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D I E W O RT S T E L L U N G I M M I T T E L F E L D Nichts ist unmöglich?! Izolda Schylol Sören Schalowski Marius Nowacki Katrzyna Gawron Institut für deutsche Sprache und Linguistik HS Korpuslinguistik im SoSe 2005 Theoretische Grundlagen zum Mittelfeld (MF): Im Mittelfeld (MF) deutscher Sätze, also dem Bereich zwischen den beiden verbalen Klammern, (1) Abbildung des topologischen Modells Vorfeld Linke Satzklammer Mittelfeld Rechte Satzklammer Nachfeld weil (Fritz)(der Maria)(das Buch)(gestern)(im Garten) schenkte ist die Wortstellung relativ frei, d.h. ohne Uminterpretation der grammatischen Funktion oder der semantischen Rollen variabel. (2) (i) Ich habe (dem Studenten) (gestern) (das Buch) gegeben (ii) Ich habe das (Buch) (gestern) (dem Studenten) gegeben (iii) Ich habe (gestern) (dem Studenten) (das Buch) gegeben Eine “feste” Satzgliedstellung hingegen bedeutet, dass eine Änderung der Satzgliedfolge entsprechend eine Änderung der semantischen Rollen und der syntaktischen Funktionen von Konstituenten bewirkt oder zur Ungrammatikalität führt. (3) (i) Immer verführen die Frauen (Subj.) die Männer (Akk. Obj.) unmarkierte Lesart (ii) Immer verführen die Männer (Subj.) die Frauen (Akk. Obj.) unmarkierte Lesart Die Beispiele in (3) legen die Vermutung nahe, dass keine uneingeschränkten Freiräume der Abfolgevariationen vorliegen. Daher wird die Satzgliedfolge im MF deutscher Sätze als Mischtyp von freier und fester Satzgliedstellung beschrieben. Die Diskussion über die Abfolgemöglichkeiten der Satzglieder stellt die Frage nach der Existenz einer “normalen”, “unmarkierten” Abfolge, aus der alle davon abweichenden Abfolgen abgeleitet werden können. Dabei stellen sich mehrere Positionen heraus deren gemeinsamer Nenner die Annahme zu sein scheint, dass die normale Satzgliedabfolge diejenige ist, die am universellsten einsetzbar, also so wenig wie möglich restriktiv ist. Bedingungen für bestimmte Abfolgen werden als Kriterium für Markiertheit angesehen. “Wenn zwei Satzglieder A und B sowohl in der Abfolge A-B wie in der Abfolge B-A auftreten können, und wenn B-A nur unter bestimmten testbaren Bedingungen auftreten kann, denen A-B nicht unterliegt, dann ist A-B die ʻunmarkierte Abfolgeʼ und B-A die ʻmarkierte Abfolgeʼ.” (Lenerz 1977) So könnten die Sätze in (3) nur dann den selben Bedeutungsgehalt aufweisen, wenn man das Akzentmuster in (3-ii) ändert und somit die Lesart markiert. Lenerz (1977) führt an, dass durch eine geeignete Betonung fast jede Abfolge stilistisch akzeptabel gemacht werden kann. Es scheint nun für das MF so zu sein, dass nicht alle mathematisch möglichen Kombinationen der Satzglieder praktikabel sind. Eine Konstituentenfolge wie in (1) mit fünf Konstituenten im MF erlaubt insgesamt 5!, also 120 mögliche Stellungsvarianten, von denen nicht alle gleich akzeptabel sind (4) ?weil das Buch gestern der Maria Fritz im Garten schenkte und einige sogar Ambiguitäten aufbauen. (5) weil Fritz gestern im Garten (das Buch der Maria) schenkte. Es scheint also Bedingungen bzw. Beschränkungen (constraints) zu geben, die die Abfolge von Satzglieder im MF deutscher Sätze regeln, so dass die Konstituenten in einer wohl präferierten Reihenfolge stehen. (6) (i) Ich sah, dass (die Oma) (rote Backen) bekommen hat (ii) ?Ich sah, dass (rote Backen) (die Oma) bekommen hat Die wissenschaftliche Diskussion über die Formulierung dieser Tendenzen ist allerdings nicht unumstritten. Die relevanten werden im folgenden genannt und sind aus Lenerz (1977) und Altmann/Hofmann (2004) entnommen. Die im Mittelfeld geltenden Constraints: In der Literatur wird eine Vielzahl von Tendenzen genannt, die die Wortabfolge im Mittelfeld beeinflussen. Unklarheit herrscht allerdings darüber, wie stark bzw. relevant die einzelnen Faktoren sind. (7) bis (14) sollen ein paar einschlägige Constraints illustrieren (Lenerz 1977 ; Altmann & Hofmann 2004): (7)Subjekt vor Objekt dass Peter die Nudeln kocht vs. dass die Nudeln Peter kocht (8) Thema vor Rhema (Rhema durch () hervorgehoben) Was hat Hans gesehen? Ich denke, dass Hans (das Spiel) gesehen hat vs. dass (das Spiel) Hans gesehen hat (9) unakzentuiertes vor akzentuiertem Satzglied (Akzent durch () markiert) Schenkst du dem Staat (das Geld)? vs. Schenkst du (das Geld) dem Staat? (10) Pronomen vor voller NP weil er die Frau sieht vs. weil die Frau er sieht (11) definites vor nicht-definitem Satzglied Schenkst du dem Kind ein Buch? vs. Schenkst du ein Buch dem Kind? (12) belebt vor unbelebt weil er das Kind der Kälte ausgesetzt hat vs. weil er der Kälte das Kind ausgesetzt hat (13) Dativ- vor Akkusativ-NP weil die Frau dem Mann den Freund vorstellt vs. weil die Frau den Freund dem Mann vorstellt (14) Gesetz der