die servolectric von zf

3
636 Elektrische Lenkung Fahrwerk ATZ Automobiltechnische Zeitschrift 100 (1998) 9 1 Einleitung Schon 1981 entwickelte man bei ZF eine elektrische Servolenkung, die aber weder im Packaging, dem Lenkverhalten noch bei den Kosten marktfähig war, so Wolfgang Rieger, Leiter der Entwicklung Zahnstan- gen-Hydrolenkungen bei ZF. Erst verbesser- te elektronische Komponenten hätten die Voraussetzungen geschaffen, die elektroni- sche Lenkung als „Servolectric” weiterzu- entwickeln. Durch die Kooperation mit Bosch möchte man bei ZF das Know-how von Bosch auf diesem Sektor nutzen. 2 Aufbau Bild 1 zeigt den Aufbau der Servolectric. Der Drehmomentsensor an der Lenksäule nimmt die Lenkbewegung auf. Nachdem eine Elektronik das Signal überprüft hat, wird der Lenkeinschlag auf die Lenkfunk- tion übertragen. Dort wird, abhängig von der Fahrtgeschwindigkeit, dem Lenkwinkel und der Lenkgeschwindigkeit, die Stärke der Servounterstützung festgelegt und an die Motorregelung weitergegeben. Eine Lei- stungsendstufe verstärkt den Strom der Steuerungssignale so, daß der Elekromotor damit betrieben werden kann. Eine Sicher- heitseinrichtung mit Datenspeicher über- wacht die korrekte Funktion der Servolec- tric. Bei Defekten schaltet sich das System ab, die Lenkung besitzt dann keine Servo- unterstützung. Der Elektromotor und sein Getriebe sind so konstruiert, daß sie die Lenkkräfte dann aber auch nicht erhöhen. Deshalb kann ZF auf eine Sicherheitskupp- lung zwischen Untersetzungsgetriebe und Lenksäule verzichten. Die ZF Friedrichshafen AG und die Robert Bosch GmbH, Stuttgart, möchten noch in diesem Jahr ein gemeinsames Unternehmen zur Entwicklung und Produktion von Servolenkungen und komplet- ten Lenksystemen mit dem Namen „ZF Lenksysteme GmbH” gründen. Dies haben die Aufsichtsgremien beider Unternehmen am 23. Juli 1998 beschlossen. Die neue Gesellschaft soll aus dem ZF-Bereich Lenkungstechnik, Schwäbisch Gmünd, hervorgehen. Bosch liefert das Know-how bei elektronischen Steuerungen, der Sensorik und bei elektrischen Antrieben. Ziel der gemeinsamen Anstrengungen soll die Entwicklung der „Servolectric”, einer elektrischen Servolenkung, zur Serienreife sein. Die Servolectric von ZF Der Hersteller entwickelt parallel drei Vari- anten der Servolectric, mit Lenksäulen-, Rit- zel- und Zahnstangenantrieb, Bild 2. „Wir folgen hier den Anforderungen des Mark- tes, der aufgrund unterschiedlicher Fahr- zeugkonzepte auch unterschiedliche Lö- sungen wünscht”, erläutert Dr. Gerhard Ruck, Leiter der Entwicklung Produktbe- reich Servolectric bei ZF, die Konstruktion. Für Automobile der Kompaktklasse, bei de- nen nur geringe Lenkkräfte wirken, soll die Lenksäulenlösung zum Einsatz kommen. Die Servoeinheit mit Elektromotor, Schneckengetriebe, Steuerelektronik und der Sensorik ist direkt an der Lenksäule montiert. Dadurch möchte ZF den erforder- lichen Bauraum der Lenkung minimieren. Mittelklasse-Fahrzeuge verfügen über höhere Zahnstangenkräfte. Daher wird für sie eine Servoeinheit entwickelt, die direkt auf das Ritzel des Lenkgetriebes wirkt. Über die Lenksäule, Zwischenwelle und die Kreuzgelenke wird lediglich das Lenkmo- ment des Fahrers übertragen. Dieses Sy- stem soll sich nach Angaben des Unterneh- mens durch die hohe Steifigkeit der Mecha- nik auszeichnen. Für Automobile mit hohem Gewicht und großen Zahnstangenkräften integriert ZF die Servoeinheit in die mechanische Zahn- stangenlenkung. Das Unterstützungsmo- ment des Elektromotors wirkt dabei über ein Kugelumlaufgetriebe direkt auf die Zahnstange. Sehr hohe Steifigkeit im Kraft- übertragungsweg und die Übertragung sehr großer Kräfte sollen die Vorteile dieses Systems sein. Die Tabelle stellt die techni- schen Daten von Prototypen der drei Vari- anten dar. Mit verfügbaren elektrischen Servolenkun- gen können zur Zeit nur Zahnstangenkräf- te bis 8000 N übertragen werden. Der Ein- Von Richard Backhaus Bild 1: Schematischer Aufbau der Servolectric

