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Page 1: Die Praxisprüfungen im Bereich Theorie und Praxis der ... · Die Praxisprüfungen im Bereich Theorie und Praxis der Sportarten und ihre Auswirkungen auf das Studierverhalten

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JAN-ERIK WEINEKÖTTER

Die Praxisprüfungen im Bereich Theorie und Praxis der Sportarten undihre Auswirkungen auf das Studierverhalten

Die besondere Stellung der Praxisprüfungen

Auf die besondere Stellung der Ausbildung imStudienbereich Theorie und Praxis der Sportartenwird in diesem Heft an anderer Stelle bereits hin-gewiesen. Deshalb möchte ich in meinem Beitragauf die Praxisprüfungen eingehen.

Von diesen Prüfungen muß jede Studentin und je-der Student1 je nach Studiengang mehr oder we-niger viele absolvieren, und das Ergebnis be-stimmt zu 50% die Note in der jeweiligen Sportart.Aber die gute oder schlechte Note ist meist garnicht das Entscheidene. Für viele Studenten gehtes in manchen Sportarten um die existenzielleFrage, die Prüfung, aufgrund von Problemen imBereich des eigenen motorischen Könnens, über-haupt bestehen zu können, und somit ihr Studiumfrühzeitig beenden zu müssen.

Aufgrund dieser Überlegung scheint mir die Fragegerechtfertigt, inwiefern das Studierverhaltendurch die Praxisprüfungen beeinflußt wird, und obdiese Beeinflussung positiv oder negativ im Sinneunserer Ausbildung zu bewerten ist.

Im weiteren Verlauf werde ich bewußt etwas über-spitzt diese Problematik aus studentischer Sichtschildern, wobei ich mich auf Erfahrungen ausmeinem eigenen Studium und mit Jungsemesternin Einführungstutorien stützen werde. Die be-schriebenen Personen sind dabei frei erfunden,und auch die Kurse sind frei gewählt worden.

Aus dem Tagebuch des Studenten PitTeil 1 – Studienbeginn / O-Phase

„Es ist soweit, das Abi in der Tasche, den Urlaubgenossen und nun geht das Studium los. AufSport freue ich mich besonders, denn als Kader-athlet Leichtathletik dürfte ich mit der Praxis wohlnicht so viele Probleme haben, und die Anforde-rungen im Theorieanteil des Sportstudiums, dashört man ja überall, sind geradezu lächerlich imVergleich zu meinem Zweitfach Elektrotechnik.

Naja, natürlich gibt es auch Sportarten die mir we-niger liegen, wie die Ballsportarten oder auchGymnastik/Tanz, aber da läßt die Studienordnungja glücklicherweise noch genügend Spielraum zur

1 Im weiteren Verlauf werde ich – aus Gründen der besse-

ren Lesbarkeit – auf die gleichzeitige Nennung derweiblichen und der männlichen Form verzichten. Gemeintsind in allen Fällen immer Frauen und Männer.

Auswahl. Natürlich werde ich Leichtathletik alsSchwerpunktfach und Gymnastik/Tanz nur alsGrundkurs abschließen. Bei den Ballsportartenwar die Entscheidung da schon schwieriger, aberzum Glück haben mir gestern einige Altsemesternoch wichtige Tips gegeben. Die haben mir dannauch empfohlen, Hockey zu wählen; keine Grund-kenntnisse vorrausgesetzt, fast nur Frauen imKurs, das ist genau mein Ding. Wenn ich mir daanschaue, daß den Volleyball-Grundkurs nur hö-herklassige Vereinsspieler gewählt haben, dahätte ich in der Prüfung doch nie mithalten können.Ja, und Basketball fiel sowieso aus, weil ich ja nochnie selbst ‘nen Basketball in der Hand hatte.“

So oder ähnlich könnte die Studienplanung im Be-reich Theorie und Praxis der Sportarten von vielenStudierenden aussehen. Hier wird aus meinerSicht eine klare Orientierung an den Praxisprüfun-gen deutlich.

Für seine Studienplanung benötigt Student PitAuswahlkriterien. Er kann zu Beginn seines Studi-ums noch keine Erfahrungen haben, was er in derBerufsrealität als Lehrer später einmal brauchenwird, so daß ihm dieses Auswahlkriterium nicht zurVerfügung steht. Das Auswahlkriterium ‘schwere’bzw. ‘leichte’ Prüfung bietet sich somit für Pit ein-fach an, weil die Prüfung für ihn die nächste Hürdein seinem Studium darstellt und somit den weite-ren Studienverlauf bestimmt.

Selbst wenn er sich zu Beginn des Studiumsschon überlegen würde, hauptsächlich jene Sport-arten zu studieren in denen er selber noch nicht soviele Eigenerfahrung hat, um später über mög-lichst viele Erfahrungen zu verfügen, könnte ernicht in dieser sinnvolleren Art studieren. Wenn ersich bei den frei wählbaren Sportarten für jeneentscheiden würde, in denen er noch keine Erfah-rungen gemacht hat, würde dies, in der auf Eigen-realisation angelegten Prüfung, durch eineschlechtere Note ‘belohnt’ werden. Dies kann abernicht in seinem Sinne sein.