wachsenden Glieder Es besteht die stilistische Tendenz, bei zwei Satzgliedern die Reihenfolge herzustellen, in der das gewichtigste Satzglied (Zahl der Silben) an zweiter Stelle steht. Die Anforderungen an ein optimales Korpus: Um nun ermitteln zu können, ob die im Mittelfeld geltenden Beschränkungen/Tendenzen für ein betreffendes Korpus eingehalten oder verletzt werden, muss das Korpus auf verschiedenen Ebenen annotiert bzw. vorverarbeitet sein, damit man es überprüfen kann. Für die oben angeführten Tendenzen würde dies Folgendes bedeuten: (15) Annotationsebenen für die Überprüfung der MF-Beschränkungen Der folgenden Analyse liegt das TIGER-Korpus zugrunde, da es durch seine verschiedenen Annotationsebenen die Möglichkeit der teilweisen Überprüfung der Beschränkungen bietet. Ein Teil der Constraints muss allerdings aus der Untersuchung ausgeklammert werden, da die dafür benötigten Annotationsebenen nicht vorliegen. So ist z.B. die Intonation im TIGER-Korpus nicht annotiert, da es sich um Zeitungstexte handelt. Die Bereiche, die untersucht werden, sind in (15) blau hinterlegt. Das TIGER-Korpus: Das TIGER-Korpus bietet die Möglichkeit, bestimmte syntaktische Strukturen zu untersuchen, da es mit Syntaxgraphen annotiert wurde, die sowohl Strukturen ganzer Sätze, als auch einzelner Phrasen vergeben. Es handelt sich bei diesem Korpus also um eine s.g. Baumbank. Das TIGER-Projekt wurde von den Universitäten Stuttgart, Saarbrücken und Potsdam entwickelt und hat Zeitungstexte der “Frankfurter Rundschau” als Textbasis. Es baut auf das NEGRA-Korpus auf. Das erste Release wurde 2003 veröffentlicht und besteht aus 40.000 Sätzen (ca. 700.000 Token). Die durchschnittliche Satzlänge beträgt 17,8 Token. Das Part-of-Speech-Tagging wurde nach dem STTS (Stuttgart-Tübingen-Tagset) vorgenommen. Die Annotation auf Morphologie- und Lemmaebene ist für die zweite Version in Arbeit und noch nicht öffentlich zugänglich. Die für die Wortstellung im Mittelfeld wichtige syntaktische Annotation beinhaltet Knotenlabel für die Phrasenstruktur und die syntaktische Kategorie (z.B. NP) und Kantenlabel für die Funktion (z.B. DA). Ein Beispiel für die flachen syntaktischen Strukturen, wie sie in TIGERGraphViewer angezeigt werden, wird in (16) gegeben: (16) Abbildung eines TIGER-Graphen Die Korpusanalyse mit TIGER: Diese Korpusanalyse beschränkt sich auf eine Untersuchung der Constraints, die die Abfolge von Subjekt, Objekt(en) und Pronomen regieren. Unter besonderer Berücksichtigung steht dabei die Abfolge von Akkusativ- und Dativobjekt im Mittelfeld. Als Grundlage für die Analyse dienen Hauptsätze mit synthetischer Verbform (also ohne Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I und II) und in einigen Fällen Nebensätze mir subordinierender Konjunktion und ebenfalls synthetischer Verbform. Sätze mit analytischen Verbformen sind nicht mit eingeflossen, da das TIGER-Korpus aus Zeitungstexten der “Frankfurter Rundschau” besteht und analytischer Verbformen seltener vorzukommen scheinen. Zur Durchsuchung des Korpus gibt es TIGERSearch, was eine relativ leicht zu bedienende Benutzeroberfläche bietet. Es eröffnet zum einen die Möglichkeit einer graphischen Abfrage (TIGERin), in der man die Struktur, die man sucht, in Form von Syntaxgraphen abfragen kann, und zum anderen einer textuellen Abfrage. Die Ergebnisse werden dann in TIGERGraphViewer angezeigt. Beispiel für eine Korpusabfrage: Suche nach Akkusativ- vor Dativobjekt im Mittelfeld Suche über textuelle Abfrage Ergebnisse im TIGERGraphViewer Export der Ergebnisse 1. Überprüfung der Beschränkung Subjekt vor Objekt im Mittelfeld Insgesamt eine fast zweieinhalb mal höhere Trefferzahl (für das generelle Vorkommen von Subjekt und Objekt im Mittelfeld) in Nebensätzen mit subordinierender Konjunktion und synthetischer Verbform (NS; n= 3229) als in Hauptsätzen mit synthetischer Verbform (HS; n= 1338). Subjekt vor Objekt erweist sich in beiden Fällen (Haupt- und Nebensatz) als die am häugsten auftretende (unmarkierte) Reihenfolge: HS: n=1119 (83,63%); NS: n= 2438 (75,5%). Bsp. aus TIGER: Fast im ganzen Land gaben (die Wähler (SUBJ)) (unabhängigen Kandidaten (DAT)) (den Vorzug (AKK)). Objekt vor Subjekt” ist als markierte und seltener vorkommende (in Bezug auf das untersuchte Korpus!) Reihenfolge zu betrachten und tritt in Nebensätzen signikant häuger auf, als in Hauptsätzen: HS: n= 219 (16,37%); NS: n= 791 (24,5%) Ein Beispiel für Objekt vor Subjekt im Nebensatz wird im obigen Syntaxgraphen gegeben 2. Überprüfung der Beschränkung Dativ- vor Akkusativ-NP im Mittelfeld In diesem Fall wurde überprüft, wie oft Akkusativ- und Dativobjekt im Mittelfeld vorkommen. Insgesamt eine fast dreimal höhere Trefferzahl in Hauptsätzen (HS; n= 110) als in Nebensätzen (NS; n= 39). Dativ-NP