die chymische hochzeit des christian rosenkreutz

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  • 8/3/2019 Die Chymische Hochzeit Des Christian Rosenkreutz

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    DIE CHYMISCHE HOCHZEIT

    DES CHRISTIAN ROSENKREUTZ

    "Wer das Wesen der Erlebnisse kennt, welche die Menschen-seele macht, wenn sie sich die Eingangspforten zur geistigenWelt erffnet hat, der braucht nur wenige Seiten der Chy-mischen Hochzeit Christiani Rosencreutz Anno 1459 zulesen, um zu erkennen, da die Darstellung des Buches sichauf wirkliche geistige Erfahrungen bezieht. Subjektiv er-

    sonnene Bilder verraten sich als solche demjenigen, der Ein-sicht in die geistige Wirklichkeit hat, weil sie weder in ihrereigenen Gestalt noch in der Art, wie sie aneinandergereihtwerden, dieser Wirklichkeit vollkommen entsprechen kn-nen. Damit scheint der Gesichtspunkt gegeben, von demaus die Chymische Hochzeit zunchst betrachtet werdenkann. Man kann den geschilderten Erlebnissen gewisser-maen seelisch nachgehen und erforschen, was die Einsichtin geistige Wirklichkeiten zu ihnen zu sagen hat. Unbekm-mert um alles, was ber dieses Buch geschrieben worden ist,soll der damit gekennzeichnete Gesichtspunkt hier zunchsteingenommen werden. Aus dem Buche selbst soll geholtwerden, was es sagen will. Dann erst kann ber Fragengesprochen werden, welche viele Betrachter stellen, bevordafr eine gengende Grundlage geschaffen ist.

    In sieben seelische Tagewerke sind die Erlebnisse desWanderers zur Chymischen Hochzeit gegliedert. Der ersteTag beginnt damit, da dem Trger der Erlebnisse Ima-ginationen vor die Seele treten, die seinen Entschlu reifenlassen, die Wanderung zu beginnen. Die Schilderung ist sogehalten, da sie besondere Sorgfalt des Darstellers erken-

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    nen lt, zu unterscheiden zwischen dem, was der Trgerder Erlebnisse zur Zeit, da er ein Gesicht hat, von dem-selben versteht, und dem, was seiner Einsicht noch verbor-

    gen ist. Ebenso ist unterschieden, was aus der geistigenWelt an den Schauenden herantritt, ohne da sein Willedaran beteiligt ist, und was durch diesen Willen herbeige-fhrt wird. Das erste Erlebnis ist kein willkrlich herbei-gefhrtes und nicht ein solches, das der Schauende vlligversteht. Es bringt ihm die Mglichkeit, in die geistige Welteinzutreten. Es trifft ihn aber nicht unvorbereitet. Vor sie-ben Jahren ist ihm angekndigt worden durch ein leib-liches Gesicht, da er zur Teilnahme an der ChymischenHochzeit werde berufen werden. Der Ausdruck leib-liches Gesicht kann von demjenigen nicht miverstandenwerden, der den ganzen Geist des Buches erfat. Es handeltsich nicht um eine Vision des krankhaften oder herabge-stimmten Seelenlebens, sondern um eine dem geistigenSchauen erreichbare Wahrnehmung, deren Inhalt aber mit

    dem gleichen Wirklichkeitscharakter vor der Seele steht wieeine Wahrnehmung des leiblichen Auges. Da der Trgerder Erlebnisse ein solches Gesicht haben konnte, setzteine Seelenverfassung voraus, die nicht diejenige des ge-whnlichen menschlichen Bewutseins ist. Dieses kennt nurdie wechselnden Zustnde des Wachens und Schlafens undzwischen beiden den Traum, dessen Erlebnisse nicht auf ein

    Wirkliches bezogen werden. Die Seele, welche sich durchdieses gewhnliche Bewutsein erlebt, wei sich durch dieSinne mit einer Wirklichkeit vereint; hrt aber ihre Ver-bindung mit den Sinnen, im Schlafe, auf, so ist sie wissendmit keiner Wirklichkeit in einem Verhltnis, auch nicht mitihrem eigenen Selbst und dessen Innenerlebnissen. Und

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    welches Verhltnis sie im Traume zu einer Wirklichkeit hat,kann sie zunchst nicht durchschauen. Der Wanderer zurChymischen Hochzeit hatte schon zur Zeit des leiblichen

    Gesichts, an das er sich erinnert, noch ein anderes als diesesgewhnliche Bewutsein. Er hat erfahren, da die Seelewahrnehmen kann, auch wenn sie gegenber den Sinnenin einem solchen Verhltnisse ist wie sonst im Schlafe. DerBegriff der vom Leibe getrennt lebenden und in diesemLeben von einer Wirklichkeit wissenden Seele ist fr ihnein gltiger geworden. Er wei, die Seele kann ihr eigenesWesen so erkrftigen, da sie in ihrer Getrenntheit vomLeibe mit einer geistigen Welt so vereint zu sein vermag,wie durch die leiblichen Sinnesorgane mit der Natur. Daeine derartige Vereinigung stattfinden kann, da sie ihmbevorstehe, dies hat er durch das leibliche Gesicht erfah-ren. Das Erlebnis selbst dieser Vereinigung konnte ihmdurch dieses Gesicht nicht werden. Auf das hat er gewartet.Es stellt sich in seinen Vorstellungen als die Teilnahme an

    der Chymischen Hochzeit dar. So ist er vorbereitet aufein erneutes Erleben in der geistigen Welt.

    In einer Zeit gehobener Seelenstimmung, am Vorabenddes Osterfestes, tritt dieses erneute Erleben ein. Der Trgerder Erlebnisse fhlt sich wie von Sturm umbraust. So kn-digt sich ihm an, da er eine Wirklichkeit erlebt, derenWahrnehmung nicht durch den physischen Leib vermittelt

    ist. Er ist aus dem Gleichgewichtszustande gegenber denWeltenkrften herausgehoben, in den der Mensch durchseinen physischen Leib versetzt ist. Seine Seele lebt nichtdas Leben dieses physischen Leibes mit; sie fhlt sich nurverbunden mit dem (therischen) Bildekrfteleib, der denphysischen durchsetzt. Dieser Bildekrfteleib ist aber nicht

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    in das Gleichgewicht der Weltenkrfte eingeschaltet, son-dern in die Beweglichkeit derjenigen bersinnlichen Welt,welche der physischen zunchst steht, und die von dem

    Menschen zuerst wahrgenommen wird, wenn er sich diePforten des geistigen Schauens erffnet hat. Nur in der physischen Welt erstarren die Krfte zu festen, in Gleich-gewichtszustnden sich auslebenden Formen; in der geisti-gen Welt herrscht fortdauernde Beweglichkeit. Das Hin-genommen-Werden von dieser Beweglichkeit kommt demTrger der Erlebnisse als die Wahrnehmung des brausendenSturmes zum Bewutsein. - Aus dem Unbestimmten dieserWahrnehmung lst sich heraus die Offenbarung eines Geist-wesens. Diese Offenbarung geschieht durch eine bestimmtgestaltete Imagination. Das Geistwesen erscheint in blauem,sternbesetztem Kleide. Man mu von der Schilderung die-ses Wesens alles fernhalten, was an symbolischen Ausdeu-tungen dilettantische Esoteriker gerne zur Erklrungherbeitragen. Man hat es zu tun mit einem nicht-sinnlichen

    Erlebnis, das der Erlebende durch ein Bild fr sich undandere zum Ausdrucke bringt. Das blaue, sternbesetzteKleid ist so wenig Sinnbild etwa fr den blauen Nacht-himmel oder hnliches, wie die Vorstellung des Rosen-stockes im gewhnlichen Bewutsein Sinnbild fr dieAbendrte ist. Beim bersinnlichen Wahrnehmen ist eineviel regere, bewutere Bettigung der Seele vorhanden als

    beim sinnlichen. In dem Falle des Wanderers zur Chymi-schen Hochzeit wird diese Bettigung durch den Bilde-krfteleib ausgebt, wie im Falle des physischen Sehensdurch den sinnlichen Leib vermittels der Augen. Diese T-tigkeit des Bildekrfteleibes lt sich vergleichen mit derErregung von ausstrahlendem Licht. Solches Licht trifft auf

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    das sich offenbarende Geistwesen. Es wird von diesemzurckgestrahlt. Der Schauende sieht also sein eigenes aus-gestrahltes Licht, und hinter dessen Grenze wird er das be-

    grenzende Wesen gewahr. Durch dieses Verhltnis des Geist-wesens zu dem Geisteslicht des Bildekrfteleibes tritt dasBlau auf; die Sterne sind die nicht rckstrahlenden, son-dern von dem Wesen aufgenommenen Teile des Geistes-lichtes. Das Geistwesen hat objektive Wirklichkeit; dasBild, durch das es sich offenbart, ist eine durch das Wesenbewirkte Modifikation in der Ausstrahlung des Bildekrfte-leibes. Auch diese Imagination darf nicht mit einer Visionverwechselt werden. Das subjektive Erleben des Trgerseiner solchen Imagination ist ein vllig anderes als das- jenige des Visionrs. Der Visionr lebt in seiner Visiondurch einen inneren Zwang; der Trger der Imaginationfgt diese zu dem bezeichneten geistigen Wesen oder Vor-gang mit derselben inneren bewuten Freiheit hinzu, mitder ein Wort oder ein Satz als Ausdruck fr einen sinn-

    lichen Gegenstand gebraucht wird. Es kann derjenige, wel-cher keine Erkenntnis von dem Wesen der geistigen Welthat, auf den Gedanken kommen, da es vllig unntig sei,diese in bildlosen Erfahrungen sich offenbarende geistigeWelt in Imaginationen zu kleiden, die den Schein des Vi-sionren hervorrufen. Dem ist zu erwidern, da zwar nichtdie Imagination das Wesenhafte ist, das geistig wahrgenom-

    men wird, da sie aber das Mittel ist, durch das diesesWesenhafte in der Seele sich offenbaren mu. So wenigman eine sinnliche Farbe ohne bestimmte Ttigkeit einesAuges wahrnehmen kann, so wenig kann man ein Geistigeserleben, ohne da man von innen heraus ihm mit einerbestimmten Imagination begegnet. Dies hindert nicht dar-

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    an, bei der Darstellung geistiger Erlebnisse, die durch Ima-gination gemacht sind, sich reiner Begriffe, wie sie in der Naturwissenschaft oder Philosophie blich sind, zu bedie-

    nen. Die vorliegenden Ausfhrungen bewegen sich in sol-chen, um den Inhalt der Chymischen Hochzeit nachzu-zeichnen. Doch war im siebzehnten Jahrhundert, als J. V.Andreae das Buch schrieb, es noch nicht blich, sich in einemweiteren Umfang solcher Begriffe zu bedienen; man stellteda unmittelbar die Imaginationen hin, durch die man diebersinnlichen Wesen und Vorgnge erlebt hatte.

