der zerfall jugoswlawiens - flüchtlinge vom balkan

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Gabriele Yonan Flüchtlinge vom Balkan Zerfall, Krieg und Frieden im ehemaligen Jugoslawien STUDIENBRIEF SOZIO-KULTURELLE HINTERGRÜNDE DER HERKUNFTSLÄNDER IN OSTEUROPA Göttingen Institut für Berufliche Bildung und Weiterbildung, 1998²

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Gabriele Yonan

Flüchtlinge vom Balkan

Zerfall, Krieg und Frieden im ehemaligen Jugoslawien

STUDIENBRIEF

SOZIO-KULTURELLE HINTERGRÜNDE DER HERKUNFTSLÄNDER IN OSTEUROPA

Göttingen Institut für Berufliche Bildung und Weiterbildung, 1998²

2

INHALTSVERZEICHNIS Einleitung

1 GESCHICHTE 1.1 Vielvölkerstaaten im Osten Europas 1.2 Religionen und Konfessionen 1.3 Sprachen und Nationale Bewegungen im 19.Jahrhundert 1.3.1 Unionspläne 1.3.2 Teilung der Donaumonarchie und die Südslawische Frage 1.3.3 Der Berliner Kongreß 1878 und der Panslawismus 1.3.4 Die deutschen Interessen auf dem Balkan 1.3.5 Balkanbund und Balkankriege 1912-1913 1.4 Der Balkan im Ersten Weltkrieg

2 NEUORDNUNG IN OSTEUROPA NACH 1918 2.1 Entwicklung zwischen den beiden Weltkriegen 2.2 Folgen des Zweiten Weltkriegs in Osteuropa 2.3 Neuordnung nach 1945 - Entstehung der Volksrepubliken 2.4 Die Sowjetisierung Ostmittel- und Südosteuropas 2.5 Osteuropa nach Stalins Tod

3 JUGOSLAWIEN - VIELVÖLKERSTAAT UND NATIONALITÄTENFRAGEN

3.1 Bosnien-Herzegowina 3.2 Wechselvolle Geschichte 3.3 Der Zerfall Jugoslawiens

3

3.3.1 Der Kosovo 3.3.2 Austritt von Slowenien und Kroatien 3.3.3 Das Ende Jugoslawiens

4 Ausbruch des Bürgerkriegs 4.1 Krieg in Bosnien-Herzegowina 4.2 Kriegsopfer und Friedensinitiativen

5. Die internationale Gemeinschaft

5. 1. Diplomatische Friedensbemühungen

5. 2. Der Friedensbeitrag der UNO

5. 3. Der Weg zum Frieden

6. Das Friedensabkommen von Dayton

6. 1. Probleme der Umsetzung

6. 2. Kommentar zu den Wahlen in Bosnien

7. Flüchtlinge aus dem Balkan

7. 1. Mostar - eine geteilte Stadt

7. 2. Probleme der Rückkehr bosnischer Flüchtlinge aus Deutschland

7. 3. Ein "Friedensdorf für Bosnien"

4

APPENDIX

Minderheiten auf dem Balkan

8.1 Ungarn außerhalb Ungarns

8.2. Türken und Pomaken in Bulgarien

8.3. Die Mazedonische Frage

8.4. Albaner im Kosovo

8. 5. Roma - ein Volk ohne Rechte

8. 6. Minderheiten im Überblick

9 Balkansprachen

9.1 Entwicklung der modernen Literatursprachen 9.1.1 Rumänisch 9.1.2 Griechisch 9.1.3 Bulgarisch 9.1.4 Serbisch 9.1.5. Kroatisch 6.1.6 Albanisch 9.1.7 Makedonisch 9.2 Weltliteratur vom Balkan

Literaturverzeichnis

5

Einleitung

Weniger als ein Jahrzehnt ist vergangen, seit der sowjetische Reformpolitiker

Michail Gorbatschow mit Glasnost und Perestroika eine Entwicklung in die Wege

geleitet hat, die die Weltmacht Sowjetunion und dem kommunistischen

Herrschaftsbereich eingegliederten "Ostblock", das heißt Osteuropa,

Ostmitteleuropa und Südosteuropa, auseinandergesprengt hat.1 Damit wurde ein

Prozeß eingeleitet, dessen Ziel zunächst die Umgestaltung der

Einparteiensysteme zu Demokratien nach westlichem Muster war, unter

Beibehaltung sozialistischer Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen. Diesem

inneren Widerspruch konnten die verkrusteten Strukturen der diktatorischen

Nomenklatura-Systeme nicht standhalten. So mündete der Reform- und

Veränderungsprozeß in einen revolutionären Umbruch, der sich zwar weitgehend

unblutig, aber in atemberaubenden Tempo zwischen Elbe und Pazifischem Ozean

abspielte. Seine Folgen sind nicht nur im Osten, sondern auch im Westen zu

spüren, auf beiden Seiten wurde das festgefügte Weltbild eines halben

Jahrhunderts nachhaltig erschüttert.

Vor 45 Jahren hatte die Sowjetisierung in Ostmittel- und Südosteuropas nach

dem Zusammenbruch der deutschen Hitlerdiktatur und in direkter Folge des

Zweiten Weltkrieges begonnen. Hinter einem 'Eisernen Vorhang' als Schnittstelle

zwischen Ost und West entstand ein Gürtel von Satellitenstaaten von Polen bis

Bulgarien als dem Vorfeld des Sowjetimperiums. Mehrfach kam es in diesen

Staaten zu Erhebungen, so 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn, 1968 in der

Tschechoslowakei, welche blutig niedergeschlagen wurden. Jugoslawien unter

Tito scherte schon früh aus diesem „Ostblock“ aus (1948) und schlug einen

eigenen Weg zum Sozialismus ein, während sich Albanien nach 1967 an China

orientierte und später ganz isoliert eine Art kommunistischen Sonderweg

einschlug.

1 Zum Ostblock zählten die in der Sowjetunion vereinigten Unionsrepubliken, die Volksrepublik Polen, die

DDR, Tschechoslowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien. Bis in die 1960er Jahre galt auch Albanien als

Ostblockstaat. Der Ostblock wurde auf drei Ebenen zusammengehalten: politisch-ideologisch durch das

Bündnis der Kommunistischen Parteien, das Kommunistische Informationsbüro (Kominform), gegründet

1947, wirtschaftlich durch den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), gegründet 1949, militärisch

durch die Warschauer Vertragsorganisation, gegründet 1955. vgl. Jens Hacker, Der Ostblock. Entstehung,

Entwicklung und Struktur 1939–1980, Baden-Baden 1983.

6

Der Stalinismus mit seinen Säuberungen, Schauprozessen, Liquidierungen,

omnipotenten Staatssicherheitsapparaten wurde nach 1956 von der

einsetzenden Periode der Entstalinisierung abgelöst. Die Vormacht der

Sowjetunion blieb aber uneingeschränkt erhalten. Politik, Wirtschaft und

Gesellschaft wurden durch die Ideologie eines Marxismus-Leninismus geprägt,

der als utopischer Gesellschaftsentwurf keinen Bezug zu den historischen und

gegenwärtigen Entwicklungen der Ostblockstaaten hatte und zudem von der

herrschenden Funktionärsschicht, der 'Nomenklatura', für deren eigene Zwecke

mißbraucht wurde.

Erst 1980 kam es zu einem neuen Aufbruch innerhalb des Ostblocks, als die

Arbeiter der Danziger Leninwerft in Polen in den Ausstand traten und damit eine

Streikwelle im ganzen Land auslösten. Es bildete sich eine unabhängige

Gewerkschaft ‚Solidarnost’, die erste nicht von der kommunistischen Partei

kontrollierte politische Kraft in einem kommunistischen Land. Ein von der

Sowjetunion drohender Truppeneinmarsch konnte nur dadurch abgewendet

werden, daß Ende 1981 das Kriegsrecht in Polen verhängt wurde. Die

Gewerkschaft Solidarnost ging in den Untergrund, wurde aber von weiten Teilen

der polnischen Bevölkerung unterstützt. Auch unter der Bevölkerung benachbarter

"Bruderstaaten" wurde Solidarnost als hoffnungsvolles Zeichen möglicher

Veränderungen angesehen.2

Mit Titos Tod im Jahre 1980 begannen im Vielvölkerstaat Jugoslawien, der sich

schon in den sechziger Jahren nach Westen hin geöffnet hatte, erste Unruhen,

die auf eine Entwicklung des möglichen Zerfalls bereits hindeuteten. Die Albaner

im Kosovo forderten eine eigene Teilrepublik, in der autonomen Republik

Vojvodina kam es durch serbisch-nationalistische Bestrebungen zu Unruhen.

Unter diesen Vorzeichen hatte die seit 1985 von Michail Gorbatschow eingeleitete

Reformpolitik auf die sogenannten Ostblockstaaten Ostmittel- und Südosteuropas

zunächst eine von der sowjetischen Vormundschaft befreiende Wirkung, die sich

gegen die Monopolansprüche der eigenen Kommunistischen Parteien richtete und

einen Demokratisierungsprozeß in die Wege leitete. Ungarn und Polen waren die

2 Das Kriegsrecht in Polen 1981–1983 war eine Maßnahme des Regimes der Volksrepublik Polen unter

Wojciech Jaruzelski, um die Demokratiebewegung um die Gewerkschaft Solidarność zu zerschlagen. Es war

7

ersten Staaten, in denen sich eine Trennung von Partei und Staat vollzog. Nach

einem Übergangszustand lösten sich die kommunistischen Einheitsparteien auf

und es wurden freie Wahlen durchgeführt.3

Der gesellschaftliche Umbruch, der seit 1989 endgültig und unumkehrbar

Osteuropa und die gesamte Sowjetunion erfaßt hat, brachte nicht nur die

voraussehbaren wirtschaftlichen Probleme. Vielmehr zeigte sich, daß die

zweifellos tiefgreifenden Wandlungen der 45jährigen kommunistischen Herrschaft

das vielgestaltige historische und kulturelle Erbe besonders der europäischen

Region nicht ausgelöscht hatte. Erneut werden Grenzen in Frage gestellt, brechen

Nationalitätenkonflikte auf, die vor zwei Jahren mitten in Europa in einen der

grausamsten Kriege seit dem Zweiten Weltkrieg führten. Um den Zerfall

Jugoslawiens, aber auch die Konflikte zwischen Ungarn und Rumänien sowie das

Auseinanderbrechen der Tschechoslowakei in die Staaten Tschechien und

Slowakei, die Minderheitenkonflikte überall in Südosteuropa verstehen zu können,

ist es notwendig, einige der historisch-kulturellen Grundbedingungen der Staaten

und Völker dieser Region zu kennen. Um so mehr, als die ethnischen

Voraussetzungen Osteuropas fortbestehen werden und ein sich ausbreitender

Flächenbrand ganz Europa betreffen könnte.

Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien hat die größte Flüchtlingswelle in Europa

seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Millionen Menschen sind auf der Flucht vor

Massenmord, Bombenterror, Folter, Hunger und Elend.

Die unfaßbaren Greuel, denen bisher bei den ethnischen Säuberungen für ein

"Großserbien"4 moslemische Bosnier, aber auch andere Bevölkerungsgruppen

im ehemaligen Jugoslawien zum Opfer gefallen sind, hat die Weltöffentlichkeit

erschüttert zur Kenntnis genommen. Insgesamt sind es etwa eine Viertelmillion

Tote, hunderttausende Verletzte und für immer Versehrte, eine halbe Million

mit der Militarisierung von Verwaltung, Wirtschaft und Medien, der Aufhebung von Bürgerrechten sowie

einer das ganze Land erfassenden Verhaftungs- und Repressionswelle verbunden. 3 Vgl. Margarditsch A. Hatschikjan/Peter R. Weilemann (Hrsg.), Parteienlandschaften in Osteuropa. Politik,

Parteien und Transformation in Ungarn, Polen, der Tschechoslowakei und Bulgarien 1989 - 1992, Paderborn

u.a. 1994. 4 Der historisch-sprachliche Hintergrund: Der serbische Linguist Vuk Karadžić vertrat die Ansicht, wonach

alle Slawen, die einen štokavischen Dialekt sprechen, Serben seien und die Serbische Sprache sprechen.

Gemäß dieser Definition wären große Teile Kroatiens sowie Bosnien-Herzegowina serbisches

Siedlungsgebiet, und die dort lebenden Kroaten und Muslime wären Serben. Nach Karadžićs linguistischer

8

Flüchtlinge, die in Westeuropa angekommen sind. Ein großer Teil von ihnen ,

etwa 250 000 dieser Kriegsflüchtlinge, hat in Deutschland Aufnahme gefunden

1 Geschichte

1.1. Vielvölkerstaaten im Osten Europas

Bis in die zweite Hälfte des 18.Jahrhunderts bestand ein breiter Staatengürtel: in

Ostmitteleuropa und Südosteuropa: Polen-Lituauer, die Böhmischen Länder und

Ungarn, im Norden die Baltischen Länder und nach Südosten hin die

mittelalterlichen Reiche auf dem Balkan, die zwischen dem 14. und 16.Jahrundert

von den Türken erobert und dem Osmanischen Reich einverleibt wurden.

Das mittelalterliche Königreich Polen hatte sich im 14. Jahrhundert mit dem

Großfürstentum Litauen zu einem der größten Flächenstaaten Europas

verbunden und existierte bis ins späte 18. Jahrundert hinein als Adelsrepublik mit

monarchistischer Spitze und einer ständischen Verfassung, wie sie für

Ostmitteleuropa in der frühen Neuzeit charakteristisch war. Durch die

sogenannten Polnischen Teilungen wurde das Territorium seit 1772 immer

stärker begrenzt bis 1795 das Ende der staatlichen Existenz Polens eintrat.

Eine ständische Verfassung hatten auch die Böhmischen Länder - Böhmen,

Mähren, Schlesien -, die im mittelalterlichen Heiligen Römischen Reich zeitweilig

den Mittelpunkt bildeten. Im späten 14. Jahrhundert war die Stadt Prag

Kaiserresidenz. 1526 kam es zur Union mit den habsburgischen österreichischen

Erbländern und Ungarn, die bis zum Ersten Weltkrieg Bestand hatte. Nach einem

Ständeaufstand gegen den Kaiser zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges

verloren die Böhmischen Länder ihre Selbständigkeit und fielen an das

Habsburgerreich.

Ungarn vermochte seine Eigenständigkeit in gewissem Umfang auch unter der

Herrschaft der Habsburger zu bewahren, die im frühen 16. Jahrhundert die

ungarische Krone ihrem Machtbereich einverleibt hatten, während ein Teil

Definition der Serbischen Nation wären jedoch die torlakisch sprechenden Bewohner Südserbiens keine

9

Ungarns zur gleichen Zeit von den Türken erobert und dem Osmanischen Reich

einverleibt worden war. Dadurch war Ungarn in zwei Kulturkreise aufgeteilt. Als

Ende des 17. Jahrhunderts die Türken von den Habsburgern zurückgedrängt

wurden, bewahrte Ungarn eine größere Selbständigkeit als andere Nationen

dieses Vielvölkerimperiums.

Südosteuropa5 lag jenseits der sogenannten ‚Türkengrenze’ und war nach der

türkisch-osmanischen Eroberung vom übrigen Europa weitgehend abgeschnitten.

Das schon im 9. Jahrhundert entstandenen Bulgarische Reich und das einige

Jahrhunderte später im Nordwesten entstandenen Serbische Reich, das im 14.

Jahrhundert seine größte Ausdehnung erreicht hatte, waren vom östlichen

Christentum geprägt. Die Invasion der osmanischen Heere (Schlacht auf dem

Amselfeld 1389) beendete die Selbständigkeit der südslawischen Völker, konnte

jedoch nicht ihre religiöse und kulturelle Identität auslöschen, die besonders durch

das Fortbestehen der Nationalkirchen erhalten blieb. Da den Angehörigen

christlicher Völker unter den Osmanen keine Aufstiegschancen gegeben wurde,

sie waren in der Mehrzahl landlose Bauern, trat eine Minderheit von ihnen im

Laufe der fünfhundert Jahre andauernden Türkenherrschaft zum Islam über. (vgl.

Pomaken in Bulgarien, Moslems in Bosnien).

1.2 Religionen und Konfessionen

Bis heute wird deutlich, daß Ostmittel-- und Südosteuropa am nachhaltigsten

durch die religiös-konfessionelle Entwicklung der Frühzeit geprägt worden ist .

Hierin haben die Nationalkulturen ihre Wurzeln und auch die historisch-politisch

Entwicklung der Neuzeit bis in die Gegenwart knüpft daran an.

Die endgültige Spaltung der Kirche in eine Ost- und eine West-Kirche durch das

Konzil von 1054 in Konstantinopel, hat in Europa eine kulturelle Spaltung

verursacht. Die westkirchlichen Völker bekannten sich zur römisch-katholischen

Serben. Diese Sichtweise wird als sprachlicher Panserbismus bezeichnet. 5Vgl. Konrad Clewing, Oliver Jens Schmitt (Hrsg.): Geschichte Südosteuropas. Vom frühen Mittelalter bis

zur Gegenwart, Pustet, Regensburg 2011

10

Kirche mit Rom als ihrem Zentrum und benutzen die lateinische Schrift. Die

ostkirchlichen slawischen orthodoxen Völker dagegen benutzen die kyrillische

Schrift. Eine Ausnahme bilden die Rumänen, die, obwohl zur Orthodoxie

gehörend, seit zwei Jahrhunderten ebenfalls das lateinische Alphabet

gebrauchen. Außerdem sind einige im Mittelalter noch ostkirchlich geprägten

Gebiete später unter römische-päpstliche Oberhoheit gebracht worden, konnten

aber ihre ostkirchliche Liturgie beibehalten, wie die Ukrainer, die aber das

kyrillische Alphabet nicht aufgaben. Die Grenze zwischen der Ost- und

Westkirche, die ungefähr entlang der alten Grenze zwischen der westlichen und

der östlichen Hälfte des Römischen Reiches verläuft, trennte auch ursprünglich

kulturell zusammenhängende Völker, deren Sprache nahezu gleich war wie die

katholischen Kroaten und die orthodoxen Serben.

Eine weitere Kirchenspaltung entstand im 16.Jahrhundert innerhalb der

lateinischen, römisch-katholischen Kirche durch die deutsche Reformation, die

sich zunächst schnell in Ostmitteleuropa ausbreitete. So wurde Schlesien

protestantisch, erst im 17./18.Jahrhundert kam es unter der Herrschaft

Österreichs zu einer Rekatholisierung der Bevölkerung.

In Böhmen vollzog sich schon hundert Jahre vor Luther eine Reformation, durch

den Prager Magister Jan Hus (1369-1415), die als religiös-soziale Bewegung der

Hussiten weit über die Böhmischen Länder hinaus ging und zu einer eigenen

hussitischen ("utraquistischen“) Konfession in Böhmen geführt hat. Aus dieser

Glaubensgemeinschaft sind in einem Seitenzweig die "Böhmischen Brüder"

hervorgegangen, die wegen ihres radikalen Pazifismus immer wieder aus Böhmen

vertrieben wurden.

Luthers Reformation fand vor allem unter den Deutschen Anhänger, die in

Böhmen und Mähren , in den Städten Polens, in den südlichen habsburgischen

Ländern und bei den Siebenbürger Sachsen lebten. Zum Kalvinismus tendierte

der ungarische Adel.

11

Im 16.und 17. Jahrhundert war Ostmitteleuropa von einer christlich-

konfessionellen Vielfalt geprägt.6 Die in einzelnen Ländern vorherrschende

ständische Gesellschaftsordnung begünstigte das Nebeneinander verschiedener

Glaubensbekenntnisse.

Mit der Stärkung des absolutistischen Staates ging auch die Rekatholisierung

einher. Die katholische Kirche hatte seit dem Konzil von Trient (1545-1563) eine

Erneuerung erlebt und ihren Einfluß wieder verstärken können. Im Zuge dieser

"Gegenreformation" konnten große Teile der reformierten Bevölkerung wieder

zurückgewonnen werden, besonders in den Gebieten, wo das ständische System

geschwächt war. So in Böhmen, wo 1620 in der Schlacht am Weißen Berg bei

Prag ein protestantischer Ständeaufstand niedergeschlagen wurde und die

katholische Partei des Kaisers siegte. Die protestantischen Adelsfamilien wurden

vertrieben. In Polen bildete das Symbol des erstarkenden Katholizismus die

Erhebung der Mutter Gottes zur Königin Polens in Tschenstochau 1655, das noch

frei von feindlichen Truppen war. Auch Ungarn wurde von kaiserlichen Truppen

zum Teil erobert und rekatholisiert.

In den südosteuropäischen Gebieten, die im 15. Jahrhundert unter osmanische

Herrschaft gelangt waren, war der Islam für fünfhundert Jahre die kulturell

prägende Religion der Herrscher. Damit ging eine Islamisierung einer, es

entstanden größere Bevölkerungsteile, die teils mit Zwang, teils aus

gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen zum Islam übertraten. So nahm

das früher christliche Albanien Ende des 15. Jahrhunderts in weiten Teilen des

Landes den Islam an, nur eine kleine Minderheit hielt am Christentum fest. In

Bosnien, der Herzegowina und Bulgarien entstanden gleichfalls größere

moslemische Bevölkerungsgruppen.

Juden bildeten in den zentralen ostjüdischen Siedlungsgebieten z.B. in Ostpolen,

in der Karpatenukraine , in der Bukowina einen eigenen Bereich sozialen Lebens.

Häufig waren sie Ziel von Antisemitismus und Pogromen, die Flucht- und

6 vgl. Evelin Wetter (Hrsg.), Formierungen des konfessionellen Raumes in Ostmitteleuropa, Stuttgart 2008.

12

Auswanderungsbewegungen zur Folge hatten.

1.3. Sprachen und Nationale Bewegungen

Weniger bedeutsam als die Religion oder Konfession für die kulturhistorische

Prägung war die Sprache in der frühen Neuzeit. Seit dem Mittelalter waren fast

überall in Europa zwei Sprachen in Gebrauch: die Kult- und Kirchensprache, die

auch für die Wissenschaft und das Rechtswesen benutzt wurde und die

verschiedenen Volkssprachen. In der Westkirche war das Lateinische im

Gebrauch, in der Ostkirche herrschte das Kirchenslawische7 vor, in einigen Teilen

des Balkanraumes das Griechische. Beide Kult- und Liturgiesprachen waren von

den Volkssprachen weit entfernt und unverständlich für die große Masse der

Bevölkerung. Für die Juden, die in Ostmitteleuropa in eigenen

Glaubensgemeinschaften von der übrigen Gesellschaft sprachlich und religiös

isoliert lebten, war das Hebräische Kultsprache, die Umgangssprache dagegen

das Jiddische (jiddisch-daitsch), ein aus dem Mittelhochdeutschen

hervorgegangenes, mit Sprachelementen aus slawischen, romanischen und

orientalischen Sprachen angereichertes Idiom.

Zu der Verschiedenheit von Kult- und Volkssprache kam noch eine weitere

sprachliche Differenzierung zwischen der sozial führenden, privilegierten

Schichten des Adels und des städtischen Bürgertums einerseits und der

Bauernbevölkerung andererseits hinzu.

Bis ins 18. Jahrhundert hatte dieses Nebeneinander verschiedener Sprachen und

Sprachschichten keine Konflikte hervorgebracht. Erst als im 19.Jahrhundert die

Zeit der Nationalbewegungen begann, wurde auch der Sprachenfrage große

Bedeutung beigemessen. Ein anschauliches Beispiel bietet das Königreich

Ungarn, wo die bäuerlichen Unterschichten Kroatisch, Slowakisch, Rumänisch,

Deutsch usw. sprachen. Die Sprache der Oberschicht, das Magyarische, wurde

im 19. Jahrhundert zur Staatssprache erhoben und erlangte dadurch eine

7 Kirchenslawisch ist eine traditionelle Liturgiesprache, die in den slawischsprachigen Ländern von den

orthodoxen Kirchen und den katholischen Ostkirchen verwendet wurde oder, in den slawischen orthodoxen

Kirchen, verwendet wird. Sie entstand im Rahmen der Slawenmission durch Kyrill und Method und war bis

in die Neuzeit die wichtigste slawische Literatursprache. Vgl. August Schleicher, Die Formenlehre der

13

Vormachtstellung, die von den anderen Nationalitäten als starkes Element der

Unterdrückung empfunden und schließlich durch eigene Nationalbewegungen und

Nationalsprachen bekämpft wurde.8

Ein anderes Beispiel: nach der Einverleibung der polnischen Ostgebiete ins

Zarenreich wurde das Russische hier offizielle Staatssprache, der polnische Adel,

die privilegierte Schicht, sprach weiterhin Polnisch, die Bauernbevölkerung hielt an

ihren Volkssprachen, Ukrainisch, Weißruthenisch oder Jiddisch fest.

Man kann zusammenfassend feststellen, dass im Zeitalter der

Nationalstaatenbildung des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts der von

Sprachvölkern getragene Nationalismus die Leitideologie war.

1.3.1. Unionspläne im 19. Jahrhundert

Das Erwachen eines nationalen Bewußtseins der Völker im Donau- Balkan-Raum

setzte bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit der Rückbesinnung

auf die eigene ethnisch-kulturelle Identität ein und erreichte gegen Mitte des 19.

Jahrhunderts politisch artikulierte revolutionäre Höhepunkte. Unter der

jahrhundertlangen Fremdherrschaft hatten diese Völker und Volksgruppen

teilweise ihre Sprache und nationale Identität verloren. Das Streben nach

Eigenstaatlichkeit und Unabhängigkeit fand in organisierten Aufständen und

Revolten seinen Ausdruck. Im Zusammenhang mit diesen Befreiungsbewegungen

entstanden verschiedene politische Programme und diplomatische

Vereinbarungen, denen Unions- und Föderationsideen zugrunde lagen.

In Odessa hatten sich Anfang des 19.Jahrhunderts griechische Emigranten

zusammengefunden und die Geheimorganisation Philike Hetairia (1814) zur

Befreiung Griechenlands von der türkisch-osmanischen Herrschaft gegründet.

Dieser Organisation traten auch rumänische, serbische, bulgarische und

kirchenslawischen Sprache erklärend und vergleichend dargestellt. Nachdruck H. Buske Verlag, Hamburg

(1998). 8 Die aus der Magyarisierung resultierende Unzufriedenheit der nichtmagyarischen Bevölkerung des

Königreichs Ungarn war 1918 eine der Hauptursachen des Zerfalls des Vielvölkerstaats nach Ende des Ersten

Weltkriegs.

14

albanische Emigranten bei, die für ihre Völker das gleiche Ziel anstrebten und sich

nach der Befreiung in einer Konföderation zusammenschließen wollten.

Im Frühjahr 1821 erhoben sich die Griechen gegen die jahrhundertelange

Osmanenherrschaft. Mit Unterstützung Frankreichs und Englands erzwangen sie

1829 im Friedensvertrag von Adrianopel die Anerkennung ihres Staates durch den

Sultan. 1832 proklamierten sie den bayrischen Prinzen Otto von Wittelsbach zu

ihrem ersten König. Der Freiheitskampf der Griechen wurde bald zu einem

weltgeschichtlichen Ereignis, an dem ganz Europa Anteil nahm. Öffentliche

Appell, den leidenden Mitchristen bei der Befreiung vom Joch der osmanischen

Großmacht zu helfen, erweckte in Deutschland die Bewegung des

Philhellenismus. Der Zeitgeist verherrlichte das antike Griechenland und

unterstützte den Freiheitskampf eines der ältesten Kulturvölker Europas gegen

das als barbarisch empfundene Osmanische Reich. Doch als Griechenland nach

jahrelangen Kämpfen endlich seine Unabhängigkeit errungen hatte, blieben die

übrigen Gebiete des Balkans zunächst weiter unter türkischer Herrschaft.

Der serbische Minister Ilja Garaschanin (1812-1874) trat in seinem 1844

veröffentlichten Werk "Nacertanje" („Der Plan“) für eine Balkan-Konföderation ein,

wobei er aber keine vollständige Unabhängigkeit anstrebte, sondern die nominelle

Oberhoheit des türkischen Sultans akzeptierte. Dem südslawischen

Staatsgebilde sollten Serbien, Kroatien, Bosnien, Montenegro, das südliche

Ungarn, wo vorwiegend Serben lebten, und Bulgarien angehören. Damit wollte

Garaschanin der russischen Expansion entgegentreten, die sich hinter der

politischen Unterstützung der slawischen "Brudervölker" verbarg.

Dieser Plan ging in großen Teilen auf den Einfluß des polnischen Fürsten Adam

Czartoryski (1770-1861) zurück, der schon in den dreißiger Jahren des 19.

Jahrhunderts weitgespannte Konföderationspläne hatte, die sich auf die

Wiederherstellung des polnischen Staates bezogen und eine ostmittel-

europäisch-balkanische Union unter Einbeziehung des Süden Rußlands bis hin zu

den kaukasischen Völkern anstrebten.

Sein Plan wurde von dem ungarischen Nationalisten Lajos Kossuth (1802-1894)

aufgegriffen, nachdem der ungarische Aufstand 1848 gescheitert war. Sein

Entwurf einer Donaukonföderation basierte auf der Vorstellung, daß neben

15

Ungarn in seinen historischen Grenzen die slawischen Völker im Westen, Norden

und Nordwesten Ungarns und die Walachen sich zusammenschließen, um ihre

nationalen Eigenarten bewahren zu können.

"Sonst werden Polen, Tschechen, Kroaten, Slowenen, Serben Dalmatiner und alle andern einzeln

oder alle zusammen absorbiert, oder sie verlieren in der Idee des Panslawismus(die mit einem

russischen Protektorat unweigerlich zusammenfällt) ihre eigene Nationalität."9

Schon damals gab es wegen Gebietsansprüchen nationale Gegensätze,

abgesehen davon war die osmanische Regierung dafür nicht zu gewinnen.

Es gab auch südslawische Pläne, wie den "Bund der christlichen Balkanvölker"

des aus der ungarischen Batschka (Bácska) stammenden Mihailo Polit-Desančić

(1833-1920) Neben den Südslawen sollten auch Rumänen und Griechen dem

Bund angehören. Die förderalistisch-republikanische Verfassung dieser Union war

eine Konzeption nach dem Vorbild der Schweiz. Die Losung "Der Balkan den

Balkanvölkern" und die föderalistischen Ideen von Polit-Desančić haben später

auch andere südslawische Politiker aufgegriffen.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts gewann die Panserbische Bewegung von

Südungarn aus auch in Serbien selbst Raum. An ihrer Spitze stand der serbische

Fürst Michael Obrenovic (Mihailo Obrenović III.,1823-1868) und sein

außenpolitischer Berater Garaschanin. Seine Großserbischen Ideen wurden von

Rußland und Frankreich unterstützt. Die Ermordung des Fürsten am 10. Juni 1868

zog einen vorläufigen Schlußstrich unter die großserbischen Balkanpläne jener

Zeit.

Rumänische Konföderalisten träumten von einem großrumänischen Staat Groß-

Dakien, der die Walachei, Moldau, Bessarabien, Dobrudscha, und Siebenbürgen

umfassen und in den Donau-Balkan-Staatenbund eingebracht werden sollte.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielten Konföderations- und

Föderationspläne im Donau-Balkan-Raum keine Rolle mehr, dafür wurde die aus

Westeuropa kommende Idee der nationalstaatlichen Emanzipation um so stärker.

9 Joachim Kühl, Förderationspläne im Donauraum und in Ostmitteleuropa, München 1958, S. 19

16

Der fortschreitende innere Zerfall des Türkisch-Osmanischen Reiches und sein

schrittweiser Rückzug aus Südosteuropa sowie die Umgestaltung der österreichi

schen Donaumonarchie schufen die Voraussetzungen, die schließlich zu einer

politischen Neugestaltung des Balkanraumes geführt haben.

1.3.2. Teilung der Donaumonarchie und die Südslawische Frage

Der Vielvölkerstaat Österreich, die Donaumonarchie, war staatsrechtlich ein sehr

kompliziertes Gebilde, hervorgegangen aus der Hausmacht der Österreicher und

nach Kronländern gegliedert, die Eroberungen der Habsburger waren. Diese

Kronländer, in denen eine deutsche, slawische und romanische Bevölkerung

lebte, behielten auch nach der Eingliederung in das Imperium ihre alten Grenzen

und Sonderrechte. Unter Kaiserin Maria Theresia entstand nach preußischem

Vorbild eine neue zentralistische Verwaltungsstruktur, deren oberste

Verwaltungsbehörde für die österreichischen und böhmischen Länder sich in

Wien befand. Das Kronland Ungarn behielt indessen eine eigene Administration,

die ungarische Hofkanzlei. Während der Revolution von 1848 forderten die

Ungarn ihre staatliche Unabhängigkeit. Nachdem Österreich mit Hilfe Rußlands

den Aufstand des ungarischen (magyarischen) Kleinadels blutig niedergeschlagen

hatte, bestanden zwischen Wien und Budapest starke Spannungen. Unter der für

Ungarn günstigen politischen Entwicklung kam es 1867 zur Teilung der Habs-

burger Monarchie in zwei Staaten mit eigenen Verfassungen und Regierungen.

Diese Gründung ging als Ungarischer Ausgleich in die Geschichte ein und schuf

die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie, K. u. K., die aus dem Königreich

Ungarn und den im Wiener Reichsrat vereinigten Königreichen und Ländern

bestand. Beide Reichshälften waren durch die Außenpolitik, das Heerwesen und

die Finanzen verbunden.

Ein ungarischer Nationalstaat war damit keineswegs geschaffen worden, denn

von den 19 Millionen Einwohnern im Königreich Ungarn waren nur 7,4 Millionen

Magyaren, gegenüber 2,4 Millionen Rumänen, 2,6 Millionen Serben und Kroaten,

2,1 Millionen Deutschen, 2 Millionen Slowaken, 0,4 Millionen Ruthenen und

verschiedenen anderen Volksgruppen wie Bulgaren, Armeniern, Juden, Zigeu -

nern. Der Einheitsstaatsgedanke Westeuropas war für Mittel- und Südosteuropa

völlig ungeeignet. Die ungarische Führungsschicht versuchte ihn mit einer

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zielstrebigen Magyarisierungspolitik durchzusetzen. Die ungarische Sprache

wurde Amtssprache, strenge Schulgesetze sollten die anderen Nationalitäten

"entnationalisieren" und zu einer ungarischen Nation verschmelzen. Das

Gegenteil davon trat ein: die Südslawische Frage und der Großserbische

Nationalismus traten der ungarischen Nationalitätenpolitik entgegen.

Die nationalen Gegensätze im Habsburgerreich steigerten sich zum

Nationalitätenkampf, nachdem durch den ungarischen Ausgleich von 1867 eine

vielleicht möglich gewesene Föderalisierung durch die ungarischen

Zentralisierungsbestrebungen verhindert worden war. Auch in der

österreichischen Hälfte verschärfte sich der deutsch-slawische Gegensatz. Dem

Beispiel der Ungarn folgend, strebten die Deutschen hier nach der Vorherrschaft

in ihrer Reichshälfte. Hier waren es die Tschechen, die ihre Selbständigkeit

verlangten.

Die südslawische Frage, die in Ungarn durch den Widerstand der Kroaten gegen

die Magyarisierungspolitik entstanden war, existierte in beiden Reichshälften,

denn Südslawen - Serben, Kroaten und Slowenen - lebten sowohl in der

österreichischen wie in der ungarischen Reichshälfte. Wollte man diese Frage

lösen, so mußte der Dualismus Ungarn-Österreich überwunden und das

Autonomieverlangen der Südslawen berücksichtigt werden, die sich bei der

Neuordnung 1867 völlig übergangen sahen.

In Österreich-Ungarn lebten damals 3,2 Millionen Serben und Kroaten sowie 1,3

Millionen Slowenen. Letztere waren in der Südsteiermark, Südkärnten und der

Krain ansässig, also in den Kronländern der österreichischen Reichshälfte, und

hatten Parlamentsvertreter in Wien. Kroaten und Serben wohnten im Küstenland

Dalmatien, Slowenien, Südungarn, Bosnien und in der Herzegowina. Obwohl

beide Völker ursprünglich vielleicht aus einem Volksstamm hervorgegangen

waren, hatten sie sich im Laufe ihrer Geschichte voneinander getrennt, was auch

ein Ergebnis der großen Kirchenspaltung im Mittelalter gewesen ist und eine

Folge der von den beiden christlichen Zentren Rom und Byzanz ausgehenden

Missionstätigkeit. Während die Kroaten katholisch wurden, das lateinische

Alphabet übernahmen und sich kulturell nach Westen orientierten, wurden die

Serben orthodox, übernahmen das kryillische Alphabet und orientierten sich am

18

byzantinischen Kulturkreis. Beide Völker gerieten im 15. Jahrhundert unter die

Türkenherrschaft, von der die meisten Kroaten aber infolge der Türkenkriege des

Prinzen Eugen von Savoyen (1663-1736) befreit wurden.

Erst ein Jahrhundert später gelang es den Serben, sich in Aufständen gegen die

Türken zu erheben, die 1804 und 1813 unter Kara Georg (Karadjordje oder Georg

Petrowitsch Czerny, 1762-1817) und unter Miloš Obrenović (1780-1860) 1815 bis

1817 stattgefunden haben. Seitdem existierte ein unabhängiges Fürstentum

Serbien, das auf die außerhalb seiner Grenze lebenden Serben mit Beginn der

Nationalitätenkämpfe eine große Anziehung hatte und schließlich Teil des

großserbischen Reichsgedanken wurde. Aus kulturellen und konfessionellen

Gründen waren die Kroaten zunächst dagegen, unter dem Druck der

Magyarisierung schwand dieser serbo-kroatische Gegensatz und trat zugunsten

der allgemeinen südslawischen Frage in den Hintergrund.