Eine andere Möglichkeit, innerhalb des Studiumsmöglichst viele Eigenerfahrungen in den Sportar-ten zu erwerben, wäre für Pit, wenn er zusätzlichzu den nach der Studienordnung zu studierendenSportarten, freiwillig noch weitere studieren würde.Dies hätte aber, aufgrund der knappen Kapa-zitäten, eine deutliche Verlängerung des Studiumszur Folge, was ebenfalls nicht im Sinne des Stu-denten sein kann.

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Das Studierverhalten des Studenten Pit wird alsoerstmalig schon zu Beginn des Studiums durch diePraxisprüfungen beeinflußt.

Aus dem Tagebuch des Studenten PitTeil 2 – Der Kurs Turnen

„Alle hatten sie mich davor gewarnt, nun kommtsie auf mich zu: ’DIE PRÜFUNG’ im Fach Turnen.Heute hatten wir schon die achte Veranstaltung,die Prüfung steht also fast direkt vor der Tür (keinevier Wochen mehr) und der Dozent hat doch tat-sächlich nichts besseres zu tun, als irgendetwasüber Didaktik und Methodik des Turnens zu er-zählen. Fast so schlimm wie letzte Woche, da er-zählte er uns doch eine knappe Stunde lang wasüber die Geschichte des Turnens, als wenn daswirklich jemanden interessieren würde (außerdemquatscht der Typ sowieso immer viel zu viel). Wirwollen doch alle Sportlehrer werden, und ob ichals Sportlehrer jemals die alten Kamellen vonTurnvater Jahn brauche, erscheint mir doch sehrfraglich. Aber um überhaupt erstmal Sportlehrerwerden zu können, muß ich in vier Wochen dieseverflixte Kippe vorturnen. Mir bleibt nichts anderesübrig als zu hoffen, daß der Dozent mir nächsteWoche endlich zeigt, wieso bei mir die Kippe nichtklappt.“

Ich denke, auch hier wird deutlich, wie nicht nurdas Studierverhalten durch die Praxisprüfung be-stimmt wird, sondern es kommt bei Pit sogar zueiner Lernblockade in Bezug auf wichtige Unter-richtsinhalte des Kurses, wie zum Beispiel Didak-tik, Methodik oder Geschichte.

Die bevorstehende Prüfung beschäftigt ihn sostark, daß es ihm einfach nicht möglich ist, sich fürandere Unterrichtsinhalte zu öffnen; sein Ziel bleibtdie Verbesserung seines eigenmotorischen Kön-nens. Die Verbesserung des eigenmotorischenKönnens in der Sportart kann aber sicherlich nurein „Abfallprodukt“ des Hochschulunterrichts undnicht sein Hauptanliegen sein.

Aus dem Tagebuch des Studenten PitTeil 3 – Die Turn AG

„Die Hände blutig, die Oberarme grün und blau,der Rücken kaputt, aber die Kippe klappt einfachnicht. Drei- bis fünfmal in der Woche bin ich beider Turn-AG und das nun schon seit so vielenWochen, aber was hat es mir gebracht? Die ande-ren Teilnehmer freuen sich immer wenn ich da bin,weil ich ihnen so gut helfen kann. Aber was nütztes mir, daß ich alles verstanden habe und auchvermitteln kann, solange ich es selbst nicht hinbe-komme. Die anderen haben zum Teil überhauptgar nichts verstanden, aber sie schaffen die Kippemit links. Da muß ich mich doch fragen, ob sie da-durch auch die besseren Lehrer werden.Bei mir macht sich so langsam Frust breit und ichbekomme echt Angst, wenn ich daran denke, daßin zwei Wochen die Prüfung stattfindet.“

Der Student Pit hat inzwischen schon einiges überdas Turnen gelernt und kann dieses Wissen auchvermitteln. Doch trotzdem befindet er sich in einemZwiespalt. Er hat zwar Fachwissen und Lehrkom-petenz im Turnen erworben, aber in Bezug auf diePrüfung hilft ihm dies nicht weiter. Die anderenStudierenden werden die Prüfung aber leichtschaffen – ohne großes Fachwissen oder Lehr-kompetenz –, nur weil sie ein größeres Bewe-gungstalent haben.

Ich denke durch diesen Mißstand wird deutlich, daßdie Praxisprüfungen in der momentanen Form keineSelektion in Bezug auf ‘gute Lehrer’, sondern nur inBezug auf ‘gute Sportler’ darstellen.

Aus dem Tagebuch des Studenten PitTeil 4 – Der Kurs Badminton

„Endlich Mal ein guter Kurs! Hatte vorher kaummal einen Schläger in der Hand und jetzt, nach 2/3des Kurses, kann ich schon fast perfekt die Prü-fungsaufgaben spielen.Ist ja auch kein Wunder, hier wird erst gezeigt, wiees gemacht wird, dann trainiert, und dann

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vom Trainer, ach nee an der Uni heißt der ja Do-zent, verbessert.“

Der Hochschulunterricht im Bereich Theorie undPraxis der Sportarten zur Trainerstunde verkom-men!? Wer möchte seinen eigenen Unterrichtschon gerne so sehen?

