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Emission und verstärkte Absorption in den ESR-Spektren kurzlebiger Radikale in wäßrigen Lösungen H. PAUL und H. FISCHER Physikalisch-Chemisches Institut der Universität Zürich (Z. Naturforsch. 25 a, 443—445 [1970] ; eingegangen am 5. Februar 1970) Bei der Bestrahlung von Flüssigkeiten mit energie- reichen Elektronen sind kurzlebige Radikale beobachtet worden 2 , in deren ESR-Spektren die Niederfeldkom- ponenten in Emission, die Hochfeldkomponenten in ver- stärkter Absorption auftreten. Offenbar werden die Zeeman-Niveaus mit ms = + 1 , S a mi > 0 und mit ms= —h , 2 a mi < 0 bei der Radikalbildung bevor- zugt bevölkert. Nach der Radikalbildung erreicht das Spinsystem das thermische Gleichgewicht in einer Zeit 10 -5 sec), die die Größenordnung der Spin-Gitter- Relaxationszeit der Radikale hat 2 . In dieser Mitteilung wird dargestellt, daß ähnliche Polarisationseffekte audi in den ESR-Spektren von Radikalen R auftreten können, die mit dem von DIXON und NORMAN 3 eingeführten Durchfluß-Misch- Verfahren in wäßrigen Lösungen nach H0+RH->H 2 0 + R- (1) aus geeigneten Substanzen RH entstehen. Bei den Ex- perimenten wurde eine zum Teil früher publizierte 4 ' 5 Versuchsanordnung verwendet, in der zwei Lösungen von RH, von denen eine als Reduktionsmittel einen Ti(III)/EDTA-Komplex 5 > die andere als Oxidations- mittel H2 0 2 enthielt, vor Eintritt in die flache Meßzelle im Hohlraumresonator des Spektrometers 4 ' 5 in einer Kapillare (Länge 3 mm, Durchmesser 0,5 mm) gemischt werden. Die Durchflußgeschwindigkeit beider Lösungen betrug 1 ml/sec, ihre Temperatur 7 = (3 + 1) °C. Als organische Substanzen RH wurden Propionsäure (CH 3 -CH 2 -COOH) und Isobuttersäure ((CH3 ) 2 CH-COOH) eingesetzt. Die Konzentration des Reduktionsmittels im Ansatz wurde von 5-10~ 3 bis 2 - 1 0 -2 Mol/1, die des Oxidationsmittels von 3 - 1 0 -2 bis 2,5 Mol/1 und die der Substrate von 1 0 -1 bis 1 Mol/1 variiert. Der PH- Wert der Lösungen wurde im Bereich 7 < pH ^ 9 ver- ändert. Im folgenden angegebene Aufspaltungsparame- ter sind auf + 0,03G, ^-Faktoren auf +0,0001 genau. Es wurde festgestellt, daß die relativen Intensitäten der Einzellinien in den beobachteten Spektren stark von der H202-Konzentration und bei hohen ^(^-Kon- zentrationen stark vom pH-Wert abhängen. Abb. 1 zeigt zwei Spektren, die bei Verwendung von Propionsäure (1 Mol/1), einer Konzentration an Ti(III)/EDTA von Sonderdruckanforderungen an Prof. Dr. H. FISCHER, Phy- sikal.-Chemisches Institut der Universität Zürich, CH-8001 Zürich (Schweiz), Rämistrasse 76. 1 R . W . FESSENDEN U. R. H. SCHULER, J. Chem. Phys. 39, 2147 [1963]. 2 B. SMALLER, J. R. REMKO U. E. C. AVERY, J. Chem. Phys. 48,5174 [1968]. 2-10- 2 Mol/1 und ph = 8,0 ±0,1 bei den Ho02-Konzen- trationen 5 - 1 0 " 2 Mol/1 (Abb. 1 a) und 2 Mol/1 (Abb. 1 b) gewonnen wurden. Sie sind den Radikalen I. CH 3 -CH-COO" («CH,= 24,95 G, «CH = 20,41 G, <7 = 2,0033), und I', •CH 2 -CH 2 -COO" (a^Ha(a) = 22,23 G, af^iß) =25,55 G, # = 2,0027) zuzuordnen 4 . Bei der niedrigen H202-Konzentration haben die Nie- Abb. 1. ESR-Spektren von CH 3 -CH-COO~ (O) und von •CH 2 —CH 2 —COO - (O) bei verschiedenen H 2 0 2 -Konzentra- tionen. derfeldkomponenten der Spektren von I und I' nahezu die gleichen Intensitäten wie die Hochfeldlinien. Bei der hohen H202-Konzentration dagegen sind die Hoch- feldlinien intensiver, die Niederfeldlinien schwächer als erwartet, die beiden Linien von I mit M ^ Hj =+3/2, = l/2 erscheinen sogar in Emission. Dies wird auch aus Abb. 2 deutlich, in der Teile des Spektrums von I und T für [H 2 0 2 ] = 2 Mol/1 bei höherer Auf- lösung dargestellt sind. Der Übergang der Spektren von der in Abb. 1 a zu der in Abb. 1 b und Abb. 2 dargestellten Form erfolgt bei stufenweiser Erhöhung der H202-Konzentration von 3 W.T. DIXON U. R. O. C. NORMAN, J. Chem. Soc. 1963, 3119. 4 H. FISCHER, Z. Naturforsch. 19 a, 866 [1964]. 5 H. PAUL U. H. FISCHER, Ber. Bunseng. Phys. Chem. 73, 972 [1969]. 6 T. SHIGA, J. Phys. Chem. 69, 3805 [1965].