1.3.3. Der Berliner Kongreß 1878 und der Panslawismus

1875 hatte ein Bauernaufstand in der Herzegowina, die damals noch unter

türkischer Oberhoheit stand, das Signal zur allgemeinen Erhebung der Balkanvöl-

ker und zum Russisch-Türkischen-Osmanischen Krieg 1877-78 gegeben. Schon

lange hatte Rußland das Ziel, die Erbschaft des sich auflösenden

Osmanenreiches anzutreten und nutzte die Entwicklung auf dem Balkan für seine

eigenen Interessen. Mit dem Russisch-Türkischen Friedensvertrag von San

Stefano im März 1878 konnte Rußland seinen Einfluß vergrößern und gegenüber

den europäischen Großmächten ein Übergewicht erlangen. Der im Juni 1878 (13.

Juni bis 13. Juli) einberufene Berliner Kongreß sollte dieses Übergewicht

korrigieren. Die Zusammenkunft führender Staatsmänner der europäischen

Großmächte und der Türkei, die in Berlin unter dem Vorsitz des deutschen

Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) stattfand, sollte durch die

Neuaufteilung der Balkangebiete dort ein europäisches Gleichgewicht herstellen

und die Gegensätze der Großmächte untereinander abbauen. Dieses Ziel konnte

aber nicht erreicht werden, stattdessen verschärften sich die Spannungen. Als

Ergebnis verzichtete Rußland auf das Protektorat über Großbulgarien, das in ein

selbständiges, der Türkei aber tributpflichtiges Fürstentum und die türkische

Provinz Ostrumelien aufgeteilt wurde. Rußland erhielt dafür Bessarabien und

19

Gebiete im Osten des Osmanenreiches. Rumänien bekam die Dobrudscha (rum.

dobrogea) und wurde, wie auch Serbien und Montenegro, unabhängig. Österreich

erhielt als Protektorat Bosnien und die Herzegowina, diese Gebiete unterstanden

dem K.u.K.-Finanzministerium, das von Österreich und Ungarn gemeinsam

verwaltet wurde, so daß damit ein Sonderstatus vorlag und sowohl Wien als auch

Budapest auf die ehemaligen türkischen Provinzen Einfluß nehmen konnten.10

Damit hatte sich Österreich-Ungarn nur ein weiteres ungelöstes Problem

aufgebürdet, denn in Bosnien und Herzegowina lebten damals schon drei

Bevölkerungsgruppen, deren religiöse und politische Gegensätze durch die

Okkupation noch verschärft wurden:

674. 000 orthodoxe Serben, 334. 000 katholische Kroaten und 548. 000 slawische

Moslime.

Letztere waren jahrhundertelang die Grundbesitzer und Landeigentümer, die

christlichen Kleinbauern ausbeuteten und unterdrückten. Eine Landreform

durchzuführen, hätte in Ungarn, wo ähnliche Agrarverhältnisse herrschten, zu

Unruhen geführt. In den Städten beherrschten Moslime den Handel.

Rußland fühlte sich nach dieser Neuordnung auf dem Balkan, die das

angeschlagene Osmanenreich im Interesse der europäischen Großmächte vor

dem endgültigen Zusammenbruch vorübergehend bewahren konnte, um seinen

Sieg gegen die Türken betrogen. Für die Balkanvölker waren die Beschlüsse

unbefriedigend und ein Provisorium, die nationalen Fragen blieben ungelöst

geblieben. Unter dem Scheinfrieden, der in Berlin gestiftet worden war, verbargen

sich alte und neue Konflikte.

Seit dem letzten Russisch-Türkischen Krieg hatte sich von Rußland aus die

Bewegung des Panslawismus auch unter der Südslawen verbreitet. Seine

Ideologie wurde vor allem von russischen Intellektuellen und Schriftstellern

verbreitet. Der berühmte Dichter Fjodor Mikhailovich Dostojewski (1821-1881)

setzte sich enthusiastisch für die kulturelle Wiedergeburt und Vereinigung aller

Slawen ein. Hauptträger des Panslawismus war die 1857 gegründete "Slawische

10 Horst Haselsteiner: Bosnien-Hercegovina. Orientkrise und südslavische Frage. Verlag Böhlau, Wien 1996.

20

Wohltätigkeitsgesellschaft", die im Sinne des großrussischen Nationalismus

wirkte. Im Laufe der Zeit gingen von dieser Gesellschaft der wichtigste Impulse

zur Gründung zahlreicher Verschwörergruppen und Geheimbünde in den

Balkanstaaten aus.

Serbien, das durch die Berliner Neuordnung im Süden Gebiete gewonnen hatte,

wurde 1882 Königreich (Краљевина Србија/Kraljevina Srbija). Mit seinen zwei

Millionen Einwohnern erhielt es später eine Schlüsselstellung als die Österreich-

freundliche Dynastie Obrenović beseitigt wurde.

Die Wiener Regierung war nicht in der Lage, eine Initiative zur Lösung der

südslawischen Frage zu unternehmen, obwohl nach 1878 der größte Teil der

Südslawen innerhalb der Grenzen des Habsburger Reiches lebte und Anspruch

auf ein autonomes Staatsgebilde hatte.

Die verschieden gelagerten Interessen Wiens und Budapests in der

Südslawenfrage waren das größte Hindernis. So suchten die südslawischen

Völker Unterstützung und Rückhalt bei Rußland, das seine politischen Aktivitäten

auf dem Balkan auch nach dem Berliner Kongreß fortsetzte.

Als unter russischem Einfluß die Provinz Rumelien 1885 erneut dem Fürstentum

Bulgarien einverleibt wurde, erklärte das Königreich Serbien, unterstützt von

Österreich-Ungarn, dem Fürstentum Bulgarien den Krieg. Der bulgarische

Vormarsch nach Serbien wurde aber wegen russischer Vorbehalte und einer

Interventionsdrohung Österreichs abgebrochen. Im Frieden von Bukarest am 3.

März 1886 wurden die Vereinigung Bulgariens mit Ostrumielien, aber auch die

Vorkriegsgrenzen zwischen Bulgarien und Serbien anerkannt.

1.3.4. Die Annexion Bosniens und Herzegowinas und ihre Folgen

Um die Jahrhundertwende (1900) waren Verschwörergruppen und Geheimbünde

für die großserbischen Bestrebungen aktiv. Am bekanntesten und historisch

folgenschwersten waren zwei von ihnen: Die von serbischen Offizieren

gegründete 'Crna Ruka' ('Schwarze Hand' ), die am 10. Juni 1903 durch eine

Verschwörung von Offizieren nter Führung von Dragutin Dimitrijević (1876-1917)

die Ermordung des österreichfreundlichen Königs Aleksandar Obrenović (1876-

21

1903) und seiner Frau Draga Mašin (1864-1903) in Belgrad durchführten.

Dimitrejewitsch, der von seinen Mitverschwörern "Apis" genannt wurde und später

auch maßgeblich in das den Weltkrieg auslösende Attentat von Sarajewo

verwickelt war, stand in direkter Verbindung mit dem späteren serbischen

Premierminister Nikola Pašić (1845-1926) und der kaiserlich-russischen Botschaft

in Belgrad, von wo aus der Königsmord gelenkt wurde. Zum König von Serbien

wurde Petar I Karađorđević (1844-192) ernannt, ein Anhänger der prorussischen

Schwarzen Hand und des weitverzweigten slawischen Geheimbundes Omladina

('Jugend'), der schon 1848 als studentisch-literarischer Verein in Preßburg

gegründet worden war, dann 1866 in Novi Sad umgestaltet und als politisches

Instrument der Befreiungsbewegungen eingesetzt wurde. Belgrad war nun das

Zentrum großserbischer Propaganda, die sich verstärkt auch in Bosnien und der

Herzegowina ausbreitete. In Wien erkannte man zwar die Gefahr für die

Donaumonarchie nach dem Umsturz in Belgrad, man unternahm aber offiziell

nichts, obwohl Westeuropa den Einmarsch österreichischer Truppen in Serbien

erwartet hatte. In politischen Geheimverhandlungen, die zwischen dem

österreichisch-ungarischen Außenminister Alois Lexa von Aehrenthal (1854-1912)

und dem russischen Außenminister Alexander Petrowitsch Iswolski (1856-1919)

stattfanden, wurde mit der Annexion Bosniens und der Herzegowina, die bisher

nur unter österreich-ungarischem Protektorat gestanden hatten, nun aber

staatsrechtlich einverleibt wurden, eine neue Balkankrise heraufbeschworen, die

sich auch auf die europäische Großmächtelage auswirkte. Beide Minister kamen

am 16. September 1908 in Buchlau (Mähren) überein, daß Rußland der Annexion

zustimmt, wenn Österreich-Ungarn im Gegenzug Rußland bei der

Dardanellenfrage unterstützen würde. Der österreichische Kaiser Franz Joseph I.

(1830-1916), dienstältester europäischer Monarch seit 1848, gab die Annexion am

5. Oktober 1908 feierlich bekannt, damit war den großserbischen

Expansionswünschen ein Ende gesetzt. Als sich aber nach der Bekanntgabe der

russische Minister Isvolski von den Buchlauer Vereinbarungen distanzierte, war

die europäische Krise nur dadurch einzudämmen, daß sich Deutschland an die

Seite Österreich-Ungarns stellte.

In Bosnien und der Herzegowina wurden nun Verfassung und Landtag

eingeführt, das änderte aber nichts an der wachsenden Feindseligkeit der

22

Bevölkerung. Inzwischen hatte sich eine serbo-kroatische Koalition gebildet, die

gemeinsamen Ziele überwogen die historischen Gegensätze. Im Dezember 1908

bildete sich die Organisation Narodna Odbrana (Nationale Verteidigung), welche

die Befreiung Bosniens mit Freiwilligen-Milizen plante und mit anderen

Geheimbünden zusammenarbeitete. Wieder war es Dragustin Dimitrejevic, unter

dessen Führung serbische Offiziere 1911 in der Geheimorganisation Ujedinjenje ili

smrt (‚Einheit oder Tod’) terroristische Aktionen vorbereiteten, um ihr radikales

politisches Programm durchzusetzen. 1913 wurde Dragutin Dimitrijević (1876-

1917), genannt Apis, Chef des serbischen Geheimdienstes, es gelang ihm, seine

Agenten in die beiden feindlichen Lager der Habsburger und der Osmanen

einzuschleusen und zu unterwandern.

Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand (1863-1914)

am 28 Juni 1914 in Sarajewo, ausgeführt von dem noch minderjährigen

bosnischen Serben Gavrilo Princip (1894-1918), wurde von Dragutin Dimitrejevic

geplant und organisiert und führte letztlich zum Ziel: am Ende des Weltkrieges

waren die Vielvölkerimperien Donaumonarchie und das Osmanenreich zerstört,

die Südslawen konnten sich in einem Königreich vereinigen. Der Führer von

"Einheit oder Tod" erlebt das nicht mehr, Dragustin Dimitrejevic wurde 1917 in

Saloniki des Hochverrats angeklagt und hingerichtet. Erst 1953 rehabilitierte ihn

der Oberste Gerichtshof der Volksrepublik Serbien.

1.3.5. Die deutschen Interessen auf dem Balkan

Von einer deutschen Politik in südosteuropäischen Fragen kann erst seit dem

Berliner Kongreß (1878) gesprochen werden. Hier beteiligte sich Deutschland

erstmals als Großmacht an der Erörterung der Balkanfrage, wobei für Bismarck

nicht deutsche Interessen nicht so stark im Vordergrund standen, sondern sein

Rolle als Vermittler, - als „ehrlicher Makler“ - , die den europäischen Frieden

erhalten sollte, den das junge Deutsche Reich (gegründet 1871) für die innere

Entwicklung und Festigung dringend brauchte,.

Da mit der Revision des Vorfriedens von San Stefano auf dem Berliner Kongreß

Rußland um seien Sieg des letzten türkisch-russischen Krieges gebracht worden

war, dafür aber sein Rivale Österreich-Ungarn einen Vorteil erreichte, nämlich die

23

Erlaubnis zur militärischen Besetzung und Verwaltung der beiden türkischen

Provinzen Bosnien und Herzegowina, kühlten auch die deutsch-russischen

Beziehungen ab. Bismarck schloß deshalb 1879 das deutsch-österreichische

Verteidigungsbündnis im Falle eines russischen Angriffs. Obwohl der

Reichskanzler betonte, daß sich das Bündnis nur auf den Schutz des

österreichischen Territoriums, nicht aber auf die Vertretung österreichischer In-

teressen im Balkan und Orient beziehen würde, bedeutete dieses Bündnis eine

Verwicklung Deutschlands in die österreichische Balkanpolitik. Daß er gleichzeitig

mit Rußland die Verständigung suchte und die südosteuropäischen Fragen dabei

kein Hindernis bilden sollten, bewies er mit dem sogenannten zwischen beiden

Mächten abgeschlossenen Rückversicherungsvertrag (1887), der auch

Bestimmungen über die Orientalische Frage und die Haltung des Deutschen

Reiches dazu enthielt. So erkannte Deutschland die "geschichtlich erworbenen

Rechte Rußlands" auf der Balkanhalbinsel an, insbesondere dessen Einfluß auf

Bulgarien und Ostrumelien.

Während Österreich-Ungarn den gesamten Balkanraum als einen benachbarten

Markt betrachtete, den es seiner Industrie offen halten wollte, sah Deutschland bis

1890 darin kein Gebiet von unmittelbar eigenem Interesse, sondern nur ein

Streitobjekt zwischen Rußland und Österreich, das genutzt werden mußte, um

Deutschland die Rolle des "Züngleins an der Waage" dieser beiden Mächte zu si-

chern.

In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts erlebte Deutschland einen

ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung. Bismarcks "Politik der kontinentalen

Beschränkung" wurde abgelöst durch den Eintritt Deutschlands in die Weltpolitik.

Nach Bismarcks Rücktritt (März 1890) nahm die deutsche Orientpolitik unter

Kaiser Wilhelm II. (1859-1941), der 1888 den Thron bestiegen hatte, und den nun

regierenden Politikern des "Neuen Kurses" eine andere Wendung. Zwar hatte

auch unter Bismarck die Erhaltung des Türkischen Reiches als eine politische

Notwendigkeit gegolten, die neue politische Entwicklung strebte aber die Stärkung

der Türkei an. Ein Ausgangspunkt dafür waren die Konzessionen für den Bau der

Bagdadbahn, die 1888 der Deutschen Bank von der türkischen Regierung erteilt

worden war.

24

Ein Jahr später besuchte der deutsche Kaiser den türkischen Sultan in Konstan-

tinopel (1889), damit war die bis heute andauernde „deutsch-türkischen

Freundschaft eingeleitet.

Um seine wirtschaftlichen Beziehungen mit den Balkanländern ausbauen zu

können, brauchte Deutschland auf dem Balkan Ruhe, daher sein Interesse an

einer österreichisch-russischen Verständigung.

Nach 1890 erlebten die deutschen Handelsbeziehungen mit den Balkanstaaten

tatsächlich einen bedeutenden Aufschwung. Ein gutes Beispiel dafür ist die

Statistik über die Warenausfuhr nach Bulgarien, wo zwischen 1891 und 1895

Deutschland mit 9,2 % nach Österreich-Ungarn und England an dritter Stelle noch

vor Rußland (4,0 %) und Frankreich (3,6 %) steht. Zwischen 1904 und 1908

behauptete Deutschland seinen dritten Platz, hatte aber seine Warenausfuhr ins

Königreich Bulgarien bereits verdoppelt (19,5 %).

Auch die Beziehungen zum Osmanischen Reich haben sich verstärkt, nachdem

der deutsche Kaiser 1898 dem Sultan einen zweiten Besuch in Konstantinopel

abstattete. Der Bau an der Bagdadbahn begann jetzt und Deutschland hatte in

der Folge ein erhebliches wirtschaftliches, militärisches und politisches Interesse

an der Türkei und damit auch an den unter türkischer Herrschaft stehen den

Teilen des Balkans. So äußerte sich Bernhard von Bülow (1849-1929), deutscher

Reichskanzler zwischen 1900 und 1909:

"Was meine Politik gegenüber der Türkei anbelangt, so möchte ich sie

dahingehend zusammenfassen, daß es mein Bestreben war, durch eine innerlich

gut organisierte und unabhängige Türkei uns eine Stütze im Orient zu schaffen.

Deshalb suchte ich das Türkische Reich vor Schädigung zu wahren, vermittelte

zwischen ihm und den Balkanstaaten, beugte einem gemeinsamen Vorgehen der

Balkanstaaten gegen die Türkei vor. " (Fürst Bernhard von Bülow, Deutsche

Politik, Berlin 1916, S. 73 - 74)

Die Bahnstrecke Berlin - Bagdad, die durch Österreich-Ungarn, durch den Balkan

nach Konstantinopel führte, von dort durch den unwegsamen Taurus bis nach

Bagdad führen sollte, wurde nie fertiggestellt. Sie war bis zum Ersten Weltkrieg

das Kernstück deutscher Balkan- und Orientpolitik, der "trockene Weg nach

25

Indien" und damit eine ernste Bedrohung für die englischen Interessen. Die

Strecke des "Orient-Express" von Budapest bis nach Konstantinopel war bis 1918

der einzige Verbindungsweg nach Mitteleuropa.

1.3.6. Balkanbund und Balkankriege 1912 - 1913

Nachdem 1908 in der Türkei mit der Jungtürkischen Revolution eine neue Kraft

die Macht übernahm, verschärfte sich auf dem Balkan die Nationalitätenpolitik

noch weiter. Der Gedanke eines Balkanbundes11, der sich unter russischem

Einfluß gegen die Türkei richtete, wurde im April 1911 Realität, unter dem Motto

"Balkan der Balkanvölkern". Am 13. März 1912 schlossen Bulgarien und Serbien

einen Offensiv-Vertrag gegen die Türkei, die sich gerade mit Italien im Krieg um

das nordafrikanische Tripolis befand (Tripolitanischer Krieg 1911/12). Die darin

enthaltene Geheimklausel macht deutlich, daß es um die Aufteilung von

Mazedonien zwischen Serbien und Bulgarien ging, wovon Serbien für sich ein

Drittel beanspruchte. Ein weiterer Vertrag wurde am 29. Mai zwischen Bulgarien

und Griechenland geschlossen, im Frühsommer versicherte sich Serbien auch der

Unterstützung der aufständischen Albanier. Montenegro erklärte am 8. Oktober

1912 der Türkei eigenmächtig den Krieg, in den wenige Tage später auch

Bulgarien, Serbien und Griechenland eintraten. Die Hauptlast dieses Ersten Bal-

kankrieges trug Bulgarien, das mit 200 000 Soldaten Thrakien besetzte und

Edirne (Adrianopel) belagerte, während Serben und Montenegriner den

Sandschak Novi Pazar eroberten. Griechenland nahm Saloniki ein und besetzte

den Epirus. Die gemeinsamen Erfolge in Mazedonien riefen eine Rivalität

untereinander hervor.

Die Türken wurden schließlich an allen Fronten geschlagen, Albanien und

Mazedonien waren von der Jahrhunderte dauernden Türkenherrschaft befreit, als

am 30. Mai 1913 in London ein Präliminarfrieden unterzeichnet wurde. Die Türkei

hatte alle westlich der Enos-Midea liegenden Gebiete sowie die Ägaischen Inseln

verloren. Die Schaffung eines unabhängigen Staates Albanien übernahmen die

11 Der Balkanbund war ein 1912 geschlossenes Militärbündnis der südosteuropäischen Staaten Serbien,

Bulgarien, Montenegro und Griechenland. Das gemeinsame Ziel war die Verdrängung des Osmanischen

Reiches vom Balkan und die Aufteilung seiner verbliebenen europäischen Provinzen. Vgl. Katrin Boeckh:

Von den Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg. Kleinstaatenpolitik und ethnische Selbstbestimmung auf dem

Balkan, Verlag Oldenbourg, München 1996.

26

Großmächte, wobei die serbischen und montenegrinischen Hoffnungen auf einen

Zugang zur Adria durchkreuzt wurden. Die Aufteilung der eroberten Gebiete ver-

ursachte Streitigkeiten und neue Allianzen unter den Siegern, die schließlich zum

Zweiten Balkankrieg führten.

Griechenland und Serbien schlossen am 22. Mai 1913 einen Vertrag gegen

Bulgarien, es ging um die Aufteilung Mazedoniens; Rumänien und Montenegro

schlossen sich an. Bulgarien wurde bereits wenige Wochen nach seinem

Vormarsch geschlagen. Am 10. August 1913 wurde in Bukarest Frieden zwischen

den Balkanstaaten geschlossen, wobei Bulgarien den größten Teil der im Ersten

Balkankrieg gewonnenen Gebiete abtreten mußte. Die Süd-Dobrudža mit Silistra

ging an Rumänien ( und erhielt den Namen Dârstor), die thrakischen Städte

Drama, Seres und Kavalla übernahm Griechenland und die strittigen

mazedonischen Gebiete gingen an Serbien, das unterstützt von Rußland, nun die

stärkste Balkanmacht war.

Betrachtet man die Konstellation der Allianzen der Balkanstaaten im Ersten

Weltkrieg, so kann man von einer Fortsetzung der Balkankriege sprechen: Rumä-

nien und Griechenland kämpften auf alliierter Seite, während sich Bulgarien und

die Türkei den Mittelmächten angeschlossen hatten.

Die damals entstandene Mazedonische Frage ist bis heute nach über acht

Jahrzehnten noch ungelöst.12

1.4. Der Balkan im Ersten Weltkrieg

Hintergrund des Attentats auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz

Ferdinand war die von ihm vertretene Politik der Trialistischen Lösung, die Idee

einer föderalistischen Verbindung zwischen Österreich, Ungarn und Südslawen,

wobei gleichzeitig das ungarische Übergewicht und die großserbischen

Ansprüche abgewehrt werden sollten. Diese Politik wurde von den slawischen

Geheimbünden bekämpft, weil sie nicht mehr für eine Gleichberechtigung

12 Vgl. Die große Politik der europäischen Kabinette 1871–1914. Band 36,2: Die Liquidierung der

Balkankriege 1913–1914. Teil 2 (S. 423–847). Berlin 1926.

27

innerhalb der K.u.K.- Monarchie, sondern für einen unabhängigen eigenen Staat

eintraten.

Anläßlich der Herbstmanöver 1914 besuchte der Thronfolger die bosnische

Hauptstadt Sarajewo, obwohl er vor dieser Reise gewarnt worden war, denn die

Attentatspläne waren der Geheimpolizei bekannt, einschließlich des Namens des

Mörders. Franz Ferdinand ließ sich jedoch nicht von der Reise abhalten. Auf der

Fahrt vom Bahnhof zum Rathaus von Sarajewo wurde das Auto des Erzherzogs

von einer Bombe gestreift, die der jugendliche Attentäter Nedeljko Čabrinović

(1895-1916) warf. Von der Explosion wurde aber nur das Begleitfahrzeug

betroffen. In Begleitung des Bürgermeisters von Sarajewo, eines moslemischen

Bosnier, und des ungarischen Polizeichefs der Stadt, die vorausfuhren, folgte

dann der zweite erfolgreiche Anschlag. Nicht nur Serben und Kroaten jubelten

über das gelungene Attentat, auch in Budapest herrschte unverhohlene Freude

darüber, daß damit die Möglichkeit einer Aussöhnung zwischen Deutschen und

Südslawen zunichte gemacht war.

Dennoch hätte das serbische Attentat nicht notwendiger Weise einen

großeuropäischen Krieg auslösen müssen, wenn nicht die politische

Gesamtsituation Europas in dieser Zeit die eigentliche Kriegsursache gewesen

wäre. Österreich stellte der serbischen Regierung ein Ultimatum, deren

Hauptbedingung, eine Untersuchung der Vorgeschichte des Attentats durch

österreichische Beamte auf serbischem Gebiet, von Serbien abgelehnt wurde.

Darauf erklärte Österreich Serbien den Krieg, Rußland stellte sich als

selbsternannter „Schutzpatron aller Slawen“ an Serbiens Seite. Die Möglichkeit

einer Konferenz der Großmächte wie während des Balkankrieges 1912/13, oder

den österreichisch-serbischen Streitfall vor das Haager Schiedsgericht zu bringen

und so den großen Konflikt zu vermeiden, wurden als Vorschläge Englands

unberücksichtigt gelassen. Europa, insbesondere das wilhelminische

Deutschland, wollte den Krieg.

Auf der Seite der sogenannten Mittelmächte Österreich und Deutschland

kämpften die Türkei und Bulgarien anfangs erfolgreich gegen Serbien, das 1915

besetzt wurde. Den Entente-Mächten Rußland, Frankreich und England gelang es

aber, auf dem Balkan die Vormacht zu erlangen. Nach Italien traten auch

28

Rumänien (1916), das auf den Anschluß Siebenbürgens hoffte, und Griechenland

(1917), das die Idee eines "Großgriechenlands" mit dem Gewinn kleinasiatischer

Gebiete einschließlich Konstantinopel erhoffte, auf die Seite der Entente. Der

militärische Zusammenbruch der Mittelmächte im Herbst 1918 wurde auch durch

den Zusammenbruch der bulgarischen Front nördlich von Saloniki und den

Durchbruch der Ententemächte mitbestimmt.

Die Pariser Vorverträge (1919) schrieben die während des Krieges entstandene

politische Umgestaltung des Balkans fest: Großrumänien, Großgriechenland und

als neuer Staat Jugoslawien entstanden auf Kosten Bulgariens, der Türkei und

der zerschlagenen Donaumonarchie Österreich. Die griechischen Pläne in

Kleinasien scheiterten allerdings bald an der Wiedergeburt der Türkei unter Kemal

Mustafa (1881-1938), genannt ‚Atatürk’, der Griechenland nach deren schwerer

militärischen Niederlage dazu zwang, in den griechisch-türkischen

Bevölkerungsaustausch einzuwilligen (1922/23)13.

Der erste Weltkrieg brachte nicht nur die Neuordnung des Balkans mit sich, ganz

Europa hatte sich durch den Untergang von vier Imperien verändert: die

Donaumonarchie Österreich, das Deutsche Kaiserreich, das Russisches

Zarenreich (Revolution 1917), und das Türkisch-Osmanische Reich .Serbien, das

den Krieg mit einem Pistolenschuß auslöste, hatte mit der Entstehung des

Südslawischen Königreiches (SHS) sein Ziel erreicht, seine neue Grenze reichte

bis nach Ungarn hinein. Bereits damals sprach man von der „Balkanisierung“ im

Hinblick auf die nun entstandenen kleinen Nationaltaaten in Mittel- und

Osteuropa.14

2 NEUORDNUNG IN OSTEUROPA NACH 1918

13 1,2 Millionen Griechen musste ihre historischen Siedlungsgebiete in Kleinasien verlassen, dafür wurden

400 000 Moslime aus Griechenland in die Türkei übergesiedelt. Das war die bis dahin größte

Zwangsumsiedlung auf der Grundlage von Religion in der Geschichte. Die Griechen in Istanbul und die

Muslime in Westthrakien wurden von der Regelung ausgenommen.

Vgl. „Konvention über den Bevölkerungsaustausch zwischenGriechenland und der Türkei, 30. Januar 1923

Lausanne.

Die große Politik der europäischen Kabinette 1871–1914. Band 36,2: Die Liquidierung der Balkankriege

1913–1914. Teil 2 (S. 423–847). Berlin 1926

29

Der neuen internationalen Neuordnung Europas, die in der Pariser

Friedenskonferenz von 1919-20 entwickelt wurde, lag das Nationalstaatsprinzip

zugrunde. Die übernationalen Großstaaten Türkisch-Osmanisches Reich,

Österreich-Ungarische Monarchie, Deutsches Kaiserreich, Russisches Zarenreich,

wurden durch neue Nationalstaaten abgelöst. Dabei war das

Selbstbestimmungsrecht der neuen Staaten mit den politischen und

wirtschaftlichen Interessen der Siegermächte eng verknüpft. Eine neue Situation

war auch durch die Revolutionen und Machtübernahme der Bolschewisten in

Rußland und die damit einhergehende Neuordnung des Zarenreiches geschaffen

worden. Die westlichen Großstaaten England und Frankreich suchten eine

Ausbreitung der russischen Revolution in Mittel- und Westeuropa durch die

Schaffung eines Schutzstreifens von kleinen Nationalstaaten im östlichen Europa

zu verhindern, dem sogenannten Cordon Sanitaire.

Eines der Hauptprobleme ergab sich daraus, daß im östlichen Europa die

Schaffung reiner Nationalstaaten mit einer ethnisch, sprachlich, religiös

homogenen Bevölkerung unmöglich war, da durch die in Jahrhunderten

gewachsene gemischten nationalen Siedlungsstrukturen überall starke nationale

Minderheiten in den neuen Grenzen der Nationalstaaten lebten. Für diese wurden

in den Nachkriegsverträgen Minderheitenschutzverträge ausgehandelt, die aber

später nur sehr mangelhaft angewendet worden sind.

2.1 Die Entwicklung auf dem Balkan zwischen den beiden Weltkriegen

Auf den Trümmern der mittel- und osteuropäischen Großmächte wurden auf der

Grundlage der schon ins 19.Jahrhundert hineinreichenden modernen

Nationalbewegungen neue Staaten gegründet, die eine historische Legitimation

durch Anknüpfung an mittelalterliche, längst untergegangene Staatsgebilde

herstellten. Aus dem zusammengebrochenen Russischen Reich entstanden

nationale baltische Staaten.

Polen war seit 125 Jahren eine "Nation ohne Staat", konnte nun in der

Zwischenkriegszeit seine Unabhängigkeit herstellen. Am 11. November 1918

30

wurde Józef Klemens Piłsudski (1867-1935) in Warschau zum vorläufigen

Staatsoberhaupt eingesetzt. Er stützte sich auf die traditionellen adligen

Führungsschichten, die parlamentarische Ära war nur ein kurzes Zwischenspiel,

bevor sie 1926 durch einen Militärputsch beendet wurde.

Am 28.Oktober wurde in Prag eine unabhängige Tschechoslowakische Republik

proklamiert. Die tschechische Nationalbewegung war die stärkste in der

westlichen Reichshälfte Österreich-Ungarns seit den letzten Jahrzehnten des

19.Jahrhunderts gewesen. Die Verbindung zwischen Tschechen und Slowaken

beruhte ähnlich wie bei Serben und Kroaten auf einer nahen sprachlichen

Verwandtschaft. Auch hier gab es starke Minderheiten: 46% Tschechen, 13%

Slowaken, 28 % Deutsche, 8% Ungarn, 3 % Ukrainer, Polen Juden, Roma-

Zigeuner. Diese nationalen Minderheiten waren auch gemäß ihrer

zahlenmäßigen Stärke in dem gut ausgebauten tschechoslowakischen

Parteiensystem vertreten.

Im März 1919 wurde unter Führung von Béla Kun (1886–1939), geb. Béla Kohn

die Ungarische Räterepublik ausgerufen, die von linken Kräften bestimmt war,

aber nur drei Monate existieren konnte. Die bürgerlichen Kräfte übernahmen

danach die Regierung. Ungarns Grenzen waren nach dem Zusammenbruch des

Reiches eng geworden, nachdem in den Nachkriegsverträgen die

Gebietsansprüche seiner Nachbarn, insbesondere Rumäniens, berücksichtigt

worden waren. Ende der zwanziger Jahre begann Ungarn seine

Revisionsansprüche hinsichtlich der durch den Vertrag von Trianon abgetrennten

Gebiete einzufordern, indem es stärker an das faschistische Italien heranrückte.

An der Staatsspitze stand Miklós Horthy (1868-1957) als Reichsverweser, der

zwar nicht faschistisch, aber ständisch-autoritär regierte. Die ungarisch-

faschistische Bewegung der Pfeilkreuzler kam erst 1944 mit der deutschen

Besetzung Ungarns kurzfristig in der Endphase des Zweiten Weltkrieges unter

ihrem Parteiführer und späterem Diktator Ferenc Szálasi (1897-1946) als

faschistische Kollaborationsregierung an die Macht15.

15 Die Pfeilkreuzler waren Anhänger einer unter verschiedenen Bezeichnungen von 1935 bis 1945

bestehenden, faschistischen und antisemitischen Partei in Ungarn. Ihr Parteiführer war Ferenc Szálasi. Mit

Unterstützung des Dritten Reiches errichteten die Pfeilkreuzler vom 16. Oktober 1944 bis zum 28. März 1945

31

Rumänien, daß im Ersten Weltkrieg zunächst seine Neutralität erklärt hatte, war

1916 auf seiten der Alliierten in den Krieg eingetreten, was die Besetzung des

Landes durch deutsche und österreichische Truppen zur Folge hatte. Dennoch

konnte Rumänien nach der russischen Oktoberrevolution 1917 Bessarabien

kurzzeitig als östliche Provinz zurückgewinnen. Bei Kriegsende war Rumänien auf

der Seite der Sieger und konnte sein Territorium durch historisch begründete

Gebietsansprüche verdoppeln. Es wurde damit zum größten Staat

Südosteuropas. Dabei waren die ehemaligen Donaufürstentümer Moldau und

Walachai zum Balkan hin orientiert, die ehemaligen österreichisch-ungarischen

Gebiete Siebenbürgen, Banat und Bukowina aber eher mitteleuropäisch geprägt.

Nach 1923 wurde die neue Verfassung verabschiedet, damit war das Königreich

Rumänien ein Einheitsstaat, in dem sich zunächst auch nationale Minderheiten

politisch beteiligen konnten. Außenpolitisch spielte Rumänien in der Kleinen

Entente und im Balkanbund eine wichtige Rolle. Auch bestand ein stabiles

Bündnis mit Frankreich und Polen. Unter Ministerpräsident Alexandru Averescu

(1859-1938) wurden 1921 Agrarreformen durchgeführt. Außenpolitisch baute

Rumänien seine Beziehungen aus und gründete zusammen mit Jugoslawien und

der CSR 1920/21 die Kleine Entente, die sich gegen die Revisionismuspolitik

Bulgariens und Ungarns richtete. In den dreißiger Jahren entwickelte sich eine

Staatskrise, deren Ursachen zum Teil auch in der Weltwirtschaftskrise lagen. Die

Staatsverschuldung war so stark, daß Rumänien sich unter die Vormundschaft

des Völkerbundes begeben mußte. Innenpolitisch wurde das Land durch die

faschistisch-terroristische Bewegung der Eisernen Garde16 erschüttert, eine

nationalistische-christlich-mystische und antisemitische Organisation, der auch

zahlreiche rumänische Intellektuelle angehörten. Sie wurde 1933 verboten,

existierte aber im Untergrund weiter. Nach Hitlers Machtantritt nahm der deutsche

Einfluß in Rumänien durch ausgebaute Wirtschaftsbeziehungen zu, wurde aber

durch die außenpolitische Haltung des rumänischen Außenministers Nicolae

in den noch nicht von der Roten Armee besetzten Teilen Ungarns eine faschistische Kollaborationsregierung,

unter der mehrere zehntausend Menschen ermordet wurden. 16 Die Eiserne Garde (rumänisch Garda de Fier?/i) war eine faschistische und antisemitische Bewegung

bzw. politische Partei im Königreich Rumänien. Mit ihren 250.000 Mitgliedern galt die Eiserne Garde

zeitweise als die drittgrößte faschistische Bewegung Europas nach dem PNF in Italien und der NSDAP in

Deutschland. Sie ging 1930 aus der von Corneliu Zelea Codreanu 1927 gegründeten Legion Erzengel Michael

(rumänisch: Legiunea Arhanghelul Mihail) als deren paramilitärischer Arm hervor.

32

Titulescu (1882-1941), der sich an Frankreich hielt und einen Vertrag mit der

Sowjetunion aushandelte, abgeschwächt.

Am 01. Dezember 1918 wurde das Königreich der Serben, Kroaten und

Slowenen, Kraljevina SHS, gegründet und damit die Vereinigung der Südslawen

hergestellt, die bereits im 19. Jahrhundert in den Bewegungen für ein Großserbien

und dem Illyrismus ihr politisches Programm aufgestellt hatten. Vorausgegangen

waren das Jugoslawische Komitee das der Kroate Dr. Ante Trumbic (1864- 1938)

in London gegründett hatte und die Deklaration von Korfu, Nikola Pašić (1845-

1926) und Ante Trumbic am 20. Juli 1917 für einen souveränen Staat aller

Südslawen auf Korfu unterzeichnet wurden.

In den Pariser Vorverträgen konnten 1919/20 noch die südliche Steiermark, die

Wojwodina sowie westbulgarische und makedonische Gebiete gewonnen werden.

Seit 1921 war Alexander I. (1888-1934) aus der Dynastie Karađorđević königlicher

Repräsentant des neuen Staatsgebildes, das bald mit beträchtlichen politischen,

nationalen, religiösen und sozio-ökonomischen Problemen zu kämpfen hatte. Die

Serben bestanden auf ihrem Führungsanspruch, während sich Kroaten und

Slowenen auf ihre dem westlichen Kulturkreis verbundene Vergangenheit

beriefen. Zudem gab es zwischen Orthodoxen, Katholiken und Moslime religiöse

Spannungen. Gegenüber anderen Minderheiten wurde eine harte

Assimilationspolitik betrieben. Bereits in der Vidovdan-Verfassung17 vom 28. Juni

1921, die gegen den Widerstand der Kroaten angenommen worden war, wurde

die serbische Dominanz festgeschrieben. Häufige Regierungswechsel waren die

Folge. Der Versuch einer Koalitionsregierung (Pasić/Radić) schlug fehl, als im

Juni 1928 Stjepan Radić (11 June 1871-1928) und zwei andere kroatische

Abgeordnete Opfer eines Attentats wurden. Es kam zum Bruch zwischen Serben

und Kroaten, König Alexander I. löste das Parlament und alle Parteien auf.

Schließlich verfügte er am 3. Oktober 1929 die Umbenennung des Staates in

Königreich Jugoslawien (Kraljevina Jugoslavija). Eine territoriale Reorganisation

sollte einen jugoslawischen Nationalismus fördern, alle Einwohner sollten sich in

Zukunft nur noch als Jugoslawen betrachten. Am 6. Januar 1929 proklamierte er

17 St. Vitus-Tag, serb. Vidovdan, serbischer Nationalfeiertag zur Erinnerung an die Schlacht gegen die

Türken auf dem Amselfeld (Kosovo polje) am 28. Juni 1389.

