die bedeutung der insekten für den natur- und umweltschutz

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330 Die Bedeutung der Insekten fur den Natur- und Urnweltschutz Gerd Miiller-Motzfeld ie Insekten sind in Artenfiille und D Formenreichtum die zur Zeit domi- nierende Tiergruppe auf der Erde. Zwar konnen sie hinsichtlich der Biomasse natiirlich nicht mit den autotrophen Pro- duzenten und vermutlich auch nicht mit den reduzierenden Mikroorganismen mit- halten, doch ist ihre Bedeutung fur die Rea- lisierung des Stoffstromes (Konsum, De- struktion) und den internen Vernetzungs- grad von Okosystemen unbestritten. Nahezu unbegrenzte Chancen der Nut- zung von Insekten als Bioindikatoren fur die Testung chemischer Substanzen oder als Biodeskriptoren fur den Natur- und Um- weltschutz ergeben sich aus dem Formen- reichtum dieser Gruppe. Eke Pauschal- Umfrage in der nicht entomologisch vorge- bildeten Bevolkerung diirfte in der Reihung jedoch die Bedeutung der Insek- ten als ,,Ungeziefer" (Schadlinge, Lastlinge, Krankheitsiibertrager und -erreger, Nah- rungskonkurrenten u. a.) vor die der nutz- bringenden Eigenschaften stellen. Wobei ei- gentlich direkte Nutztiere wie die Bienen als unmittelbare Rohstoffquellen (Honig, Wachs) unter den Insekten in Mitteleuropa doch eher selten sind. Es sol1 nun versucht werden, die Bedeutung der Insekten fur den Natur- und Umweltschutz im Zusam- menhang mit der Bedeutung der Entomo- logie als Wissenschaft zu diskutieren, Defi- zite in der Wissenschaft und der Natur- schutzpraxis beziiglich der Insekten aufzuzeigen und ein neues Miteinander von Entomologie und Naturschutz anzu- regen. Die Bedeutung der Entomologie Die iiffentliche Wertschatzung einer Wissen- schaftsdiszipliii wird eiiierseits vom Erkennt- nisgcwinn, also ihren ,,Intcrna" bcstimmt, an- dercrscits davon, inwiewcit sie in der Lage ist, Wer ist schutzwiirdig? Biologie in unserer Zeit / 27. jahrg. 1997 / Nr. j 0 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69469 Weinheim, 1997 004J-205X/97/01j09-0330 $17.50 + .50/0

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Die Bedeutung der Insekten fur den Natur- und Urnweltschutz

Gerd Miiller-Motzfeld

ie Insekten sind in Artenfiille und D Formenreichtum die zur Zeit domi- nierende Tiergruppe auf der Erde. Zwar konnen sie hinsichtlich der Biomasse natiirlich nicht mit den autotrophen Pro- duzenten und vermutlich auch nicht mit den reduzierenden Mikroorganismen mit- halten, doch ist ihre Bedeutung fur die Rea- lisierung des Stoffstromes (Konsum, De- struktion) und den internen Vernetzungs- grad von Okosystemen unbestritten.

Nahezu unbegrenzte Chancen der Nut- zung von Insekten als Bioindikatoren fur die Testung chemischer Substanzen oder als Biodeskriptoren fur den Natur- und Um- weltschutz ergeben sich aus dem Formen- reichtum dieser Gruppe. E k e Pauschal- Umfrage in der nicht entomologisch vorge- bildeten Bevolkerung diirfte in der Reihung jedoch die Bedeutung der Insek- ten als ,,Ungeziefer" (Schadlinge, Lastlinge, Krankheitsiibertrager und -erreger, Nah- rungskonkurrenten u. a.) vor die der nutz- bringenden Eigenschaften stellen. Wobei ei- gentlich direkte Nutztiere wie die Bienen als unmittelbare Rohstoffquellen (Honig, Wachs) unter den Insekten in Mitteleuropa doch eher selten sind. Es sol1 nun versucht werden, die Bedeutung der Insekten fur den Natur- und Umweltschutz im Zusam- menhang mit der Bedeutung der Entomo- logie als Wissenschaft zu diskutieren, Defi- zite in der Wissenschaft und der Natur- schutzpraxis beziiglich der Insekten aufzuzeigen und ein neues Miteinander von Entomologie und Naturschutz anzu- regen.

Die Bedeutung der Entomologie

Die iiffentliche Wertschatzung einer Wissen- schaftsdiszipliii wird eiiierseits vom Erkennt- nisgcwinn, also ihren ,,Intcrna" bcstimmt, an- dercrscits davon, inwiewcit sie in der Lage ist, Wer ist schutzwiirdig?

Biologie in unserer Zeit / 27. jahrg. 1997 / Nr. j 0 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69469 Weinheim, 1997 004J-205X/97/01j09-0330 $17.50 + .50/0

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die allgemeine Theorienbildung der Wissen- schaft voranzubringen, und inwieweit sie pra- xisrclcvant ist. Die derzcitige Bedeutung der Entomologie wird in Tabelle 1 dargestellt.

,,Entomologische Spezialgebiete" sind die Feinstrukturanalyse (Kutikularstrukturen, Ge- nitalarmaturen, Sinnesorgane, Ultrastruktur dcr Zcllen usw.), die Stoffwechselspezifika (Hautung, Atmung, Verdauung, Sinneslei- stung usw.), die notige technische Minimie- rung aller Meflverfahren sowie spezielle Son- dentechniken. Der interne Kenntnisgewinn dieser Spezialgebicte und vor allem die uner- mcflliche Formenvielfalt, die der Systematik immer wieder neue Impulse gibt, bleiben trotz aller Bcdeutung, die ihnen fur die Ent- wicklung der wissenschaftlichen Entomolo- gie zukommt, von der Offentlichkeit wenig bcachtet und dienen nur der Ausweitung des Kcnntnisgewinns.