vor Akkusativ-NP ist in beiden Fällen die am häugsten auftretende unmarkierte Reihenfolge: HS: n= 100 (90,91%); NS: n= 38 (97,44%) Bsp. aus TIGER: Wie seine Kollegen in Frankfurt und Leverkusen stellt BASF-Chef Jürgen Strube (seinen Aktionären (DAT)) (eine höhere Dividende (AKK)) in Aussicht. Akkusativ- vor Dativ-NP wird als markiert bewertet und taucht im Nebensatz auch nur einmal auf: HS: n=10 (9,09%); NS: n=1 (2,56%) Bsp. aus TIGER für einen HS: Die Richter teilten die Bedenken und legten (den Fall (AKK)) im Dezember 1993 (dem EuGH (DAT)) vor. 3. Überprüfung der Beschränkung Pronomen vor voller NP im Mittelfeld Die beiden vorherigen Analysen bezogen sich immer auf phrasale Konstituenten. Hier ießt nun erstmals der Faktor der Pronominalität mit ein. Ausgeklammert wurde hier das “Platzhalter- es”. In Hauptsätzen, in denen eine pronominale und eine phrasale Konstituente vorkommen, steht die pronominale Konstituente in 63,08% (n=615) aller Vorkommen (n=975) vor der vollen (phrasalen) NP. Ein Beispiel für eine solche Konstituentenabfolge sieht man im Baumdiagramm: Mehrere Redner schrieben (das (PDS = substituierendes Demonstrativpronomen)) (seiner Mehrdeutigkeit (NP-Dativ)) zu. In 36,92% (n=360) steht allerdings in Hauptsätzen die phrasale NP vor der pronominalen Konstituente (markierte Abfolge), was nicht unbedingt für die stärke der Tendenz Pronomen vor voller NP spricht. Ein Beispiel für eine solche markierte Abfolge wäre: Der Kollege teilt dem Freund ihn (den Beschluss) nicht gerne mit. (nicht aus TIGER). Interessant wäre auch eine Untersuchung darüber, wie die Abfolge im Fall von zwei oder drei Pronomen geregelt wird: (17) (i) Ich weiß, dass der Kollege dem Freund den Beschluss nicht gerne mitteilt. (Subj. < Dat.Obj. < Akk.Obj.) (ii) ? Ich weiß, dass er ihm ihn nicht gerne mitteilt. (Subj. < Dat.Obj. < Akk.Obj.) (iii) Ich weiß, dass er ihn ihm nicht gerne mitteilt. (Subj. < Akk.Obj. < Dat.Obj.) Wenn man sich klassisch an der Introspektion orientiert, scheint es so zu sein, dass das Subjekt auch hier (wie in (1.) für Phrasen gezeigt) vor allen Argumenten realisiert werden möchte. Es wäre nun interessant, in einem Korpus zu untersuchen, wie oft die pronominalen Objekte in der Reihenfolge Dat. < Akk., die als markiert und evtl. auch als ungrammatisch gilt, oder in der Linearisierung Akk. < Dat. vorkommen. Um nun auch die Interaktion von Prinzipien (wie häug in der Literatur beschrieben; Lenerz 1977) in einem Korpus zu untersuchen, wurden für die Abfrage, deren Ergebnis in dem linken Diagramm zu sehen ist, die Tendenzen Dativ-NP vor Akkusativ-NP und Pronomen vor voller NP kombiniert. In 84% (n=21) aller Fälle (n=25) war im Hauptsatz nun ein pronominaler Dativ vor einem phrasalen Akkusativ auszumachen. Es wurden also beide Tendenzen - Dativ < Akkusativ und Pronomen < voller NP - , die im Mittelfeld zu gelten scheinen, erfüllt. Die Beschränkung Dativ < Akkusativ wurde 12% der Fälle nicht eingehalten, dafür aber die Pronomen-Beschränkung. Dort stand also ein pronominaler Akkusativ vor einem phrasalen Dativ: Bsp. aus TIGER: Mehrere Redner schrieben (das (Pron. Akk.)) (seiner Mehrdeutigkeit (Dativ-NP)) zu. Der Fall, dass beide Beschränkungen nicht eingehalten werden, trat nur einmal auf (4% der Fälle) und wirkte auch ungrammatisch. (Leider wurde versäumt diesen Satz aus dem Korpus zu exportieren) Durch diese Untersuchung scheint man Evidenz dafür zu bekommen, dass die pronominale Konstituente, sei sie nun Akkusativ oder Dativ, vor der phrasalen realisiert wird, auch wenn dadurch die Bedingung Dativ < Akkusativ verletzt werden sollte. Bei der Abfrage wurde kein phrasaler Dativ vor einem pronominalen Akkusativ gefunden. Zusammenfassung der Ergebnisse: Wichtig ist, an dieser Stelle nochmals zu erwähnen, dass sich die formulierten Aussagen nur auf das Korpus beziehen, das dieser Analyse zugrunde liegt. Aussagen können dabei über die Graduiertheit der im Mittelfeld geltenden Beschränkungen gemacht werden, aber keinesfalls über deren Grammatikalität. Die hier präsentierten Ergebnisse repräsentieren nicht die Wortstellung im Mittelfeld des Deutschen allgemein. Es ist zum Beispiel zu vermuten, dass in Bezug auf geschriebene und gesprochene Sprache eine relativ große Diskrepanz zwischen den Abfolgetendenzen und deren Gewichtung besteht, die im Rahmen dieser Untersuchung allerdings nicht herausgestellt werden konnte, da das TIGER-Korpus keine gesprochene Sprache beinhaltet. Was die grammatische Funktion der einzelnen Satzglieder betrifft, so wurde gezeigt, dass die unmarkierte Abfolge Subjekt vor Objekt im Nebensatz etwas weniger restringiert ist. Die Tendenz scheint dort etwas schwächer zu sein als im Hauptsatz, wodurch die markierte Reihenfolge Objekt vor Subjekt im Nebensatz eher möglich