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Sonderabdruck aus „Meteorologische Rundschau", 5. Jahrgang, 1./2. Heft 1952 Seite S—12 r-Verlag, Heidelberg und Berlin. DIVERGENZTHEORIE ZYKLOGENESE ANTIZYKLOGENESE Synopt.-Statist. Untersuchung Nr. 10 Von Dr. Hermann Flohn, Bad Kissingen Mit 5 Textabbildungen

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Sonderabdruck aus„Meteorologische Rundschau", 5. Jahrgang, 1./2. Heft 1952

Seite S—12

r-Verlag, Heidelberg und Berlin.

DIVERGENZTHEORIE — ZYKLOGENESE — ANTIZYKLOGENESE

Synopt.-Statist. Untersuchung Nr. 10

Von

Dr. Hermann Flohn, Bad Kissingen

Mit 5 Textabbildungen

Zusammenfassung: Die Divergenztheorie von Ryd-ScherltaQ wird mittelseiner von Philipps angegebenen Formel für die ageostrophische Komponentedes Windes — unter Beschränkung auf den Bereich einer Erontalzone —abgeleitet und auf das Konvergenzgebiet im Einzugsbereich erweitert. Sieliefert eine Synthese älterer Zykloncntheorien und erläutert den Zusammen-hang zwischen Zyklogenese und Antizyklogenese. Mit ihrer Hilfe läßt sichdie Wellenbildung an der Kaltfront wie auch (seltener) an der Warmfrontbefriedigend im Zusammenhang mit den ageostrophischen Luftmassen-verlagerungen deuten. Zwischen Frontalzone und Bodendruckverteilungbesteht ein wechselseitiger Zusammenhang. Die empirisch bestätigtenBefunde werden in Form von Vorhersageregeln gebracht. Die Richtigkeitder erweiterten Divergenztheorie wird (qualitativ) durch die klimatologi-schen Vergleiche der Anomalien des Bodendrucfcfeldes mit dem Höhen-druckfeld (Jahresmittel) erwiesen.

Summary: The divergence theory of cyclones (Ryd-Scherhag) is derivedfrom a formula of Philipps on the ageostrophic component of wind andextended to the region of convergence in the rear of a frontal zone. 1tgives a synthesis of more ancient theories of cyclogenesis and clears therelation between cyclogenesis and anticyclogenesis. It leds to a satisfyingInterpretation of wave formation at cold fronts and (more rarely) at warmfronts, in relation to ageostrophic movements of air masses. An alternatingrelatiouship exists between frontal zone and surface pressure patterns.These empirical confirmed facts are established äs weather rules. Theaccuracy of the extended divergence theory is quaütatively proved by thedimatological comparison of the anomalies of the surface pressure fleldwith the upper air pressure field (both annual means).

Im Rahmen einer größeren Arbeit zur allgemeinen Zirku-lation1 wurde die Entstellung des Bodendruckfeldes aus denDivergenzen und Konvergenzen der planetarischen Frontal-zone mit Hilfe des von Eyd erstmals 1923 bzw. 1927 formu-lierten2, von Scherhag 1934 empirisch gefundenen3 und erfolg-reich in die synoptische Praxis eingeführten Divergenzeffektes(4, S. 184 f.) abgeleitet. In dieser Mitteilung sollen die er-weiterten Grundgedanken der Byd-Scherhagschen Divergenz-theorie in ihrer Bedeutung für die Synoptik dargestellt undmit anderen Vorstellungen verglichen werden.

1. Theorie.Die theoretische Begründung der Divergenztheorie liegt in

dem von Philipps 1948" gegebenen — jedoch nicht in dieser

ßetfa

d®dl \. 1. Anwendung der erweiterten Divergenztheorie auf die Frontalzone.