33

die Königsdiktatur, die bis zu seiner Ermordung 1934 während eines Besuches in

Frankreich durch einen bulgarischen Attentäter.18

In Bulgarien war es zu einem Thronwechsel gekommen, Zar Ferdinand I. (1861-

1948) dankte auf Betreiben der Entente gegen Kriegsende zugunsten seines

Sohnes Zar Boris III. (1894-1943)19 ab. Seit Oktober 1919 war der Führer des

Bauernvolksbundes, Aleksandar Stambolijski (1879-1923) Ministerpräsident. Er

wurde wegen seiner Reformpolitik und Annäherung an Jugoslawien 1923 durch

nationalistische Kreise während eines Offiziersputsches gestürzt und ermordet.

Seine politischen Gegner und bürgerliche Kreise warfen ihm vor, das Land in eine

„Bauerndiktatur“ geführt zu haben. Dennoch kam es ab 1933 durch gegenseitige

Königsbesuche zu einer bulgarisch-jugoslawischen Annäherung, die 1937 ihren

Höhepunkt in einem Freundschaftsvertrag erreichte.

Zur Sicherung des territorialen Status auf der Balkanhalbinsel schlossen Grie-

chenland, Jugoslawien, Rumänien und die Türkei am 9. Februar 1934 in Athen

den Balkanpakt, der sich besonders gegen die bulgarischen Grenzansprüche

richtete. Er stellte eine Ausweitung der Kleinen Entente dar. Dagegen hatten die

Bemühungen um eine Balkankonferenz, an der alle Balkanstaaten - Albanien,

Bulgarien, Griechenland, Jugoslawien, Rumänien - sowie auch die Türkei zur

Überwindung der zwischenstaatlichen Konflikte teilnehmen sollten, zu keinem

Ergebnis geführt. Insgesamt hatte diese Institution viermal getagt: 1930 in Athen,

1931 in Istanbul, 1932 in Bukarest und 1933 in Saloniki. Die fünfte Konferenz in

Istanbul kam nicht mehr zustande. Albanien hatte sich schon vorher zurück

gezogen, Rumänien und Jugoslawien hatten ihre Teilnahme abgesagt, Bulgarien

sprach sich für eine Verschiebung aus.

Das eigentliche Ziel der Balkankonferenz war der Zusammenschluß zu einem

Staatenbund gewesen, der auf dieser multilateralen Gesprächsplattform vor-

bereitet werden sollte. Der Balkanpakt isolierte Bulgarien, das von "Einkreisung"

sprach. Dagegen wurde der Pakt besonders von Frankreich unterstützt, dessen

18 Der bulgarische Attentäter Wlado Tschernosemski erschoss den König und den Außenminister, bevor er

von einem französischen Offizier mit einem Säbelhieb schwer verwundet wurde. Er starb noch am selben

Abend an seinen zahlreichen Verletzungen, die ihm durch wütende Zuschauer und Polizisten zugefügt

wurden.

19 Aus der Dynastie Sachsen-Coburg-Koháry der Wettiner.

34

damaliger Außenminister Jean Louis Barthou (1862-1934)20 von einer "Politik der

kollektiven Sicherheit", sich gegen die nach Revision der Pariser Vorverträge

strebenden Mächte in Europa aussprach. Allerdings empfand man auch dort das

Fehlen Bulgariens als einen Mangel. Es gab diplomatische Bemühungen,

Bulgarien den Beitritt zu ermöglichen, wofür der 1937 unterzeichnete

Freundschaftsvertrag mit Jugoslawien ein Indiz zu sein schien. Damit waren aber

die bulgarischen Ansprüche auf die südliche Dobrudža und Thrakien nicht erfüllt,

auf denen Bulgarien nach wie vor bestand, besonders noch dazu durch den Erfolg

Ungarns gegenüber der Tschechoslowakei ermutigt.21

Der Zusammenbruch der Kleinen Entente im Herbst 1938 signalisierte auch das

bevorstehende Ende des Balkanpaktes, das mit dem Anschluß Rumäniens an die

Achsenmächte im Herbst 1940 besiegelt wurde. Der deutsche Balkanfeldzug im

April 1941 endete mit der Besetzung Jugoslawiens und Griechenlands. Das

außenstehende Bulgarien hatte nach seiner Annäherung an die Achsenmächte

auf deutschen Druck hin 1940 die Süddobrudža von Rumänien erhalten.22 1941

schloß sich Bulgarien dem Dreimächte- und Antikominternpakt an, beteiligte sich

am Krieg der Achsenmächte gegen Griechenland und Jugoslawien und erklärte

England und den USA den Krieg. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges

gehörte der Balkanpakt und alle ihm vorangegangenen balkanpolitischen

Episoden der Zwischenkriegszeit der Vergangenheit an.

2. 2. Folgen des Zweiten Weltkrieg

Die Weltwirtschaftskrise 1929 hatte auch Auswirkungen auf die noch überwiegend

agrarisch strukturierten südosteuropäischen Staaten gehabt. Dort wurde das par-

lamentarische System überall durch autoritäre Staatsformen ersetzt. In den

dreißiger Jahren gewannen das faschistische Italien und das

nationalsozialistische Hitler-Deutschland zuerst wirtschaftlichen, dann auch

zunehmend politischen Einfluß. In einigen Staaten bildeten sich nach ihrem

20 Am 9. Oktober 1934 wurde er bei dem Attentat auf den jugoslawischen König Alexander I. ebenfalls

getötet.

21 Durch den Wiener Schiedsspruch kam es zur Rückgabe der Südslowakei an Ungarn und zur Annexion der

Karpato-Ukraine im März 1939.

22 Der Vertrag von Craiova am 7. September 1940.

35

Vorbild faschistische Organisationen, so in Rumänien die Eiserne Garde und in

Ungarn die Pfeilkreuzler.

Im Oktober 1940 griffen italienische Truppen Griechenland an, im April 1941

folgte der deutsch-italienische Angriff auf Jugoslawien und Griechenland, deren

Gebiete von den Siegern in Besatzungszonen aufgeteilt wurden.

Nach der Zerschlagung Jugoslawiens durch die Achsenmächte proklamierten

Kroaten 1941 einen Unabhängigen Staat Kroatien und errichtete unter A. Pavelic

das faschistische Ustascha-Regime.23

Die Ustaša (Aufständische Kroatische Revolutionäre Organisation), war einen Tag

nach der Ausrufung der Königsdiktatur gegründet worden. Bis zu diesem

Zeitpunkt hatte ihr Gründer und Anführer, der Rechtsanwalt Ante Pavelić (1889-

1959) die Kroatische Staatsrechtspartei geführt. Seine Partei bezog sich

ideologisch auf die Rechtspartei von Ante Starčević (1823-1896) aus dem 19.

Jahrhundert und forderte die Vereinigung Kroatiens mit Bosnien-Herzegowina in

einem unabhängigen "national reinen" Kroatien. Politisch spielte sie in den

zwanziger Jahren nur eine unbedeutende Rolle; Pavelićs große Stunde kam erst

1941, als ihn Hitler in Kroatien an die Macht brachte.

Slowenien und Dalmatien fielen an Italien, das den Bezirk Kosovo seinem

Protektorat Albanien unterstellte. Ungarn erhielt einen schmalen Grenzstreifen,

die Báčka. Bulgarien konnte endlich seine "Revision" vornehmen, es erhielt den

Hauptteil Mazedoniens. Der Widerstand gegen die Besatzungsmächte ging von

Bosnien aus, wo die Ustaše einen Vernichtungsfeldzug gegen die Serben führten.

Die serbische Milizorganisation der Četnici24, kämpfte zusammen mit Resten der

Armee und mit den seit 1921 verbotenen Kommunisten, die unter Titos

Kommando standen. Die erfolgreichen Partisanenvorstöße wurden von der

deutschen Wehrmacht mit brutalen Vergeltungsschlägen beantwortet, die vor

allem die Zivilbevölkerung trafen. Bis Ende 1944 haben dort etwa 1,4 Millionen

23 Ustaša – Hrvatska revolucionarna organizacija - Der Aufständische – Kroatische revolutionäre

Organisation war ein von Ante Pavelić am 10. Januar 1929 im Königreich Italien gegründeter und von ihm

geführter kroatischer rechtsextrem-terroristischer Geheimbund, der sich zu einer faschistischen Bewegung

entwickelte.

36

Menschen den Tod gefunden. Im Untergrund kämpften aber auch serbische

Monarchisten und Kommunisten gegeneinander und schwächten so den

Widerstand.

Die Widerstandsgruppe der Četnici formierte sich um den serbischen Oberst

Dragoljub "Draža" Mihailović (1893-1946). Nach der Kapitulation zog er sich mit

seiner Einheit in die Berge Westserbiens zurück und bekämpfte von dort aus die

deutschen Besatzungstruppen. Schon bald erhielt er Zulauf von weiteren

serbischen Einheiten, er und seine Anhänger waren großserbisch gesinnte

Monarchisten und träumten von der Errichtung eines Großjugoslawien mit einem

ethnisch reinen Großserbien, das auch Mazedonien, Kosovo, Montenegro,

Bosnien, die Herzegowina, Syrmien, das Banat und die Baćka umfassen sollte.

Im November 1942 bildete sich unter Josip Broz Tito25 (1892-1980) der

Antifaschistische Volksbefreiungsrat. Mit ihm ging ein Jahr später in Jaice eine

provisorische Regierung hervor, die die Weichen für ein kommunistisches

Nachkriegs-Jugoslawien stellte.

Auch in Griechenland und Albanien war die Widerstandsbewegung zwischen

nationalen und kommunistischen Verbänden gespalten.

Mitte 1944 hatte die deutsche Besatzungsmacht nur noch die wichtigsten

Stützpunkte und Verbindungslinien in Südosteuropa in der Hand. Um diese zu

zerstören, überschritt die Rote Armee von Osten her die damalige sowjetische

Grenze, zerschlug den rumänischen Widerstand und besetzte Bulgarien. Sie

bewirkte auch den deutschen Rückzug aus Griechenland. Seit August 1944

kämpfte Rumänien an der Seite der Alliierten, einen Monat später auch Bulgarien

gegen deutsche Truppen, die bei Kriegsende noch in Slowenien und Kroatien

standen. Unter dem Schutz der sowjetischen Roten Armee gelang es den

kommunistischen Befreiungsbewegungen in Albanien, Bulgarien, Jugoslawien,

Rumänien, angesichts des Zusammenbruchs der Mittelmächte in das

Machtvakuum vorzustoßen. Nur in Griechenland, wo zwischen 1944 und 1949 der

24 Serbische Milizen, bezeichnet das Mitglied einer sogenannten četa (чета), einer militärischen Kompanie,

Truppe, Schar oder Rotte. Das Wort četa stammt ursprünglich aus den altslawischen (slav. četiri = vier) und

bezeichnete eine Einheit von vier Mann

37

Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Regierungstruppen tobte, unterlagen

schließlich die Kommunisten.

2.3 Die Neuordnung nach 1945 - Entstehung der Volksrepubliken

Von den ungeheuren Kriegsverlusten, die der Zweite Weltkrieg gefordert hatte,

entfiel der größte Anteil auf Mittel- und Osteuropa, vor allem auf die Sowjetunion

(20 Millionen Tote), Polen (4,5 Millionen Tote, darunter 3 Millionen Juden),

Jugoslawien (1,5 Millionen Tote, davon 1,3 Millionen Zivilisten). Die jüdische

Bevölkerung in Osteuropa wurde weitgehend durch Deportationen in

Vernichtungslager getötet, insgesamt wurden 6 Millionen Juden Opfer der

deutschen Faschisten. Eine andere Bevölkerungsgruppe, die in Südosteuropa

Opfer der Vernichtungspolitik geworden ist, waren die Roma-Zigeuner in

Jugoslawien.

1945 kam es nach Kriegsende unter Führung der Sowjetunion zu einer politischen

Neuordnung der Balkanstaaten. Wesentliche Veränderungen gab es hier nicht,

außer den Gebietsabtrennungen Bessarabien und der Bukowina 1944, aus der

die Moldawische SSR gebildet wurde.. In den Pariser Friedensverträgen von 1947

wurde die Herstellung der Grenzen in Südosteuropa von 1937 festgelegt. Die

endgültige Entscheidung über Mazedonien und Triest wurde 1954 getroffen.

In den Staaten Ost- und Südosteuropas, die bei Kriegsende unter sowjetische

militärische Herrschaft gelangt waren, wurde ein neuer Staatstyp eingeführt,

dessen theoretische Entwicklung auf den bulgarischen Kommunisten Georgi

Dimitrov (1882-1949) zurückgeht: die Volksdemokratie, nach kommunistischer

Definition eine Übergangsform von der parlamentarischen Demokratie zum

Sozialismus. Man kann deutlich zwei Phasen unterscheiden: die erste zwischen

1945 und 1948, in der noch parlamentarisch-demokratische Formen erkennbar

sind und eine zweite, in der die Staaten Ost- und Mitteleuropas endgültig unter

kommunistischer Herrschaft standen und nach stalinistisch-sowjetischen Muster

gebildet waren.

25 Das Pseudonym Tito nahm Josip Broz 1934 an, als er Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei

Jugoslawiens wurde und in den politischen Untergrund ging.

38

Die Umgestaltung der Balkanstaaten in Volksdemokratien nach sowjetischem

Vorbild war 1948 abgeschlossen. Dazu gehörten Bodenreformen,

Verstaatlichungsprogramme, Enteignung des Privatbesitzes, Einführung der

Planwirtschaft, Ausschaltung von Oppositionsparteien durch die Kommunistischen

Parteien, welche den alleinigen Führungsanspruch durchsetzten.

2. 4. Die Sowjetisierung Ost- und Mitteleuropas

Der Wiederaufbau nach dem Krieg stand in Ost- und Mitteleuropa im Zeichen der

Sowjetisierung

Gemeinsamer Beitritt der Volksrepubliken zum KOMINFORM (1947), COMECON

(1948), Warschauer Pakt (1955), sowie bilaterale Freundschafts- und

Beistandspakte mit der Sowjetunion und eine gemeinsame Mitgliedschaft in der

RGW sollten ganz Ost- und Südosteuropa zu einem einheitlichen geopolitischen

Gebilde, dem Ostblock unter sowjetischer Vorherrschaft, zusammenschweißen.

Obwohl das neue Staatensystem im östlichen Europa nahezu identisch mit dem

nach dem Ersten Weltkrieg war, kam es zu einigen Veränderungen, wie der

Westverschiebung Polens. Die Sowjetunion annektierte die Baltischen

Republiken, Bessarabien und die Nordbukowina, die ihr durch den Hitler-Stalin-

Pakt26 zugefallen waren

Vor dem Einmarsch der Roten Armee hatte die Kommunistische Partei in

Rumänien etwa 2000 Mitglieder, in Bulgarien 1000, in Ungarn einige hundert, die

Mehrzahl waren Trotzkisten, in Polen 20 000 und in der Tschechoslowakei um 30

000. Nur in Jugoslawien und Albanien, wo kommunistische Organisationen im

Krieg gekämpft hatten, verfügten die Kommunisten über starke und gut

organisierte Verbände. Bei der Machtübernahme wurden die in der Sowjetunion

ausgebildeten Emigrantenkader in alle wichtigen politischen Positionen

26 Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt, bekannt als Hitler-Stalin-Pakt (nach den beiden

Außenministern auch Ribbentrop-Molotow-Pakt oder Molotow-Ribbentrop-Pakt genannt), war ein auf zehn

Jahre befristeter Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion, der am 24. August 1939 (mit

Datum vom 23. August 1939) in Moskau vom Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop und dem

sowjetischen Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Wjatscheslaw Molotow in Anwesenheit Josef

Stalins (als KPdSU-Generalsekretär de facto Führer der Sowjetunion) und des deutschen Botschafters

Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg unterzeichnet wurde. Der Pakt garantierte dem Deutschen Reich

die sowjetische Neutralität bei einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Polen und den Westmächten.

39

eingesetzt. Ihnen standen zunächst starke bäuerliche und bürgerliche Parteien

gegenüber, es gelang den Kommunisten aber in den ersten Nachkriegsjahren mit

Hilfe der sowjetischen Besetzung ihren Machtapparat zu festigen und

auszudehnen. Eine Säuberung des politischen Lebens von Verrätern und

Kollaborateuren mit den Faschisten wurde durchgeführt, Wahlen in den

volksdemokratischen Staaten mit Einheitslisten der Nationalen Front

durchgesetzt, die den Kommunisten zur Alleinherrschaft verhalfen. Andere

Parteien wurden ausgeschaltet oder, wie die sozialdemokratischen Parteien, zu

Einheitsparteien zwangsvereinigt. Bauernparteien wurden verboten oder

zunehmend zersetzt. Alle nichtkommunistschen Organisationen wurden

gleichgeschaltet oder verboten. In Säuberungswellen wurden eine unbekannte

große Zahl von Menschen in Schauprozessen als Rechts- und Linksabweichler,

unter dem Vorwurf des Nationalismus, Kosmopolitismus, Titoismus und Zionismus

- nach dem Muster der stalinistischen Schauprozesse zwischen 1936 und 1938 -

verurteilt, eingekerkert, auch hingerichtet. Zwischen 1948 und 1951 wurde etwa

ein Viertel aller Mitglieder aus den kommunistischen Parteien ausgeschlossen.

Ein umfangreicher Staatssicherheitsapparat wurde in allen Volksdemokratien

nach sowjetischem Muster aufgebaut .

2. 4. Osteuropa nach Stalins Tod

Bereits 1948 kam es zum Abfall Jugoslawiens, weil Tito den Führungsanspruch

der Sowjetunion nicht anerkennen wollte und nach einem eigenen Weg zum

Sozialismus suchte. Jugoslawien wurde daraufhin aus dem KOMINFORM

ausgeschlossen, die Sowjetunion kündigte den Freundschaftsvertrag, eine

Wirtschaftsblockade der kommunistischen Staaten führte zur Annäherung

Jugoslawiens an die Westmächte (Wirtschaftshilfe).

Unter der Führung Titos, der seit 1953 auch Staatspräsident auf Lebenszeit

wurde und es bis zu seinem Tode 1980 blieb, entwickelte sich in Jugoslawien die

Politik der Blockfreiheit, Distanz und Nichteinmischung. Zusammen mit der Türkei

und Griechenland schloß Jugoslawien 1954 einen Balkanpakt, der auch eine

Reaktion auf die anti-titoistische Kampagne des Sowjetblocks gegen Jugoslawien

war. Erst der Tod Stalins 1953 und die folgende Zeit der Entstalinisierung brachte

eine Entspannung im sowjetisch-jugoslawischen Verhältnis.

40

Tito verurteilte die Niederschlagung des Aufstandes von 1956 in Ungarn und

aktivierte seine Beziehungen zu den Westmächten. Gleichzeitig traf er sich 1956

mit dem Führer der Arabischen Welt, Gamal Abdel Nasser (1918-1970), um einen

Zusammenschluß der Blockfreien Staaten vorzubereiten. Die erste Konferenz der

Blockfreien Staaten fand 1961 in Belgrad statt. Hier wurden die Forderungen an

die beiden Großmächte und ihre Machtblöcke nach Entspannung, Abrüstung und

Aufhebung der Kolonialherrschaft durch europäische Staaten gerichtet.

Dagegen machte Albanien unter der Führung Enver Hodschas (1908-1985)

diesen Prozeß der Entstalinisierung nicht mit, es kam zu einer Entfremdung und

1968, dem jahr des Einmarsches der sowjetischen Truppen in die

Tschechoslowakei (První Československá Republika), zum Bruch mit der

Sowjetunion. Bis 1976 lehnte sich Albanien ideologisch und wirtschaftlich and

China an und ging dann einen eigenen isolierten kommunistischen Weg . Über

vier Jahrzehnte, von 1944 bis 1985, wurden die Geschicke dieses Landes von

Enver Hodscha gelenkt.

Rumänien, das sich zunächst vorbehaltlos in den Ostblock integriert hatte, begann

Ende der 50er Jahre seine Voraussetzungen für einen unabhängigen Kurs der

Rumänischen Kommunistischen Partei gegenüber der KPdSU durchzusetzen.

1957 ging von Rumänien ein Appell an alle Balkanstaaten, in Südosteuropa eine

Friedenszone zu schaffen. 1964 erklärte das Zentralkomitee der Rumänischen

Kommunistischen Partei die Politik des Rumänischen Wegs.

Der rumänische Parteichef, Erste Sekretär des Zentralkomitees und seit 1967

Staatsoberhaupt, Nicolae Ceaușescu (1918-1989), führte seit Mitte der 60er Jahre

die rumänische Politik der Öffnung nach allen Seiten erfolgreich durch, besuchte

fast alle Staatsoberhäupter und Regierungschefs der Welt und erhielt

umfangreiche Wirtschaftshilfen.

Rumänien zeichnete sich auch durch intensive Mitarbeit in der UNO aus und

stellte 1967 als erstes Land des Warschauer-Paktes diplomatische Beziehungen

zur Bundesrepublik Deutschland her.

41

Wie Jugoslawien und Albanien verurteilte auch Rumänien 1968 den Einmarsch

der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei und geriet in Konflikt mit

der Sowjetunion.

Albanien verließ aus Protest den Warschauer Pakt und schloß sich bis 1976/77

dem ideologischen Kontrahenten der Sowjetunion, China, an, bis dessen

pragmatischerer Kurs dann auch zum Bruch mit Albanien führte.

Zwischen Jugoslawien und der Sowjetunion kam es nach dem Einmarsch in die

CSR erneut zu schweren Spannungen, Tito wandte sich offen gegen die

Breschnew-Doktrin von der "begrenzten Souveränität der sozialistischen Staaten".

Als einziges Balkanland beteiligte sich Bulgarien am Einmarsch in die CSR. Seit

der Gründung der Volksrepublik lehnte sich Bulgarien eng an die Sowjetunion.

Titos Auflehnung gegen Stalin beantwortete Bulgarien schon 1948 mit der

Kündigung des Freundschaftsvertrages.

Der erste Generalsekretär der bulgarischen KP, von 1946 bis 1949 auch Mi-

nisterpräsident Georgi Dimitrov hatte ursprünglich den Plan einer

Balkanföderation der kommunistischen Staaten, war aber am Veto Stalins

gescheitert, der im Sinne sowjetischer Machtpolitik das System bilateraler

Freundschafts- und Beistandsverträge durchsetzte. Dimitrovs früher Tod im Jahre

1949 und die bald darauf folgenden Säuberungsprozesse gegen Titoisten

zwischen 1950 bis 1956 lassen nur vermuten, daß Dimitrov vielleicht einen

eigenen bulgarischen Weg einschlagen wollte.

Mit Todor Schiwkow (1911-1988) kam 1954 ein Politiker an die Macht, der die

sowjetische Politik bedingungs- und kritiklos unterstützt hat.

3 Jugoslawien -Vielvölkerstaat und Nationalitätenfrage

Lenin schrieb 1913 in seinem bekannten Artikel "Kritische Bemerkungen zur

nationalen Frage":

"Die Marxisten verhalten sich selbstverständlich der Föderation und der Dezentralisierung gegenüber feindlich, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil

42

der Kapitalismus für seine Entwicklung möglichst große und möglichst zentralisierte Staaten verlangt. Bei sonst gleichen Bedingungen wird das klassenbewußte Proletariat stets für den größeren Staat eintreten. Es wird stets gegen den mittelalterlichen Partikularismus ankämpfen und den möglichst engen wirtschaftlichen Zusammenschluß großer Territorien begrüßen, in denen sich der Kampf gegen die Bourgeoisie breit entfalten kann.

Aber solange und soweit verschiedene Nationen einen Einheitstaat bilden, werden die Marxisten unter keinen Umständen das föderative Prinzip oder die Dezentralisation propagieren. Der zentralisierte große Staat ist ein gewaltiger historischen Schritt vorwärts auf dem Weg von der mittelalterlichen Zersplitterung zur künftigen sozialistischen Einheit der ganzen Welt, und einen anderen Weg zum Sozialismus als über einen solchen (mit dem Kapitalismus unlösbar ver-knüpften) Staat gibt es nicht und kann es nicht geben."27

Darin spiegelt sich die Grundeinstellung zum Unitarismus wieder, die Marx und

Engels in ihrer Lehre von der Diktatur des Proletariats vertreten haben.

Auch Stalin schrieb noch 1917, im Jahr der Oktoberrevolution einen Aufsatz

"Gegen den Föderalismus"28, den er als "absolut unvernünftig und reaktionär"

verwarf. Diese Haltung änderte sich aber bald nach der Machtübernahme der

Bolschewiki, als die Bedeutung des Nationalismus, besonders der nicht-

russischen Völker, erkannt und für die Zwecke der Machtausweitung der

Bolschewiki benutzt wurden. Eine kommunistische Konzeption des Föderalismus

wurde entworfen, die aber nur der Übergang zum Zentralismus sein sollte. Ende

1922 entstand nach dem Willen Lenins die Sowjetunion als Union der

Sozialistischen Sowjetrepubliken.

Als am Ende des Zweiten Weltkrieges das neue Jugoslawien unter Josip Broz

Titos kommunistischer Führung entstand, wurde das Problem des Nationalismus

gemäß der Ideologie der kommunistischen Internationale ignoriert. Jugoslawien

wurde per Dekret zum "fortschrittlichsten Gesellschaftssystem der Welt" erklärt.

Auf Beschluß der KP wurde 1953 der Nationailitätenrat, die zweite Kammer des

Parlaments, aufgelöst.Tito, der selbst kroatisch-slowenischer Herkunft war,

unternahm den Versuch, die serbische Übermacht, die schon im Vorkriegs-

Jugoslawien bestanden hatte, einzudämmen, indem er die Vojvodina im Norden

27 W. I. Lenin, Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage, Lenin Werke Band 20, Dietz Verlag Berlin

1961, S. 31f. 28 J.W.Stalin, Gegen den Föderalismus, Stalin Werke Band 3, Dietz Verlag Berlin 1951, S. 23f.

43

und den Kosovo im Süden zu autonomen Provinzen machte und dadurch die

territoriale Ausweitung Serbiens begrenzte.

Ab 1963 war Jugoslawien ein Bundesstaat, der aus den Sozialistischen

Republiken Slowenien (Ljubljana), Kroatien (Zagreb), Serbien (Belgrad), Bosnien-

Herzegowina (Sarajevo), Montenegro (Titograd), Mazedonien (Skopje) und den

beiden autonomen Provinzen Kosovo (Pristina) und Vojvodina (Novi Sad)

bestand.

Die föderalistische Verfassung stand im Widerspruch zur zentralistischen

Einparteienherrschaft, die von Belgrad bestimmt wurde. Polizei, Beamte, Armee

und besonders der Geheimdienst wurden von Serben geführt, die alle

Schlüsselpositionen inne hatten. Der Druck auf die jugoslawischen Nationalitäten

war besonders stark auf die Albaner, die zu hunderttausenden in die Türkei

emigrierten. Die wirtschaftlichen Gegensätze zwischen den Republiken erbitterten

Kroaten und Slowenen, die 90 % ihrer Deviseneinnahmen (Tourismus) an Belgrad

abführen mußten. Der Kosovo, aber auch die Republiken Bosnien, Montenegro

und Mazedonien wurden vernachlässigt, wie die zurückgebliebene Infrastruktur

zeigte. 1971 kam es in Kroatien zu einer Erhebung gegen den Belgrader

Zentralismus, der auch von der KP Kroatiens mitgetragen wurde.

Tito befürchtete damals einen Bürgerkrieg, konnte aber den Aufruhr unterdrücken.

Ähnliche Proteste gab es auch in Slowenien. Diese Situation führte schließlich zur

Ausarbeitung einer neuen Verfassung, in der das föderale Element verstärkt war.

Tatsächlich wurde nun das kulturelle Leben der Nationalitäten, aber auch das der

nationalen Minderheiten vorbildlich organisiert und gefördert, insbesondere das

Schul- und Pressewesen.

Jugoslawische Verfassung vom 21. Februar 197429

Artikel 170

29 Die Verfassung der SFR Jugoslawien, eingeleitet von Herwig Roggemann, Berlin 1979 (Quellen zur

Rechtsvergleichung. Aus dem Europa-Institut der Freien Universität Berlin, Die Gesetzgebung der

sozialistischen Staaten, Bd. 19), 105-281.

44

Dem Bürger ist die Freiheit zugesichert, seine Zugehörikeit zu einem Volk oder

einer Nationalität auszudrücken; ebenso die Freiheit der Pflege der nationalen

Kultur und des Gebrauchs seiner Sprache und Schrift.

Der Bürger ist nicht verpflichtet, zu erklären, welchem Volk bzw. welcher

Nationalität er angehört, noch sich für die Zugehörigkeit zu einem Volk oder einer

Nationalität zu entscheiden.

Verfassungswidrig und strafbar ist jede Propagierung und Förderung nationaler

Ungleichheit und jede Aufhetzung zum nationalen, rassischen und

konfessionellen Haß und Intoleranz.

Artikel 246

Die Sprache der Völker und Nationalitäten und ihre Schrift sind auf den Territorien

Jugoslawiens gleichberechtigt.

In der sozialistischen föderativen Republik sind die Sprachen der Völker und die

Sprachen der Nationalitäten in amtlichen Gebrauch - in Einklang mit dieser

Verfassung und dem Bundesgesetz.

Artikel 247

Jeder Nationalität wird garantiert, daß sie für die Ausübung des Rechts der Pflege

ihrer Nationalität und Kultur ihre Sprache und Schrift frei gebraucht, ihre Kultur

entwickelt und deshalb Organisationen gründet und die anderen in der

Verfassung gewährten Rechte genießt.

Besondere Gesetze gab es für den Aufbau des autonomen Gebietes Kosovo und

der Sozialistische Republik Mazedonien hinsichtlich der dort existierenden

gemischt-nationalen Regionen.

Den dort lebenden Minderheiten wird gleichfalls das Recht auf die eigene

Sprache und kulturelle Entfaltung zugestanden.

45

Während in den internationalen Gremien diese neue Verfassung als vorbildlich

für Europa diskutiert wurde, fühlten sich die Serben benachteiligt.

Mit dem Tod Titos 1980 ging diese Ära des befriedeten Vielvölker-Föderalismus

in Jugoslawien zu Ende.

Kaum ein Jahr später kam es im Kosovo zum Aufstand, die dort lebenden

Albaner, 90 % der Bevölkerung, forderten für sich den Status einer Autonomen

Republik. Die serbisch geführte Polizei und Bundesarmee wüteten unter den

Demonstranten, es gab viele Tote und Verletzte.

Unruhen gab es auch in Slowenien, wo eine starke Opposition gegen Belgrad

sich sammelte.

In Kroatien wurde der Mitkämpfer Titos, Franjo Tudjmans (1922-1999), wegen

"Nationalismus" 1981 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, was zu Protesten

führte.30

Am stärksten brach der Nationalismus unter den Serben aus, die in einem

geheimen ‚Memorandum zur Lage der serbischen Nation“ (SANU) 1982/1986 sich

als "Opfer der Gleichberechtigung" beklagten. Dieses Memorandum hatte

bedeutenden Einfluss auf das Wiederaufleben des Nationalismus in Serbien:

Im Jugoslawien Titos wurde der serbischen Nation die Gleichberechtigung vorent-halten, obwohl sie Jugoslawien die größten Opfer gebracht hat: 2,5 Millionen Tote in zwei Weltkriegen. Keinem anderen jugoslawischen Volk ist so systematisch seine geistige und kulturelle Integrität bestritten worden wie dem Serbischen.

Um die Interessen Serbiens zu sichern, und die Frage der Staatlichkeit zu lösen, ist es notwendig, die Verfassung zu revidieren.31

Zwischen diesen Beschuldigungen und Forderungen und dem Zusammenbruch

des Vielvölkerstaates lagen nur noch drei Jahre. Anfang 1989 hob das serbische

Parlament alle wichtigen Autonomierechte der Kosovo-Albaner auf. Die

30 Im Februar 1981 wurde er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, und es wurde ihm für weitere fünf Jahre

verboten, westlichen Radio- und Fernsehagenturen Interviews zu geben. Zwischen 1982 und 1983 saß er

wieder wegen „staatsfeindlicher Propaganda“ in Lepoglava in Haft. Dann wurde seine Haft wegen

gesundheitlicher Probleme bis zum Mai 1984 unterbrochen. Im September 1984 wurde er deswegen endgültig

auf freien Fuß gesetzt. 31https://web.archive.org/web/20080209182857/http://www.haverford.edu/relg/sells/reports/memorandumSA

NU.htm

46

Gedenkfeier zum 600. Jahrestag der Schlacht der Serben gegen die Türken auf

dem Amselfeld im Kosovo (1389-1989) wurde zu einer Demonstration

großserbischer Ansprüche32.

Seit Juni 1991 tobt der Krieg in Jugoslawien und führte zu einer unvorstellbaren

blutigen Auflösung des Vielvölkerstaates Jugoslawiens. Es ist nicht

ausgeschlossen, daß dieser Flächenbrand den gesamten Balkan erfassen kann,

denn Jugoslawiens Nationalkonflikte sind nur ein Ausschnitt aus dem Spektrum

ähnlicher Probleme in ganz Südosteuropa.

3.1 Bosnien-Herzegowina

Eine der sechs Teilrepubliken des nun aufgelösten Staates Jugoslawien war

Bosnien-Herzegowina, das als drittgrößter Gliedstaat im Zentrum des Landes lag.

Das Territorium umfaßt 51 129 km², der Fluß Save bildet die nördliche Grenze. Im

Westen und Süden liegen küstenparallele Gebirgsketten, an einer schmalen

Stelle ist ein Zugang zur Adria. Im Südwesten, Nordwesten und Osten bilden die

Schluchten der Flüsse Una und Drina die Grenzen zu den benachbarten

Republiken Kroatien, Serbien und Montenegro.Geographisch gliedert sich das

Gebiet in das nördlich gelegene Bosnien und das südöstlich liegende Gebiet

Herzegowina.

Die Hauptstadt ist das in dem seit 1991 andauernden Bürgerkrieg belagerte und

teilweise zerstörte Sarajewo. Die Republik Bosnien war in sechs

Verwaltungsdistrikte aufgegliedert: Sarajewo, Mostar, Tuzla, Doboj, Banja Luka,

Bihac, die alle vom Bürgerkrieg betroffen und in weiten Teilen durch die serbische

Armee besetzt sind.

Im ehemaligen Jugoslawien umfaßte das Gebiet 44% der Gesamtfläche mit 4,4

Millionen Einwohner. Bosnien ist zum größten Teil Gebirgsland, das

durchschnittlich über 700 Meter hoch liegt (über dem Meeresspiegel), seine

höchsten Erhebungen gehen auf 2107 m hoch. Die wichtigsten Flüsse sind

Drina, Save, Bosna, Una und Vrbas. Neben den bewaldeten Gebirgsregionen

32Die Schlacht auf dem Amselfeld fand am 15. Juni 1389 auf dem Amselfeld unweit Priština am Flusslauf des

Lab im heutigen Kosovo statt. Der türkische Sultan Murad I. versuchte, die serbischen Fürstentümer der

Oberhoheit des Osmanischen Reiches zu unterwerfen. Obwohl die Serben diese Schlacht verloren, entstand

daraus ihr Nationalmythos.

47

befinden sich im Südwesten Wald- und wasserarme Karstregionen, hier ist das

Klima eher mediterran, im Norden dagegen gemäßigt.

3.2.1. Wechselvolle Geschichte

Ursprünglich war der Name Bosnien auf das Gebiet am Oberlauf der Bosna

beschränkt. Am Ende des ersten Jahrtausends besiedelten es illyrische Stämme,

später wurde es von den Römern unterworfen und seine Bevölkerung romanisiert.

Bis in die spätrömische Zeit lag hier die Provinz Illyricum, die im sechsten

Jahrhundert an Byzanz fiel. Weite Teile wurden dann christianisiert.

Erst Anfang des siebenten Jahrhunderts wanderten südslawische Stämme ein

und verdrängten die ansässige Bevölkerung oder vermischten sich mit ihr.

Seit dem zehnten Jahrhundert ist der Name 'Bosnien' urkundlich belegt. Im Laufe

der Zeit kämpften Serben, Kroaten, Byzantiner und Montenegriner (Zeta) um die

Vorherrschaft in Bosnien. Vom zwölften Jahrhundert an beanspruchte Ungarn die

Oberhoheit über das Fürstentum.

In der ostkirchlichen 'Bosnischen Kirche' bildeten die Bogomilen eine häretische,

vom Glaubensdogma der Ostkirche abweichende religiöse Sonderform aus.33 Die

ungarischen Könige führten mehrere Kreuzzüge gegen diese aus Kleinasien

stammende religiös-soziale Bewegung, die im zehnten Jahrhundert von dort auf

den Balkan vordrang und über Bulgarien auch in der Bosnischen Kirche

Eingang fand. Erst mit der osmanisch-islamischen Eroberung ging sie im

15.Jahrhundert unter.

Seit dem 11. Jahrhundert wurde Bosnien von einem Gaufürsten, dem Ban,

verwaltet und trug den Namen Banat Bosnien. Unter Ninoslaw kämpfte Bosnien in

der Zeit zwischen 1232 und 1250 gegen die ungarische Oberherrschaft. Die

bosnische Unabhängigkeit konnte sich erst unter Stefan Tvrtko I (1353-1391)

festigen, unter dem 1377 ein Königreich gegründet wurde. Damit hatte Bosnien

für eine kurze Periode einen Höhepunkt in seiner Geschichte erreicht, sein

Territorium umfaßte Serbien und das Gebiet Hum, das ab Ende des

33 Die Bewegung der Bogomilen breitete sich vom 10. bis 15. Jahrhundert von Bulgarien, im byzantinischen

Kaiserreich, in den anderen Balkanländern und in Russland aus. Angebliche direkte Verbindungen zur

48

15.Jahrhunderts Herzegowina hieß. Mit den osmanischen Türken drang im

14.Jahrhundert eine neue Macht auf dem Balkan vor. Die große Wende in der

Balkangeschichte trat mit der legendäre Schlacht zwischen Serben und Türken

1389 auf dem Amselfeld ein, wo die Serben vernichtend geschlagen wurden(vgl.

3.1.) Damit begann die fünfhundertjährige Türkenherrschaft über die Südslawen.

