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Entlebucher Anzeiger | Dienstag, 19. Mai 2009 – Nr. 40 auftritt 5 Der Bühne Amt Entlebuch gelingt mit Hansjörg Schneiders Komödie «Herz und Leber, Hund und Schwein» ein grosses Stück Theater. Das Premierenpubli- kum zeigte sich beeindruckt von der Leistung und war voll des Lobes für die Truppe. Martin Spilker «Hunger…», «Durscht…», «Hun- ger…», «Durscht…»: Die ersten, ge- sungenen, Worte des Stücks lassen das Gemurmel in der Schüür auf Heilig- kreuz im Nu verstummen und wecken gleich die ganze Aufmerksamkeit. So wird es knappe zwei Stunden weiterge- hen: Die Bühne Amt Entlebuch (BAE) bietet mit ihrer Aufführung von Hans- jörg Schneiders «Herz und Leber, Hund und Schwein» ausgezeichnetes Theater, das unter die Haut geht und ebenso unterhält. Das Premierenpubli- kum dankte es der ganzen Truppe mit langem Applaus. Trauriges Dauerthema als Komödie Die BAE hat mit ihrer Wahl des 1990 uraufgeführten Stücks des Schweizer Dramatikers Hansjörg Schneider in der gegenwärtigen Diskussion um Ban- kenkrise, Mexikogrippe und immer neuen Bürgerkriegen irgendwo auf der Welt einen Volltreffer gelandet.Die Ge- schichte ist die des jungen Flüchtlings- paares Colombina (Evi Lustenberger) und Arlecchino (Philipp Méroz), die es auf der Suche nach einem besseren Le- ben in ein Dorf verschlägt, wie es tau- sende gibt, in der Schweiz und anders- wo. Dort allerdings werden sie, gelinde gesagt, nicht gerade freundlich aufge- nommen. Auch für Hungernde gibt es nur etwas gegen Barzahlung. Die beiden sind dermassen verzwei- felt, dass sich die junge Frau prostituie- ren würde und der junge Mann gar be- reit ist, Herz und Leber zu verkaufen. Angesichts solcher Situationen könnte einem das Lachen im Hals stecken blei- ben. Doch das Stück ist – eine Komö- die. Und gelacht werden kann denn auch herzhaft, an diesem Freitagabend. Die Mächtigen werden vorgeführt Das Stück ist als Commedia dell’arte angelegt (siehe Kasten), dieser alten ve- nezianischen Theaterform, in der die Reichen und Noblen, die Mächtigen und die, die es gern sein möchten, von einfachen, schlauen Leuten aus dem Volk vorgeführt werden. Aus der Tradition der Commedia dell’arte stammen auch die Namen der Protagonisten: Nebst den erwähnten Arlecchino und Colombina der Dotto- re (Richard Portmann), der Capitano (Kurt Erni), der reiche Pantalone (Wil- ly Portmann) und die dienende Lina (Paula Scherer). Es fällt auf Heiligkreuz aber nicht schwer, hinter diesen Figu- ren Menschen von heute zu sehen, die ihre Macht ge- und missbrauchen, die bangen und hoffen, gewinnen und scheitern. 6 plus 24 Schauspieler Die von Heini Gut (Stans) unaufdring- lich, aber mit Liebe zum Detail gestalte- te Bühne rückt die sechs Schauspieler ins Zentrum. Sie haben denn auch in der Inszenierung von Elvira Plüss eine Parforce-Leistung zu bieten: Mit gros- ser Präsenz zaubern sie mit Text und Gesang, Tanz und Akrobatik ein wah- res Feuerwerk auf die Bühne und wis- sen dabei ihre Körper vom Scheitel bis zur Sohle als wunderbare Instrumente einzusetzen. Dabei können sie sich auch auf die – bis auf die Unterwäsche – zwischen allen Zeiten stehenden Kos- tüme von BAE-Präsidentin Rita Kuster verlassen. Doch die Schauspieler müssen nicht alles alleine leisten: Der eigens für diese Produktion zusammengestellte 24- köpfige Chor wirkt mal als Volk,mal als Verstärkung, mal als Gegenüber der Fi- guren. Dabei werden die Sängerinnen und Sänger von Herbert Renggli souve- rän geführt und die von Esther Bucher komponierten Lieder tragen wesent- lich dazu bei, die Handlung auf der weiten Schüür-Bühne ganz nahe, ganz intim zu