Richtung ausgewerteten — Ansatz für die ageostrophischeKomponente des Windes

l d©*«*=">-»g =- lTäf (5)G1.H7

t> = wahrer Wind, cg = geostrophischer Wind, l = 2 &> sin <p

= Coriolisbeschleunigung, © = — grad p = Druckgradient,

Q = Dichte, p = Druck.Die ageostrophische Komponente des Windes övg stimmt

also in ihrer Richtung überein mit der zeitlichen Änderung des,' d®\s — -.-— . Durchläuft ein Teilchen in der freien

\* /Atmosphäre eine Frontalzone, in der — durch Luftmassenver-

schiebungen oder andere, hier nicht näher zu erörterndeGründe (vgl. J) — eine Versteilung bzw. Abschwächung desDruckgefälles eintritt, dann erleidet es eine Ablenkung, derenRichtung und Betrag proportional der Änderung des Druck-gefälles ist. Damit wird also eine Komponente des Luftmassen-transports senkrecht zu den Höhenisobaren in Gang gesetzt,die im Endeffekt am Boden Druckfall bzw. Druckanstieg her-vorruft. In diesem Zusammenhang kommt es uns nicht daraufan, von obiger Gleichung ausgehend nun die Größe des Massen-transportes zu berechnen, sondern lediglich qualitativ dieRichtung dieses Transportes abzuschätzen. Das ist nur dannmöglich, wenn die räumliche Verschiebung und Umgestaltungdes Höhendruckfeldes gering ist gegenüber der Höhenströmungselbst und in erster Näherung vernachlässigt werden darf.Diese Voraussetzung gilt offenbar nur bei starken Höhen-winden, also im unmittelbaren Bereich der Frontalzone bzw.des ,,jet stream", womit von vornherein die Anwendbarkeitdes Divergenzeffektes für die Konstruktion einer Vorhersage-karte eingeschränkt wird. Man kann diese Beziehung be-sonders anschaulich ausdrücken, wenn man von der Ge-schwindigkeit der Höhenwinde ausgeht. Dann lautet dasdurch obige Gleichung formulierte Gesetz:

Ein Luftteilchen, das sich innerhalb einer Frontalzone mit derHöhenströmung verlagert, erleidet im Bereich zunehmender (ab-nehmender) Geschwindigkeit, also im Einzugsgebiet (Delta) derFrontalzone eine ageostrophische Ablenkung nach der kalten(warmen) Seite, d. h. auf der Nordhalbkugel nach links (rechts).

Über die Zusammenhänge dieser Gleichung von Philippsmit der tatsächlichen Massendivergenz und der heute imMittelpunkt des theoretischen Interesses stehenden absolutenWirbelgröße (vorticity) vergleiche man z. B. Hinkelmann1.*

Stellen wir uns die Verhältnisse im Bereich einer typischenFrontalzone schematisch dar, so kommen wir zu der Zuordnungnach Abb. 1:

Im Delta einer Frontalzone tritt eine Massenverlagerungnach der warmen Seite hin ein (auf der Nordhalbkugel nachrechts), im Einzugsgebiet jedoch eine solche nach der kaltenSeite (auf der Nordhalbkugel nach links). Es besteht alsoim Delta einer Frontalzone links eine Tendenz zu Druckfall,ebenso im Einzugsgebiet rechts; umgekehrt besteht eine Ten-denz zu Druckanstieg im Bereich des Deltas rechts, des Ein-zugsgebietes links (vgl. auch4 Abb. 101!). Schalten wir in einenWildfluß eine Rinne ein, die für schnellen Abfluß der Wasser-massen sorgt, dann sinkt oberhalb der Rinne, wo eine Be-schleunigung der Strömung eintritt, der Wasserspiegel ab,steigt dagegen unterhalb, wo die Geschwindigkeit der Strö-mung abgebremst wird, in Form der jedem Faltbootfahrerbekannten nahezu stationären Wirbel mit horizontaler Achse(Widerwellen). Wenn auch die Verhältnisse in der Atmo-sphäre Vegen der Rolle der Coriolisbeschleunigung ganz andersliegen, so überwiegen doch im Bereich der Frontalzone ähnlichim Einzugsgebiet wegen der fortlaufenden Beschleunigung(v < vg) vertikal abwärts gerichtete, im Delta (v> vg) dagegenaufwärts gerichtete Strömungskomponenten. Diese Vertikal-bewegungen, die empirisch (", S. 171) bestätigt werden, stehenallerdings in gewissem Widerspruch zu dem von Durst undSutcliffe7 formulierten Satz über die Zusammenhänge zwischender ageostrophischen Windkomponente und der Vertikal-bewegung und den von Rodewald (8, S. 11) hieraus gezogenenFolgerungen. Das wird aber verständlich, weil Durst und

*) Die von ScJierliag 4) herangezogene Ableitung Möllers (Ilann-Süring,Lehrb. d. Meteorologie, 5. Aufl. S. 520f.) gilt nur für stationäre Bewegungen,die im synoptischen Einzelfall nie realisiert sind; sie liefert daher auch keineMassen Verlagerungen und Druckänderungen.

