die stellung der kleinstaaten in der europäischen union

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FneNr Evvpnr / DeNru-rB Bosseenr. Die Stellung der Kleinstaaten in der Europilischen Union Inhaltsiibersicht I. Ziel und Anspruch der Untersuchung II. Die Definition von Kleinstaaten IIL DasIntegrationsverhaltenvonKleinstaaten IV. Die kleinstaatenfreundliche Stimmengewichtung im Rat der EU A. Einstimmige Entscheidungen im Rat B. Entscheidungen mit einfacher Mehrheit C. Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit D. Die rotierende Prdsidentschaft im Rat E. Die Absicherung der Minderheitenrechte bei Vertragsinderungen V Die Reprlsentation der Kleinstaaten im Europiischen Parlament VI. Die Zusammensetzung der Europdischen Kommission VII. Mitspracherechte der Kleinsnaten in den sonstigen Institutionen und Einrichtungen VIII. Die Regelung der Amtssprachen in der EU IX. SpezielleSchurzklauselnundsonstigeAusnahmeregelungen X. Die Zukunftsaussichten ftir die Stellung der Kleinstaaten in der EU XI. Mitentscheidungsrechte der Schweiz nach einem Vollbeitritt XII. Schlussfolgerungen oNur im transnationalen Raum Europa hann die einzelstaatliche Politik uom Objeht droltender zum Subjeht gestahender G h balis ierung werdtn., Ulrich Bech Seite r14 115 116 118 118 120 120 122 123 124 125 t26 127 128 129 134 r36 FnaNr EIrruanr, Dr. iur., LL.M., Dozent furVolker- und Europarecht, Europainstitut, Uni- versitdt Basel. DaNIu-re Bossarnr, M.A., \Tissenschaftliche Mitarbeiterin, Europainstitut, Universitdt Basel. 1r3

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FneNr Evvpnr / DeNru-rB Bosseenr.

Die Stellung der Kleinstaatenin der Europilischen Union

Inhaltsiibersicht

I. Ziel und Anspruch der UntersuchungII. Die Definition von KleinstaatenIIL DasIntegrationsverhaltenvonKleinstaatenIV. Die kleinstaatenfreundliche Stimmengewichtung im Rat der EU

A. Einstimmige Entscheidungen im RatB. Entscheidungen mit einfacher MehrheitC. Entscheidungen mit qualifizierter MehrheitD. Die rotierende Prdsidentschaft im RatE. Die Absicherung der Minderheitenrechte bei Vertragsinderungen

V Die Reprlsentation der Kleinstaaten im Europiischen Parlament

VI. Die Zusammensetzung der Europdischen KommissionVII. Mitspracherechte der Kleinsnaten in den sonstigen Institutionen

und EinrichtungenVIII. Die Regelung der Amtssprachen in der EUIX. SpezielleSchurzklauselnundsonstigeAusnahmeregelungenX. Die Zukunftsaussichten ftir die Stellung der Kleinstaaten in der EUXI. Mitentscheidungsrechte der Schweiz nach einem VollbeitrittXII. Schlussfolgerungen

oNur im transnationalen Raum Europa

hann die einzelstaatliche Politikuom Objeht droltender zum Subjeht

gestahender G h balis ierung werdtn.,

Ulrich Bech

Seite

r14115

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FnaNr EIrruanr, Dr. iur., LL.M., Dozent furVolker- und Europarecht, Europainstitut, Uni-versitdt Basel. DaNIu-re Bossarnr, M.A., \Tissenschaftliche Mitarbeiterin, Europainstitut,Universitdt Basel.

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Etravnnr / BosseEnr

I. Ziel und,Anspruch der LJntersuchung

\Tdhrend Schweden Beitrittwerhandlungen mit der Europdischen Uniont ft.ihr-te, waren die Meinungen in der Bevcilkerung gespalten und zunehmend pola-risiert. Von Seiten der Beftirworter wurde unter anderem geltend gemacht, derbevcilkerungsmdssig kleine Staat Schweden (mit ca. 8,7 Mio. Einwohnern derSchweiz durchaus vergleichbar) werde seine politischen Mitsprache- und Ge-staltungsmiiglichkeiten in Angelegenheiten von fberregionalem und europdi-schem Interesse durch den Beitritt verbessern. In einer Broschiire, die sichgegen den Beitritt aussprach, erschien daraufhin eine Karikatur von RobertNyberg, in der sich ein kleiner Fisch anschickte, von einem riesigen \Val ver-schluckt zu werden und dies begeistert kommentierte mit den \forten, klar,wir miissen hinein und Einfluss nehmen2.

Der folgende Beitrag soll die rechtlichen Rahmenbedingungen ftir dieMitsprachemoglichkeiten von Kleinstaaten in den Entscheidungsprozessen derEU aufzeigen und aufgrund empirisch belegter Fakten nachweisen, dass diese

Mitsprachemdglichkeiten auch in der Praxis durchgesetzt werden kdnnen undwerden. Ziel der LJntersuchung ist es, dazu beizutragen, dass die potentiellenGewinne und Verluste von Mitentscheidungs- und Mitgestaltungsm6glich-keiten der Schweiz in Angelegenheiten von europdischem Interesse, die sichnach einem Vollbeitritt zur EU ergeben, realistisch abgeschetzt werden kdn-nen. Zugleich wird die Untersuchung aufteigen, welche Miiglichkeiten derSchweiz auch in Zukunft verbleiben, sich gegen Einmischungen der anderenMitgliedstaaten bzw. der EU in schweizerische Angelegenheiten zur \fehr zusetzen.

DerTerminus Europdische Union oder EU ist strenggenommen nur dort angebracht, wo es

um Regelungen des EU-Vertrags geht, der am 1. November 1993 in Kraft getreten ist, bzw.um Tatigkeiten der EU im Bereich der zweiten und dritten Seule (Gemeinsame Aussen-und Sicherheitspolitik bzw. Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres). DieEuropdische Virtschaftsgemeinschaft, die Europdische Atomgemeinschaft und die Euro-pdische Gemeinschaft ftir Kohle und Stahl, d.h. die erste Slule der EU, regelmdssigzusammengefasst als Europlische Gemeinschaft oder EG, ist in vielerlei Hinsicht nach wievor von weitaus gr<isserer Bedeutung. In der Praxis verwischt sich die Abgrenzung jedochzunehmend und verliert auch rechtlich an Relevanz. Aus pragmatischen Griinden wird da-her in diesem Beitrag jeweils der Terminus nEUu verwendet, soweit es nicht konkret daraufankommt, Unterschiede zwischen den Regelungen in der EG und jenen in der EU aufzu-zeigen.Y gl. NZZ, F reitag 4. November 199 4, #258, 9.

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DIE, SrplluNc pnn KrnrNstaatpN rN opn EU

II. Die Definition von Kleinstaaten

Der BegriffoKleinstaatu ist schillernd und wird in der Fachliteratur nicht ein-heitlich definiert oder verwendet. Eine Legaldefinition - z.B. in den Griin-dungsvertrd"gen der EU - besteht erst recht nicht. Je nach Kontext kann daheroklein, als quantitativer Begriff, im Sinne von kleiner Bevcilkerung, kleinerFldche oder kleiner volkswirtschaftlicher Gesamtleistung, oder auch als quali-tativer Begriff; z.B. im Sinne von geringer militdrischer Stdrke, verstandenwerden3.

Da es in der vorliegenden Abhandlung primdr um die Mitspracherechte

der verschiedenen Staaten in den Entscheidungsprozessen der EU geht, er-scheint es angebracht, auf das Kriterium abzustellen, nach dem diese Mitspra-cherechte von der EU selbst definiert werden. Soweit Entscheidungen in derEU nicht ohnehin nach dem Prinzip der souverdnen Gleichheit der (Mitglied)-Staaten, d.h. mit Einstimmigkeit oder einfacher Mehrheit der Staaten getrof-fen werden, spielt vor allem die Bevcilkerungsgrcisse eine entscheidende Rollebei der Gewichtung der Stimmen im Rata. Gleiches gilt fur die Zuteilung derSitze im Europiischen Parlamentt. Stellt man der Einfachheit halber nur aufdie Gewichtung der Stimmen bei Abstimmungen mit der sog. uqualifiziertenMehrheitn im Rat ab, so gibt es in der EU derzeit vier ugrosseo Staaten mitmehr als 50 Mio. Einwohnern und je 10 Stimmen (D, F, I, UK), einen umit-telgrossenu Staat mit knapp 40 Mio. Einwohnern und 8 Stimmen (E), neunukleineu Staaten mit 3 bis 15 Mio. Einwohnern und je 3, 4 oder 5 Stimmen,sowie einen uganz kleineno Staat mit weniger als 400'000 Einwohnern und 2Stimmen (LLIX).Vereinfacht kdnnen die zehn kleinen und die funf grossen

Staaten jeweils als Gruppe angesehen werden, wobei allerdings Deutschlandauf der einen Seite und Ltrxemburg auf der anderen Seite in mancherlei Hin-sicht auffallig sind und Spanien nicht durchgangigzu den ngrosseno gezfiltwird6.

Grundlegend hierzu NIrs Austxw, The Perennial Problem ofSmall States: a Suruey of fusearchEfforts, Cooperation and Conflict 1976, 163-182; sowie Mlcrenl HaNolt-, W'eab States inthe International Systern, London 1981.Vgl. insbes. Artikel 148 II EGV wenngleich dort nicht ausdriicklich auf die Bevcilkerungs-zahl Bezug genommen wird und die Stimmengewichtung auch nicht streng proportionalzur Bev<ilkerung ist; vgl. dazu unten, Anm.23 und zugehilriger Text.Vgl. Artikel 138 II EGV auch hier erfolgt die Bemessung nicht streng proportional zurBevcilkerung, was aus demokratietheoretischer Sicht problematisch ist; vgl. unter VVgl. unten, Anm. 26 und zugehdriger Text.