Upload: richard-backhaus

Post on 16-Mar-2017

215 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Die Servolectric von ZF

636

Elektrische Lenkung

Fahrwerk

ATZ Automobiltechnische Zeitschrift 100 (1998) 9

1 Einleitung

Schon 1981 entwickelte man bei ZF eineelektrische Servolenkung, die aber wederim Packaging, dem Lenkverhalten noch beiden Kosten marktfähig war, so WolfgangRieger, Leiter der Entwicklung Zahnstan-gen-Hydrolenkungen bei ZF. Erst verbesser-te elektronische Komponenten hätten dieVoraussetzungen geschaffen, die elektroni-sche Lenkung als „Servolectric” weiterzu-entwickeln. Durch die Kooperation mitBosch möchte man bei ZF das Know-howvon Bosch auf diesem Sektor nutzen.

2 Aufbau

Bild 1 zeigt den Aufbau der Servolectric. DerDrehmomentsensor an der Lenksäulenimmt die Lenkbewegung auf. Nachdemeine Elektronik das Signal überprüft hat,wird der Lenkeinschlag auf die Lenkfunk-tion übertragen. Dort wird, abhängig vonder Fahrtgeschwindigkeit, dem Lenkwinkelund der Lenkgeschwindigkeit, die Stärkeder Servounterstützung festgelegt und andie Motorregelung weitergegeben. Eine Lei-stungsendstufe verstärkt den Strom derSteuerungssignale so, daß der Elekromotordamit betrieben werden kann. Eine Sicher-heitseinrichtung mit Datenspeicher über-wacht die korrekte Funktion der Servolec-tric. Bei Defekten schaltet sich das Systemab, die Lenkung besitzt dann keine Servo-unterstützung. Der Elektromotor und seinGetriebe sind so konstruiert, daß sie dieLenkkräfte dann aber auch nicht erhöhen.Deshalb kann ZF auf eine Sicherheitskupp-lung zwischen Untersetzungsgetriebe undLenksäule verzichten.

Die ZF Friedrichshafen AG und die Robert Bosch GmbH, Stuttgart,möchten noch in diesem Jahr ein gemeinsames Unternehmen zurEntwicklung und Produktion von Servolenkungen und komplet-ten Lenksystemen mit dem Namen „ZF Lenksysteme GmbH”gründen. Dies haben die Aufsichtsgremien beider Unternehmenam 23. Juli 1998 beschlossen. Die neue Gesellschaft soll aus demZF-Bereich Lenkungstechnik, Schwäbisch Gmünd, hervorgehen.Bosch liefert das Know-how bei elektronischen Steuerungen, derSensorik und bei elektrischen Antrieben. Ziel der gemeinsamenAnstrengungen soll die Entwicklung der „Servolectric”, einerelektrischen Servolenkung, zur Serienreife sein.

Die Servolectric von ZF

Der Hersteller entwickelt parallel drei Vari-anten der Servolectric, mit Lenksäulen-, Rit-zel- und Zahnstangenantrieb, Bild 2. „Wirfolgen hier den Anforderungen des Mark-tes, der aufgrund unterschiedlicher Fahr-zeugkonzepte auch unterschiedliche Lö-sungen wünscht”, erläutert Dr. GerhardRuck, Leiter der Entwicklung Produktbe-reich Servolectric bei ZF, die Konstruktion.

Für Automobile der Kompaktklasse, bei de-nen nur geringe Lenkkräfte wirken, soll dieLenksäulenlösung zum Einsatz kommen.Die Servoeinheit mit Elektromotor,Schneckengetriebe, Steuerelektronik undder Sensorik ist direkt an der Lenksäulemontiert. Dadurch möchte ZF den erforder-lichen Bauraum der Lenkung minimieren.