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Sutcliffe nur die erste der Komponenten des ageostrophischenWindes berücksichtigten, in die Philipps (5, Gl. II 12) den hierbenützten Gesamtausdruck zerlegt.

Auf die neueren Arbeiten der englischen Schule (Sutrliffes„Developmenf-Theorie) kann leider hier nicht eingegangenwerden18, trotz ihrer großen Bedeutung für die Divergenz-theorie.

2. Synoptik.Deuten wir das durch Abb. l gegebene Schemi — das üb-

rigens von der ursprünglichen Ansicht Scherhags (1934) etwasabweicht — synoptisch, so entspricht es dem Typ einer inlebhafter Entwicklung begriffenen Zyklone, auf deren Rück-seite eine Verschärfung der Luftmassengegensätze und damitder zyklogenetischen Frontalzone erfolgt. Die Verschärfung,vorwiegend durch Kaltluftzufuhr aas polwärtigen Breitenbedingt, erzeugt im Delta auf der kalten Seite Druckfa.Il,also eine Vertiefung der Mutterzyklone bei gleichzeitigem Aus-scheren nach links, sowie einen — meist nur leichten, z. T.durch andere Vorgänge kompensierten — Druckanstieg imBereich der warmen Hochzelle. Unterstützt wird dieser Ge-gensatz durch die — infolge der intensiven Aufwärtsbewegungund der zugehörigen Niederschläge freiwerdende — Konden-sationswärme des Wassers, die die Zyklogenese aufrechterhältund so die potentielle Energie der Druckverteilung vergrößert.

Umgekehrt im Einzugsgebiet: hier tritt Druckfall auf derwarmen Seite, Druckanstieg auf der kalten Seite ein, beidesbedingt durch den gleichen Kaltluftvorstoß auf der Rückseiteder Mutterzyklone. Der Synoptiker beobachtet die Bildungeiner flachen Wellenstörung an der nachschleifenden Kaltfrontsüdlich des sich aufbauenden kalten Rückseitenhochs, zwei un-mittelbar zusammengehörige Vorgänge, die von der nach derkalten Seite gerichteten ageostrophischen Windkomponentehervorgerufen werden. Die vorwiegend abwärts gerichtetenVertikalkomponenten des Einzugsgebietes lassen umfang-reichere Niederschlage und damit freiwerdende latente Energienicht zu; zudem nimmt die ageostrophische Komponente imEinzugsgebiet in Strömungsrichtung ab, so daß die neu gebil-dete Welle zunächst noch gar keine Möglichkeit zur Entwick-lung hat, ja sogar sich nicht selten abschwächt.

Ein solcher Kaltluftvorstoß erzeugt also über diesen Mecha-nismus gleichzeitig Vertiefung der Mutterzyklone und Wellen-bildung an der Kaltfront*: die zugehörigen beiden Anti-zyklonen fallen meist weniger auf, sind abergenau so beachtens-wert.

In dieser Art der Betrachtung sind also Druckfall und Druck-anstieg im Delta als genetisch einander zugeordnete Vorgängeaufzufassen, ebenso auch die gleichen Vorgänge im Einzugs-gebiet. Dagegen hängen Druckfall auf der Vorderseite, Druck-anstieg auf der Rückseite einer Zyklone (entgegen der üblichensynoptischen Ausdrucksweise!) nicht unmittelbar, sondern nurmittelbar zusammen. Diese wechselseitige Zuordnung liefertzugleich auch eine neue Deutung des von Schmauß® geprägtenBegriffs der Kohärenz der Druckgebilde. Abb. 2 zeigt inschematischer Form die typische synoptische Situation einerFrontalzone im Sinne von Abb. 1. '