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EvvnRr / Bossepnr

Mit ihren knapp 7 Mio. Einwohnern wiirde die Schweiz im System der EUklar zu den uKleinstaaten) gerechnet werden und hette - bei Fortschreibungdes bisherigen Systems - Aussicht auf 4 Stimmen im Rat7. Andererseits ist dieSchweiz als Handelspartner fiir die EU bis heute wichtiger als sdmtliche Staa-

ten Mittel- und Osteuropas zusammengenommen8 und erzielt eine volkswirt-schaftliche Gesamtleistung, die mitArgentinien oder Indien verglichen werdenkann und diejenige derTi.irkei oder Schwedens iibertriffte. Aus wirtschafilicherSichtkonnte daher die Bezeichnung der Schweiz als Kleinstaat bezweifelt wer-den. Dies spielt allerdings im Kontext der Mitwirkung in der EU nur bei dengegenseitigen Finanztransfers eine Rollelo. Hinsichtlich der Mitspracherechtein den Entscheidungsprozessen der EU wird hingegen nicht auf die volkswirt-schaftliche Leistung abgestellt. Da sich die vorliegende lJntersuchung vor al-lem auf die absehbaren Auswirkungen eines Vollbeitritts der Schweiz auf ihreMitsprache- und Gestaltungsmciglichkeiten in europlischen Angelegenheiten

bezieht, ist es somit gerechtfertigt, von der Schweiz als oKleinstaat) zu spre-

chen.

m. Das Integrationsverhaltenvon Kleinstaaten

Nicht erst seit Ausdri.icke wie oGlobalisierungo, uEuropdisierungn oderulnterdependenz, in Mode gekommen sind, stellt sich fiir Kleinstaaten dieFrage, ob und inwieweit sie sich in ihren internationalen Beziehungen entwe-

der an grcissere Nachbarn anlehnen oder unter ihresgleichen zusammenarbeiten

sollen. \Tihrend grdssere Staaten wie Deutschland oder Frankreich und erst

recht einstige Supermdchte wie die USA erst in jiingerer Zeit feststellen miis-sen, dass sie zur Sicherung ihres \Tohlstands und zur Lcisung einer Vielzahl der

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Vgl. Fr.aNr< Eunp,nr, Europarecht, Mtinchen 1996, Abb. 8-1, 65.Vgl.BuNorsaurrunStetrsrtr(Hrsg.), StatisischesJahrbuchd.erSchtueizl9gT,Znrichlgg6,171 ff.; Eurosrar, Jahrbuch 9l Luxemburg 1995,444 ff.; INrtr.NerroNar MoNrteRv FuNo(Hrsg.), Direction ofTiade Statistics Yearbaoh l996,Vashington 1996, 72 ff.; sowie Srarr-srrscHEs BuNoEsavr (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1996 f)r das Ausland 'Wiesbaden 1996,104 ff.Vgl. SrerrsrrscHrs BuNoesavt (Anm. 8), 358.Ausfiihrlich zum sog. nfiscal federalismo in der EU, s. KouvrsstoN DER EuRopriIscHEN GE-MEINscHAFTEN (Hrsg.), The Economics of Comrnuniry Public Finance, European EconomyNr. 5, Briissei/Luxemburg 1993.

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Drr, SrErruNc onn KrErNsraarEN rN oEn EU

sie konfrontierenden Probleme auf die Abstimmung und Zusammenarbeit mitanderen Staaten angewiesen sind, sahen sich die Kleinstaaten schon viel frtiherund haufiger mit Aufgaben konfrontiert, die ihre Problemlosungskapazitdt

iiberstiegen. Gleichgiiltig ob es darum ging, den Zugang zu Rohstoffen oderLebensmitteln, sowie denZugangzu Absatzmdrkten fur die eigenen Produktezu sichern, sich gegen die Begehrlichkeiten einer regionalen Hegemonialmachtzu verteidigen, oder sich in den internationalen Beziehungen Gehcir zu ver-schaffen: Die Kleinstaaten hatten eigentlich nie Anlass, ein allzu ausgeprd.gtes

Selbswerstdndnis als <souverdne> Staaten - im absolutistischen Sinne - zu enr-wickeln.

Typischerweise begannen Kleinstaaten daher schon frtih, sich entweder inStaatenbunden und splter Bundesstaaten zusammenzuschliessen oder ihre in-ternationalen Interessen und Bedtirfnisse iiber ein Netzwerk von bilateralenVertrdgen, sowie die Mitgliedschaft in einer Vielzahl von internationalen Or-ganisationen abzusichern. Dabei befanden und befinden sich die Kleinstaaten

- wesentlich stlrker als grdssere Staaten - auf einer stdndigen Gratwanderungzwischen einer hinreichenden Integration einerseits und der Bewahrung vonEigenstaatlichkeit undAutonomie andererseits. Das Integrationsverhalten vonKleinstaaten krinnte daher wie folgt zusammengefasst werden: Soviel Integra-tion wie ntitig und sowenig Souverinitdtstransfer wie mciglich.

Im folgenden soll konkret dargestellt werden, wie der ftideralistische Ge-danke der Aufrechterhaltung der Vielfalt in der Einheit und das gruppenrecht-liche Prinzip des Schutzes der Minderheit(en) vor demokratischen Mehrhei-ten in der EU abgesichert sind. Dadurch soll aufgezeigt werden, dass einePartizipation im europdischen Integrationsprozess gerade ftir Kleinstaaten vie-le Vorteile bietet. Diese Vorteile kiinnen allerdings nur durch den Vollbeitrittzur EU erlangt werden und haben somit eine ganz andere Natur und Grund-lage als die wirtschaftliche Zusammenarbeit, deren Nutzen weitgehend auchiiber Freihandels- und dhnliche bilaterale Abkommen bzw. einen E\flR zu er-langen sind. Schliesslich soll gezeigt werden, dass die effektive Einbusse an

Souverdnitdt und Autonomie - gewissermassen als Kaufpreis ftir die Vorteileder Integration - sich in durchaus iiberschaubaren Grenzen hdlt und gerade

nicht die Identitiit und Staatlichkeit der Mitglieder gefahrdet.

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Evvpnr / Bossennr

TV Die kleinstaatenfreundliche Stimmengewichtungim Rat der EU

Moderne demokratische Rechtsstaaten haben ein System der Gewaltenteilunggemeinsam, in dem grundlegende Entscheidungen durch eine vom Volk ge-

wfilte Legislative getroffen werden, wdhrend die Umsetzung dieser Entschei-dungen, sowie die Fiihrung der laufenden Geschdfte der Exekutive obliegt,und der Rechtsschutz gegen den Staat, sowie unter Privaten, von der Judikati-ve sichergestellt wird. In der EU gibt es das System der Gewaltenteilung nichtin dieser Form, was oft - und fdlschlicherweise - als udemokratisches Defizitubezeichnet wirdrr. Legislativaufgaben wurden in der EU langeZeitallein vomRat wahrgenommen, der wiederum aus Delegierten der Exekutiven der Mit-gliedstaaten - regelmdssig den betroffenen Fachministern - besteht. Erst inneuerer Zeit wurde das Europdische Parlament vom lediglich beratenden Gre-mium zu einem mitentscheidenden Machtfaktor aufgewertet. Dennoch ist es

bis heute gerechtfertigt, den Rat als das eigentliche Legislativorgan der EU zu

bezeichnenr2 und daher soll die Stellung der Kleinstaaten in der EU auch zu-erst anhand des Rates untersucht werden.

A. Einstimmige Entscheidungen im Rat

In der EU gilt das Prinzip der enumerativen Einzelermichtigungl3. Eine Kom-petenz zum Erlass von verbindlichen Normen oder zurVornahme von Einzel-massnahmen mit Eingriffscharakter besteht grundsdtzlich nur in den Bereichen,

wo der EU dies vom Vertrag, d.h. mit Zustimmung sdmtlicher Mitgliedstaa-ten, ausdriicklich eingerd.umt worden ist. Die einzelnen Handlungs-

]I Auch die EU kennt sehr wohl ein System der Gewaltenteilung und gegenseitigen Kontrolle(uChecks and Balances,), das als ninstitutionelles Gleichgewicht, bezeichnet und vom Eu-ropdischen Gerichtshof geradezu eifersiichtig geschiitzt wird; vgl. dazu Mlcnarr- Scsvtrr-zrnl\Weropuan Huvurr., Europarecbt, 5. Aufl., Neuwied 1996, 286 ff.. Zrm filschlichenund zum wahren Demokratiedefizit der EU vgl. auch FnaNr Evvtnr, Die institutionelleReform dzr Europiischen Union und die kanrtige Rolle dzs Europriischen Parhmenrs, in: Cortier/Kaddous (Hrrg.), Democracy and Federalism in European Integration, Swiss Papers onEuropean Integration, Nr. 1, Bern/Ziirich 1995,63 ff.So auch Mtcuarr ScuvErrzr,n, KornmentierungzuArtihel 145 EGI4 in: Grabitz/Hilf (Hrsg.),Kommentar zur Europlischen Union, Miinchen 1997, Rn. 1.