Mittelklasse-Fahrzeuge verfügen überhöhere Zahnstangenkräfte. Daher wird fürsie eine Servoeinheit entwickelt, die direktauf das Ritzel des Lenkgetriebes wirkt. Über

die Lenksäule, Zwischenwelle und dieKreuzgelenke wird lediglich das Lenkmo-ment des Fahrers übertragen. Dieses Sy-stem soll sich nach Angaben des Unterneh-mens durch die hohe Steifigkeit der Mecha-nik auszeichnen.

Für Automobile mit hohem Gewicht undgroßen Zahnstangenkräften integriert ZFdie Servoeinheit in die mechanische Zahn-stangenlenkung. Das Unterstützungsmo-ment des Elektromotors wirkt dabei überein Kugelumlaufgetriebe direkt auf dieZahnstange. Sehr hohe Steifigkeit im Kraft-übertragungsweg und die Übertragungsehr großer Kräfte sollen die Vorteile diesesSystems sein. Die Tabelle stellt die techni-schen Daten von Prototypen der drei Vari-anten dar.

Mit verfügbaren elektrischen Servolenkun-gen können zur Zeit nur Zahnstangenkräf-te bis 8000 N übertragen werden. Der Ein-

Von Richard Backhaus

Bild 1: Schematischer Aufbau der Servolectric

Page 2: Die Servolectric von ZF

637

Elektrische Lenkung

Fahrwerk

ATZ Automobiltechnische Zeitschrift 100 (1998) 9

Anordnung Servoeinheit Lenksäule Ritzel Zahnstange

Lenkachslast kg 650 850 1 300

Zahnstangenkraft N 6 000 8 000 10 000

Lenkungsübersetzung konstant mm/LRU 40 45 55

Lenkungsübersetzung variabel mm/LRU 30-40-30 35-45-35 50-60-50

Lenkgeschwindigkeit im Stand °/s min. 360 min. 360 min. 360

max. Stromstärke beim Parkieren A 48 75 105 (bei 12V)Lenkungsübersetzung konstant 35 (bei 36V)

max. Stromstärke beim Parkieren A 35 58 95 (bei 12V)Lenkungsübersetzung variabel 30 (bei 36V)

Tabelle: Technische Daten ausgeführter Prototypen der Servolectric

Bild 2: Die Servolectricmit a) Lenksäulen-, b) Ritzel- und c) Zahnstangenantrieb

satzbereich der Elektrolenkung wird durchdie Leistungsfähigkeit des 12-V-Bordnetzesbegrenzt. Dem Bordnetz läßt sich auchkurzfristig nur ein Maximalstrom von 80 Aentnehmen. Die maximale Leistung desElektromotors ist dadurch auf etwa 1 kWbeschränkt. Diese Leistung ist nur für dieelektrische Servolenkung kompakter Fahr-zeuge ausreichend. Deshalb hofft ZF auf dieEinführung eines parallelen Fahrzeug-Bordnetzes mit einer Spannung von 36 Vetwa ab dem Jahr 2005, das dann den Ein-satz elektrischer Servolenkungen auch beiAutomobilen mit höheren Zahnstangen-kräften zuläßt.

3 Anforderungen

Die Automobilhersteller stellen an Lenksy-steme vielfältige Anforderungen. Diesemüssen auch von der Servolectric erfüllt

werden, soll sie die konventionellen hy-draulischen Servolenkungen ersetzen.

3.1 RegelverhaltenIm Fahrbetrieb bilden Automobil und Fah-rer einen Regelkreis, bei dem der Fahrer alsRegler das Fahrzeug, das die Regelstreckedarstellt, auf einem Sollkurs führt. Dabeiverarbeitet der Fahrer eine Vielzahl von In-formationen. Das Lenkmoment stellt in vie-len Fahrsituationen eine wichtige Hilfs-größe für diesen Regelprozeß dar. Dies giltspeziell bei schneller Geradeausfahrt, beider keine starken Winkelabweichungen, Be-schleunigungen und Querbeschleunigun-gen auftreten, da der Mensch Regelabwei-chungen weniger stark wahrnimmt als Ver-

a)

c)

b)

Page 3: Die Servolectric von ZF

Elektrische Lenkung

Fahrwerk

änderungen der Handkraft. Durch gutes Re-gelverhalten des Lenksystems kann dieSpurabweichung reduziert werden.