erleben. Anspruchsvolle Theaterarbeit So eigenwillig die sechs Figuren sind, die BAE-Schauspielerinnen und Schauspieler füllen ihre Rollen mit viel persönlicher Färbung aus, stellen sich aber immer als Gesamtheit in den Dienst der Geschichte. Dabei wurde ih- nen von der Luzerner Regisseurin si- cher einiges abverlangt. Die grosse Si- cherheit und Präzision, mit der hier ge- spielt wird, zeugt von einer soliden Theaterarbeit, die bei einer Laiengrup- pe nur mit höchstem Einsatz und der Unterstützung des immensen Helfer- stabs möglich ist. Hier hat zudem eine Gruppe zugunsten eines Stücks mit wenigen Sprechrollen auf individuelle Spielwünsche verzichtet; das verdient Anerkennung und Lob. Das Publikum erhält dadurch sehr dichte und nahr- hafte Theaterkost vorgesetzt. Anlehnungen an Altmeister A propos Kost: Dass der Mensch vor al- lem erst einmal seine leiblichen Be- dürfnisse gestillt haben will, bevor er sich mit tieferen Gedanken beschäfti- gen mag, wird im Stück in Wort und Gesang fast gebetsmühlenartig immer wieder in Erinnerung gerufen. Die Art und Weise aber, wie dies geschieht, ist sowohl unterhaltsam wie tiefgründig. Und hier steckt die grosse Qualität des Theatertextes von Hansjörg Schneider, in dem die Regisseurin auch Anlehnungen an andere grosse Meister des Theaters wie Bertold Brecht oder Ödön von Horvath sieht. Die Dialekt- fassung von Kurt Bösch, die Musik und die Inszenierung bringen dann diesen Allerweltsstoff auf die beschauliche Bühne auf Heiligkreuz – mitten in das Leben des Publikums. Und wenn dieses nach dem letzten Auftritt zufrieden in die stimmungsvoll dekorierte Theater- beiz geht, um sich mit Vergnügen eine Erfrischung zu gönnen, dann gehen Spiel und Wirklichkeit ineinander über. Oder, wie es Bertold Brecht sei- nen «Musterganoven» Mackie Messer sagen lässt: «Denn zuerst kommt das Fressen, dann die Moral.» Nächste Aufführungen morgen 20 Uhr, Donnerstag 17 Uhr, Samstag 20 Uhr und dann jeweils Mittwoch, Freitag, Samstag bis 13. Juni. Vorverkauf im Internet unter der Adresse www.buehne-amt-entlebuch oder telefonisch unter 041 484 24 01 (Montag 10-11 und 19-20 Uhr, Mittwoch und Frei- tag 16.30-18 Uhr, Samstag 10-11 Uhr). Denn zuerst kommt das Fressen, dann die Moral Heiligkreuz: Premiere der Bühne Amt Entlebuch mit dem Stück «Herz und Leber, Hund und Schwein» von Hansjörg Schneider Ganoven, Gaukler und ein gefrässiger Ochse Die Komödie «Herz und Leber, Hund und Schwein» von Hansjörg Schneider wurde 1990 uraufgeführt. Sie ist als Commedia dell’arte ge- schrieben, eine Theaterform, in der den Mächtigen in einer humoresken Weise der Spiegel vorgehalten wur- de. Zur Zeit der Entstehung des Stücks war Organtransplantation und -handel ein grosses Thema. – Das gewählte Thema steht sinnbild- lich für andere grosse Krisen und Katastrophen der Menschheit. In der Commedia dell’arte ge- winnen die «kleinen» Leute die Aus- einandersetzung mit den «grossen», selten sehr nobel handelnden Mäch- tigen aber stets. Der Autor – den das Entlebuch 2003 durch seinen «Bau- ernkrieg 1653» kennenlernen konn- te – vergleicht dies mit einem Kas- perlispiel. Auch in «Herz und Leber, Hund und Schwein» gelingt es dem Flüchtlingspaar, die Mächtigen zu überlisten. – Wie, das sei hier nicht verraten. Eine Rolle darf aber nicht uner- wähnt bleiben: Es ist der stramme Uwe, ein badischer Stier oder Ochse aus Bad Niederau, der gerne mehr Aufmerksamkeit hätte und dabei für wohltuende Auflockerung sorgt. Ei- ne kleine Theaterperle, die hervor- ragend in diese ach so weltliche Ko- mödie passt! [ms] bei Elvira Plüss, Regisseurin Elvira Plüss führte erstmals Regie bei der Bühne Amt Entlebuch (BAE). Die Luzerner Theaterschaffende arbeitet seit vielen Jahren sowohl mit profes- sionellen wie mit Laientheatern. Entlebucher Anzeiger: Wie sind Sie darauf gekommen, dieses Stück mit dem doch eigenartigen Titel mit der BAE zu inszenieren? Elvira Plüss: Wie haben sehr viele Stücke angeschaut und gelesen. Das Stück «Herz und Leber, Hund und Schwein» von Hansjörg Schneider hat mir von Beginn weg gefallen: Es hat viel «Sprutz», Humor und ist gleichzeitig sehr tiefgründig und auch herausfor- dernd. Ich bin sehr glücklich, dass die BAE dieses Stück gewählt hat. EA: Der Autor behandelt darin The- men wie Organtransplantation, Im- migration und Fremdenfeindlichkeit. Das Ganze kommt aber als Komödie daher. Lässt sich so die Tragweite die- ser grossen Themen überhaupt ver- mitteln, dem Ernst dieser Sache ge- recht werden? Elvira Plüss: Der Autor hat diese Form gewählt und die Reaktionen zeigen, dass es möglich ist: Es kann viel gelacht wer- den, aber es gibt auch Momente, da wird es ganz ruhig im Publikum. Es ist dieses Hin und Her zwischen Humor und Nachdenklichkeit, das dem Stück seine Qualität gibt. Und der Autor will das Publikum nicht zum einen oder ande- ren zwingen; weder zur reinen Unter- haltung noch zur moralischen Betrof- fenheit. Bei wem was wie anklingt, lässt der Autor offen und das wollten wir auch in dieser Inszenierung erreichen. – Es ist doch oft so, dass wir von einem Moment auf den anderen etwas zu la- chen haben und dann mit einer ganz ernsten Angelegenheit konfrontiert sind. EA: Das Stück ist eine Commedia dell’arte. Sie lassen den Figuren ihre Namen, verzichten aber auf die für diese Theaterform typischen Kostü- me, Masken und Umgebung und set- zen die Handlung an einen Ort, der unserer Gegend sehr nahe kommt. Haben Sie die Handlung ins Entle- buch verlegt? Elvira Plüss: Es ist nicht ein bestimm- ter Ort, eine bestimmte Gegend, die hier dargestellt wird. Es geht in diesem Stück um den für uns, meine ich, bei- nahe unvorstellbaren Gegensatz von Arm und Reich. Es gibt auf dieser Welt Armut und Not, die unfassbar sind. Dieser Not wird im Stück eine Gesell- schaft, die «hat», gegenübergestellt. Das Zusammentreffen dieser beiden Welten geschieht an ganz vielen Orten. In der Schweiz, im Entlebuch, aber bei Weitem nicht nur hier. Dieser Konflikt geht immer weiter, was im Text auch angedeutet ist. Dass solche Dinge auch bei uns in Wirklichkeit stattfinden und die Position von Schwachen mit un- glaublicher Schamlosigkeit ausgenützt wird, das lässt sich ja Tag für Tag beob- achten. Dazu braucht es im Theater gar keine genaue Benennung von Orten, Personen oder Ereignissen. EA: Und am Schluss verlässt das Pub- likum belustigt den SaalElvira Plüss: Warum nicht? Das Stück hat Saft und Kraft, ist viel mehr als blosse Unterhaltung. Hier wird sozusa- gen eine Landkarte von Gut und Böse ausgelegt, das will zum Nachdenken anregen. Ich will im Theater nieman- den zur Betroffenheit verknurren. Wenn etwas zur Auseinandersetzung anregt: gut. Wenn es ein vergnüglicher Abend ist: auch gut. Wenn beides ge- schieht, bin ich sehr glücklich und wir haben erreicht, was der Autor ausdrü- cken wollte. [Interview ms.] Wie eine Landkarte von Gut und Böse gefragt… nach Da fragen sich Arlecchino (Philipp Méroz, grosses Bild, links), Capitano (Kurt Erni) und Lina (Paula Scherer), was hier wohl angerichtet wurde. Der Chor unter der Leitung von Herbert Renggli (Bild oben, rechts) hat wesentlichen Anteil am Geschehen. Die Mächtigen werden am Ende geschlagen dastehen (unten, von links): Pantalone (Willy Portmann) und Dottore (Richard Portmann), beobachtet von Capitano. [Bilder Alphonse Teufer]

