeffekte.

Die Ausarbeitungen des SRU im Rahmen seines Gutach-tens Wege zur 100% erneuerbaren Stromversorgung soll-ten in diesem Sinne als Beispiel dienen, dass Klimaschutzund Nachhaltigkeit bezahlbar und langfristig ökonomischvorteilhaft sind. Mit vergleichsweise niedrigen Erzeugungs-kosten kann 2050 eine vollständig regenerative Stromver-sorgung betrieben werden, die ein ganzesBündel an Nutzen mit sich bringt. Entschei-dend dafür ist, dass die Weichenstellungenrechtzeitig und richtig gestellt werden.

Diese Aussage stützt sich auf das Modell Remix des Instituts für Technische Thermo-dynamik des Deutschen Zentrums für Luft-und Raumfahrt in Stuttgart (DLR), das in ei-nem ersten Schritt die Potenziale erneuer-barer Energieträger analysiert und anschlie-ßend auf dieser Grundlage einen für die vor-gegebenen Rahmenbedingungen kostenop-timierten Mix von Energieträgern berechnet.Dabei wird in allen Szenarien als Randbedin-gung vorgegeben, dass der gesamte Stromin allen im Verbund beteiligten Ländern rege-nerativ erzeugt wird. In das Modell gehen An-nahmen über Preis- und Kostenentwicklun-gen für konventionelle Energieträger undTechnologien zur Nutzung regenerativerEnergiequellen ein. Natürlich bestehen beider Einschätzung zukünftiger Kosten- undTechnologieentwicklungen über einen Zeit-raum von 40 Jahren nicht unerhebliche Un-

sicherheiten, weshalb die Ergebnisse auch nicht als Prog-nosen angesehen werden sollten.

Die in der SRU-Studie unterstellten Kostensenkungspoten-ziale liegen in der Spannweite der bisher in der wissenschaft-lichen Literatur veröffentlichten und von Neij (2008) zusam-mengetragenen Abschätzungen (vgl. Tab. 1).

Aufbauend auf diese Kostenschätzungen wurde für das Jahr2050 in acht verschiedenen Szenarien ein möglichst kos-tengünstiges Portfolio aus erneuerbaren Energien berech-net. Die Szenarien variierten hinsichtlich des Stromver-brauchs, der grenzüberschreitenden Vernetzung und der er-laubten Menge importierten Stroms.

Die inflationsbereinigten Stromgestehungskosten einer re-generativen Vollversorgung im Jahr 2050 einschließlich derKosten für den internationalen Netzausbau und Speicherkönnen dabei unter 7 ct/kWh liegen (vgl. Abb. 1). Die Kos-ten sind umso niedriger, je erfolgreicher eine anspruchsvol-

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Tab. 1 Angenommene Lernraten im Vergleich zur Literatur

Lernrate SRU

in %

Lernraten NEIJ

2008 in %

Wind onshore 11,5 18–22

Wind offshore 18,6 18–22

Photovoltaik 25,9 15–25

Biomasse 2,2 0–10 (Technik)

Quelle: SRU (2010), unter Einbezug von Neij (2008).

9.0

7.06.5

6.9

11.5

9.8

7.28.0

0

2

4

6

8

10

12

1.a:DE 100%

SV

2.1.a:DE-DK-NO100% SV

2.2.a:DE-DK-NO

85% SV

3.a:DE-EUNA85% SV

1.a:DE 100%

SV

2.1.a:DE-DK-NO100% SV

2.2.a:DE-DK-NO

85% SV

3.a:DE-EUNA85% SV

Stromgestehungskosten in Deutschland, Prognose für 2050pro kWh

cent/kWH

angenommener Stromverbrauch 500, in TWh/a angenommener Stromverbrauch 700, in TWh/a

Abb. 1

Anmerkungen: DE = Deutschland, DK = Dänemark, NO = Norwegen, EUNA = Europa undRegion Nordafrika (Anteile der Landflächen Algeriens, Marokkos, Tunesiens, Libyens, Ägyp-tens). – Die Länder beschreiben die Art des Stromverbundes. – SV = Selbstversorgung.

Das teure Szenario 1 ist ein Szenario reiner Selbstversorgung. In den anderen Szenarien 2und 3 wird bei 100% SV ein Stromaustausch von 15% mit den anderen Verbundsländern er-laubt. Bei den Szenarien mit 85% SV wird zudem ein Import von bis zu 15% ermöglicht.

Quelle: SRU und SG (2011, 1, Abb. 0–2).

Zur Diskussion gestellt

le Energiespar- und Effizienzpolitik ist, je mehr die Nutzungkostengünstiger Speichertechnologien, insbesondere vonPumpspeicherkraftwerken in Skandinavien oder im Alpen-raum, gelingt, und je besser Deutschland mit anderen eu-ropäischen Ländern vernetzt ist. Für den Netzausbau in-nerhalb Deutschlands muss nach einer überschlägigenRechnung mit zusätzlichen Kosten in der Größenordnungvon 1 bis 2 ct/kWh gerechnet werden.

Den angenommenen Kostenentwicklungen der regenerati-ven Stromerzeugung stehen die Kosten derkonventionellen Stromerzeugung gegenüber.Sie werden maßgeblich von der Entwicklungder Brennstoffpreise und der Kosten für Ver-schmutzungsrechte (CO2-Zertifikatspreise)bestimmt. Besonders die Schätzung zukünf-tiger Brennstoffpreise für die verschiedenenfossilen Energieträger unterliegt über einenZeitraum von 40 Jahren großen Unsicherhei-ten. Die zukünftige Entwicklung der Preisefür CO2-Emissionsrechte kann ebenfalls nurmit Unsicherheiten abgeschätzt werden undist sehr stark von den Zielen der zukünftigenKlimapolitik abhängig. Für die Berechnungenim Rahmen des SRU-Gutachtens wurden dieim Leitszenario A der Leitstudie des BMU (vgl.Nitsch 2008) unterstellten Preisentwicklungenfür fossile Brennstoffe (frei Kraftwerk) undEmissionsrechte verwendet (vgl. Tab. 2).

Aufbauend auf den oben angenommenen Annahmen zurEntwicklung der spezifischen Stromerzeugungskosten undeines kontinuierlichen Umbaus des Energiesystems zeigtAbbildung 2 für unterschiedliche Szenarien des SRU die Ver-änderung der durchschnittlichen Stromgestehungskostengegenüber konventioneller Erzeugung über die Zeit.

Während der kommenden zwei Jahrzehnte werden für dieSystemumstellung 2 bis 3,5 ct/kWh höhere Elektrizitätskos-ten getragen werden müssen. Dem steht gegenüber, dass

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Tab. 2 Angenommene Preisentwicklung für fossile Brennstoffe und CO2-Emissionsrechte entsprechend dem Preispfad A (deutlicher Preisanstieg) der Leitstudie

Brennstoffpreise frei Kraftwerke; reale Preise, (Preisbasis 2005) – mit CO2-Aufschlag

2000 2005 2006 2007 2010 2015 2020 2025 2030 2040 2050

Preispfad A (deutlich)

CO2-Aufschlag; EUR/t 24,0 32,0 38,0 45,0 50,0 60,0 70,0

Erdgas

ct/kWh th 1,30 1,80 2,32 2,17 3,49 4,14 4,82 5,49 6,16 7,35 8,27

EUR/GJ 3,61 5,00 6,45 6,03 9,70 11,51 13,40 15,26 17,12 20,43 22,99

Anteil CO2-Aufschl. (%) 15,9 18,6 19,6 19,9 19,6 19,7 20,7

Steinkohle

EUR/t 49,5 66,1 65,1 77,1 183,8 225,1 265,9 304,6 341,3 416,4 481,8

ct/kWh th 0,61 0,81 0,80 0,95 2,26 2,76 3,26 3,74 4,19 5,11 5,91

EUR/GJ 1,69 2,26 2,22 2,63 6,27 7,68 9,07 10,39 11,64 14,21 16,44

Anteil CO2-Aufschl. (%) 54,3 62,2 65,5 66,3 65,4 63,6 64,4

Braunkohle

ct/kWh th 0,37 0,38 0,38 0,40 1,36 1,71 2,01 2,27 2,49 2,94 3,40

EUR/GJ 1,02 1,06 1,06 1,11 3,78 4,75 5,59 6,31 6,92 8,17 9,45

Anteil CO2-Aufschl. (%) 240 298 347 383 408 444 476

Quelle: Nitsch (2008, 108).