Die Divergenztheorie in der hier vorliegenden Form ist auchgeeignet zur Erklärung eines in der Literatur wenig bekannten,aber doch für den Praktiker gar nicht selten zu beobachtendenEreignisses: der Zyklogenese an der Warmfront. Besonderscharakteristisch tritt diese auch bei Umstellungen auf meri-dionale Zirkulationstypen auf: Aufbau eines Warmsektors I.O.im Sinne von Seilkopf10. Zweifellos sind Warmfronten (nachBergeron, vgl.", S. 318) meist dynamisch stabil und daherzyklogeuetisch wenig aktiv; das Kleinschmidtsche Stabilitäts-kriterium12 dürfte diese Erfahrungstatsache wohl deuten kön-

nen. Dennoch wäre es falsch, die Zyklogenesen ausschließlichauf Kaltfronten zu beschränken; sie kommen auch bei Warm-fronten vor, jedoch haben diese Frontalwellen meist nur einegeringe Entwicklungsfähigkeit und Lebensdauer. Über dieEntwicklung einer Warmfrontwelle hat Petterssen13 (S. 416f.)einige Aussagen vom Standpunkt der Boden Wetterkarte ausgegeben; Lamb^ (S. 44) erwähnte kurz einen Fall dieser Artvom 22. Februar 1946.

Dieser Vorgang kann von dem heutigen dreidimensionalenStandpunkt aus an Hand des vergleichenden Studiums einerReihe einzelner Fälle schärfer präzisiert werden. Die typische

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Abb. 2. Schema einer Frontalzone (Höhenisobaren = dünne Linien), Druck-zentren und Frontverlauf am Boden. .Wellenbildung an der Kaltfront im

Einzugsgebiet. ;

Vorbedingung einer solchen Warmfront-Zyklogenese ist einenergischer Warmluftvorstoß auf der Vorderseite einer Zyklone,besonders dann, wenn dieser begleitet wird von einem groß-räumigen („warmen") Druckanstieg. In diesem Fall bildetsich — meist im Verein mit einem gleichzeitigen Kaltluft-

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zu den Isobaren ein, die UrucMall und damit Wellenbiidung veranlaßt.Überdies ist die Südseite der Frontalzone (des Jet-stream) wegen der dortoft sehr intensiven antizyklonalen Scherung nicht selten dynamisch instabil12, vgl. auch A. Nyberg, Cent. Proc. Boy. Meteor. Soc. 1950, 82).

Abb. 3. Wellenbildung an der Warmfront: Bodenisobaren (ausgezogen)und Temperaturverteilung der Schicht 500/1000 mb (gestrichelt), Boden-

fronten.

vorstoß auf der Ostseite des entstehenden Höhenhochkeils —eine Warmfrontalzone10 neu aus, die durch den Warmluft-vorstoß deformiert wird (Abb. 3). Dabei entsteht eine meistgeringe Aufspaltung der Warmfrontalzone zu einem Delta,unabhängig von der Bodendrucksituation, oft mitten in einerflachen antizyklonalen Druckverteilung im Sattelgebietzwischen dem warmen Kern und dem ursprünglich kaltenAusläufer. In diesem Deltabereich tritt nun die oben behan-delte Massenverlagerung nach der warmen Seite hin ein: esbildet sich an der im Bodenfeld diffus gewordenen, scheinbar(als „Massengrenze") auflösenden Front (vgl. jedoch 14) eineflache Welle (Abb. 4), die fast immer umfangreiche Aufgleit-vorgänge veranlaßt. In diesem Fall bleibt die Mutterzykloneim Einzugsgebiet gerne zunächst liegen, während sich dieFrontalwelle unter gleichzeitiger Verstärkung der warmen Hoch-zelle im Delta ausbildet. Diese Fälle sind prognostisch besondersschwierig, da diese scheinbar auflösende Front plötzlich hoch-gradig wetterwirksam werden kann. Typisch ist dies bei demAufbau eines Höhenhochs im Räume westlich Schottland oderbei Irland, wo innerhalb der aus N oder NNW nach West-oder Mitteleuropa ziehenden Warmfrontalzone derartige un-