Da nach dem Tod von Stefan Tvrtko I. ein rascher Verfall des Königreichs

Bosnien unter den einheimischen Herrschern eintrat und Ungarn erneut

versuchte, die Herrschaft zu gewinnen, sollen sich einflußreiche bosnische

Adelssippen an den osmanischen Sultan Mehmed I. um Hilfe gewandt haben. Seit

1415 standen osmanische Truppen auf bosnischem Gebiet; ab 1428 war Bosnien

dem Sultan tributpflichtig und wurde 1463 endgültig dem Osmanenreich

einverleibt. Die Herzegowina konnte noch längeren Widerstand leisten ehe sie

1482 unterworfen wurde.

Aus dem Königreich Bosnien wurde eine osmanische Provinz, die bis 1878 unter

der Oberhoheit des Sultans stand. Der bogomilische Feudaladel Bosniens trat

zum Islam über und rettete dadurch seine Privilegien und seinen Grundbesitz,

denn nach islamischem Recht konnte nur ein Moslem Eigentümer von Grund und

Boden sein. Der türkische Sultan hatte zwar Religionsfreiheit zugesichert, aber die

christliche Bevölkerung wurde unterdrückt, als landlose Bauern ausgebeutet und

entrechtet. Große Teile der katholischen Bevölkerung wanderten aus Bosnien

aus, während die orthodoxe Bevölkerung zurückblieb, aber an ihrer Religion

festhielt. Im Jahre 1580 wurden Bosnien und Herzegowina verwaltungsmäßig

zusammengelegt, das Gebiet wurde ein Paşalık, d.h. ein osmanischer Provinz an

dessen Spitze ein militärischer hoher Verwaltungsbeamter (Paşa) stand. Die

neue Hauptstadt Saray-Ovasi , - woraus Sarajevo entstand -, wurde das Zentrum

islamischer Kultur. Von hier stammten die bosnischen Janitscharen34, die ihre

slawische Abstammung nie verleugneten. Außerdem war Sarajewo ein

bedeutendes Handelszentrum, dessen Basarviertel, Moscheen, islamische

Friedhöfe und eine umfangreiche Bibliothek aus dem 16.Jahrhundert stammten.

mittelalterlichen Bosnischen Kirche werden von der neueren Geschichtsforschung bestritten. Vgl. Noel

Malcolm, Geschichte Bosniens, Frankfurt am Main 1996, S. 45ff. 34 Die Janitscharen (yeni ceri) “neue Truppe” entwickelte sich Mitte des 14 Jh. Seit 1438 wurden die

Janitscharen durch sogen. Knabelese rejkrutiert. Daher setzte sich die Einheit aus Christenknaben zusammen,

die aus den europäischen Gebieten des Reiches stammten. In früher Kindheit waren sie ihren Eltern

weggenommen, türkisch erzogen und islamisiert worden.

49

Erst während des seit 1991 tobenden Bürgerkrieges wurden diese historischen

Denkmäler zum größten Teil zerstört.

Im 19.Jahrhundert kam es in Bosnien 1824, 1852-56, 1875 zu mehreren

Aufständen der unterdrückten christlichen Bevölkerung. Rußland als „Schutzherr

der slawisch-christlichen Völker“ intervenierte. Durch den Russisch-Türkischen

Krieg 1877/78 und den Vertrag von San Stefano schien die Möglichkeit einer

nationalen Unabhängigkeit in greifbare Nähe gerückt, wurde aber durch die

Entscheidungen auf dem Berliner Kongreß (1878) zunichte gemacht. Bosnien

wurde nun unter die Verwaltung Österreich-Ungarns gestellt. Dies geschah

gegen den Willen der bosnischen Bevölkerung, die sich dagegen 1878 und 1882

erhob: es kam zu anti-österreichischen Aufständen, eine nationale Bosnische

Bewegung orientierte sich auf ein Großserbien hin.

Als Österreich 1908 Bosnien-Herzegowina formell annektierte, etwa zeitgleich mit

der Jungtürkischen Revolution, kam es zur Bosnischen Krise und einer

Verschärfung internationaler Spannungen in Europa. Die nationale Bewegung

Junges Bosnien, die im Untergrund für eine Großserbien-Bewegung arbeitete, war

an dem Attentat beteiligt, das am 28. Juni 1914 den Ersten Weltkrieg ausgelöst

hat, als der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand von dem bosnischen

Serben Gavrile Princip erschossen wurde .

Der moslimische Bevölkerungsteil Bosniens stand der Nationalbewegung für

Großserbien feindlich gegenüber, da er seine Interessen dabei nicht vertreten

sah. So kämpften während des Ersten Weltkrieges islamisch-bosnische

Truppenverbände als Bosniaken-Corps auf der Seite Österreich-Ungarns35.

Nachdem die Habsburger Monarchie am Ende des Krieges zusammengebrochen

war , erklärte der Bosnische Nationalrat am 30.Oktober 1918 seinen Anschluß an

das Königreich Serbien, das sich als SHS-Königreich (=Serbien-Kroatien-

Slowenien) konstituiert hatte und aus dem nach dem Zweiten Weltkrieg

35 Franz Genthe: Die Bosniaken in der preussischen Armee. In: Wissenschaftliche Mitteilungen aus Bosnien

und der Herzegowina. Bosnisch-Herzegowinisches Landesmuseum in Sarajewo, Band 8, Wien 1901, 145–

200.

50

Jugoslawien hervorging. Von 1941 bis 1945 gehörte Bosnien zum Unabhängigen

Staat Kroatien, den die faschistische Ustaša mit Hilfe der deutschen Besatzer

gegründet hatte.36 Bosnien wurde im Krieg ein Zentrum der Partisanenkämpfe

zwischen Faschisten, Nationalisten und Kommunisten. 1946 wurde Bosnien

Föderativstaat der Volksrepublik Jugoslawien.

3.3. Der Zerfall Jugoslawiens

Um den seit drei Jahren in Bosnien und zum Teil in Kroatien tobenden

Bürgerkrieg zu verstehen, der inzwischen hunderttausende Opfer gefordert hat,

soll auch ein Überblick auf die Geschichte Bosniens als jugoslawischer

Teilrepublik gegeben werden. Letztlich ist der Krieg in Bosnien das Ergebnis

ungelöster Nationalitätenkonflikte, die weit in die Geschichte der südslawischen

Völker hineinreichen und auch während der Periode des sozialistischen

Jugoslawiens keine Lösung gefunden haben.

Die Jugoslawische Kommunistische Partei hielt Anfang der fünfziger Jahre die

Nationale Frage für gelöst. Eine föderalistische Verfassung konnte auf die Dauer

nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Serben mit einer zentralistischen

Einheitspartei eine Vormachtstellung im Staat Jugoslawien besaßen. Die

moslimische Bevölkerung wurde als "vertürkte Serben" angesehen, die im Laufe

ihrer Geschichte zu Verrätern der Großserbischen Idee geworden sind. Da sich

die moslemischen Bosnier im Zweiten Weltkrieg auf die Seite der faschistischen

Kroaten gestellt hatten, wurden sie von der serbischen Partisanen (Četniks) als

Faschisten und Besiegte behandelt. Bei den Volkszählungen seit 1948 wurden

sie als ‚Unentschiedene Musulmanen’ ohne eigene ethnische Identität, ab 1953

als national ‚Unentschiedene Jugoslawen’ bezeichnet. Erst seit 1961 erhielten sie

eine eigene „ethnische Zuweisung“, die aber eigentlich die Zugehörigkeit zu ihrer

Religion ausdrückte, sie wurden nun ethnisch als "Moslime" geführt, waren aber

weder als Nation noch als Nationalität anerkannt, lediglich als Volksgruppe ohne

Status, wie Walachen und Roma. Dies ist erstaunlich, wenn man bedenkt, daß die

36 Kroatischen Vasallenstaat der Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg, dessen Diktator Ante Pavelić war.

Vgl. Martin Broszat, Ladislaus Hory: Der kroatische Ustascha-Staat 1941–1945 (= Schriftenreihe der

Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Nr. 8). 2. Auflage. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1965.

51

jugoslawischen Moslime37 mit etwa 3,37 Millionen (1981) die drittgrößte

Bevölkerungsgruppe nach Serben und Kroaten im damaligen Jugoslawien war.

Außer den bosnische Moslems gehören auch die Albaner und eine kleinere

türkische Minderheit dem Islam an, werden aber unter ihrer eigenen

Volksbezeichnung gezählt.

Bei der Volkszählung 1971 wurden die moslimischen Bosnier als Moslime im

Sinne einer Nationalität anerkannt, jedoch wurde die nationale Bezeichnung

'Bosnier' streng vermieden, um territoriale Autonomieforderungen auszuschließen.

Es galt als fortschrittlich, daß sich ein Moslem bei der Volkszählung einfach als

Jugoslawe angab, während Serben, Kroaten, Slowenen durchaus auf ihrer

nationalen Identität bestanden.

Die 1974 verabschiedete neue Verfassung Jugoslawiens galt in ganz Europa als

vorbildlich für eine fortschrittliche Minderheitenpolitik. Das föderale Element des

Vielvölkerstaates wurde dabei noch gestärkt.

3.3.1. Der Kosovo

Mit Titos Tod 1980 begann der Zerfall Jugoslawiens bereits. Unter den Albanern

im Kosovo, dem Armenhaus Jugoslawiens, kam es zu Unruhen wegen ihrer

Forderungen nach einer eigenen Republik, weil sie sich mit dem Autonomiestatus

nicht mehr begnügen wollten.

Bald machten sich auch oppositionelle antikommunistische Bewegungen in

Kroatien und Slowenien bemerkbar. Gegen die Demonstranten wurde die unter

serbischer Führung stehende Polizei und die Bundesarmee eingesetzt, welche

ebenfalls serbisch dominiert war.

Seit Mitte der achziger Jahre verstärkte sich der Druck auf die nicht-serbischen

Nationalitäten, die politische Propaganda für ein Großserbien erreichte während

der 600-Jahrfeier am 28.Juni 1989 zur Erinnerung an die Schlacht zwischen

Serben und Türken auf dem im Kosovo liegenden Amselfeld einen Höhepunkt.

37 István Keul (Hrsg.), Religion, Ethnie, Nation und die Aushandlung von Identität(en): Regionale

52

Obwohl 82 % der Bevölkerung dort Albaner sind, sehen die Serben das Gebiet

aus historischen Gründen als zu Serbien gehörend an. Die "Legende vom

Genozid an Serben im Kosovo" stützt sich auch darauf, daß während des Zweiten

Weltkrieges der Kosovo dem unter italienischer Kontrolle stehenden Albanien

angegliedert war und tausende von Serben vertrieben wurden38.

Von Ende 1988 bis März 1989 wurden über Verfassungsänderungen die

Autonomierechte des Kosovo allmählich zurückgenommen, schließlich ganz

aufgehoben. Eine unabwendbare Eskalation der Lage trat ein, als die autonomen

Provinzen Kosovo und Vojvodina aufgelöst und dem serbischen Territorium

einverleibt wurden, wobei die dort lebende serbische Minderheitsbevölkerung39

durch die Belgrader Hetzkampagnen gegen die anderen Bevölkerungsteile der

Teilrepubliken eine feindselige Haltung einnahm. Auf Generalstreiks und

Demonstrationen antwortete die serbische Führung mit dem Einsatz von Armee

und Polizei, wobei es allein im Januar 1990 fast hundert Tote gab. Am 3. Juli 1990

wurde das Kosovo-Parlament aufgelöst. Bis zum September übernahm Serbien

die Kontrolle des gesamten öffentlichen Leben und errichtete eine

Militärherrschaft. Mehr als hunderttausend Albaner verloren ihre Arbeit, die

Leitung der Fabriken wurde von Serben übernommen, die Akademie der

Wissenschaften des Kosovo aufgelöst, Schulunterricht und Universitätslehre in

albanischer Sprache verboten.

3.3.2. Austritt von Slowenien und Kroatien

Nicht außer acht gelassen werden darf die Tatsache der gesamten politischen

Umgestaltung Osteuropas, der Zusammenbruch des Ostblocks durch die

Auflösung des Sowjetimperiums. In diesem Kontext stand die Ablösung und

Religionsgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa, Frank & Timme 2005 38 Mit dem Eingreifen Deutschlands auf dem Balkan im April 1941 im Zuge des Balkanfeldzuges wurden

Jugoslawien und Griechenland von deutschen Truppen besetzt wurden. Das Kosovo und die Region um

Ulcinj in Montenegro sowie Teile des heutigen Mazedoniens wurden an Albanien angeschlossen. Dieses

Staatsgebilde wurde Großalbanien genannt. 39 Militärisches Amt der Bundeswehr : ethnische Zusammensetzung des Kosowo: Serben – 1948: 23,6%.

1981 – 13,2% 2006 – 5%. Seit dem Kosovokrieg haben schätzungsweise 240.000 Angehörige der

Minderheiten durch Flucht oder Vertreibung ihren Wohnsitz verloren. Diese Zahl beruht auf Angaben der

serbischen Regierung und wird durch andere Vergleichszahlen gestützt.

53

Unabhängigkeitserklärung der beiden nördlichen Republiken Kroatien und

Slowenien.

Im Januar 1990 kam es zum Auseinanderbrechen des "Bundes der Kommunisten

Jugoslawiens", der sich noch wenige Monate zuvor gegen die Einführung eines

Mehrparteiensystems ausgesprochen hatte. Als erste verließen die Kommunisten

Sloweniens und Kroatiens die Bundespartei, damit war der letzte politische

Zusammenhalt zerbrochen. Die ehemaligen führenden Parteifunktionäre blieben

jedoch in ihren Ämtern. Im April 1990 waren freie Wahlen auf Bundesebene

angesetzt, der Zerfall des Bundesstaates machte sie überflüssig.

Stattdessen fanden im April und Mai 1990 in den Teilrepubliken Slowenien und

Kroatien freie Wahren statt, bei denen sich die Oppositionsbündnisse - in Kroatien

die nationalistisch ausgerichtete Partei Franjo Tudjmans - durchsetzen konnten.

Tudjman wurde am 30.Mai 1990 Präsident von Kroatien. Slowenischer Präsident

wurde am 8. April 1990 Milan Kučan (*1941). Beide nichtkommunistischen

Regierungen lehnten den Wehrdienst von Slowenen und Kroaten in der

jugoslawischen Volksarmee ab und legten einen Verfassungsentwurf vor, der die

Umwandlung des Bundesstaates in einen Staatenbund vorsah.

Die serbische Kommunistische Partei löste sich im Juli 1990 selbst auf und bildete

mit anderen sozialistischen Massenorganisationen die Sozialistische Partei

Serbiens unter Slobodan Milošević (1941-2006), der seit 1987 Präsident der

Serbischen Teilrepublik war und sich inzwischen zum 'Volkstribun' entwickelt

hatte. Ungeachtet der allgemeinen Entwicklung in Osteuropa versuchte er den

Kommunismus in Serbien unter Einbeziehung einer nationalistischer Ideologie

neu zu installieren, gleichzeitig aber den anderen nationalen Bewegungen die

Berechtigung dazu abzusprechen.

Als im November und Dezember 1990 bei den ersten freien Wahlen in Bosnien-

Herzegowina sich die Bevölkerung in großer Mehrheit für die "Partei der

demokratischen Aktion" entschieden hatte und den früher als Oppositionellen

verfolgten Alija Izetbegovic (1925-2003) zum Präsidenten einer unabhängigen

Republik Bosnien wählte, unternahm der neue Präsident alles, um Bosnien das

Schicksal einer kriegerischen Aggression zu ersparen. So suchte er eine

54

ausgewogene Koalition mit der "Kroatisch Demokratischen Gemeinschaft" und mit

der "Serbisch Demokratischen Partei", um allen Bevölkerungsteilen in Bosnien

gerecht zu werden. Bosnien sollte die "Schweiz auf dem Balkan" werden.40

In Serbien und Montenegro konnten sich die Kommunisten behaupten, Milosevic

wurde zum Präsidenten Serbiens, Momir Bulatović (geb. 1956) wurde 1990 zum

Präsidenten von Montenegro gewählt.41

3.3.3. Das Ende Jugoslawiens

Das Wahlergebnis führte in Slowenien und Kroatien zu einem neuen

Verfassungsentwurf, der die Umwandlung des Bundesstaates in einen

Staatenbund vorsah. Serbien gab dagegen bekannt, daß alle Anordnungen der

Bundesregierung, die sich nachteilig gegen Serben auswirken könnten, boykottiert

würden. Das jugoslawische Bundesparlament war damit endgültig

handlungsunfähig geworden. Im Oktober 1990 zog Serbien seine Vertreter aus

der jugoslawischen Regierung zurück und besetzte alle Schlüsselpositionen im

Wirtschaftsbereich.

Anfang 1991 drohte ein Wirtschaftskrieg, weil alle sechs Republiken inzwischen

ihre Zahlungen an die Bundeskasse eingestellt hatten. Außerdem bildeten sich in

den Republiken bewaffnete Milizen, nachdem die Bundesarmee weitgehend ein

militärisches Instrument Serbiens war. Da in fast allen ehemaligen jugoslawischen

Bundesstaaten außerhalb Serbiens eine serbische Minderheit lebt, war ein

ethnisches Konfliktpotential vorhanden, das von Serbien bald für seine

expansiven Ziele genutzt wurde.

In Kroatien drängte die serbische Minderheit auf Autonomie, alte historische

Gegensätze zwischen Kroaten und Serben, vor allem während des Zweiten

40 Marie-Janine Calic: Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main

1996 41 Von 1990 bis 1998 war er der erste demokratisch gewählte Staatspräsident Montenegros, von 1998 bis

2000 Ministerpräsident der Bundesrepublik Jugoslawien. Bulatović galt als enger Verbündeter des serbischen

und später jugoslawischen Präsidenten Milošević.

55

Weltkrieges, wurden wiederbelebt, um die nationalistischen Stellungnahmen zu

untermauern.

Ende Februar 1991 beschlossen das slowenische Parlament und Ende Mai 1991

Kroatien die Abtrennung von Jugoslawien sowie die einvernehmliche Auflösung

des Bundesstaates zugunsten der Gründung von souveränen Staaten. Am 25.

Juni 1991 erklärten die Republiken Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit.

Slowenien bekundete seine Absicht, die Vollmitgliedschaft in der Europäischen

Gemeinschaft anzustreben, wobei es als industriell am stärksten entwickelte

Republik Jugoslawiens bei seinem Alleingang die besten Chancen hatte.

Die Bundesregierung in Belgrad stellte Kroatien ein Ultimatum zur Entwaffnung

der republikanischen Milizen. Bereits im Dezember 1990 hatte sich die serbische

Minderheit als Autonomes Gebiet der Krajina von Kroatien losgesagt, um einen

Staatenbund mit der "Mutterrepublik" Serbien zu bilden, was als ein erster Schritt

auf dem Wege hin zu einem Großserbien angesehen wurde, welches alle

serbisch bewohnten Gebiete einschließen sollte.

4 AUSBRUCH DES BÜRGERKRIEGS

Ab März 1991 standen sich kroatische Spezialeinheiten und die Bundesarmee

der Gebiete gegenüber, in denen eine gemischtnationale Bevölkerung - Serben

und Kroaten - lebte. Es kam zu ersten Kampfhandlungen mit Toten und

Verletzten. Der Konflikt verschärfte sich, als Präsident Slobodan Milosević eine

Grenzrevision zugunsten Serbiens forderte, falls eine zentralregierte Föderation

nicht zustande käme. Im Mai 1991 kam es zu Bürgerkriegsähnlichen

Auseinandersetzungen zwischen kroatischen Milizen und der Bundesarmee.

Während der Westen weiterhin auf die Einheit Jugoslawiens setzte und die

Bundesregierung unter Ante Marković (1924-2011)42 unterstützte, erklärten

Slowenien und Kroatien am 25.Juni 1991 ihre Unabhängigkeit. Bereits in der

folgenden Nacht kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen slowenischen

Streitkräften und der Bundesarmee, die den Flughafen der Hauptstadt Ljubljana

42 Von 1989 bis 1991 war er Ministerpräsident seines Landes.

56

bombardierte. Unter dem Druck der Europäischen Gemeinschaft wurde ein

Waffenembargo und die Aussetzung der Finanzhilfe an Jugoslawien

durchgesetzt. Am 8. Juli konnten die Auseinandersetzungen mit dem Abkommen

von Brioni vorerst beendet werden.43 Als Gegenleistung sagten Slowenien und

Kroatien zu, den Vollzug ihrer Unabhängigkeit für drei Monate auszusetzen. Nur

eine Woche nach dieser Vereinbarung griff die inzwischen völlig unter

serbischem Befehl stehende Bundesarmee kroatische Verbände an.

Am 18. Juli zog sich die Armee aus Slowenien zurück, was einer faktischen

Anerkennung der Souveränität dieser Republik gleichkam. Nach diesem

sogenannten Zehntagekrieg konnte sich Slowenien aus dem Kriegsgeschehen

auf dem Balkan heraushalten, da auf seinem Territorium keine größeren

Minderheitengruppen leben. Wegen seiner Zugehörigkeit bis 1918 zum

österreichischen Kronland fühlt sich der Staat ohnehin stärker an Mitteleuropa als

an den Balkan gebunden.

Der heutige Präsident Milan Kučan44 wurde 1991 mit großer Mehrheit von der

Bevölkerung im Amt bestätigt, obwohl er der letzte kommunistische Parteichef des

Landes war. Seit Januar 1993 regiert eine große Koalition, die sich aus der

Liberaldemokratischen Mitte bis zu den Christdemokraten und einer kleinen

Rechtspartei zusammensetzt.

Republik Slowenien

Einwohner 2 Millionen

90,5 % Slowenen, 3% Kroaten, 2,2% Serben

Religion mehrheitlich römisch-katholisch

Republik Kroatien

Einwohner 4,7 Millionen

43 Am 7. Juli 1991 wurde auf der kroatischen Insel Brijuni (Brioni) das Brioni-Abkommen zwischen der

slowenischen, kratischen und jugoslawischen Führung geschlossen.

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78% Kroaten, 12,2 % Serben

Religion 76,5 Katholiken, 11 % Orthodoxe

Die Kämpfe konzentrierten sich im weitere Verlauf auf Kroatien, wo es um die

gewaltsame Abtrennung der Gebiete Slawonien und der Krajna ging, die in einem

Restjugoslawien verbleiben sollten. Im Laufe des Sommers 1991 weiteten sich

die Kämpfe zu einem offenen Krieg aus, der in Slawonien die Städte Osijek,

Vinkovci und Vukovar einbezog. Im September kam es zu einer Großoffensive

der Armee, welche ab Oktober zusammen mit serbischen Kampftruppen die

Adriastadt Dubrovnik belagerte und den Hafen durch die Bundesmarine

blockierte. Es folgten Angriffe auf Split, nach dreimonatiger Belagerung wurde die

ostslawonische Stadt Vukowar am 19. November 1991 durch serbische und

Truppen der Jugoslawische Volksarmee eingenommen, völlig zerstört und die

kroatische Bevölkerung im Zuge ethnischer Säuberungen vertrieben. Von den

ursprünglich 45 000 Einwohner der Stadt waren 37,4% Serben und 43,7 %

Kroaten. Anstelle der Vertriebenen leben dort jetzt über 10 000 serbische

Flüchtlinge aus Bosnien und Kroatien. In der Krajna-Region leben nur noch 3 %

Kroaten.

Im Sommer 1991 wurden verschiedene vereinbarte Waffenstillstandsabkommen

geschlossen, aber nicht eingehalten. Anfang September hatte in Den Haag eine

Friedenskonferenz der Europäischen Gemeinschaft45 stattgefunden, doch

blieben alle Vermittlungsversuche und Repressionsandrohungen erfolglos. Mitte

Dezember 1991 beschloß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die

Entsendung von UNO-Vertretern und von UNO-Friedenstruppen. Die Europäische

Gemeinschaft beschloß am 17. Dezember 1991 die völkerrechtliche

Anerkennung von Slowenien und Kroatien zum 15.Januar 1992. Die serbische

und kroatische Führung sowie das jugoslawischen Rumpf-Staatspräsidium

stimmten nun dem UNO-Plan zur Beendigung des Krieges zu. Bis zum

44 Er war der erste Präsident des unabhängigen Slowenien 1991-2002. Unter ihm wurde Slowenien 1992

Mitglied der Vereinten Nationen. 45 Mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. Dezember 2009 wurde die Existenz der EG beendet.

Ihre Rechtsnachfolgerin wurde die Europäische Union.

58

Jahresende räumte die Jugoslawische Volksarmee (JVA) ihre Kasernen in

Kroatien.

Im Februar 1992 begann die Stationierung der UNO-Friedenstruppen mit

insgesamt 14 000 Soldaten, allerdings wurden sie nur im kroatischen Kriegsgebiet

eingesetzt. Die von Serbien besetzten Gebiete, nahezu ein Drittel des Territoriums

der kroatischen Republik, verblieben unter serbischer Kontrolle.

Am 3. März 1992 erklärte die Republik Bosnien-Herzegowina ihre

Unabhängigkeit.

4.1. Krieg in Bosnien-Herzegowina

Die Bevölkerungsverhältnisse in Bosnien-Herzegowina vor dem Bürgerkrieg

spiegelten die ethnische Vielfalt Jugoslawiens im kleineren Maßstab wider, wie die

folgende Statistik deutlich macht:

Einwohner insgesamt: 4,5 Millionen46

44 % Moslime

31,4 % Serben (serbisch-orthodox)

17,3 % Kroaten (Katholiken)

Im September 1991 erklärten die Serben jedoch die überwiegend von

katholischen Kroaten bewohnte Herzegowina zu einer Autonomen Serbischen

Region. Sie sollte mit der gleichfalls autonom erklärten Krajina zu einem isolierten

westserbischen Staat vereinigt werden.

Kroaten und Moslems forderten eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit,

die im Januar 1992 ausgeschrieben wurde, was die Serben Bosnien-

Herzegowinas dazu veranlaßte, die Abspaltung einer Autonomen serbischen

Region zu fordern.. Sie boykottierten die Volksabstimmung, an der sich 63% der

Stimmberechtigten beteiligten. Am 3. März 1992 wurde die

Unabhängigkeitserklärung bekanntgegeben, was die Befürchtungen auch der

Europäischen Gemeinschaft wegen eines drohenden Bürgerkrieges verstärkte.

46 Statistik des Auslandes, Länderbericht Jugoslawien 1990, S. 28

59

Um das zu verhindern, suchte man nach einer Kompromißlösung, der von der EG

vorgeschlagene Plan einer Konföderation in Bosnien nach dem Muster der

Schweizer Kanton-Verwaltung wurde aber von keiner Seite akzeptiert. Dabei war

das Hauptproblem die stark gemischten Siedlungsgebiete, die eine ethnische

Aufteilung unmöglich machte. Die Serben, die ein Drittel der Bevölkerung

ausmachten, erhoben Anspruch auf mehr als zwei Drittel des Territoriums, mit

der Begründung, daß die serbische Bevölkerung überwiegend auf dem Lande

siedelte, während die bosnischen Moslems hauptsächlich in den Städten lebten.

Ein eigenständiger Serbenstaat in Bosnien sollte sich später Serbien anschließen

und als Landbrücke zur Krajna, einem der serbischen Siedlungsgebiete in

Kroatien, dienen.

Nachdem die USA und die Europäische Gemeinschaft am 6. und 7. April 1992

Bosnien-Herzegowina als unabhängige Republik anerkannt hatte, brach der Krieg

aus. Die sogenannte Bundesarmee (Jugoslawische Volksarmee) griff auf der

Seite der Serben ein. Schon in den ersten Wochen forderte der Krieg Tausende

von Opfern und Hunderttausende waren auf der Flucht. Bald kam es zu einer

Verständigung zwischen Serben und Kroaten, die Bosnien-Herzegowina unter

sich aufteilen wollten. Während der Kämpfe kam es zu grausamen Massakern an

der moslemischen Zivilbevölkerung in Sarajewo.

Ende Mai 1992 beschloß der UN-Sicherheitsrat ein Handelsembargo und andere

Sanktionen gegen Serbien und Montenegro. Diese Sanktionen blieben

wirkungslos, Sarajewo und andere Städte wie Bihac, Srebrenica, Tuzla, Zepa,

Gorazde wurden weiterhin beschossen und belagert.

Serbien konnte durch das Waffenembargo nicht zum Einlenken bewegt werden,

Durch die Übernahme der Bundesarmee und der Produktionsstätten der

Rüstungsindustrie, die weitgehend auf serbischem Territorium lagen, sowie durch

Waffenschmuggel gab es keinen Mangel an Nachschub. Auch die Stationierung

von UNO-Soldaten ("Blauhelme") konnte nicht verhindern, daß die Kämpfe und

Belagerung in Sarajewo47 und anderen Städten noch eskalierten. Die

47 Die Belagerung der Stadt Sarajevo durch serbische und andere Paramilitärs und Einheiten der verbliebenen

jugoslawischen Bundesarmee war eines der zentralen Ereignisse im Bosnienkrieg. Sie begann mit der

Einnahme des internationalen Flughafens im Vorort Ilidža durch die Jugoslawische Volksarmee in der Nacht

vom 4. auf den 5. April 1992 und endete am 29. Februar 1996 durch das Eingreifen westlicher Staaten. Sie ist

mit 1.425 Tagen die längste Belagerung im 20. Jahrhundert. Die Luftbrücke, die zur Versorgung von

60

eingeschlossene Bevölkerung hat während der Belagerung von 1.425 Tagen

unvorstellbar gelitten.

Am 3. Juli 1992 erfolgte die Proklamation eines Kroatischen Herceg-Bosna ,

womit die Westherzegowina faktisch von der bosnisch-herzegowinischen

Gesamtrepublik abgeteilt war. Dieses Gebiet wird von kroatischen Nationalisten

als Kernland Kroatiens angesehen.

Im Sommer 1992 (16. Juli) begannen NATO-Kriegsschiffe und -Flugzeuge ihre

Patrouillen vor der Küste Montenegros.

4. 2. Kriegsopfer und Friedensinitiativen

Anfang August 1992 gingen die furchtbaren Bilder aus serbischen

Internierungslagern in Bosnien durch die Medien und erschütterten die

Weltöffentlichkeit. Berichte von Folterungen, Massenexekutionen und

Massenvergewaltigungen machten das Ausmaß der unvorstellbaren

Grausamkeiten im Herzen Europas am Ende des 20.Jahrhunderts deutlich.

Auf allen Seiten gab es Opfer, jedoch waren vor allem moslimische Bosnier

betroffen, weshalb in der islamischen Welt die Empörung wuchs und eine

antiwestliche Solidarisierungswelle verursachte. Die Möglichkeit einer Ausweitung

des Balkankrieges in Richtung Nahost hielten Beobachter nicht für

ausgeschlossen.

Die im August 1992 einberufene Jugoslawienkonferenz in London führte

gleichfalls zu keinem Ergebnis. Unvermindert wurden die ethnischen

Säuberungen durch die Serben fortgesetzt .

Das anfängliche Bündnis zwischen bosnischen Moslimen und Kroaten, das

hauptsächlich ein Zweckverbund war, löste sich auf, nachdem die bosnischen

Kroaten zur Rettung eigener territorialer Interessen eher ein Bündnis mit den

Serben für nützlich hielten. Von UN-Beobachtern wurden Greueltaten kroatischer

Milizen an moslemischen Zivilisten gemeldet. Im Herbst 1992 fand eine weitere,

Hunderttausenden eingeschlossenen Menschen aufrechterhalten wurde, dauerte länger als die Berliner

Luftbrücke.Während der Belagerung wurden nach Schätzungen etwa 11.000 Menschen (darunter 1600

Kinder) getötet und 56.000, teilweise schwer, verletzt. Vgl. „20 Jahre Haft für den Kommandeur der

Heckenschützen in Sarajevo“, Die Welt, 6. Dezember 2003.

61

ebenso erfolglose Jugoslawienkonferenz in Genf statt. Ende Dezember 1992

fanden in Serbien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt, die aber den

Frieden nicht näher brachten. Präsident Slobodan Milosevic und die Sozialistische

Partei siegten, zweitstärkste Partei wurde die ultra-nationalistische "Serbische

Radikale Partei", womit der Krieg in Bosnien geradezu legitimiert wurde.

Anfang Januar 1993 trafen sich alle am Krieg in Bosnien beteiligten Parteien in

Genf zu Friedensverhandlungen. Die Kämpfe gingen jedoch mit unverminderter

Heftigkeit weiter, die Situation der eingeschlossenen bosnischen Städte

verschlimmerte sich noch durch die winterlichen Bedingungen. Die Forderungen

der bosnischen Serben konzentrierten sich nun auf eine ursprünglich den

Kroaten zugesprochene Provinz in Nordbosnien, die als Korridor Restjugoslawien

mit den serbisch kontrollierten Gebieten in West-Bosnien und Kroatien verbinden

sollte.

Im Februar 1993 beschloß die amerikanische Regierung sich unter ihrem neu

gewählten Präsidenten Bill Clinton, aktiver an den internationalen

Friedensbemühungen zu beteiligen und dabei auch eine Unterstützung Rußlands

zu erreichen, von der man sich mäßigenden Einfluß auf die Serben hinsichtlich

einer Friedensregelung erhoffte.

Da sich die Versorgungslage in Bosnien dramatisch verschärft hatte und die

entsendeten Hilfskonvois der UNO immer wieder von serbischen Militärs gehindert

wurden, die hungernden Menschen in den belagerten Städten zu versorgen,

wurde Anfang März vom amerikanischen Militär eine Luftbrücke nach Ost-Bosnien

eingerichtet. Es wurden Lebensmittel und Medikamente abgeworfen, um

wenigstens die schlimmste Not der Eingeschlossenen zu lindern.

Ende März unterzeichnete der bosnischen Staatspräsident Izetbegović den von

den internationalen Vermittlern Cyrus Vance (UNO) und Lord David Owen,

vorgeschlagenen Friedensplan48, dem schon die Kroaten in Bosnien zugestimmt

hatten. Die bosnischen Serben lehnten diesen Plan weiterhin ab und die Kämpfe

in Ost-Bosnien gingen in unverminderter Härte weiter.

62

Am 12.April 1993 begann die NATO im Auftrag der UNO mit der Kontrolle des

Flugverbotes über bosnischem Territorium, um damit eine Resolution des

Weltsicherheitsrates durchzusetzen. Dennoch kam der Krieg nicht zum Stillstand,

im Gegenteil flammten auch in Mittelbosnien wieder Kämpfe sowohl zwischen

Moslimen und Kroaten als auch von Serben gegen beide Parteien auf. Ende April

1993 trat das verschärfte Handelsembargo der UNO gegen "Rest-Jugoslawien in

Kraft, jedoch ohne sichtbare Ergebnisse.

Unter Vorbehalt unterzeichnete am 3. Mai 1993 der bosnische Serbenführer

Radovan Karadžić den Vance-Owen-Friedensplan, dessen Hauptpunkte nach

einem endgültigen Waffenstillstand folgende Maßnahmen vorsahen:

1. Erhaltung Bosnien-Herzegowinas als souveräner Staat bei Aufteilung in zehn

weitgehend autonome Provinzen.

2. Erfassung, weitgehende Entwaffnung und Entflechtung der Kampfeinheiten

aller drei Kriegsparteien unter Aufsicht der UNO.

3. Entfernen der schweren Waffen aus der Umgebung von Sarajewo, so daß sie

nicht mehr gegen die Stadt eingesetzt werden können.

4. Wiederherstellung der Infrastruktur (Strom, Wasser, Gas, Brücken, Straßen,

Eisenbahnlinien) unter Aufsicht und mit Hilfe von UNO-Organisationen sowie

Überwachung der Grenzen Bosnien-Herzegowinas, um die Einschleusung von

Waffen und Munition zu verhindern.

Jedoch stimmte am 6. Mai 1993 das selbsternannte Parlament der bosnischen

Serben mit 55 zu 2 Stimmen gegen den Friedensplan, eine Beendigung des

Krieges war damit wieder in weite Ferne gerückt.

Der Krieg drohte sich auszuweiten, nachdem kroatische Truppenverbände

versuchten, Gebiete der serbisch besetzten Krajna zurückzuerobern und es ihnen

gelang, schwere Waffen aus UNO-Depots in ihre Gewalt zu bringen

48 DIE ZEIT 13. August 1993, „Der Notar des Todes. Lord Owen und das klägliche Scheitern der Genfer

63

Der zweite Kriegswinter brachte die Menschen in den belagerten Städten in eine

noch verzweifeltere Lage. Drei Millionen Menschen waren auf der Flucht, es gab

schon bis zu zweihunderttausend Tote, hauptsächlich Moslime. Nachrichten von

Massenmorden, Konzentrationslagern und Vergewaltigungen von Zehntausend

bosnischen Frauen durch serbische Soldaten und Freischärler erschütterten das

Ausland. Die Hauptstadt Sarajewo, von 12 000 serbischen Kämpfern umzingelt,

wurde von 3 000 Geschützen unter Feuer genommen. Man zählte 9 600 Tote,

darunter 1 600 Kinder, sowie 56 000 Verletzte.

Als Ende Januar 1994 auf dem Markale-Marktplatz in Sarajewo unter der

Zivilbevölkerung ein heimtückisches Massaker 68 Tote und zweihundert Verletzte

forderte, konnte die Staatengemeinschaft den Völkermord in Bosnien nicht mehr

länger geschehen lassen und entschloß sich militärischen Druck auf die Serben

auszuüben. Die NATO drohte nach einem gemeinsamen Beschluß in Brüssel mit

Luftangriffen auf serbische Geschützstellungen, falls bis zum 21. Februar 1994

nicht alle schweren Waffen aus der belagerten Stadt Sarajewo abgezogen

werden. Zweihundert westliche Kampfflugzeuge wurden in das Einsatzgebiet

entsandt, UNO-General Michael Rosen, Kommandant der in Bosnien

stationierten 25 000 UNO-Soldaten, die in humanitärer Mission dem Gemetzel der

drei Kriegsparteien hilflos zusehen mussten, führte die Aufsicht über den Rückzug

hinter die 20 Kilometer-Grenze.49 Die Bedingungen des Ultimatums wurden

schließlich erfüllt, Rußland hatte sich als Vermittler eingesetzt. Die Serben zogen

den Großteil ihrer Geschütze von der bosnischen Hauptstadt ab, jedoch gingen

die Kämpfe in Zentralbosnien weiter.