- 8

- 6

- 4

- 2

0

2

4

6

2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050Änderung der durchschnittlichen Stromgestehungskosten (Szenario 2.1.a, Kosten A)Änderung bei europäischer Kooperation und 15% Import (Szenario 3.a, A)Änderung der durchschnittlichen Stromgestehungskosten (Szenario 2.1.a, Kosten B)Änderung bei europäischer Kooperation (Szenario 3.a, Kosten B)

Veränderung der durchschnittlichen Stromgestehungskosten gegenüber konventioneller Erzeugung

€ cent/kWH

Quelle: SRU (2010), basierend auf Leitszenario A aus Nitsch (2008); DLR (2010).

Szenarien einschließlich Speichern, nationalem und internationalem Netzausbau

Abb. 2

Zur Diskussion gestellt

bis zum Jahr 2050 die Elektrizitätskosten gegenüber kon-ventioneller Erzeugung voraussichtlich 1 bis 8 ct/kWh güns-tiger werden. Der Umstieg auf erneuerbare Energien ist hier-mit auch ohne Berücksichtigung der Schäden durch denTreibhauseffekt für Deutschland ökonomisch vorteilhaft.

Ein Nachteil für die deutsche Industrie im Vergleich zu in-ternationalen Wettbewerben ist bei der jetzigen Ausgestal-tung des EEG selbst im Übergang zu einer 100% regene-rativen Stromversorgung nicht zu erwarten. Bisher werdendie Kosten des EEGs vorwiegend auf die Haushalte ab-gewälzt. Die energieintensive Industrie könnte zusätzlichsogar aufgrund der Ausgestaltung des Day Ahead Spot-marktes der European Power Exchange (EPX Spot) von ei-nem wachsenden Angebot regenerativ erzeugten Stromsprofitieren. Bei einem nach Grenzkosten der Erzeugungaufgebauten Stromangebot führt die Einspeisung größe-rer Mengen regenerativen Stroms aus Anlagen mit varia-blen Kosten nahe null (Wind und Sonne) zu einer Sen-kung des Börsenstrompreises (der sogenannte Merit Or-der Effekt). Bei stetig wachsenden Anteilen vor allem vonWindenergie wird es mit der Zeit immer häufiger zu zeit-weise sehr niedrigen Strompreisen kommen. Energieinten-sive Unternehmen, die Strom direkt am Großhandelsmarkteinkaufen, können sich durch innovative und intelligenteGeschäftspraktiken somit sogar einen Vorteil verschaffen.Dies schafft einen Anreiz für die Nutzung von Speichern,die zwar verhindern, dass der Strompreis auf Werte nahenull fällt, aber gleichzeitig die Kosten einer Stromversor-gung durch erneuerbare Energien senken.

Um den Übergang zu einer kohlenstofffreien und nachhal-tigen Elektrizitätsversorgung zu gewährleisten, sind flan-kierende politische Maßnahmen wichtig. Dabei wird derEmissionshandel allein, selbst wenn er in seiner Ausge-staltung optimiert wird, nicht zur langfristigen Minimierungder gesellschaftlichen Kosten führen können (vgl. Holm-Müller und Weber 2010). Seine Anreize reichen nicht ausfür eine Umstellung auf neue Technologien. Neben dernotwendigen Langfristigkeit der Entwicklungen, die nurunzureichend in den Preisen widergespiegelt werden,muss es neuen Technologien erst ermöglicht werden,durch Lernkosteneffekte und Economies of Scale ihreanfänglich sehr hohen Kosten zu reduzieren. Dafür sindzusätzliche Anreize erforderlich, die der SRU in seinemSondergutachten benennt, die aber hier nicht näher be-trachtet werden können.

Der vom SRU für Deutschland dargestellte Weg in eine voll-ständig auf erneuerbaren Energien aufbauende Stromver-sorgung ist auch für andere Länder gangbar. In China undIndien sowie vielen anderen Ländern sind die Möglichkei-ten, Wind und Sonne zu nutzen, tendenziell eher besser alsin Deutschland. Dies gilt auch zumindest für den Süden derUSA. Eine Studie des WWF (2011) untersucht die Möglich-

keiten einer weltweiten Umstellung der Energieversorgungauf erneuerbare Energien und kommt zu dem Schluss, dassdies mit heute existierenden Techniken nahezu möglich ist,ohne dass selbst im Übergang die Kosten über 2% des welt-weiten Bruttoinlandproduktes liegen. Bereits im Jahr 2050geht der WWF davon aus, dass die Nutzen die Kosten über-kompensieren.

Mittelfristig erhöhen sich die Vermeidungsmöglichkeiten vonCO2 zudem, wenn es durch den Umstieg auf erneuerbareEnergien gelingt, bei einer weitgehenden Elektrifizierung desVerkehrs auch hier die Emissionen erheblich zu reduzieren.Das SRU-Gutachten hat diesbezüglich gezeigt, dass selbsteine hohe Nachfrage von 700 TWh/a zu akzeptablen Kos-ten bedient werden kann.

Deutschland war mit dem EEG einer der Vorreiter auf demWege zu einer ambitionierten Nutzung erneuerbaren Ener-gien. Die daraus resultierende Nachfrage nach Technolo-gie zur Nutzung erneuerbarer Energien, die viele Jahre langzu einem erheblichen Teil durch Deutschland bestimmt wur-de, hat eine starke Kostendegression ermöglicht. Dieseführt jetzt dazu, dass der vermehrte Einsatz erneuerbarerEnergien und damit eine Dekarbonisierung der Stromver-sorgung auch für Länder eine Option darstellen, die für ei-ne Teilnahme an internationalen Kooperationen zur Ver-ringerung von Klimagasen über das eigene Interesse hi-naus nur schwer gewonnen werden können. Dies unter-streicht die Bedeutung einer ambitionierten nationalen Ver-meidungsstrategie.

Literatur

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Zur Diskussion gestellt

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Emissionsvermeidung oder Anpassungan den Klimawandel: Klimapolitischer Handlungsbedarf und strategisches Handeln

Nach dem Kenntnisstand der internationalen Klimaforschungwird der gegenwärtige Klimawandel weitgehend durch denAnstieg der Konzentration anthropogener Treibhausgase inder Atmosphäre verursacht (vgl. IPCC AR4 2007). Die glo-bale Erwärmung verursacht Schäden bzw. Kosten1, die ih-rerseits große länderspezifische Unterschiede aufweisen,und sie beschleunigt sich stärker als noch vor einigen Jah-ren angenommen. Ohne stringente weltweite Klimapolitikwürde sich die globale Erwärmung fortsetzen und progres-siv steigende Kosten verursachen.

Diese Kosten sind jedoch davon abhängig, wie sich Menschund Natur an den Klimawandel anpassen. Unter Anpassungverstehen wir hier solche Reaktionen natürlicher und ge-sellschaftlicher Systeme auf aktuelle oder erwartete Klimas-timuli und ihre Wirkungen, die Schaden mindern oder ent-standene Vorteile wahrnehmen (vgl. IPCC AR4 2007). So-weit durch Klimawandel Einkommen, Preise und Umwelt-bedingungen geändert werden, passen Konsumenten undUnternehmer ihre Wirtschaftspläne bestmöglich daran an,unabhängig von staatlicher Klimapolitik. Wenn sich die Aus-wirkungen solcher autonomen Anpassung auf den Akteurbeschränken, der die Anpassungsmaßnahme durchführt,ist die Anpassung ein sogenanntes privates Gut und dasAusmaß der Anpassung ist (tendenziell) sowohl privatwirt-schaftlich als volkswirtschaftlich optimal. Hier liegt kein an-passungspolitischer Handlungsbedarf vor. Hat dagegen ei-ne Anpassungsmaßnahme Auswirkungen auf einen größe-ren Kreis von Akteuren in einer Region, hat sie den Charak-ter eines regionalen öffentlichen Gutes. Ein Standardbeispielist die Errichtung bzw. Erhöhung eines Deiches, von demalle Bewohner des überschwemmungsgefährdeten Hinter-

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Rüdiger Pethig*

* Prof. Dr. em. Rüdiger Pethig lehrte an der Universität Siegen.1 Die Prognosen des Klimawandels und seiner Auswirkungen sind unsi-

cher, so dass die erwarteten Kosten und deren Varianz (Risiko) sowie dieRisikoaversion bzw. -freude der Akteure zu berücksichtigen sind.

Zur Diskussion gestellt

lands profitieren. In der Theorie freiwilliger Beiträge zu einemsolchen Gut betrachten Ökonomen ein nicht-kooperativesSpiel aller potenziellen Nutznießer und zeigen, dass im Nash-Gleichgewicht suboptimal wenig von diesem Gut bereitge-stellt wird. Demnach besteht in diesem Fall anpassungspo-litischer Handlungsbedarf.