ist. Die Tendenz Dativ-Obj. vor Akkusativ-Obj. scheint in Nebensätzen mit subordinierender Konjunktion relativ stark zu wirken, da die markierte Abfolge nur einmal vorkam. In Hauptsätzen hingegen scheint sie weniger restringiert zu sein. Bei der Überprüfung der Tendenz, dass eine pronominale Konstituente vor einer phrasalen stehen sollte, gab es erstaunlich viele Treffer, bei denen dies nicht der Fall war und die markierte Abfolge auftrat. Die Pronominalität schient auch einen Hinweis auf das “Gesetz der wachsenden Glieder” zu sein, da Pronomen meist eine geringe Silbenzahl haben. Zu verweisen wäre hier auch noch auf die Thema-/Rhema- bzw. die Fokus-/Hintergrund-Bedingung, da Pronomen oft Träger einer bereits bekannten Information sind (Hintergrund, Thema), die im MF eher vorne steht. Bei der Interaktion zweier Prinzipien ( Dativ-Obj. vor Akkusativ-Obj. und Pronomen vor voller NP ) war in Hauptsätzen die Tendenz zu beobachten, dass die unmarkierte Abfolge, also die Erfüllung beider Tendenzen, am häugsten vorkam. Der Fall, dass beide Beschränkungen verletzt wurden, trat nur einmal auf. Die pronominale Konstituente, sei sie nun Dativ oder Akkusativ, wird bevorzugt vor der phrasalen realisiert. Gerade in Bezug auf die zuletzt gemachte Beobachtung wäre für die Wortstellung nominaler Elemente im Mittelfeld weiter zu betrachten, ob es eine Hierarchie der einzelnen Faktoren gibt, ob also eine Verletzung der einen Tendenz eher toleriert wird, wenn man dafür einen andere einhält, die in dieser Hierarchie weiter oben steht. Dazu leisten die in der Einleistung angesprochenen Gewichtungs- und Interaktionsmodelle einen wesentlichen Beitrag. Auch unter Bezug auf die Optimalitätstheorie (OT) wird versucht, Klarheit herbeizuführen. Dafür musste allerdings die klassische OT, die nur einen grammatischen Kandidaten zulässt und alle anderen ausschließt, modiziert werden und dabei auch auf den Begriff der “Markiertheit” zurückgreifen. Unter normativen Gesichtspunkten (grammatisch vs. ungrammatisch) ist die Variation der einzelnen Abfolgemöglichkeiten im Mittelfeld mitunter schwer zu erfassen, da dabei u.a. geklärt werden müsste, warum die eine Abfolge häuger auftritt als die andere (Subj. vor Obj. /Obj. vor Subj.) und warum es überhaupt mehrere Möglichkeiten gibt. Auch wenn sich die hier durchgeführte Korpusanalyse nur auf einen kleinen Teil der Mittelfeldtendenzen beschränkt, so könnte man zu diesem Zeitpunkt vielleicht die Hypothese äußern, dass im Mittelfeld nicht alles möglich zu sein scheint. Bibliographie: Altmann, Hans & Hofmann, Ute (2004): Topologie fürs Examen. Westdeutscher Verlag, Opladen. Eisenberg, Peter (1999): Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Metzler, Stuttgart. Heylen, Kris & Speelmann, Dirk (2003): A corpus-based analysis of word-order variation: the order of verb arguments in the German middle eld. In: D. Archer et al. eds., Proceedings of the Corpus Linguistics 2003 conference. pp. 320-329. Hoberg, Ursula (1981): Die Wortstellung in der geschriebenen deutschen Gegenwartssprache. Hueer, München. Höhle, Tilman (1982): Explikation für “normale Betonung” und “normale Wortstellung”. In: Abraham, Werner (ed.): Satzglieder im Deutschen. Narr, Tübingen, 75-153. Lenerz, Jürgen (1977): Zur Abfolge nominaler Satzglieder im Deutschen. Narr, Tübingen. TIGER-Korpus: http://www.ims.uni-stuttgart.de/projekte/TIGER/TIGERCorpus/ Beschränkungen für das Mittelfeld Annotationsebene des Korpus' Subjekt vor Objekt Morphologie, Syntax (Kantenlabel) Thema vor Rhema Pragmatik (Informationsstruktur) unakzentuiertes vor akzentuiertem Satzglied Phonologie (Betonungsmuster) Pronomen vor voller NP Part-of-Speech denites vor nicht-denitem Satzglied Morphologie, Part-of-Speech, Pragmatik (Informationsstruktur) belebt vor unbelebt Semantik Dativ- vor Akkusativ-NP Morphologie, Syntax (Kantenlabel) Gesetz der wachsenden Glieder Morphosyntax, Konstituentenlänge Subjekt und Objekt im Mittelfeld 2438 1119 791 219 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 HS NS Anzahl der Treffer Subjekt vorne Subjekt hinten 3229 1338 "markierte" Abfolge "markierte" Abfolge / 16,37% / 75,5% / 24,5% / 83,63% Akkusativ- und Dativobjekt im Mittelfeld 100 38 1 10 0 20 40 60 80 100 120 HS NS Anzahl der Treffer Dativ-NP vor Akkusativ-NP Akkusativ-NP vor Dativ-NP 110 39 /9,09% /90,91% /2,56% /97,44% "markierte" Abfolge "markierte" Abfolge Hauptsätze in denen eine pronominale und eine phrasale Konstituente vorkommen (n=975) 360/ 36,92% 615/ 63,08% Pronomen vor Voll-NP Voll-NP vor Pronomen Hauptsätze in denen pronominale und phrasale Akkusativ- und Dativobjekte vorkommen (n=25) 3/12% 1/4% 21/84% pronom. Dativ vor phrasal. Akkusativ pronom. Akkusativ vor phrasal. Dativ phrasal. Akkusativ vor pronom. Dativ