    In der sich ihm offenbarenden Geistgestalt erkennt derWanderer zur Chymischen Hochzeit die Wesenheit, dieihm zu seiner Wanderung den rechten Impuls geben kann.Er fhlt sich durch die Begegnung mit dieser Gestalt be-wut in der geistigen Welt stehend. Die Art, wie er indieser steht, weist auf die besondere Richtung seines Er-kenntnisweges hin. Er wandelt nicht in der Richtung desMystikers im engeren Sinne, sondern in derjenigen des

    Alchimisten. Man halte, um die folgende Darstellung nichtmizuverstehen, von dem Begriffe Alchimie alles fern,was sich durch Aberglauben, Schwindel, Abenteurersuchtund dergleichen an ihn geheftet hat. Man denke an das- jenige, was die ehrlichen, vorurteilslosen Wahrheitssucher,die diesen Begriff gebildet haben, erstrebten. Sie wolltengesetzmige Zusammenhnge zwischen den Dingen der

    Natur erkennen, die nicht von der Naturttigkeit selbst bedingt sind, sondern von einem geistig Wesenhaften, dasdurch die Natur sich offenbart. Sie suchten bersinnlicheKrfte, die in der sinnlichen Welt wirksam sind, sich abernicht auf sinnliche Art erkennen lassen. Auf den Weg sol-cher Forscher begibt sich der Wanderer der Chymischen

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    Hochzeit. Er ist in diesem Sinne Reprsentant alchymisti-schen Suchens. Als solcher ist er berzeugt, da die ber-sinnlichen Krfte der Natur sich vor dem gewhnlichen

    Bewutsein verbergen. Er hat in seinem Innern Erlebnisseherbeigefhrt, die durch ihre Wirkung die Seele befhigen,den Bildekrfteleib als Wahrnehmungsorgan zu gebrau-chen. Durch dieses Wahrnehmungsorgan gelangt er zur An-schauung der bersinnlichen Naturkrfte. In einer geistigenDaseinsform, die auer dem Bereich der sinnlichen Wahr-nehmung und der gewhnlichen Verstandesttigkeit erlebtwird, will er zuerst die auermenschlichen bersinnlichenKrfte der Natur erkennen, um dann, mit der Erkenntnisdieser Krfte ausgerstet, die wahre Wesenheit des mensch-lichen Leibes selbst zu durchschauen. Er glaubt, da mandurch eine Erkenntnis, die von der Seele im Verein mit demvom physischen Organismus unabhngig bettigten Bilde-krfteleib gewonnen wird, die menschliche Leibeswesenheitdurchschauen und dadurch dem Geheimnis nahe kommen

    kann, welches das Weltall durch diese Wesenheit auswirkt.Fr die gewhnliche sinnliche Wahrnehmung ist dieses Ge-heimnis verhllt; der Mensch lebt in demselben; erdurch-schaut aber das Erlebte nicht. Von der bersinnlichen Er-kenntnis der Natur ausgehend, wollte der Wanderer zurChymischen Hochzeit zuletzt zum Anschauen der ber-sinnlichen Wesenheit des Menschen gelangen. Durch diesen

    Forschungsweg ist er - Alchimist, im Gegensatz zu demMystiker im engeren Sinne. Auch dieser strebt nach einemanderen Erleben der Menschenwesenheit, als sie durch dasgewhnliche Bewutsein mglich ist. Aber er whlt nichtden Weg, der zu einem vom physischen Leibe unabhngigenGebrauch des Bildekrfteleibes fhrt. Er geht von dem un-

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    bestimmten Gefhle aus, da eine innigere Durchdringungdes physischen Leibes mit dem Bildekrfteleib, als die desgewhnlichen wachen Lebens ist, von der Gemeinschaft mit

    dem sinnlich Wesenhaften hinwegfhrt und zum Zusam-mensein mit dem geistig Wesenhaften des Menschen hinge-leitet. Der Alchimist strebt danach, sich mit seinem be-wuten Wesen aus dem gewhnlichen Zusammenhang desLeiblichen herauszuziehen und in die Welt einzutreten,welche als Geistiges der Natur hinter dem Bereich dersinnlichen Wahrnehmungswelt liegt. Der Mystiker ver-sucht, die bewute Seele tiefer hineinzufhren in den Zu-sammenhang des Leiblichen, um selbstbewut in dasjenigeGebiet der Leiblichkeit unterzutauchen, das sich dem Selbst-bewutsein verbirgt, wenn dieses mit den Wahrnehmungender Sinne erfllt ist. Von diesem seinem Bestreben suchtder Mystiker sich nicht immer vollkommen Rechenschaftzu geben. Er wird nur zu oft bestrebt sein, seinen Weg inanderer Art zu kennzeichnen. Aber der Mystiker ist in

    den meisten Fllen ein schlechter Erklrer seines eigenenWesens. Es hngt dies damit zusammen, da sich an dasgeistige Suchen bestimmte Gefhle knpfen. Weil die Seeledes Mystikers dasjenige Zusammensein mit dem Leibe, dasim gewhnlichen Bewutsein erlebt wird, berwinden will,bemchtigt sich ihrer durch eine Art Selbsttuschung nichtnur eine gewisse Verachtung dieses Zusammenseins, son-

    dern eine solche des Leibes selbst. Daher will sie sich nichteingestehen, da ihr mystisches Erleben auf einem nochinnigeren Zusammenhang mit dem Leibe beruht, als der- jenige ist, der das gewhnliche Bewutsein erzeugt. - DerMystiker nimmt durch diesen innigeren Zusammenhang insich eine Vernderung seines Vorstellens, Fhlens und

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    Wollens wahr. Dieser Wahrnehmung gibt er sich hin, ohneNeigung zu entwickeln, sich ber den Grund der Vernde-rung aufzuklren. Diese Vernderung offenbart sich ihm,

    trotzdem er tiefer in die Leiblichkeit hinuntergestiegen ist,als eine Vergeistigung seines Innenlebens. Und sie als solcheanzusehen, hat er ein volles Recht. Denn Sinnlichkeit istnichts anderes als diejenige Daseinsform, welche die Seeleerlebt, wenn sie in demjenigen Zusammenhange mit demLeibe steht, der dem gewhnlichen wachen Bewutsein zu-grunde liegt. Verbindet sich die Seele inniger mit dem Leibe,als es in dieser Daseinsform der Fall ist, dann erlebt sie einVerhltnis des Menschenwesens zur Welt, das geistiger istals das durch die Sinne hergestellte. Die Vorstellungen, diedann entstehen, sind zu Imaginationen verdichtet. DieseImaginationen sind Offenbarungen der Krfte, mit denender Bildekrfteleib an dem physischen Leib wirkt. Sie blei-ben dem gewhnlichen Bewutsein verborgen. Das Fhlenerkrftigt sich zu einer solchen Strke, da die therisch-

    geistigen Krfte, die aus dem Kosmos in das Menschen-wesen wirkend hereinstrahlen, wie durch, eine innere Be-rhrung erlebt werden. Im Wollen wei sich die Seele anein geistiges Wirken hingegeben, das den Menschen einglie-dert in einen bersinnlichen Weltzusammenhang, aus demer durch das subjektive Wollen des gewhnlichen Bewut-seins sich heraussondert. Wahre Mystik entsteht nur, wenn

    der Mensch sein vollbewutes seelisches Wesen in den ge-kennzeichneten innigeren Zusammenhang mit dem Leibehineintrgt und er nicht durch den Zwang der Leibesorgani-sation zu krankhaft visionrem oder herabgestimmtem Be-wutsein getrieben wird. Echte Mystik ist bestrebt, das nachdem menschlichen Innern zu gelegene geistig Wesenhafte

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    des Menschen, das von der Sinneswahrnehmung fr das

    gewhnliche Bewutsein berdecktwird, zu erleben. Echte

    Alchimie macht sich unabhngig von der sinnlichen Wahr-

    nehmung, um das auerhalb des Menschen vorhandenegeistig Wesenhafte der Welt zu schauen, das von der Sinnes-

    wahrnehmung verdeckt wird. Der Mystiker mu vor sei-

    nem Eintreten in das Menschen-Innere seine Seele in eine

    solche Verfassung bringen, da sie ihr Bewutsein gegen-

    ber dem erhhten Gegendruck, den sie durch das innigere

    Zusammensein mit dem Leibe erfhrt, nicht dem Herab-

    dmmern oder Auslschen aussetzt. Der Alchimist bedarf

    vor seinem Betreten der hinter dem Sinnesgebiet liegenden

    Geistwelt einer Erkrftigung seines Seelenwesens, damit

    dieses sich nicht an die Wesen und Vorgnge dieser Welt ver-

    liert. Die Forschungswege des Mystikers und des Alchimisten

    liegen nach entgegengesetzten Richtungen. Der Mystiker

    geht unmittelbar in das eigene Geistwesen des Menschen

    hinein. Sein Ziel ist, was die Mystische Hochzeitgenannt

    werden kann, die Vereinigung der bewuten Seele mit dereigenen geistigen Wesenheit. Der Alchimist will das Geist-

    gebiet der Natur durchwandeln, um nach der erfolgten

    Wanderung mit den in diesem Gebiet erworbenen Erkennt-

    niskrften das Geistwesen des Menschen zu schauen. Sein

    Ziel ist die Chymische Hochzeit, die Vereinigung mit

    dem Geistgebiet der Natur. Nach dieser Vereinigung erst

    will er die Anschauung der Menschenwesenheit erleben.Sowohl der Mystiker wie auch der Alchimist erleben

    schon im Anfange ihrer Wege ein Geheimnis, das sich inner-

    halb des gewhnlichen Bewutseins seinem Wesen nach

    nicht durchschauen lt. Es bezieht sich auf das Verhltnis

    von Menschenleib und Menschenseele. Der Mensch lebt, als

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    seelisches Wesen, zwar in Wahrheit in der geistigen Welt;aber er hat auf der gegenwrtigen Entwicklungsstufe, dieer innerhalb des Weltenwerdens einnimmt, keine eigene

    Orientierungsfhigkeit im Geistgebiet. Durch die Krfteseines gewhnlichen Bewutseins kann er sein Verhltniszu sich selbst und zur auermenschlichen Welt nur dadurchim Sinne der Wahrheit herstellen, da der Leib ihm dieRichtungen fr die Seelenbettigung anweist. Der Leib istso in die Welt eingegliedert, da diese Eingliederung derkosmischen Harmonie entspricht. Lebt die Seele innerhalbder Sinneswahrnehmung und der gewhnlichen Verstandes-ttigkeit, so ist sie gerade mit derjenigen Strke an den Leibhingegeben, durch die dieser seine Harmonie mit dem Welt-all auf sie bertragen kann. Hebt sich die Seele aus diesemErleben nach der mystischen oder der alchimistischen Rich-tung heraus, so wird fr sie ntig, Vorsorge zu treffen,damit sie die durch den Leib gewonnene Harmonie mitdem Weltall nicht verliere. Trfe sie diese Vorsorge nicht,

    so drohte ihr auf dem mystischen Wege der Verlust desgeistigen Zusammenhanges mit dem Weltall; auf dem alchi-mistischen Pfade die Einbue des Unterscheidungsverm-gens fr Wahrheit und Irrtum. Der Mystiker wrde ohnediese Vorsorge durch den dichteren Zusammenhang mit demLeib die Kraft des Selbstbewutseins so verdichten, da ervon ihr berwltigt in dem Eigenleben nicht mehr das

    Weltleben miterfahren knnte. Dadurch wrde er in denBereich einer anderen geistigen Welt mit seinem Bewut-sein eintreten, als die dem Menschen entsprechende ist. (Ichhabe in meinen geisteswissenschaftlichen Schriften diese Weltdie luziferische genannt.) Der Alchimist k)me ohne ntigeVorsorge zu einer Entkrftung seines Unterscheidungsver-

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    mgens gegenber Wahrheit und Tuschung. Im groen Zu-sammenhange des All ist die Tuschung eine Notwendig-keit. Der Mensch kann ihr auf seiner gegenwrtigen Ent-

    wicklungsstufe aber nicht verfallen, weil ihm das Gebietder Sinneswahrnehmung Schutz gewhrt. Wre die Tu-schung nicht im Hintergrunde des menschlichen Welt-Er-lebens, so knnte der Mensch nicht die verschiedenen Stuf enseines Bewutseins entwickeln. Denn die Tuschung ist dietreibende Kraft dieser Bewutseinsentwickelung. Auf dergegenwrtigen Stufe der menschlichen Bewutseinsentwik-kelung mu die Tuschung zwar zur Entstehung des Be-wutseins wirken; sie mu aber selbst im Unbewuten blei-ben. Denn trte sie in das Bewutsein ein, so wrde siedie Wahrheit berwltigen. Sobald nun die Seele auf demalchymistischen Wege in das hinter der Sinneswahrneh-mung gelegene Geistgebiet eintritt, gert sie in die Wirbelder Tuschung, innerhalb derer sie ihr Wesen nur in rechterArt bewahren kann, wenn sie aus dem Erleben in der Sin-

    neswelt ein gengend groes Unterscheidungsvermgen frWahrheit und Tuschung mitbringt. Sorgte sie fr ein sol-ches Unterscheidungsvermgen nicht, so wrden sie die Wir-bel der Tuschung in eine Welt verschlagen, in der sie sichselbst verlieren mte. (Ich habe in meinen geisteswissen-schaftlichen Schriften diese Welt die ahrimanische genannt.) -Der Mystiker hat ntig, bevor er seinen Weg antritt, die

    Seele in eine solche Verfassung zu bringen, da das Eigen-leben nicht berwltigt werden kann; der Alchimistmu den Sinn fr die Wahrheit erkrftigen, damit er ihmnicht verlorengehe, auch wenn er nicht durch die Sinnes-wahrnehmung und den an diese gebundenen Verstand un-tersttzt wird.