Als Bcispicle fur Beitrage der Entornologic zur allgemeincn wissenschaftlichen Theorien- bildung unserer Zeit konnen: die Theorie der Metamorphose [14], dic Entdeckung der Lichtoricntierung und sozialen Kommunika- tion [3] und die Theorie der Phylogeneti- schen Systematik [6] genannt werdcn. Selbst diese herausragenden wissenschaftlichen Lei- stungen von Entomologen konnen nicht dar- uber hinwegtauschcn, dafl die bedeutendsten wissenschaftlichen Entdeckungen unscrer Zeit auf anderen Gebieten liegen (wie der Elektronik, dcr Gentechnik usw.). Die Insek-

ten dienen dabei allenfalls als Materialquelle oder Spielfeld fur Molekulargenetilter oder Okologen.

Die praktische Anwendung entomologischer Forschungsergebnisse oder umgekehrt die Notwendigkeit einer ,,Angewandten Ento- mologie" als Forderung der Praxis be- schranktc sich im wesentlichen auf die Schad- lingsbekampfung (inklusive der Entwicklung und des Einsatzes von biologischen Bekamp- fungsmitteln) und die Imkerei. Eine dritte Moglichkeit, mit Entomologie seinen Le- bensunterhalt zu verdienen, bietet der ,,Ento- mologische Handel", der sowohl den Handel mit notigen Utensilien und Geraten beinhaltet als auch den Handel mit lebenden (fur Hal- tung und Zuchtung) oder toten Insekten (zu Vergleichszwecken fur Sammlungen). Die Grenze zur Trophaenjagd ist hier sicher schwer zu ziehen.

Erst in den letzten Jahrzehnten beginnt sich auf Grund des Artenreichtums der Insekten auch deren Nutzung als Indikatoren oder Biodeskriptoren fur Landschafts- und Natur- schutzplanungen durchzusetzen. Gutachtern werden im Rahmen von UVU/UVS/UVP- Aussagen aber iinmer lcomplexere Zusam- menhange abverlangt, so dafl der entomo- faunistische Fachbeitrag fur naturschutzfach- liche Bewertungen, Fachplanungen, Eingriffs- regelungcn, ,,Unter-Schutz-Stel1ungs"-Antra- gen usw. inzwischen zur Norm gehort [12]. Bci allen Nachteilcn, die eine damit notwendi-

gerweise verbundenc Fokussierung auf weni- ge ,,Modcllgruppen" mit sich bringt, wird die Entornologic hier in zunchmendem Mafie Anwendung finden, auch wenn bisher leider fur den Bemessungsumfang der cntsprechen- den entomofaunistischen Erhcbungen und fur die Qualifizierung der Gutachter noch verbindliche Vorschriften und Uurch- fiihrungsbestimmungen fchlcn. Wie ubcrall entstehen auch in Entornologic und Natur- schutz durch sclbsternannte Experten die groi3ten Schwierigkeiten [161. Da ,,boomt" die Entomofaunistik an der falschen Stelle, denn dic wirklich notigc Inventarforschung auf entomofaunistischem Gcbiet wird nach wie vor kaum gefordert [lo, 111. Das einzigc ,,rein" entomologische (im Sinnc von Taxo- nomie und Faunistik) ausgerichtcte For- schungsinstitut, das Dcutsche Entomologi- sche Institut in Eberswaldc, bangt sogar um seine Existenz, obwohl die idcclle und matcri- elk Aufwertung dcr taxonomisch-faunisti- schen Forschung bereits seit Jahren von fiihrendcn Reprasentanten namhaftcr wissen- schaftlicher Gesellschaftcn, wie IIZG, DGaaE, GfO, allgemein gefordcrt wird.

lnsekten als Zielgruppe des Naturschutzes

Wahrend mit dem Beginn der Naturschutz- bewegung in Deutschland Ende des 19. Jahr- hunderts vor allcm Sauger- und Vogelartcn Ziel von Schutzbemuhungen waren, erweiter- te sich das Spektrum dcr zu schiitzcnden Ar- ten zaghaft ab Mitte des 20. Jahrhundcrts auch urn einige Wirbellose. So wurde m m Beispiel dic im Rahmen dcs Reichsnatur- schutzgesetzes crfolgte Untcrschutzstellung des Mannhager Moorcs in Vorpommcrn vor allem entomologisch (Schmetterlingsfauna) begriindet. Dabci waren und sind die Grund- prinzipien der ,,Unterschutz-Stellung" von Insekten weniger von deren Gefahrdung oder ihrer Eignung als Zielart getragen, sondern vor allem von subjektiven Kriterien (grofi, schon, bunt, bizarr, sclten).

Die einseitige Ausrichtung dcs Artenschutzcs auf spezielle Artcn fuhrte oft zu Konflikten mit dem okosystemaren Ansatz und lostc vie- lc ubergreifendc Naturschutzprobleme nicht. Biotopschutz oder P r o z e k h u t z sollten Al- ternativen zum einseitig auf den Individuum- schutz ausgerichteten Artenschutz aufzcigen (siehe auch [2, 111). Keincsfalls aber ist der Artenschutz sclbst eine veraltete Form des Naturschutzes und durch Biotopschutz er- setzbar! Vielmehr sind Biotop- und Prozefi-

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schutz modcrne Wege zur Realisierung des Artenschutzes, um wirklich schutzcn zu kon- nen, was das eigentliche Ziel ist: Arten in ihrcn natiirlichen Gcobiozonosen. Aber auch dic Erhaltung der nur aus der globalen Bc- trachtungswcise erkennbaren intraspezi- fischen Vielfalt des genetischen Materials und dcr daraus resultierendcn Biodiversitat auf den unterschiedlichsten territorialcn Bezugs- cbencn mufl unscr Ziel sein. Nicht der Schutz der Lebcnsstatte allcin (Biotop) ist Ziel, son- dcrii das aus Geo- und Bioelementen beste- hende komplexe System (Gcobioxonosc, 0 kos ystem).