Als sechs serbische Flugzeuge das Flugverbot über Bosnien missachteten,

obwohl gemäß eer UNO-Resolution 816 keine Flugzeuge und Hubschrauber der

drei Kriegsparteien im Luftraum über Bosnien agieren durften, kam es am

28.Februar 1994 zum Abschuß von vier Flugzeugen durch die NATO. Es war der

erste Militärschlag der Allianz seit ihrer Gründung und machte die

Entschlossenheit des Westens zur Beendigung des Krieges deutlich.

Jugoslawien-Konferenz“ von Michael Thumann 49 Vom 24.Januar 1994 bis zum 23 Jan. 1995 war er kommandierender General der United Nations

Protection Force in Bosnien-Herzegovina.

64

Der Plan einer Dreiteilung Bosniens - 17,5 % für Kroaten, 33,3 % für Moslime und

den Rest für Serben -, war gescheitert, an seine Stelle trat ein Konföderationsplan

zwischen Kroaten und Moslime, der in Wien unter Vermittlung der Vereinigten

Staaten ausgehandelt wurde. Er sah einen Waffenstillstand und eine spätere

Konföderation vor. Nach dem Vorbild der Schweiz sollte es eine Aufteilung des

Gebiets in Kantone geben. Jeder Kanton sollte eine autonome Verwaltung für

Polizei, Bildung und Soziales erhalten, die Zentralregierung würde dann nur noch

die Außenpolitik, Verteidigung und Handel bestimmen. Die bosnischen Serben

weigerten sich, dieser Konföderation beizutreten, die 51 % der bosnischen

Staatsfläche umfasst, der andere Teil sollte an Serbien gehen. Der Plan, der

unter dem Einfluß von Amerika und Rußland zustande kam, wurde am 18. März

1994 in einer feierlichen Zeremonie in Washington unterzeichnet. Mit ihm waren

die Hoffnungen auf einen fortschreitenden Friedensprozeß verbunden, der auch

die Serben einbeziehen müßte, wenn er gelingen soll.

In Deutschland ist die Zahl der Bürgerkriegsflüchtlinge seit Sommer 1992 auf 250

000 gestiegen, in Berlin leben allein 40 000. Insgesamt leben inzwischen etwa

500 000 Bosnier im mitteleuropäischen Exil.

Statistik

Föderative Republik Jugoslawien (Serbien und Montenegro)

Ausrufung am 27.April 1992, wegen der serbischen Kriegspolitik wurde die

Anerkennung durch UNO und EG blockiert.

Einwohner

Serbien 5,8 Millionen - 66% Serben, 17% Albaner

Kosovo 2,0 Millionen - 82 % Albaner, 10% Serben

Vojvodina 2 Millionen - 57 % Serben, 17% Ungarn, 3,7 % Kroaten

Religion

serbisch-orthodox, katholisch, islamisch

65

Montenegro

Einwohner 0,6 Millionen

62% Montenegriner, 21,% Albaner, 9,3 % Serben

Religion

serbisch-orthodox, islamisch,katholisch

5. Die internationale Gemeinschaft

Zahllose internationale Organisationen, nationale Regierungen und

Sonderbeauftragte versuchten während der jugoslawischen Nachfolgekriege

zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Das Scheitern dieser

Vermittlungsversuche ist auf eine lange Reihe von Fehleinschätzungen,

gegensätzlichen nationalen Interessen, Streit um Kompetenzen, Versäumnissen

und Abstimmungsproblemen zurückzuführen. Die internationale Gemeinschaft

stand dem grausamen Kriegsgeschehen mitten in Europa hilflos gegenüber.

Anfangs sah man den Zerfall Jugoslawiens als rein europäisches Problem. Der

damalige amerikanische Präsident George W. Bush und der UNO-

Generalsekretär Perez de Cuellar50 erklärten sich ausdrücklich nicht zuständig, als

es nach der Unabhängigkeitserklärung Sloweniens und Kroatiens am 25. Juni

1991 zu ersten Kampfhandlungen in beiden Republiken kam. Die Mitglieder der

EG feierten die "Stunde Europas", in der sich ihre neue Außen- und

Sicherheitspolitik bewähren sollte. Es wurde aber bald klar, daß die Europäer

alleine nicht in der Lage waren, den Konflikt unter Kontrolle zu bringen. Im

September 1991 riefen sie die UNO um Hilfe an.

Mit dem Beschluß, die jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien, Kroatien und

Bosnien-Herzegowina als unabhängige und souveräne Staaten anzuerkennen,

schuf die EG die Voraussetzung für die Internationalisierung des Konflikts. Aus

dem inner-jugoslawischen wurde zu Beginn des Jahres 1992 ein

66

zwischenstaatlicher Krieg. Damit aber waren die Voraussetzungen dafür

geschaffen, daß die Weltgemeinschaft auch militärische Mittel zur

Friedenssicherung hätte einsetzen können.

Dennoch sprachen sich alle westlichen Staaten dagegen aus, die Souveränität

der neuen anerkannten Staaten mit Waffengewalt schützen zu wollen, denn keine

Regierung sah die nationalen Interessen ihres Landes bedroht, und es war unklar,

welche politische Ordnung eine Interventionsarmee im ehemaligen Jugoslawien

hätte aufbauen sollen. Die Entsendung von Bodentruppen wäre zudem nicht nur

teuer, sondern auch extrem gefährlich gewesen, vor allem aufgrund der

unübersichtlichen geographischen Verhältnisse und der Partisanenähnlichen

Kampftechnik der Milizen. Nach Einschätzung von Militärexperten wäre eine

Armee von 100 000 bis 500 000 Soldaten erforderlich gewesen, um die Lage in

Bosnien unter Kontrolle zu bringen.

In der Diskussion über den Einsatz von Kampfflugzeugen gab es unterschiedliche

Meinungen. Nur eine Minderheit vertrat die Auffassung, daß Kampfflugzeuge der

NATO die schweren Waffen (Artillerie und Panzer) sowie Nachschubbasen und

andere militärischen Zentren problemlos aufklären und zerstören könnten, ohne

Opfer unter der Zivilbevölkerung zu fordern. Erst im Verlauf des Jahres 1993

änderte sich diese Einschätzung.

5. 1. Diplomatische Friedensbemühungen

Der UNO-Sicherheitsrat verhängte gegen Serbien und Montenegro, die als

Hauptschuldige im Jugoslawienkonflikt erkannt wurden, ein Wirtschaftsembargo,

um sie zum Einlenken zu bringen. Damit wurde deutlich, daß die

Völkergemeinschaft bei der Lösung des Konflikts auf Gewaltfreiheit setzte. Im Mai

1992 folgten umfassende Sanktionen, um beide Staaten, die nun Restjugoslawien

bildeten, wirtschaftlich völlig zu isolieren und zur Aufgabe zu zwingen.

Gleichzeitig wurden internationale Vermittler beauftragt, nach einer

Verhandlungslösung zu suchen. Im August 1992 wurde als ständige Einrichtung

50 Javier Pérez de Cuéllar war von 1982 bis 1991 Generalsekretär der Vereinten Nationen.

67

die Internationale Jugoslawienkonferenz (ICFY) in Genf etabliert, die sich aus

Mitgliedern der EG (seit November 1993: EU) und UNO zusammensetzten. 1994

ging die Leitung der Bosnienverhandlungen an die aus Vertretern der USA,

Rußlands, Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands gebildete

Kontaktgruppe über.

Das Haupthindernis für einen Frieden in Bosnien-Herzegowina war die

unvereinbaren Vorstellungen der Konfliktparteien in der Verfassungsfrage.

Während die Vertreter der bosnischen Muslime einen multi-ethnisch aufgebauten

Zentralstaat erhalten wollten, verlangten die Führungen der bosnischen Serben

und Kroaten eine Konföderation aus drei Nationalstaaten, einem serbischen,

einem kroatischen und einem bosnisch-muslimischen. Darüber hinaus wollten

Serben und Kroaten ihre Siedlungsgebiete mit den Mutterländern Serbien und

Kroatien vereinigen. Die bosnischen Muslime dagegen hofften auf einen

Zentralstaat in dem sie als stärkste Bevölkerungsgruppe langfristig ihren Einfluß

sichern konnten.

Im Verlaufe des Krieges mußten sich die internationalen Vermittler mehr und

mehr den durch die Kampfhandlungen und Flüchtlingsbewegungen neu

geschaffenen Fakten anpassen. Dabei setzte sich die Vorstellung von Serben

und Kroaten immer stärker durch, Bosnien-Herzegowina nach ethnischen

Kriterien aufzuteilen. Der 1992/93 vorgelegte Friedensplan der Vermittler von

UNO und EU, Cyrus Vance (USA) und Lord David Owen (Großbritannien), war

der letzte Versuch, Bosnien-Herzegowina als einheitlichen Staat zu erhalten. Er

sah vor, den Staat in einzelne autonome, aber ethnisch gemischte Regionen unter

einer Zentralregierung aufzuteilen. Ein Anschluß an die Nachbarstaaten war nicht

vorgesehen. Dagegen protestierten die bosnischen Serben. Im Sommer 1993

wurde ein neuer Vorschlag unterbreitet, der eine bosnische Dreistaaten-

Konföderation entwickelt hatte: der Owen-Stoltenberg-Plan, auch als

Konföderationsmodell oder Union der Republiken Bosnien-Herzegowinas

bezeichnet.51 Damit sollte Bosnien-Herzegowina in eine muslimisch-kroatisch-

51 Der Plan beruhte weitgehend auf serbisch-kroatischen Vorschlägen zur Aufteilung von Bosnien und

Herzegowina, die Slobodan Milošević und Franjo Tuđman im Juni 1993 präsentiert hatten[1] und beinhaltete

die bis dahin weitestgehenden territorialen Zugeständnisse an die serbische Seite. Vgl. Marcus Wenig:

68

serbische Dreistaaten-Union umgewandelt werden. Nach einer Übergangsfrist

sollten die Teilstaaten die Möglichkeit erhalten, über ihren Anschluß an die

Nachbarrepubliken zu entscheiden. Diesen Plan lehnten die bosnischen Muslime

ab.

Seit 1994 arbeitete die Bosnien-Kontaktgruppe, die aus Vertretern der USA,

Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands und Rußlands bestand, an einem

neuen Friedensplan. Der kleine Staat sollte zwar formal erhalten bleiben, jedoch

in zwei Hälften aufgeteilt sein. Bosnien sollte zu einer Union aus zwei

Bundesstaaten mit einer gemeinsamen Zentralregierung werden. Dabei war

vorgesehen, daß 51 Prozent des Staatsgebietes von der im Februar 1994

geschaffenen kroatisch-muslimischen Föderation verwaltet wird, 49 Prozent unter

Verwaltung der bosnischen Serben stehen würde. Gegen diesen Plan wendeten

sich die Serben, wodurch auch diese Friedensinitiative scheiterte. Erst Ende des

Jahres 1995 sollte der Vorschlag den Grundstein zum Friedensschluß legen.

5. 2. Der Friedensbeitrag der UNO

Der Verzicht auf militärische Gewaltanwendung von außen führte dazu, daß der

jugoslawische Krieg in erster Linie als humanitäres und weniger als

sicherheitspolitisches Problem aufgefaßt wurde. Zu Beginn des Jahres 1992

entsandte die UNO eine Friedenstruppe (UNPROFOR) nach Kroatien und im

Sommer auch nach Bosnien-Herzegowina. In Bosnien sollten die Blauhelm-

Soldaten nur die Verteilung der humanitären Hilfe garantieren. Mit der Resolution

761 wurde ihnen die Sicherung des Flughafens Sarajewo übertragen, um dem

UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees: Hochkommissar der

vereinten Nationen für Flüchtling) die Auslieferung humanitärer Hilfsgüter zu

ermöglichen. Da die Kämpfe seit Frühsommer 1992 jedoch immer weiter

eskalierten, wurde der Auftrag der ‚Blauhelme’ ständig umformuliert. Zuletzt

umfaßte er so unterschiedliche Aufgaben wie den Schutz des Konvois des

UNHCR, die Abschreckung von Angriffen auf "Schutzzonen", die Einrichtung von

Zonen, in denen keine schweren Waffen sein durften, und die Vermittlung und

Möglichkeiten und Grenzen der Streitbeilegung ethnischer Konflikte durch die OSZE: Dargestellt am

69

Überwachung von Waffenstillständen. Mehr als 200 teils unklaren und

widersprüchlichen Resolutionen hat der Sicherheitsrat der UNO seit 1991 im

Zusammenhang mit dem jugoslawischen Krieg verabschiedet. Für die Blauhelm-

Soldaten war es schwierig, auf der Grundlage der Resolutionen zu entscheiden, in

welchen Situationen sie militärische Gewalt anwenden konnten.

Die Mitgliedstaaten der UNO waren nicht bereit, ausreichend Personal und

Ressourcen für die Bosnien-Mission zur Verfügung zu stellen. Das krasseste

Beispiel hierfür waren die sogenannten Schutzzonen für die Zivilbevölkerung, zu

denen der UNO-Sicherheitsrat am 6.Mai 1993 die Städte Srebrenica, Gorazde,

Zepa, Tuzla, Sarajewo und Bihac erklärt hatte. Damals wurden die Blauhelme

beauftragt, Angriffe auf diese Gebiete "abzuschrecken", wozu sie auch NATO-

Luftunterstützung anfordern durften. Nur aus der Luft ließen sich diese

Schutzzonen jedoch nicht verteidigen. Trotz mehrfacher Proteste des UNO-

Generalsekretärs entsandte der Sicherheitsrat statt der schon im Juni 1993

geforderten 34 000 Soldaten, die zur Verteidigung der Schutzzonen nötig

gewesen wären, aber nur 7 600 leicht bewaffnete Soldaten. Ohnmächtig mußte

die UNO schließlich mitansehen, wie die Serben im Juli 1995 die Städte

Srebenica und Zepa überrannten und Tausende von Gefangenen ermordeten.

NATO-Luftangriffe hätten nach Meinung der UNO-Kommandeure den serbischen

Vormarsch zwar stoppen können, jedoch unvertretbar viele Opfer unter Zivilisten

und UNO-Personal gefordert.

Nach dem Fall der ostbosnischen Enklaven wurden die UNO-Truppen wurden aus

serbisch kontrolliertem Gebiet abgezogen. Seither waren die Blauhelm-Soldaten

nicht mehr unmittelbar der Gefahr von Vergeltungsangriffen ausgesetzt. Nach

NATO-Luftangriffen hatten die Serben bis dahin stets UNO-Mitarbeiter als Geiseln

genommen, um weitere Strafaktionen zu verhindern.

5. 3. Der Weg zum Frieden

Konflikt im ehemaligen Jugoslawie,. Duncker & Humblot 1996.

70

Die Glaubwürdigkeit des Westens war nach dem Fall der Schutzzonen stark

angeschlagen. Auf einer Konferenz in London einigten sich die Vertreter der

Kontaktgruppen-Staaten am 21. Juli 1995 schließlich auf ein härteres Vorgehen.

Der Nordatlantik-Rat52 entschied am 1. August, Angriffe auf die Schutzzonen

Gorazde, Bihac, Sarajewo und Tuzla künftig hart und schnell mit Luftschlägen zu

beantworten. Damit war die Ablösung der UNO-Mission durch die NATO

vorgezeichnet. Im September 1995 führte die NATO erstmals massive Luftangriffe

gegen serbische Stellungen und half damit den bosnischen und kroatischen

Truppen, von Serben gehaltenes Gebiet zurückzuerobern.

Zuvor hatte die kroatischen Armee im August 1995 mit der Rückeroberung der

Krajina den Serben strategisch wichtiges Territorium genommen. Kroatische und

bosnische Regierungstruppen schlossen einen Militärpakt und es gelang ihnen im

Sommer, weite Teile Westbosniens zurückzugewinnen. Die so militärisch

geschaffenen Fakten veränderten die Lage soweit, daß die früher von der

Kontaktgruppe vorgeschlagene Zweiteilung Bosniens nach der Formel 49:51

wieder möglich wurde. Damit konnte der seit Monaten stockende Friedensprozeß

erneut in gang gesetzt werden.

6. Das Friedensabkommen von Dayton

Das Abkommen von Dayton (auch Dayton-Vertrag genannt) beendete 1995 nach

dreieinhalb Jahren den Krieg in Bosnien und Herzegowina. Der Friedensvertrag

wurde unter Vermittlung der USA mit Beteiligung der Europäischen Union und

unter der Leitung des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton am 21. November

1995 in der Wright-Patterson Air Force Base bei Dayton (Ohio) paraphiert und am

14. Dezember 1995 in Paris unterzeichnet. Die Unterzeichner waren der

serbische Präsident Slobodan Milošević, der kroatische Präsident Franjo Tuđman

und der bosnisch-herzegowinische Präsident Alija Izetbegović. Mit diesem

"Rahmenabkommen für Frieden in Bosnien-Herzegowina" wurde der

jugoslawische Krieg formell beendet. Das Vertragswerk enthält neben detaillierten

militärischen Bestimmungen auch Vorschriften zur Regelung von

52 Der Nordatlantikrat (englisch North Atlantic Council, NAC) mit Sitz in Brüssel (Belgien) ist das wichtigste

71

Verfassungsfragen und für den Aufbau einer demokratischen Gesellschafts-

ordnung. Im militärischen Teil des Vertrages verpflichteten sich die Parteien, ihre

Armeen binnen dreißig Tagen hinter die Waffenstillstandslinien zurückzuziehen

und entlang dieser Linie eine etwa vier Kilometer breite entmilitarisierte Zone

einzurichten. Gleichzeitig sicherten sie zu, alle externen militärischen Kräfte sowie

die schweren Waffen aus der Republik abzuziehen und die Kriegsgefangenen

freizulassen. Eine 60 000 Mann starke internationale Armee (IFOR:

Implementation Force), die unter NATO-Kommando steht und den

Friedensvertrag von Dayton umsetzen soll, löste die UNO-Blauhelm-Soldaten ab.

Der politische Teil des Friedensabkommens enthält folgende Bestimmungen:

1. Bosnien-Herzegowina bleibt als einheitlicher Staat in seinen international

anerkannten Grenzen erhalten;

2. der Staat besteht aus zwei "Einheiten", der muslimisch-kroatischen Föderation,

die 51 Prozent des Territoriums erhält sowie aus der Serbischen Republik, die 49

Prozent verwalten soll;

3. die ostbosnischen Enklaven Srebrenica und Zepa fallen der Serbischen

Republik zu, Gorazde wird über einen Korridor mit der Föderation verbunden;

4. das serbische Gebiet um Banja Luka wird über einen Korridor mit Ostbosnien

verbunden; der Status der Stadt Brcko wird von einer internationalen

Schiedskommission bestimmt;

5. Sarajewo bleibt die ungeteilte Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas;

6. gesamtstaatliche Institutionen sind ein Zweikammer-Parlament, ein dreiköpfiges

Präsidium und eine Zentralregierung, ein Verfassungsgerichtshof und eine

Zentralbank;

7. die Kompetenzen der Bundesregierung umfassen die Bereiche Außenpolitik,

Außenhandel, Zollpolitik, Einwanderung und Staatsbürgerfragen, Transportwesen

und Geldpolitik (gemeinsame Währung);

8. die Einheiten dürfen eigene Staatsangehörigkeiten ausgeben. Verträge mit

Staaten und internationalen Organisationen schließen und "parallele

Sonderbeziehungen" zu ihren Nachbarn, Serbien und Kroatien, aufnehmen. Alle

Entscheidungsgremium der NATO, ausgestattet mit politischer Autorität und Entscheidungsbefugnis.

72

Kompetenzen, die nicht ausdrücklich den Bundesgewalten zugewiesen sind,

werden von den Teilstaaten wahrgenommen, Verteidigungspolitik eingeschlossen;

9. alle Flüchtlinge erhalten das Recht, in ihre Heimatorte zurückzukehren;

10. Personen, die als Kriegsverbrecher verdächtigt werden, sind von politischen

Funktionen und öffentlichen Ämtern ausgeschlossen; die Unterzeichnerstaaten

verpflichten sich, daß Kriegsverbrechertribunal in Den Haag bei seiner Arbeit zu

unterstützen;

11. innerhalb von sechs bis neuen Monaten werden demokratische Wahlen

abgehalten;

12. die Parteien verpflichten sich, die internationalen Menschenrechtsstandards

zu wahren und Menschenrechtsbeobachter zuzulassen. Eine

Menschenrechtskommission und eine Ombudsperson (Schiedsmann) sollen die

Einhaltung der Menschenrechte überwachen;

13. die Nachfolgestaaten Jugoslawiens werden sich gegenseitig anerkennen,

dafür werden im Gegenzug die Sanktionen gegen die Bundesrepublik

Jugoslawien ausgesetzt.53

6. 1. Probleme der Umsetzung

Die Erfahrungen der ersten Monate nach Abschluß des Friedensvertrages

zeigten, daß sich der militärische teil des Abkommens viel leichter umsetzen ließ

als der politische. Viele militärische Bestimmungen wurden bereits

vorschriftsmäßig verwirklicht. Ausnahmen waren die fristgerechte Freilassung aller

Kriegsgefangenen, der Rückzug ausländischer Freiwilligenkämpfer und die

Abgabe schwerer Waffen.

Die Hauptprobleme bei der Umsetzung des Abkommens von Dayton liegen im

politischen Bereich:

Die bosnische Verfassung ähnelt mit ihrem ethnischen Proporzsystem stark der

alten bosnischen bzw. auch der jugoslawischen Verfassung. Wie im alten

Jugoslawien drohen vielschichtige Kompetenzstreitigkeiten zwischen den

53 Richard Holbrooke, Meine Mission. Vom Krieg zum Frieden in Bosnien, Piper Verlag München 1998.

73

Teilstaaten und der Zentralregierung der Republik. Es ist sehr wahrscheinlich, daß

sich die Gremien gegenseitig blockieren werden. Es ist unwahrscheinlich, daß

Bosnien-Herzegowina als Staat bestehen kann, wenn sich seine beiden

Teilstaaten zur Trennung entschließen.

Die Umsetzung der kroatisch-bosnischen Föderation verzögert sich. Noch Monate

nach Abschluß des Vertrages von Dayton weigern sich die Vertreter von Kroaten

und Muslimen, Kompetenzen an die Föderationsregierung abzugeben. Die

vorgesehene Kantone und Kantonsversammlungen bestanden Mitte 1996 noch

nicht, die Währung wurde noch nicht vereinheitlicht und in weiter teilen der

Föderation ist die Bewegungsfreiheit der Bürger nach wie vor eingeschränkt. Die

Verwirklichung der Föderation ist noch nicht in der Realität vollzogen.

Symptomatisch für den schleppenden Integrationsprozeß sind die Erfahrungen

mit der zweijährigen EU-Verwaltung Mostars, der zwischen Kroaten und

Muslimen geteilten Hauptstadt der Herzegowina. Trotz umfassender politischer

und finanzieller Anstrengungen und trotz des großen persönlichen Einsatzes ihres

damaligen EU-Beauftragter und Berater Hans Koschnik54, konnte Mostar bis zum

Sommer 1996 noch nicht vereinigt werden. Auf amerikanischen Druck hin haben

die Kroaten der Herzegowina, die für einen Anschluß an Kroatien sind, ihren

Pseudo-Staat Herzeg-Bosna formal aufgelöst, aber viele seiner Institutionen

bestanden noch weiter.

Die von der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa)

vorbereiteten ersten Nachkriegswahlen in Bosnien-Herzegowina sollten den

Grundstein für einen politischen Neuanfang legen. Dies ist aber mit großen

Schwierigkeiten verbunden, da Meinungs-, Medien-, Versammlungs-- und

54 Vom 23. Juli 1994 bis zum 2. April 1996 war Hans Koschnick von der Europäischen Union als EU-

Administrator für Mostar in Bosnien-Herzegowina mit der Koordination des Wiederaufbaus, der Verwaltung

und Infrastruktur der kriegszerstörten Stadt beauftragt. 1994 wurde von kroatischen Nationalisten ein

Anschlag mit Granaten auf Koschnick unternommen, bei dem sein Hotelzimmer in Mostar verwüstet wurde,

er jedoch unverletzt blieb. 1996 erfolgte ein zweiter misslungener Anschlag. Eine aufgebrachte kroatische

Menschenmenge griff bei einer Demonstration Koschnick in seinem gepanzerten Dienstwagen an. Die

kroatische Polizei blieb passiv. Er konnte unverletzt mit Hilfe seiner Eskorte und dank des Panzerschutzes

seiner Limousine entkommen. 1996 erklärte er dem Außenministerrat der EU in Brüssel seinen Rücktritt.

Vgl. David Jenning, Hans Koschnick, Jens Schneider, Uli Reinhardt, Brücke über die Neretva. Der

Wiederaufbau von Mostar, Deutscher Taschenbuchverlag, München 1995.

74

Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt sind und viele Flüchtlinge davon abhalten

wurden, in ihre Heimatorte zurückzukehren. Die gemäßigte und nicht

nationalistische Opposition, hatte, da die Medien von den lokalen Machthabern

zensiert werden, kaum Darstellungsmöglichkeiten. Tatsächlich sind bei den am

14. September 1996 planmäßig durchgeführten Wahlen in erster Linie Politiker

der drei großen Naionalparteien in ihren Positionen bestätigt worden.

Obwohl das UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) im März

1996 einen Plan zur Repatriierung von rund zwei Millionen Menschen entwickelt

hat, konnten bisher nur eine kleinere Anzahl von Menschen in ihre Heimatorte

zurückkehren. Große Teile des Landes sind weitgehend zerstört und in vielen

Gegenden haben die Kriegsparteien eine „Politik der verbrannten Erde“ betrieben,

auch, um eine spätere Rückkehr der vertriebenen zu verhindern. Wo Städte,

Dörfer oder auch nur einzelne Häuser noch stehen, wurden meistens wieder

andere Flüchtlinge einquartiert. Nur wenige Flüchtlinge sind bereit, in die alte

Heimat zurückzukehren, wenn diese inzwischen von ehemaligen Feinden

verwaltet wird. Noch sitzt die Angst zu tief, erneute Verfolgungen ausgesetzt zu

sein. Tatsächlich tun die lokalen Autoritäten in vielen Gemeinden alles, um die

Rückführung der Flüchtlinge zu verhindern und den durch Vertreibung erreichten

Zustand ethnisch homogener Gebiete zu konservieren. Es gibt bisher keine

Institution, die bereit oder in der Lage wäre, die Heimkehrer effektiv zu

beschützen. Die NATO erklärt sich für nicht zuständig, und die UNO-

kommandierte internationale Polizeitruppe besitzt weder die Ausrüstung noch die

Genehmigung, exekutive Aufgaben zu erfüllen. Sie ist nur zur Beobachtung und

Beratung vor Ort.

Keine Seite ist bereit, mutmaßliche Kriegsverbrecher zu verhaften und

auszuliefern. Selbst die prominenten Serbenführer Radovan Karadžić und Ratko

Mladić, die vom Internationalen Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag angeklagt

sind, befinden sich im Herbst 1996 noch auf freiem Fuß. Zwar dürfen solche

Personen keine öffentlichen Ämter ausüben, aber ihre Popularität und ihre

faktische Macht bestehen weiter. Sie können sogar ungehindert in der

Öffentlichkeit auftreten,.

75

Wichtige Territorialfragen blieben in Dayton offen. Die Entscheidung darüber,

wem die umkämpfte Stadt Brcko gehört, wurde einem internationalen

Schiedsgericht vorbehalten. Brcko liegt an der strategisch wichtigen

Landverbindung zwischen West- und Ostbosnien, in der die Serben einen für ihre

Republik lebenswichtigen Korridor sehen. Aber auch Muslime und Kroaten wollen

die Stadt kontrollieren, weil sie die strategisch interessante Brücke zwischen

Zentralbosnien und Kroatien bildet.

Gleichzeitig konnte auch noch keine überzeugende Lösung für die vorwiegend

von Muslimen besiedelte Sandžak-Region55 und das mehrheitlich von Albanern

bewohnte Kosovo gefunden werden, die beide zu Serbien gehören. Für beide

Regionen, die als gefährliche Konfliktherde gelten, stehen

Minderheitenregelungen noch aus. Ständig wächst die Unzufriedenheit der

dortigen Bevölkerung, die sich von der internationalen Gemeinschaft im Stich

gelassen fühlt.

Ein gravierendes Problem ist der Wiederaufbau, dessen vorläufige Kosten auf

fünf bis acht Milliarden US-Dollar geschätzt werden. Schwierig wird es vor allem

sein, Bosnien-Herzegowina wieder zu einer einheitlichen funktionierenden

Volkswirtschaft zu verschmelzen und die Produktion in Schwung zu bringen.

Einige bosnische Regionen haben traditionell viel engere Wirtschaftsbeziehungen

mit Nachbarrepubliken als untereinander. Zum Beispiel das Gebiet um Bihać mit

Kroatien oder die Großregion von Tuzla mit Serbien. Das Hinterland der

Hauptstadt Sarajewo, die selbst der Föderation zufällt, hat enge Beziehungen

zum serbischen Ostbosnien.

Mit Unterzeichnung des Pariser Friedensvertrages (14.12. 1995) wurde das

Waffenembargo aufgehoben. Bereits 90 Tage später durften die ehemaligen

Kriegsparteien wieder leichte Waffen einführen, nach 180 Tagen sogar Minen,

Flugzeuge und Kampfhubschrauber importieren. Vor allem die USA sind der

55 Der Sandžak ist eine grenzübergreifende geographische und historische Region im Südwesten Serbiens

und Nordosten Montenegros. Er grenzt im Nordwesten an Bosnien und Herzegowina, im Südosten an

Kosovo. Der Name leitet sich vom Sandžak Novi Pazar ab, das bis 1913 eine Verwaltungseinheit des

Osmanischen Reichs war. Die Mehrheitsbevölkerung des Sandžak sind slawische Muslime, die sich entweder

als Bosniaken oder als „Muslime“ (im nationalen Sinne) identifizieren.

76

Ansicht, daß die kroatische und die bosnisch-muslimische Armee Waffen

benötigt, um sich nach Abzug der IFOR einmal selbst verteidigen zu können. Im

Rahmen eines militärischen Unterstützungsprogamms sollen 100 Millionen US-

Dollar bereitgestellt werden, um ein militärisches Gleichgewicht zwischen den

ehemaligen Feinden herzustellen. Bosnische und kroatische Kommandeure

haben in den USA bereits Vereinbarungen über künftige Ausbildungs- und

Aufrüstungsprogramme über Aufrüstung und Ausbildung getroffen.

Es war unübersehbar, daß die für die IFOR vorgesehene Zwölfmonatsfrist nicht

ausreichte, um den politischen Prozeß planmäßig in Gang zu halten. Am 20.

Dezember 1996 wurde die 60 000 Soldaten umfassende Friedenstruppe durch

die neue SFOR (Stabilization Force) abgelöst. Damit sichert die NATO weiter den

Frieden in Bosnien und behauptet sich als Ordnungsfaktor in Europa. Der NATO-

Rat beschloß einen Operationsplan und die Verlängerung der Friedensmission,

die eine Verringerung der Truppen auf rund 31 000 Soldaten vorsieht. Davon

gehören 3000 Soldaten der deutschen Bundeswehr an, auch der Stabschef der

Friedenstruppe ist ein deutscher General. Die SFOR (Stabilization Force)56 wird

für weitere 18 Monate in Bosnien-Herzegowina stationiert sein, um dort den

Frieden zu festigen und die Lage zu stabilisieren. Das Mandat erlaubt es, im

Extremfall Waffengewalt anzuwenden, um die Ziele des Dayton-Vertrages

durchzusetzen, wenn zwischen Muslimen, Serben und Kroaten erneut Kämpfe

aufflammen sollten.

Die wichtigsten Kontingente der SFOR-Friedenstruppen kommen aus den NATO-

Mitgliedsstaaten: USA (8 500), Großbritannien (5 000), Deutschland (3 000) und

Frankreich (2 500). Außerdem beteiligen sich auch Nicht-NATO-Staaten mit

Kontingenten an der Friedensmission, insgesamt nehmen 32 Staaten daran teil.

6. 2. Kommentar zu den Wahlen in Bosnien

"Bosniens schwieriger Neubeginn"

56 Durch die Resolution 1088 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 12. Dezember 1996 wurde

das Mandat der bisherigen Implementation Force (IFOR) auf die SFOR zunächst für 18 Monate übertragen

77

Aus: Neue Zürcher Zeitung vom 17.September 1996

Daß jene Kräfte, die an den Grundfesten des gemeinsamen Staates gesägt oder ihn gezielt zerstört haben, erneute das Vertrauen der Wähler erhalten, hängt vor allem auch mit dem Zustand zusammen, in dem sich das in drei ethnische Herrschaftsgebiete zerrissene Bosnien-Herzegowina befindet. Man darf nicht voraussetzen, daß in einem vom Krieg verwüsteten Land ohne demokratisch Traditionen und mit höchst rudimentären Ansätzen einer zivilen Gesellschaft die betont multi-ethnischen Kräfte auf Anhieb die Regierungsparteien ernsthaft in Bedrängnis bringen können. Der Schluß, die Wahlen seien eine Farce und man hätte sie nicht durchführen sollen, ist trotz der berechtigten Skepsis voreilig, denn im Falle einer Verschiebung hätten die nationalen Parteien erst recht ihre Herrschaft weiter festigen können. Auch darf die psychologische Wirkung nicht unterschätzt werden. Viele Bewohner Bosniens betrachten die Wahlen als eine Zäsur, die das Ende des Krieges und den Beginn des Kampfes mit politischen Mitteln markiert. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist im Laufe des Krieges vertrieben worden und hofft noch immer auf eine Rückkehr in die alte Heimat. Die Menschen, die von den Kriegsherren auf allen Seiten gezwungen wurden, sich nicht als Bürger eines Staates zu betrachten, sondern als Angehörige der jeweiligen Nation, sind verunsichert und verängstigt. Jeder sieht sich als Opfer der Willkür der anderen Volksgruppen, die Bosniaken ebenso wie die Serben und Kroaten. Vor allem die vielen Entwurzelten und die Menschen auf dem Lande klammern sich angesichts der vielen Ungewißheiten an jene, von denen sie sich am meisten Schutz erhoffen, und das sind die regierenden Parteien. Natürlich ist die Frage, berechtigt, wie die gewählten Mitglieder in den gemeinsamen Institutionen zusammenarbeiten sollen, zumal diese relativ leicht lahmgelegt werden können. Natürlich muß man bei der Konstituierung der gesamtstaatlichen Organe mit großen Schwierigkeiten rechnen. Und es ist höchst ungewiß, ob der Staat den vor allem die Serben und die Kroaten der Herzegowina nicht wollen, zusammengehalten werden kann, zumal die von den Kroaten kontrollierten Gebiete de facto bereits ein Teil Kroatiens sind. Diese sind heute enger mit Kroatien verbunden als die Serbische Republik mit Serbien. Für die Bosniaken hingegen ist der Gesamtstaat eine Frage des Überlebens als einer eigenständigen Nation, denn sie haben, anders als die Serben und Kroaten keinen anderen Staat. Man sollte Bosnien nicht vorzeitig begraben. Immerhin erhält das Land vom Volk legitimierte neue Machtorgane. Hinzu kommt die Hoffnung, daß die Herrschaft der nationalen Parteien durch die Präsenz eines oppositionellen Gegengewichts in den Parlamenten wenigstens zum teil aufgeweicht werden kann. Nach Meinung der bosniakischen Opposition sind die Wahlen notwendig gewesen, um die politischen Voraussetzungen für die in zwei Jahren geplanten Neuwahlen zu schaffen - falls es Bosnien dann überhaupt noch gibt. Ohne eine wirkliche Demokratisierung in Kroatien und Serbien ist eine politische Konsolidierung nur schwer vorstellbar, Serben und Kroaten müßten endlich die durch den Krieg weiter gefestigte nationale Identität der muslimischen Bosnier (Bosniaken) voll und ganz respektieren.

und später mehrmals verlängert. Der SFOR-Einsatz erfolgte im Rahmen der Operation Joint Guard auf

Grundlage des Dayton-Vertrags von 1995.

78

Entscheidend ist jedoch vor allem die Haltung der westlichen Staaten. Ohne eine anhaltende starke ausländische Präsenz im militärischen und im zivilen Bereich und ohne massiven Druck von außen wird das de facto geteilte Bosnien früher oder später endgültig auseinanderabrechen. Wichtig ist auch, daß der wirtschaftliche Wiederaufbau endlich beginnt, denn es sind vor allem die ökonomischen Zwänge, welche die teile am ehesten wieder zusammenbringen könnten. Es bleibt zu hoffen, daß die von Vertretern der amerikanischen Regierung abgegebenen Zusicherungen, wonach Washington eine Sezession der Serben oder Kroaten und damit den Zerfall Bosniens nicht zulassen werde, nach den amerikanischen Wahlen vom November nicht sogleich wieder in Vergessenheit gerate."

7. Flüchtlinge aus dem Balkan

Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien hat 1,6 Millionen Menschen zu

Flüchtlingen gemacht. Davon sind 940 000 Binnenflüchtlinge, die teils in der

Moslimisch-Kroatischen Föderation (640 000), teils in der Republik Serbien (300

000) leben. Über 600 000 Flüchtlinge aus Bosnien haben vorübergehend

während des Krieges in Europa Aufnahme gefunden, über die Hälfte von ihnen

(320 000) in Deutschland. An zweiter Stelle steht Schweden, wo 122 000

bosnische Flüchtlinge aufgenommen wurden. Nach der Beendigung des Krieges

muß jetzt die schwierige Frage der Rückkehr der bosnischen Flüchtlinge in ihre

Heimat gelöst werden.