Wie dieser Handlungsbedarf in Politik umgesetzt wird, hängtallerdings davon ab, ob die Anpassungsmaßnahme Länder-grenzen überschreitende Wirkungen hat. Wenn nicht, wirdder Bau des Deichs im nationalen Rahmen durch die zu-ständigen nationalen Institutionen beschlossen, durchZwangsabgaben finanziert und ist dann im günstigen Fall ef-fizient dimensioniert. Wohnen potenzielle Nutznießer des re-gionalen öffentlichen Guts dagegen in einem Gebiet, daszu zwei oder mehr angrenzenden Ländern gehört, ist im Fal-le nicht-kooperativen Nash-Verhaltens der beteiligten Staa-ten mit einer »Unteranpassung« zu rechnen. Die effizienteAnpassung erfordert eine länderübergreifende Kooperation.Ein Beispiel ist ein nach Starkregen über die Ufer getrete-ner Fluss, wenn das Ausmaß der Überschwemmungen undSchäden im Land am Unterlauf davon abhängt, ob im an-deren Land am Oberlauf Flussauen zur Flutung bereitge-halten werden. Hier lassen sich durch Kooperation wech-selseitige Wohlfahrtsgewinne erzielen. Ein anderes düste-reres Beispiel sind Länder, in denen Wüstenbildung oderLandverlust durch steigenden Meeresspiegel zunimmt. Mi-gration ins Ausland könnte dann eine oder gar die einzigeAnpassungsmöglichkeit sein, die aber eine Kooperations-bereitschaft des Auslands erfordert.

Als Fazit zur Frage nach dem Handlungsbedarf staatlicherAnpassungspolitik bei gegebenem Klimawandel halten wirfest, dass ein solcher vorliegt, wenn Anpassungsmaßnah-men, die die Nettoklimawandelkosten verringern, viele Men-schen in einer Region betreffen. Liegt diese Region vollstän-dig in einem Land, kann die Politik die Ineffizienz vermei-den, die mit der Finanzierung von Anpassung mit freiwilli-gen Beiträgen verbunden ist. Handelt es sich um eine Re-gion, die nicht innerhalb eines Landes liegt, ist eine effizien-te Anpassung ohne länderübergreifende Kooperation im Kli-maschutz nicht erreichbar.

Wir wenden uns nun der zweiten Säule der Klimapolitik zu,der »Bekämpfung« des Klimawandels. Aus der eingangs ge-nannten Diagnose, dass die Konzentration der Treibhaus-gase in der Atmosphäre die Ursache des Klimawandels ist,folgt unmittelbar, dass zur Verringerung der Zunahme derglobalen Erwärmung die Verringerung von Treibhausgas-emissionen (im Folgenden kurz: Vermeidung) erforderlich ist.Die Vermeidung ist ein sogenanntes globales öffentlichesGut, weil jede Emissionsminderung, an welchem Ort derWelt sie auch vorgenommen wird, die globale Erwärmungbzw. deren Zunahme verringert. Da alle gesellschaftlichenund natürlichen Systeme weltweit dem Klimawandel ausge-

setzt sind, wirkt jede Vermeidung auf alle diese Systeme.Vergleicht man den Klimawandel metaphorisch mit einerKrankheit, dann entspricht die Vermeidung, wo auch im-mer auf der Welt sie vorgenommen wird, einer Kausalther-apie für diese Krankheit, die – was im medizinischen Bereichnicht möglich ist – allen Kranken der Welt gleichzeitig hilft.Dagegen lindert eine Anpassungsaktivität nur die Krankheits-symptome einzelner oder mehrerer Kranker dort, wo die An-passungsaktivität stattfindet, ohne Krankheit und Leid allerübrigen Kranken auf der Welt zu beeinflussen.

Der vermeidungspolitische staatliche Handlungsbedarf istin der umweltökonomischen Literatur umfassend darge-legt worden und braucht deshalb hier nur kurz beschrie-ben zu werden. Wenn es in der Ausgangslage keine inter-nationale Vermeidungspolitik gibt, folgt aus der Eigenschaftder Vermeidung, ein globales öffentliches Gut zu sein, im Einperiodenmodell eine aus Weltsicht suboptimal nied-rige Vermeidung bzw. eine übermäßig hohe globale Erwär-mung. Formal ergibt sich die Vermeidung dann als Nash-Gleichgewicht nationaler Vermeidungsbeiträge in einemnicht-kooperativen Spiel aller Länder der Welt, in dem es für jedes einzelne Land rational ist, so viel zu vermei-den, bis seine Grenzvermeidungskosten gleich dem hei-mischen Grenznutzen der Vermeidung sind und dabei zuignorieren, dass die eigene Vermeidung auch einen Net-tovorteil bei den übrigen Ländern auslöst. Dieses Business-as-usual (= BAU)-Szenario geht im Allgemeinen mit einerstaatlichen Anpassungs- und Vermeidungspolitik in jedemLand einher, die neben der privaten autonomen Anpas-sung bei gegebenen Emissionen der übrigen Länder imnationalen Interesse liegt. Dabei ist im BAU die globaleErwärmung aus Weltsicht suboptimal hoch.

Diese Folgerung ist nicht zwingend, wenn man nicht dasEinperiodenmodell, sondern den gesamten Zeitpfad desBAUs mit Klimawandel inklusive Vermeidungs- und Anpas-sungspolitiken aller Länder in den Blick nimmt und den BAU-Zeitpfad mit dem Zeitpfad des sozialen Planers vergleicht,der den Barwert der Weltwohlfahrt maximiert. Das verlangtden Vergleich der Barwerte intertemporaler Nutzen- undKostenströme, und diese hängen sowohl von der Verteilungder Periodennutzen und -kosten über die Zeit ab, als auchvon der zugrunde gelegten Diskontrate. Charakteristisch fürdas Problem der globalen Erwärmung ist, dass die negati-ven Wirkungen von Treibhausgasemissionen und somit auchdie positiven Wirkungen von Vermeidung erst mit großer zeit-licher Verzögerung auftreten. Je größer aber diese Verzö-gerung ist und je größer die Diskontrate, desto geringer istder Barwert der Nettovorteile internationaler Kooperation inder Klimapolitik. Die kontroverse Diskussion um den Stern-Bericht (Stern et al. 2006) hat noch einmal unterstrichen,dass die Antwort auf die Frage nach der Notwendigkeit in-ternationaler kooperativer Vermeidung unter anderem vonnormativen Urteilen über die Diskontrate abhängt. Dennoch

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Zur Diskussion gestellt

gibt es in angewandten Studien mehrheitlich einen Konsensdarüber, dass durch Kooperation Nettowohlfahrtsgewinneüber BAU hinaus erzielbar sind, und dem folgend konsta-tieren wir einen vermeidungspolitischen Handlungsbedarf,dessen Ausmaß allerdings aus den genannten Gründen kon-trovers ist.2 Da es keine supranationale Institution gibt, wel-che die weltwirtschaftlich optimale Vermeidung durchsetzenkann, bleibt nur die internationale Kooperation auf freiwilli-ger Basis, also die Hoffnung auf einen Erfolg der laufendenKlimaverhandlungen.

Unsere Feststellung staatlichen Handlungsbedarfs sowohlbei Anpassung als auch bei Vermeidung führt zu der Fragenach der optimalen Kombination staatlicher Anpassungs-und Vermeidungsmaßnahmen, also nach dem optimalenPolitik-Mix. Formal betrachtet, ist eine Klimapolitik wohl-fahrtsmaximal, wenn sie Maßnahmen zur Vermeidung undAnpassung so einsetzt, dass die Ausweitung jeder dieserMaßnahmen um eine Einheit den gleichen zusätzlichen Nut-zen stiftet. Allerdings sind die Implikationen dieser Regel imBAU und bei Kooperation3 sehr verschieden.

Ein Vergleich beider Szenarien zeigt, dass im BAU mehrAnpassung, aber weniger Vermeidung stattfindet als bei Ko-operation, und zwar aus zwei Gründen. Einerseits ist im BAUmehr private und staatliche Anpassung effizient, weil überden gesamten Zeitpfad hinweg die globale Erwärmung imBAU größer als bei Kooperation ist. Zum anderen wählt dieRegierung jedes Landes im BAU ihre Anpassungs- und Ver-meidungsmaßnahmen so, dass die Minderung des Grenz-schadens im eigenen Land durch heimische Anpassunggleich der Minderung des Grenzschadens im eigenen Landdurch heimische Vermeidung ist. Im kooperativen Szenariomuss dagegen die heimische Grenzschadensminderungdurch heimische Anpassung gleich sein der Summe derGrenzschadensminderungen in allen Ländern, die durch dieheimische Vermeidung bewirkt werden. Das impliziert beiKooperation eine Verlagerung von Anpassungsmaßnahmenhin zur Emissionsminderung. Mit anderen Worten, im Ver-gleich zum Weltwohlfahrtsoptimum sind die Anpassungs-maßnahmen aller Länder im BAU-Szenario exzessiv.