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    Der Trger der Erlebnisse, die in der Chymischen Hoch-zeit geschildert sind, ist als Alchimist sich bewut, da erauf seinem "Wege ein erstarktes Unterscheidungsvermgen

    fr Wahrheit und Tuschung braucht. Nach den Lebens-verhltnissen, aus denen heraus er seinen alchymistischenPfad antritt, sucht er seine Sttze aus der christlichen Wahr-heit zu gewinnen. Er wei: was ihn mit Christus verbindet,hat schon innerhalb seines Lebens in der Sinnen weit eine zurWahrheit fhrende Kraft in seiner Seele zur Entfaltung ge-bracht, welche der Sinnesgrundlage nicht bedarf, die sichalso auch bewhren kann, wenn diese Sinnesgrundlage nichtda ist. Mit dieser Gesinnung steht seine Seele vor dem Wesenim blauen Kleide, das ihn auf den Weg zur ChymischenHochzeit weist. Dieses Wesen knnte zunchst ebensogutder Welt der Tuschung und des Irrtums wie derjenigender Wahrheit angehren. Der Wanderer zur ChymischenHochzeit mu unterscheiden. Aber sein Unterscheidungs-vermgen wre verloren, der Irrtum mte ihn ber-

    wltigen, knnte er nicht im bersinnlichen Erleben er-innern, was ihn in der sinnlichen mit einer inneren Kraftan die Wahrheit bindet. Aus der eigenen Seele steigt auf,was in dieser durch Christus geworden ist. Und so wie seinbriges Licht, so strahlt der Bildekrfteleib dieses Christus-licht nach dem sich offenbarenden Wesen hin. Es bildet sichdie rechte Imagination. DerBrief, der ihn aufden Weg zur

    Chymischen Hochzeit weist, enthlt das Christuszeichenund die Worte: in hoc signo vinces. Der Wanderer wei:er ist durch eine Kraft, die nach der Wahrheit weist, mitdem erscheinenden Wesen verbunden. Wre die Kraft, dieihn in die bersinnliche Welt gefhrt hat, eine zur Tu-schung neigende gewesen, so stnde er vor einer Wesenheit,

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    die sein Erinnerungsvermgen fr den in ihm lebendenChristusimpuls gelhmt htte. Er wrde dann nur der ver-fhrerischen Macht gefolgt sein, welche den Menschen auch

    dann anzieht, wenn die bersinnliche "Welt ihm Krfte ent-gegenfhrt, die seinem Wesen und Wollen verderblich sind.Der Inhalt des Briefes, welcher dem Wanderer nach derChymischen Hochzeit von dem ihm erscheinenden Wesenberreicht wird, enthlt in der Ausdrucksweise des fnf-zehnten Jahrhunderts eine Kennzeichnung seines Verhlt-nisses zur geistigen Welt, soweit ihm davon am Beginnedes ersten Tages seiner Geisterlebnisse ein Bewutsein auf-gegangen ist. DasZeichen, welches den Worten beigegebenist, bringt zum Ausdrucke, wie das gegenseitige Verhltnisvon physischem Leib, Bildekrfteleib und Seelisch-Geisti-gem sich bei ihm gestaltet hat. Bedeutungsvoll fr ihn ist,da er sich sagen darf, diese Verfassung in seiner Menschen-Wesenheit stehe im Einklang mit den Verhltnissen imWeltall. Er hat in fleiiger Nachrechnung und Kalkula-

    tion seiner annotierten Planeten gefunden, da dieseVerfassung bei ihm in dem Zeitpunkte eintreten darf, indem sie nunmehr stattfindet. Wer das hier in Betracht Kom-mende im Sinne der Torheiten mancher Astrologen an-sieht, der wird es miverstehen, gleichgltig ob er sich alsGlubiger zustimmend oder als Aufgeklrter hohn-lchelnd dazu verhlt. Der Darsteller der Chymischen

    Hochzeit hat aus guten Grnden dem Titel seines BuchesdieJahreszahl 1459 hinzugefgt. Er war sich bewut, dadie Seelenverfassung des Trgers der Erlebnisse zusammen-stimmen mu mit der Verfassung, bei der in einem be-stimmten Zeitpunkte das Weltwerden angelangt ist, wenninnere Seelenverfassung und uerer Weltinhalt nicht eine

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    Disharmonie ergeben sollen. Der von der gewhnlichenSinneswahrnehmung unabhngigen Seele mu der uerebersinnliche Weltinhalt in Harmonie begegnen, wenn

    durch den Zusammenklang der beiden derjenige Bewut-seinszustand entstehen soll, welcher die Chymische Hoch-zeit ausmacht. Wer glaubt, da die Konstellation der an-notierten Planeten eine geheimnisvolle Kraft enthlt,welche den Erlebniszustand des Menschen bestimmt, dergliche demjenigen, welcher der Meinung wre, die Zeiger-stellungen seiner Uhr htten die Kraft, ihn zu einem Aus-gang zu veranlassen, den er aus seinen Lebensverhltnissenheraus zu einer bestimmten Stunde hat unternehmen ms-sen.

    In dem Briefe wird aufdrei Tempel verwiesen. Was mitdiesen gemeint ist, wird von dem Trger der Erlebnisse indem Zeitpunkte noch nicht verstanden, in dem er den Hin-weis erhlt. Wer in der geistigen Welt wahrnimmt, muwissen, da ihm zuweilen Imaginationen zuteil werden,

    auf deren Verstndnis er zunchst verzichten mu. Er musie als Imaginationen hinnehmen und als solche in der Seeleausreifen lassen. Whrend dieser Reifung bringen sie imMenschen-Innern die Kraft hervor, welche das Verstndnisbewirken kann. Wollte sie der Beobachter in dem Augen-blicke sich erklren, in dem sie sich ihm offenbaren, sowrde er dieses mit einer dazu noch ungeeigneten Verstan-

    deskraft tun und Ungereimtes denken. In der geistigen Er-fahrung hngt vieles davon ab, da man die Geduld hat,Beobachtungen zu machen, sie zunchst einfach hinzuneh-men und mit dem Verstehen bis zu dem geeigneten Zeit- punkte zu warten. Was der Wanderer zur ChymischenHochzeit am ersten Tage seiner Geist-Erlebnisse erfhrt,

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    bezeichnet er als ihm vor sieben Jahren angekndigt. Erdurfte in dieser Zeit nicht ber sein damaliges Gesichteine verstandesmige Meinung sich bilden, sondern mute

    warten, bis das Gesicht in seiner Seele so lange nach-gewirkt habe, da er weiteres mit Verstndnis erfahrenkonnte.

    Die Erscheinung des Geistwesens im blauen, sternbesetz-ten Kleide und die berreichung des Briefes sind Erlebnisse,welche der "Wanderer zur Chymischen Hochzeit macht,ohne da ein eigener freier Entschlu seiner Seele dazufhrt. Er geht im weiteren dazu ber, durch einen solchenfreien Entschlu Erlebnisse herbeizufhren. Er tritt in einenschlaf hnlichen Zustand ein; in einen solchen, der ihmTraumerfahrungen bringt, deren Inhalt Wirklichkeitswertbesitzt. Er kann dieses, weil er nach den Erlebnissen, die erhinter sich hat, durch den Schlaf zustand in ein anderes Ver-hltnis zur geistigen Welt tritt, als das gewhnliche ist. DieSeele des Menschen ist im gewhnlichen Erleben whrend

    des Schlafzustandes nicht durch Bande an die geistige Weltgeknpft, die ihr Vorstellungen mit Wirklichkeitswert ge- ben knnen. Die Seele des Wanderers zur ChymischenHochzeit ist aber verwandelt. Sie ist innerlich so erkrftigt,da sie in die Traumerfahrung aufnehmen kann, was inihrem Erleben Zusammenhang hat mit der geistigen Welt,in der sie sich befindet. Und sie erlebt durch eine solche Er-

    fahrung zunchst ihr eigenes, neu gewonnenes Verhltnis zudem Sinnenleibe. Sie erlebt dieses Verhltnis durch dieIma-gination des Turmes, in dem der Trumende eingeschlossenist, und aus dem er befreit wird. Sie erlebt bewut, wasunbewut im gewhnlichen Dasein erlebt wird, wenn dieSeele einschlafend aus dem Gebiet der Sinneserfahrung in

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    dasjenige bersinnlicher Daseinsform bergeht. Die Be-engungen und Nte in dem Turm sind der Ausdruck fr dieSinneserlebnisse nach dem Seelen-Inneren zu, wenn dieses

    sich dem Gebiet solcher Erlebnisse entwindet. Was die Seelein der Art an den Leib bindet, da das Ergebnis dieserBindung die Sinneserfahrung ist, dies sind die wachstum-frdernden Lebenskrfte. Unter dem alleinigen Einflu die-ser Krfte knnte nie Bewutsein entstehen. Das blo Le-bendige bleibt unbewut. Zur Entstehung des Bewutseinsfhren im Verein mit der Tuschung diejenigen Krfte,welche das Leben vernichten. Trge der Mensch nicht insich, was ihn dem physischen Tode entgegenfhrt: er knntezwar im physischen Leibe leben, aber in demselben nichtBewutsein entwickeln. Fr das gewhnliche Bewutsein bleibt der Zusammenhang zwischen den tod-bringendenKrften und diesem Bewutsein verborgen. Wer wie derTrger der Erlebnisse in der Chymischen Hochzeit ein Be-wutsein fr die geistige Welt entwickeln soll, dem mu

    dieser Zusammenhang vor das Geistesauge treten. Er muerfahren, da mit seinem Dasein dereisgraue Mann ver-bunden ist, das Wesen, das seiner Natur nach die Kraft desAlterns in sich trgt. Das Schauen im Geistgebiet kann nurderjenigen Seele zuteil werden, welche, whrend sie in die-sem Gebiete weilt, die Kraft auf sich wirken sieht, die imgewhnlichen Leben hinter dem Altern steht. Diese Kraft

    ist imstande, die Seele dem Gebiet der Sinneserfahrung zuentreien. Der Wirklichkeitswert des Traumerlebnissesliegt darin, da der Wanderer zur Chymischen Hochzeitdurch dasselbe sich bewut ist, er kann nunmehr der Naturund der Menschen weit mit einer Seelenverfassung entgegen-treten, die ihn schauen lt, was in beiden dem gewhn-

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    liehen Bewutsein verborgen ist. Dadurch ist er gereift frdie Erfahrungen der nchsten Tage.

    Im Beginne der Schilderung des zweiten Tages wird

    auch sogleich darauf hingewiesen, wie ihm die Natur ineiner neuen Art erscheint. Aber er soll nicht nur in die Hin-tergrnde der Natur schauen; er soll in die Beweggrndedes menschlichen Wollens und Handelns tiefere Blicke tun,als sie dem gewhnlichen Bewutsein zuteil werden. DerDarsteller der Chymischen Hochzeit will sagen, da die-ses gewhnliche Bewutsein nur die Auenseite des Wollensund Handelns kennenlernt, und da auch die Menschendurch dieses Bewutsein von ihrem eigenen Wollen undHandeln nur diese Auenseite gewahr werden. Die tieferliegenden geistigen Impulse, die aus der bersinnlichenWelt heraus in dieses Wollen und Handeln sich ergieen,und die das menschliche soziale Zusammenleben gestalten,bleiben diesem Bewutsein unbekannt. Der Mensch kann indem Glauben leben, ein bestimmter Beweggrund fhre ihn

    zu einer Handlung; in Wahrheit ist dieser Beweggrund nurdie bewute Maske fr einen unbewut bleibenden. Inso-fern die Menschen ihr soziales Zusammenleben nach demgewhnlichen Bewutsein regeln, greifen in dieses Zusam-menleben Krfte ein, die nicht im Sinne der Entwickelungliegen, welche der Menschheit heilsam sind. Diesen Krftenmssen andere entgegengestellt werden, welche durch ber-

    sinnliches Bewutsein erschaut und dem sozialen Wirkeneinverleibt werden. Zur Erkenntnis solcher Krfte soll derWanderer der Chymischen Hochzeit gefhrt werden.Dazu soll er die Menschen durchschauen nach dem Wesen,das wirklich in ihnen lebt, und das ein ganz anderes ist, alsdas in ihrem Glauben von sich vorhandene, oder das der

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    Stelle entspricht, die sie in der vom gewhnlichen Bewut-sein bestimmten sozialen Ordnung einnehmen. - Das Bildder Natur, welches sich dem gewhnlichen Bewutsein

    offenbart, ist sehr verschieden von demjenigen einer sozialenMenschenordnung. Die bersinnlichen Naturkrfte, welchedas geistige Bewutsein kennenlernt, sind aber verwandtden bersinnlichen Krften dieser sozialen Menschenord-nung. Der Alchimist strebt nach einem Naturwissen, dasfr ihn Grundlage wahrhaftiger Menschenkenntnis werdensoll. Den Weg zu einem solchen Wissen mu der Wandererzur Chymischen Hochzeit suchen. Doch nicht ein solcherWeg, sondern mehrere werden ihm gezeigt. Dererste fhrtin ein Gebiet, in welchem die in der Sinneswahrnehmunggewonnenen verstandesmigen Vorstellungen des gewhn-lichen Bewutseins in den Gang der bersinnlichen Erfah-rung einwirken, so da durch das Zusammenwirken der beiden Erfahrungskreise die Einsicht in die Wirklichkeiterttet wird. Derzweite stellt in Aussicht, da der Seele

    die Geduld verloren gehen kann, wenn sie nach geistigenOffenbarungen sich langen Wartezeiten unterwerfen mu,um stets ausreifen zu lassen, was zunchst nur als unver-standene Offenbarung hingenommen werden darf. Derdritte fordert Menschen, welche durch ihre bereits unbe-wut erlangte Entwickelungsreife in kurzer Zeit schauendrfen, was andere in langem Ringen erwerben mssen.

