die bedeutung des magnesiumstoffwechsels für die entstehung der lärmschwerhörigkeit

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M. Handrock et al.: Die Bedeutung des Magnesiumstoffwechsels 707 Die Schalldruckmaxima mit der Haubitze waren sehr niederfrequent im Bereich yon 10-100 Hz. Hiermit erklfiren wir die direkten tonotop angeord- neten Schfiden an den Sinneszellen im Bereich des Helicotremas. Die uncharakteristische Lfision des nahezu gesamten Cortischen Organs, wie sie von Bredberg und anderen Untersuchern nach Exposition niederfrequenter Sinus- t6ne bei der Katze gesehen wurden, konnten nach einmaligem Knall mit grogem Spitzendruck beim Meerschweinchen nicht beobachtet werden. Literatur Bredberg G (1973) Experimental pathology of noise-induced hearing loss. Adv Otorhinolaryngol 20: 102 Spoendlin H (1971) Primary structural changes in the organ of Corti after acoustic overstimulation. Acta Otolaryngol (Stockh) 71:166 Theopold H-M (1978) Das akustische Trauma im Tierexperiment. I. Morphologische Verfinderung der Meerschweinchencochlea nach Knalltrauma (Rasterelektronenmikroskopie). Laryngol Rhinol Otol (Stuttg) 57:706 H.-M. Theopold (Miinchen): Auf die Frage von Herrn Kastenbauer, inwieweit die im Tierexperiment erhobenen Befunde Aufschliisse beim Menschen zulassen, mug auf die nahelie- gende Tatsache, dab Tierexperimente wegen tmterschiedlicher anatomischer Gegebenheiten nicht immer mit der menschlichen Pathologie zu vergleichen sind, hingewiesen werden. Es ist aber doch bemerkenswert, dab eine einmalige Explosion, die ihr Schalldruckmaximum im niederfrequenten Bereich von ca. 60 Hz hat, keine L/isionen der beim Menschen h~iufiggeschfidigtenFrequenzbreite von 4000 bis 5000 Hz hat. Wir meinen auch aufgrund unserer Experimente, darauf hinweisen zu mtissen, dab gerade den energiereichen, niederfrequenten Anteilen des Gesamtspektrnms wegen der sehr begrenzten M6glichkeiten eines H6rschutzes in diesem Bereich besondere Beachtung geschenkt werden mug. 83. M. Handrock, R. Fischer, H. Ising (a. G.), M. Dombrowski (a. G.) (Berlin): Die Bedeutung des Magnesiumstoffwechsels fiir die Entstehung der L/irmschwerh6rigkeit The Significance of Magnesium Metabolism in the Development of Noise-induced Hearing Loss Summary. The importance of hearing loss caused by noise, as well as the great number of acute disturbances of the inner ear, raises the question as to what extent individual disposition or environmental factors contribute to inner ear damage. Since magnesium performs an important function in cell

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M. Handrock et al.: Die Bedeutung des Magnesiumstoffwechsels 707

Die Schalldruckmaxima mit der Haubitze waren sehr niederfrequent im Bereich yon 10-100 Hz. Hiermit erklfiren wir die direkten tonotop angeord- neten Schfiden an den Sinneszellen im Bereich des Helicotremas. Die uncharakteristische Lfision des nahezu gesamten Cortischen Organs, wie sie von Bredberg und anderen Untersuchern nach Exposition niederfrequenter Sinus- t6ne bei der Katze gesehen wurden, konnten nach einmaligem Knall mit grogem Spitzendruck beim Meerschweinchen nicht beobachtet werden.

Literatur

Bredberg G (1973) Experimental pathology of noise-induced hearing loss. Adv Otorhinolaryngol 20: 102

Spoendlin H (1971) Primary structural changes in the organ of Corti after acoustic overstimulation. Acta Otolaryngol (Stockh) 71:166

Theopold H-M (1978) Das akustische Trauma im Tierexperiment. I. Morphologische Verfinderung der Meerschweinchencochlea nach Knalltrauma (Rasterelektronenmikroskopie). Laryngol Rhinol Otol (Stuttg) 57:706

H.-M. Theopold (Miinchen): Auf die Frage von Herrn Kastenbauer, inwieweit die im Tierexperiment erhobenen Befunde Aufschliisse beim Menschen zulassen, mug auf die nahelie- gende Tatsache, dab Tierexperimente wegen tmterschiedlicher anatomischer Gegebenheiten nicht immer mit der menschlichen Pathologie zu vergleichen sind, hingewiesen werden. Es ist aber doch bemerkenswert, dab eine einmalige Explosion, die ihr Schalldruckmaximum im niederfrequenten Bereich von ca. 60 Hz hat, keine L/isionen der beim Menschen h~iufig geschfidigten Frequenzbreite von 4000 bis 5000 Hz hat. Wir meinen auch aufgrund unserer Experimente, darauf hinweisen zu mtissen, dab gerade den energiereichen, niederfrequenten Anteilen des Gesamtspektrnms wegen der sehr begrenzten M6glichkeiten eines H6rschutzes in diesem Bereich besondere Beachtung geschenkt werden mug.