Dieses Ergebnis weist darauf hin, dass alle Länder bezüg-lich des Designs ihrer nationaler Klimapolitiken in einem Di-lemma stecken, weil bisher zwar keine im Weltmaßstab nen-nenswerte internationale Kooperation in der Klimapolitik zuverzeichnen ist, aber gleichwohl Verhandlungen mit diesemZiel laufen und fortgeführt werden. Ein Land mit voraus-schauender Politik muss daher bei seiner Anpassungs- undVermeidungsstrategie berücksichtigen, welche Erwartun-gen es über die Erfolgsaussichten der Verhandlungen hat

und wie seine Strategie die eigene Verhandlungsposition be-einflusst. Der BMF-Beirat (BMF 2010) empfiehlt, ein Landsolle in dieser Situation seine Anstrengungen in der Anpas-sung verstärken und in der Vermeidung verringern, weil esdadurch nicht nur im Falle des Scheiterns, sondern auchbeim Erfolg globaler Verhandlungen Vorteile erzielen, ja so-gar die Erfolgsaussichten der Kooperation erhöhen könne.Ich habe Zweifel, ob diese Empfehlung der theoretischenund empirischen Komplexität klimapolitischer Strategien mitund ohne Blick auf die Erfolgsbedingungen von Kooperati-on gerecht wird. Da ich diese wichtige Problematik im Rah-men dieses Beitrags nicht angemessen behandeln kann,müssen die folgenden kurzen Hinweise genügen.

Angenommen, alle Länder würden im Vorfeld von Verhand-lungen ihre Anpassung auf- und ihre Vermeidung abrüs-ten. Nach der These des BMF-Beirats wäre das in jedemFall in ihrem eigenen Interesse und müsste auch die Erfolgs-aussichten der Kooperation allseitig erhöhen. Mir scheintallerdings die Hypothese plausibler zu sein, dass jedes Landeine solche Strategie der anderen als Signal für mangeln-de Kooperationsbereitschaft deuten würde und deshalbauch die eigene Kooperationsbereitschaft verringert. Au-ßerdem ist keineswegs klar, ob ein Land, das einseitige Ver-meidungsvorleistungen erbringt, gegen das eigene Interes-se handelt. Denn in diametralem Gegensatz zur Auffassungdes BMF-Beirats ist z.B. nach Jaeger et al. (2011) eine Er-höhung des Vermeidungsziels von 20% auf 30% für dieEU vorteilhaft, und zwar unabhängig von einem post-2012Klimaabkommen(!). Aber selbst wenn der Vorreiter Zusatz-kosten hätte, käme es für die Beurteilung seiner Strategiedarauf an, wie stark ein Kooperationserfolg von einem glaub-würdigen Vorreiter abhängt, wie es z.B. das Tit-for-tat-Prin-zip nahe legt. Sollte ein Vorreiter gar eine notwendige Be-dingung für erfolgreiche Kooperation sein, was kontroverseingeschätzt wird, dann wäre es nicht sinnvoll zu argumen-tieren, dieses Land hätte in einer Kooperationslösung einegünstigere Position erreichen können, wenn es keine Vor-leistungen erbracht hätte.

Zusammenfassend ist zur Rolle von Anpassung und Ver-meidung in der künftigen Klimapolitik zunächst festzustel-len, dass politischer Handlungsbedarf in Form einer Kom-bination von Anpassung und Vermeidung auf nationaler undinternationaler Ebene begründet ist. Das trifft für das (ge-genwärtige) Szenario der Nicht-Kooperation (BAU) ebensozu wie für das Kooperationsszenario. Allerdings verschiebtsich bei Kooperation das Gewicht deutlich von der Anpas-sung zur Vermeidung. Nun befindet sich die Welt derzeit aberin einem Verhandlungsmarathon mit dem Ziel einer interna-tionalen Kooperation, wobei noch offen ist, wie viel Koope-ration in Zukunft erreicht wird. Deshalb ist die Frage, fürwelchen Politik-Mix aus Anpassung und Vermeidung jetztund in naher Zukunft sich ein Land entscheiden soll, eineFrage danach, welche Verhandlungsstrategie dieses Land

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2 Mit der Festlegung auf das 2-Grad-Ziel in Cancún ist diese theoretischeUnklarheit pragmatisch aus dem Wege geräumt worden.

3 Unter Kooperation verstehen wir hier vereinfachend immer die perfekte,weltwohlfahrtsmaximale Lösung.

Zur Diskussion gestellt

wählen soll, was u.a. auch von der Ernsthaftigkeit seinesInteresses an einer kooperativen Lösung abhängt. Eine be-kannte Stärke der ökonomischen Theorie und experimen-tellen Forschung ist es, die Anreize zum Trittbrettfahrerver-halten bei der Bereitstellung öffentlicher Güter durch freiwil-lige Beiträge als massives Hindernis für Kooperation aufge-deckt zu haben. Im Gegensatz dazu handelt es sich mei-nem Eindruck nach bei den vorliegenden Untersuchungenzu den Erfolgsbedingungen von Kooperation im Allgemei-nen und internationalen Umweltabkommen im Besonderenteilweise um konkurrierende Erklärungsansätze, deren em-pirische Absicherung schwierig ist oder fehlt. Das ist zu be-rücksichtigen, wenn auf der Basis solcher Ansätze Emp-fehlungen an Teilnehmer der laufenden internationalen Kli-maschutzverhandlungen gegeben werden.

Literatur

BMF (2010), Klimapolitik zwischen Emissionsvermeidung und Anpassung,Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, Berlin.IPCC AR4 (2007), IPCC Fourth Assessment Report: Climate Change 2007 (AR4), http://www.ipcc.ch.Jaeger et al. (2011), »A new growth path for Europe. Generating prosperityand jobs in the low-carbon economy«, Potsdam, www.european-climate-forum.net.Stern et al. (2006), Stern Review: The Economics of Climate Change, HM Treasury, London.

Vermeidung oder Anpassung? Oder: Vom Regen in die Traufe

Der Klimawandel ist ohne Frage eine gewaltige Herausforde-rung. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte scheintes so zu sein, als habe menschliches Handeln zu einem mas-siven Eingriff in globale Systemzusammenhänge geführt.1 DieFrage, wie dieser Herausforderung zu begegnen ist, stellt sichdringlich und sie stellt sich weltweit. Bis vor relativ kurzer Zeitwurde in diesem Zusammenhang fast ausschließlich darüberdiskutiert, mit welchen Mitteln der Klimawandel verhindert oderzumindest in seinem Ausmaß beschränkt werden kann. Dasberühmte »2-Grad-Ziel«hat dabei geholfen, einen relativ weit-gehenden globalen Konsens über das Ziel der »Vermeidungs-strategie« zu erreichen. Man ist sich in hohem Maße einig, dassder zu erwartende globale Temperaturanstieg auf 2 Grad be-grenzt werden soll. Offen scheint nur die Frage zu sein, wie daserreicht werden kann.

Erst in jüngerer Zeit richtete sich die Diskussion auch auf dieFrage, ob, wann und wie über Anpassungsmaßnahmen nach-zudenken sei. Eine Zeitlang wurde diese Diskussion dadurchbeschwert, dass sich die, die sie führen wollten, mit dem Vor-wurf konfrontiert sahen, den Kampf gegen den Klimawandelaufgeben zu wollen. Inzwischen scheint diese Haltung aberder Einsicht gewichen zu sein, dass das Nachdenken über An-passungsmaßnahmen keineswegs impliziert, dass alle Ver-suche, Klimaschutz zu betreiben, aufgegeben werden.

Die pragmatische Sicht

Bei einer rein pragmatischen Betrachtung ergibt sich ein sehrklares Bild des Verhältnisses von Vermeidung und Anpas-

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Joachim Weimann*

* Prof. Dr. Joachim Weimann ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspoli-tik an der Universität Magdeburg.

1 Die Frage, ob der Klimawandel tatsächlich anthropogen verursacht ist odernicht, soll und kann hier nicht diskutiert werden. Die überwältigende Mehr-heit der naturwissenschaftlichen Gemeinschaft hält dies für hoch wahr-scheinlich. Der Autor hat weder Anlass noch die Kompetenz, diesen Be-fund zu bezweifeln. Deshalb wird im Folgenden davon ausgegangen, dass»Business as usual« zu einem menschlich verursachten massiven Klima-wandel führt.