Grundsätzlich sind drei Probleme zu bewältigen: In den Gebieten, die frei

zugänglich sind, auf moslimisch-kroatischer Seite, fehlt es an Wohnraum. Es gibt

kein bewohnbares Haus, das nicht von irgend jemandem bewohnt wäre, seien es

Flüchtlinge aus nunmehr serbischen Gebieten, seien es Ortsansässige, deren

eigene Wohnung zerstört wurde. Wohnraum ist nicht alles; man muß auch leben

können. Flüchtlinge in Bosnien selbst leben nicht elender, wenn sie die

verschwindend geringe Unterstützung, die sie erhalten, im eigenen Haus

verwenden. Aber Menschen, die aus dem westlichen Ausland zurückkehren,

stehen im Vergleich zu ihrem jetzige, bescheidenen Lebensstandard vor dem

Nichts, wenn sie zurückkehren. es sei denn, sie haben etwas Geld gespart. Dies

würde ihnen eine bescheidene Existenz ermöglichen, zum Beispiel ein kleines

Geschäft aufzubauen, das in dem noch stark unterversorgten Land eine gute

Existenzgrundlage bieten kann. Auch Bauern, die in der Lage sind, etwas Saatgut

79

zu organisieren oder sogar landwirtschaftliche Maschinen, haben dadurch eine

Chance, sich ein neues Leben aufzubauen.

Die ursprünglich angestrebte freiwillige Rückkehr der Flüchtlinge in ihre

Heimatorte ist größtenteils unmöglich und scheitert daran, daß die Serben sich

weigern, geflohene Muslime oder Kroaten zurückkehren zu lassen. Nichts deutet

darauf hin, daß die serbische Führung in Pale57 ihre Haltung zu diesem Punkt

ändern will. Auch die Führung der bosnischen Kroaten und Muslime ist einer

Politik der Öffnung gegenüber serbischen Flüchtlingen negativ eingestellt, muß

dies aber nicht öffentlich zugeben, da die serbischen Behörden selbst ihre

Landsleute an einer Rückkehr in die alten Heimatorte hindern. Zu tief sind die

gegenseitig geschlagenen Wunden, viele Muslime und Kroaten , die besonders in

den ersten Kriegsjahren unter den Serben gelitten haben, hegen Rachegefühle.

Die Lösung dieses schwierigen Problems einer Rückführung kann nur dadurch im

Laufe der Zeit behoben werden, daß das internationale Wohnungsbauprogramm

in Bosnien mit aller Kraft vorangetrieben wird und daß die Umsetzung des

Dayton-Plans hartnäckig durchgesetzt wird, der Bewegungsfreiheit und Rückkehr

der Flüchtlinge festgeschrieben hat.

Auf serbischem Gebiet sind die meisten Häuser von Muslimen bewohnbar, nur

werden sie jetzt von serbischen Flüchtlingen bewohnt, deren Wohnungen in der

kroatischen Krajina oder in Sarajevo ebenfalls noch existieren und von anderen

vertriebenen Volksgruppen in Anspruch genommen werden.

In Bosnien wird dort am schnellsten und billigsten gebaut, wo Eigentümer ihre

alten Häuser reparieren oder an deren Stelle neue bauen. Eine finanzielle Beihilfe

zur Wiederinstandsetzung, etwa 5 000 Mark pro Wohnung, würde für viele eine

Hilfe sein, denn in Bosnien baut die Familie und Baumaterial wie Ziegelsteine und

Zement, sind wesentlich billiger als in Deutschland. Das größte Hindernis bei der

Rückkehr ist die Furcht vor einem neuen Krieg.

57 Pale ist ein Ort im Osten von Bosnien und Herzegowina, etwa 20 Kilometer östlich von Sarajevo. Während

des Bosnienkrieges fungierte Pale als Hauptstadt der Republika Srpska, bis diese nach Banja Luka verlegt

wurde. Sie galt es als Hochburg serbischer Nationalisten. Nach dem Krieg wurde ein kleiner Teil der

Gemeinde der Föderation Bosnien und Herzegowina angegliedert (die heutige Gemeinde Pale-Prača),

während Pale selbst bei der Republika Srpska blieb.

80

7. 1. Mostar - eine geteilte Stadt

Mitten durch die Stadt Mostar verlief die von bosnischen Kroaten und Muslimen

heftig umkämpfte Frontlinie, eine breite Durchfahrtsstraße, der "Boulevard". Auf

beiden Seiten der Straße stehen nun die Ruinen zerstörte Gebäude,

Wohnkomplexe und Geschäftshäuser. Am "Boulevard" verläuft die unsichtbare

Grenze zwischen West- und Ost-Mostar, zwischen dem kroatischen und dem

muslimischen Stadtteil. Beide Stadthälften sind völlig voneinander abgeschottet,

es gibt zwischen beiden Volksgruppen kein Zusammenleben, alle öffentlichen

Kontakte stehen unter internationaler Aufsicht. Staatliche, zwischenstaatliche und

nichtstaatliche Organisationen bemühen sich, die kriegsgeschädigte Stadt wieder

zur Normalität zurückzuführen. Die Wiedervereinigung von Mostar gilt als

Prüfstein bei der Umsetzung des Friedensvertrags von Dayton, als Maßstab für

das Funktionieren der Moslimisch-Kroatischen Föderation von Bosnien-

Herzegowina. Die bisherigen Erfahrungen der internationalen Organisationen

sind wenig ermutigend. Zwar sind sichtbare Fortschritte zu verzeichnen: die

Straßensperren sind weg, es gibt gemischte Polizeipatrouillen, der Wiederaufbau

der Stadt ist in vollem Gang. Häuser werden repariert, Schulhäuser aufgebaut,

Brücken errichtet, der Bahnhof ist wieder in Betrieb. Dieser Aufbau konnte mit

Hilfe aus dem Ausland ermöglicht werden. Es wurden in Mostar auch schon

Lokalwahlen durchgeführt, aber der Aufbau gemeinsamer politischer Institutionen

ist bisher kaum fortgeschritten, was vor alle am Widerstand der kroatischen Seite

liegt, die eine Zusammenarbeit mit den Moslimen verweigerten. Noch immer gibt

es in der kroatischen Bevölkerung eine Mehrheit, die für eine eigene kroatische

Republik Herceg-Bosna ist. Diese wird aber im Vertrag von Dayton nicht

anerkannt.

Ohne internationale Aufsicht ist ein friedliches Zusammenleben der beiden

Volksgruppen in Mostar gegenwärtig noch nicht denkbar. 1996 wurden über

siebzig Fälle registriert, in denen noch im Westen verbliebenen Muslime

vertrieben wurden, teils gewaltsam, teils durch "legale" Wohnungskündigungen.

7. 2. Probleme der Rückkehr bosnischer Flüchtlinge aus Deutschland

81

Mit eindringlichen Appellen haben Hilfsorganisationen vor der menschlichen

Katastrophe gewarnt, die durch die zwangsweise Rückführung von Bosnien-

Flüchtlingen entstehen würde. Das UNO-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) hat an

die Länderinnenminister und Ausländerbehörden in Deutschland appelliert, den

Ausreisedruck von bosnischen Flüchtlingen zu nehmen, die nicht in ihre

Heimatgebiete zurückkehren können. Davon sind besonders Moslime aus der

bosnisch-serbischen Republik betroffen. Sie können nicht zurückkehren, weil sie

in ihren Heimatorten akut gefährdet wären. Andererseits werden die

Kriegsflüchtlinge, die noch in Deutschland leben, dringend für den Wiederaufbau

ihres Landes gebraucht. Besonders schwierig ist eine Rückkehr im Winter.

Die Diskussion um die Rückführung der 320 000 Bosnier, die in Deutschland

leben, war vom Bundesinnenminister zunächst für den 1. Oktober 1996

vorgesehen, inzwischen geht man davon aus, daß eine Rückkehrbewegung erst

im Frühjahr 1997 realistisch sein wird. Wie die Statistik zeigt, haben die

Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg die

stärksten Flüchtlingskontingente aufgenommen. Berlin hat mit 29 000

bosnischen Flüchtlingen anteilmäßig das größte Kontingent von

Balkanflüchtlingen. In der Diskussion gibt es bei den einzelnen Bundesländer

keine übereinstimmende Haltung, im Mai 1996 war beschlossen wurden von

Oktober bis zum Sommer 1997 zunächst Alleinstehende und Ehepaare ohne

Kinder zur Heimkehr aufzufordern. Familien sollten später folgen.

Angesichts der ethnischen Teilung, die vielen das im Daytoner Vertrag

vorgesehene "Recht, frei an ihren früheren Wohnsitz zurückzukehren" unmöglich

macht, mußte man sich darauf einigen, daß es Rückführungen nur in jene Orte

geben kann, wo keine Gefahr für Leib und Leben besteht und der Wiederaufbau

"zumutbare Lebensbedingungen gewährleistet. Das UN-Flüchtlingshilfswerk hat

bisher 23 Gebiete als sicher eingestuft. Etwa 15 000 Personen hatten vor der

Wahl in Bosnien im September 1996 Deutschland verlassen.

7. 3. Ein "Friedensdorf für Bosnien"

82

Die Berliner Organisation "Süd-Ost-Europa Kultur" hat sich für das Projekt eines

Friedensdorfes in der Nähe von Tuzla engagiert. Während des Krieges war der

Verein in Berlin-Kreuzberg Anlaufstelle für alle Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-

Jugoslawien, egal ob Moslime, Kroaten oder Serben. Aus den Erfahrungen soll

das multi-ethnische Dorf Hrvati als ein Beispiel für Toleranz und Verständigung

entstehen und bei der Überwindung der ethnischen Feindseligkeiten helfen. Das

Dorf liegt mitten in den Wäldern des Kantons Tuzla, drei Kilometer vom Ort

Lukavac entfernt. Das hier ansässige Koks-Chemie-Kombinat wurde im Krieg

zerstört, in Hrvati blieb die gemischte Bevölkerung vom Rassenhaß verschont und

noch immer leben Muslime, Kroaten, Serben, und Roma friedlich miteinander. Es

entstanden eine Reihe von privaten Initiativen, die jetzt von dem Berliner Verein

unterstützt werden. Man hofft, daß solche Beispiele zur Nachahmung ermutigen

und den Wiederaufbau und die Rückkehr von Flüchtlingen positiv beeinflussen. In

Hrvati soll ein internationales Begegnungszentrum entstehen, wo Seminare

veranstaltet werden, um die Isolation von Europa aufzubrechen und ein

Demokratieverständnis zu vermitteln. Finanzielle Unterstützung erhält das Projekt

von der EU-Kommission.

APPENDIX

MINDERHEITEN AUF DEM BALKAN

8.1 Ungarn außerhalb Ungarns

83

Als Folge des Zusammenbruchs der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn58 am

Ende des Ersten Weltkrieges verlor das einstige Ungarische Königreich Zweidrittel

seines Territoriums mit einer ungarischen Bevölkerung von 3,5 Millionen, die

teilweise in rein ungarisch besiedelten Gebieten lebte. Im Vertrag von Trianon, der

am 4. Juni 1920 zwischen den Entente-Mächten und Ungarn geschlossen wurde,

erhielten die Balkanstaaten Rumänien, das Königreich Jugoslawien (SHS), die

Slowakei und Österreich den Gebietszuschlag. Ungarn schrumpfte dabei von 282.

870 km auf 93. 011 km².59

Zwei Millionen Ungarn leben in Siebenbürgen und im Banat in Rumänien, 600 000

in der Slowakei, 450. 000 in der ehemals autonomen Jugoslawien-Provinz

Vojwodina und 200. 000 in der 1944 von Stalin annektierten Karpato-Ukraine.

In Rumänien stellen die Ungarn mit fast 9 % der Gesamtbevölkerung die größte

Minderheit dar. Sie leben in Gebieten, die bis 1918 zur ungarischen

Stephanskrone gehörten (Kronländer)60. Dort bildet die ungarische Bevölkerung

drei geschlossene Spracheninseln. Die größte ist das Szeklerland im Bogen der

Südkarpaten, wo über eine halbe Million Ungarn lebt. Fast die gleiche Anzahl

siedelt an der Westgrenze Rumäniens in der Tiefebene, die von Ungarn

herüberzieht. Die dritte Insel liegt nördlich von Klausenburg, das die Ungarn

Koloszvar nennen.

Kulturgeographisch ist der Banat und Siebenbürgen von Ungarn und Deutschen

seit dem Mittelalter besiedelt. In der alten Verfassung von 1965 garantierten

Artikel 17 und 22 den freien Gebrauch der Muttersprache, Publikationen, Theater,

Schulunterricht sowie Gleichheit in allen Lebensbereichen. Bereits während der

Ceaușescu-Diktatur61 war die Lage der ungarischen Minderheit in Rumänien

schwierig und führte zum Streit mit dem kommunistischen ‚Bruderland’ Ungarn,

der 1985 einen Höhepunkt erreichte. Rumänien warf Ungarn eine "revisionistische

58 Die Österreichisch-Ungarische Monarchie (ungarisch Osztrák-Magyar Monarchia) bezeichnet den

Gesamtstaat des Habsburgerreiches in Mittel- und Südosteuropa für den Zeitraum zwischen 1867 und 1918. 59 Die ungarische Delegation unterschrieb den Vertrag unter Widerspruch am 4. Juni 1920.. 60 Kronländer hießen ab dem späten 18. Jahrhundert die Länder der Habsburgermonarchie, ab 1804 die

Gebietsteile des Kaisertums Österreich als Einheitsstaat und ab 1867 der westlichen Reichshälfte der

Österreichisch-Ungarischen Monarchie. 61 Nicolae Ceaușescu (1918-1989), Staatspräsident und Vorsitzender des Staatsrates war er von 1965 bis

1989 der neostalinistische[1] Diktator der Sozialistischen Republik Rumänien.

84

Politik" vor, weil es angeblich Ansprüche auf Siebenbürgen machte. Umgekehrt

warfen die Ungarn Rumänien eine Politik der Assimilation vor, nachdem die

ungarische János Bolyai-Universität in Klausenburg (Cluj) geschlossen wurde.

Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme in Südosteuropa, an

deren Stelle nun verspätet eine aggressive und übersteigerte Nationalstaats-

Ideologie trat, ist die Lage der Ungarn in Rumänien schlechter geworden. Die

postkommunistische Front zur nationalen Rettung Ion Iliescus62 versucht, der

Verfassungslage die Rechte der Minderheiten willkürlich abzubauen. 1990 kam es

in der Ortschaft Tirgu Mures zu pogromartigen Ausschreitungen gegen die

ungarische Bevölkerung. Zweisprachige Schilder und Plakate wurden verboten, im

Geschichtsunterricht wurden bevorzugt historische Konflikte zwischen Rumänen

und Ungarn dargestellt und letztere als "kulturlose Eindringlinge" und "barbarische

Reiterheere aus Asien" diffamiert, was auch von der nationalistischen

rumänischen Presse verbreitet wird.

Zu den Rändern des alten ungarischen Reiches entlang des Karpatenbogens

gehört auch ein Teil der heutigen Slowakei, in der 600. 000 Ungarn (11 % der

Bevölkerung) ihre Heimat haben. Das Verfassungsgesetz über die Stellung der

Nationalitäten von 1968 sicherte in der einstigen Tschechoslowakischen

Sozialistischen Republik die Stellung der Nationalitäten. Die größte unter ihnen

war die ungarische Minderheit, ihnen gewährleistete der Staat "alle Möglichkeiten

und Mittel zur Bildung in der Muttersprache und zu ihrer kulturellen Entwicklung."

Dazu gehörte das Presserecht, das Recht auf nationale kulturelle

Gesellschaftsorganisationen und der Gebrauch des Ungarischen als Amtssprache

in den mehrheitlich von Ungarn bewohnten Gebieten. Eingeschränkt war diese

gesetzliche Freizügigkeit durch das allgemein restriktive sozialistische System. Im

unruhigen Prager Frühling 1968 kam es auch zwischen Ungarn und Slowaken zu

Auseinandersetzungen, die sich aber beruhigten. Eine kulturelle Betätigung,

sofern sie System-konform war, konnte stattfinden.

62 Im Dezember 1989 löste sich die Kommunistische Partei Rumäniens auf und ein Teil der ehemaligen KP-

Mitglieder gründete die Frontul Salvării Naționale (FSN, Nationale Rettungsfront) unter der Führung von

Iliescu und übernahm die Macht im Land.

85

Nachdem die Slowakei jetzt ein unabhängiger Nationalstaat geworden ist, macht

sich der erstarkende Nationalismus auch in einer restriktiven Politik gegenüber

den Ungarn bemerkbar. Die Ungarn fordern mehr ungarische Schulen, um die

Schulbildung in der Muttersprache sicherzustellen sowie den Gebrauch ihrer

Sprache auf Ämtern und Gerichten, bei Orts- und Straßennamen in ihren

traditionellen Siedlungsgebieten. Die Regierung in Bratislawa scheint allerdings

nicht sehr entgegenkommend zu sein.

Wesentlich entspannter ist die Lage der 200. 000 Ungarn in der Karpato-Ukraine,

die bis 1944 slowakisches Territorium war. Von der Gesamtbevölkerung dieser

Provinz, die 1,3 Millionen umfaßt, stellen die Ungarn etwa ein Achtel dar. Außer

ihnen leben dort Ukrainer, Russen, Slowaken, Rumänen, Roma und eine kleine

deutsche Minderheit. Es gibt keine Ungarnfeindlichkeit, die starke Abwanderung

nach Ungarn hat ihren Grund vor allem in der schlechten Versorgungslage,

welche aber die gesamte Bevölkerung betrifft.

Die zweitgrößte nationale Minderheit in Jugoslawien waren mit 600 000

Einwohnern die Ungarn, die in der autonomen Provinz Vojvodina leben,

abgesehen von kleineren ungarischen Bevölkerungsgruppen in Kroatien und

Slowenien. In der Vojvodina stellten Ungarn 21,7 % der Bevölkerung. Während

der Ära Tito, besonders seit 1974, galt die kulturelle Freizügigkeit gegenüber

allen Minderheiten als vorbildlich. 1968 hatten die Ungarn 221 Schulen, eine Ta-

geszeitung, die in Novi Sad herausgegeben wurde, neben Illustrierten und

Magazinen wie "Het nap" und "Magyar Kepes Ujsag". Auch regelmäßige

Rundfunk- und Fernsehsendungen sowie ein ungarisches Theaterensemble

bereicherten die ungarische Kulturszene. Nachdem Serbien die Autonomie der

Provinz Vojvodina abgeschafft hat, sind die dort lebenden Ungarn von einer

ethnischen Säuberung im Zuge der Großserbien-Ideologie bedroht. Aus

Slawonien wurden mehrere tausend Ungarn bereits vertrieben und flüchteten

nach Ungarn. Die kriegerischen Verwicklungen in Bosnien haben bisher eine

Vertreibung im großen Stil verhindert. Sollte der schwelende Konflikt auch hier

zum offenen Kriegsausbruch führen, müßten die Serben mit einer Konfrontation

mit Ungarn rechnen. Damit würde sich der Brandherd auf dem Balkan ausweiten.

8. 2. Türken und Pomaken in Bulgarien

86

Im heutigen Bulgarien gehören fast 16% der Bevölkerung nationalen und

ethnischen Minderheiten an. Ende des 19.Jahrhunderts betrug der Anteil der

nicht-bulgarischen Bevölkerung noch rund ein Drittel, seitdem sind viele Bulgaren

eingewandert, aber mehr als eine Million Türken, Pomaken und Roma in die

Türkei ausgewandert.

Etwa eine Million türkischstämmige Moslime leben als größte Minderheit relativ

geschlossen im Nordosten des Landes und in den östlichen Rodopen.63

Eine weitere islamische Bevölkerungsgruppe sind die slawischstämmigen

Pomaken mit 100 000 Menschen. Die Diskriminierung der moslemischen

Minderheit begann unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als die neue

kommunistische Regierung die Türken beschuldigte, sie hätten sich gegenüber

dem Befreiungskampf des bulgarischen Volkes gleichgültig verhalten bzw. ihm

feindlich gegenübergestanden. Auch an der sozialistischen Umgestaltung des

Landes nahmen die eher konservativen Türken kaum teil, zumal ihre Moscheen

und Schulen, die nach dem Krieg für kurze Zeit bestanden, geschlossen wurden.

Sie besaßen seither keine eigenen Bildungs- und Kultureinrichtungen mehr.

Minderheitenrechte wurden im Gegensatz zu anderen osteuropäischen Ländern

kaum formal garantiert. 1950 begann eine erste große Auswanderungswelle in

die Türkei, die bald darauf ihre Grenze schloß, weil sie sich nicht in der Lage sah,

hunderttausende von Flüchtlingen sozial zu integrieren. Außerdem fürchtete die

Türkei kommunistische Infiltration. Nachdem diese indirekte Politik der

Vertreibung zum Stillstand kam, versuchte die bulgarische Regierung ihre

türkische und moslimische Minderheiten zu integrieren, vor allem aber zu

assimilieren. Die staatliche Modernisierungspolitik entsprach nicht dem

gesellschaftlich-traditionellen Bild der bulgarischen Türken, deren niedriges

Bildungsniveau, hohe Analphabetenrate und Beschäftigung vor allem in der

Landwirtschaft diese Volksgruppe von der übrigen Gesellschaft isolierte.

Bis 1958 waren neun Zehntel der türkischen Bauern enteignet, in den Kolchosen

wurden sie einem Umerziehungsprogramm ausgeliefert, das ihre "konservative

63 Petar-Emil Mitev, Von der Nachbarschaft zur Mitbürgerschaft. Die Bulgaren und die türkische Minderheit.

(=Aktuelle Analysen des Bundesinstituts für Ostwissenschaftliche und Internationale Studien. Nr. 10/2000).

Köln 2000. Karagiannis, Evangelos, Zur Ethnizität der Pomaken in Bulgarien, 1997.

87

Gesinnung ausmerzen und sie von Aberglauben, Vorurteilen und blinder

Verehrung der Naturerscheinungen befreien und zur Annahme der sowjetischen

Erfahrungen veranlassen sollte", wie das Parteiblatt "Rabotschesko delo" damals

schrieb.

Anfang der 60er Jahre wurden sie gezwungen, bulgarische Namen anzunehmen.

Ganze Dörfer wurden von Polizei und Militär belagert.

Die Vertreibung in den Jahren bis 1952 hatten viele Familien aus-

einandergerissen. 1968 wurde deshalb ein Abkommen zwischen Ankara und

Sofia unterzeichnet, welches die Familienzusammenführung der bulgarischen

Türken durch freiwillige Auswanderung vorsah. Weitaus mehr als die eigentlich

vorgesehenen 30. 000 Türken, nämlich 81. 000, stellten einen Ausreiseantrag. Es

kam erneut zu Schwierigkeiten, weil die Türkei die Einwandererquote nicht

erhöhen wollte.

1971 kam es zu blutigen Zusammenstößen mit der Miliz, die sich 1973 noch

verstärkt wiederholten, als 800 Milizionäre und Geheimpolizei türkische und

pomakische Dörfer in der Region Blagoewgrad überfielen und die dort lebenden

Moslems zur Annahme von bulgarischen Familiennamen zwingen wollten. Es gab

damals Tote und Verletzte.

Als Moskau gegenüber den islamischen Staaten einen neuen Kurs einschlug, sah

sich Bulgarien veranlaßt, den Türken mehr Freizügigkeit zu gewähren. Schulen,

Zeitungen und Theater in den größeren Städten hatten aber eher

Repräsentationscharakter und erreichten die türkische Landbevölkerung kaum,

die hauptsächlich im östlichen Bulgarien, im Rhodopen-Gebirge und nordöstlich

des Balkangebirge lebt.

In den Verwaltungskreisen Varna, Tolbuchin, Kolarovgrad und Haskovo

erschienen zeitweise Tageszeitungen in türkischer Sprache bzw. Beilagen in

Türkisch wie bei "Rodopska Borba". Eine theoretische Zeitung "Handbuch für

Agitatoren" diente als Schulungsmaterial für türkische Parteikader. Alle

Publikationsorgane standen unter Kontrolle der bulgarischen Regierung.

88

Eine neue Welle bulgarischer Assimilationspolitik fand in den achtziger Jahren

statt, als die Regierung bei der Ausgabe neuer Personalausweise die Türken und

Pomaken zwang, bulgarische Namen anzunehmen oder an ihren türkischen

Namen eine slawische Endung anzuhängen. Diese erneute Zwangs-Slawisierung

stieß auf erbitterten Widerstand. In Varna und Plovdiv kam es zu

Bombenanschlägen und Demonstrationen, gegen die bewaffnete Polizeitruppen

eingesetzt wurden. Ankara sprach von 800 Toten, die ganze Region wurde

damals zum Sperrgebiet erklärt. 1989 lebten die Proteste wieder auf. Es kam zu

Hungerstreiks und Deportationen. Als im Mai des Jahres Reisefreiheit gewährt

wurde, suchten 300 000 bulgarische Türken in der Türkei Zuflucht durch

Auswanderung. Viele kamen später zurück, da es auch in der Türkei für sie keine

Integrationsmöglichkeiten gab.

Diese Auseinandersetzungen waren mit ein Grund für die Staatskrise, die im

November zum Rücktritt des bulgarischen Staatschefs und Vorsitzenden der

Kommunistischen Parteil Bulgariens, Todor Schiwkow (1911-1998)64, geführt

haben. Die nun einsetzende politische Reformpolitik war bestimmt von

großbulgarisch-nationalistischen und Minderheiten-feindlichen Tendenzen.

Inzwischen hat die türkische Minderheit ihre Angelegenheiten in die eigenen

Hände genommen und die Rechte auf freie Wahl des Namens, Glaubensfreiheit

und Gebrauch der Muttersprache durchgesetzt. Eine Türkin wurde stellvertretende

Ministerpräsidentin und eine Amnestie für Türken erlassen, die wegen

Nationalitätskonflikten verurteilt worden waren. Im November 1990 beschloß die

Volksversammlung das Recht zur Rückbenennung von Familiennamen und gab

eine Zusicherung des Gebrauchs der eigenen Sprache im gesellschaftlichen und

privaten Bereich.

Die etwa 100 000 bulgarischen Pomaken sind dagegen keine Türken sondern

islamisierte Slawen und bilden eine eigenständige ethnisch-religiöse Minderheit,

die weder mit Bulgaren noch Türken verwandt sind. Als es im 19. Jahrhundert auf

dem Balkan zu den vielfältigen nationalen Bewegungen und Erhebungen kam,

erhoben auch die Pomaken Anspruch auf einen eigenen Staat. Sie bekämpften

64 Todor Christow Schiwkow war von 1954 bis zu seinem erzwungenen Rücktritt am 10. November 1989

Staatschef von Bulgarien und erster Sekretär der Bulgarischen Kommunistischen Partei. Damit war er unter

allen Staatsoberhäuptern der Warschauer Vertragsstaaten derjenige mit der längsten Amtszeit.

89

daher den Beschluß des Berliner Kongresses, der die Errichtung eines

autonomen Vilayets Ostrumelien auf ihrem Siedlungsgebiet betraf. Es kam

damals sogar zur Ausrufung eines eigenen Gemeinwesens, das aber 1883

infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Bulgaren und

Osmanen aufgelöste wurde.

Nachdem die territorialen Grenzen der heutigen Balkanstaaten festgelegt worden

waren, war das Hauptsiedlungsgebiet der Pomaken, das südliche Rhodopen-

Gebirge, unter Bulgarien und Griechenland aufgeteilt. Heute leben 100 000

Pomaken auf bulgarischem und 30. 000 auf griechischem Staatsgebiet sowie als

Flüchtlinge in der Türkei.

In Griechenland werden sie als Nachfolger der alten Thraker angesehen und

damit zu Griechen erklärt, während Bulgarien sie weiterhin zu assimilieren sucht.

Statistik Bulgarien

Einwohner 9 Millionen

Minderheiten :, 1 Mio (8%) Türken (sunnitische Moslems), 100 000

Pomaken, 2 % Roma, Russen, Griechen, Rumänen, Serben u.a.

8.3. Die Mazedonische Frage

Bereits im Oktober 1992 warnte der Uno-Sonderbeauftragte Cyrus Vance vor

einem internationalen Balkankonflikt, der in Mazedonien entstehen könnte: "Ein

Funke in Mazedonien könnte die ganze Region in Brand setzen."

Seit einem Jahrhundert gibt es die sogenannte Mazedonische Frage65, vor allem

ein geopolitisches Problem, das als Folge des zerfallenen Jugoslawien wieder ins

Bewußtsein rückt. Geographisch umfaßt Mazedonien nicht nur die sechste jugo-

slawische Volksrepublik, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Auch

65 Ende des 19. Jahrhunderts wurde die „Makedonische Frage“ die brisanteste Teilfrage der Orientalischen

Frage. Von 1903 bis 1918 wurde Makedonien als strategisch wichtige Region das geopolitische

„Schiebegewicht“ und der „Zankapfel“ des Balkans. Fikter Adanir, Die makedonische Frage. Ihre Entstehung

und Entwicklung, 1979.

90

Griechisch- und Bulgarisch-Mazedonien gehören dazu, insgesamt ein Gebiet von

100. 000 km , ein kleiner Zipfel um den Ohrid-See gehört zu Albanien. Zu dieser

Aufteilung kam es 1913 als Ergebnis des Zweiten Balkankrieges66. Historisch

sind die heutigen Mazedonier nicht Nachfahren des antiken Mazedonier

Alexander des Großen, der von 336 bis 327 v. Chr. ein Reich bis nach Indien hin

gründete, sondern slawische Mazedonier, die im 6. und 7. Jahrhundert in den

Balkanraum einwanderten. Dennoch führen die Mazedonier ihre Geschichte weit

in die Vergangenheit zurück und sehen die Anfänge der slawo-mazedonischen

Nation in der Gründung des Bulgarischen Reiches (976-1014). Auch die aus

Saloniki stammenden Brüder Kyrill und Method, die als Slawenapostel das

Christentum im 9. Jahrhundert zuerst nach Bulgarien brachten und als Erfinder

des ersten slawischen (glagolitischen) Alphabets gelten, werden als Mazedonier

angesehen. Da sich die bulgarische mit der mazedonischen Geschichte

überschneidet und auch beide Sprachen einander sehr nahe stehen, reklamiert

Bulgarien bis heute die Mazedonier als eine bulgarische Volksgruppe für sich.

Tatsächlich standen sie den Bulgaren bis zum Ersten Weltkrieg sehr nahe und

kämpften auch in den Befreiungskriegen gegen die Osmanen auf Seiten

Bulgariens.

In der Zeit zwischen den Weltkriegen wurden die Slawo-Mazedonier im serbisch-

monarchistischen Jugoslawien als Südserben angesehen und betrachteten daher

im Zweiten Weltkrieg die einmarschierende bulgarische Armee, die auf der Seite

der Mittelmächte kämpfte, als Befreier.

Nach 1945 mußte Bulgarien die eingenommenen Gebiete wieder abtreten, erneut

wurde Mazedonien dreigeteilt.

Innerhalb der Föderation Jugoslawiens wurde Mazedonien eigenständige Re-

publik, eine eigene Schriftsprache, Schulen, Publikationsmöglichkeiten festigten

die junge nationale Identität. Nachdem der Konflikt zwischen Tito und Stalin 1948

zu einem Ausscheren Jugoslawiens aus dem Ostblock geführt hatte und

66 Die Balkankriege waren zwei Kriege der Staaten der Balkanhalbinsel in den Jahren 1912 und 1913 im

Vorfeld des Ersten Weltkriegs. Als Folge wurde das Osmanische Reich in Europa bis in die heutigen Grenzen

der Türkei verdrängt und musste große Gebiete an die Nachbarländer abtreten. Vgl. Katrin Boeckh, Von den

Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg. Kleinstaatenpolitik und ethnische Selbstbestimmung auf dem Balkan.

Verlag Oldenbourg, München 1996.

91

gleichzeitig auch die Pläne einer Balkanföderation an Stalins Haltung gescheitert

waren, distanzierten sich die bulgarische und griechische Kommunistische Partei

(KP) von der Idee einer Eigenständigkeit der Mazedonischen Nation.

1948 wurden die mazedonischen Schulen Bulgariens (Pirin-Mazedonien)

geschlossen. Seitdem schwelte der Mazedonien-Konflikt zwischen Bulgarien und

Jugoslawien. Während der Ära Tito war im föderativen Rahmen und unter den

vorhandenen ideologischen Bedingungen die Entfaltung eines mazedonischen

Kulturlebens möglich. Die mazedonische Eigenständigkeit wurde noch

hervorgehoben durch die Trennung der Mazedonisch-Orthodoxen Kirche von der

Serbisch-Orthodoxen Kirche67. Seit 1993 ist sie eine autokephale Nationalkirche,

der serbisch-orthodoxe Patriarch protestierte gegen diesen Schritt , weil damit der

serbische Anspruch auf Mazedonien, der in der Gegenwart wieder Bedeutung

erhält, verloren ging.

Bei der Volkszählung 1981 lebten in der Teilrepublik Mazedonien, Hauptstadt

Skopje, 1,3 Millionen Mazedonier, die aber nur 76 % der Gesamtbevölkerung

ausmachen. Außerdem leben dort Albaner (20 %) - ihr Anteil soll nach eigenen

Angaben 40 % betragen -, Türken (5 %), Pomaken (2 %), Roma (2 %).

In zwei von fünf Großstädten Mazedoniens haben die Albaner die absolute

Mehrheit, wie z. B. in Tetovo. Zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen

entstanden in den letzten Monaten Spannungen, nachdem Mazedonien im

September 1991 seine Unabhängigkeit erklärt hatte. Die Abstimmung darüber

wurde von den Albanern in Mazedonien boykottiert, weil ihnen kein

Minderheitenstatus eingeräumt wird. Die Auseinandersetzungen zwischen beiden

Volksgruppen eskalieren unterdessen. So kam es Anfang November 1992 zu

Straßenschlachten in der Hauptstadt Skopje zwischen Mazedoniern und Albaner,

67 Für die Mazedonier war die Gründung einer eigenen autokephalen Kirche ein wichtiger Schritt beim

Emanzipationsprozess zu einer von Serben und Bulgaren unterscheidbaren eigenständigen Nation. Im Herbst

1966 baten die mazedonischen Bischöfe das serbische Patriarchat um die Autokephalie, was von diesem

abgelehnt wurde. Trotzdem beschlossen die Mazedonier auf einer Versammlung von Bischöfen, Priestern und

Laien in Ohrid am 19. Juli 1967 ihre Loslösung vom Belgrader Patriarchat und der neu gebildete Heilige

Synod der Kirche von Mazedonien verkündete die Autokephalie. Der Streit zwischen der serbischen und der

mazedonischen Orthodoxie konnte bis heute nicht beigelegt werden, sondern ist in den letzten Jahren sogar

noch eskaliert. Vgl. Johannes Pahlitzsch: Die umstrittene Selbständigkeit der Makedonischen Orthodoxen

Kirche in historischer Sicht, in: Aus der Südosteuropa-Forschung, Bd. 10, hrsg. von W. Althammer. München

1999, S. 31–43.

92

die sich gegen eine schleichende Assimilation wehren. Dabei gab es Tote und

Verletzte.

Von den Serben wird Mazedonien inzwischen wieder als der Süden Großserbiens

angesehen und Eroberungspläne liegen schon bereit. Griechenland behandelt die

Mazedonische Frage bis heute restriktiv, im offiziellen Sprachgebrauch gibt es

weder Mazedonier noch eine mazedonische Sprache, von staatlicher Seite wird

seit Jahrzehnten alles getan, um die kulturelle Identität der slawophonen

Mazedonier zu zerstören.

Ermutigt durch die Unabhängigkeitserklärung haben sich inzwischen auch in

Griechisch-Mazedonien Initiativgruppen gegründet, die ihre kulturellen Rechte

fordern. In der modernen Geschichte Griechenlands nach dem Zweiten Weltkrieg

haben weder Konservative noch Linke den Mazedoniern Minderheitenrechte, ja

nicht einmal die Existenzberechtigung eingeräumt.

In Bulgarien wurde Ende 1989 nach der Ablösung von Todor Schivkov offiziell

eine neue Minderheitenpolitik verkündet, nach der jeder das Recht auf seinen

Namen, Religion, Sprache habe. Hinsichtlich der nationalen mazedonischen

Organisation, die Mitte 1990 ihre Zulassung beantragten, wurde von den bulga-

rischen Gerichten eine Ablehnung erteilt, die sich auf Artikel 52 der Verfassung

als "staatsgefährdend" und „gegen die nationale Einheit und die territoriale

Integrität“ Bulgariens berief.

Als die Republik Mazedonien am 18. September 1991 ihre Unabhängigkeit

erklärte, war dennoch Bulgarien eines der wenigen Länder, die Mazedonien

anerkannten, nachdem der Einspruch Griechenlands eine internationale

Anerkennung zunächst verhinderte.68 Griechenland argumentierte, daß

Mazedonien kein Staatsname sein könne, sondern einen geographischen Raum

bezeichnet, nämlich das einstige Kernreich Alexander des Großen, der zu

Griechenlands antiker Geschichte gehört. Etwa ein Drittel dieses historischen

Territoriums liegt in der ehemals jugoslawischen Republik, zehn Prozent in

Bulgarien und einige mazedonische Dörfer befinden sich auf dem Staatsgebiet

Albaniens. Der größte Teil Mazedoniens liegt aber seit 1913 (Zweiter

68 Bulgarien weigerte sich jedoch die mazedonische Sprache als eigenständige Sprache anzuerkennen.

93

Balkankrieg) auf griechischem Staatsterritorium. Die dortige mazedonische

Bevölkerung genießt keine Minderheitenrechte und Griechenland fürchtet

territoriale Forderungen der neuen Republik. Es reagierte mit einem

Wirtschaftsboykott, so wurden Öl-Lieferungen nach Mazedonien eingestellt.

Außer von Bulgarien wurde die Souveränität Mazedoniens nur von der Türkei

anerkannt. Ende März 1993 lenkte die griechische Regierung unter

internationalem Druck ein und war zu einem Kompromiß im Namensstreit bereit.

Dadurch konnte Mazedonien am 8. April 1993 unter der Bezeichnung "Frühere

Jugoslawische Republik Mazedonien" als 181. Mitglied in die Vereinten Nationen

aufgenommen werden. Präsident war seit 1991 (-1999) Kiro Gligorow (1917-

2012).