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Entlebucher Anzeiger | Dienstag, 19. Mai 2009 – Nr. 40 auftritt 5

Der Bühne Amt Entlebuchgelingt mit Hansjörg SchneidersKomödie «Herz und Leber, Hundund Schwein» ein grosses StückTheater. Das Premierenpubli-kum zeigte sich beeindruckt vonder Leistung und war voll desLobes für die Truppe.

Martin Spilker

«Hunger…», «Durscht…», «Hun-ger…», «Durscht…»: Die ersten, ge-sungenen, Worte des Stücks lassen dasGemurmel in der Schüür auf Heilig-kreuz im Nu verstummen und weckengleich die ganze Aufmerksamkeit. Sowird es knappe zwei Stunden weiterge-hen: Die Bühne Amt Entlebuch (BAE)bietet mit ihrer Aufführung von Hans-jörg Schneiders «Herz und Leber,Hund und Schwein» ausgezeichnetesTheater, das unter die Haut geht undebenso unterhält. Das Premierenpubli-kum dankte es der ganzen Truppe mitlangem Applaus.

Trauriges Dauerthema als KomödieDie BAE hat mit ihrer Wahl des 1990uraufgeführten Stücks des SchweizerDramatikers Hansjörg Schneider in dergegenwärtigen Diskussion um Ban-kenkrise, Mexikogrippe und immerneuen Bürgerkriegen irgendwo auf derWelt einen Volltreffer gelandet. Die Ge-schichte ist die des jungen Flüchtlings-paares Colombina (Evi Lustenberger)und Arlecchino (Philipp Méroz), die esauf der Suche nach einem besseren Le-ben in ein Dorf verschlägt, wie es tau-sende gibt, in der Schweiz und anders-wo. Dort allerdings werden sie, gelindegesagt, nicht gerade freundlich aufge-nommen. Auch für Hungernde gibt esnur etwas gegen Barzahlung.

Die beiden sind dermassen verzwei-felt, dass sich die junge Frau prostituie-ren würde und der junge Mann gar be-reit ist, Herz und Leber zu verkaufen.Angesichts solcher Situationen könnteeinem das Lachen im Hals stecken blei-ben. Doch das Stück ist – eine Komö-die. Und gelacht werden kann dennauch herzhaft, an diesem Freitagabend.

Die Mächtigen werden vorgeführtDas Stück ist als Commedia dell’arteangelegt (siehe Kasten), dieser alten ve-nezianischen Theaterform, in der dieReichen und Noblen, die Mächtigenund die, die es gern sein möchten, voneinfachen, schlauen Leuten aus demVolk vorgeführt werden.

Aus der Tradition der Commediadell’arte stammen auch die Namen derProtagonisten: Nebst den erwähntenArlecchino und Colombina der Dotto-re (Richard Portmann), der Capitano(Kurt Erni), der reiche Pantalone (Wil-ly Portmann) und die dienende Lina(Paula Scherer). Es fällt auf Heiligkreuzaber nicht schwer, hinter diesen Figu-ren Menschen von heute zu sehen, dieihre Macht ge- und missbrauchen, diebangen und hoffen, gewinnen undscheitern.

6 plus 24 SchauspielerDie von Heini Gut (Stans) unaufdring-lich,aber mit Liebe zum Detail gestalte-te Bühne rückt die sechs Schauspielerins Zentrum. Sie haben denn auch inder Inszenierung von Elvira Plüss eineParforce-Leistung zu bieten: Mit gros-ser Präsenz zaubern sie mit Text undGesang, Tanz und Akrobatik ein wah-res Feuerwerk auf die Bühne und wis-sen dabei ihre Körper vom Scheitel biszur Sohle als wunderbare Instrumenteeinzusetzen. Dabei können sie sichauch auf die – bis auf die Unterwäsche– zwischen allen Zeiten stehenden Kos-tüme von BAE-Präsidentin Rita Kusterverlassen.

Doch die Schauspieler müssen nichtalles alleine leisten: Der eigens für dieseProduktion zusammengestellte 24-köpfige Chor wirkt mal als Volk, mal alsVerstärkung, mal als Gegenüber der Fi-

guren. Dabei werden die Sängerinnenund Sänger von Herbert Renggli souve-rän geführt und die von Esther Bucherkomponierten Lieder tragen wesent-lich dazu bei, die Handlung auf derweiten Schüür-Bühne ganz nahe, ganzintim zu erleben.