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Page 1: DIXON und NORMAN eingeführte Durchfluß-Mischnznaturforsch.com/aa/v25a/25a0443.pdffreie Radikale an anderer Stelle 9 abgeleitet wurde. Wir danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Emission und verstärkte Absorption in den ESR-Spektren kurzlebiger Radikale

in wäßrigen Lösungen

H . P A U L u n d H . FISCHER

Phys ika l i s ch -Chemisches Institut der Univers i tät Zür i ch

(Z. Naturforsch. 25 a, 443—445 [1970] ; eingegangen am 5. Februar 1970)

Bei der Bestrahlung von Flüssigkeiten mit energie-reichen Elektronen sind kurzlebige Radikale beobachtet worden 2, in deren ESR-Spektren die Niederfeldkom-ponenten in Emission, die Hochfeldkomponenten in ver-stärkter Absorption auftreten. Offenbar werden die Zeeman-Niveaus mit ms = + 1 , S a mi > 0 und mit ms= —h , 2 a mi < 0 bei der Radikalbildung bevor-zugt bevölkert. Nach der Radikalbildung erreicht das Spinsystem das thermische Gleichgewicht in einer Zeit

1 0 - 5 sec), die die Größenordnung der Spin-Gitter-Relaxationszeit der Radikale hat 2.

In dieser Mitteilung wird dargestellt, daß ähnliche Polarisationseffekte audi in den ESR-Spektren von Radikalen R • auftreten können, die mit dem von DIXON und NORMAN3 eingeführten Durchfluß-Misch-Verfahren in wäßrigen Lösungen nach

H 0 + R H - > H 2 0 + R- (1)

aus geeigneten Substanzen RH entstehen. Bei den Ex-perimenten wurde eine zum Teil früher publizierte 4 ' 5

Versuchsanordnung verwendet, in der zwei Lösungen von RH, von denen eine als Reduktionsmittel einen Ti(III)/EDTA-Komplex 5> die andere als Oxidations-mittel H202 enthielt, vor Eintritt in die flache Meßzelle im Hohlraumresonator des Spektrometers4 '5 in einer Kapillare (Länge 3 mm, Durchmesser 0,5 mm) gemischt werden. Die Durchflußgeschwindigkeit beider Lösungen betrug 1 ml/sec, ihre Temperatur 7 = (3 + 1) °C. Als organische Substanzen RH wurden

Propionsäure ( C H 3 - C H 2 - C O O H ) und Isobuttersäure ( (CH3 )2 C H - C O O H )

eingesetzt. Die Konzentration des Reduktionsmittels im Ansatz wurde von 5 -10~ 3 bis 2 - 1 0 - 2 Mol/1, die des Oxidationsmittels von 3 - 1 0 - 2 bis 2,5 Mol/1 und die der Substrate von 1 0 - 1 bis 1 Mol/1 variiert. Der PH-Wert der Lösungen wurde im Bereich 7 < pH ^ 9 ver-ändert. Im folgenden angegebene Aufspaltungsparame-ter sind auf + 0,03G, ^-Faktoren auf +0,0001 genau.