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Page 1: DIE WORTSTELLUNG IM MITTELFELD - hu-berlin.de · 2009-06-08 · DIE WORTSTELLUNG IM MITTELFELD Nichts ist unmöglich?! Izolda Schylol | Sören Schalowski | Marius Nowacki |

D I E W O R T S T E L L U N G I M M I T T E L F E L DN i c h t s i s t u n m ö g l i c h ? !

Izolda Schylol | Sören Schalowski | Marius Nowacki | Katrzyna Gawron | Institut für deutsche Sprache und Linguistik | HS Korpuslinguistik im SoSe 2005

Theoretische Grundlagen zum Mittelfeld (MF):

Im Mittelfeld (MF) deutscher Sätze, also dem Bereich zwischen den beiden verbalen Klammern,

(1) Abbildung des topologischen Modells

Vorfeld Linke

Satzklammer

Mittelfeld Rechte

Satzklammer

Nachfeld

weil (Fritz)(der Maria)(das Buch)(gestern)(im Garten)

schenkte

ist die Wortstellung relativ frei, d.h. ohne Uminterpretation der grammatischen Funktion oder der semantischen Rollen

variabel.

(2) (i) Ich habe (dem Studenten) (gestern) (das Buch) gegeben

(ii) Ich habe das (Buch) (gestern) (dem Studenten) gegeben

(iii) Ich habe (gestern) (dem Studenten) (das Buch) gegeben

Eine “feste” Satzgliedstellung hingegen bedeutet, dass eine Änderung der Satzgliedfolge entsprechend eine Änderung der

semantischen Rollen und der syntaktischen Funktionen von Konstituenten bewirkt oder zur Ungrammatikalität führt.

(3) (i) Immer verführen die Frauen (Subj.) die Männer (Akk. Obj.) unmarkierte Lesart

(ii) Immer verführen die Männer (Subj.) die Frauen (Akk. Obj.) unmarkierte Lesart

Die Beispiele in (3) legen die Vermutung nahe, dass keine uneingeschränkten Freiräume der Abfolgevariationen vorliegen.

Daher wird die Satzgliedfolge im MF deutscher Sätze als Mischtyp von freier und fester Satzgliedstellung beschrieben. Die

Diskussion über die Abfolgemöglichkeiten der Satzglieder stellt die Frage nach der Existenz einer “normalen”,

“unmarkierten” Abfolge, aus der alle davon abweichenden Abfolgen abgeleitet werden können. Dabei stellen sich mehrere

Positionen heraus deren gemeinsamer Nenner die Annahme zu sein scheint, dass die normale Satzgliedabfolge diejenige

ist, die am universellsten einsetzbar, also so wenig wie möglich restriktiv ist. Bedingungen für bestimmte Abfolgen werden

als Kriterium für Markiertheit angesehen.

“Wenn zwei Satzglieder A und B sowohl in der Abfolge A-B wie in der Abfolge B-A auftreten können, und wenn B-A nur

unter bestimmten testbaren Bedingungen auftreten kann, denen A-B nicht unterliegt, dann ist A-B die ʻunmarkierte Abfolgeʼ

und B-A die ʻmarkierte Abfolgeʼ.” (Lenerz 1977)

So könnten die Sätze in (3) nur dann den selben Bedeutungsgehalt aufweisen, wenn man das Akzentmuster in (3-ii)

ändert und somit die Lesart markiert. Lenerz (1977) führt an, dass durch eine geeignete Betonung fast jede Abfolge

stilistisch akzeptabel gemacht werden kann.

Es scheint nun für das MF so zu sein, dass nicht alle mathematisch möglichen Kombinationen der Satzglieder praktikabel

sind. Eine Konstituentenfolge wie in (1) mit fünf Konstituenten im MF erlaubt insgesamt 5!, also 120 mögliche

Stellungsvarianten, von denen nicht alle gleich akzeptabel sind

(4) ?weil das Buch gestern der Maria Fritz im Garten schenkte

und einige sogar Ambiguitäten aufbauen.

(5) weil Fritz gestern im Garten (das Buch der Maria) schenkte.

Es scheint also Bedingungen bzw. Beschränkungen (constraints) zu geben, die die Abfolge von Satzglieder im MF

deutscher Sätze regeln, so dass die Konstituenten in einer wohl präferierten Reihenfolge stehen.

(6) (i) Ich sah, dass (die Oma) (rote Backen) bekommen hat

(ii) ?Ich sah, dass (rote Backen) (die Oma) bekommen hat

Die wissenschaftliche Diskussion über die Formulierung dieser Tendenzen ist allerdings nicht unumstritten. Die relevanten

werden im folgenden genannt und sind aus Lenerz (1977) und Altmann/Hofmann (2004) entnommen.

Die im Mittelfeld geltenden Constraints:In der Literatur wird eine Vielzahl von Tendenzen genannt, die die Wortabfolge im Mittelfeld beeinflussen. Unklarheit

herrscht allerdings darüber, wie stark bzw. relevant die einzelnen Faktoren sind. (7) bis (14) sollen ein paar einschlägige

Constraints illustrieren (Lenerz 1977 ; Altmann & Hofmann 2004):

(7)Subjekt vor Objekt

dass Peter die Nudeln kocht vs. dass die Nudeln Peter kocht

(8) Thema vor Rhema (Rhema durch () hervorgehoben)

Was hat Hans gesehen?

Ich denke, dass Hans (das Spiel) gesehen hat vs. dass (das Spiel) Hans gesehen hat

(9) unakzentuiertes vor akzentuiertem Satzglied (Akzent durch () markiert)

Schenkst du dem Staat (das Geld)? vs. Schenkst du (das Geld) dem Staat?

(10) Pronomen vor voller NP

weil er die Frau sieht vs. weil die Frau er sieht

(11) definites vor nicht-definitem Satzglied

Schenkst du dem Kind ein Buch? vs. Schenkst du ein Buch dem Kind?

(12) belebt vor unbelebt

weil er das Kind der Kälte ausgesetzt hat vs. weil er der Kälte das Kind ausgesetzt hat

(13) Dativ- vor Akkusativ-NP

weil die Frau dem Mann den Freund vorstellt vs. weil die Frau den Freund dem Mann vorstellt

(14) Gesetz der wachsenden Glieder

Es besteht die stilistische Tendenz, bei zwei Satzgliedern die Reihenfolge herzustellen, in der das gewichtigste Satzglied (Zahl der Silben) an zweiter Stelle steht.