    Derviertebringt den Menschen zur Begegnung mit all denKrften, die aus der bersinnlichen Welt heraus sein Be-wutsein umnebeln und verngstigen, wenn dieses sich derSinneserfahrung entreien will. - Welcher Weg fr die eineoder die andere Menschenseele zu nehmen ist, das hngt abvon der Verfassung, in welche sie durch die Erfahrungen

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    des gewhnlichen Bewutseins gebracht ist, bevor sie diegeistige Wanderung antritt. Whlen im gewhnlichenSinne kann sie nicht, denn ihre Wahl wrde aus dem sinn-

    lichen Bewutsein hervorgehen, dem eine Entscheidung inbersinnlichen Dingen nicht zusteht. Die Unmglichkeiteiner solchen Wahl sieht der Wanderer nach der Chymi-schen Hochzeit ein. Er wei aber auch, da seine Seele frein Verhalten in einer bersinnlichen Welt gengend er-starkt ist, um zum Rechten veranlat zu werden, wenn einesolche Veranlassung aus der geistigen Welt selbst kommt.Die Imagination seiner Befreiung aus dem Turm gibtihm dieses Wissen. DieImagination des schwarzen Raben,welcher der weien Taube die ihr geschenkte Speise ent-reit, ruft in der Seele des Wanderers ein gewisses Gefhlhervor; und dieses aus bersinnlichem, imaginativem Wahr-nehmen erzeugte Gefhl fhrt auf den Weg, auf den dieWahl des gewhnlichen Bewutseins nicht htte leiten dr-fen. Auf diesem Wege gelangt der Wanderer dahin, wo

    sich seinem Schauen Menschen und Menschenzusammen-hnge in dem Lichte zeigen sollen, das dem Erleben imSinnesleibe nicht zugnglich ist. Er tritt durch eine Pfortein eine Behausung ein, innerhalb welcher sich die Menschenso verhalten, wie es den in ihre Seelen sich ergieenden ber-sinnlichen Krften entspricht. Er soll durch die Erfahrun-gen, die er innerhalb dieser Behausung macht, zu einem

    neuen Leben erwachen, das zu fhren ihm obliegen wird,wenn von seinem bersinnlichen Bewutsein ein gengendgroes Gebiet dieser Erfahrungen umfat sein wird. - Eshaben manche Beurteiler der Chymischen Hochzeit Chri-stiani Rosencreutz die Meinung geuert, da sie nichtsweiter sei als ein satirischer Roman auf das Treiben gewis-

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    ser Sektierer oder abenteuerlicher Alchimisten oder auf

    hnliches. Vielleicht ergibt aber schon eine wirklich richtige

    Ansicht ber die Erlebnisse, welche der Verfasser des Bu-

    ches seinen Wanderer vor dem Tore machen lt, dadie satirische Stimmung, die das Werk in seinen weiteren

    Teilen zeigt, zurckzufhren ist auf Seelenerfahrungen,

    deren Ernst eine Gestalt annimmt, welche dem wie bloe

    Satire erscheint, der nur im Gebiete des Sinnes-Erlebens

    bleiben will. Es knnte gut sein, wenn dieses bei der Be-

    trachtung der weiteren Erlebnisse des Wanderers nach der

    Chymischen Hochzeit nicht unbercksichtigt bliebe.

    Das zweite seelische Tagewerk bringt den Geistsucher,

    dessen Erfahrungen Johann Valentin Andreae schildert, zu

    Erlebnissen, durch die es sich entscheidet, ob er die Fhig-

    keit des wahren geistigen Schauens erlangen kann, oder ob

    eine Welt geistigen Irrtums seine Seele umfangen soll. Diese

    Erlebnisse kleiden sich fr sein Wahrnehmungsvermgen in

    die Imaginationen des Eintrittes in ein Schlo, in dem die

    Welt der geistigen Erfahrung verwaltet wird. Solche Ima-ginationen kann nicht nur der echte, sondern auch der un-

    echte Geistsucher haben. Die Seele gelangt zu ihnen, wenn

    sie gewissen Gedankenrichtungen und Empfindungsweisen

    folgt, durch die sie eine Umgebung vorzustellen vermag, die

    ihr nicht durch sinnliche Eindrcke vermittelt ist. - An der

    Art, wie Andreae die Gesellschaft unechter Geistsucherdar-

    stellt, innerhalb welcher der Bruder vom roten Rosen-kreuz sich am zweiten Tage noch befindet, erkennt man,

    da ihm das Geheimnis vom Unterschied des echten und des

    unechten Geistsuchers wohl bewut ist. Wer die Mglich-

    keit hat, solche innere Zeugnisse von der geistigen Einsicht

    des Verfassers der Chymischen Hochzeit richtig zu be-

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    urteilen, der wird ber den wahren Charakter dieser Schriftund ber die Absicht Andreaes nicht im Zweifel sein kn-nen. Sie ist ganz offenbar geschrieben, u,m ernst strebenden

    Menschen Aufklrung zu geben ber das Verhltnis dersinnenflligen Welt zur geistigen und ber die Krfte, wel-che der Menschenseele fr das soziale und sittliche Lebenaus der Erkenntnis der Geisteswelt erwachsen knnen. Dieunsentimentale, humoristisch-satirische Darstellungsart An-dreaes spricht nicht gegen, sondern fr die tiefernste Ab-sicht. Nicht nur kann man innerhalb der scheinbar leichtwiegenden Szenen den Ernst wohl durchempfinden; manhat auch das Gefhl, Andreae schildert wie jemand, derdas Gemt seines Lesers nicht durch Sentimentalitt gegen-ber den Geheimnissen der Geistwelt umnebeln, sondernder bei dem Leser ein seelisch freies, selbstbewut-ver-nnftiges Verhalten zu dieser Welt als Stimmung erzeugenwill.

    Hat sich jemand durch Gedankenverrichtungen und

    Empfindungsweisen in die Lage versetzt, in Imaginationeneine bersinnliche Welt vorstellen zu knnen, so ist miteiner solchen Fhigkeit noch keineswegs die Gewhr ver-bunden, da die Imaginationen dazu geeignet sind, ihn inein wirkliches Verhltnis zur Geisteswelt zu bringen. DerBruder vom Rosenkreuz sieht sich auf dem Felde des imagi-nativen Erlebens umgeben von zahlreichen Seelen, die zwar

    in Vorstellungen ber die geistige Welt leben, die aberdurch ihre innere Verfassung in eine wirkliche Berhrungmit dieser Welt nicht kommen knnen. Die Mglichkeit die-ser wirklichen Berhrung hngt davon ab, wie der Geist-sucher seine Seele gegenber der sinnenflligen Welt ein-stellt, bevor er an die Schwelle zur geistigen Welt herantritt.

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    Diese Einstellung bringt in der Seele eine Verfassung her-vor, die ber die Schwelle getragen wird und sich innerhalbder Geisteswelt so offenbart, da diese den Suchenden auf-

    nimmt oder zurckweist. Die rechtmige Seelenverfassungkann nur dadurch erlangt werden, da der Suchende bereitist, alles vor der Schwelle abzulegen, das sein Verhltniszur Welt innerhalb der sinnenflligen Wirklichkeit be-stimmt. Diejenigen Gemtsimpulse mssen fr das Verwei-len in der Geisteswelt unwirksam werden, durch die derMensch aus der ueren Lebenslage und dem ueren Le-bensschicksale heraus den Charakter und die Geltung - dasGewicht - seiner Persnlichkeit empfindet. Ist schon dieseNotwendigkeit, durch die sich der Mensch in eine Art seeli-scher Kindheit versetzt fhlt, schwierig zu erfllen, sowiderstrebt dem gewhnlichen Empfinden noch mehr dieandere, auch die Art des Urteilens zu unterdrcken, durchdie man sich innerhalb der Sinneswelt orientiert. Man muzu der Einsicht kommen, da diese Urteilsart an der Sinnes-

    welt gewonnen ist, da sie nur innerhalb dieser Geltunghaben kann, und da man bereit sein mu, die Art, wieman in der Geisteswelt zu urteilen hat, aus dieser selbst erstzu erfahren. Der Bruder vom Rosenkreuz entwickelt beiseinem Eintritte in das Schlo eine Seelenstimmung, dieaus dem Gefhle von diesen Notwendigkeiten herrhrt. Erlat sich nicht zum Verbringen der ersten Nacht im Schlosse

    in ein Gemach fhren, sondern verbleibt in dem Saal, bis zudem er durch seine Teilnahme an den Vorgngen des zwei-ten Tages gelangt ist. Auf diese Art bewahrt er sich davor,seine Seele in ein Gebiet der geistigen Welt zu tragen, mitder sich die in seinem Innern wirksamen Krfte noch nichtwrdig verbinden knnen. Diejenige Seelenstimmung, die

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    ihn davon abhlt, weiter in den Geistesort einzudringen,als ihn der zweite Tag gebracht hat, ist in seiner Seele dieNacht hindurch wirksam und rstet ihn mit einem Wahr-

    nehmungs- und Willensvermgen aus, die er am folgendenTage braucht. Solche Eindringlinge, die mit ihm gekommensind ohne die Fhigkeit derartiger Seelenstimmung, mssenam folgenden Tage von der geistigen Welt wieder ausge-stoen werden, da sie die Frucht dieser Stimmung nicht ent-wickeln knnen. Ohne diese Frucht ist es ihnen unmglich,die Seele durch wirkliche Innenkrfte mit derjenigen Weltzu verbinden, von der sie gewissermaen nur uerlich um-fangen werden.

    Die Vorgnge an den Pforten, die Begegnung mit demLwen, das Lesen der Inschriften an den zwei Sulen desEingangs und anderes von den Vorkommnissen des zweitenTages wird von dem Bruder des Rosenkreuzes so durchlebt,da man sieht, seine Seele webt in der gekennzeichnetenStimmung. Er erfhrt dies alles so, da ihm derjenige Teil

    davon unbekannt bleibt, der zu dem gewhnlichen an dieSinneswelt gebundenen Verstand spricht, und da er nurdas aufnimmt, was zu den tieferen Gemtskrften in eingeistig anschauliches Verhltnis tritt. - Die Begegnung mitdem grausamen Lwen bei der zweiten Pforte ist einGlied in der Selbsterkenntnis des Geistsuchers. Der Brudervom Rosenkreuz durchlebt sie so, da sie als Imagination

    auf seine tieferen Gemtskrfte wirkt, da ihm aber un- bekannt bleibt, was sie fr seine Stellung innerhalb dergeistigen Welt bedeutet. Dieses ihm unbekannte Urteil flltder Hter, der sich bei dem Lwen befindet, diesen be-ruhigt und zu dem Eintretenden gem dem Inhalt einesBriefes, der diesem Eintretenden auch unbekannt ist, die

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    Worte spricht: Nun sei mir Gott willkommen, der Mensch,den ich lngst gern gesehen htte. Der geistige Anblick desgrausamen Lwen ist das Ergebnis der Seelenverfassung

    des Bruders vom Rosenkreuz. Diese Seelenverfassung spie-gelt sich in dem Bildekrfleteil der geistigen Welt und gibtdie Imagination des Lwen. In dieser Spiegelung ist einBild des eigenen Selbstes des Beschauers gegeben. Dieser istim Felde der geistigen Wirklichkeit ein anderes Wesen alsim Gebiete des sinnenflligen Daseins.Die im Bereiche derSinneswelt wirksamen Krfte formen ihn zum sinnlichenMenschenbilde. Im Umkreis des Geistigen ist er noch nichtMensch; er ist ein Wesen, das sich imaginativ durch dieTierform ausdrcken lt. Was im sinnenflligen Daseindes Menschen an Trieben, an Affekten, an Gefhls- undWillensimpulsen lebt, das ist innerhalb dieses Daseins inFesseln gehalten durch das an den Sinnesleib gebundeneVorstellungs- und Wahrnehmungsleben, die selbst ein Er-gebnis der Sinneswelt sind. Will der Mensch aus der Sinnes-

    welt heraustreten, so mu er sich bewut werden, was anihm auer dieser Welt nicht mehr durch die Gaben derSinneswelt gefesselt ist und durch neue Gaben aus der Gei-steswelt auf den rechten Weg gebracht werden mu. DerMensch mu sich schauen vor der sinnenflligen Mensch-werdung. Dieses Schauen wird dem Bruder vom Rosen-kreuz durch die Begegnung mit dem Lwen, dem Bilde sei-

    nes eigenen Wesens vorder Menschwerdung, zuteil. - Nurum nicht Miverstndnisse hervorzurufen, mag hier an-gemerkt werden, da die Daseinsform, in der sich die demMenschen zugrunde liegende Wesenheit vor der Mensch-werdung auf geistige Art erblickt, nichts zu tun hat mit derTierheit, mit welcher der landlufige Darwinismus die

