dieter hoffmann: erwin schrödinger. (biographien hervorragender naturwissenschaftler, techniker und...

1
86 Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 8 (1985): Rezension Rezension Dieter Hoffmann: Erwin Schrodinger. (Biographien hervorragender Naturwissen- schaftler, Techniker und Mediziner, Band 66) Leipzig: BSB B. G. Teubner Verlagsge- sellschaft 1984. 94 SS., Broschur 4,80 M. (DDR)/6,80 M. (auflerhalb der DDR). Der Physiker Erwin Schrodinger gehort aufgrund seiner Beitrage zur modernen Quantentheorie im- mer noch zu einem der meistzitierten Autoren sei- nes Fachs, wobei allerdings der Begriff ,,Schrodin- ger-Gleichung" mittlerweile ganz der Alltagssprache der Physik angehort und nur noch bedingt histori- sche Assoziationen weckt. Schrodinger innerhalb ei- ner Reihe mit dem Titel ,,Biographien hervorragen- der Naturwissenschaftler, Techniker und Medizi- ner" zu a%rdigen, ist deshalb fast eine Notwendig- keit. Was aber Schrodinger fur einen Biographen so anziehend macht, ist die grone fachwisssenschaftli- che Breite und vor allem auch die Offenheit seines Denkens, sein Interesse fur Sprache und Philoso- phie. Und dies hat offensichtlich auch Dieter Hoff- mann angeregt, eine kurz gefaBte Darstellung von Leben und Werk Erwin Schrodingers zu geben. Wahrend die aufieren Lebensumstande Schrodin- gers durch die zweifache Flucht vor dem National- sozialismus und durch das Dubliner Exil ihre allge- meinhistorische Bedeutung erhalten, wird das physi- kalische Werk durch die 1926 formulierte, heute nach Schrodinger benannte Wellengleichung fur Elektronen im Atom gepragt. Neben Heisenberg hatte Schrodinger damit die seither in einem mehr pragmatischen Sinn erfolgreiche Quantentheorie auf eine solide theoretische Grundlage gestellt. Die sta- tionaren Bahnen in der Bohrschen Theorie lienen sich nun im Sinne von Eigenschwingungen deuten. Wenngleich nicht eigentlich Ausgangspunkt Schro- dingers, so doch im nachhinein besonders suggestiv war dabei eine auf Arbeiten von Hamilton zuruck- gehende Analogie der geometrischen Optik (als Grenzfall der Wellenoptik) und der Mechanik von Teilchenbahnen. Schrodinger verglich ja in seiner ,,Zweiten Mitteilung" uber Quantiszerung als Eigen. wertproblem die Notwendigkeit, bei (beziiglich der Wellenlange) kleinen ,,Offnungen" von der geome- trischen Optik zur Wellenoptik uberzugehen, mit dem nun in der Quantentheorie offenbar geworde- nen Zwang, bei atomaren Dimensionen die klassi- sche Mechanik durch die Wellenmechanik zu erset- zen. Was die Folgen der Schrodingerschen Beitrage zur Quantentheorie angeht, so diskutiert Hoffmann in erster Linie den bald aufgetretenen Gegensatz zwischen der Kopenhagener statistischen Deutung und Schrodingers halbklassischer Interpretation der Wellenfunktion im Sinne der Beschreibung einer raumlichen Ladungsdichte. Weg von der Schrodinger-Gleichung fuhrt die Darstellung des Dubliner Exils. Zwei neue Themen griff Schrodinger in dieser Zeit auf. Einmal trug er nun wrsentlich zur Entwicklung der Allgemeinen Relativitatstheorie bei. Bemerkenswert ist hier der von ihm formulierte Gedanke, daR ein expandieren- des Universum eine spontane Entrtehung von Mate- rie aus dem ,,Vakuum" beding. Zum andern befa& te er sich mit der physikalischen Deutung biologi- scher Vorgange, etwa aufgrund der Thermodyna- mik der fur die Biologie typischen offenen Sysreme. Zukunftsweisend war aber insbesondere sein Ver- such, den Vorgang der genetischen Informations- speicherung mikrophysikalisch zu deuten. Zuni Teil wieder auf die Probiematik der Quan- tentheorie beziehen sich die vielfaltigen philosophi- schen Erarterungen Schrodingers, sein Eintreten fur das Kausalitatsprinzip, trotz der nun offensichtli- chen Begrenzung der Determiniertheit physikali- scher Vorgange, seine immer wieder gegen positivi- stische Uberlegungen geaderte Uberzeugung von einer wirklich existierenden Welt. Der Autor atte- stiert Schrodinger hier eine ,,weitgehend materiali- stische" philosophische Position. Grundlage dieser Uberlegungen Schrodingers war die Beschaftigung mit der zeitgenossischen, vielfach empiristisch orien- tierten Philosophie, vor allem aber auch eine einge- hende Auseinandersetzung rnit der antiken Natur- philosophie. Trotz des eher geringen Umfangs vermittelt die Biographie Dieter Hoffmanns einen guten Eindruck von der Person Schrodingers, von der Vielseitigkeit seines Denkens und nicht zuletzt von den schwieri- gen politischen und wissenschaftsorganisatorischen Bedingungen, unter denen sich seine Arbeit vollzog. Eine kurze Chronologie rundet den Text ab, Litera- turverzeichnis und Personenregister erlauben wei- terfiihrendes Studium. Besonders geeignet erscheint die Schrift fur Lehrzwecke im Bereich der Wissen- schaftsgeschichte. Walter Kaiser, Mainz Ber.Wissenschafrsgesch. 8 (1985) 86

Upload: walter-kaiser

Post on 06-Jun-2016

212 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Dieter Hoffmann: Erwin Schrödinger. (Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner, Band 66) Leipzig: BSB B. G. Teubner Verlagsgesellschaft 1984. 94 SS.,

86 Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 8 (1985): Rezension

Rezension

Dieter Hoffmann: Erwin Schrodinger. (Biographien hervorragender Naturwissen- schaftler, Techniker und Mediziner, Band 66) Leipzig: BSB B. G. Teubner Verlagsge- sellschaft 1984. 94 SS., Broschur 4,80 M. (DDR)/6,80 M. (auflerhalb der DDR).