Die Anforderungen an ein optimales Korpus:Um nun ermitteln zu können, ob die im Mittelfeld geltenden Beschränkungen/Tendenzen für ein betreffendes Korpus

eingehalten oder verletzt werden, muss das Korpus auf verschiedenen Ebenen annotiert bzw. vorverarbeitet sein, damit

man es überprüfen kann. Für die oben angeführten Tendenzen würde dies Folgendes bedeuten:

(15) Annotationsebenen für die Überprüfung der MF-Beschränkungen

Der folgenden Analyse liegt das TIGER-Korpus zugrunde, da es durch seine verschiedenen Annotationsebenen die

Möglichkeit der teilweisen Überprüfung der Beschränkungen bietet. Ein Teil der Constraints muss allerdings aus der

Untersuchung ausgeklammert werden, da die dafür benötigten Annotationsebenen nicht vorliegen. So ist z.B. die

Intonation im TIGER-Korpus nicht annotiert, da es sich um Zeitungstexte handelt. Die Bereiche, die untersucht werden,

sind in (15) blau hinterlegt.

Das TIGER-Korpus:

Das TIGER-Korpus bietet die Möglichkeit, bestimmte syntaktische Strukturen zu untersuchen, da es mit Syntaxgraphen

annotiert wurde, die sowohl Strukturen ganzer Sätze, als auch einzelner Phrasen vergeben. Es handelt sich bei diesem

Korpus also um eine s.g. Baumbank. Das TIGER-Projekt wurde von den Universitäten Stuttgart, Saarbrücken und

Potsdam entwickelt und hat Zeitungstexte der “Frankfurter Rundschau” als Textbasis. Es baut auf das NEGRA-Korpus

auf. Das erste Release wurde 2003 veröffentlicht und besteht aus 40.000 Sätzen (ca. 700.000 Token). Die

durchschnittliche Satzlänge beträgt 17,8 Token. Das Part-of-Speech-Tagging wurde nach dem STTS

(Stuttgart-Tübingen-Tagset) vorgenommen. Die Annotation auf Morphologie- und Lemmaebene ist für die zweite

Version in Arbeit und noch nicht öffentlich zugänglich. Die für die Wortstellung im Mittelfeld wichtige syntaktische

Annotation beinhaltet Knotenlabel für die Phrasenstruktur und die syntaktische Kategorie (z.B. NP) und Kantenlabel für

die Funktion (z.B. DA). Ein Beispiel für die flachen syntaktischen Strukturen, wie sie in TIGERGraphViewer angezeigt

werden, wird in (16) gegeben:

(16) Abbildung eines TIGER-Graphen

Die Korpusanalyse mit TIGER:Diese Korpusanalyse beschränkt sich auf eine Untersuchung der Constraints, die die Abfolge von Subjekt, Objekt(en) und Pronomen regieren. Unter besonderer Berücksichtigung steht

dabei die Abfolge von Akkusativ- und Dativobjekt im Mittelfeld. Als Grundlage für die Analyse dienen Hauptsätze mit synthetischer Verbform (also ohne Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I

und II) und in einigen Fällen Nebensätze mir subordinierender Konjunktion und ebenfalls synthetischer Verbform. Sätze mit analytischen Verbformen sind nicht mit eingeflossen, da das

TIGER-Korpus aus Zeitungstexten der “Frankfurter Rundschau” besteht und analytischer Verbformen seltener vorzukommen scheinen.

Zur Durchsuchung des Korpus gibt es TIGERSearch, was eine relativ leicht zu bedienende Benutzeroberfläche bietet. Es eröffnet zum einen die Möglichkeit einer graphischen Abfrage

(TIGERin), in der man die Struktur, die man sucht, in Form von Syntaxgraphen abfragen kann, und zum anderen einer textuellen Abfrage. Die Ergebnisse werden dann in

TIGERGraphViewer angezeigt.

Beispiel für eine Korpusabfrage:

Suche nach Akkusativ- vor Dativobjekt im Mittelfeld

• Suche über textuelle Abfrage

Ergebnisse im TIGERGraphViewer

Export der Ergebnisse

1. Überprüfung der Beschränkung Subjekt vor Objekt im Mittelfeld

Insgesamt eine fast zweieinhalb mal höhere Trefferzahl (für das generelle Vorkommen von Subjekt und Objekt im Mittelfeld) in Nebensätzen mit subordinierender Konjunktion und

synthetischer Verbform (NS; n= 3229) als in Hauptsätzen mit synthetischer Verbform (HS; n= 1338).

Subjekt vor Objekt erweist sich in beiden Fällen (Haupt- und Nebensatz) als die am häufigsten auftretende (unmarkierte) Reihenfolge:

HS: n=1119 (83,63%); NS: n= 2438 (75,5%).

Bsp. aus TIGER: Fast im ganzen Land gaben (die Wähler (SUBJ)) (unabhängigen Kandidaten (DAT)) (den Vorzug (AKK)).

Objekt vor Subjekt” ist als markierte und seltener vorkommende (in Bezug auf das untersuchte Korpus!) Reihenfolge zu betrachten und tritt in Nebensätzen signifikant häufiger auf, als in

Hauptsätzen:

HS: n= 219 (16,37%); NS: n= 791 (24,5%)

Ein Beispiel für Objekt vor Subjekt im Nebensatz wird im obigen Syntaxgraphen gegeben

2. Überprüfung der Beschränkung Dativ- vor Akkusativ-NP im Mittelfeld

In diesem Fall wurde überprüft, wie oft Akkusativ- und Dativobjekt im Mittelfeld vorkommen.

Insgesamt eine fast dreimal höhere Trefferzahl in Hauptsätzen (HS; n= 110) als in Nebensätzen (NS; n=

39).

Dativ-NP vor Akkusativ-NP ist in beiden Fällen die am häufigsten auftretende unmarkierte Reihenfolge:

HS: n= 100 (90,91%); NS: n= 38 (97,44%)

Bsp. aus TIGER: Wie seine Kollegen in Frankfurt und Leverkusen stellt BASF-Chef Jürgen Strube (seinen

Aktionären (DAT)) (eine höhere Dividende (AKK)) in Aussicht.