Es wurde festgestellt, daß die relativen Intensitäten der Einzellinien in den beobachteten Spektren stark von der H202-Konzentration und bei hohen ^ ( ^ - K o n -zentrationen stark vom pH-Wert abhängen. Abb. 1 zeigt zwei Spektren, die bei Verwendung von Propionsäure (1 Mol/1), einer Konzentration an Ti(III) /EDTA von

S o n d e r d r u c k a n f o r d e r u n g e n an P r o f . D r . H . FISCHER, P h y -s ikal . -Chemisches Institut d e r Univers i tät Zür i ch , CH-8001 Zürich ( S c h w e i z ) , Rämis t rasse 76 .

1 R . W . FESSENDEN U. R . H . SCHULER, J. C h e m . P h y s . 3 9 , 2 1 4 7 [ 1 9 6 3 ] .

2 B. SMALLER, J. R . REMKO U. E . C . AVERY, J. C h e m . P h y s . 4 8 , 5 1 7 4 [ 1 9 6 8 ] .

2 - 1 0 - 2 Mol/1 und ph = 8,0 ±0 ,1 bei den Ho02-Konzen-trationen 5 - 1 0 " 2 Mol/1 (Abb. 1 a) und 2 Mol/1 (Abb. 1 b) gewonnen wurden. Sie sind den Radikalen I. C H 3 - C H - C O O " («CH,= 24,95 G, «CH = 20,41 G, <7 = 2,0033), und I', • C H 2 - C H 2 - C O O " (a^Ha(a) = 22,23 G, a f ^ i ß ) =25,55 G, # = 2,0027) zuzuordnen4. Bei der niedrigen H202-Konzentration haben die Nie-

A b b . 1. E S R - S p e k t r e n von C H 3 - C H - C O O ~ ( O ) u n d v o n • C H 2 — C H 2 — C O O - ( O ) be i versch iedenen H 2 0 2 - K o n z e n t r a -

t i onen .

derfeldkomponenten der Spektren von I und I' nahezu die gleichen Intensitäten wie die Hochfeldlinien. Bei der hohen H202-Konzentration dagegen sind die Hoch-feldlinien intensiver, die Niederfeldlinien schwächer als erwartet, die beiden Linien von I mit M ^ H j = + 3 / 2 ,

= — l / 2 erscheinen sogar in Emission. Dies wird auch aus Abb. 2 deutlich, in der Teile des Spektrums von I und T für [H 20 2 ] = 2 Mol/1 bei höherer Auf-lösung dargestellt sind.

Der Übergang der Spektren von der in Abb. 1 a zu der in Abb. 1 b und Abb. 2 dargestellten Form erfolgt bei stufenweiser Erhöhung der H202-Konzentration von

3 W . T . DIXON U. R . O . C . NORMAN, J. C h e m . S o c . 1 9 6 3 , 3 1 1 9 . 4 H . FISCHER, Z . Natur forsch . 1 9 a, 8 6 6 [ 1 9 6 4 ] . 5 H . PAUL U. H . FISCHER, Ber . B u n s e n g . P h y s . C h e m . 7 3 , 9 7 2

[ 1 9 6 9 ] . 6 T . SHIGA, J. P h y s . C h e m . 6 9 , 3 8 0 5 [ 1 9 6 5 ] .

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2G

J M — « / r v

cb (2) ö 0 ö ö <b m ö

A b b . 2. E S R - L i n i e n von C H 3 - C H - C O O " ( O ) und von - d L - O L - C O O " ( • ) be i [ H , 0 2 ] = 2 Mol /1 .

5-10~ 2 Mol/1 auf 2 Mol/1 kontinuierlich. Mit steigender H202-Konzentration werden die Intensitäten der Nie-derfeldlinien zunehmend kleiner als die der Hochfeld-linien. Dieser Effekt ist bei pH = 7 wesentlich stärker ausgeprägt als bei ph = 9 und hängt nur geringfügig von den Konzentrationen des Substrats und des Reduk-tionsmittels ab. Bei Erhöhung der Mikrowellenleistung und Veränderung der Modulationsamplitude treten Li-nienverbreiterungen auf. Eine Umkehr von Absorptions-

zu Emissionslinien 1 oder umgekehrt wurde dabei nicht beobachtet.