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    Menschenart durch Abstammung verknpft denkt. Denndie Tierform des geistigen Anblickes ist eine solche, diedurch ihre Wesenheit nur der Bildekrftewelt angehren

    kann. Innerhalb der Sinneswelt kann sie nur als unterbe-wutes Glied der Menschennatur ein Dasein haben. - Daer mit dem Teil seiner Wesenheit, der durch den Sinnesleibin Fesseln gehalten ist, noch vor der Menschwerdung steht,das drckt sich in der Seelenstimmung aus, in der sich derBruder vom Rosenkreuz beim Eintritte in das Schlo be-findet. Was er zu erwarten hat, dem stellt er sich unbefan-

    gen gegenber und trbt es sich nicht durch Urteile, dienoch von dem an die Sinneswelt gebundenen Verstand her-stammen. Solche Trbung mu er spter an denjenigen bemerken, die nicht mit einer rechtmigen Seelenstim-mung gekommen sind. Auch sie sind an dem grausamenLwen vorbeigekommen und haben ihn gesehen, denn dieshngt nur davon ab, da sie die entsprechenden Gedanken-richtungen und Empfindungsweisen in ihre Seele aufgenom-men haben. Aber die Wirkung dieses geistigen Anblickeskonnte bei ihnen nicht stark genug sein, um sie zum Ab-legen der Urteilsart zu bewegen, an die sie fr die Sinnes-welt gewohnt waren. Ihre Art zu urteilen erscheint demGeistesauge des Bruders vom Rosenkreuz innerhalb derGeisteswelt als eitel Prahlerei. Sie wollen Piatos Ideensehen, Demokrits Atome zhlen, geben vor, das Unsicht-

    bare zu sehen, whrend sie in Wahrheit nichts sehen. Andiesen Dingen zeigt sich, da sie die inneren Seelenkrftenicht verbinden knnen mit der Welt, die sie umfangenhat. Ihnen fehlt das Bewutsein von den wahren Anforde-rungen, welche die Geistwelt an den Menschen stellt, der sieschauen will. Der Bruder vom Rosenkreuz kann in den f ol-

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    genden Tagen seine Seelenkrfte mit der geistigen Weltdeswegen verbinden, weil er sich am zweiten Tage derWahrheit gem eingesteht, das alles nicht zu sehen und

    nicht zu knnen, was die andern Eindringlinge vor sichoder andern behaupten, zu sehen oder zu knnen. Das Er-fhlen seiner Ohnmacht wird ihm spter zur Macht desgeistigen Erlebens. Er mu sich am Ende des zweiten Tagesfesseln lassen, weil er die Fesseln der seelischen Ohnmachtgegenber der Geisteswelt fhlen soll, bis diese Ohnmachtals solche so lange dem Lichte des Bewutseins ausgesetztwar, als sie ntig hat, um sich selbst in Macht umzuwandeln.Andreae will zeigen, wie die sieben Wissenschaften und freien Knste, in die man im Mittelalter die innerhalbder Sinneswelt zu gewinnenden Erkenntnisse gliederte, alsVorbereitung zur Geist-Erkenntnis wirken sollen. Als diesesieben Erkenntnisglieder waren gewhnlich angesehen:Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Arithmetik, Geometrie,Musik und Astronomie. Aus der Schilderung in der Chy-

    mischen Hochzeit erkennt man, da Andreae sowohl denBruder vom Rosenkreuz und seine rechtmigen Genossenwie auch die unrechtmigen Eindringlinge ausgerstetdenkt mit dem Wissen, das aus diesen Erkenntnisgliedernzu gewinnen ist. Allein der Besitz dieses Wissens ist bei denAnkmmlingen ein verschiedenartiger. Die rechtmigen,vor allen der Bruder vom Rosenkreuz, dessen Erlebnisse

    geschildert werden, haben sich dieses Wissen so angeeignet,da sie durch dessen Besitz in der Seele die Kraft entwik-kelt haben, das Unbekannte, das fr diese freien Knstenoch verborgen bleiben mu, aus der Geisteswelt zu emp-fangen. Ihre Seele ist durch diese Knste so vorbereitet, dasie nicht nur wei, was durch sie gewut werden kann, son-

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    dem da dieses Wissen ihr das Gewicht gibt, durch das sieErfahrungen in der Geistwelt machen kann. Den unrecht-migen Ankmmlingen ist das Gewicht dieser Knste

    nicht zum Seelengewicht geworden. Sie haben in ihrer Seelenicht dasjenige, was an wahrem Weltgehalt diese siebenfreien Knste enthalten. Am dritten Tage nimmt der Bru-der vom Rosenkreuz an derWgung der Seelen teil. Diesewird durch die Imagination einer Waage geschildert, durchwelche die Seelen gewogen werden, um zu finden, ob siesich zu ihrem eigenen Menschengewicht auch noch dasjenigehinzuerworben haben, das sieben anderen Gewichten gleich-kommt. Diese sieben Gewichte sind die imaginativen Re-prsentanten der sieben freien Knste.

    Der Bruder vom Rosenkreuz hat in seiner Seele nicht nurden Gehalt, der den sieben Gewichten gewachsen ist, son-dern auch noch einen berschu. Dieser kommt einer an-dern Persnlichkeit zugute, die fr sich selbst nicht gengendbefunden wird, die aber durch den wahren Geistsucher vor

    der Ausstoung aus der Geistwelt bewahrt wird. Durch dieAnfhrung dieses Vorganges zeigt Andreae, wie gut er mitden Geheimnissen der geistigen Welt vertraut ist. Von allden Krften der Seele, die sich schon in der Sinneswelt ent-wickeln, ist die Liebe die einzige, die unverwandelt bleibenkann beim bergange der Seele in die Geistwelt. Denschwcheren Menschen helfen nach der Kraft, die man selbst

    besitzt, das kann geschehen innerhalb der Sinneswelt, undes kann sich auch in gleicher Art vollziehen mit dem Besitze,der dem Menschen im Bereich des Geistigen wird.

    Durch die Art, wie Andreae die Vertreibung der unrecht-migen Eindringlinge aus der Geistwelt schildert, ist er-sichtlich, da er durch seine Schrift seinen Zeitgenossen zum

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    Bewutsein bringen will, wie weit entfernt von dieserGeistwelt und somit von der wahren Wirklichkeit einMensch sein kann, der sich zwar bekannt gemacht hat mit

    allerlei Schilderungen des Weges nach dieser Welt, demaber das Bewutsein von einer wirklichen inneren Seelen-Umwandlung fremd geblieben ist. Ein unbefangenes Lesender Chymischen Hochzeit verrt als eines der Ziele ihresVerfassers, seinen Zeitgenossen zu sagen, wie verderblichfr die wahre Menschheitsentwickelung diejenigen sind,welche in das Leben eingreifen mit Impulsen, die auf un-rechtmige Art sich zu der Geistwelt in Beziehung setzen.Andreae erwartet gerade fr seine Zeit rechte soziale, sitt-liche und andere menschliche Gemeinschaftsziele von einemrechtmigen Erkennen der geistigen Untergrnde des Da-seins. Deshalb lt er in seiner Schilderung auf alles das-jenige ein deutliches Licht fallen, das dem Menschheitsfort-schritt dadurch schdlich wird, da es solche Ziele aus einerunrechtmigen Beziehung zur Geistwelt holt.

    Am dritten Tag, nachdem er die Ausstoung der unrecht-migen Ankmmlinge erlebt hat, empfindet der Bruderdes Rosenkreuzes, da fr ihn die Mglichkeit beginnt, dieVerstandesfhigkeit in einer Art zu gebrauchen, die fr diegeistige Welt geeignet ist. Der Besitz dieser Fhigkeit stelltsich vor die Seele als dieImagination des Einhorns, das sichvor einem Lwen neigt. Der Lwe ruft darauf durch sein

    Brllen eine Taube herbei, die ihm einen lzweig bringt.Er verschluckt diesen. Wer solch ein Bild als Symbol undnicht als wirkliche Imagination behandeln wollte, derknnte sagen, es verbildliche den Vorgang in der Seele desGeistsuchers, durch den er sich fhig fhlt, Geistiges zudenken. Allein diese abstrakte Idee wrde den Seelenvor-

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    gang, um den es sich tatschlich handelt, nicht in seinervollen Wesenhaftigkeit zum Ausdrucke bringen. Denn die-ser Vorgang wird so erlebt, da der Umkreis des persn-

    lichen Erlebens, der fr das Sinnesdasein sich bis an dieGrenze des Leibes ausdehnt, ber diese Grenze hinaus er-weitert wird. Der Seher erlebt im geistigen Felde Wesenund Vorgnge auerhalb seiner eigenen Wesenhaftigkeitso, wie der Mensch durch das gewhnliche Wachbewut-sein die Vorgnge innerhalb des eigenen Leibes erlebt. Trittein solches erweitertes Bewutsein ein, dann hrt das bloabstrakte Vorstellen auf, und die Imagination stellt sich alsdie notwendige Ausdrucksform des Erlebten ein. Will mansich ber solches Erleben dennoch in abstrakten Ideen aus-drcken, was namentlich in der Gegenwart zur Mitteilunggeisteswissenschaftlicher Erkenntnisse in weitem Umfangenotwendig ist, dann mu man die Imaginationen erst insachgemer Weise auf die Ideenform bringen. Andreaeunterlt dies in der Chymischen Hochzeit, weil er ohne

    Vernderung die Erlebnisse eines Geistsuchers aus der Mittedes fnfzehnten Jahrhunderts darstellen will; in dieser Zeitpflegte man die erlebten Imaginationen nicht in Ideen undBegriffe umzusetzen.

    Wenn das imaginative Erkennen soweit gereift ist wie beidem Bruder vom Rosenkreuz am dritten Tage, dann kanndie Seele selbst mit ihrem inneren Leben in das Gebiet der

    Wirklichkeit eintreten, aus dem die Imaginationen stam-men. Erst durch diese Fhigkeit gelangt der Mensch dazu,von einem in der Geistwelt gelegenen Gesichtspunkt aus dieWesenheiten und Vorgnge der Sinneswelt auf eine neueArt zu sehen. Er schaut, inwiefern diese aus ihren wahren,in dem bersinnlichen Bereich gelegenen Quellen heraus-

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    flieen. Andreae macht bemerklich, da der Bruder vomRosenkreuz diese Fhigkeit in einem strkeren Mae sicherringt als seine Genossen. Er gelangt dazu, vom Gesichts-

    punkt der geistigen Welt aus dieBibliothek des Schlossesund dieBegrbnisse der Knige zu sehen. Da er dies ver-mag, hngt davon ab, da er in hohem Grade den eigenenWillen in der imaginativen Welt bettigen kann. Seine Ge-nossen knnen nur dasjenige schauen, was durch fremdeKraft, ohne solche starke eigene Willensbettigung an sieherankommt. Der Bruder vom Rosenkreuz lernt bei derKnige Begrbnissen mehr denn in allen Bchern ge-schrieben steht. Die Anschauung dieser Begrbnisse wirdin unmittelbaren Zusammenhang gebracht mit derjenigendes herrlichen Phnix. In diesen Anschauungen enthlltsich das Geheimnis des Todes und der Geburt. Diese beidenGrenzvorgnge des Lebens walten nur in der sinnenflligenWelt. Im Geistigen entspricht der Geburt und dem Todenicht ein Entstehen und Vergehen, sondern die Verwand-

    lung einer Lebensform in die andere. Man kann das Wesenvon Geburt und Tod nur erkennen, wenn man es schautvon einem Gesichtspunkte auerhalb der Sinnenwelt, voneinem Bereiche aus, in dem sie selbst nicht vorhanden sind.Da der Bruder vom Rosenkreuz zu der Knige Be-grbnissen dringt und im Bilde des Phnix das Ersteheneiner jungen kniglichen Kraft aus der in den Tod ein-

    gegangenen der alten Knige schaut, verzeichnet Andreaedeswegen, weil er den besonderen Geistesweg eines Er-kenntnissuchers aus der Mitte des fnfzehnten Jahrhun-derts schildern will. Es ist dies ein Zeitenwendepunkt inbezug auf das geistige Erleben der Menschheit. Die Formen,in denen sich durch Jahrhunderte hindurch vorher die Men-

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    sdienseele der geistigen Welt nhern konnte, wandeltensich in diesem Zeitpunkte in andere. Auf dem Gebiete desueren Menschheitslebens trat diese Wandlung durch die

    aufkommende naturwissenschaftliche Denkungsart derneuen Zeit und die brigen Umwlzungen im Leben derErdenvlker in dieser Epoche zutage. Im Bereiche derjeni-gen Welt, in welcher die Geistsucher nach den Geheimnissendes Daseins forschen, offenbart sich in solchen Zeitenwen-den das Vergehen einer bestimmten Richtung der mensch-lichen Seelenkrfte und das Auftreten einer anderen. Trotzaller andern umwlzenden Ereignisse im geschichtlichenWerden der Menschheit war der Charakter der Geistesschauseit den Zeiten des griechisch-rmischen Lebens im wesent-lichen bis in das fnfzehnte Jahrhundert der gleiche geblie-ben. Der Geistsucher hatte den im Gemte wurzelnden in-stinktiven Verstand, welcher die wesentliche Seelenkraftdieses Zeitalters war, in das Feld der geistigen Wirklichkeithineinzutragen und dort zu der Kraft der Geistesschau um-

    zuwandeln. Von der Mitte des fnfzehnten Jahrhundertsan tritt an die Stelle dieser Seelenkraft der im Lichte desvollen Selbstbewutseins wirkende, von den instinktivenKrften sich befreiende Verstand. Ihn zum schauenden Be-wutsein zu erheben, wird die Aufgabe des Geistsuchers.