Auch im Rahmcn des Prozcflschutzes ist un- ser Ziel nicht schlechthin die Duldung natur- licher Prozesse wie Verlandung, Abtragung und Ubcrflutung um ihrer selbst willen, son- dcrn weil diese Prozesse Voraussetzung fur die Existenz zahlreichcr Organismen sind.

Gcrade die Insekten konnten bei der Auf- klarung der Sinnfalligkeit von Naturschutz- ziclen jedoch hilfreich sein, zum Beispiel bei Fragcn wic:

0 Sind Natur- und technischer Umwelt- schutz untcilbar?

0 Sind alle Kreaturcn schutzwurdig oder hangt das von ihrem Nutzcn ab?

0 Kann die Artenvielfalt durch Genbanken und Artenschutzghettos gesichert wcrden?

Als Zielarten sollten jenc Artcn ausgewahlt werden:

0 die sclbst Ziel von Schutzbemuhungen sind,

0 die gleichzeitig als Biodesliriptoren zur Begrundung von Schutzmaflnahmen (inklusi- ve dcr ,,Fregattenfunktion" fur andere Arten) zu vcrwenden sind,

0 die fur die Erfolgskontrolle von Schutz- maflnahmcn (Indikator) gceignct sind.

Entscheidend ist das Ziel. So ist es fur die Re- naturierung eines Feuchtgebietcs evcntuell er- forderlich, den Riickgang einer Reihe von xerophilen Arten in Kauf zu nehmen. Die Re- naturicrung eines Regenmoors fuhrt unter Umstanden zum drastischen Riickgang der Arten- und Iiidividuendichte auf der niedrig- sten territorialen (okischen) Ebene, weil solch ein Extrembiotop ebcn artenarm ist. Hicr

mui3 die Erhaltung der nur in diesen extrem nahrstoffarmen Bercichen vorkommenden exltlusiven Arten als Quelle der Biodiversitat auf nachst hoherer (zum Beispiel topischer) Ebene (Tabelle 2) ausschlaggebcnd sein. Dic Bedeutung, die den Insekten fur das Erken- nen von Strukturdiversitat auf klcinstem Raum zukommt, ist mit dem teilweise gerin-

gen Kaumbedarf und den spezifischen Ab- hangigkeiten von abiotischen und biotischcn Faktoren gut belegbar und keinesfalls im Sin- ne dcr ,,Frcgattenfunktion" durch die alleini- ge Anwcsenhcit der Endglieder von Nah- rungskettcn (beispielsweise unter den Vogeln und Saugern als den klassischcn Natur- schutzjokern) abzudccken.

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Die Bedeu tung der Insek t en f i i r d e n Natur- u n d Umweltschutz 333

Biodiversitat

Wer uber Biodiversitat ernsthaft nachdcnkt und neue Wcge fur einen noch effektiveren Naturschutz sucht, der wird die Insekten als die artenreichstc Organismengruppc der Erde nicht umgehen konnen. Gleichzcitig tritt hierbei eine Reihc von Fragen auf, dic in Dis- kussionen um Biodiversitat sehr kontrovers beantwortet werden:

0 Wie ist der dcrzeitige Kenntnisstand be- zuglich der realen %ah1 beschricbener rezcn- ter Arten in Relation zum noch Unbekann- ten?

0 Kann Biodiversitat gemesscn werdcn?

0 1st hohe Biodiversitat ein erstrebenswertes Naturschutzziel?

0 1st die globale Erhaltung der Biodiversitat bezahlbar?

Moderne Schatzungen der noch zu erwarten- den Organismenartenzahl der Erdc reichen inzwischen uber 100 Millionen hinaus, der Anteil der Insckten nimmt dabei in Abhan- gigkeit von der Hohe der vermutetcn Arten- zahl von 60 auf 90 YO zu [15]. Wie kommt es eigentlich zu dem gewaltigen Uiiterschied zwischen einer realen Aufrechnung (siehe Tabelle 3) der bisher beschricbenen Arten (950 000 Insekten) und der noch zu crwarten- den Zahl von zu entdeckendcn Insektcnarten von angeblich 8-100 Millionen? Aus dcn Durchschnittszahlen der Jahre 1978 - 1987 liefi sich eine Rate neu beschricbener Insck- tenarten von 7222 pro Jahr ermittcln. Selbst bei einer Intensivicrung der taxonomischen Anstrengungen um 25 % wurden die Ento- mologen noch 10 000 Jahre benotigen, um die prognostizierte Zahl von 100 Millionen Arten wenigstens beschreiben zu konnen.

Ist sie mefibar?

Hier ist zu unterscheiden zwischen der Ele- mentebene (Arten, Rassen, subspezifische Formen usw.) und der Ebene der sich aus die- sen Elementen aufbauenden ubergeordneten Systeme (Vergesellschaftungen). Beide Ebe- nen liegen in unterschiedlich dimensionierten territorialen Stufen vor (Tabelle 2). Entschei- dend fur die Naturschutzstrategie ist die Ori- entierung an der hochsten territorialen Stufe (globale oder chorische Dimension). Das heifit, ein Territorium beeinflufit nur dann die

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Biodivcrsitat auf globalcr Ebene, wcnn cs ir- gcndcin Element cnthalt, das nur hicr vor- kommt (Endemit). Auf allcn mittleren Ebe- ncn wird die Biodiversitat mchr odcr weniger vom Strukturrcichtum (in Kelation zum bio- gcographisch-okologischen Umfeld) bestimmt.