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erwartete Zyklogenesen gar nicht so selten eintreten. Beispieledieser Art vgl. Täglicher Wetterbericht des Deutschen Wetter-dienstes in der US-Zone vom 18. August 1949, 3. bis 4. Januar1950, 24. April 1950; ein ähnlicher Fall 26. bis 27. Januar 1950an der Nordküste von Alaska. Eine genaue Betrachtung derLuftmassenverschiebungen auf der Höhenkarte unter den hiergegebenen Gesichtspunkten dürfte auch derartige Vorhersagenermöglichen. Manchmal handelt es sich dabei um ganz flachestabile Wellen, die der Warmfront den Charakter einer Schleif-zone erteilen, ohne daß es zur voll entwickelten Zyklogenesekommt. Gelegentlich kommt es auch auf diese Weise zuZyklogenese in scheinbar frontenlosen, thermisch einheitlichenBäumen.

Überblickt man Einzugsbereich und Delta einer Frontal-zone als Ganzes, so haben wir oben schon die Bolle der Ver-

Abb. 4. Wellenbildung an der Warmfront: Hölienisobaren 500ml) undBodenfronten (vgl. Abb. 3).

tikalbewegungen und der latenten Energie dos Wasserdampfesbetrachtet. Ebenfalls wirksam sind noch die thermisch be-dingten, advektiven Anteile der Druckänderungen; diese unter-stützen die Zyklogenese im Delta (durch den Warmluft-transport der Vorderseite) ebenso wie die Antizyklogenese imEinzugsgebiet (durch den Kaltlufttransport der Bückseite).Andererseits nimmt die Antizyldcgenese im Delta (warme Seite)meist geringere Ausmaße an, als im Einzugsgebiet. Dieseempirisch festgestellte Tatsache hängt wohl damit zusammen,daß nach I. Beineke15 bei Beschleunigung (im Einzugsgebiet)nur 60% der Winde eine ageostrophische Abweichung im Sinneder Gleichung von Philipps haben, bei Verzögerung (im Delta)dagegen 79%; dieser Befund belegt statistisch die Bevor-zugung des Delta-Effektes.

3. Zusammenhang der Zyklonentheorien.Überblickt man4*11»13 die Vielzahl der älteren Zyklonen-

theorien von Ferrel (1860) und Fitz-Boy (1863) über Blasius(1875) zu V. Bjerknes (1919—21), F. Exner (1923), O. Stüve(1926, 1935) und jßyd (1927), Scherhag (1934) — letzterebereits vorgebildet bei Guilbert (1909) — so kompliziert sichdas nur scheinbar einfache Bild immer mehr. Das tritt be-sonders heraus in den neuesten, sehr komplexen Zyklonen-theorien von P. Raethjen1" und E. £leinschmidt j>.17, auf diehier nicht näher eingegangen werden soll.

V. Bjerknes deutete die Zyklogenese als Wellenbildung ander Polarfront. Diese Vorstellung mußte inzwischen modi-fiziert werden, da die aerologischen Beobachtungen ergebenhaben, daß im allgemeinen eine Verschärfung der schmalenbaroklinen Zonen der Atmosphäre — „Frontalzone" in dergegenüber Bergeron19 etwas erweiterten Begriffsbildung4 —zu regelrechten Front/KcÄe« im eigentlichen Wortsinn nur im

Bereich der Grundschicht und in der Tropopausenregioubeobachtet wird. Die Frage nach der Stabilität bzw. Labilitätsolcher Wellenbildungen ist durch die Ansätze von Oodske,E. Kleinschmidt jr.12 und anderen weitergetrieben worden,ohne daß die aerologischen Beobachtungen bisher zur Veri-fizierung des Stabilitätskriteriums ausreichen. In ihrer ur-sprünglichen Form gab diese Wellentheorie keinen Hinweisauf den Ort der zu erwartenden Zyklogenese. Dies wurde er-reicht durch die Arbeiten von Bergeronia, der auf die fronto-genetisclie Wirkung gewisser Druckfelder (1928) und derenmittlere (klimatologische) Anordnung (1930) hinwies.