Der Physiker Erwin Schrodinger gehort aufgrund seiner Beitrage zur modernen Quantentheorie im- mer noch zu einem der meistzitierten Autoren sei- nes Fachs, wobei allerdings der Begriff ,,Schrodin- ger-Gleichung" mittlerweile ganz der Alltagssprache der Physik angehort und nur noch bedingt histori- sche Assoziationen weckt. Schrodinger innerhalb ei- ner Reihe mit dem Titel ,,Biographien hervorragen- der Naturwissenschaftler, Techniker und Medizi- ner" zu a%rdigen, ist deshalb fast eine Notwendig- keit. Was aber Schrodinger fur einen Biographen so anziehend macht, ist die grone fachwisssenschaftli- che Breite und vor allem auch die Offenheit seines Denkens, sein Interesse fur Sprache und Philoso- phie. Und dies hat offensichtlich auch Dieter Hoff- mann angeregt, eine kurz gefaBte Darstellung von Leben und Werk Erwin Schrodingers zu geben.

Wahrend die aufieren Lebensumstande Schrodin- gers durch die zweifache Flucht vor dem National- sozialismus und durch das Dubliner Exil ihre allge- meinhistorische Bedeutung erhalten, wird das physi- kalische Werk durch die 1926 formulierte, heute nach Schrodinger benannte Wellengleichung fur Elektronen im Atom gepragt. Neben Heisenberg hatte Schrodinger damit die seither in einem mehr pragmatischen Sinn erfolgreiche Quantentheorie auf eine solide theoretische Grundlage gestellt. Die sta- tionaren Bahnen in der Bohrschen Theorie lienen sich nun im Sinne von Eigenschwingungen deuten. Wenngleich nicht eigentlich Ausgangspunkt Schro- dingers, so doch im nachhinein besonders suggestiv war dabei eine auf Arbeiten von Hamilton zuruck- gehende Analogie der geometrischen Optik (als Grenzfall der Wellenoptik) und der Mechanik von Teilchenbahnen. Schrodinger verglich ja in seiner ,,Zweiten Mitteilung" uber Quantiszerung als Eigen. wertproblem die Notwendigkeit, bei (beziiglich der Wellenlange) kleinen ,,Offnungen" von der geome- trischen Optik zur Wellenoptik uberzugehen, mit dem nun in der Quantentheorie offenbar geworde- nen Zwang, bei atomaren Dimensionen die klassi- sche Mechanik durch die Wellenmechanik zu erset- zen. Was die Folgen der Schrodingerschen Beitrage zur Quantentheorie angeht, so diskutiert Hoffmann in erster Linie den bald aufgetretenen Gegensatz

zwischen der Kopenhagener statistischen Deutung und Schrodingers halbklassischer Interpretation der Wellenfunktion im Sinne der Beschreibung einer raumlichen Ladungsdichte.

Weg von der Schrodinger-Gleichung fuhrt die Darstellung des Dubliner Exils. Zwei neue Themen griff Schrodinger in dieser Zeit auf. Einmal trug er nun wrsentlich zur Entwicklung der Allgemeinen Relativitatstheorie bei. Bemerkenswert ist hier der von ihm formulierte Gedanke, daR ein expandieren- des Universum eine spontane Entrtehung von Mate- rie aus dem ,,Vakuum" beding. Zum andern befa& te er sich mit der physikalischen Deutung biologi- scher Vorgange, etwa aufgrund der Thermodyna- mik der fur die Biologie typischen offenen Sysreme. Zukunftsweisend war aber insbesondere sein Ver- such, den Vorgang der genetischen Informations- speicherung mikrophysikalisch zu deuten.

Zuni Teil wieder auf die Probiematik der Quan- tentheorie beziehen sich die vielfaltigen philosophi- schen Erarterungen Schrodingers, sein Eintreten fur das Kausalitatsprinzip, trotz der nun offensichtli- chen Begrenzung der Determiniertheit physikali- scher Vorgange, seine immer wieder gegen positivi- stische Uberlegungen geader te Uberzeugung von einer wirklich existierenden Welt. Der Autor atte- stiert Schrodinger hier eine ,,weitgehend materiali- stische" philosophische Position. Grundlage dieser Uberlegungen Schrodingers war die Beschaftigung mit der zeitgenossischen, vielfach empiristisch orien- tierten Philosophie, vor allem aber auch eine einge- hende Auseinandersetzung rnit der antiken Natur- philosophie.

Trotz des eher geringen Umfangs vermittelt die Biographie Dieter Hoffmanns einen guten Eindruck von der Person Schrodingers, von der Vielseitigkeit seines Denkens und nicht zuletzt von den schwieri- gen politischen und wissenschaftsorganisatorischen Bedingungen, unter denen sich seine Arbeit vollzog. Eine kurze Chronologie rundet den Text ab, Litera- turverzeichnis und Personenregister erlauben wei- terfiihrendes Studium. Besonders geeignet erscheint die Schrift fur Lehrzwecke im Bereich der Wissen- schaftsgeschichte.

Walter Kaiser, Mainz

Ber.Wissenschafrsgesch. 8 (1985) 86