Auf der niedrigstcn territorialen Ebenc cr- reicht die Zahl der vorhandcncn Elcmcnte eincn durch die jcweilige okische Struktur be- dingten Grcnzwert.

Dics wird haufig fchlgcdcutet, um dann ,,a- tcnarme" Strukturcn durch ,,artenreicherc" zu crsctzcn. Dabei sind es oft gerade jcnc ar- tcnarmen Extremstandortc (Rcgcnmoorc, at- lantischc Magerrasen usw.), die auf hoherer topischcr Ebene die Biodivcrsitat crhohcn, da sic uber einc groflerc Zahl von jencn spczicll angcpafltcn exklusivcn Elcmcntcn verfugcn, die ebcn iiur hicr vorkommcn. Auf okischcr Ebcnc 1aGt sich Artcnrcichtum schnell ,,hcr- anorganisieren", so durfte fur Laufkafer cine lrleinflachige Kombination von illegalcr Mull- deponic und Gullcloch diesbczuglich kaum zu iibcrtrcffen scin. Die formale Meflbarkcit von Diversitat (Tabelle 2), einrnal uber die Bc- zichung Artciizahl pro Flache odcr uber die Verteilung von Individuen auf Artcn in einein Okosystcm in Form der Strukturdiversitat bcrechnct, bcispiclsweisc untcr Nutzung dcr Informationsglcichung, hilft hierbei wenig; cntscheidcnd fur den Wert cincr Struktur oder Flache ist, ob diese als Biodiversitats- ,,qucllc" fur dic jeweils ubergcordnetcn terri- torialcn Stufen fungiert.

Die Informationsglcichung nach Shannon & Weaver druckt dic Verteilung dcr Individucn- zahl cines Bcstandes auf die Artcn aus. Jc glcichmafliger die Verteilung ist, je hoher ist dcr Wcrt. Mit der Artcnzahl stcigt cbcnfalls dcr Wcrt. Die Mac Arthur-Wilson-Glcichung gibt im Gegensatz dazu an, wic grofl die zu crwartcndc Artenzahl pro Flachcneinhcit ist, abhangig von zwci Konstanten. Hochstc Pri- oritat in der territorialen Verantwortung wird daher den cndcmischen Formen bcigcmessen. Bci cincr Haufung spricht man von Endcmismuszentrcn.

Wie la& sic sich erhalten?

Biodiversitat ist auf globaler Stufe zweifclsfrci nicht so ohnc wcitercs zu mehrcn, da Evolu- tionsprozessc schr langc dauern. Ob sie auf naturlichcm Wcge (Evolution contra Ausster- bcn) standig zunimmt oder o b es cine ,,Kapa- zitatsgrenze" fur die Artcnzahl auf dcr Erdc

gibt, ist aufgrund der cingangs gezcigtcn Un- sicherhciten bci der Interpretation dcr rczen- ten Artenzahl zur Zcit nicht sicher cmpirisch zu ermitteln. Auf jedcn Fall findct, wie am Beispiel der sudamerikanischen Regenwalder immer wieder gezeigt wcrdcn kann [15], zur Zeit cin allc natiirlichcn Prozesse ubertreffen- dcs Ausstcrben von Artcn statt.

Was kostet das?

Bei dcr Umsetzung der Biodiversitatskon- vcntion (UNCED 1992) wird oft als erstcs die Kostcnfrage gcstellt. Bestchendes crhaltcn kostet aber zunachst uberhaupt nichts. Ko- stcn entstehcn erst durch Eingriffe und die dann cinsctzendc Abwchr solcher Zuwidcr-

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handlungen. In vielcn Fallen laflt sich Natur- schutz dirckt vermarktcn oder uber die Er- haltuiig des Gcnpools als cine Sicherung von Nutzungspotenzen fur die Zukunft um- schrciben. Der Schutz der Organismenartcn vor Ausrottung ist abcr in erster Linie auch als ethischcs Anliegen zu sehen. Dcr Wert ei- ner Groflmutter wird doch auch nicht da- durch bestimmt, ob jemand Geld fur sic zu zahlcn bereit ist. Wcnn diese Kostcndiskussi- on abcr dazu fuhrt, dai3 mit wenig Geld mog- lichst vie1 geschutzt werden mug, dann be- ginnt dic Diskussion um Schutzprioritaten. Am effcktivsten scheint aus dieser Sicht der Schutz jener Zentreii der Biodiversitat zu sein.

Riodiversitat als Naturschutzziel?

1st es wirklich moglich, Biodiversitat durch die Konzentration aller Mittel auf den Schutz von hot-spot-Arealen, megadiversity-Regio- neii oder Endemic Species Areas (ESA) zu er- haltcn? Wie hoch ist cigentlich der Anteil lo- kaler Endemiten an der Gesamtfauna? Bei Viigeln sind cs je nach Dcfinition der Grofle des Brutgebietcs allenfalls 20 bis 30 %. Sind artcnarmere Extremgcbiete weniger wertvoll? Bcdiirfcii tropische Rcgenwalder cher unseres Schutzcs als arktisclie Kaltewusten? Zumin- dest konncn auch in bcstgeschiitztcn megadi- versity-Zcntren des tropischen Rcgcnwaldes keine Pinguinc geschiitzt wcrden. Genauso ist es mit der ,,Frcgattenfunktion" einiger Wir- bclticre bestellt: Durch den besten Seeadler- schutz lai3t sich das Erhalten der FFH-Arten der Coleoptera und Blutenpflanzen ebcn nicht mit ,,ahdecken". Verbreitungsmuster von Insekten sind beispielsweise denen von Pflanzen vielfach ahnlicher als deneii von Wirbcltieren.