Vgl. Artikel 3b I und Artikel 4 I S. 2 EGV

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DrB SrBuuNc pER KrsrNstaerEN rN pen EU

ermlchtigungen der EU sind iiber die Griindungsvertrdge verstreut und wer-den als nRechtsgrundlageno bezeichnetra. Da fiir verschiedene Materien auchverschiedene Entscheidungsverfahren und Mehrheiten vorgeschrieben sind,wird in den Rechtsgrundlagen regelmdssig auch gleich die im Rat erforderlicheMehrheit, sowie die Form der Beteiligung des Europdischen Parlaments fest-gelegtl5.

Im Rat werden Entscheidungen einstimmig, mit einfacher Mehrheit odermit sog. nqualifizierten Mehrheit getroffbnt6. Rein rechtlich gesehen sind heu-te zwar die Bereiche die Ausnahme und nicht mehr die Regell7, in denen Ein-stimmigkeit erforderlich ist, d.h. in denen keine Entscheidung gegen die Stim-me eines einzelnen Staates, und sei er auch noch so klein, zustande kommenkann, de facta werden jedoch nach wie vor die meisten - und vor allem diewichtigsten Entscheidungen - im Konsensverfahren gefrlltt8. Dabei wird dieDebatte solange fortgesetzt, bis kein Staat mehr eine Gegenstimme erhebt.Hauptgrund fiir dieses faktische Verhalten ist der gegenseitige Respekt derMitgliedstaaten voreinander und die Erkenntnis, dass die Umsetzung undAnwendung des Gemeinschaftsrechts im innerstaatlichen Kontext regelmdssig

besser funktioniert, wenn dieses Recht nicht gegen die Stimme und die Inter-essen eines Staates zustande gekommen ist. Stimmenthaltungen stehen einereinstimmigen Entscheidung allerdings nicht entgegenre.

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l5

So z.B. Artikel 43 III EGV ftir den Erlass von Gemeinsamen Agrarmarktordnungen, Arti-kel 100a I EGV ftir die Rechtsharmonisierung im Binnenmarkt, oder Artikel l30s I EGVfiir Massnahmen im Bereich der Umweltpolitik.Eine Ubersicht i.iber alle Beschlussfassungsverfahren findet sich in Rar om EuRopAIscHEN

UNroN (Hrsg.), Bericht dzs Rates iiber das Funhtionieren da Wrnags iiber d.ie EuropiiischeUnion, Brissel 1995, 60 f .Fiir die Beteiligung des Parlaments am Legislatiwerfahren gibt es hingegen vier Haupt-formen: Blosse Anh<irung ohne Bindungswirkung ftir den Rat, das Verfahren der Zusam-menarbeit nach futikel 189c EGV das Mitentscheidungsverfahren nach Artikel 189b EGVsowie das Erfordernis einer positiven Zustimmung; vgl. dazu fucseno Connrrr/FnaNcrsJacoos/Mrcnelr SrncrrtroN, The Euro?ean Parliamen\ 3. Aufl., London 1995, 188 ff.,insbes. Table 15 (221 ff.), sowie FnaNr Enrr.teru, Europarecht (Anm. 7), 180 ff.Eine Liste der Rechtsgrundlagen, die Einstimmigkeit vorsehen, findet sich in M,tnrIN'Wtst-t rxp, The Coancil of the European Union, London 1995,112 f., sowie in Rar oEn EunopAr-scuru UNroN (Anm. 15), 54 f.MARTTN \Wpsruxl (Anm. 17), 110 f.Vgl. die ausdriickliche Regelung in Artikel 148 III EGV

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Evvenr / Bossasru

B. Entscheidungen mit einfacher Mehrheit

Nach Artikel 148 I EGV beschli€sst der Rat immer dann, wenn nicht im Ver-

trag ausdri.icklich eine andere Regel getroffen wurde, omit der Mehrheit seiner

Mitgliedern. Auch hier gilt also, wie bei den einstimmigen Entscheidungen,

das Prinzip (one state, one vote), ohne Riicksicht auf die Grtisse der einzelnen

Staaten. Fiir alle Entscheidungen nach dieser Abstimmungsregel ist derzeit

eine Mehrheit von mindestens 8 der 15 Mitgliedstaaten erforderlich, wobeidies auch die B kleinsten Mitgliedstaaten sein kiinnten, obwohl sie gemeinsam

nur rund 160lo der EU-Gesamtbevdlkerung reprdsentieren2o. Umgekehrt - unddies ist in der Praxis ungleich wichtiger - geniigen bei diesem Verfahren B

kleine Mitgliedstaaten, d.h. im Extremfall blosse 15olo der Bevcilkerung, umeine Entscheidung der grossen Mitgliedstaaten zu verhindern.

C. Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit

Bei einer zunehmende nZahlvon Sachgebieten ermoglichen die Vertrd.ge Ent-scheidungen mit qualifizierter Mehrheit. Dabei werden die Stimmen der Mit-gliedstaaten nach dem - politisch ausgehandelten - Schema des Artikels 148

II EGV (gewogen). Dieses Schema lehnt sich grob an die Bevolkerungszahlen

der Mitgliedstaaten an, d.h. <grdssere>, sprich bevcilkerungsreichere Mitglied-staat€n haben mehr Stimmen. Fiir eine Beschlussfassung nach diesem Verfah-ren sind im Rat mindestens 62 Stimmen erforderlich, was wiederum minde-stens 8 Mitgliedstaaten entsprichfl . 62 von 87 Stimmen entsprechen 710lo

aller Stimmen, die fiir eine Entscheidung zusammenkommen miissen. Umge-kehrt kijnnen Entscheidungen mit 26von 87 oder 30o/o aller Stimmen verhin-dert werden22. Diese 26 Stimmen werden als uSperrminoritdt> bezeichnet. InBev<ilkerungszahlen umgerechnet bedeutet dies, dass dem Erlass einer Ent-scheidung mindestens B Mitgliedstaaten zustimmen miissen, die mindestens

58o/o der EU-Gesamtbevcilkerung reprdsentieren, bzw. dass Entscheidungen

im Extremfall von den 7 kleinsten Mitgliedstaaten verhindert werden konnen,

A, B, DK, IRL, LUX, B S und SF haben zusammen 50,9 von 345,8 Mio. Einwohnern.In Einzelftllen ist vorgesehen, dass mindestens 62 Stimmen von mindestens 10 Mitglied-staaten vorliegen miissen.Zum sog. Ioannina-Kompromiss vgl. unten Anm. 36.

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DtE Srnr-r-uNc pER KrstusraerpN rN opn EU

die gerade einmal 12,5o/o der EU-Gesamtbevijlkerung reprdsentieren. Schlus-

sendlich bedeutet es, dass die grossen Mitgliedstaaten sich grundsltzlich nieiiber den \Tillen und die Interessen der Kleinstaaten hinwegsetzen krtnnen.

Auch bei dem Entscheidungsverfahren, das am ehesten eine Gewichtungder Stimmen im Rat nach der Bevrilkerungsgrcisse vorsieht, sind die Kleinstaa-

ten also deutlich im Vorteil. Ein Vergleich der Stimmgewichte zeigt, dass dieBevcilkerung des kleinsten Mitgliedstaats, Luxemburg, im Vergleich zur Be-

vcilkerung des grcissten Mitgliedstaats, Deutschland, bei Abstimmungen mitqualifizierter Mehrheit um den Faktor 1:40 h<iher bewertet ist23. Stellt manauf den Durchschnitt der 10 kleinen Mitgliedstaaten ab und vergleicht diesen

mit dem Durchschnitt der 5 grossen Mitgliedstaaten, so ergibt sich immernoch eine Hdherbewertung der Bevolkerung der kleinen Mitgliedstaaten umden Faktor 7:3,33.

Noch viel extremer ftillt die relative Uberbewertung der Bev6lkerungen inden kleinen Mitgliedstaaten in den Verfahren aus, bei denen Einstimmigkeitoder eine einfache Mehrheit erforderlich ist. Beim Vergleich von Deutschlandund Luxemburg gelangt man auf einen Faktor von 1 :201, da beide Staaten inden Abstimmungen das gleiche Stimmgewicht haben, obwohl Deutschlands

Bevolkerung iiber 200 Mal grdsser ist als die Luxemburgs. Bei der Heranzie-

hung des Durchschnitts der Bevdlkerung der 10 kleinen Mitgliedstaaten imVergleich zum Durchschnitt der Bevolkerung der 5 grossen Mitgliedstaatenergibt sich in den Verfahren nach dem Prinzip (one state, one vote) immerhinnoch eine Hciherbewertung des Stimmgewichts der Kleinstaaten um einenFaktor von l:7,6.

Die relative Uberbewertung der Mitspracherechte der Kleinstaaten ist fiirdie grossen Mitgliedstaaten letztlich nur deshalb akzeptabel, weil alle Erfah-rung zeigt, dass sich bei den Abstimmungen im Ministerrat stlndig wechseln-

de Koalitionen zusammenfinden.'Welche Staaten sich fiir und welche sich ge-

gen eine Massnahme aussprechen hengt von den konlreten Interessenlagen ab

und nicht von der Bevcilkerungszahl. Dies ist auch gut so, denn nur die Aus-

sicht mal mit der Mehrheit etlvas voranzubringen und hin und wieder auch

einmal mit der Minderheit zu unterliegen, jedenfalls aber nicht stdndig i.iber-

stimmt zu werden, motiviert die Staaten auf lange Sicht an dem Projekt dereuropdischen Integration mitzuarbeiten. Uberdies haben diejenigen Minister,

'z3 Je 200'000 Luxemburger sind mit einer Stimme im Rat vertreten, hingegen nur je 8,06Mio. Deutsche.

t2l

Eurr,renr / Bossarnr

die Kleinstaaten im Rat der EIJ vertreten, immer wieder bestd.tigt, dass ihreEinflussmiiglichkeiten viel weniger darauf beruhen, allein oder gemeinsam ei-nen Vorschlag blockieren zu kiinnen, sondern vielmehr darau{, dass es ihnenimmer wieder gelungen ist, durch Verhandlungsgeschick bei der Vermittlungzwischen gegensitzlichen Positionen, sowie durch Einbringung von innovati-ven Ideen und wohlbegri.indeten Vorschlagen, die Ergebnisse einer Beschlussfas-

sung entscheidend zu beeinflussenta. Das mit dabei sein und mitreden dtrfenist somit weit wichtiger, als die nominelle Anzahl von Stimmen und selbst als

die relative Uberbewertung der Kleinstaaten im Verhdltnis zu ihrer Beviilke-rung. Gerade dieser Punkt wird bei der Debatte in der Schweiz viel zu weniggesehen. Fiir alle Keinstaaten ist es dennoch gut zu wissen, dass bei Bedarf,d.h. wenn es um unertr?igliche Beschneidungen der Mitspracherechte kleinerStaaten ginge, eine optimale Absicherung der Minderheitenrechte in den Ver-trdgen, d.h. in den Verfassungsdokument€n der EU besteht.