In Albanien leben etwa 30. 000 Mazedonier südlich des Ohridsees. Sie haben

keinen Minderheitenstatus, nach inoffiziellen Angaben wird in einigen albanischen

Volksschulen mazedonisch unterrichtet.

Statistik

2,1 Millionen Einwohner

65% Mazedonier, 26% Albaner, 2,3% Serben

8.4. Albaner im Kosovo

Der Kosovo, dem Tito 1974 Autonomierechte gab, gehört seit 1990 zur Republik

Serbien, nachdem der damals amtierende Präsident Slobodan Milosevic den

Autonomiestatus auflöste. Seitdem wird die dort lebende albanische Bevölkerung

mit Polizei und Militärpräsenz unterdrückt und jeglicher Rechte auf kulturelle und

nationale Freizügigkeit beraubt. Die etwa 2 Millionen Albaner stellen in Kosovo 90

% der Bevölkerung, der Rest sind Serben und Montenegriner.

Der Kosovo wurde immer vernachlässigt und galt auch unter der Herrschaft Titos

als Armenhaus Jugoslawiens. Wirtschaftlich rückständig, bei hoher Geburtenrate,

gingen seit Anfang der 60er Jahre überproportional viele Albaner aus dem Kosovo

94

als Arbeitnehmer nach Westeuropa, besonders in die Bundesrepublik

Deutschland69.

Seit Ende 1991 hatte sich die Lage im Kosovo noch verschärft, nachdem von

Belgrad eine einheitliche Schulgesetzgebung erlassen wurde, die den Albanern

den Gebrauch ihrer Muttersprache verbietet und damit auch die Verfassung von

1974 außer Kraft setzte. Seitdem weigerten sich die Kosovo-Albaner, ihre Kinder

an einem rein serbisch-sprachigen Schulunterricht teilnehmen zu lassen. Fast alle

6000 albanischen Lehrer und Erzieher sind inzwischen entlassen worden,

albanische Publikationen dürfen nicht mehr erscheinen, weder Zeitungen noch

Bücher. Auch die Universität in der Hauptstadt Pristina ist der Zwangsserbisierung

zum Opfer gefallen.70 Es gibt keine albanischen Vorlesungen mehr, 500

Professoren und Lehrkräfte wurden entlassen. Da der gesamte Medienbereich

zum Erliegen gekommen ist, wozu neben Zeitungen und Zeitschriften auch

Buchverlage, Radio und Fernsehen gehören, herrscht absolute

Informationssperre.

Die Serben unterbinden auch jeglichen Kontakt nach Albanien und verbieten

grenzüberschreitende Besuche in den Nachbarstaat, was die Isolation der

Kosovo-Albaner noch verstärkt. Die Serben greifen damit wieder ihre alte Politik

der Unterdrückung auf. Auch vor dem Zweiten Weltkrieg anerkannten sie die

Albaner nicht als nationale Minderheit und wiesen Zehntausende aufgrund ihrer

islamischen Religion in die Türkei aus. Naheliegend ist daher die Befürchtung,

daß der Kosovo nach Bosnien das nächste Kriegsziel der Serben sein könnte.71

8. 5. Roma - ein Volk ohne Rechte

Aus ihrer Heimat, dem nordwestlichen Indien, sind die Roma72 wahrscheinlich

zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert in verschiedenen Gruppen nach Westen

69 Vgl. Jeton Neziraj, Timon Perabo: Sehnsucht im Koffer – Geschichten der Migration zwischen Kosovo

und Deutschland. Be.bra Verlag, Berlin 2013 70 Artikel „Wohin gehört der Kosovo? https://www.owep.de/artikel/236/wohin-gehoert-kosova 71 Der Kosovkrieg brach 1999 aus. Am 17. Februar 2008 proklamierte das Parlament die Unabhängigkeit des

Territoriums. 110 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen erkennen die Republik Kosovo als

unabhängig an. 72 Roma ist eigentlich ein Oberbegriff für mehrere Bevölkerungs-, Stammesgruppen, die sich auf eine

gemeinsame historisch-geografische Herkunft zurückführen und eine der indoarischen Sprachfamilie

zugehörigen Sprache, das Romani, sprechen. Vgl Yaron Matras, Die Sprache der Roma. Ein historischer

95

gezogen. Der Wanderweg führte über Pakistan, Iran, Kleinasien, Ägypten und den

Balkan bis nach Westeuropa.73

"Rom" (Plural: "Roma") bedeutet Mensch und ist die Selbstbezeichnung dieser

Volksgruppe. Ihre Sprache, die in verschiedene Dialekte zerfällt, aber deutlich an

das altindische Sanskrit anknüpft, ist Romani oder Romanes.

Die erste Erwähnung der Roma auf dem Balkan geht auf das 14.Jahrhundert

zurück. In den Fürstentümern Moldau und Walachei findet sich eine solche

Erwähnung schon im Jahre 1382 im Zusammenhang mit dem Verkauf von 40

Roma-Familien, die als Leibeigene an ein Kloster abgegeben wurden. Im

Zusammenhang mit den nationalen Spannungen auf dem Balkan in der zweiten

Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Aufhebung der Leibeigenschaft in den beiden

rumänischen Fürstentümern 1855/56, wanderten viele Roma in andere südost-

und westeuropäische Staaten aus. Jahrhundertelang bis in die Gegenwart waren

die Roma eine gesellschaftliche Randgruppe, diskriminiert und rechtlos. Bis ins

19.Jahrhundert hinein wurden sie auf dem Balkan als Sklaven gehandelt und

hatten nicht das Recht, frei einen Beruf oder Ehepartner zu wählen. Sie konnten

nur innerhalb ihrer Berufsgruppe zu heiraten, so daß ihre Gesellschaft durch ein

Berufs-Kastensystem gekennzeichnet ist.

Neben der ungarischen Minderheit (500 000) bilden die Roma in Rumänien die

größte ethnische Minderheit, die auf über zwei Millionen geschätzt wird. In Polen

leben etwa 500 000 Roma, in der ehemaligen Tschechoslowakei, besonders auf

dem Gebiet der jetzigen Slowakischen Republik, leben 800 000 Roma. Die im

ehemaligen Jugoslawien durchgeführten Volkszählungen wiesen über die Roma

eindeutig falsche Zahlen aus (1971 : 78 500; 1981: 168 127). Nach inoffiziellen

Schätzungen leben dort zwischen 800 000 und 1 Million Roma, die nach den

Albanern in Ex-Jugoslawien die stärkste Minderheit sind.74

Umriss, in: ders./Hans Winterberg/Michael Zimmermann (Hrsg.), Sinti, Roma, Gypsies. Sprache –

Geschichte – Gegenwart, Berlin 2003, S. 231–261,

73 Die Gruppe, die überwiegend im deutschsprachigen Mitteleuropa lebt, bezeichnet sich als Sinti, was

wahrscheinlich von dem Namen 'Sindhu', einem großen Fluß in Indien, hergeleitet wird.

74 Max Matter, Zur Lage der Roma im östlichen Europa, in: ders. (Hrsg.), Die Situation der Roma und Sinti

nach der EU-Osterweiterung, Göttingen 2005, S. 9–28,

96

Im ehemaligen Königreich Jugoslawien wurde ihre Anzahl vor dem deutschen

Einmarsch im Zweiten Weltkrieg auf 300 000 geschätzt. Hier war der größte Teil

von ihnen bereits sesshaft geworden. Ab 1941 wurden viele von ihnen Opfer der

Vernichtungslager, in sogenannte „Zigeunerlager“ verschleppt, als „rassisch

minderwertig“ angesehen, hunderttausende wurden dort ermordet.75

Je nachdem wo die Roma leben, haben sie die Religion ihres Gastlandes

angenommen, bzw. die Mehrheitsreligion des Landes. Sie sind katholisch, orthdox

oder gehören dem Islam an. Die in Mazedonien und Albanien lebenden Roma

sind überwiegend Moslime.76

In Jugoslawien gab es bis zum Staatszerfall eine relative Integration der Roma

und damit vergleichsweise gute Bildungschancen. Viele Roma konnten höhere

Schulabschlüsse und mancher einen Hochschulabschluss erwerben. In der

jugoslawischen Verfassung, die mehrfach geändert wurde und zeitweise als

vorbildlich für Minderheitenrechte in Europa galt (1974), wurden sie als ethnische

Gruppe angesehen, ihre Sprache wurde anerkannt, jedoch hatten sie keinen

eigenen Nationalitätenstatus.Es gab aber Roma-Vereinigungen und zeitweise

erschienen zwei Zeitungen in Romani.

Nach der Niedergang Jugoslawiens hat sich der soziale Status der Roma

erheblich verschlechtert und der damit aufbrechenden ethnischen und nationalen

Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen richteten sich massive

Aggressionen auch gegen die jeweilige Romabevölkerung. Sie war kollektiven

Angriffen durch Angehörige der Mehrheitsbevölkerung, Zerstörungen und

Plünderungen ihrer Wohnstätten mit dem Ziel ihrer Vertreibung ausgesetzt. Viele

südosteuropäische Roma flüchteten vor diesem Hintergrund nach West- und

Mitteleuropa. Die noch in den Heimatländern verbliebene Roma-Bevölkerung lebt

meistens in eigenen Ghettos und Slums der Großstädte. Eine hohe

Analphabetenrate, hohe Kindersterblichkeit, Armut und geringe Berufschancen

sind überall in Ost- und Mitteleuropa kennzeichnend für ihre Lebenssituation.

75 Insgesamt fielen der Vernichtung durch die Nationalsozialisten aus dieser Volksgruppe

schätzungsweise 220.000 bis 500.000 Menschen zum Opfer. 76 Katrin Reemtsma, Sinti und Roma. Geschichte, Kultur, Gegenwart, München 1996, S. 63f.

97

In Rumänien, wo seit dem Sturz des kommunistischen Diktators Nikolae

Ceaucescu instabile politische und wirtschaftliche Verhältnisse herrschten, hat

sich die Lage der Roma noch deutlich verschlechtert. Der in der Bevölkerung tief

verwurzelte ethnische Haß führte in den letzten Jahren zu gewalttätigen

Übergriffen auf Roma-Dorfgemeinschaften. In regelrechten Pogromen wurden

diese Siedlungen zerstört, verbrannt, Menschen angegriffen, verletzt und sogar

getötet. Daran sind besonders die erstarkten rechtsnationalen rumänischen

Organisationen wie "Vatra Romanesca" beteiligt, die Polizei schreitet gegen diese

Übergriffe und Verfolgungen zumeist nicht ein.

Auch in Mazedonien leben allein in der Umgebung von Skopje um 50 000 Roma

in der Barackensiedlung "Schutka", die 1963 für die Erdbebenopfer gebaut wurde.

8. 6. Minderheiten auf dem Balkan im Überblick (1995)

Albanien Griechen 50. 000 Mazedonier 30 - 40. 000 Montenegriner Serben Aromunen Roma

Bulgarien Türken 1 Million Pomaken 100. 000 Mazedonier 187. 789 (1956) Roma 200. 000 (offiz. Angabe) Armenier 30. 000 Rumänen Walachen Tschechen 25. 000 Italiener 19. 000 Roma 77. 500 Russen 7. 100 Juden 4. 400 vor dem Krieg (76. 000) Walachen 22. 000

Griechenland Albaner, Mazedonier, Roma (kein Minderheitenstatus)

98

Jugoslawien Albaner 2 - 3 Millionen Ungarn 468. 000 Türken 183. 000 Slowaken 84. 000 Rumänen 59. 000 Bulgaren 58. 000 Ruthenen 25.000 Ukrainer 13.000 Walachen 32.000 Tschechen 25.000 Italiener 21.000 Deutsche 12.785 Roma 168 197

Rumänien Ungarn 2 000 000 Deutsche 200. 000 ( starke Abwanderung) Ukrainer 60. 000 Südslawen 50. 000(Serben, Kroaten, Slowenen) Bulgaren 12. 000 Griechen 12. 000 Armenier 6. 000 Türken 14. 000 Slowaken 20. 000 Tschechen 6. 000

9 Balkansprachen

Die im Balkanraum verbreiteten Sprachen gehören unterschiedlichen

indogermanischen Sprachgruppen an, bei denen sich aber aufgrund vielfältiger

Kontaktbeziehungen Gemeinsamkeiten herausgebildet haben. Zu diesem südost-

europäischen Balkansprachbund gehören folgende Sprachen bzw.

Sprachgruppen:

Neugriechisch, Albanisch (Toskisch und Gegisch), Romänisch (Dakorumänisch,

Aromunisch, Meglenorumänisch, Istrorum), Slawisch (Bulgarisch, Makedonisch,

Serbisch, Kroatisch). Nicht zu den Balkansprachen im engeren Sinne zählen

Slowenisch, Ungarisch und Türkisch

99

Die Nachwirkungen der alten balkanischen Substratsprachen Thrakisch und Illy-

risch sowie der Einfluß des Balkanlateins und des Spätgriechischen lassen sich

in allen Balkansprachen nachweisen. Das Türkische hat ebenfalls zahlreiche

Lehnwörter im Wortschatz der Balkansprachen hinterlassen. Darüber hinaus

bestehen auch literarische Gemeinsamkeiten, wie Vergleiche der Volksdichtun-

gen, z. B. Heldenliedtypen, zeigen.

In Deutschland wird die vergleichende Sprachwissenschaft der Balkansprachen

seit 1893 betrieben, wobei man sich zunächst auf einen Vergleich zwischen dem

Albanischen, Rumänischen und Bulgarischen beschränkte, die bei grund-

verschiedenem Wortschatz auf die gemeinsamen Wurzeln des Thrakisch-

Illyrischen hinwiesen. Auch wurde ein interbalkanischer Wortschatz festgestellt.

Die grammatischen Gemeinsamkeiten z. B. der nachgestellte Artikel,

Zusammenfall von Genitiv und Dativ und die Bildung des Futurs mit "wollen"

finden sich überdies auch in ostserbischen und nordgriechischen Dialekten.

Schon frühzeitig entdeckten die Sprachforscher, daß nur das Albanische, das

einen eigenen Zweig in den indogermanischen Sprachen darstellt, die alte

illyrische Tradition fortsetzt.77

Die Balkanologie beschäftigt sich über die linguistische Forschung hinaus mit

den Literaturen und Volksüberlieferungen der Balkanvölker. In der vergleichenden

Balkankunde entstanden Sammlungen von Märchen, Sagen, Epen, Sprichwörter,

Redensarten, die Gemeinsamkeiten des alten balkanischen Volkstums aufzeigen.

6.1. Die Entwicklung der modernen Literatursprachen

Die Unabhängigkeitsbestrebungen und nationalen Bewegungen auf dem Balkan

leiteten seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Entstehung moderner

Literatursprachen ein. Das gemeinsame Ziel war, der Muttersprache in allen

Lebenssphären der entstehenden Nation zur Anerkennung zu verhelfen und den

Einfluß herrschender Fremdsprachen zurückzudrängen. Bei dieser grundlegenden

Gemeinsamkeit war die Ausgangsposition der einzelnen Völker und Sprachen

dennoch sehr verschieden.

100

6.1.1. Rumänisch

Rumänisch ist eine Sprache aus dem romanischen Zweig der indogermanischen

Sprachen. Im engeren Sinne bezeichnet es nur das Dakorumänische und im

weiteren Sinne alle gesprochenen Varietäten. Sie gehört zur Untergruppe der

ostromanischen Sprachen. Es ist die Amtssprache in Rumänien und Moldawien

und wird insgesamt von 28 Millionen Menschen gesprochen, davon sind rund 24

Millionen Muttersprachler. Darüberhinaus gibt es grössere rumänische

Sprachinseln in den Nachbarländern, der Ukraine (400 000), Serbien (150 000),

Ungarn (20 000), wo das Rumänische als Minderheitensprache gesprochen wird.

Historisch gesehen war es innerhalb des rumänischen Sprachgebietes

verhältnismäßig einfach, eine gemeinsame Schriftsprache zu schaffen, denn seit

dem 17. Jahrhundert dienten zwei nur geringfügig unterschiedene Varianten des

Rumänischen in den Donaufürstentümern trotz der politischen Abhängigkeit von

der osmanischen Regierung als offizielle Kanzlei- und Kirchensprache. Dieser

Schriftsprache lag der in Muntenien und Südsiebenbürgen gesprochene Dialekt

zugrunde. Seine Verbreitung im 19. Jahrhundert wurde durch die geringe

Differenzierung der dakorumänischen Mundarten erleichtert. Über einen Zeitraum

von fast zwei Jahrhunderten hatte während der Herrschaft der Phanarioten (1634

-1821)78 das Griechische einen bedeutenden sprachlichen Einfluß gewonnen,

danach wurden die griechischen Schulen durch das Rumänische ersetzt. Die nun

auch an den Schulen eingeführte rumänische Unterrichtssprache festigte sich

noch, als ab 1829 die rumänische Presse und die Herausbildung eines

Nationaltheaters eine breitere Volksschicht ergriff. Die politische Entwicklung

zwischen 1859 und 1862, als die Vereinigung der beiden rumänischen

Fürstentümer Moldau und Walachei vollzogen wurde, schuf dann endgültige

Voraussetzungen für eine weitere Vereinheitlichung und Normierung der

77 Wilfried Fiedler, Einführung in die Balkanphilologie. In: Peter Rehder, Wilfried Fiedler (Hrsg.):

Einführung in die slavischen Sprachen. (Mit einer Einführung in die Balkanphilologie). 3. verbesserte und

erweiterte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998. 78 Die Phanarioten, wohlhabende und gebildete griechische Familien aus dem Konstantinopler Stadtteil

Phanar, nahmen am Sultanshof bedeutende Staatsämter ein. Im 18. Jahrhundert verliehen die Sultane

phanariotischen Familien die Herrschaft über die rumänischen Vasallenfürstentümer Walachei und Moldau.

In der Geschichtsschreibung wird dieser Zeitraum als Niedergang der rumänischen Geschichte angesehen.

Vgl. R. W. Seton-Watson, A history of the Roumanians , Cambridge 1934, p. 79,80.

101

rumänischen Schriftsprache, die um 1878, als Rumänien seine volle nationale

Souveränität erlangt hatte, abgeschlossen war.

Die Problematik der Orthographie und Lexikographie wurde wesentlich länger

diskutiert. Schon 1860 war die Entscheidung zur Benutzung des lateinischen

Alphabetes gefallen, das bis dahin benutzte kyrillische Alphabet wurde

aufgegeben. Unter den Sprachreformern entstanden heftige Debatten über die

Orthographie, viele vertraten eine streng etymologische (historische) Schreibung,

um die lateinische Herkunft des Rumänischen damit zu unterstreichen. In

mehreren Reformen - 1881, 1904, 1932 und zuletzt 1953 - wurde eine

Annäherung an die phonetische (gemäß der Aussprache) Schreibweise

durchgesetzt.79

6.1. 2. Neugriechisch

Neugriechisch (neugriechisch Νέα Ελληνικά Néa Elliniká), die heutige Sprache der

Griechen, ist die Amtssprache Griechenlands (ca. 10,5 Millionen Muttersprachler)

und Zyperns (ca. 0,7 Mio.), eine der 23 Amtssprachen der EU. Außerdem ist es in

einigen südalbanischen und süditalienischen Gemeinden, in denen Angehörige

griechischer Minderheiten leben, sowie in der Türkei (Istanbul) als lokale Amts-

oder Schulsprache zugelassen. Zusammen mit den ausgewanderten Griechen

und Zyprioten sprechen weltweit über 13 Millionen Menschen Griechisch als

Muttersprache. Das Neugriechische gehört zu den indogermanischen Sprachen.

Die Entwicklung einer modernen griechischen Literatursprache aus der

Volkssprache (Koine) des Altgriechischen war ein schwieriger sich über

Jahrhunderte hinziehender Prozeß.80 Als Kirchen- und Bildungssprache hatte das

Griechische im byzantinischen Schrifttum auch während der Türkenherrschaft

weiterhin, noch über den eigenen Sprachraum hinaus, eine bevorzugte Stellung

bewahrt. Allerdings hatte sich die volkssprachliche Entwicklung inzwischen weit

von dieser schriftsprachlichen Form entfernt, ein Verständnis dieser

altertümlichen Sprache setzte eine höhere Bildung voraus.

79 Klaus Bochmann, Heinrich Stiehler, Einführung in die rumänische Sprach- und Literaturgeschichte.

Romanistischer Verlag, Bonn 2010.

102

Als die griechische Unabhängigkeitsbewegung sich Anfang des 19. Jahrhunderts

zu artikulieren begann und damit auch Bestrebungen zur Schaffung einer

modernen Literatursprache einsetzten, waren drei Formen des Griechischen als

Schriftsprachen im Gebrauch: das Altgriechische der Attizisten, die

Kirchensprache und in sehr geringem Umfang Versuche, die Volkssprache

schriftlich zu fixieren. Da sich die griechische Unabhängigkeitsbewegung als

Wiedergeburt Altgriechenlands verstand, war auch die Neigung vorhanden, das

klassische Griechisch wiederzubeleben. Die Volksidiome galten als korrumpierte

Vulgärsprachen.

Aus dem Kompromiß zwischen beiden Sprachformen entstand eine bis heute als

Literatursprache existierende Sprachform als Staatssprache, die Katharevusa

(‚die Reine’). Dabei handelte es sich um eine künstliche, an das klassische

Griechische angelehnte Hochsprache, durch deren Gebrauch in den national

gesinnten Kreisen die Kontinuität der klassischen Vergangenheit des neuen

Griechenlands betont werden sollte. Obwohl sich diese Sprache in der einfachen

Bevölkerung nicht durchsetzen konnte, tobte ein jahrzehntelanger Sprachstreit

zwischen den Attizisten (Befürwortern der an den attischen Dialekt des

Altgriechischen angelehnten Katharevousa (Καθαρεύουσα)mit Zentrum an der

Universität Athen) und den Demotizisten, den Anhängern der Volkssprache

(Δημοτική), deren akademisches Zentrum die Aristoteles-Universität Thessaloniki

war.

Im historischen Kontext der nationalen Sprachendebatte nach Griechenlands

Unabhängigkeit war Katharevusa vorherrschend, danach setzte eine erneute

Auseinandersetzung ein, weil die inzwischen ebenfalls literarisch verwendete

Volkssprache Demotiki auch unter den Sprachreformern immer mehr Anhänger

gefunden hatte. 1910 wurde eine Pädagogische Gesellschaft gegründet, die

1917 durchsetzte, daß Demotiki als Schulsprache eingeführt wurde. Ihre

Anhänger bezeichneten sich als Fortschrittler und waren linksorientiert. Nach dem

Ende der deutschen Besatzung (1941-1944) wurde zunächst Demotiki als Schul-

80 Den Beginn der neugriechischen Epoche setzt die Forschung wechselweise im 11. Jahrhundert (erste Epen

in weitgehend neugriechischer Sprache), um das Jahr 1453 (Fall Konstantinopels) oder in der Mitte des 17.

Jahrhunderts (Kretische Renaissance) an.

103

und Amtsprache eingeführt. Nachdem die Linke im griechischen Bürgerkrieg81

(1946-1949) unterlag, wurde jedoch wieder Katharevusa in vielen Bereichen

eingesetzt. Bis heute dient sie als Sprache der Behörden, des Rechtswesens, der

Publizistik, der Kirche, des Handels, der Wissenschaft und des

Nachrichtenwesens. Die andere Schriftsprache, Demotiki, dominierte in der

gesamten Belletristik und im mündlichen Verkehr, wobei aber inzwischen auch

Übergangsformen verwendet werden. Damit liegt für das Griechische nicht nur

eine normierte Schriftsprache vor, sondern zwei deutlich voneinander

unterschiedene Literatursprachen. Auch die Wortschatzentwicklung ist in beiden

Schriftsprachen unterschiedlich, so ist die Katharevusa von fremden Einflüssen

gereinigt worden und der wissenschaftlich-technische Wortschatz wurde aus dem

Altgriechischen übernommen. Die weitere Entwicklung im 20. Jahrhundert hat

zwischen beiden Schriftsprachen einen Ausgleich herbeigeführt, eine

Überwindung der deutlich voneinander getrennten Schriftsprachen ist aber noch

nicht abzusehen. Einheitlich ist jedoch die Benutzung des altgriechischen

Alphabetes und eine extrem etymologische, d.h. historische Orthographie.

Nach Ende der Militärdiktatur der Junta (1967-1974) wurde Katharevousa durch

Parlamentsbeschluss als Amtssprache abgeschafft und spielt heute nur noch in

Dokumenten der Kirche, in Inschriften oder in anderen schriftlichen Bereichen

vereinzelt eine Rolle. Die Volkssprache hat sich in den folgenden Jahrzehnten

endgültig als gesprochene wie auch geschriebene Sprache Griechenlands

durchgesetzt. Vielen gelehrten Redewendungen und Wörtern aus der

Katharevousa gelang es jedoch, Eingang in die gesprochene Sprache des Volkes

zu finden, so dass sich das heutige Neugriechisch als eine Synthese der Dimotiki

und der Katharevousa darstellt.

6.1.3. Bulgarisch

Die bulgarische Sprache gehört zur südslawischen Gruppe des slawischen

Zweiges der indogermanischen Sprachen. Gemeinsam mit der mazedonischen

Sprache bildet sie innerhalb der südslawischen Gruppe die Untergruppe der

ostsüdslawischen Sprachen.

81 Zwischen Monarchisten und Kommunisten. Vgl. Heinz A. Richter, Griechenland 1940-1950. Die Zeit der

Bürgerkriege. Verlag Franz Philipp Rutzen, 2012.

104

Sie wird von ca. 10 Millionen Menschen gesprochen; vor allem in Bulgarien (ca.

7,72 Millionen), aber auch in anderen Staaten Osteuropas, in Griechenland

(20.000), Rumänien (13.000), Mazedonien, Moldawien (40.000), Ukraine

(205.000), Serbien (25.200), Weißrussland, der Slowakei (1.176) und der Türkei

(30.000 sog. Pomaken).

Der bulgarischen Literatursprache liegt der ostbulgarische Dialekt zugrunde, da

die meisten an ihrer Schaffung beteiligten Schriftsteller aus diesem Landesteil

stammten. Die erste von Petăr Beron (1799-1871)82 verfaßte Fibel erschien 1824,

es ist das erste bulgarische Schulbuch. Bei der Herausbildung der

neubulgarischen Sprache betrachtete Petar Beron wie Wasil Aprilow und Najden

Gerow die ostbulgarischen Dialekte als Grundlage für die Bildung einer

einheitlichen Schriftsprache. Zwanzig Jahre später verfasste Ivan Bogorov (1818-

1892) die erste neubulgarische Grammatik, die 1844 in Bukarest erschien.83

Gegen diese Einführung einer auf volkssprachlicher Grundlage geschaffenen

Schriftsprache entstand um 1840 eine starke Opposition. Die Anhänger der

Slawischen Schule verteidigten das Kirchenslawische, das sie mit dem

Altbulgarischen (9.-11.Jahrhundert) identifizierten, als einzig legitimierte

Literatursprache für das neue Bulgarien. Diese Gruppe konnte sich aber auf

Dauer nicht durchsetzen, auch nicht durch einen Kompromiß, den einige

Sprachreformer zwischen Volkssprache und Kirchensprache vornehmen wollten,

eine Richtung, die als Slawobulgarische Schule bekannt wurde. Mitte des 19.

Jahrhunderts stand die ostbulgarische phonologische und grammatische

Grundstruktur der nationalen Literatursprache fest und es existierte bereits eine

reiche didaktische Literatur, Ansätze zu eigenständiger Belletristik und eine nicht

unbedeutende Presse. Allerdings entstand auch eine andere schriftsprachliche

Strömung: die Folklore-Sammlung der Schriftsteller-Brüder Miladinowi (Dimitar

Miladinow (1810–1862), Naum Miladinow (1817–1895) und Konstantin Miladinow

(1830–1862) aus Struga, deren Werk Bulgarische Volkslieder erschien 1861 in

82 Petăr Beron gilt als der „bulgarische Leibnitz“. Er verfasste die Fibel mit unterschiedlichen Belehrungen,

die auch Die Fischfibel genannt wird, weil auf ihrem Umschlag das Bild eines Delphines steht. Das Lehrbuch

erschien 1824 in Kronstadt mit der Unterstützung dort ansässiger bulgarischer Emigranten. Vgl. Christo

Părvev, Das Verdienst von Dr. Petăr Beron und Dr. Ivan Bogorov beim Aufbau der neubulgarischen

Schriftsprache. In: Bulgarische Sprache, Literatur und Geschichte, 2. Auflage. Hieronymus, Neuried 1982, S.

139–156.

105

Zagreb und basierte auf den westbulgarischen Dialekten. Auch der Gelehrte

Neofit Rilski (1793-1881) verwendete zunächst die westbulgarischen Dialekte,

versuchte jedoch in seiner Grammatik (1835), die ost- und westbulgarischen

Dialekte zu vereinen. Josif Kowatschew (1839-1898) setzte sich für den

zentralbulgarischen Dialekt ein, der als Bindeglied fungieren sollte. Im Laufe des

20. Jahrhunderts gewann dennoch das Westbulgarische einen stärkeren Einfluss

auf die Sprache.

Wie überall auf dem Balkan herrschte auch unter den bulgarischen Schriftsteller

und Sprachreformern der nationalen Wiedergeburt die Tendenz zum Purismus,

einer „Sprach-Reinigung von in die Sprache im Laufe von jahrhunderten

eingedrungenen Fremd- und Lehnwörtern. Türkische und griechische Lehnwörter

wurden durch kirchenslawische, russische Wörter sowie Neubildungen

(Neologismen) ersetzt, wobei die slawischen Neubildungen nicht immer

verständlich waren weshalb sie mit Hilfe ihrer türkischen und griechischen

Entsprechungen erklärt werden mußten.

Durch den russisch-sowjetischen Einfluß nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der

russische Einfluß auf das Bulgarische stark zu. Benutzt wird bis heute das kyrilli-

sche Alphabet, das 863 von den Slawenaposteln Kyrill und Method geschaffen

worden war. Die dem Bulgarischen nächstverwandte Sprache ist das

Mazedonische.

6.1.4. Mazedonisch

Das Mazedonische wird in der Linguistik zusammen mit dem Bulgarischen zur

östlichen Gruppe der südslawischen Sprachen gerechnet, die sich durch

zahlreiche Merkmale von der westlichen Gruppe und teilweise auch von den

übrigen slawischen Sprachen unterscheidet. Aufgrund der großen Ähnlichkeit zum

Bulgarischen wurden die mazedonischen Dialekte, solange keine eigenständige

mazedonische Schriftsprache bestand, meist als bulgarische Dialekte

83 Iwan Andreew Bogorow (1818-1892) war ein bulgarischer Arzt, Enzyklopädist, Förderer des Schulwesen,

der bulgarischen Sprache und Aufklärer aus der Zeit der Bulgarischen Nationalen Wiedergeburt.

106

eingeordnet, so dass Bulgarisch synonym mit Ostsüdslawisch gebraucht wurde. In

Bulgarien ist diese Betrachtungsweise noch heute allgemein üblich.

Mazedonisch wird von ca. 2 Millionen Menschen als Muttersprache gesprochen.

Die Mehrzahl der Sprecher betrachtet sich als Angehörige des mazedonischen

Volkes. Von den Sprechern leben ca. 1,3 Mio. in Mazedonien, wo es Amtssprache

ist. Kleinere Gruppen von Sprechern leben in Bulgarien, Griechenland und

Albanien. Die im Südosten Albaniens lebende kleine mazedonischsprachige

Minderheit führt eigene Schulen, die mazedonische Standardsprache ist dort

jedoch nicht gebräuchlich.

Im Nordwesten des griechischen Makedoniens gibt es eine Minderheit, die

ostsüdslawische Varietäten spricht, die von vielen Slawisten dem Mazedonischen

zugerechnet werden.

Seit dem 9. Jahrhundert gehörte das Gebiet zu Bulgarien, wurde dann im 14.

Jahrhundert Bestandteil des Großserbischen Reiches, ehe es zusammen mit allen

Balkanländern unter die Herrschaft der türkischen Osmanen kam. Im 19.

Jahrhundert kämpften Mazedonier zusammen mit Bulgaren gegen die

Vorherrschaft der Phanarioten und des griechischen Klerus von Konstantinopel

für eine eigene slawische Kirchenorganisation, worin auch die Abschaffung des

Griechischen als Kirchensprache eingeschlossen war.

Als über eine neubulgarische Literatursprache auf ostbulgarischer Grundlage

diskutiert wurde, gab es Opposition von mazedonischer Seite, die sich sprachlich

nicht repräsentiert fühlte.

Durch die Beschlüsse des Berliner Kongresses (1878) wurde Mazedonien von

Bulgarien abgetrennt und kam erneut unter türkisch-osmanische Hoheit. In der

Folgezeit stritten Serben, Bulgaren und Griechen um den Gebietsanschluß

Mazedoniens an das jeweils eigene Staatsterritorium, mit dem Ergebnis der

Aufteilung am Ende des Ersten Balkankrieges (1912 - 13), wobei der größte Teil

Mazedoniens damals an Serbien fiel.

Zu den führenden Gelehrten, welche die Mazedonische Frage erörterten und sich

auch mit der Schaffung einer nationalen Literatursprache beschäftigten, war Krste

107

Petkov Misirkov (1875-1926) der aus dem griechischen Teil Mazedoniens

stammte. Während seiner Studien in Petersburg schloß er sich 1903 der

"Mazedonischen wissenschaftlich-literarischen Gesellschaft" 'Sveti Kliment' an

und hielt dort auch politische Vorträge über die Frage einer selbständigen

mazedonischen Literatursprache, die in Sofia veröffentlicht wurden. Grundlage

dafür sollte der zentralmazedonische Dialekt sein, der im Gebiet von Prilep und

Bitola gesprochen wird, eine enge Orientierung an der Volkssprache war die

Ausgangslage. Die Orthographie war phonologisch, puristische Tendenzen

fehlten.

Als jüngste der slawischen Literatursprachen nimmt das Mazedonische eine

Sonderstellung ein. Durch die wechselvolle politische Geschichte der historischen

Landschaft Mazedonien konnte sich erst im 20. Jahrhundert ein eigenständiger

Ethnos herausbilden.

Die politische Entscheidung zur Bildung der mazedonischen Sprache wurde 1934

von der Kommunistischen Internationale gefasst. So wurden in der ersten Hälfte

der 1940er Jahre einige makedonische Mundarten erstmals systematisch zur

Verfassung von Sachprosa in der Publizistik der Kommunistischen Partei

Jugoslawiens (KPJ) und der Partisanenbewegung verwendet. Damit begann der

Ausbau des Mazedonischen zur Standardsprache. Der Antifaschistische Rat zur

Volksbefreiung Mazedoniens setzte in der folgenden Zeit drei philologische

Kommissionen zur Ausarbeitung einer mazedonischen Schriftsprache ein. Dabei

orientierte sich das kyrillische Alphabet des Mazedonischen größtenteils am

Vorbild des kyrillischen Alphabetes des Serbischen, das ebenfalls 1945 kodifiziert

wurde. Der Rat setzte in der folgenden Zeit drei philologische Kommissionen zur

Ausarbeitung einer mazedonischen Schriftsprache ein. Dabei orientierte sich das

kyrillische Alphabet des Mazedonischen größtenteils am Vorbild des kyrillischen

Alphabetes des Serbischen, das ebenfalls 1945 kodifiziert wurde. Am 5. Mai 1945

gab die 3. Kommission ihren endgültigen Beschluss über das Alphabet und die

Rechtschreibung bekannt. Die mazedonische Schriftsprache entstand als

Abgrenzung zum Bulgarischen und so wurde der Wortschatz der slawischen

Mundarten im Gebiet der Sozialistischen Jugoslawischen Republik Mazedonien in

der darauf folgenden Zeit von den Bulgarismen gereinigt

108

Nach der Entstehung der Föderation Jugoslawiens wurde 1948 der zum

ehemaligen Serbien gehörende Teil Mazedoniens die sechste Teilrepublik und

konnte mit fast hundertjähriger Verspätung endlich eine mazedonische

Literatursprache normieren und verbreiten.

Als eine der drei anerkannten Amtssprachen Jugoslawiens konnte sich das

Mazedonische durch Schulpflicht und Pressewesen entfalten. Die Anfänge der

modernen mazedonischen Literatur gehen aber schon in das 19. Jahrhundert

zurück und haben neben der Volkspoesie, Lyrik und Prosa hervorgebracht. Zu

den bekannten mazedonischen Lyrikern gehören Kočo Racin (1908 - 1943) und

Kole Nedelkovski (1912 - 1941).

6.1.5. Serbisch

Die Serbische Sprache ist eine Standardvarietät aus dem südslawischen Zweig

der slawischen Sprachen und basiert wie Kroatisch und Bosnisch auf einem

štokavischen Dialekt.

Serbisch wird von ca. 6,7 Millionen Menschen in Serbien, wo es die Amtssprache

ist, als Muttersprache gesprochen. Daneben wird es auch in Bosnien und

Herzegowina, Montenegro, im Kosovo, in Kroatien und Mazedonien von etwa 2

Millionen Menschen gesprochen. In Mittel- und Westeuropa, Australien und den

USA, wo sich eine große serbische Diaspora befindet, von etwa 3,5 Millionen

Auswanderern. Sowohl das lateinische Alphabet als auch das kyrillische Alphabet

werden verwendet.

Ähnlich wie bei den Bulgaren gab es auch bei den Serben eine slawoserbische

Partei der Sprachreformer, die das Kirchenslawische zur Grundlage einer

serbischen Literatursprache machen wollte.

Diese Bewegung trat in der zur Donaumonarchie gehörenden Provinz Vojvodina

auf, in der im 17. Jahrhundert nach einem gescheiterten Aufstand gegen die

Türken serbische Flüchtlinge eine neue Heimat gefunden hatten. In dem 1815

gebildeten autonomen serbischen Fürstentum fand das Slawoserbische, in dem

auch Elemente der Volkssprache zu finden waren, Anhänger, konnte sich aber

auf die Dauer nicht durchsetzen und war nur in den Städten der Vojvodina für eine

109

dünne Gebildetenschicht Kommunikationsmittel. Von der Masse der Serben

wurde diese Sprache nicht verstanden.