O b abcr hohe Biodivcrsitat wirklich das Hauptzicl der Landschaftspflege sein sollte, ist sehr kritisch zu priifen. Kcinesfalls ist uns mit dem lokalcn Herbeipflegen von Mannig- faltigkeit durch geschicktes Umvcrteilen von schon Vorhandencm gedient (wie Konzeii- trieren von Ubiquisten, Importe schadstoffre- sistenter Sippcn, Adage von Botanischen Garten und Zoos als Artenschutzghettos). Dics wurde die Biodiversitat nur scheinbar erhohen. Wie steht es nun um den landwirt- schaftlichen Ansatz? Fiihrte der Ackerbau in Mitteleuropa durch Offnung der Landschaft, Eindringen von Steppenelementen, Einbiirge- rung von Nutzpflanzcn und Hausticren und Zuchtung neuer Rassen zur Erhohung der Biodivcrsitat? Sind Bauern die besten Land-

schaftspfleger (= Naturschiitzcr)? 1st Arten- reichtum vor allem durch Pflege erreichbar (auch im Forst!)? Oder gelten diesc Schlufl- folgerungen allenfalls fur eine niedere tcrrito- riale Stufe? AuBer bei einigen wenigen Nutz- formen (viele sind bcreits wiedcr vom Aus- sterben bedroht) wurdc Biodiversitat bisher durch den Menschen nicht erhoht, sondern reduziert:

0 bereits interglazial (,,overkill"-Hypothcse) und

0 spater, durch die Vernichtung von Wildtic- ren und -pflanzen, selbst der Ausgangsrassen von Haustieren (Honigbiene, Ur, Wolf usw.) sowie von nutzbaren Organismen (Schild- kroten, Dronten). Auch der vermeintliche Artenreichtum von Stadten basicrt auf solch &em Biodiversitatsartefakt, namlich der Konzentration von verarmten Strukturen auf klcinstem Kaum.

Wie schutzt man Insekten?

Voraussetzung fur eincn effektiven Schutz von Insekten ist, wie bei allcn andercn Orga- nismen auch, die Ursachen dcr Gefahrdung zu kennen. Daraus werden dann geeignete Scliutzmai3nahmen abgeleitet. Im Vorder- grund stcht dabei, die Storung abzustellen oder zu mindern. Das Ziel der Sicherung dcr Lebcnsanspruche der schutzbedurftigen Art (zum Beispiel durch Unterschutzstellung ge- eigneter Lebensraumc) kann nur im Zusam- menhang mit der Sicherung der Lcbensan-

spruche aller anderen Artcn gelost wcrden: Es warc unmoglich, zum Schutz von Insekten den Abschufl insektcnfressendcr Viigel und Sauger zu fordern.

Der Insektenschutz ist abcr in der vortcilhaf- ten Lagc, bereits mit der Unterschutzstcllung relativ kleiner Flachen (cinzelner Baume, Mauern, Stcinhaufen, Siille (runder See cis- zeitlicher Hcrkunft) usw.) sehr wirkungsvoll zum Schutz dcr betreffendcn Arten bcizutra- gen. Hinzu kommt, dai3 die matcriell-techni- schcn und organisatorischeii Aufwcndungen fur die Durchsetzung solchcr Schutzmaflnah- men relativ gering sind. Doch oft sind gcrade diese speziellen Lebcnsraume der Insektcn fur andere Organismen wcniger rclcvant und werdcn deshalb von der Naturschutzpraxis ignoriert oder zumindest nicht hoch genug bewertet.

Defizite licgen vor allem in dcr geringen Ak- zeptanz dcr Insekten als Zielgruppe dcs Na- turschutzes und dem mangelndcn Engagc- ment dcr Entoniologeii im Naturschutz. Die Vorstellung, dafl Insekten in crster Linic ,,Un- geziefer" sind uiid vcrnichtet wcrden miissen, sitzt sehr ticf im Bewufltsein dcr Bevolkc- rung. Insekten sind eben keine Kuscheltiere! Das gcringe Engagement der Entomologen im Naturschutz hat zumindest zwci Ursa- chen:

0 Erstens ist die Zahl dcr wirklich vom Aus- sterbcn bedrohtcn Insektcnarten im Vcrgleich zur Gesamtartenzahl der Insektcn relativ ge-

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ring und ihr Schutz durch MaCnahmcn dcs Individuenschutzes, wie er bei Wirbeltieren effektiv und publikurnswirksam eingesetzt wird, kauin realisierbar.

0 Zweitens sind die Eiitomologen auf Grund der cnormen Formenvielfalt und schwierigen Zuganglichkcit vieler Insektengruppcn noch zu sehr mit der Inventur und Aufklarung spczieller entomologischer Fragcn befaflt, was ihnen immer noch den Nimbus dcs ,,EL feiibeinturmforschers" einbringt.

So bleibcii die Strategien des Naturschutzes ubcrwiegend an Wirbeltieren orientiert (Ta- belle 4). Wie aber konntcn die Forderungen dcr Entomologie fur einen modernen Natur- schutz, dcr dic Insckten mit cinbezieht, ausse- hen? Zunachst einmal mufltcn sie in ein ganz- heitliches Konzept von Landnutzung und Na- turschutz integriert sein. Beispielsweise sollten:

0 naturliche Prozesse wie Vcrlandung, Ab- tragung, Uberflutung gcduldet werden (Pro- zeflschutz);

0 die Lebcnsgrundlagen allcr in Mitteleuro- pa frci lebenden Arten gesichert werden, init besondercm Augenmerk auf Endemitcn (spezifischer Arten- und Biotopschutz) und

0 landschaftstypische Strukturen in dem fur die obeii genanntcn Zicle notigen Umfang er- halteii (regcnericrt oder renaturiert) werden (Landschaftsyflege).