F. M. Exner führte die Zyklogenese auf die Bildung einesWirbels auf der Vorderseite des zungenförmig vorstoßendenKaltluftkeils zurück. Hier war es möglich, Gebiete anzugehen,in denen auf Grund gewisser orographischer Voraussetzungen(Ostgrönland, Nowaja Semlja, Ural, Ostasien, Felsengebirge)derartige Kaltluftvorstöße und die zugehörigen Zyklogenesenbesonders häufig stattfanden (Riegeltheorie).

Im Sinne der Divergenztheorie stimmen beide Auffassungenweitgehend überein. Zweifellos gibt es Stellen, in denen dieplanetarische Frontalzone besonders häufig deformiert wird;das ist vor allem der Fall an den Ostküsten der Kontinente,wo Kaltluft und Warmluft am stärksten gegeneinander ge-führt werden und wo daher Abweichungen vom Gradient-wind (vgl. 1F) in oben erörtertem Sinne besonders häufigauftreten.

Der Mechanismus der Vorgänge ist weder durch die Wellen-theorie von V. Bjerknes noch durch die Riegeltheorie Exnersvollständig erfaßt worden. Der Ansatz von Philipps scheinthingegen eine Erweiterung des Byd-Scherhagschen Divergenz-effektes und zugleich eine Kombination der Auffassungen vonV. Bjerknes und F. Exner zu ermöglichen. Wie so oft in dersynoptischen Meteorologie, schließen sich die Theorien nichtgegenseitig aus, sondern sie betrachten den Komplex der Er-scheinungen jeweils nur von einem bestimmten Gesichtswinkelaus und ergänzen sich daher gegenseitig.

Die erweiterte Divergenztheorie gilt nur für die Initialstadiender Zyldonen und für die Regeneration bereits verwirbelterZentralzyklonen. Sie sagt weder etwas über den Prozeß derVerwirbelung noch über die Vertikalbewegungen (einschließ-lich der Bildung des Palmenschen Tropopausentrichters) aus;hierzu vergleiche man etwa Saethjens10 Vorstellungen und diezusammenfassenden Ausführungen von Mügge20. Aber sieliefert mehr als die meisten übrigen Zyklonentheorien: siegibt auch zugleich eine Vorstellung der Antizyklogenese undihren Zusammenhang mit der Zyklogenese, und sie zeigt unsdie zentrale Bedeutung der ageostrophischen Windkomponentenim Wettergescheheu.

Seilkopf10 hat auf die Rolle der begleitenden Frontalzonenund der zugehörigen ageostrophischen Windkomponenten imMassenhaushalt der selbständigen Hochdruckzellen (mit„Warmsektoren erster Ordnung") eindringlich hingewiesen. Wirverstehen jetzt die Zusammengehörigkeit der Druckgebilde:jede Divergenz einer Frontalzone wird begleitet von einer ent-sprechenden Konvergenz, und jede derartige Deformation derFrontalzone erzeugt ein Viererdruckfeld oder doch ein Vierer-tendenzfeld im obigen Sinne. Verfolgt man laufend die drei-stündigen Drucktendenzkarten im Vergleich mit der Höhen-karte, so sieht man diese Effekte bei der Arbeit und denmanchmal überraschenden genetischen Zusammenhang derDruckänderungsgebiete. Die Hochdruckgebiete sind mehr alsausgesparte Lücken bei der Zyklogenese: ihr Aufbau wirdmitbedingt durch die gleichzeitige Zyklogenese. Auf die Be-deutung dieser Zusammenhänge hat in seinen umfangreichenstatistisch-synoptischen Studien besonders Brezowsky'^ hin-gewiesen.