D. Die rotierende Priisidentschaft im Rat

Nach Artikel 146II EGV wird der Vorsitz - in der Praxis spricht man allge-mein von der uPrdsidentschaft, - (von den Mitgliedstaaten nacheinander ftirje sechs Monate wahrgenommeno. Ahnlich wie bei den Entscheidungen mitEinstimmigkeit oder einfacher Mehrheit sind die Kleinstaaten den grossen hierv6llig gleichgestellt. Zur Absicherung einer gewissen Kontinuitdt gibt es zwardas sog. otoikar-System, bei dem die jeweilige Prdsidentschaft durch ihreVorgdngerin und Nachfolgerin unterstiitzt wird, wobei in jeder toika immermindestens ein grosser Mitgliedstaat vertreten sein soll. Das dndert aber nichtsdaran, dass alle Kleinstaaten im Rahmen ihrer Prdsidentschaft in gleicher \Wei-

se wie die grcisseren Mitgliedstaaten die Thgesordnungen und damit die Ar-beitsprioritdten bestimmen kcinnen. Bei heute 15 und ktinftig 20 und mehrMitgliedstaaten, und damit relativ langen Intervallen zwischen zwei Prd.sident-

schaften eines Mitgliedstaats, spielt zwar die Moglichkeit, ein Dossier gegen-

iiber anderen zu betonen nicht mehr so eine grosse Rolle, dennoch ist jede

Prdsidentschaft immer wieder bemiiht ihre eigenen Schwerpunkte zu serzen

und wd.hrend ihrer Amtszeit konkrete Erfolge vorweisen zu krinnen. Gerade

t* Der angelsdchsische Ausdrucktreffend.

t22

npower of the pen, charakterisiert dieses Phinomen

DrE, Srllr-uNc pgn Krp,rNslaeteN rN orn EU

fiir Kleinstaaten ist diesbeziiglich hervorzuheben, dass sie iiber die Prdsident-schaft und das Troika-System erheblich an internationalem Profil gewinnenund - im Vergleich zu jeder Art von Alleingang - in qualitativ anderer \7eiseam \Teltgeschehen mitwirken kcinnen.

E. Die Absicherung der Minderheitenrechte beiVertragsinderungen

AIle oben skizzierten Abstimmungsregeln im Rat, das System der rotierendenPrdsidentschaft, sowie die nachfolgend noch zu beschreibende, finlich vor-teilhafte Reprdsentation der Kleinstaaten in den anderen Institutionen der EU,sind in den Gri.indungsvertrdgen der EG und EU niedergelegt und kcinnendaher nur im formellen Vertragsdnderungsverfahren, d.h. mit Zustimmungaller Mitgliedstaaten gelndert werden. Die Zustimmung muss hierbei durchErlass eines entsprechenden Vertragsgesetzes erfolgen, d.h. je nach nationalemVerfassungsrecht mit Zustimmung einer besonders qualifizierten Mehrheit derVolksvertreter und eventuell nach Einholung der Zustimmung des Souverd,n

selbst in einer Volksabstimmung. Aus diesem Grund konnte z.B. der Maas-trichter Vertrag nach seiner Ablehnung durch eine - wenn auch knappe -Mehrheit der DInen in der Volksabstimmung vom 2. Juni 1992 zundchst nichtin Kraft treten und musste auch 1998 der Amsterdamer Vertrag wiederumdem danischen Volk zur Abstimmung vorgelegt werden.

Mit den Bestimmungen iiber die Vertragsdnderung, die in Artikel N EWniedergelegt sind, wird sichergestellt, dass die iiberaus giinstige Stellung derKleinstaaten in den Entscheidungsprozessen und bei der Reprd.sentation inden Institutionen zu keiner Zeit gegen deren \Willen abgedndert werden kann.Mitentscheiden kcinnen hier - wie in allen an dieser Stelle beschriebenen Ver-fahren - allerdings wiederum nur die Mitgliedstaaten. Je spdter sich die Schweiz

in den europdischen Integrationsprozess einbringt, desto mehr muss sie einbereits entwickeltes System iibernehmen, bei dessen Gestaltung sie nicht mit-reden konnte.

r23

ErrarraEnr / Bosserru

V Die Reprdsentation der Kleinstaaten imEuropdischen Parlament

Das Europdische Parlament wird seit 1979 von den Vcjlkern in den Mitglied-staaten direkt gewdhlt. Dennoch - und entgegen dem Verfassungsauftrag inArtikel 138 III EGV - gibt es bis heute kein einheitliches \Wahlverfahren inden Mitgliedstaaten. Entsprechend gibt es auch keine einheitlichen Regeln ftirdie Grcisse der \Wahlkreise. Die Sitze im Europiiischen Parlament werden viel-mehr zundchst nach einer politischen Kompromissformel, deren Ergebnis sich

in Artikel 138 II EGV findet, unter den Mitgliedstaaten aufgeteilt. Jeder Mit-gliedstaat besetzt dann nseine, Sitze entsprechend dem Ergebnis der Volks-wahl auf seinem Territorium, die nach nationalem rVahlrecht durchgefi.ihrtwird. Die erheblichen Unterschiede in den nationalen \Tahlsystemen reflek-tieren sich in erheblichen Unterschieden bei der Zusammensetzung der natio-nalen uDelegationenr. So entsandte Italien in der Legislaturperiode 1990-1994z.B. Vertreter von insgesamt 14 italienischen Parteien, wihrend aus dem be-

vrilkerungsmdssig vergleichbaren Frankreich nur Vertreter von 6 franzcisischen

Parteien nach Strassburg entsandt wurden. Im Europdischen Parlament schlies-

sen sich die Vertreter der verschiedenen nationalen politischen Gruppen dannallerdings in einer relativ kleinen Zahl von iibernationalen Gruppierungenzusammen. Deren wichtigste sind die Partei der Europdischen Sozialisten unddie Europdische Volkspartei.

'Wie bei den Stimmrechten im Rat beruht die Anzahl der Sitze im Parla-

ment, die den einzeinen Mitgliedstaaten zugeteilt wurde, auf einem politi-schen Kompromiss, der nur grob die Bevcilkerungszahl beriicksichtigt. \Wie

bei den Stimmrechten im Rat sind auch bei derAnzahl der Sitze im Parlament

die Kleinstaaten stark im Vorteil. Rechnet man aus, wieviele Biirgerinnen undBiirger aus den verschiedenen Mitgliedstaaten jeweils durch einen Abgeordneten

oder eine Abgeordnete im Europdischen Parlament vertreten sind, so ergibtsich eine Diskrepanz im Extremfall von 65'000 Luxemburgern zu 820'000Deutschen, d.h. eine Hciherbewertung des Kleinstaates Luxemburg um einenFaktor von 1:12. Stellt man wiederum auf den Durchschnitt der 5 grossen

gegentber dem Durchschnitt der 10 kleinen Mitgliedstaaten ab, so sind dieBevcilkerungen der Kleinstaaten immer noch rund doppelt so gut im Europdi-schen Parlament vertreten wie die Bevdlkerungen der grossen Staaten.

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DrE Srnu-uNc otn KrerNstaeteu tN oen EU

VI. Die Zusammensetzung der Europi"ischen Kommission

Die Europdische Kommission ist einerseits eine Behorde mit rund 18'000Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern25, andererseits ein Gremium von 20 Kom-missarinnen und Kommissaren. Zwar glbt es auch in der Behdrde ein System

von mehr oder weniger expliziten Ldnderquoten bei der Besetzung von Stel-len, das sicherstellt, dass alle Mitgliedstaaten in der Beh<irde reprdsentiert sind.\Teitaus wichtiger in den Entscheidungsprozessen ist jedoch das Gremium der20, auf das im folgenden etrvas ndher eingegangen werden soll.

Die Kommissare werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten nachden Artikeln 157 und 158 EGV ernannt. Obwohl dies nicht ausdriicklich imVertrag vorgesehen ist, haben die grossen Mitgliedstaaten, einschliesslich Spa-niens, seit jeher das Vorschlagsrecht fiir je zwei Kommissare und die kleinenfur je einen Kommissar.

Die Kommission trifft nachArtikel 163 EGV alle Entscheidungen mit dereinfachen Mehrheit ihrer Mitglieder. Damit ein Beschluss zustande kommt,miissen somit mindestens 11 von 20 Kommissarinnen und Kommissaren zu-stimmen. Beriicksichtigt man, dass die 5 grossen Mitgliedstaaten in der EUdurchschnittlich 58,4 Mio. und die 10 kleinen Mitgliedstaaten durchschnitt-lich 7,6 Mio. Einwohner haben, so ergibt sich auch hier, dass die kleinen,obwohl sie nur je einen Kommissar entsenden, im Verhdltnis zu ihrer Bevcjlke-

rung viermal besser in der Kommission reprdsentiert sind als die grossen.