Ungewunschte Maflnahmcn waren:

0 eine Landschaft iiach D I N zwischen Zug- spitze und Kap Arkona (Saar/Oder);

0 eine Strukturdiversitat vom Reiflbrett (wie kunstlich inaandcrndcr Bach, kochsalzge- pflegte Salzstelle, Plastikfolien-Moor, Beton- Seerosenbecken) und

0 bundes- und laiideseinheitliche asthetische Landschaftspflegeziele.

Ganzheitliche Konzepte von Landnutzung wid Naturschutz [13] sind zu fordern, welche die Sichcrung aller ,,Quellen" der Biodiver- sitat, also gerade auch der Insekten, ein- schlieflen.

ausreicht, einen wirkungsvollcn Insekten- schutz ZLI garantieren. Die Auflistung in Ta- belle 5 stellt die Landschaftsplanung an erste Stelle; dabei mufl kritisch angemerkt werden, daC cntomologische Argumente seitens der Landschaftsplanung bisher vernachlassigt wurden. Dennoch konnten durch angernesse- ne Planungsentschcidungen auch Beitrage zum Schutz gefahrdeter Insektenarten gelei- stet werden, ohne dafl dies das unmittelbare Ziel ist. Beim Ausweisen von Schutzgebieten werden zwar pflichtgemafl auch Gutachten uber die Insektenwelt (Libellen, Schmetterlin- ge, Kafer) eingeholt, die Zahl der vorrangig aus entomologischen Grunden unter Schutz gestellten Gebiete durfte aber sehr gering sein. Auch Artcnhilfsprogramme fur gefahrdete Insekten sind in Deutschland eher die Aus- nahme.

Insgesamt kann festgestellt werden, daC so- wohl bci Eingriffsregclungen als auch bci Planungsentscheidungen im Rahmen von UVP/UVU/UVS selbst hochgradig schut- zenswertc Insekten (vom Aussterben be- droht; Endemiten) bisher kaum berucksich- tigt werden, da es fur diese Tiergruppe kein zielgerichtetes Instrumentarium gibt.

lnternationale Konventionen

Die Liste wichtiger internationaler gesetzli- cher Kegelungen irn Naturschutz (Kasten 1) macht deutlich, dafl zumindest funf der gc- nannten Regelungen fur Insekten relevant sind, bei weiteren (wie der RAMSAR-Kon- vention) wird iiber die ,,Fregattenfunktion" des Vogclscliutzes naturlich ein Groflteil der

schutxenswerten Insckten von Feuchtgebie- ten mit erfat3t. Von besondercr Bedcutung fur den Insektenschutz sind zweifclsohne die Biodiversitatskonvention und die ,,FFH" (Flora/Fauna/Habitat)-Richtlinie. Bei der Vorbereitung eines Netzwerkcs europaischer Schutzgebiete (NATURA 2000), das dcr Si- chcrung der Artenvielfalt durch den Erhalt dcr naturlichen Lebensraurne dienen soll, werdcn auch Insekten in den Anhangslisten I1 und IV gcnannt (Kasten 2 und 3).

Obwohl die Auswahl der dort aufgestcllten Inscktenarten seitcns des Bundesfachaus- schusses Entomologie sehr kritisch gcsehcn wird und unbedingt der fachlichen Uberar- beitung bcdarf, sollte das kein Grund sein, die Umsetzung dcr FFH-Richtlinie seitens des Bundes und dcr Lander noch weitcr zu ver- schleppen. Bezeichnend ist aber, daC es nicht gelang herauszufinden, nach welchen Kritc- rien und voii wcm gcrade diesc Insckten als ,,Zielarten" ausgewahlt wurden, zum Beispiel wird der Laufkafer Carabus olympiae, ein ex- tremer Endemit, der nur im Val dc Sessera in Piemont vorkomrnt, crwahnt, wahrend vom Aussterben bedrohte, ehenials weit verbrcite- te Arten aus der gleichcn Familic, wic der Puppeiirauber Calosoma reticulaturn, der moglicherweise wirklich nur iioch durch ein Netzwerk intcrnationalcn Schutzcs zu rctten ist, nicht enthalten sind.

Spannungsfeld: Entomologie - Naturschutz

Den Kern des Spannungsfelds zwischen En- tomologie und Naturschutz [I11 bildet in

lnstrumente des Naturschutzes

Im weiteren soll erortcrt wcrden, ob das der- zeitige Instrumentariurn des Naturschutzes

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Die Bedeutung der Insekten f u r den Natur- und Umweltschutz 337

dicscm Zusammenhang die Diskussion iibcr die Auswirkungen entomologischen Sam- meliis als eine dcr vcrmutlichen Ursachen des globalen Artenschwundes. Hier wurden die aus dcr Wirbeltierkundc bekannten und bcwahrten Prinzipien dcs notwendigcn Schutzcs cinzelner Individucn vorschnell und zu pauschal auch auf Insekten iibcrtragen.

Auf der anderen Seite gibt cs natiirlich auch Inselitenhandel, Tauschborsen und Entoino- logcn, die mit dem Fang und Handel von In- sekten ihren Lebensuntcrhalt verdienen. Haufig geratcn in der Diskussion die Betrach- tungsebenen durcheinander, beispielsweise wird das ethisch-moralische Prinzip der gene- rellen Achtung jcglichen Totens von Tieren

mit den konkretcn okologischen Auswirkun- gen der Zuwiderhandlungen verwcchselt.