Die Schaffung einer wirklichen nationalen Literatursprache aller Serben blieb das

Werk des Sprachreformers Vuk Stefanovic Karadzic (1787 - 1864), der mit der

kirchenslawischen Tradition brach und sich für den von der Mehrheit der Serben

gesprochenen neu-stokavischen Dialekt entschied. Er selbst stammte aus der

Herzegowina, so daß man von einer Einbeziehung auch seiner eigenen Mundart

wohl ausgehen muß. Aus seiner Feder stammt die erste Grammatik, 1814

veröffentlicht84, ein fundamentales Serbisches Wörterbuch (1818) und eine

Sammlung serbischer Volkslieder, die in fünf Bänden 1823-1865 erschien. Erst

1868, vier Jahre nach seinem Tod, wurde seine Orthographie eingeführt, die sich

streng an der Phonetik orientierte. Die Wahl des kyrillischen Alphabets wurde wie

bei den Bulgaren auch von den Serben übernommen.

6.1.6. Kroatisch

Die kroatische Sprache ist eine Standardvarietät aus dem südslawischen Zweig

der slawischen Sprachen und basiert wie Bosnisch und Serbisch auf einem

štokavischen Dialekt.

Kroatisch wird von etwa 7 Millionen Menschen gesprochen. Darüber hinaus gibt

es muttersprachliche Sprecher in Bosnien-Herzegowina und in der Vojvodina,

unter kroatischen Zuwanderern aus jugoslawischer Zeit in Slowenien sowie in der

kroatischen Diaspora, vor allem in Mitteleuropa (Deutschland, Österreich,

Schweiz), Italien, sowie in Übersee. Es ist die Amtssprache Kroatiens, eine (der

drei) Amtssprachen in Bosnien und Herzegowina sowie eine der sechs offiziellen

Minderheitensprachen in der Vojvodina in Serbien.

Die Herausbildung der nationalen Literatursprache bei den Kroaten verlief

aufgrund ihrer ganz unterschiedlichen historischen und politischen Geschichte

unter wesentlich anderen Voraussetzungen. Neben dem Latein der römisch-

katholischen Kirche, der die Kroaten angehören, dem Italienischen, Deutschen

und in geringerem Maße dem Ungarischen, waren seit Mitte des 18.

Jahrhunderts zwei regionale Literatursprachen in Gebrauch. Größere Bedeutung

110

erlangte die auf dem čakavischen Dialekt Nordwestkroatiens basierende

Schriftsprache, deren Zentrum Zagreb war. Von der Mehrheit der Kroaten wurde

aber der stokaviše Dialekt gesprochen und auch geschrieben.

Im Zeitalter der Renaissance wurden in Städten wie Split, Dubrovnik oder Zadar

Schriftstücke in lokalen Dialekten verfasst. Die ersten Ansätze der Bildung einer

Hochsprache schuf Faust Vrančić (1551-1617) in seinem Wörterbuch

Dictionarium quinque nobilissimarum Europae linguarum – Latinae, Italicae,

Germanicae, Dalmati[c]ae et Ungaricae im Jahr 1595. Das erste die Grammatik

vereinheitlichende Werk schuf Bartol Kašić: Institutionum linguae illyricae libri duo

im Jahr 1604.

Der Jesuit Bartol Kašić (1575-1650) übersetzte in den Jahren 1622–1636 die

Bibel in die kroatische Sprache (in den štokavisch-ijekavisch Dialekt). Die Werke

von Kašić hatten einen besonders großen Einfluss auf die Entwicklung der

kroatischen Hochsprache.

Die bedeutendsten literarischen Vertreter des Barock sind Ivan Gundulić (1589–

1638), Ivan Bunić und Junij Palmotić (1607–1657), die ihre Werke im in Dubrovnik

gebräuchlichen ijekavisch-štokavischen Dialekt verfassten. Deren Sprache ist in

ihren Grundlagen, ebenso wie die Sprache Kašićs, mit der heutigen kroatischen

Standardsprache vergleichbar.

Obwohl Anfang des 19. Jahrhunderts noch keine Vereinheitlichung der

Schriftsprache vorlag, war doch schon eine weitgehende Übereinstimmung

vorhanden. Ein Hindernis stellte die politische Zersplitterung Kroatiens dar, deren

Bevölkerung auch in Slawonien, Dalmatien und Bosnien lebt.

Mit der Ideologie des Zusammenschlusses aller Südslawen entstand auch eine

Sprachreformgruppe unter den Kroaten, die Illyrische Bewegung unter Führung

von Ljudevit Gaj (1809-1872), die die Schaffung einer einheitlichen

Literatursprache auf der Grundlage des Štokavischem für den gesamten

südslawischen Raum anstrebte. Allerdings hielten sie am lateinischen Alphabet

fest, einer graphischen Unterschiedlichkeit, die bis heute erhalten geblieben ist.

Gleichzeitig legte Gaj auch die Grundlagen für die heutige kroatische

84 Ins Deutsche übersetzt von Jakob Grimm 1824.

111

Orthographie.85 1836 wurde das Stokavische als offizielle Literatursprache der

Kroaten eingeführt, als die Zeitschrift Danica in dieser Sprache und einer neuen

phonematischen Orthographie erschien. Das ursprüngliche Ziel einer

gemeinsamen Schriftsprache für alle Südslawen blieb Utopie, aber 1850 kam es

in Wien zwischen Vuk Karazic und seinen serbischen Anhängern und den

kroatischen Ideologen des Illyrismus zu einem Abkommen, bei dem sich beide

Seiten auf eine gemeinsame Serbokroatische Literatursprache festlegten.

Berechtigterweise nehmen die Kroaten heute für sich in Anspruch, die neue

Schriftsprache schon einige Jahrzehnte vor den Serben benutzt zu haben. Die

gemeinsame Literatursprache86 existierte von Anfang an in zwei Varianten, einer

östlichen serbischen und einer westlichen kroatischen, die sich nicht nur durch die

verschiedenen Schriftsysteme, sondern auch in anderer Hinsicht unterscheiden.

Dies betrifft vor allem die lexikalischen Unterschiede, da die Kroaten frühzeitig

versuchten, ihre Schriftsprache von fremden Einflüssen zu reinigen und

Fremdwörter durch slawische Neubildungen zu ersetzen, wobei sie sich oft am

Tschechischen orientierten.

Das Königreich Jugoslawien (1918–1941) bezeichnete seine Amtssprache in

beiden Verfassungen (von 1921 und 1931) als ‘serbokroatoslowenische Sprache’.

Gesetze, Vorschriften und staatliche Verordnungen wurden überwiegend in der

serbischen Variante des Serbokroatischen veröffentlicht..

Zu Beginn des zweiten, sozialistischen Jugoslawien wurde eine

Gleichberechtigung aller südslawischen Sprachen eingeführt. Die

Gleichberechtigung der kroatischen, slowenischen, makedonischen und

serbischen Sprache wurde gesetzlich verankert.

Im Frühjahr 1967 verstärkte sich der Widerstand einiger Intellektueller,

Schriftsteller und kultureller Organisationen gegen die Degradierung der

kroatischen Sprache innerhalb Kroatiens. Diese Bewegung wurde von der

Kommunistischen Partei Jugoslawiens als „nationalistisch“ bezeichnet. Nach dem

85 Ljudevit Gaj, der wohl wichtigste Vertreter des Illyrismus, gab seit 1835 eine Zeitung und vor allem die

wöchentliche Literaturbeilage Danica (Morgenstern) heraus. 1836 ging Gaj in diesen vom Kajkavischen der

Region um Zagreb zum Štokavischen über. 86 Vgl. Mario Grčević, Die Entstehung der kroatischen Literatursprache. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 1997.

112

„Kroatischen Frühling“ im Jahr 1974 wurde in Kroatien Kroatisch als

Unterrichtsfach in den Schulen eingeführt.

Nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 wurde das Kroatische in Kroatien

endgültig als eigenständige Sprache anerkannt.

6. 1. 7. Slowenisch

Die slowenische Sprache und der kajkavische Dialekt der kroatischen Sprache

ähneln sich in vielerlei Hinsicht, da es sich beim kajkavischen kroatischen Dialekt

um einen offensichtlichen und fließenden Übergang des Slowenischen in das

Kroatische handelt. Die Sprache wird mit einer eigenen Variante des Lateinischen

Alphabets (latinica), dem Slowenischen Alphabet, geschrieben.

Mit der Gründung des sozialistischen Jugoslawiens 1945 wurde Slowenisch –

neben Mazedonisch und Serbokroatisch mit seinen beiden Schriftvarianten

Kroatisch und Serbisch – erstmals zu einer gleichberechtigten Staatssprache. Seit

der Unabhängigkeit Sloweniens 1991 ist es dessen alleinige Amtssprache mit

etwa 2,2 Millionen Sprechern.

6.1.8. Albanisch

Die albanische Sprache gehört zur balkan-indogermanischen Sprachgruppe der

indogermanischen Sprachfamilie und zum Balkansprachbund. Sie ist seit dem

15. Jahrhundert schriftlich belegt und heute Amtssprache in Albanien und im

Kosovo sowie Minderheitensprache in anderen Ländern Südosteuropas und in

Italien. Eigenbezeichnungen sind Gjuha Shqipe und kurz Shqipja.

Der geschlossene albanische Sprachraum umfasst Albanien, Kosovo, die

westlichen und nordwestlichen Teile Mazedoniens sowie einige angrenzende

Landstriche in Serbien und Montenegro. Alteingesessene albanischsprachige

Minderheiten leben in Süditalien und auf Sizilien sowie auf der Peloponnes, in

Attika und weiteren südgriechischen Regionen und Inseln, Im Weiteren gibt es in

Bulgarien (Mandriza), Rumänien (Bukarest, Timișoara, Iași, Constanța, Cluj-

Napoca) und in der Ukraine (Oblast Saporischschja und Budschak) kleinere

Minderheiten. Insgesamt sprechen über 7,2 Millionen Menschen die albanische

113

Sprache, davon etwa 2,5 Millionen in Albanien, etwa 2,6 Millionen in den übrigen

Balkanländern sowie mehr als zwei Millionen Auswanderer weltweit.

Die Herkunft der Sprache ist ungeklärt, wegen der räumlichen Nähe der historisch

bekannten Illyrer versuchten viele Forscher, das Albanische mit dem Illyrischen

zu verbinden, was allerdings wegen völlig unzureichender Belege kaum beweisbar

bleibt. Als erster äußerte der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716)

diese Vermutung.

Das Albanische hat zwei große Dialektgruppen, im Norden das Gegische und im

Süden das Toskische, die sich in zum Teil sehr unterschiedliche lokale

Unterdialekte gliedern lassen. Die heutige albanische Schriftsprache wurde erst in

der Mitte des 20. Jahrhunderts auf der Grundlage der toskischen Dialektgruppe

entwickelt. 1972 kam dieser Prozess auf einem Kongress in Tirana zum

Abschluss. Seit einigen Jahren wird gefordert, verstärkt gegische Varianten in der

Sprachpolitik zu berücksichtigen.

Auch das Auftreten einer Unabhängigkeitsbewegung in Albanien enthielt eine

sprachpolitische Komponente. Es war die Bewegung der nationalen

Wiedergeburt, 'Rilindja Kombetare', deren Hauptziel die Schaffung und

Durchsetzung einer nationalen albanischen Literatursprache war. Eine besondere

Schwierigkeit lag in der in zwei Sprachzweige zerfallenen Sprachsituation. Im

Norden wurde das Gegische gesprochen, das in viele Dialekte zerfiel, im Süden

das relativ einheitliche Toskische. Zunächst entwickelten sich mehrere

voneinander isolierte Schriftdialekte. In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts

wurden Fibeln, Lesebücher und die ersten Zeitungen in albanischer Sprache

herausgegeben, allerdings von Emigranten im Ausland, auf deren Aktivitäten die

albanische Nationalbewegung zunächst beruhte. In Albanien selbst, das durch die

Türkenherrschaft an der Entfaltung einer eigenen Kultur gehindert worden war,

gab es erst ab 1887 Schulen, in denen das Albanische Unterrichtssprache war.

Durch die religiöse Zersplitterung der Bevölkerung in Moslems, Katholiken,

Orthodoxe waren das Türkische, Griechische und Lateinische Unterrichtsspra-

chen, das Türkische darüber hinaus Verwaltungssprache. Die albanische

Muttersprache wurde in ihren zahlreichen Dialekten nur mündlich gebraucht.

114

Allerdings gab es seit Jahrhunderten die Tradition mündlicher Überlieferung der

Volksdichtung.

Es gab auch kein einheitliches Alphabet, das griechische und das arabisch-

türkische Alphabet wurden benutzt, später verschiedene Originalalphabete

geschaffen, am häufigsten solche mit lateinischen Schriftzeichen, ergänzt durch

diakritische Zeichen oder Zeichen aus dem griechischen bzw. kyrillischen

Alphabet. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts gab es keine einheitliche Schrift,

was die Verbreitung der albanischen Schriftsprache stark behinderte. Die Träger

der nationalen Befreiungsbewegung lebten als Emigranten im Ausland, der

bedeutendste Repräsentant moderner albanischer Literatur war der Dichter Naim

Frasheri (1846-1900).

Bereits 1845 erschien in Bukarest die erste albanische Fibel in einem von Naum

Veqilharxhi (1797-1854) geschaffenen Alphabet. Als "Vater des Albanischen" wird

Konstantin Kristoforidhi (1826-1895) bezeichnet, der u. a. das Neue Testament

ins Gegische und Toskische übersetzte, eine albanische Grammatik, ein

Albanisch-Griechisches Wörterbuch schrieb und auch literarisch in beiden

Dialekten tätig war. Der deutsche Philologe Franz Bopp (1791-1867) hat bereits

1854 den indogermanischen Charakter des Albanischen nachgewiesen.

Auf dem Kongreß, von Manastir 1908 wurde ein allgemein verbindliches Alpha-

bet, bestehend aus 36 Buchstaben, verabschiedet, dem das lateinische Alphabet

mit zwei zusätzlichen diakritischen Zeichen zugrunde liegt. Mit der Gründung

eines unabhängigen albanischen Staates nach dem ersten Balkankrieg (1912)

wurde Albanien auch Zentrum der Bemühungen um eine Literatursprache. Eine

Vereinheitlichung der inzwischen drei existierenden Varianten der Literaturspra-

che erwies sich als schwierig. Es gab eine toskische südliche Form und zwei

gegische Schriftvarianten, eine mittelalbanische und eine nordwestalbanische.

Die Vorkämpfer der Nationalen Wiedergeburt setzten sich besonders für eine

Reinigung der Sprache von den zahlreichen türkischen Lehnwörtern ein, ließen

aber Wörter lateinischen und romanischen Ursprungs gelten.

115

Mit der Entstehung der Volksrepublik Albanien nach 1945 kommt es zu einer

Normierung der Literatursprache auf toskischer Grundlage Südalbaniens. Die

endgültige Regelung einer einheitliche Orthographie kam 1972 zum Abschluß.

Albanischsprachige Bevölkerungsgruppen leben außerhalb Albaniens im Kosovo,

der ehemaligen autonomen jugoslawischen Provinz, Montenegro, Mazedonien,

außerdem in Bulgarien, Bessarabien, Ukraine, Türkei, Mittelgriechenland,

Süditalien, Westeuropa und Übersee.

Die albanische Literatursprache der Gegenwart kann als eine Synthese aus

toskischen und gegischen Elementen angesehen werden. Um die Sprache zu

modernisieren, mußten zahlreiche Entlehnungen aus anderen Sprachen

vorgenommen werden.

Die im Kosovo lebenden Albaner, die die gegische Mundart sprechen, schreiben

das Gegische als alleinige Schriftsprache. Auf einer 1968 stattfindenden

Sprachkonferenz in Prishtina wurde dann der Beschluß gefaßt, die in Albanien

verbindliche Literatursprache zu übernehmen.

6.1.9. Romani/Romanes

Romani (auch Romanes genannt) ist die Sprache der Roma. Sie gehört

gemeinsam mit Sprachen wie Urdu und Hindi zum indoarischen Zweig der

indoeuropaischen Sprachfamilie und ist die einzige neuindoarische Sprache, die

ausschlieslich auserhalb des indischen Subkontinents gesprochen wird.

Die Sprache weist Gemeinsamkeiten sowohl mit zentralindischen wie auch mit

nordwestindischen Sprachen auf. Der sprachliche Befund legt nahe, dass Romani

zunächst an einer frühen Entwicklung der zentralindischen Sprachen teilhatte und

sich dann über einen längeren Zeitraum der Entwicklung der nordwestindischen

Sprachen wie Sindhi anschloss. Man nimmt deshalb an, dass die Sprecher des

Romani aus Zentralindien kamen und ihre Siedlungsgebiete seit dem

3. Jahrhundert v. Chr. nach Nordwestindien verlegten. Über den Zeitpunkt der

weiteren Migration nach Westen besteht keine Einigkeit, man kann ihn jedoch

zwischen dem 5. und 10. Jahrhundert ansetzen und muss innerhalb dieser Zeit

wahrscheinlich auch von mehreren Migrationsbewegungen ausgehen. Romani hat

sich somit seit mehr als 800 Jahren unabhängig von anderen indischen Sprachen

116

entwickelt, davon seit mindestens 700 Jahren in Europa. Es unterlag in der

Anfangszeit in Wortschatz und auch Syntax besonders dem Einfluss der

Balkansprachen, und zwar hauptsächlich des Mittelgriechischen der

byzantinischen Periode, das sich auf alle Untergruppen des Romani ausgewirkt

hat.87

Eine übliche Kategorisierung, die lange Bestand hatte, war die Einteilung in Vlach

und non-Vlach-Dialekte. Vlach waren demnach diejenigen Roma, die viele

Jahrhunderte im Territorium von Rumänien in Sklaverei lebten. Das

Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen beiden Gruppen war der Grad der

Lehnwörter aus dem Rumänischen. Vlach sprechende Gruppen stellten die größte

Anzahl Sprecher.

Romani war bis in die jüngere Zeit eine überwiegend nur gesprochene und

mündliche überlieferte Sprache, aus der seit dem 16. Jahrhundert Sprachproben

meist nur von Sprechern anderer Sprachen aufgezeichnet wurden. Versuche,

Romani als Schriftsprache zu standardisieren, begannen erst im 20. Jahrhundert.

Federführend ist dabei heute die Sprachkommission der Internationalen Romani

Union (Romano Internacionalno Jekhetani Union), die seit den 1980er Jahren eine

standardisierte Orthographie auf der Basis der lateinischen Schrift und eine

sprachlich standardisierte Schriftsprache auf der Basis des Vlach-Romani

propagiert. Romani wird mit mehreren Alphabeten geschrieben: Lateinisch,

Kyrillisch und Devanagari.

Obwohl die Roma bedeutende literarische Werke und autobiographische

Zeugnisse in anderen Sprachen hervorgebracht haben, wurde der Gebrauch des

Romani als Literatursprache lange Zeit durch die soziale und kulturelle

Stigmatisierung dieser Sprache verhindert. Eine der Ersten, die sich schreibend

zu ihrer Herkunft und Sprache bekannten, war die in Serbien lebende

Schriftstellerin Gina Ranjičić (1831–1890). In jüngerer Zeit haben Autoren wie

Slobodan Berberski (1919–1989), Rajko Đurić, Leksa Manus, Nedjo Osman und

Sejdo Jasarov der Romani-Literatur zunehmend Geltung verschafft. Begünstigt

durch die Emigration von Romani schreibenden Autoren aus Südosteuropa,

87 Norbert Boretzky, Die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den südbalkanischen Romani-Dialekten.

Lang, Frankfurt am Main [u. a.] 1999.

117

insbesondere aus dem früheren Jugoslawien, ist auch in Deutschland eine rege

Kulturszene entstanden, in der Romani als Literatur- und Bühnensprache gepflegt

wird. Institutionell wird die Entwicklung der Romani-Literatur gefördert durch die

2002 in Finnland gegründete International Romani Writers’ Association.88

6. 2. Weltliteratur vom Balkan

Von Goethe stammt das Wort "Weltliteratur". Weltliteratur muß nicht die ganze

Welt zum Schauplatz haben, sondern das allgemein Menschliche und Zeitlose

muß sich darin spiegeln.

Der Beginn moderner Literatur liegt in den Balkanländern bei sehr unter-

schiedlicher nationaler Entwicklung erst etwa hundert Jahre zurück, damit ist nicht

ihre viel ältere Kirchen- und Volksliteratur gemeint, deren Tradition bereits ins

Mittelalter verweist.

Wie die nationalen Bewegungen, so zeigt auch die moderne Literatur der

Balkanländer deutliche Einflüsse aus Westeuropa, vor allem französische, und

andererseits gingen auch von der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts

starke Impulse aus, vor allem auf die slawophonen Völker. Eine erstaunliche

Vielfalt der literarischen Genres ist in dem kurzen Zeitraum der Entwicklung

entstanden, wovon nur ein kleiner Teil durch Übersetzungen über die nationalen

Grenzen hinaus bekannt geworden ist. Immerhin werden in einem Katalog

"Bulgarische Belletristik 1945-1987" allein 264 Titel aufgeführt, die in der

ehemaligen DDR in deutscher Übersetzung erschienen sind, darunter auch

mazedonische Schriftsteller.

Zahlreich sind auch deutsche Übersetzungen rumänischer Literatur. Nicht immer

sind die übersetzten Schriftsteller die besten Repräsentanten der nationalen

Literatur. Ein gutes Beispiel dafür ist Mircea Eliade (1907-1986). Er verließ 1938

für immer Rumänien, lebte in Paris und Chicago, wo er als einer der

bedeutendsten Religionswissenschaftler lehrte und ein umfangreiches Werk in

englischer und französischer Sprache verfaßte. Daneben schrieb er Zeit seines

88 Rajko Đurić, Die Literatur der Sinti und Roma. Edition Parabolis, Berlin 2002.

118

Lebens in rumänischer Sprache Romane und Novellen, deren literarische

Bedeutung eher mittelmäßig ist, von denen aber zahlreiche Übersetzungen in die

deutsche89 und andere europäische Sprachen veröffentlicht wurden.

Nach 1950 erschienen auch vermehrt deutsche Übersetzungen neugriechischer

und serbokroatischer Literatur.

Am beliebtesten sind Anthologien, in denen einzelne Erzählungen verschiedener

Schriftsteller vorgestellt werden. Die Tatsache, daß ein Schriftsteller in andere

Sprachen übersetzt wird, macht sein Werk noch nicht zur "Weltliteratur". Es

entsteht aber durch den Literaturaustausch Anerkennung und Verständnis, ja eine

Art der Gleichberechtigung literarischer Kultur. Das Wichtigste ist vielleicht, daß

der Leser die Welt von einem anderen Standpunkt als seinem eigenen nationalen

kennenlernen kann.

Einige Schriftsteller vom Balkan haben heute weltliterarische Geltung :

Der Rumäne Mihai Eminescu (1850-1889), mit bürgerlichem Namen Mihail

Eminovici, gilt als der bedeutendste klassische rumänische Dichter des 19.

Jahrhunderts und Schöpfer einer literarischen Sprache. Mit seinem lyrischen

Werk verschaffte er der rumänischen Literatur Weltgeltung. Sein Hauptwerk, die

Gedichtsammlung "Der Abendstern", wurde bereits 1892 ins Deutsche übersetzt.

Neben seinem lyrischen Hauptwerk, das mehrere Bände umfaßt, schrieb er

Märchen, Novellen und Essays, die zuerst 1913 und 1927 auf Deutsch

erschienen.

Eminescu, der in Wien und Berlin Philosophie studiert hat, war stark von

deutscher Kultur geprägt. Seine pessimistische Weltanschauung führte er auf

seine Berührung mit dem Werk Arthur Schopenhauers zurück. Im "Amtlichen

Verzeichnis des Personals und der Studierenden der Königlichen Friedrich-

Wilhelms-Universität zu Berlin" wird er zwischen 1873 und 1875 aufgeführt, als

einer von sechs rumänischen Studenten, die damals in der Reichshauptstadt

studierten. Als Eminescu nach Berlin kam, war er dreiundzwanzig Jahre alt, ein

Jahrzehnt blieb ihm danach noch für sein gesamtes literarisches Schaffen.

89 Eliades belletristisches Werk wurde vor allem im Suhrkamp Verlag herausgegeben, die Übersetzungen

sind von edith Silbermann. Einzelne romane erschienen im Hanser- und Insel-Verlag.

119

Zum hundertsten Geburtstag von Mihai Eminescu gab ein Berliner Verlag 1989

einen zweisprachigen Gedichtband heraus.

Im wahrsten Sinne des Wortes weltberühmt wurde der Sirtaki tanzende Grieche

"Alexis Sorbas", die Titel- und Romanfigur des griechischen Schriftstellers Nikos

Kazantzakis (1883-1957). In Kreta geboren, studierte er Jura in Athen und

Philosophie in Paris, war als Generaldirektor im Fürsorgeministerium tätig,

unternahm zahlreiche Reisen, war Regierungsmitglied (1945) und tat Dienst bei

der UNESCO. Als er 1957 in Freiburg im Breisgau starb, hinterließ er ein

literarisches und wissenschaftliches Werk von imponierender Vielfalt. Während

seine großen Romane "Alexis Sorbas" (1946, deutsch 1952), "Griechische

Passion" (deutsch 1957), "Freiheit oder Tod" (deutsch 1954), auch durch die

Verfilmung der beiden ersten Werke, seinen weltweiten Ruhm begründet haben,

sind seine Übersetzungen ins Neugriechische wenig bekannt. Dazu gehören

Goethes "Faust" und "Gespräche mit Eckermann", besonders aber der deutsche

Philosoph Friedrich Nietzsche, unter dessen philosophischem Einfluß Kazantzakis

zeitlebens gestanden hat. Obwohl mehrfach dafür vorgeschlagen, hat er den

Nobelpreis für Literatur nicht mehr erhalten. 1963 ging dieser Preis an seinen

Landsmann Giorgos Seferis (1900 - 1971) für dessen schmales und weitgehend

unbekanntes lyrisches Werk. Als höchste literarische Auszeichnung erhielt

Kazantzakis 1956 den Internationalen Friedenspreis

Anläßlich des Kulturprogramms, das Berlin als "Kulturstadt Europas 1988"

veranstaltete, wurde bekannt, daß Kazantzakis in den Jahren 1922 - 1923 in

Berlin lebte und hier die erste Fassung seines philosophisch-weltanschaulichen

Werkes "Asketik" schrieb, deren veränderte Version zuerst 1953 in deutscher

Übersetzung erschienen ist.90

Kazantzakis beschreibt in seinen Romanen die Vergangenheit und Gegenwart

Griechenlands, dennoch ist er nicht nur ein Nationaldichter, die ihn bewegende

Problematik ist allgemeingültig. Am schönsten ist diese Allgemeingültigkeit in

der "Griechischen Passion" formuliert:

90Zur Erinnerung an diesen auch literarisch fruchtbaren Berlin-Aufenthalt wurde am 22. April 1988 in Anwesenheit der inzwischen verstorbenen griechischen Kulturministerin Melina Mercouri eine Gedenktafel im Stadtbezirk Lichterfelde, (Unter den Eichen 63) enthüllt, wo der Schriftsteller damals lebte.

120

"Wie sollen wir Gott lieben? Indem wir die Menschen lieben. Wie sollen wir die

Menschen lieben? Indem wir uns Mühe geben, sie auf den rechten Weg zu

führen. Und welches ist der rechte Weg? Der Weg empor. "

Der Nobelpreis für Literatur wurde 1961 dem aus Bosnien stammen den

jugoslawischen Schriftsteller Ivo Andrić (1892 -1966) verliehen.

Im Mittelpunkt dieser Preisverleihung stand der Roman "Die Brücke über die

Drina", ein historisches Epos über jene berühmte Brücke, die der türkische

Großwesir Mehmed Pascha in der Mitte des 16. Jahrhunderts unweit der

bosnischen Stadt Višegrad über den Fluß Drina erbauen ließ. Diese auf elf

starken Pfeilern ruhende Brücke, auf der jahrhundertelang Armeen und

Karawanen die Drina überschritten, als Symbol des Brückenschlags zwi-

schenOrient und Okzident , wird auch Symbol für das Bleibende mitten im Wandel

der Menschheitsgeschichte.

"Von allem, was der Mensch in seinem Lebenstrieb errichtet und erbaut, scheint

meinen Augen nichts besser und wertvoller zu sein als die Brücken. Sie sind

wichtiger als die Häuser, heiliger, weil gemeinsamer als Kirchen. Allen gehörig

und allen gegenüber gleich nützlich, immer sinnvoll errichtet an dem Orte, an dem

die meisten menschlichen Bedürfnisse sich kreuzen; sie sind ausdauernder als

andere Gebäude und dienen keinem heimlichen oder bösen Zweck. "

Dennoch endet das Werk mit der Zerstörung der Brücke im ersten Weltkrieg. Als

der Roman 1945 erschien, war eine neue, noch furchtbarere Zerstörung über

Jugoslawien hingegangen. Die Heimat des Schriftstellers Ivo Andricć, der als

junger serbischer Student in der nationalen Freiheitsbewegung Junges Bosnien

vor dem ersten Weltkrieg aktiv war und deshalb ins Gefängnis kam, hatte in der

Geschichte selbst Brückenfunktion. Über Jahrhunderte existierten Halbmond und

Kreuz nebeneinander, gerieten im 18. Jahrhundert in das Spannungsfeld

Europas, aus denen immer neue historische Katastrophen entstanden. In dem

Werk "Wesire und Konsuln", das mit einem weiteren Band zur "Bosnischen

Trilogie" gehört und zur Zeit der napoleonischen Kriege spielt, schildert Andrić in

epischer Breite das Gegeneinander französischer und österreichischer

Konsulatsbeamter in der entlegenen Residenz eines türkischen Wesirs. Gleich-

zeitig werden die Aufstände der serbischen Bauern, die religiösen Spannungen

121

zwischen Moslimen, Christen und Juden zum Brennpunkt der Handlung. Andrić

nimmt nicht Partei, seine Sympathie gilt den Menschen, die er mit ihren

Gebrechen und Absonderlichkeiten schildert und mit ihnen auch die orientalischen

und europäischen Lebensformen.

Es ist eine traurige Ironie der Zeitgeschichte, daß gerade zum hundertsten

Geburtstag des Autors 1992 in Bosnien der Krieg ausbrach, der mit ungeheurer

Grausamkeit die Geschichte fortschreibt. Beide Ereignisse waren Anlaß dafür,

daß der Nobelpreisroman "Die Brücke über die Drina", in Deutschland zuerst 1957

in Berlin erschienen, 1992 gleich von zwei Verlagen erneut herausgebracht

wurde.

Als jugoslawischer Botschafter in Berlin erlebte Andrić 1939 in dieser Stadt den

Kriegsausbruch, 1940 verließ er Berlin, wenige Stunden nach seiner Ankunft in

Belgrad erlebte er die Bombardierung der Stadt durch deutsche Flugzeuge. Er

überstand die grausame Zeit der Besetzung Jugoslawiens durch faschistische

Truppen, während er seine drei bedeutendsten Romane schrieb.

Die Brücke über die Drina wurde am Ende zerstört, nicht aber der Glaube an die

Erneuerung des Lebens.

". . . und seine Existenz lehrte ihn, daß das Leben ein unbegreifbares Wunder ist,

denn mag es auch nicht davon ablassen, sich zu verbrauchen und zu erschöpfen,

so fährt es nichtsdestoweniger fort, anzudauern und Bestand zu haben wie die

Brücke über die Drina."

Die moderne albanische Literatur war in Europa, abgesehen von den

ideologischen Werken und Reden des Enver Hodscha, die Anfang der siebziger

Jahre in kleinen westdeutschen Verlagen erschienen, völlig unbekannt. Dem

Schriftsteller Ismail Kadare (geb. 1945) gelang mit seinem Roman "Der General

der toten Armee", der 1963 in albanischer Sprache erschien, der Durchbruch zur

Weltliteratur. Die furiose Verfilmung des Generals der toten Armee mit Marcello

Mastroianni und Michel Piccoli in den Hauptrollen erregte weltweites Aufsehen.

Das Werk ist inzwischen in zwanzig Sprachen übersetzt, 1973 erschien die

122

deutsche Übersetzung, der die französische Ausgabe 1970 zugrunde liegt.91 Die

Handlung des Romans beschreibt die Entsendung eines italienischen Generals

von seiner Regierung nach Albanien, um die sterblichen Überreste der

italienischen Soldaten in die Heimat zurückzuführen, die dort während des

zweiten Weltkrieges im Kampf gegen die Albaner gefallen sind. Doch ergreifende,

oft groteske Begegnungen erschüttern den General in seinem Patriotismus, der

ihn auf das ehemalige Kolonialvolk herabblicken ließ. Er beginnt die Albaner und

ihren Freiheitskampf zu verstehen, was ihn allerdings in eine persönliche Tragödie

führt. Mit einer neuen Erzähltechnik ließ Kadare den damals üblichen

Sozialistischen Realismus hinter sich. Er wurde mehrfach für den Literatur-

Nobelpreis nominiert.

Ein bulgarischer Schriftsteller, der über die Grenzen seiner Heimat hinaus auch in

Europa bekannt wurde, ist Georgi Danailov (*1936). In Sofia arbeitete er als

Schriftsteller, Dramaturg und Drehbuchautor für Theater und Film. Seine

Bühnenwerke wurden in vielen Ländern Europas aufgeführt. Er ist einer der

wichtigen zeitgenössischen Schriftsteller Bulgariens. Unter den zahlreichen

Auszeichnungen, die er gewann, zählt auch der 1997 in Paris ausgeschriebene

internationale Rousseau-Wettbewerb, an dem 566 Autoren aus dreißig Ländern

teilnahmen.92 Er ist auch Autor von vielen Filmen und Drehbüchern.

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Ende der ideologischen

Abgeschlossenheit kam es auch unter den bulgarischen Schriftstellern zu einer

Rückbesinnung auf ihre europäischen Wurzeln.

Ein herausragender Vertreter des Geisteslebens ist der aus Slowenien

stammende international bekannte Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Žižek (geb.

1949), der sich der Postmoderne sowie der Gesellschaftskritik widmet. Für sein

Forschungsprojekt „Antinomien der postmodernen Vernunft“ erhielt Žižek 1999

91 2004 erschien eine neue Übersetzung aus dem Albanischen von Joachim Röhm im Verlag Amman Für

diesen und seine zahlreichen anderen Romane, die alle auch in deutscher Überwetzung erschienen sind,

erhielt Kadare zahlreiche internationale Preise und Auszeichnungen 92 Zu seinen Buchveröffentlichungen gehören: Kinder spielen draußen (1970); Bei niemandem (1973); Der

Mord an Mozart (1982); Erinnerungen an den städtischen Idioten (1993); Bis Chicago und zuriick —

Hundert Jahre später (1990); Über Jean Jacques Rousseau und andere Dummheiten (1997); Soweit ich mich

erinnere (2000-2002); Ein lustiges Buch über das bulgarische Volk (2004); Ein Haus jenseits der Welt (1997)

123

den mit einer Million Deutsche Mark dotierten Kulturwissenschaftlichen

Forschungspreis des Landes Nordrhein-Westfalen.

Der Roma-Schriftsteller Rajko Djuric hat 2002 eine „Geschichte der Roma-

Literatur“ vorgelegt, in der er den Nachweis darüber erbringt, dass bereits im 19.

Jahrhundert die serbische Romni Schriftstellerin Gina Ranjicic (1831-1890) das

Romani verwendet hat und sich auch zu ihrer Roma-Identität bekannte.

Rajko Djuric (geb. 1947) studierte an der Philosophischen Fakultät der Universität

Belgrad und promovierte über die Kultur der in Jugoslawien lebenden Roma. Er

gehört selbst dieser Volksgruppe an und war von 1990 bis 2000 Präsident der

International Roma Union.

Als politischer Dissident übersiedelte er 1991 nach Deutschland, wo bereits 1989

sein Buch Zigeunerische Elegien. Gedichte in Romani und Deutsch erschienen

war. Mit dem Essay Roma und Sinti im Spiegel der deutschen Literatur. Ein

Essay, 1995 sowie der o.gen. Literaturgeschichte (2002) wurde er im

deutschsprachigen Raum bekannt.93

Er verfasst Lyrik, Essays und Bücher zu historischen, kultur- und

literaturwissenschaftlichen Themen. Seit 2001 ist er Generalsekretär des

Internationalen Roma-PEN-Zentrums.

Inzwischen gibt es eine stetig wachsende Roma-Literatur, bekannte Roma

Schriftsteller sind u.a.: Bronislaw Wajs Papuscha (1909-1987), Rom Lebedev

(1903-1989), Gina Ranjicic, Mateo Maximof (1917-1985), Slobodan Berberski,

Jovan Nikolic, Ruzdija Sejdovic, Ali Krasniqi, Dezider Bang, Mariela Mehr, Bari

Karoly, Philomena Franz, Veijo Baltzar, Ceia Stojko , Ilija Jovanovic, Monika

Kalanyu.94

93 vgl. Zigeunerpoesie? Rajko Djuric hat die erste systematische Literaturgeschichte der Roma und Sinti

geschrieben , in: Neues Deutschland 16.01.2003, Martin Hatzius.

94 Dagmar Burkhart, Kulturraum Balkan: Studien zur Volkskunde und Literatur Sudosteuropas

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Weigand,Gustav:Ethnographie von Makedonien. Geschichtlich-nationaler, sprachlich-statistischer Teil, Leipzig: Friedr. Brandstetter 1924, 104p.

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Winter, Eduard: Der Panslawismus in den Berichten des österreichisch-ungarischen Botschafters in St. Petersburg, Prag 1944, 102p.

Zülch, Tilman (Hrsg.): Ethnische Säuberung - Völkermord für "Großserbien" Eine Dokumentation der Gesellschaft für bedrohte Völker. Sammlung Luchterhand, Hamburg 1993, 170p.