Zur Diskussion gestellt

sung, das durch drei wichtige Punkte charakterisiert wer-den kann:

1. Vermeidung und Anpassung schließen sich nicht aus,sondern können bis zu einem gewissen Grad als kom-plementär angesehen werden. Solange die Wahrschein-lichkeit dafür, dass Vermeidungsanstrengungen erfolg-reich sind, hinreichend groß ist, kann es gerechtfertigtsein, solche Anstrengungen zu unternehmen. Gleich-zeitig wäre es auch bei relativ guten Erfolgsaussichtentöricht, die Möglichkeit des Scheiterns aller Bemühun-gen nicht auch zu bedenken und die Frage zu stellen,welche Alternativen für diesen Fall offen stehen. Wennman für den Augenblick unterstellt, dass die Wahr-scheinlichkeit für eine erfolgreiche Vermeidung groß ge-nug ist, dann macht zum jetzigen Zeitpunkt die gleich-zeitige Diskussion von Vermeidungs- und Anpassungs-strategien Sinn.

2. Es gibt einen unmittelbaren Trade off zwischen der Dring-lichkeit für die Ergreifung von Anpassungsmaßnahmenund der Sinnhaftigkeit von Vermeidungsanstrengungen.Je weniger wahrscheinlich ein Erfolg der Vermeidungs-strategie ist, umso notwendiger wird es, Anpassungsan-strengungen zu unternehmen. Das hat eine wichtige Im-plikation: Wenn die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgrei-che Vermeidungspolitik sinkt, dann sollten Ressourcenzu Lasten diese Politik und zugunsten von Anpassungs-maßnahmen umverteilt werden. Vereinfacht ausgedrückt:Wenn es kaum noch Hoffnung gibt, den Klimawandelstoppen zu können, dann sollte man nicht mehr in Wind-kraftanlagen, sondern in höhere Dämme investieren.

3. Bei dem Versuch, den Klimawandel zu vermeiden, ist diePolitik mit einer gänzlich anderen Problemlage konfron-tiert als bei der Anpassung an den Klimawandel (vgl. hier-zu auch Wissenschaftlicher Beirats beim Bundesminis-terium für Finanzen 2010). Die Vermeidung gelingt nurdann, wenn die Staatengemeinschaft es schafft, ein glo-bal öffentliches Gut bereitzustellen. Die Vermeidung vonCO2, die ein einzelnes Land durchführt, kommt allen Län-dern zugute, wenn dadurch der Temperaturanstieg re-duziert werden kann. Niemand kann von dem Nutzenaus Schadstoffvermeidung ausgeschlossen werden. Die-se Eigenschaft jeder Maßnahme des Klimaschutzes führtdie Länder dieser Erde in ein soziales Dilemma: Aus derSicht des einzelnen Landes ist es nicht rational, selbstkostspielige Vermeidung zu betreiben, weil man auchdann nicht von den Vorteilen der Vermeidung andererausgeschlossen werden kann, wenn man selbst untätigbleibt. Diese Freifahreroption steht allen Ländern offen,und wie es scheint, wird sie reichlich in Anspruch genom-men. Das soziale Dilemma durch globale Kooperation zuüberwinden, bei der viele Länder auf die Wahrnehmungeigener, nationaler Interessen verzichten, ist ein äußerstschwieriges Unterfangen. Bei der Anpassung an den Kli-mawandel kommt es nicht zu grenzüberschreitenden,

positiven externen Effekten. Wenn die Niederlande ihreDämme verstärken, hat kein anderes Land etwas davon.Zwar ist auch der schützende Damm ein öffentliches Gut,weil alle die dahinter leben, unabhängig davon ob sie ei-nen Beitrag zur Dammerrichtung erbracht haben odernicht, geschützt werden. Die Bereitstellung solcher lo-kaler öffentlicher Güter ist jedoch um ein Vielfaches ein-facher, als die Bereitstellung eines global öffentlichen Gu-tes. In vielen Fällen sind Anpassungsmaßnahmen sogarrein privater Natur und können über Märkte alloziert wer-den. Hausbesitzer werden sich beispielsweise auf zu-nehmende Extremwetterlagen durch Investitionen in dieSicherheit ihrer Immobilien einstellen, Urlauber werdenihr Verhalten ändern, und Änderungen der klimatischenBedingungen werden zu einer Veränderung der Grund-stückswerte führen, die entsprechende Preissignale aufdem Grundstücksmarkt zur Folge haben, die wiederumLandnutzungsänderungen zur Folge haben.

Angesichts dieser Einschätzung des Zusammenhangs vonVermeidung und Anpassung, drängen sich drei Fragen auf:

a) Wie ist die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Ver-meidungspolitik einzuschätzen?

b) Die Unterschiede zwischen Vermeidungs- und Anpas-sungsmaßnahmen legen nahe, dass der Staatseinflussbei der Anpassung im Vergleich zur Vermeidung deutlichgeringer ausfällt und Märkten eine wesentlich wichtige-re Rolle zuwächst. Kann man erwarten, dass sich die Po-litik entsprechend verhält und sich auf die Bereitstellungder lokalen öffentlichen Güter beschränkt, die zur Anpas-sung benötigt werden?

c) Kann man erwarten, dass es rechtzeitig zu einer Res-sourcenumverteilung von Vermeidungs- zu Anpassungs-investitionen kommt?

Wie wahrscheinlich ist ein Erfolg der Vermeidungsanstrengungen?

Die Antwort auf diese Frage hängt vor allem davon ab, wieman die Wahrscheinlichkeit für das Zustandekommen ei-ner großen Koalition von Staaten einschätzt, die sich zu ei-ner massiven Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen ver-pflichten. Der Verlauf der Klimakonferenzen, die seit der Ver-einbarung von Rio jährlich stattgefunden haben, gibt nichtgerade Anlass zu übertriebenem Optimismus. Im Gegenteil,bisher konnte das Wachstum der globalen Klimagasemis-sionen bestenfalls geringfügig verlangsamt werden. Von dernotwendigen massiven Reduktion ist die Staatengemein-schaft nach wie vor weit entfernt. Bei näherem Hinsehenzeigt sich, das selbst die Vereinbarungen, die in der Öffent-lichkeit als Erfolge der Klimapolitik gefeiert werden, keinesubstantiellen Fortschritte gebracht haben. Beispielsweisehaben Böhringer (2002) sowie Böhringer und Vogt (2004)

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Zur Diskussion gestellt

gezeigt, dass der Emissionspfad, der sich letztendlich (d.h.nach allen Nachverhandlungen) aus dem Kyoto-Protokollergibt, nur unwesentlich von dem des Business-as-usual-Szenarios unterscheidet.

So ernüchternd die bisherige Bilanz der Klimakonferen-zen auch ausfällt, sie lässt natürlich nicht den Schluss zu,dass es auch in der Zukunft, d.h. unter wachsendem Pro-blemdruck, zu keiner Vereinbarungen kommt. Die ökono-mische Wissenschaft hat sich der Frage, ob mit großen Kli-makoalitionen gerechnet werden kann, von zwei Seiten ge-nähert. Einerseits wurden die grundsätzlichen strategischenOptionen der Verhandlungsteilnehmer mit Hilfe spieltheo-retischer Modelle analysiert, andererseits hat die Verhal-tensökonomie Experimenten eingesetzt, um die Frage zubeantworten, wie Verhandlungen gestaltet werden kön-nen, damit sie erfolgreicher sind als die bisherigen. DasVerhältnis der beiden methodischen Zugänge zueinanderist nicht ohne Spannungen (vgl. Weimann 2010a). Im La-ger der »reinen Theoretiker« wird mitunter bezweifelt, dassLaborexperimente mit Studenten dazu geeignet sind, in-ternationale Klimaverhandlungen abzubilden. Experimen-te, so die Kritik, weisen eine zu geringe externe Validitätauf, als dass sie für die Beratung von realen Verhandlungs-delegationen herangezogen werden könnten. Umgekehrtverweisen Verhaltensökonomen nicht zu Unrecht darauf,dass auch die normative Theorie nur mit starken Einschrän-kungen als extern valide bezeichnet werden kann. Sie be-nutzt Verhaltensannahmen, die empirisch nachhaltig wi-derlegt sind, und institutionelle Rahmenbedingungen, diesehr weit von denen entfernt sind, unter denen internatio-nale Klimaverhandlungen ablaufen. Als Fazit dieser Kon-troverse muss konzediert werden, dass sowohl die Re-sultate der theoretischen als auch die der experimentellenForschung nur mit einer gewissen Vorsicht auf die Reali-tät übertragen werden können. Im Falle der Analyse vonKlimaverhandlungen ist diese Einschränkung aber weni-ger bedeutsam, denn letztlich kommen beide Zugänge zudem gleichen Resultat: Die Aussichten darauf, eine großeKoalition zu bilden, sind ausgesprochen schlecht. Die Ur-sache liegt vor allem darin, dass der Zusammenschlussvon Ländern zu einer Koalition zur Folge hat, dass die Nicht-Koalitionäre Nutznießer eines positiven externen Effektssind, weil sie von den Vorteilen der Vermeidungsanstren-gungen der Koalitionäre nicht ausgeschlossen werden kön-nen. Dieser Effekt verstärkt den Anreiz freizufahren und ver-hindert, dass es zu größeren Koalitionen kommen kann.2