Akkusativ- vor Dativ-NP wird als markiert bewertet und taucht im Nebensatz auch nur einmal auf:

HS: n=10 (9,09%); NS: n=1 (2,56%)

Bsp. aus TIGER für einen HS: Die Richter teilten die Bedenken und legten (den Fall (AKK)) im Dezember

1993 (dem EuGH (DAT)) vor.

3. Überprüfung der Beschränkung Pronomen vor voller NP im Mittelfeld

Die beiden vorherigen Analysen bezogen sich immer auf phrasale Konstituenten. Hier fließt nun erstmals der Faktor der Pronominalität mit ein. Ausgeklammert wurde hier das “Platzhalter-

es”.

In Hauptsätzen, in denen eine pronominale und eine phrasale Konstituente vorkommen, steht die pronominale Konstituente in 63,08% (n=615) aller Vorkommen (n=975) vor der vollen

(phrasalen) NP.

Ein Beispiel für eine solche Konstituentenabfolge sieht man im Baumdiagramm: Mehrere Redner schrieben (das (PDS = substituierendes Demonstrativpronomen)) (seiner

Mehrdeutigkeit (NP-Dativ)) zu.

In 36,92% (n=360) steht allerdings in Hauptsätzen die phrasale NP vor der pronominalen Konstituente (markierte Abfolge), was nicht unbedingt für die stärke der Tendenz Pronomen vor

voller NP spricht. Ein Beispiel für eine solche markierte Abfolge wäre: Der Kollege teilt dem Freund ihn (den Beschluss) nicht gerne mit. (nicht aus TIGER).

Interessant wäre auch eine Untersuchung darüber, wie die Abfolge im Fall von zwei oder drei Pronomen geregelt wird:

(17) (i) Ich weiß, dass der Kollege dem Freund den Beschluss nicht gerne mitteilt. (Subj. < Dat.Obj. < Akk.Obj.)

(ii) ? Ich weiß, dass er ihm ihn nicht gerne mitteilt. (Subj. < Dat.Obj. < Akk.Obj.)

(iii) Ich weiß, dass er ihn ihm nicht gerne mitteilt. (Subj. < Akk.Obj. < Dat.Obj.)

Wenn man sich klassisch an der Introspektion orientiert, scheint es so zu sein, dass das Subjekt auch hier (wie in (1.) für Phrasen gezeigt) vor allen Argumenten realisiert werden

möchte. Es wäre nun interessant, in einem Korpus zu untersuchen, wie oft die pronominalen Objekte in der Reihenfolge Dat. < Akk., die als markiert und evtl. auch als ungrammatisch

gilt, oder in der Linearisierung Akk. < Dat. vorkommen.

Um nun auch die Interaktion von Prinzipien (wie häufig in der Literatur beschrieben; Lenerz 1977) in

einem Korpus zu untersuchen, wurden für die Abfrage, deren Ergebnis in dem linken Diagramm zu

sehen ist, die Tendenzen Dativ-NP vor Akkusativ-NP und Pronomen vor voller NP kombiniert.

In 84% (n=21) aller Fälle (n=25) war im Hauptsatz nun ein pronominaler Dativ vor einem phrasalen

Akkusativ auszumachen. Es wurden also beide Tendenzen - Dativ < Akkusativ und Pronomen <

voller NP - , die im Mittelfeld zu gelten scheinen, erfüllt.

Die Beschränkung Dativ < Akkusativ wurde 12% der Fälle nicht eingehalten, dafür aber die

Pronomen-Beschränkung. Dort stand also ein pronominaler Akkusativ vor einem phrasalen Dativ:

Bsp. aus TIGER: Mehrere Redner schrieben (das (Pron. Akk.)) (seiner Mehrdeutigkeit (Dativ-NP)) zu.

Der Fall, dass beide Beschränkungen nicht eingehalten werden, trat nur einmal auf (4% der Fälle) und

wirkte auch ungrammatisch. (Leider wurde versäumt diesen Satz aus dem Korpus zu exportieren)

Durch diese Untersuchung scheint man Evidenz dafür zu bekommen, dass die pronominale

Konstituente, sei sie nun Akkusativ oder Dativ, vor der phrasalen realisiert wird, auch wenn dadurch die

Bedingung Dativ < Akkusativ verletzt werden sollte.

Bei der Abfrage wurde kein phrasaler Dativ vor einem pronominalen Akkusativ gefunden.

Zusammenfassung der Ergebnisse:Wichtig ist, an dieser Stelle nochmals zu erwähnen, dass sich die formulierten Aussagen nur auf das Korpus beziehen, das

dieser Analyse zugrunde liegt. Aussagen können dabei über die Graduiertheit der im Mittelfeld geltenden Beschränkungen

gemacht werden, aber keinesfalls über deren Grammatikalität. Die hier präsentierten Ergebnisse repräsentieren nicht die

Wortstellung im Mittelfeld des Deutschen allgemein. Es ist zum Beispiel zu vermuten, dass in Bezug auf geschriebene und

gesprochene Sprache eine relativ große Diskrepanz zwischen den Abfolgetendenzen und deren Gewichtung besteht, die im

Rahmen dieser Untersuchung allerdings nicht herausgestellt werden konnte, da das TIGER-Korpus keine gesprochene

Sprache beinhaltet.

Was die grammatische Funktion der einzelnen Satzglieder betrifft, so wurde gezeigt, dass die unmarkierte Abfolge Subjekt

vor Objekt im Nebensatz etwas weniger restringiert ist. Die Tendenz scheint dort etwas schwächer zu sein als im Hauptsatz,

wodurch die markierte Reihenfolge Objekt vor Subjekt im Nebensatz eher möglich ist.