Anspruchsvolle TheaterarbeitSo eigenwillig die sechs Figuren sind,die BAE-Schauspielerinnen undSchauspieler füllen ihre Rollen mit vielpersönlicher Färbung aus, stellen sichaber immer als Gesamtheit in denDienst der Geschichte. Dabei wurde ih-nen von der Luzerner Regisseurin si-cher einiges abverlangt. Die grosse Si-

cherheit und Präzision, mit der hier ge-spielt wird, zeugt von einer solidenTheaterarbeit, die bei einer Laiengrup-pe nur mit höchstem Einsatz und derUnterstützung des immensen Helfer-stabs möglich ist. Hier hat zudem eineGruppe zugunsten eines Stücks mitwenigen Sprechrollen auf individuelleSpielwünsche verzichtet; das verdientAnerkennung und Lob. Das Publikumerhält dadurch sehr dichte und nahr-hafte Theaterkost vorgesetzt.

Anlehnungen an AltmeisterA propos Kost: Dass der Mensch vor al-lem erst einmal seine leiblichen Be-dürfnisse gestillt haben will, bevor er

sich mit tieferen Gedanken beschäfti-gen mag, wird im Stück in Wort undGesang fast gebetsmühlenartig immerwieder in Erinnerung gerufen. Die Artund Weise aber, wie dies geschieht, istsowohl unterhaltsam wie tiefgründig.

Und hier steckt die grosse Qualitätdes Theatertextes von HansjörgSchneider, in dem die Regisseurin auchAnlehnungen an andere grosse Meisterdes Theaters wie Bertold Brecht oderÖdön von Horvath sieht. Die Dialekt-fassung von Kurt Bösch, die Musik unddie Inszenierung bringen dann diesenAllerweltsstoff auf die beschaulicheBühne auf Heiligkreuz – mitten in dasLeben des Publikums. Und wenn dieses

nach dem letzten Auftritt zufrieden indie stimmungsvoll dekorierte Theater-beiz geht, um sich mit Vergnügen eineErfrischung zu gönnen, dann gehenSpiel und Wirklichkeit ineinanderüber. Oder, wie es Bertold Brecht sei-nen «Musterganoven» Mackie Messersagen lässt: «Denn zuerst kommt dasFressen, dann die Moral.»

Nächste Aufführungen morgen 20 Uhr,Donnerstag 17 Uhr, Samstag 20 Uhr unddann jeweils Mittwoch, Freitag, Samstag bis13. Juni. Vorverkauf im Internet unter derAdresse www.buehne-amt-entlebuch odertelefonisch unter 041 484 24 01 (Montag10-11 und 19-20 Uhr, Mittwoch und Frei-tag 16.30-18 Uhr, Samstag 10-11 Uhr).

Denn zuerst kommt das Fressen, dann die MoralHeiligkreuz: Premiere der Bühne Amt Entlebuch mit dem Stück «Herz und Leber, Hund und Schwein» von Hansjörg Schneider

Ganoven, Gaukler und eingefrässiger OchseDie Komödie «Herz und Leber,Hund und Schwein» von HansjörgSchneider wurde 1990 uraufgeführt.Sie ist als Commedia dell’arte ge-schrieben, eine Theaterform, in derden Mächtigen in einer humoreskenWeise der Spiegel vorgehalten wur-de.

Zur Zeit der Entstehung desStücks war Organtransplantationund -handel ein grosses Thema. –Das gewählte Thema steht sinnbild-lich für andere grosse Krisen undKatastrophen der Menschheit.

In der Commedia dell’arte ge-winnen die «kleinen» Leute die Aus-einandersetzung mit den «grossen»,selten sehr nobel handelnden Mäch-tigen aber stets. Der Autor – den dasEntlebuch 2003 durch seinen «Bau-ernkrieg 1653» kennenlernen konn-te – vergleicht dies mit einem Kas-perlispiel. Auch in «Herz und Leber,Hund und Schwein» gelingt es demFlüchtlingspaar, die Mächtigen zuüberlisten. – Wie, das sei hier nichtverraten.

Eine Rolle darf aber nicht uner-wähnt bleiben: Es ist der strammeUwe, ein badischer Stier oder Ochseaus Bad Niederau, der gerne mehrAufmerksamkeit hätte und dabei fürwohltuende Auflockerung sorgt. Ei-ne kleine Theaterperle, die hervor-ragend in diese ach so weltliche Ko-mödie passt! [ms]

bei Elvira Plüss,Regisseurin

Elvira Plüss führte erstmals Regie beider Bühne Amt Entlebuch (BAE). DieLuzerner Theaterschaffende arbeitetseit vielen Jahren sowohl mit profes-sionellen wie mit Laientheatern.