Die experimentelle Forschung hat gezeigt, dass sich andiesem Befund auch dann nichts ändert, wenn es Ländergibt, die mit gutem Beispiel voran gehen (vgl. Sturm undWeimann 2008). Zwar sind die Laborbeobachtungen nichtvöllig in Übereinstimmung mit den theoretischen Progno-sen, aber die Tendenz ist eindeutig.

Damit bleibt ein eher trostloses Bild: Sowohl die bisher vor-liegenden Erfahrungen als auch die theoretische Analyseder strategischen Interaktionen der am Klimaschutz be-teiligten Länder und auch die verhaltensökonomischen Re-sultate zeigen, dass mit dem Zustandekommen eines glo-balen Klimaabkommens nicht zu rechnen ist. Das lässtdie Erfolgsaussichten einer Vermeidungspolitik rapide sin-ken, denn erfolgreich kann Klimapolitik nur sein, wenn siein globalem Maßstab betrieben wird. Beispielsweise hatdie EU einen Anteil an den globalen Treibhausgasemissio-nen von 14%. Allein diese Zahl zeigt die Machtlosigkeit ein-zelner Länder oder kleinerer Ländergruppen. Es gibt ent-weder eine globale Lösung des Vermeidungsproblems,oder es gibt keine.

Eine weitere Beobachtung muss die Hoffnung auf eine er-folgreiche Vermeidungspolitik weiter dämpfen. Dort, wo dieRegierungen und die sie stützenden Wähler bereit sind, Las-ten für den Klimaschutz zu tragen – das ist bisher vor allemin der EU der Fall – ist die Klimapolitik, die de facto betrie-ben wird, hochgradig ineffizient. Anstatt sich auf kostenef-fiziente Instrumente wie den Emissionshandel zu konzen-trieren und diesen konsequent durchzusetzen, können dieeuropäischen Regierungen der Versuchung nicht widerste-hen, durch symbolische Politiken den Wählern vorzugau-keln, das Klima im Alleingang zu retten. Die Folge sind ex-trem kostspielige Maßnahmen, die wegen des gleichzeitigeingeführten Emissionshandels vollkommen redundant sind,massive Fehlanreize schaffen und die technologische Ent-wicklung einer CO2-armen Energiegewinnung ebenso mas-siv behindern (vgl. Sinn 2009; Weimann 2010b).

Alles zusammen genommen, spricht vieles dafür, dass dieBemühungen, den Klimawandel aufzuhalten, wenig Erfolghaben werden. Entscheidungsträger, die über die Verwen-dung knapper Ressourcen für die Vermeidung des Klima-wandels oder die Anpassung an den Klimawandel zu be-finden haben, täten gut daran, dem Erfolg der Vermeidungs-strategie nur eine geringe subjektive Wahrscheinlichkeit zu-zuordnen und verstärkt darüber nachzudenken, welche An-passungsmaßnahmen zu ergreifen sind.

Welche Rolle wird der Staat bei der Anpassungspielen?

Anpassungsmaßnahmen erfordern weitaus weniger Staats-eingriffe, als die Bereitstellung des global öffentlichen Gu-tes »Vermeidung« notwendig macht. Mit der Einsicht (diefrüher oder später eintreten kann), dass die Vermeidungs-strategie zum Scheitern verurteilt ist, sollte deshalb das Sig-nal für einen Teilrückzug des Staates gegeben werden. Kannman erwarten, dass es dazu wirklich kommt? Die oben be-reits angesprochenen Erfahrungen mit der praktischen Kli-mapolitik in Europa lassen das bezweifeln. Es ist vielmehr

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2 Für einen Überblick über die relevante Literatur vgl. Barrett (2005).

Zur Diskussion gestellt

zu erwarten, dass Vermeidungsanstrengungen auch dannnoch durchgeführt werden, wenn sie längst komplett sinn-los geworden sind. Begründungen dafür lassen sich leichtfinden. Eine gewisse Restunsicherheit über die Wirkung die-ser Maßnahmen wird immer bleiben, und sie wird reichen,um zu begründen, warum man an der Subventionierungerneuerbarer Energien oder der Wärmedämmungsverord-nung festhält. Dazu kommt, dass mit der Erklärung, dassVermeidungsanstrengungen keinen Sinn mehr haben, not-wendigerweise das Eingeständnis verbunden ist, dass diejahrzehntelang betriebene symbolische Politik gescheitertist. Es ist nur schwer vorstellbar, dass die Politik die Kraftdazu aufbringt.

Die Erfahrungen mit der deutschen und europäischen Kli-mapolitik lassen auch befürchten, dass die Regierungenbei der Realisierung von Anpassungsmaßnahmen den Märk-ten nicht das Feld überlassen werden – auch wenn es kei-nen Grund für ein Marktversagen gibt. Natürlich ist es reineSpekulation, aber es könnte sich lohnen, hohe Wetten da-rauf abzuschließen, dass die Politik erneut der Versuchungerliegen wird, ihre Wähler mit kollektiven Beschlüssen zuerfreuen, die sie zu Anpassungsmaßnahmen zwingen wer-den, auch wenn es dabei weder zu externen Effekten nochanderen Phänomenen kommt, die staatlichen Zwang legi-timieren könnten.

Es bleibt damit nur ein eher pessimistisches Resümee. Dasmassive Staatsversagen, das wir bei der Vermeidungsstra-tegie in Europa beobachten dürfen, wird sich mit hoher Wahr-scheinlichkeit fortsetzen, wenn es darum gehen wird, sichan veränderte klimatische Bedingungen anzupassen.

Literatur

Barrett S. (2005), »The Theory of international environmental agreements«,in: K.-G. Mähler und J.R. Vincent (Hrsg.), Handbook of Environmental Eco-nomics, Vol. 3, Elsevier, Amsterdam.Böhringer, C. (2002), »Climate politics from Kyoto to Bonn: from little to not-hing?«, The Energy Journal 23, 51–71.Böhringer, C. und C. Vogt (2004), »Dismantling of a breakthrough: the Kyo-to protocol as symbolic policy«, European Journal of Political Economy 20(3),597–617.Sinn, H.-W. (2009), Das Grüne Paradoxon, Econ, München.Sturm B. und J. Weimann (2008), »Unilateral Emissions Abatement: An Ex-periment«, in: T.L. Cherry, J.F. Shogren und S. Kroll (Hrsg.), ExperimentalMethods, Environmental Economics, Routledge, New York.Weimann , J. (2010b), Die Klimapolitik-Katastrophe, 3. Aufl., Metropolis, Mar-burg.Weimann, J. (2010a), »Politikberatung und Verhaltensökonomie. Eine Fall-studie zu einem schwierigen Verhältnis«, Schmollers Jahrbuch 130(3), 279–298.Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Finanzen (2010), »Kli-mapolitik zwischen Emissionsvermeidung und Anpassung«, Berlin.

Anpassung statt Vermeidung – die Realpolitik des Klimaschutzes

In einer Welt ohne internationale Kooperations- und Koor-dinationsprobleme läge das Primat des Klimaschutzes auf Emissionsvermeidung, nicht auf Anpassung. Doch je-ne Gründe, die dieses Primat so zwingend machen – räum-liche Spillovers, Vermeidung von persistenten Schadstof-fen – sind auch jene, die in der tatsächlichen internationa-len Ordnung das Primat ins Gegenteil verkehren und zu ei-ner Verschiebung zu Gunsten von Anpassungsmaßnahmenführen. Diese These von der Anpassungsdominanz in derRealpolitik des Klimaschutzes baut auf den Einsichten der »Public-Goods-Game«-Literatur auf und ist mit den bisherenttäuschenden Ergebnissen in internationalen Verhand-lungen konsistent. Die argumentativen Pfeiler der Thesescheinen durch die zukünftigen Entwicklungen in techno-logischer und informativer Hinsicht eher gestärkt als ge-schwächt zu werden. Eine wirklich neue Dimension eröff-nen am ehesten neue technologische Ideen des sogenann-ten Geoengineerings. Diese könnten sich mittelfristig alswirkliche »Game Changer« erweisen.