Der gleiche Befund wurde auch für die Radikale II, ( C H 3 ) 2 C - C O ( R (OCH, = 21,75 G, # = 2,0033) und II',

•CH2 -CH(CH3 ) -COO- («CH, = 21,95 G, CFH = 25,15 G, # = 2,0027) erhalten, die bei Einsatz von Isobuttersäure entstehen 7. In Abb. 3 sind ESR-Linien von II eingetra-gen, die bei den Konzentrationen [RH] = 1 Mol/1,

± 1

K H

2G

<b ö ö 0 A b b . 3.

, J

© © 6

7 P . SMITH, J. T . PEARSON, P . B. WOOD U. T . C. SMITH, J. C h e m . Phys . 43 , 1535 [ 1 9 6 5 ] ,

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[Ti (III) /EDTA] = 2 • 1 0 - 2 Mol/1 und [H202 ] = 2 Mol/1 bei PH = 8,0 aufgenommen wurden.

Eine genaue Analyse der Abb. 2 und 3 zeigt, daß die Einzellinien in den Spektren von I, I', II und II' jeweils gleiche Breite haben, und daß der Effekt alle Kompo-nenten der Aufspaltung 2. Ordnung einer Linie gleich beeinflußt. Weiterhin folgen die Summen der Intensitä-ten von zu # = 2,00 symmetrisch liegenden Linien in den einzelnen Spektren den für thermisches Gleich-gewicht erwarteten Intensitätsverteilungen, so daß für die entsprechenden Besetzungszahldifferenzen

n (mi) = ^ =const-L*(mi) (3)

gilt, wobei D(m\) die relative Intensität der m\ zuge-ordneten Linie im thermischen Gleichgewicht bedeutet.

Zur Deutung des Effekts nehmen wir an, daß die mittlere Lebensdauer der Radikale durch die Reaktion 8

R + H 2 0 2 - ^ R + + H0" + H0- (2) von der H202-Konzentration abhängt und bei hohen H202-Konzentrationen die Größenordnung der Spin-Gitter-Relaxationszeit erreicht. Weiterhin nehmen wir an, daß bei der Radikalbildung nach (1) bestimmte Zeeman-Niveaus bevorzugt bevölkert und/oder bei der Radikalvernichtung nach (2) bestimmte Zeeman-Ni-veaus bevorzugt entvölkert werden. Somit könnten bei Übertragungsreaktionen ähnliche Polarisationseffekte auftreten, wie sie bei Spaltungsreaktionen gefunden wurden 2.

Die Reaktion (2) wurde erstmals von NORMAN und WEST 8 vorgeschlagen. Sie erklärt auch, daß die Ra-dikale I und II bei gleichen H202-Konzentrationen grö-ßere Polarisationseffekte zeigen als I' und II', da I und II stärker reduzierend wirken sollten 8.

Die Verstärkungsfaktoren der einzelnen Linien n(mi)-n0(mi) .. .

= n ^ ) <4> können aus den Spektren nicht entnommen werden, da die Radikalkonzentrationen und damit die im ther-mischen Gleichgewicht vorliegenden Besetzungszahldif-ferenzen n0(mi) unbekannt sind. Nimmt man jedoch

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y y —'.5 X—* —'.5

A b b . 4. V als Funkt i on von AH, [ H . , 0 , ] = 2 Mol /1 , R a d i k a l I , x : Rad ika l II.

wegen (3) an, daß h (m\) ~ n0(mi) ist, so läßt sich eine Größe

V M = n(rni) ( 5 )

definieren, die linear von V (m\) abhängt. In Abb. 4 sind aus den Spektren entnommene Werte V' (mi) als Funktion von AH = S a m i eingetragen. Die Polarisa-tion der einzelnen Linien nimmt mit steigendem Ab-stand von der Spektrenmitte zu und folgt einer Bezie-hung, die für bei Spaltungsreaktionen entstehende freie Radikale an anderer Stelle 9 abgeleitet wurde.

W i r danken der Deutschen Forschungsgemeinschaf t u n d d e m Schweizer ischen N a t i o n a l f o n d s zur F ö r d e u n g der wissen-schaft l ichen Forschung für die Unterstützung dieser Arbe i t .

8 R . 0 . C. NORMAN U. P . R . WEST, J. Chem. S o c . (B) 1 9 6 9 , 9 H . FISCHER. C h e m . Phys . Letters 4 , 611 [ 1 9 7 0 ] .