3.2 LenkkräfteDie zum Lenken eines Fahrzeugs notwen-dige Handkraft ist um so höher, je geringerdie Fahrzeuggeschwindigkeit ist. Je nachAuslegung der Achskinematik können ho-he Lenkmomente auftreten. Die Servolen-kung muß diese Lenkkräfte verringern.

3.3 Unterdrückung von Fahrbahnstößen

Der Mensch reagiert sensibel auf auftreten-de Handkräfte. Daher ist es ein Qualitäts-merkmal von Lenksystemen, die nur kurz-zeitig auftretende Störkräfte soweit wiemöglich abzuschwächen und zu dämpfen,aber gleichzeitig Informationen über dieStraßenbeschaffenheit weiterzugeben.

3.4 LenkgeschwindigkeitDurch eine Servolenkung kann die Lenk-übersetzung ohne Komforteinbußen er-höht werden. Dadurch erhöht sich die Lenk-geschwindigkeit, die Manövrierfähigkeitdes Fahrzeugs steigt.

3.5 EnergiebedarfDie Automobilhersteller fordern vom Ser-vosystem, wie von allen Nebenaggregaten,einen geringen Energiebedarf.

4 Eigenschaften und Ausblick

Nach Angaben des Unternehmens zeigt dieServolectric ein gutes Dämpfungsverhaltenauf Schlechtwetterstrecken, Fahrbahn-stöße können gezielt gedämpft werden.Durch die Trägheit des Elektromotors stel-len sich elektrische Lenksysteme in der Re-gel langsamer zurück als andere Lenkun-gen. Deshalb verfügt das ZF-System überein reibungs- und trägheitsarmes Motor-konzept. Nach Herstellerangaben soll sichdieser Nachteil durch einen Lenkwinkel-sensor sogar überkompensieren und dasRückstellverhalten im Vergleich zu hydrau-lischen Lenkungen verbessern lassen. Da-durch können auch Fahrzeuge der Kom-pakt- und Mittelklasse mit fahrgeschwin-digkeitsabhängigen Lenkunterstützungenausgerüstet werden.

Das Lenkwinkelsignal kann dabei auch an-deren elektrischen Baugruppen, zum Bei-spiel Fahrstabilitätssystemen, zur Verfü-gung stehen.

Hydraulische Servolenkungen, in denendas Öl permanent mit mechanischen undhydraulischen Reibungsverlusten umge-wälzt wird, verursachen in einem Pkw derMittelklasse einen Kraftstoffverbrauch von0,2 bis 0,3 l / 100 km, so ZF. Die Servolectricbenötigt nur dann elektrische Energie,wenn die Lenkung betätigt wird. Die Ener-gieeinsparung beziffert der Hersteller mitetwa 85 % je nach Fahrstrecke.

Die Optimierung des Lenkverhaltens ist beielektrischen Lenksystemen innerhalb kür-zester Zeit möglich, dadurch kann sich dieEntwicklungszeit für die Automobilherstel-ler verkürzen. Lenkcharakteristiken lassensich bei elektrischen Lenksystemen durchVariation von Parametern in der Steuer-software verändern. Bei hydraulischen Len-kungen erfolgt dies durch geänderte Ventil-geometrien, die mechanisch gefertigt wer-den müssen. Für den Automobilherstellerentfällt auch die Entwicklung und Anpas-sung der Hydraulikpumpe sowie der Ver-schlauchung und Verrohrung einschließ-lich der Geräuschabstimmung. Die ZF Ser-volectric wird dem Automobilherstellerkomplett als System mit dem dazugehöri-gen Steuergerät geliefert. Im Vergleich zumhydraulischen Lenksystem soll sich die Ein-bauzeit in das Fahrzeug auf einen Bruchteilverringern.

Im Jahr 2000 soll die Servolectric erstmalsin einem Automobil der Mittelklasse in Se-rie eingesetzt werden. Obwohl elektrischeLenksysteme zur Zeit einen Marktanteilvon unter 1 % haben, rechnet man bei ZFschon für 2005 damit, daß 40 bis 50 % derproduzierten Pkw mit elektrischen Servo-lenkungen ausgerüstet sind.