Entlebucher Anzeiger: Wie sind Siedarauf gekommen, dieses Stück mitdem doch eigenartigen Titel mit derBAE zu inszenieren?Elvira Plüss: Wie haben sehr vieleStücke angeschaut und gelesen. DasStück «Herz und Leber, Hund undSchwein» von Hansjörg Schneider hatmir von Beginn weg gefallen: Es hat viel«Sprutz», Humor und ist gleichzeitigsehr tiefgründig und auch herausfor-dernd. Ich bin sehr glücklich, dass dieBAE dieses Stück gewählt hat.

EA: Der Autor behandelt darin The-men wie Organtransplantation, Im-migration und Fremdenfeindlichkeit.Das Ganze kommt aber als Komödiedaher. Lässt sich so die Tragweite die-ser grossen Themen überhaupt ver-

mitteln, dem Ernst dieser Sache ge-recht werden?Elvira Plüss: Der Autor hat diese Formgewählt und die Reaktionen zeigen, dasses möglich ist: Es kann viel gelacht wer-den, aber es gibt auch Momente, da wirdes ganz ruhig im Publikum. Es ist diesesHin und Her zwischen Humor undNachdenklichkeit, das dem Stück seineQualität gibt. Und der Autor will dasPublikum nicht zum einen oder ande-ren zwingen; weder zur reinen Unter-haltung noch zur moralischen Betrof-fenheit. Bei wem was wie anklingt, lässtder Autor offen und das wollten wirauch in dieser Inszenierung erreichen. –Es ist doch oft so, dass wir von einemMoment auf den anderen etwas zu la-chen haben und dann mit einer ganzernsten Angelegenheit konfrontiert sind.

EA: Das Stück ist eine Commediadell’arte. Sie lassen den Figuren ihreNamen, verzichten aber auf die fürdiese Theaterform typischen Kostü-me, Masken und Umgebung und set-zen die Handlung an einen Ort, derunserer Gegend sehr nahe kommt.Haben Sie die Handlung ins Entle-buch verlegt?Elvira Plüss: Es ist nicht ein bestimm-ter Ort, eine bestimmte Gegend, diehier dargestellt wird. Es geht in diesemStück um den für uns, meine ich, bei-

nahe unvorstellbaren Gegensatz vonArm und Reich. Es gibt auf dieser WeltArmut und Not, die unfassbar sind.Dieser Not wird im Stück eine Gesell-schaft, die «hat», gegenübergestellt.Das Zusammentreffen dieser beidenWelten geschieht an ganz vielen Orten.In der Schweiz, im Entlebuch, aber beiWeitem nicht nur hier. Dieser Konfliktgeht immer weiter, was im Text auchangedeutet ist. Dass solche Dinge auchbei uns in Wirklichkeit stattfinden unddie Position von Schwachen mit un-glaublicher Schamlosigkeit ausgenütztwird, das lässt sich ja Tag für Tag beob-achten. Dazu braucht es im Theater garkeine genaue Benennung von Orten,Personen oder Ereignissen.

EA: Und am Schluss verlässt das Pub-likum belustigt den Saal…Elvira Plüss: Warum nicht? Das Stückhat Saft und Kraft, ist viel mehr alsblosse Unterhaltung. Hier wird sozusa-gen eine Landkarte von Gut und Böseausgelegt, das will zum Nachdenkenanregen. Ich will im Theater nieman-den zur Betroffenheit verknurren.Wenn etwas zur Auseinandersetzunganregt: gut. Wenn es ein vergnüglicherAbend ist: auch gut. Wenn beides ge-schieht, bin ich sehr glücklich und wirhaben erreicht, was der Autor ausdrü-cken wollte. [Interview ms.]

Wie eine Landkarte von Gut und Bösegefragt…nach

Da fragen sich Arlecchino (Philipp Méroz, grosses Bild, links), Capitano (Kurt Erni) und Lina (Paula Scherer), was hier wohl angerichtet wurde. Der Chor unter der Leitungvon Herbert Renggli (Bild oben, rechts) hat wesentlichen Anteil am Geschehen. Die Mächtigen werden am Ende geschlagen dastehen (unten, von links): Pantalone (WillyPortmann) und Dottore (Richard Portmann), beobachtet von Capitano. [Bilder Alphonse Teufer]