Die Tendenz Dativ-Obj. vor Akkusativ-Obj. scheint in Nebensätzen mit subordinierender Konjunktion relativ stark zu wirken,

da die markierte Abfolge nur einmal vorkam. In Hauptsätzen hingegen scheint sie weniger restringiert zu sein.

Bei der Überprüfung der Tendenz, dass eine pronominale Konstituente vor einer phrasalen stehen sollte, gab es erstaunlich

viele Treffer, bei denen dies nicht der Fall war und die markierte Abfolge auftrat. Die Pronominalität schient auch einen

Hinweis auf das “Gesetz der wachsenden Glieder” zu sein, da Pronomen meist eine geringe Silbenzahl haben. Zu verweisen

wäre hier auch noch auf die Thema-/Rhema- bzw. die Fokus-/Hintergrund-Bedingung, da Pronomen oft Träger einer bereits

bekannten Information sind (Hintergrund, Thema), die im MF eher vorne steht.

Bei der Interaktion zweier Prinzipien ( Dativ-Obj. vor Akkusativ-Obj. und Pronomen vor voller NP ) war in Hauptsätzen die

Tendenz zu beobachten, dass die unmarkierte Abfolge, also die Erfüllung beider Tendenzen, am häufigsten vorkam. Der Fall,

dass beide Beschränkungen verletzt wurden, trat nur einmal auf. Die pronominale Konstituente, sei sie nun Dativ oder

Akkusativ, wird bevorzugt vor der phrasalen realisiert.

Gerade in Bezug auf die zuletzt gemachte Beobachtung wäre für die Wortstellung nominaler Elemente im Mittelfeld weiter zu

betrachten, ob es eine Hierarchie der einzelnen Faktoren gibt, ob also eine Verletzung der einen Tendenz eher toleriert wird,

wenn man dafür einen andere einhält, die in dieser Hierarchie weiter oben steht. Dazu leisten die in der Einleistung

angesprochenen Gewichtungs- und Interaktionsmodelle einen wesentlichen Beitrag. Auch unter Bezug auf die

Optimalitätstheorie (OT) wird versucht, Klarheit herbeizuführen. Dafür musste allerdings die klassische OT, die nur einen

grammatischen Kandidaten zulässt und alle anderen ausschließt, modifiziert werden und dabei auch auf den Begriff der

“Markiertheit” zurückgreifen. Unter normativen Gesichtspunkten (grammatisch vs. ungrammatisch) ist die Variation der

einzelnen Abfolgemöglichkeiten im Mittelfeld mitunter schwer zu erfassen, da dabei u.a. geklärt werden müsste, warum die

eine Abfolge häufiger auftritt als die andere (Subj. vor Obj. /Obj. vor Subj.) und warum es überhaupt mehrere Möglichkeiten

gibt.

Auch wenn sich die hier durchgeführte Korpusanalyse nur auf einen kleinen Teil der Mittelfeldtendenzen beschränkt, so

könnte man zu diesem Zeitpunkt vielleicht die Hypothese äußern, dass im Mittelfeld nicht alles möglich zu sein scheint.

Bibliographie:Altmann, Hans & Hofmann, Ute (2004): Topologie fürs Examen. Westdeutscher Verlag, Opladen.

Eisenberg, Peter (1999): Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. Metzler, Stuttgart.

Heylen, Kris & Speelmann, Dirk (2003): A corpus-based analysis of word-order variation: the order of verb arguments in

the German middle field. In: D. Archer et al. eds., Proceedings of the Corpus Linguistics 2003 conference. pp. 320-329.

Hoberg, Ursula (1981): Die Wortstellung in der geschriebenen deutschen Gegenwartssprache. Hueer, München.

Höhle, Tilman (1982): Explikation für “normale Betonung” und “normale Wortstellung”. In: Abraham, Werner (ed.):

Satzglieder im Deutschen. Narr, Tübingen, 75-153.

Lenerz, Jürgen (1977): Zur Abfolge nominaler Satzglieder im Deutschen. Narr, Tübingen.

TIGER-Korpus: http://www.ims.uni-stuttgart.de/projekte/TIGER/TIGERCorpus/

Beschränkungen für das Mittelfeld Annotationsebene des Korpus'

Subjekt vor Objekt Morphologie, Syntax (Kantenlabel)

Thema vor Rhema Pragmatik (Informationsstruktur)

unakzentuiertes vor akzentuiertem

Satzglied

Phonologie (Betonungsmuster)

Pronomen vor voller NP Part-of-Speech

definites vor nicht-definitem

Satzglied

Morphologie, Part-of-Speech,

Pragmatik (Informationsstruktur)

belebt vor unbelebt Semantik

Dativ- vor Akkusativ-NP Morphologie, Syntax (Kantenlabel)

Gesetz der wachsenden Glieder Morphosyntax, Konstituentenlänge

Subjekt und Objekt im Mittelfeld

2438

1119

791

219

0

500

1000

1500

2000

2500

3000

3500

HS NS

An

zah

l d

er T

reff

er

Subjekt vorne Subjekt hinten

3229

1338

"markierte"

Abfolge

"markierte"

Abfolge

/ 16,37% / 75,5%

/ 24,5%

/ 83,63%

Akkusativ- und Dativobjekt im Mittelfeld

100

38

1

10

0

20

40

60

80

100

120

HS NS

An

zah

l d

er T

reff

er

Dativ-NP vor Akkusativ-NP Akkusativ-NP vor Dativ-NP

110

39

/9,09%

/90,91%/2,56%

/97,44%

"markierte"

Abfolge

"markierte"

Abfolge

Hauptsätze in denen eine pronominale

und eine phrasale Konstituente

vorkommen (n=975)

360/

36,92%

615/

63,08%

Pronomen vor

Voll-NP

Voll-NP vor

Pronomen

Hauptsätze in denen pronominale und phrasale

Akkusativ- und Dativobjekte vorkommen (n=25)

3/12%

1/4%

21/84%

pronom. Dativ vor

phrasal. Akkusativ

pronom. Akkusativ vor phrasal. Dativ

phrasal. Akkusativ vor pronom.

Dativ