    In Christian Rosenkreutz, als fhrendem Bruder vomRosenkreuz, kennzeichnet Andreae eine Persnlichkeit,

    welche auf die Art in die geistige Welt eingetreten ist, dieim fnfzehnten Jahrhundert zu Ende ging. Die Erlebnisseder Chymischen Hochzeit stellen ihm dies Zu-Ende-Gehen und das Heraufkommen einer neuen Art vor dasSeelenauge. Er mu deshalb in Geheimnisse eindringen, dieihm die Beherrscher des Schlosses, die in der alten Art das

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    geistige Leben weiter verwalten mchten, verhllen wollen.Den grten Geistesforscher vom Ende einer abgelaufenenEpoche, der aber den Tod dieser Epoche und den Aufgang

    einer neuen auf geistigem Feld durchschaut, will Andreaefr seine Zeitgenossen charakterisieren. Er fand, da diesesich mit den berlieferungen der alten Epoche begngten,da sie im Sinne dieser berlieferungen sich die geistigeWelt erschlieen wollten. Ihnen wollte er sagen: euer Wegist ein fruchtloser; der Grte, der ihn zuletzt gegangen ist,hat seine Fruchtlosigkeit durchschaut. Erkennet, was erdurchschaut hat, und ihr werdet euch ein Gefhl fr einenneuen Weg aneignen. Christian Rosenkreutz' Geisteswegals das Vermchtnis der Geistforschung des fnfzehntenJahrhunderts wollte Andreae in seine Zeit hineinstellen,um zu zeigen, da die Initiative ergriffen werden mu zueiner neuen Art der Geistforschung. In der Fortsetzungvon Bemhungen, wie sie durch Johann Valentin Andreaeihren Anfang genommen haben, steht auch gegenwrtig

    der Geistesforscher noch darinnen, der die Zeichen seinerZeit versteht. Ihm treten die strksten Widerstnde vonseiten derjenigen Geistsucher entgegen, welche aus einerErneuerung oder Wieder-Belebung alter geisteswissenschaft-licher berlieferungen den Weg in die bersinnliche Weltbahnen wollen.

    In zarten Andeutungen spricht Andreae von den Er-

    kenntnis-Ausblicken, die sich durch das schauende Bewut-sein der Menschheit in der Zeitepoche ergeben mssen, diemit der Mitte des fnfzehnten Jahrhunderts begonnen hat.Zu einem groen Globus dringt Christian Rosenkreutz vor,durch den ihm die Abhngigkeit der irdischen Ereignissevon auerirdischen, kosmischen Impulsen vor die Seele

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    dringt. Es ist damit das erste Hineinsehen in eine Him-melskunde gekennzeichnet, die ihren Anfang genommenhat mit der kopernikanischen Weltansicht, die aber in die-

    ser nur eben einen Anfang sieht, der nur geben kann, wasfr die sinnenfllige Welt Geltung hat. Im Sinne diesesAnfanges forscht die neuere naturwissenschaftliche Vorstel-lung bis heute. In ihrem Weltbilde sieht sie die Erde um-geben von Himmelsvorgngen, die sie nur mit verstan-desgemen Begriffen erfassen will. Im Erdgebiete selbstsucht sie die Krfte fr die wesentlichen Vorgnge des Erd-Geschehens. Wenn sie die Bedingungen untersucht, unterdenen der Keim zu einem neuen Wesen in einem Mutter-wesen entsteht, so sieht sie auf die Krfte allein, die in derVererbungsstrmung bei den irdischen Vorfahren zu suchensind. Sie hat kein Bewutsein davon, da bei der Keiraes-entstehung der himmlische Umkreis der Erde herein-wirkt in das Erdgeschehen, da im Mutterwesen nur derOrt ist, an dem der auerirdische Kosmos den Keim aus-

    bildet. Die Ursachen fr historische Ereignisse sucht dieseDenkweise ausschlielich bei den Tatsachen, die im Erden-leben diesen Ereignissen vorangegangen sind. Sie blicktnicht auf zu den auerirdischen Impulsen, die irdische Tat-sachen befruchten, da aus dem Geschehen der einen Epochedasjenige der nchsten hervorgehe. Vom Auerirdischenlt diese Denkungsart lediglich die leblosen Erdenvor-

    gnge beeinflut sein. Der Ausblick auf eine organische, einegeistige Himmelskunde erffnet sich fr Christian Rosen-kreutz, die nichts mehr gemein haben kann mit der Art deralten Astrologie, die auf denselben Grundlagen fr das ber-sinnliche ruht wie der Kopernikanismus fr das Sinnliche.

    Man kann gewahr werden, wie Andreae in der Chymi-

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    sehen Hochzeit das imaginative Leben durchaus sachgem behandelt. Alles, was an Christian Rosenkreutz als sichoffenbarendes Wissen herantritt, zu dem sein eigener Wille

    nicht mitwirkt, lt er durch Krfte herankommen, die inBildern des Weiblichen ihre Reprsentation finden. Wozuder eigene Wille des Geistsuchers sich den Weg bahnt, daswird durch Bilder von geleitenden Knaben, durch Mnn-liches veranschaulicht. Im Menschen walten, gleichgltig ober als Sinneswesen Mann oder Weib ist, das Mnnlicheund das Weibliche als polarische Gegenstze. Aus dieserAnschauung heraus charakterisiert Andreae. Das Vorstel-lungsgeme wird zu dem Willensartigen in das rechte Ver-hltnis gebracht, wenn dieses Verhltnis sich in Bildern dar-stellt, die an den Bezug des Mnnlichen und Weiblichen inder Sinneswelt erinnern. - Wieder soll, um Miverstnd-nissen vorzubeugen, angemerkt werden, da die Imagi-nation des Mnnlichen und Weiblichen mit den Beziehun-gen von Mann und Weib in der Sinnenwelt selbst nicht

    verwechselt werden darf; so wenig, wie die Imaginationder Tierform, die sich dem schauenden Bewutsein ergibt,zu tun hat mit der tierischen Natur, auf welche der land-lufige Darwinismus die Menschheit bezieht. In der Gegen-wart glaubt so mancher, durch die Sexual-Physiologie inverborgene Geheimnisse des Daseins eindringen zu knnen.Eine flchtige Bekanntschaft mit echter Geisteswissenschaft

    knnte ihn berzeugen, da dieses Bestreben nicht zu denGeheimnissen des Daseins hin-, sondern von ihnen weitwegfhrt. Und jedenfalls ist es Unfug, die Meinung solcherPersnlichkeiten, wie Andreae eine ist, in irgendwelche Be-ziehung zu Vorstellungen zu bringen, die mit Sexual-Physiologie etwas zu tun haben.

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    In deutlicher Art weist Andreae auf Wichtiges, das er inseine Chymische Hochzeit hineingeheimnissen will, da,wo er die Jungfrau charakterisiert, welche er zu dem

    Geistsucher in besonders nahe Beziehung bringt. DieseJungfrau ist die imaginative Reprsentation eines ber-sinnlichen Wissens, das im Gegensatze zu den sieben freienKnsten, die auf sinnlichem Felde erworben werden, ausdem Geistgebiete geholt werden mu. Diese Jungfraugibt in etwas rtselvoller Art ihren Namen, der Alchimieist. Andreae will also sagen, da wahre Alchimie in andrerArt eine Wissenschaft ist als die aus dem gewhnlichen Be-wutsein entsprungenen. Nach seiner Meinung vollzieht derAlchimist seine Verrichtungen mit sinnenflligen Stoffenund Krften nicht deshalb, weil er die Wirkung dieser Stoffeund Krfte im Bereich der Sinnes weit kennenlernen will,sondern darum, weil er durch den sinnlichen Vorgang sichein bersinnliches offenbaren lassen will. Er will durch densinnlichen Proze auf einen bersinnlichen hindurchschauen.

    Was er verrichtet, ist von der Untersuchung des gewhn-lichen Naturforschers durch die Art verschieden, wie erdenVorgang anschaut.

    Zu den Erlebnissen des dritten Tages gehrt die vlligeberwindung des Glaubens, da die Urteilsart, an die derMensch in der Sinneswelt gewhnt ist, in ihrer unverwan-delten Gestalt auch eine leitende Kraft in der bersinnlichen

    Welt sein kann. Es werden innerhalb der Gesellschaft, inder Christian Rosenkreutz weilt, Fragen vorgelegt, die alledazu fhren, da man mit der Entscheidung fr eine Ant-wort zurckhlt. Es soll dadurch auf die Begrenztheit desgewhnlichen Urteilsvermgens hingewiesen werden. DieWirklichkeit ist reicher als die Entscheidungsmglichkeit,

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    welche in dem an der Sinneswelt herangezogenen Verstandeliegt. - Nach der Schilderung dieser Erlebnisse fhrt An-dreae noch eine Herzogin ein; er bringt also Christian

    Rosenkreutz in Beziehung zu der durch sie gekennzeichnetenbersinnlichen Wissensart, der Theologie. Wie sie auf dasMenschengemt wirken soll, wird charakterisiert. Von be-sonderer Bedeutung ist, da der Geistsucher nach allen die-sen Erlebnissen in der folgenden Nacht doch noch von demTraume heimgesucht wird, der ihm eine Tr zeigt, die erffnen will und die ihm lange Widerstand entgegensetzt.In seiner Seele wird eben dieses Bild durch die Meinungausgewirkt, da er alle vorangegangenen Erlebnisse nichtals etwas betrachten soll, was durch seinen unmittelbarenInhalt Wert hat, sondern allein als Erzeuger einer Kraft,die sich weiteren Anstrengungen unterwerfen mu.

    Entscheidend fr die Stellung des Geistsuchers in derbersinnlichen Welt wird der vierte Tag. Der Geistsucher begegnet wieder dem Lwen. Die alte Inschrift, die ihm

    durch den Lwen entgegengebracht wird, enthlt im we-sentlichen die Aufforderung, an die Quelle heranzutreten,aus welcher die Inspirationen aus der geistigen Welt er-flieen. Die Seele, welche im blo imaginativen Erlebenstehenbleiben wollte, knnte sich doch gewissermaen vonder geistigen Welt nur anreden lassen und die Kraft deseigenen Willens dazu verwenden, die Offenbarungen sich

    zum Verstndnis zu bringen. Soll die volle Kraft desmenschlichen Ich in die bersinnliche Welt eintreten,dann mu dieses Ich das eigene Bewutsein in diese Welthineintragen. Es mu die Seele das Ich mit seinen sinnen-flligen Erlebnissen in der geistigen Welt wiederfinden. Esmu im bersinnlichen gewissermaen die Erinnerung an

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    die Erlebnisart der Sinneswelt auftauchen. Andreae stelltdies dadurch dar, da er unter die Erfahrungen des vier-ten Tages eine Komdie stellt, also ein Scheinbild von

    Vorgngen der sinnenflligen Welt. In der Anschauungdieses Scheinbildes von der sinnenflligen Welt, die inner-halb des bersinnlichen Bereiches gewonnen wird, erkraftetsich das Ich des Geistsuchers, so da er den festen Zusam-menhang erfhlt zwischen dem im bersinnlichen erleben-den Seelenglied und demjenigen, das sich in der Sinnes weitdurch den Leib bettigt.