83. M. Handrock, R. Fischer, H. Ising (a. G.), M. Dombrowski (a. G.) (Berlin): Die Bedeutung des Magnesiumstoffwechsels fiir die Entstehung der L/irmschwerh6rigkeit

The Significance of Magnesium Metabolism in the Development of Noise-induced Hearing Loss

Summary. The importance of hearing loss caused by noise, as well as the great number of acute disturbances of the inner ear, raises the question as to what extent individual disposition or environmental factors contribute to inner ear damage. Since magnesium performs an important function in cell

708 M. Handrock et al.

metabolism, but only a small amount of magnesium is present in a normal diet, investigations were performed to determine whether magnesium deficiency influences the extent of experimental hearing impairment due to noise. Long-term exposure to noise over a period of 12 weeks resulted in a PTS in the magnesium-poor group of 34.2 dB and of only 16.8 dB in the control group. At 2 p < 0.001, the difference was significant. For a proper assessment, it is of significance that the magnesium shortage was intensified by the stress, and that, therefore, the risk of inner ear damage is substantially increased by stress (noise) and magnesium deficiency.

Die Frage, welche prfidisponierenden individuellen Faktoren und welche speziellen Umwelteinflfisse die Entstehung der Lfirmschwerh6rigkeit oder auch des H6rsturzes beeinflussen, ist noch immer unbeantwortet geblieben. Da es einerseits unter Magnesiummangel zu einem Spasmus im Arteriolenbereich und zu einer St6rung der Mikrozirkulation kommt (Altura 1978), andererseits durch Mg-Mangel extraaurale Lfirmschfiden erheblich verstfirkt werden (Ising et al. 1980; Gfinther 1978) wurde untersucht, welche Wirkung Lfirm und gleichzeitiger Mg-Mangel auf die Kochlea hat.

Dazu wurden drei Gruppen yon Meerschweinchen mit unterschiedlichem Mg-Gehalt in der Nahrung fiber 12 Wochen lang beschallt. Die Kontrolle des H6rverm6gens erfolgte vor und wfihrend des Versuches durch Ableitung clickevozierter Hirnstammpotentiale. Die im Hallraum durchgeffihrte Beschal- lung erfolgte mit Breitbandrauschen fiber tfiglich 12 h (1.-8. Woche) bzw. 16 h (9.-12. Woche). Zur Erh6hung des Strel3 wurde kein gleichmfif~iges Rauschen, sondern eine statistische Pegelfolge mit einer Dynamik von 30 dB und einem fiquivalenten Dauerschallpegel von 85 dB (A) gewfihlt. Das Spektrum zeigte dabei sein Maximum bei 1,5 kHz (Abb. 1, oben). Nach 8 Wochen wurde der Schallpegel um 10 dB erh6ht und das Spektrum durch einen zusfitzlichen Dauerschall mit Hochtonsystemen zum hochfrequenten Bereich hin verschoben (Abb. 1, unten). In w6chentlichem Abstand wurde eine Ohrmikroskopie zum Ausschlug von Mittelohrinfekten durchgeftihrt. Die Kontrolle des H6rverm6- gens dutch Ableitung evozierter Potentiale erfolgte in zweiw6chigem Inter- vall.

W/ihrend die Versuchsdurchffihrung bei der Kontrollgruppe und der Gruppe mit reduziertem Mg-Gehalt in der Nahrung problemlos war, mul3ten in der Mg-Mangelgruppe ein Teil der Tiere wegen Infekten und Gewichtsabnahmen vorzeitig aus dem Versuch genommen werden. Die Kontrollen des Serum-Mg 2-- ergaben in der Kontrollgruppe 0,9 mmol/1 und in der Mg-Mangelgruppe 0,2 mmol/1.

Wiederholte Messungen des H6rverm6gens zeigten in den ersten 8 Wochen in keiner der drei Gruppen eine nennenswerte Schwellenabwanderung. Deswegen wurde nach 8 Wochen der fiquivalente Dauerschallpegel um 10 dB erh6ht und das Spektrum verfindert (Abb. 2). Erst unter diesen verfinderten Bedingungen kam es innerhalb von 4 Wochen zu einer erheblichen Schwel- lenverschlechterung. So betrug der mittlere H6rverlust in der Kontrollgruppe 16,8 + 12,5 dB und in der Mg-Mangelgruppe 34,2 + 11,9 dB. Der Unterschied war mit 2a < 0,001 signifikant. Somit ist es wahrscheinlich, dab Mg-Mangel ein