Bei Vogeln und Saugern, dic im Vergleich zu Insekten mehr K-Strategen sind, kann die Entnahme einzelner Individuen (zum Beispiel durch Jagd) zum Erliischen der bctreffenden Arten in einer Biozonose beitragcn. Die Ein- haltung des oben genannten ethisch-morali- schen Prinzips ist hier gleichzeitig von groflcr okologischer Bcdeutung. Ganz anders ist dies bei R-Strategen, denn dicse sind durch die Entnahme von Einzelindividuen kaum zu gc- fahrden. Wenn diesc Arten dennoch gefahrdet sind, dann hat dies andere Ursachcn. Diese gilt cs zu findcn und abzustellcn. Die Anwen- dung des oben genannten Prinzips der Ach- tung des Totens jeglicher Kreatur mag als be- sondcrs edelmiitig cmpfunden werden, ist aber sowohl nicht gcncrell durchsetzbar (Schadlinge) als auch, von ganz wenigen Aus- nahmen abgeschcn, okologisch wenig wir- kungsvoll. Die Grcnzziehung inncrhalb der Insekten: Flohe und Raupen totzuschlagen, Schmetterlinge und Libellcn zu schiitzcn, macht die Fragwiirdigkeit der ganzen anthro- pogenen Bewertung deutlich [4].

So geht das Bundcsnaturschutzgesctz (BNatschG) mit der Bundcsartenschutzver- ordnung (BArtSchV) und dcn immer langcr werdenden Listen geschiitzter Insekten ir- gendwie am Zicl vorbei. Es cntsteht der Ein- druck, dafi Insekten vor alleni vor den Ento- mologen gcschiitzt werdcn miifiten. Auch in seriosen Erhebungen wird das Sammeln als eine der moglichcn Ursachen des Ruckgangs der einheimischen Iiisektenwelt genannt, ob- wohl es nachwcislich fur Insekten (ganz im Gegensatz zu Wirbelticren) keiiien einzigen Fall gibt, wo eine Art nun wirklich durch Sammeln ausgerottet worden ware. Dieses Argument sollte aber nicht so vcrstanden wcrden, als ob die Entoinologie nun dcm Na- turschutz alle ,,Beweislast" zuschieben moch- te [Ill. U m zu verhindern, dai3 Insektenarten aussterben, miisscn sich Entomologcn starker als bisher im Naturschutz cngagieren und alle Moglichkeiten eines effektivcn Schutzes aus- loten. Aus den bisherigen Erfahrungen hat sich aber gezeigt, dai3 den wahren Ursachen des Ruckgangs vieler Arten - sie konnen allgemein mit Jntensivierung dcr Landnut- zung" und ,,Verscharfung der Gegensatze zwischen konkurrierenden Nutzungsinteres- sen" umschriebeii werden - mit Hilfe eines einseitig auf Sammelverbotc ausgerichteten Vorgehens von Naturschutzbehordcn nicht ernsthaft entgegengcwirkt werden kann.

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338 Entornofaunistik

Mit dem ,,Ehrcnkodex dcr entomologischen Feldarbcit" hat dcr Bundcsfachausschufl (BFA) cine Position bczogen, der sich inzwi- schen uber 250 namhaftc deutschsprachige Entornologen angcschlossen habcn. Hicr wird unter andcrem deutlich gemacht, dafl es fiir den Schutz von Insckten nicht sinnvoll ist, die entomologische Feldarbeit durch undiffe- renzierte Sammelvcrbotc zu crschweren und gleichzeitig den Insektcnmassentotschlag mittels Bioziden als ,,ordnungsgcmak Land- und Forstwirtschaft" zuzulasscn.

Die quantitativc Uncrhcblichkcit dcs Sam- mclns gegenubcr der ,,normalen" technolo- gisch bedingten Inscktenvernichtung sol1 Ka- sten 4 bclegcn. Dabei wird nicht ubcrsehcn, dafl die gezielte und intensive Entnahme von ,,Karitatcn" durchaus zur Gefahrdung lokaler Vorkominen fuhrcn kann. Die wenigcn In- sektetiarten, bei denen derzeit wirklich cine solchc Gcfahrdung durch Sammeln gegebcn scin ltonnte, solltcn dann auch durch konse- quentes Sammelvcrbot geschutzt wcrden. Abcr wclchcn Effekt bringt ein Sammelver- hot fur Endemiten cines Regenmoors, wcnn das Moor wciterhin trockengeiegt und durch Nahrstoffeintrag cutrophiert wird? Fur die Entomologic ist die gencrelle Vcrteufclung dcr Sammcltatigkcit auflerordentlich fatal, wic dcr Ruckgang an ,,Entomologennach- wuchs" zeigt.

Konsequenzen

Es mu13 einc neue Standortbcstimmung der Entomologie durch die Entomologcn selbst erfolgen. Entomologcn musscn sich starker als bishcr im Naturschutz engagieren und ihr Wisscn fur einen vcrbesserten ganzheitlichen Naturschutz cinbringen. Es gilt Landnutzung und Naturschutz starltcr zu verflcchten, und dabci koniitcn gerade Insekten als Bioindika- torcn eiiien Bcitrag auf jenen raumlichcn Ebe- nen leistcn, fur dic beispiclsweise Groflsauger und Vogel kcincn Flachenbczug mehr zulassen.

Alinlichcs gilt fur die Akzeptanz von Mafl- nahmen (auch von Naturschutzmaflnahmen), durch die mit Hilfe dcr Insektcn eher objekti- vierbare Aussagen moglich sind und bei- spielswcise naturgcgcbcne Vcrluste von Indi- viduen im Sinnc der Duldung naturlicher Prozcssc akzcptiert werden, ohnc dafl es glcich zu ideologischen Grabcnkampfcn zwi- schcn Befurwortern und Gegnern kommt.