Trotz begründeter Differenzen über das optimale Volumenvon Klimapolitik, ihr richtiges Timing und die räumliche Ver-teilung der Lasten herrscht ein grundlegender Konsens un-ter Umweltökonomen: In einer Welt ohne internationale Ko-operations- und Koordinationsprobleme würde eine inter-generational orientierte, rationale Klimapolitik das Schwer-gewicht auf Emissionsvermeidung und nicht auf Anpassunglegen (vgl. Stern 2006; Nordhaus 2008). Der Grund dafürliegt einerseits in der beeindruckenden zeitlichen Persis-tenz von Treibhausgasen (vgl. z.B. Solomon et al. 2010) undder globalen Wirksamkeit ihrer Effekte (vgl. z.B. Stern 2006).Bei Schadstoffen solcher Charakteristik dominiert die Sinn-haftigkeit von Mitigation klar jene von Anpassung. Auch ineiner solchen Klimapolitik wäre Platz für ein gewisses Volu-men an einfachen und kostengünstigen Anpassungsmaß-nahmen. An der Marge jedoch ist die Vermeidung an der

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Timo Goeschl*

* Prof. Timo Goeschl, Ph.D., ist Inhaber des Lehrstuhls für Umweltöko-nomik an der Universität Heidelberg.

Zur Diskussion gestellt

Quelle einer Begrenzung angerichteter Schäden durch räum-lich zerstreute und ständig neu vorzunehmende Aufwendun-gen für Adaptation vorzuziehen. Mitigation und nicht Adap-tation würde eine zukunftsorientierte und global koordinier-te Klimapolitik prägen.

Die Dominanz der Emissionsvermeidung in einer zukunfts-orientierten und global koordinierten Klimapolitik hebt sichdeutlich von ihrer Rolle in der tatsächlich zu erwartendenKlimapolitik der nächsten Jahrzehnte ab. Mit beträchtlicherSicherheit wird die Rolle der Mitigation im Vergleich zu derder Anpassung eine untergeordnete sein. Für diesen Be-fund gibt es schon aus theoretischer Sicht wichtige stati-sche und dynamische Gründe, die die jüngere Geschich-te internationaler Klimaverhandlungen und neue Resulta-te zur freiwilligen Vermeidungsneigung der Bürger empi-risch untermauern.

Die These der Anpassungsdominanz

Die Gründe für die statische Dominanz der Adaptation in dertatsächlichen Klimapolitik sind genau jene, die Mitigation ineiner global optimalen Klimapolitik so attraktiv machen: Dieräumliche Streuung und die zeitliche Verzögerung der Nut-zen ambitionierter Mitigationsmaßnahmen. Diese Gründedefinieren ein »Public-Goods«-Spiel bislang unerhörter räum-licher und zeitlicher Dimensionen (vgl. Hoel 1991).

Vor dem Hintergrund dieser »Public-Goods«-Betrachtungstellen Mitigation und Adaptation radikal unterschiedlicheStrategien der Beteiligten dar. Mitigation ist ein freiwilligerVerzicht auf individuell wohlfahrtsstiftende Treibhausgas-emissionen durch einen Einzelnen, sei es nun ein einzelnerBürger oder ein Land. Damit stellt Emissionsvermeidung glo-bale öffentliche Güter bereit. Ohne weitere institutionelle Vor-kehrungen findet diese Bereitstellung ohne Garantie statt,dass nicht ein anderer den Effekt dieses Beitrags durch ei-ne Erhöhung der eigenen Treibhausgasemissionen negiert,entweder an einem anderen Ort oder zu einem anderen Zeit-punkt. Die möglichen Kooperationsgewinne aus einer ko-ordinierten Emissionsvermeidung aller Beteiligten sind hoch,doch noch höher sind die strategischen Anreize, aus demglobalen Kompakt auszuscheren, wenn dies einfach mög-lich ist. Der Trittbrettfahrereffekt, der eine solche Ausnutzungder Vermeidungsanstrengungen anderer attraktiv macht, ist– wie allseits bekannt – die zentrale Herausforderung glo-baler Klimapolitik.

Adaptation unterscheidet sich in dieser Hinsicht drastisch.Es bedarf keiner institutionellen Vorkehrungen: Die Beteilig-ten begünstigen sich durch ihre Adaptationsmaßnahmenselbst, weitgehend unabhängig von den Adaptionsmaßnah-men anderer. Die Koordinations- und Kooperationsanforde-rungen sind aus globaler Sicht minimal. Die Gewinne sind

im Vergleich zur Emissionsvermeidung um Größenordnun-gen kleiner, aber eben robust gegenüber dem strategischenVerhalten anderer Beteiligter.

Wie die institutionellen Vorkehrungen der Staatengemein-schaft ausgestaltet sein müssen, um globale Emissions-vermeidung zu unterstützen und so die möglichen Koope-rationsgewinne zu lukrieren, ist seit geraumer Zeit gut ver-standen (vgl. z.B. Carraro 1999). Doch gerade aufgrundder Anforderungen der Ausgestaltung kommt die theoreti-sche Forschung insbesondere auf internationaler zu einemweitgehend pessimistischen Urteil. Die ungünstige Kosten-Nutzen-Konstellation in der Emissionsvermeidung, die wich-tigen Heterogenitäten zwischen den Beteiligten, die darausresultierenden strategischen Anreize und die mangelndenDurchsetzungsinstrumente machen globale Mitigation austheoretischer Sicht prekär (vgl. Barrett 1994).

Aus dynamischer Perspektive kommen noch weitere wich-tige Gründe für die Dominanz von Anpassungsmaßnah-men hinzu. Ein Zurückbleiben der globalen Anstrengungenzur Emissionsvermeidung hinter dem notwendigen Niveaubedeutet zunächst einmal eine Beschleunigung der Erder-wärmung gegenüber der Referenzentwicklung des Weltkli-mas. Eine solche Entwicklung bleibt natürlich nicht folgen-los auf die weiteren Anreize, Emissionsvermeidung und An-passungsmaßnahmen durchzuführen. Mit nun noch schnel-ler steigenden Grenzschäden steigen die Anreize für beideAusformungen der Klimapolitik an. Für Anpassungsmaßnah-men allerdings nehmen diese stärker zu, da die Vermei-dung nun höherer und unmittelbar bevorstehender Schä-den relativ lohnender wird. Dynamisch gibt es daher Anhalts-punkte, dass sich die Balance zwischen Vermeidung undAnpassung noch weiter zu Gunsten von Adaptation ver-schieben sollte.

Die Klima-Realpolitik – Bestätigung der Anpassungsdominanzthese?

Die theoretische Voraussage, dass in der Klimapolitik Emis-sionsvermeidung trotz ihrer impliziten globalen Wohlfahrts-gewinne von Anpassung dominiert werden sollte, ist – soformuliert – empirisch schwierig zu bestätigen: Anpassungs-maßnahmen sind bis dato weder in bedeutendem Maß-stab notwendig noch isoliert beobachtbar. Zurzeit liegen bes-tenfalls Studien vor, die allerdings einen Hinweis auf denmit Adaptationsmaßnahmen verbundenen politischen Wil-len und das finanzielle Volumen bieten. Ein vielbeachtetesBeispiel sind die strategischen Deichplanungen in den Nie-derlanden: Um die durch den Anstieg des Meeresspiegelbedrohten Deichanlagen zu stützen, wird vorgeschlagen,bis 2050 jährlich etwa 1,6 Mrd. Euro und von 2050 bis 2100zwischen 0,9 und 1,5 Mrd. Euro zu investieren (vgl. Delta-commissie 2008).

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Zur Diskussion gestellt

Die wichtigste Untermauerung der These von der Anpas-sungsdominanz stützt sich nicht auf die Ausgaben für An-passung, sondern auf die fehlenden Anstrengungen in derEmissionsvermeidung auf internationaler Ebene. Bislang ha-ben nur einzelne EU-Länder nennenswerte Opfer zur Emis-sionsreduktion erbracht. Die für die Klimaentwicklung rele-vanten globalen Emissionen an Treibhausgasen steigen wei-terhin stark an. Dessen ungeachtet haben die Verhandlun-gen zwischen den Parteien der Rahmenwerkskonventionzum Klimawandel, UNFCCC, in Kopenhagen und Cancùnwenig greifbare Ziele geliefert.