Die Bedeutung des Magnesiumstoffwechsels 709

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Abb. 1. Oben: Spektrum des fiquivalenten Dauerschall-Terzpegels von zwei Druckkammersystemen mit Exponentialhorn (BeschaUung 1.-8. Woche). Unten: wie oben, zusfitzlich iiberlagertes Hochtonrauschen, ebenfalls Terzpegel (Beschallung 9.-12. Woche). Bei 4kHz betr~igt die Differenz 10 dB

dB SPL 5 0 -

F Mg-Mangel n=14 ~ " ' , I F j_

80 - - . . . . Mg-reduz. n=13 ~ -J

9 0 -

4 8 12 Wochen 100 - I I I

Beschallung mit Beschallung mit 85 d8 SPL 95 dB SPL

Abb. 2. H6rschwelle (in dB SPL) tiber einen Beschallungszeitraum von 12 Wochen (Mittelwerte und Standardabweichung). Das Ausmal3 der H6rschwellenverschlechterung ist in der Mg-Mangelgruppe signifikant gr6ger als in der Kontrollgruppe (2 p < 0,001)

wichtiger fitiologischer Faktor bei der Entstehung eines L/irmschadens ist. Bedeutung gewinnt dieses Ergebnis dadurch, dab die tfigliche Mg-Aufnahme bei Normalkost mit ca. 5 mg/kg KG als marginal zu gelten hat und es somit leicht zu einem Mg-Mangel kommen kann.

710 M. Handrock et al.: Die Bedeutung des Magnesiumstoffwechsels

Pathogenetisch ist folgender Ablauf denkbar: Bei Mg-Mangelernfihrung kommt es zu einer intrazellulfiren Mg-Abnahme. Die damit verbundene Permeabilitfitssteigerung ffihrt zu einer erheblichen Zunahme des intrazellulfi- ren Calciums und zu einer Mobilisierung yon Katecholaminen, die ihrerseits wiederum den Ca2+-Influx erh6hen und den Vasospasmus verstfirken. Wei- terhin kommt es durch den Ca2+-Influx zu einem erh6hten Verbrauch an energiereichem Phosphat und damit zu einer schnelleren Ersch6pfung der Energievorrfite der Haarzellen. Eine weitere M6glichkeit besteht darin, dab es durch Mg-Mangel zu einer Permeabilitfitsfinderung auch der endokochlefiren Membranen, z. B. der Reil3nerschen Membran, kommt. Die dadurch bedingte Elektrolytverschiebung mit Absinken des DC-Potentials k6nnte dann Ursache einer Funktionsst6rung der Kochlea sein.

Sollten diese Ergebnisse in weiteren Versuchen mit verfinderten Parametern bestfitigt werden k6nnen, so wfirden wir damit nicht nur dem Verstfindnis ffir die Pathogenese einer erworbenen Innenohrschwerh6rigkeit nfiherkommen, son- dern es k6nnten sich daraus auch therapeutische Konsequenzen ergeben.

Literatur

Altura BM, Altura BT (1978) Magnesium and vascular tone and reactivity. Blood Vessels 15:5-16

Fleckenstein A, Janke J, Frey M, Hein B (1977) Zum Mechanismus der kardioprotektiven Wirkung von Triamteren an Rattenherzen, Myokardschutz durch Steigerung der extrazellul~iren K + - und Mg2+-Konzentrationen. Arzneim Forsch 27:382-392

Gfinther T, Ising H, Merker HJ (1978) Elektrolyt- und Kollagengehalt im Rattenherzen bei chronischem Magnesium-Mangel und Stref3. J Clin Chem Clin Biochem 16:293-297

Hawel W, Starlinger H (1967) EinfluB von wiederholtem vierstiindigem intermittierendem, sogenannten rosa Rauschen auf Catecholaminausscheidung und Pulsfrequenz. Int Z Physiol Arbeitsphysiol 24:351-362

Ising H, Merker HJ, Gfinther T, Gelderblom H, Ozel M (1979) Increase of collagen in the rat heart induced by noise. Environ Int 2:95-105

Ising H, Gtinther T, Melchert HU (1980) Nachweis und Wirkungsmechanismen der blutdruck- steigernden Wirkung von Arbeitslfirm. Zentralbl Arbeitsmed Arbeitsschutz Prophyl 30 : 194-203

Larvor P, Rayssiguier Y (1973) In: Durlaeh J (Hrsg) 1. Internationales Symposium fiber Magnesium-Mangel in der menschlichen Pathologie. SGEMV-Verlag, Vittel, S 473-484

G. Mulch (BeNin): Ist etwas fiber den Magnesiumstoffwechsel bei Patienten mit H6rsturz bekannt?

M. Handrock (Berlin), Schlullwort: Zu Herrn Mulch: Wir haben Mg-Bestimmungen bei H6rsturzpatienten bisher noch nicht durchgeffihrt, da die intrazellul~ire Mg-Bestimmung relativ aufwendig ist. Wir arbeiten z .Z. an einer geeigneten Methodik. - Zu Herrn Kastenbauer: Bestimmungen des intrazellulfiren Magnesiums haben gezeigt, dab dieses bei Erh6hung der Zufuhr deutlich ansteigt. Diese an Versuchspersonen durchgeffihrten Messungen zeigen, dab Mg tatsiichlich sehr knapp in unserer Nahrung enthalten ist. Dies ist zurfickzufiihren auf die Veredelung der Nahrung. Mg ist besonders in Gemfisen, Weizenkleie u.a. enthalten. Sollten die weiteren Untersuchungen unsere Ergebnisse bestfitigen, so w~re eine Mg-Substitution bei Innenohrerkran- kungen tats~ichlich indiziert.