In diesem Zusammenhang zeigt sich eine weitere Form derin der Meteorologie so häufigen diialen Beziehungen1. Bergeron™hat 1928 das bekannte Schema eines frontogenetischeu Strö-mungsfeldes aufgestellt, das eine gegebene Temperaturvertei-lung im Sinne der Bildung einer Frontalzone deformiert, sofernder Winkel zwischen Dehnungsachse und Isothermen kleinerals 45" ist; es ist charakterisiert durch die kreuzweise Anord-

nung von Hoch und Tief. Die gleiche Anordnung des fronto-genetischen Viererdruckfeldes ergibt sich aber auch in unseremFall, wenn wir bei einer vorgegebenen Frontalzone aus denageostrophischen Windkomponenten das Drucktendenzfeld amBoden und damit das entstehende Druckfeld ableiten. Kon-vergenzen und Divergenzen im Strömungsfeld der Troposphäreund das Druckfeld am Boden sind also einander wechselseitigzugeordnet; sie bedingen einander, ohne daß man a prioriUrsache und Wirkung unterscheiden kann.

4. Statistik und Klimatologie.Die Richtigkeit der Überlegungen der Divergenztheorie kann

nur mit statistischen Mitteln erwiesen werden. Der zweifellosbeste Weg ist der einer direkten Sta-tistik über das Verhalten der Druck-änderungen in Abhängigkeit von derHöhenströmung; Arbeiten dieser Artkönnten auch zu quantitativen He-geln führen. Ein einfacher Nach-weis läßt sich auch auf Grund kli-matischer Mittelwerte führen1. Hierbeschränken wir uns lediglich auf denamerikanisch - atlantischen Raum,wo im klimatischen Mittel eine um-fangreiche Frontalzone an der ame-rikanischen Ostküste liegt. Wir ver-gleichen hierzu das Jahresmittel1949 der absoluten Topographie500 mb22 mit den Jahresisanomalen

des Bodenluftdruckea (Abwei-chungen vom Breitenmittel), wobeiwir die Luftdruckmittelwerte denauf synoptischen Wetterkarten be-ruhenden Daten für die Periode1929 bis 193923 entnehmen.

Diese Klimakarte, bei der sichalle jahreszeitlichen und wettermäßi-gen Abweichungen herausheben,zeigt, daß im statistisch-klimatolo-gischen Mittel im Bereich der atlan-tischen Hauptfrontalzone tatsächlich ein solches Viererdruck-feld entsteht, wie wir es theoretisch mit Hilfe des Ansatzes vonPhilipps abgeleitet haben. Die Wiedergabe mittels der Isano-malen dient nur zur Verdeutlichung; in der tatsächlichen Druck-verteilung zeigen uns Azorenhoch und Islandtief als ,, Aktions-zentren" die Wirkung des Divergenzeffektes im Delta der atlan-tischen Frontalzone, deren Trog etwa Hudsonbay-Florida ver-läuft. Die entsprechenden Druckgebilde im Einzugsgebiet sindArizonatief und das arktische Hoch in der Beaufort-See. Dieasiatisch-pazifische Parallele hierzu bilden Nordpazifikhochund Aleutentief; hierüber und über die Verhältnisse auf derSüdhalbkugel — besonders eindeutig im Bereich des Höhen-troges E Südamerika, dem ein Tiefzentrum in der Weddell-See und die südatlantische Hochdruckzelle etwa auf 28° S,10° W entspricht — vgl.1. Die dreidimensionale Klimatologiebietet uns somit einen wenigstens qualitativen Beweis für dieRichtigkeit der Divergenztheorie von Jtyd-Scherhag, der man-chen Skeptiker ebenso überzeugen sollte, wie den Verfasser.Ein weiterer, ganz unabhängiger Nachweis der verantwort-lichen ageostrophischen Windkomponenten steckt in der obenangeführten Statistik von I. Beineke15; eine mittlere Häufig-keit dieser Komponenten von 71% ist in Anbetracht der un-sicheren Höhenwindmessungen bereits sehr beachtlich.