Naturschutzbczogcne entomologischc For- schung (Inventarforschung, Dauerbeobach-

tungcn, Bcstandsaufnahmen), Dokumcntati- on der Bedeutung vor allem auch dcr bisher wenig untcrsuchten Insektengruppen und Uberprufung ihrcr Eignung als Bioindikato- ren solltc starker als bisher gcfordert wcrden.

Bei der Novellierung bestehcnder Natur- schutzgesetze oder dcr Erschaffung neucr Schutzinstrumentarien sollten dann auch konsequent die jcweiligen Spczialisten (Taxo- nomen, Faunisten) dcr betreffenden Gruppen von Anfang an einbczogen werden.

Zusammenfassung

Die Bedeutung der Insektcn wird einmal durch ihrcn auflerordentlichcn Individucn- und Formenreichtum bestimmt, zum ande- ren durch ihrc Stellung in dcn naturlichen Geobiozonosen als dominiercnde Tiergruppe der mittlercn trophischcn Ebenen.

Das Image der Entomologie ist bcdauerli- cherweisc immer noch von der Vorstellung gepragt, dai3 Insekten Ungcziefer sind und Angcwandte Entomologie mit Schadlings- bckampfung (inklusive der biologischen Ver- fahren) glcichzusetzcn sci; Nutzticre wic die Honigbicnc bildcn die groflc Ausnahmc.

In letzter Zeit ,,boonit" allcrdings die Ento- mofaunistik als ein allseits gcforderter Bc- standteil dcr Bcgutachtung und Bewcrtung von Landschaftsteilen im Rahmen von natur- schutzfachlichcn Gutachtcn (zum Beispiel fur UVU, UVS, UVP). Hicrdurch trcten aber auch eine Reihe von Defiziten und Problemen zutage. So sind jene ,,Schncllgutachten" eben kein gccigneter Ersatz fur die seit Jahren ge- fordertcn grundlichen Langzeituntersuchun- gcn (Monitoring) oder gar fur die fur vide In- sektcngruppen noch ausstchenden grundle- genden taxonomischcn Bearbeitungen und Inventarisierungen. Ergebnisse von entoino- logischen Erhebungen werden zwar routi- nemaf3ig mit abgefragt, spielen dann aber bei dcr Bewcrtung allenfalls eine sehr untergeord- netc, oft gar kcine Rollc. Maflgebliche Vertrc- ter des Staatlichcn Naturschutzcs ziehen die Akzeptanz von entomologischen Argumen- ten fur den Naturschutz sogar ernsthaft in Zwcifel. Allenfalls die groflen, buntcn, scho- nen oder bizarren Insekten sind aus dieser Sicht naturschutzfachlich relevant, in Wirk- lichkeit mcint man politisch instrumentali- sierbar.

Auf der anderen Seite wird der sammelndc Entomologc dcm Groflwildjager glcichgc-

sctzt und das fur wisscnschaftlichc Untersu- chungen notwendige Totcn von Insckten in einfaltiger Vcrmengung von ethisch-morali- schen Haltungen mit iikologischer Auswir- kung als eine vermeintliche Hauptursachc des Artenschwundes hingestellt. Uber wirklich gceigncte Maflnahmen zum Schutz von In- sekten wird dann kaum iioch ernsthaft nach- gedacht und dem anhaltcnden Wirkcn dcr wahrcn Ursachen des Artcnschwundcs nicht entscheidend genug entgegengewirkt. Von besonderer Bedeutung fur die Entomologic ist in diesem Zusammenhang die Durchsct- zung moderner internationaler Naturschutz- instrumentaricn (FFH-Richtlinie, Biodivcr- sitatskonvention), auch wcnn hier (zum Bei- spiel bei der FFH-Richtlinic) die Qualitat des entomologischen Beitrags sehr nachbesse- rungsbedurftig ist und dem groflartigcn An- liegen ,,NATURA 2000" noch nicht ausrci- chcnd gcrecht wird. Doch hier ist die Ento- mologic gefordert, ihrcn Bcitrag zu einem ganzhcitlichcn Naturschutz zu leisten und neue Maflstabe bei der Novellierung von Bundes- und Landes-Naturschutzgesctzen zu setzen.

The importance of insects for nature conservation and environmental protection

The importance of insccts for nature conser- vation and eiivironmciital protection is deter- mined by the role of iiisccts in the stabiliza- tion of ecosystems and by the acceptance of this group by man. In our days the use of insccts as indicators in environmental invcsti- gations (ccofaunistic) surpasses thc classical subjects of entomology likc ,,post control" or ,,beekeeping". Unfortunately the impact of entomologically supported arguments on political decisions is more or less negligible. Mondern concepts of nature conservation must integrate also the insccts rcprcsenting the most important contributors to biodivcr- sity.

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Gerd Muller-Motzfeld, geb. 1941 in Meifien (Sachsen), Biologiestu- dium in Greifswald, Promotion uber ,,Ne- benwirkungen von Her- biziden auf Bodenar- thropoden" bei Prof. Dr. R. Keilbach. Ab 1978 Kustos des Zoo- logischen Museums

der Ernst-Moritz-Arndt-Uiiive~sitat (EMAU), Spezialgebiet: Taxonomie und Okologie der Carabidae. Habilitation 1987, Professur fur Spezielle Zoologie 1992, seit 1996 Geschafts- fuhrender Direktor des Zoologischen Instituts und Museums der EMAU Greifswald.

Prof. Dr. Gerd Muller-Motzfeld, Zoologi- sches Institut und Museum, Ernst-Moritz- Arndt-Universitat, Johann-Sebastian-Bach- Str. 11/12, D-17489 Greifswald.

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