Von diesen 18'000 sind rund l0'000 Personen im operativen Bereich tltig, davon ca. 3'900mit abgeschlossenem Hochschulstudium. Allein 2'700 Personen arbeiten im Sprachendienst,rund 4'500 verrichten Selretariats- und untergeordnete Verwaltungstdtigkeiten (alIe Zah-len stammen aus dem Jahre 1992, vgl. D*'ro SrENcr, Staf and Personell Policl in theCommission, in: Edwards/Spence (Hrsg.), The European Commission, London 1994,65 f .;durch den Beitritt von Finnland, Osterreich und Schweden zum I . Januar 1 995 haben sichdie Zahlen seither leicht erhdht). Entgegen weiwerbreiteten Vorurteilen beschiiftigt die EUKommission damit weniger Personen als z.B. die Stadwerwaltung von Amsterdam oder dasfranz<isische Kultusministerium (Dar,ro SlENcE, ebd.).

t25

Euvpnr / Bossarnr

VII. Mitspracherechte der Kleinstaaten in den sonstigenInstitutionen und Einrichtungen

Im Gerichtshof der Europdischen Gemeinschaften und im Gericht erster In-stanz gibt es je l5 Richterinnen und Richter, d.h. je eine oder einen aus jedem

Mitgliedstaat. Im Bereich der Judikative geht es allerdings nicht um die Aus-

iibung oderAbsicherung von Macht, sondern vielmehr darum, dass alle nationa-

len Rechtssysteme reprdsentiert sind und bei den Beratungen von Urteilen zu

\7ort kommen k6nnen. Mit diesem System wird wiederum sichergestellt, dass

die Besonderheiten, Bedtirfnisse und Interessen der Kleinstaaten im europdi-

schen Integrationsprozess nicht unter die Rider kommen. Einzig bei der Be-

nennungvon Generalanwllten ftir den Gerichtshofwird zwischen kleinen undgrossen Mitgliedstaaten unterschieden, wobei Spanien ausnahmsweise zu denkleinen gerechnet wird26. \Wdhrend die 4 grossen Mitgliedstaaten stdndig je

einen Generalanwalt nach Luxemburg entsenden kdnnen, rotieren die anderen

vier Stellen unter den 11 ukleinenn Mitgliedstaaten. Aus Sicht der Mitsprache-rechte der Kleinstaaten ist dies jedoch unproblematisch, da der Generalanwalt

als Vertreter des Gemeinschaftsinteresses auftritt und lediglich eine Entschei-

dungsempfehlung abgibt, an die die Richter in keiner \feise gebunden sind.Auch der Europiische Rechnungshof, der mit der Rechnungspriifung ftir

den Gemeinschaftshaushalt betraut ist und auf den sorgfiltigen Umgang mitden verfugbaren Mitteln zu achten hat, besteht aus 15 Mitgliedern, d.h. jeeinem Vertreter aus jedem der Mitgliedstaaten. Auch hier wd.re es miissig, eine

prozentuale Uberbewertung der Kleinstaaten anzugeben, da es beim Rech-

nungshof, noch mehr als beim Gerichtshof; nicht um Machtausi.ibung, son-

dern um faktische Mitsprache(miiglichkeiten) geht. Diese sind den Kleinstaa-

ten - wie praktisch iiberall in der EU - allerdings auch hier uneingeschrdnkt

gewdhrt und gesichert.

Ahnliches gilt fiir die neue Europdische Zentralbank. Hauptentscheidungs-

organ ist nach Artikel 12 der Satzung ESZBIEZB der EZB-Rat, in dem alle

Mitgliedstaaten, die an der'\7'dhrungsunion teilnehmen, mit den Gouverneu-

ren ihrer Zentralbanken vertreten sind. Entscheidungen werden nach Artikel10 der Satzung grundsdtzlich mit einfacher Mehrheit gefdllt. Das aus sechs

26 Vgl. Artikel 1 66 EGV und die Ratsbeschliisse vom 1. Januar 197 3 (ABI. 197 3 L 21 29), vom30. Merz 1987 (ABl. 1981 L 100/21),vom 11.Juni 1985 (BGBI. 1985 II 1261), sowie

beziiLglich des Beitritts von Finnland, Osterreich und Schweden (BGBI. 1994 Il2034).

126

Drp SrpuuNc oen KrBrNsraarEN iN pen EU

Mitgliedern bestehende Direktorium, in dem nicht alle (Klein-)Staaten verrre-ten sind, ist hingegen vor allem als ausftihrendes Organ vorgesehen, das sichbei der Fi.ihrung der Geldpolitik an die oleitlinienu des EZB-Rates halten muss.

Beztiglich der Mitspracherechte der Kleinstaaten im \Wirtschafts- und So-zialausschuss, sowie im Ausschuss der Regionen sei nur daraufverwiesen, dass

auch hier eine deutliche Uberbewertung im Vergleich zur Bevcilkerungszahlbesteht2T. Da beide Gremien lediglich beratende Aufgaben haben, wird aufnfiere Ausfiihrungen verzichtet. Ebenfalls nur erwd.hnt werden soll, dass sichdie Standorte der Europdischen Institutionen iiberwiegend in Kleinstaatenbefinden28.

VIII. Die Regelung der Amtssprachen in der EU

Mit ihren 11 Amtssprachen und dem welrweit grcissten Ubersetrungsdienstbietet die EU den griisstmoglichen Schutz der Sprachenvielfalt innerhalb derCemeinschaft und sichert somit die weitere Existenz der ukleinen', Sprachen.Mit Ausnahme des Galischen sind alle authentischen Sprachen der Mitglied-staaten Amtssprachen der Union. Nach dem Prinzip der gleichrangigen Ver-bindlichkeit steht den Btirgern im Verkehr mit den EU-Einrichtungen die\fahl der Amtssprache frei, wdhrend sie gleichzeitig den Anspruch erhebenkdnnen, eine Antwort in der gleichen Sprache zu erhalten. Daher ist die Uni-on auch verpflichtet, alle allgemeingtiltigen Hoheitsakte und alle offiziellenPublikationen immer - und grundsdtzlich sogar gleichzeitig - in allen 1lAmtssprachen zu veriiffentlichen. Der besondere Vorteil dieser Sprachenrege-lung - z.B. im Vergleich zum Europarat, der mit seinem System zum Schutzder Menschenrechte ebenfalls unmittelbar von Bedeutung ftir die innerstaatli-chen Lebensverhd.ltnisse ist - liegt darin, dass sich die nationalen Verwaltun-gen wie auch die Biirgerinnen und Burger in den (kleinen) Mitgliedstaatennicht zum Gebrauch des Englischen oder Franzcisischen gencitigt sehen unddass sie sich in der EU auch sprachlich uzu Hauseo ftihlen kcinnen. Eine Ande-rung dieses Sprachenregimes ist nur einstimmig mriglich2e.

27

z8

Vgl. insbes. Artikel 194 und 198a EGVNdher hierzu Sasna BarlLn, The Seat of the European Institutions - An Example of Small StaaInfluence in European Decision-mahingE|JlWorking Paper RSC No. 96128, Florenz 1996.Vgl. Artikel 2r7 EGV.

t27

Evvpnr / Bossannr

IX. Spezielle Schutzklauseln und sonstige

Ausnahmeregelungen3o

Die Grtindungsvertrige der EU enthalten eine Reihe von ausdriicklichen

Schutz- und Notstandsklauseln, die es einzelnen Mitgliedstaaten ermciglichen,

in begrtndeten Fdllen von gemeinsam beschlossenen Massnahmen abzuwei-

chen oder die Erftillung vertraglicher Pflichten auszusetzen. Beispiele sind Ar-tikel223 EGV zugunsten von owesentlichen Sicherheitsinteressenn, und Arti-kel 224 EGV zugunsten von Massnahmen bei uStorungen der <jffentlichen

Ordnungr. Die Regeln iiber die\Tiihrungsunion enthalten spezielleAusnahme-

vorschriften bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten eines Mitgliedstaats3l. Nach

dem Beitritt neuer Mitgliedstaaten haben diese wdhrend einer Ubergangszeit

die Mciglichkeit, Schutzmassnahmen zugunsten einzelner \Tirtschaftszweige

zuergreifen32. Diese Klauseln gelten selbswerstdndlich auch fur die Kleinstaaten.'Wichtiger

als die Schutz- undNotstandsklauseln sind in der Praxis die ver-

schiedenen Moglichkeiten der Mitgliedstaaten trotz einer Harmonisierung des

Rechts aufEbene der EU strengere oder schlicht andere Vorschriften beizube-

halten oder sogar neu zu erlassen. Als Beispiele seien hier nur die Artikel 100a

IV und 130t EGV genannt, die unter bestimmten Voraussetzungen Abwei-

chungen vom Binnenmarktrecht aus wichtigen Griinden des Allgemeininter-

esses, respektive strengere einzelstaatliche Umweltgesetzgebung erlauben.