    Aus der Einsicht in die sachgeme Darstellungsart An-dreaes kann die berzeugung sich ergeben, da dieser inernster Art zu seinen Zeitgenossen von einem Weg in dieGeisteswelt reden wollte, der angemessen ist der mit demsechzehnten Jahrhundert einsetzenden Epoche der Mensch-heitsentwickelung, an deren Beginn sich der Verfasser derChymischen Hochzeit gestellt fhlt. Da zunchst derVerwirklichung dessen, was Andreae als ideale Anforde-

    rungen vor seine Zeitgenossen hinstellte, schwere Hinder-nisse sich darboten, liegt in der Tatsache begrndet, da dieWirren des Dreiigjhrigen Krieges mit allem, was sie berdie neuere Zeit brachten, verheerend sich geltend machten.Ein Fortschritt in der Menschheitsentwickelung ist aber nurmglich, wenn von Persnlichkeiten, die gleich Johann Va-lentin Andreae gesinnt sind, den hemmenden Krften einer

    gewissen Weltenstrmung die wahrhaft fortbildenden ent-gegengehalten werden.

    Ob es Andreae gelungen ist, in Christian Rosenkreutzeinen Geistsucher zu schildern, der von dem Wege aus,den er aus den Geist-Erfahrungen einer verflossenenEpoche heraus eingeschlagen hat, auf den neuen wirk-

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    sam weisen kann, welcher dem neuen Zeitabschnitt ent-spricht, das kann nur behauptet werden, wenn es gelingt,zu zeigen, da die letzten Tage der Chymischen

    Hochzeit von Erlebnissen berichten, welche die Perspek-tive in diesen neuen Zeitabschnitt hinein erffnen; wennChristian Rosenkreutz sein Ich in diesen Zeitabschnitthinbertragen kann.

    Das bedeutungsvollste Erlebnis des vierten Tages istfr Christian Rosenkreutz seine Vorfhrung vor die Knigeund deren nachfolgende Enthauptung. Der Verfasser derChymischen Hochzeit deutet auf das Wesen dieses Er-lebnisses durch die Sinnbilder, die auf einem kleinen Altarstehen. In diesen Sinnbildern kann die menschliche Seeleihr Verhltnis zum Weltall und dessen Werden schauen.In solchen Sinnbildern haben die Geistsucher immer derSeele nahezubringen gesucht, wie deren eigenes Wesen imWesen des Kosmos lebt. Durch dasBuch wird auf den Ge-dankeninhalt des Menschen gewiesen, der in Gemheit der

    menschlichen Organisation ein Hereinfluten der objektivenweltschpferischen Gedanken in die Seele ist. In demLichtlein wird angezeigt, wie die weltschpferischen Ge-danken als Lichtther im All wirksam sind und im Men-schen erkenntnis-erzeugend, erleuchtend werden. Das Her-einspielen Cupidos durch sein Anblasen des Lichtleinsbezieht sich auf die Anschauung des Geistsuchers, der in dem

    Wesenhaften, das therisch allem Dasein und Werden zu-grunde liegt, zwei polarisch zueinanderstehende Krftesieht: das Licht und die Liebe. Man beurteilt aber dieseAnschauung nur richtig, wenn man in dem physischen Lichteund der innerhalb der physischen Welt ttigen Liebe diemateriell wirksamen Offenbarungen geistiger Urkrfte

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    sieht. Innerhalb der geistigen Urkraft des Lichtes lebt sichdas schpferische Gedankenelement der Welt aus und inner-halb der Liebe das schpferische Willenselement. Eine

    Sphre ist unter den Sinnbildern, um anzudeuten, wiedas menschliche Erleben im All-Erleben als dessen Glieddrinnensteht. Die Uhrspricht von dem Eingewobensein derSeele in den Zeitverlauf des Kosmos, wie die Sphre vondemjenigen in dessen rumliches Dasein. Das Brnnlein,aus dem blutrotes Wasser fliet, und derTotenkopf mit derSchlange weisen auf die Art hin, wie Geburt und Tod vondem Geist-Erkenner im Weltall gegrndet gedacht werden.Valentin Andreae verwendet fr seine Schilderung dieseSinnbilder in einer hnlichen Art, wie sie seit grauer Vor-zeit in den Versammlungssttten gebraucht wurden, diesolchen Gesellschaften dienten, durch welche die zu ihnenzugelassenen Menschen in die Geheimnisse des Lebens ein-geweiht werden sollten. Indem er sie so verwendet, zeigter, da sie nach seiner Meinung wirklich in der Entwicklung

    der Menschenseele begrndete Imaginationen sind, welchediese anregen knnen, die Geheimnisse des Lebens zu emp-finden.

    Es drngt sich die Frage auf: Was stellt derKnigssaaldar, in den Christian Rosenkreutz gefhrt wird, und waserlebt er durch die Gegenwart der Knige und ihre Ent-hauptung ? Die Sinnbilder weisen auf die Antwort hin. Der

    Geistsucher soll schauen, wie er mit seinem eigenen Wesenim Wesen des Weltalls gegrndet ist. Was in ihm ist, soller in der Welt, was in der Welt ist, in sich selber schauen. Erkann es nur, wenn er in den Dingen und Vorgngen derWelt Bilder dessen sieht, was in ihm wirkt und webt. Erkommt dazu, was in ihm vorgeht, nicht mehr blo durch

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    Vorstellungen anzuschauen, die aus der Seele entnommensind; sondern er sieht die Erlebnisse dieser Seele durch Bil-der, welche das Werden des Weltalls darstellen. Die Knige

    stellen sich vor Christian Rosenkreutz hin, um ihm anzu-zeigen: so leben deine Seelenkrfte in deinem eigenenInnern; und die Erlebnisse der Knige spiegeln, was in derSeele unter gewissen Bedingungen sich ereignen mu. Chri-stian Rosenkreutz steht vor den Vorgngen im Knigssaalso, da seine Seele sich in ihnen selbstschaut. Die Enthaup-tung der Knige ist ein Ereignis innerhalb seiner eigenenSeelenentwickelung. Er ist in den Knigssaal gekommenmit den Erkenntniskrften, die noch immer nur diejenigeWesenheit haben, welche sie sich vor dem Betreten der gei-stigen Welt aneignen konnten. Durch das Einleben in dieseWelt machen aber diese Erkenntniskrfle Erfahrungen, diesich auch auf die stoffliche Welt beziehen. Es leuchtet nichtnur die geistige Welt vor der Seele auf, sondern es zeigtsich auch die stoffliche in Formen, die derjenige nicht in

    ihrer vollen Bedeutung schauen kann, der im Stoffgebietemit seiner Beobachtung stehenbleibt. Zu diesen Erfahrungengehrt, da sich die zwiespltige Art der Menschenwesen-heit enthllt. Es zeigen sich die Krfte, welche dem physi-schen Wachstum zugrunde liegen, auch wirksam in den Er-scheinungen, die man gewhnlich als seelische bezeichnet.Die Gedchtniskraft, die vorstellungbildenden Impulse er-

    weisen sich als solche, denen gleichgeartete physische Bedin-gungen zugrunde liegen wie dem Wachstum. Nur wirkendie Wachstumskrfte so, da sie in der menschlichen Kin-der- und Jugendzeit in aufsteigender Entwicklung sind,da sie dann abnehmen und durch ihren Verfall in sich denTod bedingen, whrend Gedchtnis- und Vorstellung-bil-

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    dende Krfte von einem gewissen, sehr frhen Lebenszeit-punkte an die Mglichkeit des In-sich-Verfallens annehmen.In jeder Wachperiode machen diese Krfte die absteigende,

    bis zum Verfall reichende Entwickelung durch, welche derGesamtorganismus von der zweiten Lebenshlfte bis zumTode durchmacht. In jeder Schlafperiode wird dieser Ver-fall wieder ausgeglichen, und Gedchtnis- und Vorstellungs-krfte erleben eine Auferstehung. Es ist dem menschlichenGesamtorganismus wie ein Parasit sein Seelenorganismusaufgesetzt, der deshalb zur Erinnerung und Vorstellung dieBedingung liefern kann, weil er im Tageslaufe den Wegzum Tode durchmacht, den der Gesamtorganismus imErdenlebenslaufe durchfhrt. Auf diese Art wird fr denGeistsucher der Seelenorganismus zu einer Metamorphosedes Gesamtorganismus. Der Seelenorganismus erscheint alsderjenige Teil des Gesamtorganismus, welcher die Krfte,die in diesem das Leben von der Geburt bis zum Tode zurOffenbarung kommen lassen, in intensiverer Weise zur

    Ausgestaltung bringt, so da sie hier die Grundlage abgebenfr das Vorstellungsleben. In den tglichen Verfall derKrfte des Seelenorganismus hinein ergiet sich das schp-ferische Gedankenwesen der Welt und wird so in dem Men-schen zum Vorstellungsleben. Das Wesentliche ist, da derGeistsucher die stoffliche Grundlage der Seelenvorgnge er-kennt als die umgewandelten allgemeinen Stoffprozesse des

    ganzen Organismus. Es liegt die paradoxe Tatsache vor, daman zunchst auf dem Wege zum Geist die materiellen Be-dingungen des Seelenlebens schaut. Diese Tatsache kann derAusgangspunkt fr eine Versuchung sein. Man kann beider Entdeckung stehenbleiben, da die Seelenvorgnge sichin ihrer stofflichen Ausgestaltung offenbaren. Dann kann

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    man, indem man den Geist sucht, in eine materialistischeWeltauffassung hineingetrieben werden. Durchschaut manaber wirklich, was vorliegt, dann tritt das Entgegengesetzte

    ein. Man erkennt in der stofflichen Grundlage des Seelen-lebens die wirksamen Geistesmchte, die sich durch diestofflichen Gestaltungen offenbaren, und bereitet sich da-durch die Mglichkeit vor, auch in dem Gesamtorganismusund seinem Lebensverlauf den zugrunde liegenden Geistzu erkennen.

    Christian Rosenkreutz ist also vor die wichtige Erfahrunggestellt, die ihm eine im Naturproze sich vollziehendeAlchimie enthllt. Die stofflichen Vorgnge des Gesamt-organismus wandeln sich vor seinem geistigen Auge um. Siewerden solche, aus denen die Seelenvorgnge aufleuchtenwie das Licht, das sich bei dem ueren Vorgang der Ver-brennung offenbart. Aber diese Seelenvorgnge zeigen sichdadurch ihm auch an ihrer Grenze. Sie sind Vorgnge, diedem entsprechen, was im Gesamtorganismus zum Tode

    fhrt. Christian Rosenkreutz wird vor die Knige seineseigenen Seelenwesens, vor seine Erkenntniskrfle gefhrt.Sie erscheinen ihm als dasjenige, was der Gesamtorganis-mus aus sich heraus metamorphosiert. Aber die Wachstums-krfte des Lebens werden nur dadurch zu Erkenntniskrf-ten umgestaltet, da sie den Tod in sich aufnehmen. Undsie knnen deshalb auch nur das Wissen von dem Toten in

    sich tragen. In alle Vorgnge der Natur ist der Tod ein-gegliedert dadurch, da in allem das Unlebendige lebt. Nurauf dieses Unlebendige ist der gewhnliche Erkenntnisvor-gang gerichtet. Dieser erfat das Unorganische, weil es einTotes ist; aber er erfat die Pflanze und ein jegliches Leben-dige nur insoweit, als diese von dem Unlebendigen tingiert

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    sind. Jede Pflanze enthlt auer dem, was sie als Lebewesenist, unorganische Prozesse. Diese erfassen in der gewhn-lichen Anschauung die Erkenntniskrfte; das Lebendige er-

    fassen sie nicht. Dieses wird nur anschaulich, insofern es sichim Unlebendigen darlebt. Christian Rosenkreutz schaut denTod seiner Seelenknige, seiner Erkenntniskrfte, wiesich diese aus der Metamorphose der stofflichen Krfte desGesamtorganismus ergeben, ohne da der Mensch von derNatur-Alchimie zu der Kunst-Alchimie bergeht. Diesemu darinnen bestehen, da der Mensch innerhalb des See-lischen seinen Erkenntniskrften einen Charakter verleiht,den sie durch die bloen organischen Entwickelungsvor-gnge nicht haben. Was im aufsteigenden Wachstum wesen-haft ist, woran der Tod noch nicht genagt hat, das mu inden Erkenntniskrften erweckt werden. Die Natur-Alchi-mie mu fortgesetzt werden.