Aber selbst wenn dieser Badminton-Kurs mehr ge-boten hat als Badmintontraining, so war diesesTraining für Pit doch das Entscheidende. Denn die-ses Training bereitet ihn gut auf die Praxisprüfungvor, und dies muß aus seiner Sicht ein gewichtigerGrund sein, den Kurs positiv zu beurteilen.

Fazit

Die Praxisprüfungen scheinen einen wirklich nichtgeringen Einfluß auf das Studierverhalten zu ha-ben und hätten somit einen Effekt, wie ihn PeterELFLEIN (1992, 108) für die Schule formuliert hat:

„In der Schulrealität gehen zum Teil grundlegende Pro-bleme des Sportunterrichts von Aspekten der Leistungs-messung aus, die nicht selten als geheime oder offizielleLehrplanelemente pädagogische Ziele überlagern.“

Doch gerade dieser „heimliche Lehrplan“ könntedazu führen, daß die Ausbildung im Bereich Theo-rie und Praxis der Sportarten nicht ausreichendleistet, was sie leisten will, sondern daß sie sogarLernprozesse erzeugt die ihren formulierten An-sprüchen zuwiderlaufen.

Unter den geschilderten Umständen scheint es mirdringend notwendig, die Praxisprüfungen zu über-denken. Eine reine Überprüfung der Eigenrealisa-tion in der jeweiligen Sportart stellt meiner Mei-nung nach nicht eine Lernerfolgskontrolle dar,sondern führt ehr zu einer Lernblockade. DieseLernblockade gilt vorwiegend für jene Lehrinhalte,die sich nicht auf die Verbesserung der Eigenreali-sation beziehen, sondern zum Beispiel auf Inhaltedidaktischer, methodischer oder bewegungswissen-schaftlicher Art.

Für eine reine Verbesserung der Eigenrealisationin einer Sportart muß aber niemand Hochschulun-terricht besuchen, denn dazu eignet sich eine AGoder ein Vereinstraining doch sicherlich besser.

Literatur

ELFLEIN, P.: Sport – Unterricht, Studium. Hamburg 1992LANDESINSTITUT FÜR CURRICULUMENTWICKLUNG, LEHRERFORT-

BILDUNG UND WEITERBILDUNG: Thorie-Praxis-Probleme imSport. Neuss 1982

MARAUN, H.-K.: Der „heimliche Lehrplan“ – Aspekte einerTheorie des Sportunterrichts. In: Z. f. Sportpäd. 1 (1977),2, 170-186

Jan-Erik WEINEKÖTTER

Universität-Gesamthochschule PaderbornFB 2 – SportwissenschaftWarburger Str. 10033095 Paderborn

CLAUDIA FLEISCHLE-BRAUN

Ausdruckstanz und Tanztheater heute

Bericht über das 2. Internationale Tanzsymposium „Zeitströmungen im Tanz“ am Institut für Sport-wissenschaft der Universität Stuttgart

Zu Beginn der Semesterferien trafen sich vom 19.-24.2.1996 Studierende und Fachkollegen/innender beiden Partneruniversitäten Straßburg undStuttgart sowie weitere Gäste aus der gesamtenBundesrepublik und der Schweiz, um zwei grund-legende wie aktuelle tanzpädagogische Konzeptein der Praxis und Lehrweise kennenzulernen undwissenschaftlich aufzuarbeiten: Das pädagogischeSystem der Ausdruckstänzerin Rosalia CHLADEK

und das Tanztheater als Inszenierungsform stan-den im Mittelpunkt der gemeinsamen tanzprakti-schen Erfahrung und Reflexion, sie sollten zu ei-nem intensiven Gedankenaustausch über mo-mentane tanzdidaktische Positionen und tanzwis-senschaftliche Arbeitsschwerpunkte in den beidensportwissenschaftlichen Instituten führen.

Ingrid GIEL, M.A., Dozentin am Konservatoriumder Stadt Wien und langjährige Mitarbeiterin vonRosalia CHLADEK hatte die Aufgabe übernommen,sowohl das Werk der bedeutenden Ausdruckstän-zerin vorzustellen als auch in die Grundlagen ihrerspezifischen und eigenständigen Lehrweise ein-zuführen. Nach Auffassung von Rosalia CHLADEK

war mit dem Procedere der körpertechnischenAusbildung immer auch die Bildung und Ent-wicklung der Tänzerpersönlichkeit im Blickpunkt.Ihr System hat sich bislang vor allem an Musik-hochschulen in der Rhythmik-Ausbildung etabliert.Es könnte möglicherweise noch stärker als bishereine Grundlage für die gymnastisch-tänzerischeBasisausbildung darstellen.