\Teniger auf der rechtlichen, daftir umso mehr auf der politischen Ebene

wirkt schliesslich eine Absprache, die die Mitgliedstaaten im Jahre 1966 zur

Losung eines Konflikts in der Gemeinsamen Agrarpolitik getroffen haben und

die nach ihrem Geburtsort allgemein als Luxemburger Kompromiss bekannt

wurde33. Danach kann jeder Mitgliedstaat bei Beschliissen, die mit Mehrheitgefasst werden, usehr wichtige Interessenu geltend machen, um zu erreichen,

dass eine Abstimmungsniederlage unterbleibt und die Verhandlungen, d.h.

die Suche nach einem Kompromiss, noch weiter fortgesetzt werden. Zwar wirddiese Notbremse in der Praxis nur selten gezogen, aber allein ihre Existenz

30 Eine Typologie der Ausnahmeregeln findet sich bei EeEnF{ano Gnastrz/CoNsrANTroN

Irropour-os, Tqpologie der Dffirenzierangen undAusnahmen im Gerneinschafisrecht,in: Grabitz(Hrsg.), Abgestufte Integration - Eine Alternative zum herkcimmlichen Integrationskonzept?,

Kehl/Strassburg 1984, 31 ff.; vgl. auch den Beitrag von Dteltr FnslsuncHAus/ELIsABETH

EsenHaRTrn/MANnnro Sptpssr'ncrn in diesem Sammelband, 139 ff.31 Artikel 109h und 109i EGV.32 Artikel 226EGV.33 Der Text und weitere Erliuterungen finden sich in FnaNr Euvrnr, Europarecht (Anm. 7),

18 f.

128

Drp SrerruNc onn KLSTNsTAATEN IN oan EU

dtirfte sich nicht unerheblich auf das Verhandlungsklima und die Kompro-missbereitschaft derjenigen Mitgliedstaaten auswirken, die bei einem Streit an

sich der Mehrheit angehciren. Gerade fur Kleinstaaten, die weniger wirtschaft-liches und politisches Gewicht in die -Waagschale werfen kcinnen, ist diese

Miiglichkeit nicht uninteressant.Schon dieser kurze Uberblick zum Thema Schutzklauseln und Ausnahme-

regelungen zeigt wiederum, dass der EU eine Vielzahl von Instrumenten zur

Verfugung steht, die ihr ermoglichen, auf lJnterschiede in den Mitgliedstaatenadequat zu reagieren. Das Vorurteil von der Gleichmacherei und insbesondere

die biise Formel vom nkleinsten gemeinsamen Nennero in der EU sind damit

- wie die meisten Vorurteile - wieder einmal eher Ausdruck von mangelnder

Sachkenntnis als von realen Problemen.

X. Die Zukunftsaussichten ftir die Stellung derKleinstaaten in der EU

\7ie die Ausfiihrungen in diesem Beitrag gezeigt haben, werden die sog. uKlein-

staaten), zu denen auch die Schweiz zu rechnen wdre, bei der Vertretung inden Institutionen der EU und insbesondere bei den Entscheidungsprozessen,

iiberaus vorteilhaft beriicftsichtigt. Im Ministerrat werden bis heute de iareoder de facto die meisten und vor allem die wichtigsten Entscheidungen ein-

stimmig bzw. im Konsensverfahren gefillt. Bei den Entscheidungen, die der

Rat mit Mehrheit beschliessen kann, sind die Kleinstaaten deutlich im Vorteilgegeniiber den wesentlich bevcilkerungsreicheren Mitgliedstaaten. Ahnlichesgilt ftr die Reprdsentation der Kleinstaaten im Europdischen Parlament, inder Europlischen Kommission, im Gerichtshof der Europiischen Gemein-schaften, und in den sonstigen Institutionen und Einrichtungen der EU. Die-ser Minderheitenschutz ist wichtig, ja unerldsslich, denn angesichts der stark

heterogenen Struktur der Mitgliedstaaten, insbesondere was ihre Einwohner-zahl betrift, wiren streng bevcilkerungsproportionale Mitspracherechte ftir die

Kleinstaaten nicht akzeptabel3a. Solche Formen des Minderheitenschutzes sind

3a til/iirde man streng auf die Bev<ilkerungsgriisse abstellen, so kiinnte Deutschland, mit sei-nen 80,6 Mio. Einwohnern, bei jeder einzelnen Abstimmung fiir sich allein simtliche der-zeitigen 10 Kleinstaaten neutralisieren oder sogar iiberstimmen, da diese insgesamt nur auf76,4Mio. Einwohner kommen. Josmu H. H. Ws.lltn hat dieses Problem einmal wie folgt

729

Evvanr / Bossaanr

dementsprechend auch in praktisch allen anderen ftideralen Gebilden und Staa-

ten anzutreffbn.Auch in Zukunft wird es daher keine EU ohne starken Minderheitenschutz

in Form von tiberproportionalen Mitspracherechten der Kleinstaaten geben,

zumal diejenigen Kleinstaaten, die schon heute Mitglieder der EU sind, einerBeschneidung ihrer Rechte zustimmen mtssten. Dennoch muss davon ausge-

gangen werden, dass sich die bisher fiir die Kleinstaaten iiberaus vorteilhafteSituation nicht in vollem Umfang erhalten lassen wird. Ein Blick auf diejeni-gen Staaten, die sich derzeitig um Aufnahme in den Club der 15 bemtihen,zeigt ndmlich sofort, dass es sich dabei wiederum iiberwiegend um Kleinstaa-ten handelt3'. Zusd,tzlich muss man bedenken, dass nach dem bisherigen Sy-

stem die Budgetbeitriige an die EU praktisch ausschliesslich nach der volks-wirtschaftlichen Gesamtleistung bemessen werden, so dass die grossenMitgliedstaaten die finanzielle Hauptlast tragen. Zwischen Finanzbeitrdgen undStimmrechten gibt es keine unmittelbare Korrelation. In diesem Sinne sinddie wirtschaftlich noch weniger enrwickelten mittel- und osteuropdischen Bei-trittskandidaten nicht nur Kleinstaaten, sondern auch ktinftige NettoempFJn-ger, d.h. Staaten, die den EU Haushalt eher mehr kosten als alimentieren wer-den. Eine Fortschreibung des bisherigen Systems der Stimmgewichtung beiEntscheidungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat und bei der Bemessung

der Reprdsentation im Europdischen Parlament und den sonstigen Institutio-nen und Einrichtungen wiirde daher schon bald zu einer Situation fiihren, inder nicht nur die grossen Staaten und damit die Mehrheit der EU-Gesamtbe-vcilkerung von den Kleinstaaten iiberstimmt werden kdnnte, sondern die gros-

sen Staaten, die die finanzielle Hauptlast tragen, auch noch diejenigen Ent-

illustriert: Ein oBeitritt, zur Bundesrepublik Deutschland wZire ftu die 5,2 Mio. Dinenvtillig uninteressant, auch wenn ihre ebenbiirtige Mitsprache in den Entscheidungsprozes-sen im Deutschen Bundestag noch so gut abgesichert wire, da sie davon ausgehen mi.issren,als Gruppe in jeder einzelnen Abstimmung ohne jegliche reale Einflussmdglichkeiten zusein. Vgl. Joseln H. H. \7r,II-8r., European Dernocrary and hs Critics - Fiue Uneary Pieces,in:Cottier/Kaddous (Hrsg.), Democracy and Federalism in European Integration, Swiss Pa-

pers on European Integration, Nr. 1, Bern/Ziirich 1995,5 ff. (13 F.).35 Im Merz 1998 hat die EU Beitrittsverhandlungen mit insgesamt 6 interessierten Staaten

aufgenommen. Dabei handelt es sich um Estland (1,6 Mio. Einwohner), Polen (38,4 Mio.Einwohner), Slowenien (1,9 Mio. Einwohner), dieTschechische Republik (10,3 Mio. Ein-wohner), Ungarn (10,6 Mio. Einwohner), sowie Zypern (0,7 Mio. Einwohner). Im Sinneder eingangs prdsentierten Definition sind daher 5 dieser 6 Beitrittskandidaten Kleinstaa-ten und einzig Polen wlre ein mittelgrosser Mitgliedstaat, bev6lkerungsmdssig vergleichbarmit Spanien. Auch ein Blick in die fernere Zukunft zeigt, dass vor allem weitere Kleinstaa-ten als Beitrittskandidaren anstehen. Vgl. hierzu FnaNx Enurnr (Anm. 7), Abb. 8-1, 65.

130

Dra SralluNc upn KrErNsraarpN rN oEn EU

scheidungen finanzieren mi.issten, die ihnen gegen ihren'W'illen von den Klein-staaten aufgezwungen werden.

Dieses Problem wurde erstmals auf dem Europdischen Rat von Korfu, d.h.dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten im Mdrz1994 virulent. Damals stand die Erweiterung der 12er-Gemeinschaft um dieBeitrittskandidaten Finnland, Norwegen, Osterreich und Schweden an, diesdmtlich als Kleinstaaten anzusehen sind. Bei der Neufestlegung der Stimmge-wichtung im Ministerrat weigerte sich Grossbritannien, eine Verminderungseiner Vetorechte hinzunehmen und drohte damit, die Aufnahme der neuenMitglieder abzulehnen. Der Konflikt konnte schliesslich durch einen Formel-kompromiss beigelegt werden, wonach der Rat nach der Aufnahme der neuenMitgliedstaaten versuchen muss, durch weitere Verhandlungen eine Lcisung

zu finden, wenn in einer Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit zwar diefriihere, nicht aber die neue Sperrminoritdt erreicht wird36.