Nicht nur auf Länderebene, auch auf der Ebene individuel-ler Bürger kann von einer Bereitschaft, in Sachen Emissi-onsvermeidung in eine individuelle Vorleistung zu gehen,nicht wirklich gesprochen werden. Auf rein freiwilliger Basisund ohne Instrumente, die auch andere Beteiligte in die Pflichtnehmen, ist der durchschnittliche Deutsche unter den ge-gebenen Umständen nicht bereit, einen individuellen posi-tiven Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasemissionenzu leisten, so die Ergebnisse eines letztes Jahr mit über zweiTausend Teilnehmern durchgeführten Quasifeldexperimen-tes (vgl. Diederich und Goeschl 2011).

Gründe für eine Verschiebung?

Gibt es Gründe anzunehmen, dass die These von der An-passungsdominanz in Zukunft an Leistung einbüßt? Diewichtigsten Pfeiler der Thesen sind die Präferenzen der Be-völkerung im Hinblick auf Klimaschutz, der Wissensstandüber die Folgen und Wahrscheinlichkeiten des Klimawan-dels, und die zur Verfügung stehenden Technologien. Zumaktuellen Zeitpunkt ist die überzeugendste Arbeitshypothe-se, dass von keinem dieser Faktoren eine Gewichtsverschie-bung zu Gunsten von Mitigation zu erwarten ist.

Originäre Präferenzänderungen in der Bevölkerung, die Ver-meidungsmaßnahmen begünstigen würden, wären typi-scherweise eine stärkere Zukunftsorientierung, ein höhererGrad an Altruismus in Hinblick auf die globale Bevölkerungoder ein unmittelbaren Wunsch nach einer Erhaltung einermöglichst unveränderten Umwelt. Solche Präferenzände-rungen können nicht ausgeschlossen werden. Andererseitsdeutet wenig auf ihr Eintreten hin.

Davon zu unterscheiden sind Veränderungen im Wissen-stand über den Klimawandel bei gleichen Präferenzen. Kli-mapolitischer Handlungsdruck wird sich in demokratischenGesellschaften vor allem aus Ereignissen mit hoher kogni-tiver Salienz entwickeln (vgl. Sunstein 2005). Wird dieserDruck eher Mitigations- oder Anpassungsmaßnahmen for-dern? Es gibt aus verhaltensökonomischer Sicht gute Grün-de, davon auszugehen, dass auch hier Anpassungsmaß-nahmen bevorzugt werden, die unmittelbare und zeitnah

wirksame Antworten auf neu erkannte Bedrohungsszena-rien bieten. Der Grund ist die zentrale Rolle von singulärenEreignissen, wie etwas Katastrophen, für die Entwicklungdes Wissensstandes der Bevölkerung (ibd.). Ereignisse aus-reichender Salienz werden erst verhältnismäßig spät im Pro-zess des Klimawandels eintreten und dann Folgen aufzei-gen, die sich in konkrete, ortsspezifische Bedrohungssze-narien übersetzen lassen. Die zeitliche Dimension wird da-her schnell wirksame Anpassungsmaßnahmen als beson-ders geeignet erscheinen lassen. Die räumliche Dimensionwird den Schutz konkreter Werte betonen. In beiderlei Hin-sicht betont eine solche Entwicklung die Notwendigkeit so-fortig wirksamer konkreter Anpassung. Die langfristigen undglobalen Dimensionen ambitionierter Emissionsvermeidungtreten dahinter zurück.

Technologischer Wandel ist eine der wahrscheinlichstenQuellen von Verschiebungen in der relativen Bedeutungvon Mitigation und Adaptation. Aus globaler Sicht über-steigen die gesellschaftlichen Gewinne technologischenFortschritts in der Mitigation jene in der Adaptation schonaufgrund der räumlichen Spillovers um Größenordnungen.Aufgrund der ungenügenden Betonung der Emissions-vermeidung in der Klimapolitik sind die Anreize, die geeig-neten Technologien systematisch zu entwickeln, jedochzurzeit schwach. Auch sind von steigenden Preisen fossi-ler Brennstoffe induzierte Verbesserungen in der Energie-effizienz nur bedingt geeignet das Emissionsproblem zu lö-sen: Da Gewinne in der Energieeffizienz im Hinblick aufdie Gesamtemissionen weitgehend in steigender Energien-achfrage aufgehen, bietet nur technischer Fortschritt derbesonders erneuerbare Energien favorisiert zumindest ei-ne Aussicht auf verminderte Treibhausgasemissionen. Dasstechnischer Fortschritt dieser Art wahrscheinlicher ist alstechnischer Fortschritt im Bereich Anpassung, kann vordem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen nicht alsoffensichtlich angenommen werden.

Geoengineering – ein »Game Changer«?

Mit hoher Wahrscheinlichkeit greifen die heutigen Diskus-sionen um Mitigation versus Adaptation mittelfristig ohne-hin zu kurz. Der Grund ist, dass sich am technologischenHorizont bereits konkrete Ideen abzeichnen, von denen ei-nige im Vergleich zu Vermeidung und Anpassung eine ganzneue Kombination von räumlichen und zeitlichen Charak-teristika und Kosten-Nutzen-Verhältnissen aufweisen. DieRede ist hier von sogenannten Solar Radiation Management-Methoden, die zur absichtlichen, großskaligen Manipulati-on des Klimasystems mit technischen Mitteln geeignet sind.Mit Mitigation haben diese Methoden des Geoengineeringdie globale Wirksamkeit gemein, mit Anpassung die rascheWirksamkeit. Von beiden Strategien unterscheidet sich So-lar Radiation Management (SRM) im Hinblick auf die Kos-

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ten für die Erreichung eines Temperaturreduktionsziels undim Hinblick auf das technologische Risiko.

Während die SRM-Formen des Geoengineering nach aktu-ellem Wissensstand mit verhältnismäßig geringen Kostenklar darstellbare Reduktionen in der Oberflächentempera-tur wird bewerkstelligen können, sind die Unwägbarkeitenzum aktuellen Zeitpunkt noch inakzeptabel hoch. Doch dieForschung in diesem Bereich wird in den kommenden Jah-ren wichtige Unsicherheiten ausräumen. Mit Feldversuchenist noch in diesem Jahrzehnt fest zu rechnen (vgl. Keith etal. 2010). Damit könnte dann in der Tat Bewegung in denVermeidungs-Anpassungs-Mix kommen, und das auf mög-licherweise überraschende Art und Weise. Denn sollte Geo-engineering nicht als Chance, sondern als Gefahr verstan-den werden, würde das die Attraktivität von Emissionsver-meidung auch ohne starke institutionelle Vorkehrungen stei-gern. Die Möglichkeit, dass gerade die technologische Mach-barkeit von Geoengineering konzertierte Mitigationsmaß-nahmen befördern könnte, um Geoengineering zu verhin-dern, sollte nicht außer Acht gelassen werden.

Prognose ohne Parallelen

Jede Prognose über zukünftige Entwicklungen profitiert vonhistorischen Parallelen. Diese Parallelen fehlen im Kontextdes Klimawandels, sowohl was die Größenordnung als auchdie Zeitspannen angeht. Die Konturen, die sich im Hinblickauf unser globales Management des Treibhauseffektes ab-zeichnen, entsprechen jedoch auf beunruhigende Weiseden Einsichten aus der Literatur zu öffentlichen Gütern. Wasfehlt, ist eine mit Durchsetzungsinstrumenten ausgestatte-te Institution. Aus den zukünftigen Entwicklungen der meis-ten Faktoren ist in dieser Hinsicht wenig drastische Ände-rung zu erwarten. Ein wirklicher »Game Changer« sind dieTechnologien, die heute unter dem Terminus Geoenginee-ring größere Bekanntheit erfahren. Von der Verfügbarkeitdieser Methoden mit ihren vergleichsweise ungewöhnlichenCharakteristika dürften neue Impulse für die globale Kli-mapolitik ausgehen.

Literatur

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Solomon, S., J.S. Daniel, T.J. Sanford, D.M. Murphy, G.-K. Plattner, R. Knuttidund P. Friedlingstein (2010), »Persistence of climate changes due to a range ofgreenhouse gases«, Proceedings of the National Academy of Sciences of theUnited States of America 107(43), 18354–18359.Stern, N. (2006), The Economics of Climate Change. The Stern Review.Cambridge University Press, Cambridge, UK.Sunstein, C. (2005), Laws of Fear. Beyond the Precautionary Principle. Cambridge University Press, Cambridge, UK.

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