    Diese Fortsetzung der Natur-Alchimie bildet das fnfteTagewerk der Chymischen Hochzeit. Der Geistsucher

    mu schauend eindringen in die Vorgnge, welche die Na-tur bewirkt, indem sie das wachsende Leben hervorbringt.Und er mu dieses Naturschaffen in die Erkenntniskrfteeinfhren, ohne da er beim bergange von den Wachs-tums- zu den Seelenvorgngen den Tod walten lt. Erempfngt die Erkenntniskrfte von der Natur als tote We-senheiten; er mu sie beleben, indem er ihnen gibt, was die

    Natur ihnen genommen hat, als sie mit ihnen die alchimi-stische Umwandlung in Erkenntniskrfte vollzogen hat.Wenn er den Weg zu einem solchen Vorhaben betritt, nahtsich ihm eine Versuchung. Er mu hinuntersteigen in dasGebiet, auf dem die Natur wirkt, indem sie durch die Kraftder Liebe das Leben aus dem zaubert, das durch sein Wesen

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    nach dem Tode strebt. Er setzt sich dabei der Gefahr aus,da sein Schauen von den Trieben erfat wird, die im nie-deren Gebiete des Stofflichen walten. Er mu kennenlernen,

    wie im Stoffe, dem der Tod eingeprgt ist, ein Liebe-ver-wandtes Element lebt, das jeder Erneuerung des Lebens zu-grunde liegt. Dieser der Versuchung ausgesetzte Seelenvor-gang wird von Andreae bedeutungsvoll geschildert, indemer Christian Rosenkreutz vorVenus treten und dabei Cu-pido sein Wesen treiben lt. Und es wird deutlich daraufverwiesen, wie der charakterisierte Geistsucher nicht alleindurch seine eigene Seelenkraft, sondern durch das Waltenanderer Mchte durch die Versuchung nicht von seinemweiteren Wege zurckgehalten wird. Htte Christian Rosen-kreutz nur seinen eigenen Erkenntnisweg zu wandeln: dieserknnte mit der Versuchung auch abschlieen. Da dies nichtder Fall ist, weist auf dasjenige hin, was Andreae schildernwill. Christian Rosenkreutz soll mit seinem Geistesweg auseiner verflossenen Epoche in eine anbrechende hinberwei-

    sen. Es sind die im Zeitenlauf ttigen Mchte, die ihm dazuverhelfen, da er sein Ich mit den Erkenntniskrftendurchdringt, welche dem neuen Zeitabschnitt entsprechen.Dadurch kann er die Fahrt zu dem Turm antreten, indem er sich an dem alchimistischen Proze beteiligt, durchden die toten Erkenntniskrfte ihre Auferstehung erleben.Dadurch auch ist ihm auf dieser Fahrt die Kraft eigen, den

    Sirenengesang von der Liebe zu hren, ohne seinen Verlok-kungen zu verfallen. Die geistige Urkraft der Liebe muauf ihn wirken; von deren Offenbarungsweise auf demsinnlichen Felde darf er sich auf seinem Wege nicht beirrenlassen. Im Turm Olympi wird die Durchsetzung der totenErkenntniskrfte mit den Impulsen vollzogen, die im ge-

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    wohnlichen Mensdienorganismus nur in den Wachstums-vorgngen walten. Es wird darauf hingewiesen, wie Chri-stian Rosenkreutz an diesem Vorgang sich beteiligen darf,

    weil seine Seelenentwickelung im Sinne der sich wandeln-den Zeitkrfte erfolgen soll. Er geht, whrend er schlafensollte, in den Garten, schaut nach dem Sternenhimmel undsagt sich: Weil ich also gute Gelegenheit hatte, der Astro-nomie besser nachzudenken, befand ich, da auf gegenwr-tige Nacht eine solche Konjunktion der Planeten geschehe,dergleichen nicht bald sonsten zu observieren.

    In den Erlebnissen des sechsten Tages werden im einzel-nen die Imaginationen beschrieben, welche in der Seele desChristian Rosenkreutz anschaulich machen, wie sich die totenErkenntniskrfte, die der Organismus auf dem gewhn-lichen Wege seines Lebenslaufes ausbildet, in die bersinn-lich anschauenden umwandeln. Jede dieser Imaginationenentspricht einem Erlebnis, das die Seele in bezug auf ihreeigenen Krfte durchmacht, wenn sie erfhrt, wie dasjenige,

    was in ihr bisher sich nur mit dem Toten hat durchdringenknnen, fhig wird, Lebendiges erkennend in sich rege wer-den zu lassen. Die einzelnen Bilder wrde ein andererGeistsucher in anderer Art beschreiben als Andreae. Abernicht auf den Inhalt der einzelnen Bilder kommt es dabeian, sondern darauf, da die Umwandlung der Seelenkrfteim Menschen sich vollzieht, indem er den Verlauf solcher

    Bilder als die Spiegelung dieser Umwandlung in einer Folgevon Imaginationen vor sich hat.

    Christian Rosenkreutz wird in der Chymischen Hoch-zeit wie der Geistsucher geschildert, der das Herannahendes Zeitalters fhlt, in dem die Menschheit den Blick aufdie Naturvorgnge anders richten will als in dem mit dem

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    fnfzehnten Jahrhundert ablaufenden, in dem sie nichtmehr, die Natur betrachtend, in dieser Betrachtung selbstdie geistigen Inhalte der Naturdinge und Naturvorgnge

    mitanschaut, in dem sie zu einer Verleugnung der geistigenWelt kommen kann, wenn sie nicht einen Erkenntniswegfr mglich hlt, auf dem man die Stoff-Grundlage desSeelenlebens durchschauen und doch das Wesen des Geistesin die Erkenntnis aufnehmen kann. Um das zu knnen,mu man ber diese Stoff-Grundlage das geistige Lichtbreiten knnen. Man mu schauen knnen, wie die Naturverfhrt, indem sie ihre Wirkenskrfte zu einem Seelen-organismus gestaltet, durch den sich das Tote offenbart, umdann aus dem Wesen der Natur selbst das Geheimnis zuerlauschen, wie Geist dem Geist sich gegenberstellen kann,wenn das schpferische Wirken der Natur auf die Erwek-kung der toten Erkenntniskrfte zu einem hheren Lebengelenkt wird. Dadurch wird eine Erkenntnis entwickelt,welche als Geist-Erkenntnis in die Wirklichkeit hineinge-

    stellt wird. Denn eine solche Erkenntnis ist ein weitererSpro auf dem belebten Wesen der Welt; durch sie wirddie Entwickelung der Wirklichkeit fortgesetzt, die bis zumLeben des Menschen herauf aus den Uranfngen des Da-seins waltet. Es wird nur dasjenige als hhere Erkenntnis-krfte entfaltet, was im Keime in der Natur veranlagt istund was im Naturwirken selbst auf dem Punkte zurck-

    gehalten wird, wo in der Metamorphose des Daseins sichdie Erkenntniskrfte fr das Tote entwickeln sollen. - Daein solches Fortsetzen der Naturwirksamkeit ber dasjenigehinaus, was sie selbst in der menschlichen Organisation er-reicht, aus der Wirklichkeit heraus und in das Wesenlosefhre, ist kein Einwand, welchen derjenige machen wird,

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    der die Entwicklung der Natur selbst durchschaut. Denndiese besteht berall darinnen, den Fortgang der Wachs-tumskrfte an bestimmten Punkten zu hemmen, um die

    Offenbarungen der unendlichen Gestaltungsmglichkeitenauf gewissen Stufen des Daseins zu bewirken. So auch istin der menschlichen Organisation eine Gestaltungsmglich-keit festgehalten. Aber wie in dem grnen Laubblatt derPflanze eine solche Mglichkeit festgehalten ist, und dochdie Bildungskrfte des Pflanzenwachstums dann wiederber diese Gestaltung hinausschreiten, um das grne Blattin dem farbigen Blumenblatt auf einer hheren Stufe er-stehen zu lassen, so kann der Mensch von der Gestaltungseiner auf das Tote gerichteten Erkenntniskrfte zu einerhheren Stufe dieser Krfte fortschreiten. Er erfhrt denWirklichkeitscharakter dieses Fortschreitens, indem er insich gewahr wird, wie er dadurch das seelische Organ insich aufnimmt, um den Geist in seiner bersinnlichenOffenbarung zu erfassen, gleichwie die Umwandlung des

    grnen Blattes in das farbige Blumenorgan der Pflanzedie Fhigkeit vorbereitet, die sich in der Fruchtbildungauslebt.

    Nach der Vollfhrung des kunst-alchimistischen Vor-ganges wird Christian Rosenkreutz zum Ritter des glde-nen Steines ernannt. Man mte sehr ausfhrlich in einerrein geschichtlichen Darstellung werden, wenn man aus der

    einschlgigen ernst zu nehmenden und der weit grerenschwindelhaften Literatur den Namen gldener Steinaufzeigen und auf seinen Gebrauch hindeuten wollte. Dasliegt nicht in der Absicht, die mit diesem Aufsatz verfolgtwird. Doch darf auf dasjenige hingewiesen werden, wassich aus einem Verfolgen dieser Literatur als Ergebnis ber

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    diesen Gebrauch gewinnen lt. Diejenigen ernst zu neh-menden Persnlichkeiten, die den Namen angewendet ha-ben, wollten mit ihm auf etwas hindeuten, in dem die tote

    Steinnatur sich so anschauen lt, da man ihren Zusam-menhang erkennt mit dem lebendigen Werden. Der ernstzu nehmende Alchimist glaubte, da knstliche Naturvor-gnge hervorgerufen werden knnen, zu denen Totes,Steinartiges verwendet wird, in denen sich aber, wenn sierecht angeschaut werden, etwas von dem erkennen lt,was vorgeht, wenn die Natur selbst das Tote in das leben-dige Werden hineinwebt. Durch die Anschauung von ganzbestimmten Vorgngen am Toten wollte man die Spurender schpferischen Naturttigkeit und damit das Wesen desin den Erscheinungen waltenden Geistes erfassen. Das Sinn-bild fr das Tote, das als Offenbarung des Geistes erkanntwird, ist der gldene Stein. Wer einen Leichnam in seinerunmittelbar gegenwrtigen Wesenheit erforscht, der wirdgewahr, wie das Tote in den allgemeinen Naturproze ein-

    geschaltet ist. Diesem allgemeinen Naturproze wider-spricht aber die Gestaltung des Leichnams. Diese Gestal-tung konnte nur ein Ergebnis des geistdurchsetzten Lebenssein. Der allgemeine Naturproze mu zerstren, was dasgeistdurchsetzte Leben gestaltet hat. Der Alchimist ist derAnsicht, da die gewhnliche menschliche Erkenntnis in derganzen Natur etwas vor sich hat, wovon sie nur soviel er-

    fat, als vom Menschen in einem Leichnam ist. Eine hhereErkenntnis soll fr die Naturerscheinungen finden, was sichzu ihnen verhlt wie das geistdurchsetzte Leben zum Leich-nam. Solches Streben ist das nach dem gldenen Stein.ndreae spricht von diesem Sinnbild so, da man bemer-ken kann, er meine, nur ein solcher knne erfassen, wie

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    man mit dem gldenen Stein zu verfahren habe, derdurch die Erlebnisse der von ihm geschilderten sechs Tage-werke gegangen ist. Er will andeuten, da ein jeder, der

    von diesem Sinnbild spricht, ohne zu wissen, was die Um-wandlung der Erkenntniskrfte dem Wesen nach ist, nur einTrugbild im Auge haben kann. Er will in Christian Rosen-kreutz eine Persnlichkeit zeichnen, die in berechtigter Artber etwas sprechen kann, wovon viele ohne Berechtigungsprechen. Gegen das Irrereden ber das Suchen nach dergeistigen Welt will er die Wahrheit verteidigen.

    Christian Rosenkreutz und seine Genossen erhalten,nachdem sie wirkliche Bearbeiter des gldenen Steinesgeworden sind, einDenkzeichen mit den beiden Sprchen:Die Kunst ist der Natur Dienerin und die Natur ist derZeit Tochter. Im Sinne dieser Leitstze sollen sie aus ihrerGeisterkenntnis heraus wirken. Die Erlebnisse der sechsTage lassen sich in diesen Stzen zusammenfassend charak-terisieren. Die Natur enthllt dem ihre Geheimnisse, der

    sich in die Lage versetzt, durch seine Kunst ihr Schaffenfortzusetzen. Aber diese Fortsetzung kann dem nicht gelin-gen, der fr seine Kunst ihr nicht zuerst den Sinn ihresWollens abgelauscht hat, der nicht erkannt hat, wie ihreOffenbarungen dadurch entstehen, da ihre unendlichenEntwickelungsmglichkeiten aus dem Sche der Zeit inendlichen Gestaltungen geboren werden.

    In dem Verhltnisse, in das am siebenten Tage ChristianRosenkreutz zum Knig gesetzt wird, ist gekennzeichnet,wie der Geistsucher nunmehr zu seinen umgewandelten Er-kenntnisfhigkeite