Schon bei der ndchsten Erweiterung der EU, mit der etwa im Jahre 2005gerechnet werden kann, wird sich das Problem allerdings nicht mehr so leichtlijsen lassen. Bei Aufnahme aller 6 derzeitig prioritdr verhandelnden Staaten

und bei einfacher Fortschreibung des bisherigen Systems wtirde ndmlich dieGesamtzahl der gewichteten Stimmen ftir Entscheidungen mit qualifizierterMehrheit im Rat von derzeit 87 auf 111, d.h. um knapp 2B%o ansteigen. DieEU-Gesamtbevcilkerung wiirde hingegen nur um rund 63,5 Mio. bzw. gutl7o/o zunehmen. Die Mitspracherechte der 5 grossen Mitgliedstaaten, die bis-her ftir gut 79o/o der EU-Gesamtbevtilkerung mit gut 55o/o der Stimmen imRat sprechen, wiirden deutlich abnehmen. Eine EU der 2l hltte mit Polen 6grosse Mitgliedstaaten, die allerdings fiir ihre gut 760/o der EU-Gesamtbevcil-kerung nur noch 50,45o/o der Stimmen bei Entscheidungen mit qualifizierterMehrheit im Rat zugeteilt bekdmen. \Tiirde auch nur einer der beiden mittel-grossen Staaten (E, PL) bei einer Entscheidung mit den Kleinstaaten stimmen,kdme es bei dieser Konstellation bereits zur Bevormundung der Mehrheit derEU-Bevolkerung durch eine Minderheit. Betrachtet man gar nur die derzeiti-gen 4 wirklich grossen Staaten, d.h. D, B I und UK, so wiirde deren Stimmge-wicht von derzeit individuell ll,5o/o und kumulativ 460/o auf individuellgo/ound kumulativ 360/o abnehmen, obwohl sie derzeit fast 690/o und ktinftig im-mer noch fast 59o/o der EU-Gesamtbevcilkerung reprisentieren wiirden. Einesolche Entwicklung ist daher nicht nur fur die grossen Mitgliedstaaten nicht

36 Die genaue Formulierung des sog. oloannina-Kompromisses, findet sich im ABl. 1994 C105/4, sowie in FnaNr Evvpnr (Anm. 7), 90.

t3r

Elavlnr / Bosseenr

akzeptabel, sondern wdre auch aus demokratietheoretischer Sicht unerwiinscht.Hinzu kommt, dass die EU durch die Aufnahme einer ersten Grupp€ vonmittel- und osteuropdischen Landern, deren wirtschaftliche, politische undsoziale Verhdltnisse sich z.T stark von denen der bisherigen Mitgliedstaatenunterscheiden und die auch nicht durch die gleichen historischen Erfahrun-gen geprdgt wurden, erheblich heterogener wird. Um die Handlungsfthigkeitder EU zu erhalten, miissen daher auch aus dieser Perspektive die Mechanis-men fur Mehrheitsentscheidungen i.iberprtift werden.

Als Losung des Problems zeichnet sich die Einftihrung eines Systems derdoppelten Mehrheit ab, d.h. man wird nach einer Formel suchen, nach der fiirEntscheidungen mit qualifizierter Mehrheit im Ministerrat nicht nur eineMehrheit der Stimmen, sondern auch eine Mehrheit der durch sie reprd.sen-

tierten Bevcilkerung erzielt werden muss. Nicht abzusehen ist bisher, ob bei

der Bevtilkerung die einfache oder eine irgendwie qualifizierte Mehrheit ver-langt werden wird. Denkbar ist auch, grundsdtzlich die einfache Mehrheit derBevcilkerung ausreichen zu lassen, fiir besonders wichtige Entscheidungen je-doch eine qualifizierte Mehrheit, z.B. von 213 der EU-Gesamtbevrilkerungvorzusehen,

Sowohl aus faktischen, wie auch aus demokratietheoretischen Griindenwerden sich die Kleinstaaten einer solchen Reform nicht grundsdtzlich ver-schliessen kdnnen, zumal sie dabei noch besser gestellt werden, als wenn an

ihrer bisherigen tiberproportionalen Stimmgewichtung grundlegende Ande-rungen vorgenommen wiirden. Da als dritter \Veg, neben der grundlegenden

Reform und der Einftihrung der doppelten Mehrheit, nur die Option einerDiskriminierung der neuen Mitgliedstaaten in Betracht kommt und diese un-terschiedliche Behandlung von bevolkerungsmdssig vergleichbaren Staaten invielerlei Hinsicht problematisch wd.re, kcinnten erste Schritte auf dem'Weg zurdoppelten Mehrheit schon auf dem Europdischen Rat von Cardiff im Juni1998 erkennbarwerden.

Bei einem zweiten Problem wird die Lrisung dagegen zu Lasten der grossen

Mitgliedstaaten erfolgen. Nach dem bisherigen System wi-irde nlmlich das

Gremium der Kommissare bei der Erweiterung der EU um insgesamt 6 neue

Mitgliedstaaten von 20 auf mindestens 26 Personen anwachsen. Angesichts

der nach wie vor begrenzten Zustdndigkeiten der EU ist es jedoch schon heuteschwierig, fur alle 20 Mitglieder sinnvolle und befriedigende Dossiers zu fin-den. In einem der EU-typischen Kompromisse ist daher in der aktuellen San-

ter-Kommission das Dossier Aussenpolitik und Aussenwirtschaftspolitik aufnicht weniger als vier Kommissare verteilt, wobei u.a. eine Aufteilung auf ver-

t32

DrB Sreu-uNc orn KlerNsraataN w opn EU

schiedene L?indergruppen erfolgt ist37. Gleichzeitig mit derAufnahme der ndch-sten Mitgliedstaaten wird das Problem voraussichtlich dahingehend geldst, dass

jedem Mitgliedstaat nur noch eine Stelle zugeteilt wird, d.h. die grossen Mit-gliedstaaten miissen auf ihre bisherigen zweiten Kommissare verzichten. Im-plizit fuhrt dies zu einer weiteren Aufwertung der Kleinstaaten bzw. einemteilweisen Ausgleich ftir die Reform der Stimmrechte im Rat bei Einftihrungvon doppelten Mehrheitserfordernissen.

Beztiglich des Europiiischen Parlaments werden durch ktinftige Erweite-rungen der EU um neue Mitgliedstaaten besonders diffizile Probleme aufte-worfen. Theoretisch kcinnte man das bisherige System einfach fortschreibenund die Anzahl der Sitze im Parlament jeweils um den Bedarf ftir die neuenMitgliedstaaten erhcthen. Dies ist allerdings nicht nur aus architektonischenGriinden nicht unbegrenzt moglich bzw sinnvoll. Das Parlament selbst be-ftirchtet bei einer weiteren erheblichen Vergrosserung nicht mehr handlungs-fahig zu sein und auf das Niveau eines Debattierclubs bzw. eines Volkskon-gresses abzusinken, bei dem relevante Entscheidungen, wenn iiberhaupt, nurnoch in Ausschiissen getroffen werden kcinnen. Die derzeit 626 Abgeordnetenhaben sich daher schon in ihrer Entschliessung zur Funktionsweise des Wrtragsilber die Europdische Union im Hinblich aufdie Regierungshonferenz 1996dage-gen verwahrt, das Parlament auf iiber 700 Personen wachsen zu lassen38. Dadie Aufnahme von weiteren Mitgliedstaaten nach Artikel O I EIIV nur mitZustimmung des Parlaments moglich ist, haben die Abgeordneten auch eineffektives Druckmittel, das unerwiinschte \Tachstum zu verhindern.

Das Problem stellt sich schon bei der nichsten Beitrittsrunde, da die 6prioritd,r verhandelnden Staaten nach dem derzeitigen System zusammen ca.

141 Sitze beanspruchen kiinnten, d.h. die Gesamrgriisse des Parlamenrs von626 auf 767 Abgeordnete ansteigen lassen wiirden. Auch hier kommen grund-sdtzlich nur zwei Lcisungen in Betracht: entweder die neuen Mitgliedstaatenwerden diskriminiert, bekommen also weniger Sitze, als ihnen nach dem altenSystem und im Vergleich mit finlich bevcilkerungsreichen Altmitgliedstaatenzustehen wiirden, oder die bisherigen Mitgliedstaaren mtissen einen Teil ihrerSitze aufgeben. \7egen der offensichtlichen Schwierigkeiten mit der ersrenLrisung wird man versuchen, im Rahmen der zweiten Losung einen politi-

17 Eine Aufstellung der Mitglieder und ihrer Zustindigkeitsbereiche findet sich in HnnurScHnttrvoN Syoov, KommentierungzuArtikel 162 EGVin: Groeben/Thiesing/Ehlermann(Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Verrrag, 5. Aufl., Baden-Baden 7997, Rn. 10.Entschliessung vom 17. Mai 1995, ABl. 1995 C 151156 tr. (63).

r33

Euvpnr / BossaEnr

schen Kompromiss zu finden. Die Kleinstaaten in der EU sind hierbei gegen

i.iberproportionale Kiirzungen zu ihren Lasten abgesichert, weil diese nur iibereineVertragsdnderungmciglichwdren. Ausserdem gibt es auch gegen die Stimme

nur eines (kleinen) Mitgliedstaats keine Aufnahme neuer Mitglieder.Da die allfellige Reform der anderen Institutionen und Einrichtungen teil-

weise sehr komplexe Fragen aufwirft3e und jedenfalls ftir die Stellung der Klein-staaten in der EU nur am Rande von Bedeutung sein wird, soll an dieser Stelle

auf nd.here Ausftihrungen verzichtet werden. Auch insoweit kann nur noch-mals wiederholt werden, dass alle derartigen Reformen nur mit Zustimmungjedes einzelnen Mitgliedstaats moglich sein werden, wodurch die Kleinstaaten

nachhaltig gegen unertrngliche Beeintrdchtigungen ihrer Stellung abgesichert

sind.