Es ist eigenartig, daß die klar ausgeprägte Frontalzonezwischen der heißen Saharaluft und der kühleren Mittelmeer-luft — die ,,mediterrane Polarfront" — im Sommer, wo siefast ebenso scharf ausgeprägt ist, wie im Winter, nahezustationär an der afrikanischen Nordküste liegt, und sich wetter-mäßig kaum auswirkt. Sie wird, wie die Monatskarten derletzten Jahre zeigen, von dem Konfluenzmechanismus zwi-schen dem Saharatief und dem mediterranen Ausläufer desAzorenhochs ernährt, und das Delta öffnet sich zu dem vorder-asiatischen Monsuntief; die Druckverteilung entspricht also

völlig unserem Schema. In ihrem ganzen Bereich herrschtaber antizyklonales Wetter mit Absinkvorgängen vor, undZyklogenesen gehören zu den Seltenheiten. Die Ursache diesesabnormen Verhaltens mag in der stabilen Vertikalschichtungwie in der großen Trockenheit der subtropischen Atmosphärezu suchen sein.

5. Ergebnisse.Abschließend seien auf Grund dieser theoretisch-synoptisch-

statistischen Untersuchungen einige synoptische Regeln for-muliert, zum Teil als Präzisierung bzw. Erweiterung derin*> l x> 13 zitierten Regeln, die mit den synoptischen Erfah-rungen in Einklang stehen.

Abb. 5. Jahresisanomalen 4Werte gestrichelt,

:S Luftdrucks (Abweichungen vom Breitenmittel 1929 —1939, in mb; positivenegative punktiert) und Höhe der 500-mb-Häche 1949 (ausgezogen).

1. Divergierende Höhenströmung im Bereich einer Frontal -zone bewirkt auf der kalten Seite (im Bereich zyklonalerKrümmung) zunehmenden Druckfall, auf der warmen Seitedagegen (im Bereich antizyklonaler Krümmung) mindestensrelativen Druckanstieg.

2. Konvergierende Höhenströmung im Bereich einer Frontal-zone bewirkt auf der kalten Seite (im Bereich zyklonalerKrümmung) zunehmenden Druckanstieg, auf der warmen Seitedagegen (im Bereich antizyklonaler Krümmung) mindestensrelativen Druckfall.

3. Im Einzugsgebiet einer Frontalzone überwiegt im all-gemeinen Antizyklogenese („überlagerter Druckanstieg"), imDelta dagegen Zyklogenese („überlagerter Druckfall").

4. Die Vertiefung einer Frontalzyklone führt auf ihrer Rück-seite — sofern genügend Kaltluft bereitsteht — zu Kaltluft-advektion und Deformation der Frontalzone, und damit gleich-zeitig zum Aufbau eines kalten Zwischenhochs wie zur Weüen-bildung an der Kaltfront. Die Vertiefung dieser Welle wirdjedoch (nach Regel 3) im Einzugsgebiet der Frontalzone zu-nächst gehemmt und ist erst nach Übertritt in das Deltamöglich.

5. Ein konzentrierter, gegen eine Frontalzone gerichteterWarmluftvorstoß löst (ebenso wie ein Kaltluftvorstoß) eineDeltabildung aus, die zu Zyklogenese an der Warmfront, abergleichzeitig oft zur Bildung eines blockierenden Hochs und Um-stellung auf meridionale Zirkulationsform führen kann.

Man gewinnt bei näherer Beschäftigung mit diesen Fragenden Eindruck, daß die Divergenztheorie von Ryd-Scherliag inihrer erweiterten Form eine befriedigende Erklärung für wich-tige Stadien der Zyklogenese — besonders für die Wellen-bildung — bildet, ohne jedoch komplexere Theorien 16> 17

überflüssig zu machen. Sie erleichtert durch die duale Umkehrder bisher üblichen Betrachtungsweise auch das Verständnis

g

für die inneren Zusammenhänge von Zyklogenese und Anti-zyklogenese. Die Ausdehnung auf das Einzugsgebiet derFrontalzone führt zu einer wesentlichen Verallgemeinerung;trotzdem sei an dem Begriff einer „erweiterten Divergenztheorie"festgehalten.

Nachdem sowohl eine einfach zu diskutierende theoretischeBegründung sowie ein überzeugender klimatisch-statistischerNachweis gegeben ist, erscheint es berechtigt, diese erweiterteDivergenztheorie wegen ihrer didaktischen Vorzüge wenig-stens dort im Unterricht zu verwenden, wo größere mathe-matische Anforderungen vermieden werden müssen.

Literatur.iflolm, H.: Ber. Dtsch. Wetterdienst US-Zone 18, Teil I

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