K. Mitentscheidungsrechte der Schweiz nach

einem Vollbeitritt

\Ttirde die Schweiz der EU in der ndchsten Runde, d.h. gemeinsam mit Est-

land, Polen, Slowenien, I-Jngarn, der Tschechischen Republik undZypern beitreten, so kcinnte sie prinzipiell damit rechnen, dass ihr 4 von 111

gewichteten Stimmen bei Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat

und rund 15 von 700 Sitzen im Europdischen Parlament zugeteilt wtirden.Dies wdren 3,60/o aller Stimmen bzw.2,1.o/o allerAbgeordneten. Bei rein nomi-neller Betrachtung wiirde die Schweiz daher keine irgendwie interessanten

Mitsprachemoglichkeiten erhalten, auch wenn die Schweiz mit diesen Zahlennoch relativ iiberbewertet wdre, angesichts der Thtsache, dass sie nur etwa 1,57o

der EU-Gesamtbevolkerung stellen wtirde.Das niichterne quantitative Bild hsst jedoch eine ganze Reihe von wichti-

gen Faktoren ausser Acht und wird dem europdischen Integrationsprozess da-

her nicht gerecht. \7ie in dem vorliegenden Beitrag ausgefuhrt wurde, gibt es

zum einen eine Vielzahl von Entscheidungen auf der Ebene der EU, die nach

wie vor einstimmig bzw. im Konsensverfahren ergehen, die von der Schweiz

also notfalls im Alleingang verhindert werden kdnnten. Dazu geh<irt nicht nur

3e Umfassend zur Reform des Europdischen Gerichtshofs Fnar*r EIr,ttr.tlnr, Der Europiiische

Gerichxhof ak Garant der Rechtsgemeinschafi, Basel t998 (in Vorbereitung).

134

Dre SrerruNc oen KrerNsraataN rN ou. EU

der Erlass von Sekunddrrecht in wichtigen Bereichen wie z.B. der Harmonisie-rung von Steuern, Bestimmungen iiber die Freizi.igigkeit, sowie iiber die Rech-te und Interessen der Arbeitnehmer4o, sondern vor allem jegliche Anderung anden Verfassungsurkunden der EU, die zu einer Verminderung der Mitsprache-rechte und damit einer Verschlechterung der Stellung von Kleinstaaten in derEU fiihren konnte. Zweitens spielen die Stimmgewichtungen im Rat immerdann keine Rolle, wenn mit einfacher Mehrheit der Mitglieder entschiedenwird. Bei solchen Beschlussverfahren hltte die ukleineo Schweiz genausovieleStimmen wie z.B. Deutschland mit iiber 80 Mio. Einwohnern und damit grtis-ster Mitgliedstaat der EU. Drittens wird das geringe Stimmengewicht kleinerStaaten durch die M<iglichkeit relativiert, je nach Sachgebiet und Beschlussvor-

lage Koalitionen mit gleichgesinnten Staaten zu schmieden. Viertens - undwohl am wichtigsten - ist das Recht, selbst Vorschlege zu unterbreiten, Argu-mente vorzutragen und Massnahmen mitzugestalten allen Mitgliedstaaten -aber auch nur diesen - ungeachtet ihrer Bevdlkerungsgrdsse gleichermassen

gegeben. In gleicher'Weise gilt das Prinzip der souverinen Gleichheit allerMitgliedstaaten bei praktisch allen anderen Institutionen, Einrichtungen undBeschlussverfahren, von der Ratsprdsidentschaft bis hin zur Gewfirleistungder Amtssprachen, bei denen die Schweiz lediglich auf das Rdtoromanischeverzichten miisste.

Zusammenfassend ldsst sich daher sagen, dass die EU derzeit ohne jedenZweifel das foderalistische Gebilde ist, bei dem weltweit die Rechte der klei-nen und kleinsten Mitglieder am weitreichendsten und besten abgesichert sind.

Diese Absicherung fuhrt wiederum dazu, dass die EU notgedrungen einhohes Mass an Toleranz und Flexibilitdt zeigen muss, wenn einzelne (kleine)Mitgliedstaaten Sonderwiinsche geltend machen. Umgekehrt ftihrt die Absi-cherung der mitgliedstaatlichen Rechte in den Aussenbeziehungen der EU zueinem hohen Mass an Inflexibilitdt. Dies zeigt sich am Beispiel der bilateralenVerhandlungen mit der Schweiz, ftir deren Abschluss auf Seiten der EU dieZustimmung aller Mitgliedstaaten erforderlich ist, so dass die Schweiz d.efacto

die Sonderwi.insche jedes einzelnen Mitgliedstaats erftillen muss, bevor es zueinem Vertragsabschluss iiber das Gesamtpaket kommen kann. Hinzukommr,dass die EU als Partner ftir die Schweiz nunmal wichtiger ist als umgekehrt. Jegrcisser der Club wird, desto mehr steigt nicht nur sein Gewicht auf der inter-nationalen wirtschaftlichen und politischen Ebene, sondern desto stdrker wer-

'o Vgl.Artikel 100a II i.V.m. Artikel 100 EGV.

135

Evvgnr / Bossasrr

den auch diese Effekte, die eine Begiinstigung der Mitgliedstaaten und spie-

gelbildliche Belastung der Nichtmitgliedstaaten bewirken.

XII. Schlussfolgerungen4l

1. Die Zeiten, als es fur die Schweiz vorteilhaft war, im europdischen Integra-

tionsprozess abseits zu stehen, sind spdtestens Anfang der 90er Jahre zu Ende

gegangen.

2. Bilaterale Verhandlungen mit der EU oder ein Aufwdrmen des E\(/R sind

Sonderwege, die zwar theoretisch eine Ausdehnung der wirtschaftlichen Vor-teile des europdischen Integrationsprozesses auf Nichtmitgliedstaaten ermcig-

lichen, die jedoch keinen Zugang zu der iiberaus interessanten Stellung eines

Kleinstaats innerhalb der EU gewfiren.

3. Sonderwege mit der EU sind auch deshalb schwierig und teuer, weil die

EU auf ihre extreme interne Heterogenitdt Riicksicht nehmen muss und ei-

nem Vertrag daher erst zustimmen kann, wenn die Interessen aller Mitglied-staaten befriedigt sind. Aus demselben Grund kann die EU sich jederzeit ge-

zwungen sehen, einen Vertrag zu ktindigen oder nicht zu verhngern.

4. Bei einem Vollbeitritt hatte die Schweiz weitaus mehr zu gewinnen als zu

verlieren. Der Zuwachs an Mitspracherechten in Angelegenheiten von euro-

pdischem Interesse iibersteigt den uPreiso in Form von Souverd.nitd.ts- und

Autonomieeinbussen bei weitem, da die EU intern in hohem Mass tolerant

ftir nationale Eigenheiten ist und gerade die Kleinstaaten auf vielftltige \7eise

vor Bevormundung und Fremdbesdmmung geschiitzt sind.

5. Interessanter als die nominelle Zahlvon Stimmen, Sitzen und Abgeordne-

ten in den Institutionen der EU ist die Mtiglichkeit, eigene Initiativen und

Ideen einzubringen. Fiir die schweizerische Politik, die bisher auf den sog.

(autonomeno Nachvollzug beschrdnkt ist, der in '!7'irklichkeit - und leider

zunehmend - oft nur noch ein (automatischero Nachvollzug ist, wiirde diese

Miiglichkeit einen Quantensprung bedeuten.

al SieheauchFRaNrEnr'.rnnr, SwitzerlandandtheEU-PartnersforBetterorforrVorse,EtropeanForeign Affairs Review 1998, im Druck.

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Drp, Srp,lr-uNc oln KrplNsraerpN IN opn EU

6. Die EU kann dzfacto neue Mitgliedstaaten nur noch gleichzeitig mit Neu-wahlen zum Europlischen Parlament aufnehmen, da jede Erweiterung miteiner Kiirzung der Sitze der Altmitgliedstaaten verbunden werden muss. Dienichste Erweiterungsrunde wird daher voraussichtlich aufAnfang 2005 statt-finden. Da es erhebliche Anstrengungen kosten wird, diese Erweiterung, bei

der erstmals auch Staaten aus Mittel- und Osteuropa zvr EIJ stossen werden,

institutionell und wirtschaftlich zu verdauen, ist mit nachfolgenden Erweite-rungen kaum vor dem Jahr 2075 oder 2020 zu rechnen. Eine Entscheidung

der Schweiz, bei der Erweiterung 2005 wiederum abseits zu stehen, wd.re da-

her eine Entscheidung fiir eine ganze Ceneration.

7. Mit jeder Erweiterung wird die EU heterogener. Mit jeder Erweiterungwerden daher konstitutionelle Reformen schwieriger. Da jede Erweiterungzugleich eine Neubewertung der Stimmrechte im Rat und andere konstitutio-nelle Reformen erfordert, macht jede Erweiterung zugleich jede spd.tere Erwei-terung schwieriger. Je spdter die Schweiz der EU beitritt, desto hoher wirddaher auch der Preis, weil sie zum einen immer strengeren Anforderungen

gentigen muss, die sich aus der Summe der Interessen aller Mitgliedstaaten

ergeben und weil sie zum zweiten ein immer ausdifferenzierter€s institutionel-les Gebilde und einen immer umfangreicheren acquis communautaire iber-nehmen muss, an deren Genese die Schweiz nicht mitwirken konnte und de-

ren Reform sie auch als Mitgliedstaat nicht erzwingen kann.

B. 'W'enn die Schweiz auf den aktuellen Beitrittszug noch aufspringen will, so

muss sie unverztiglich handeln.

oThe reasonable man adapts himself to the world,

the unreasonable one persists in trying to adapt the u.,orld to himself ,George Bernhard Shaw

oChange before you haue to!,

Jach \Yelch

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