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Page 1: Die axiomatische Methode in der neueren Mathematik

Die axiomatische Methode in tier neueren Hathematik Yon

l~,soh

In dem Werke ,Die allgemeine Funktionentheorie" (I882) sagt P a u l du B o i s - R e y m o n d (S. 138): Noch heute erscheinen in der ,,unfehlbarsten aller Wissenschaften" kaum zwei Lehrbticher hinter- einander, die, wenn sie auf die Grundbegriffe niiher eingehen, nicht auf das schroffste sich widerspriichen. Solehe Gegenslitze trifft man immer noch. Wenn sie weniger htiufig sind, so rtihrt das davon her, dab man in der Mathematik einen tieferen Einblick in das Weaen der Deduletion gewonnen hat. Far die yon alters her fibliche Unterscheidung zwischen Axiomen und Lehrs~tzen begann man iiutaerstr Schtirfr anzustreben. Indem man die Axiome in der dutch diesert Zweck gebotenen Vollstiindigkeit zu ermitteln und das Lehrgeb~iude auf die Axiome allein zu grtinden suchte, entstanden die Darstellungen, die man als axiomatische bezeichnet. Diese Arbeit hat nattirlich zu Ert~rterungen tiber die dabei mab- gebenden Gesichtspunkte geftihrt. Doch lagen hauptsiichlich nur eingestreute Er6rterungen vor, als ich den Versuch unternahm, das Wesen der Axiomatik in zusammenhiingender Betrachtung dar- zulegen. Aus diesem Versuch sind die folgenden Bltitter hervor- gegangen. Sie stammen aus dem Jahre 1915 und haben jetzt nur die )~mderungen erfahren, die hinsichtlich der Bezeichnungen und der Hinweise dutch die ihzwischen yon mir verOffentlichten Arbeiten veranlaBt waren.

Gieflen 1924.

w I. Aussage u n d W o r t g e f t i g e

i. Unter einer Aussage verstehe ich hier den Inhalt eines Wortgefiiges, das eine Mitteilung einkleidet, nicht aber eine Fragc, elne Aufforderung oder einen Ausruf. Ftir dieses Wortgefiige oder

,ti~d| der ~ilosophle. V. 31

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die Aussage wende ich nicht einfach das Wort ,,Satz" an. Viel- mehr soil das Wort ,,Satz" auf die iibliehe Anwendung fiir die Aussagen beschrtinkt bleiben, die wir auf Grund eines Stammes (s. unten in w 6) zu einem Lehrgebtiude aneinanderreihen, also fiir die Stammstitze und die abgeleiteten Stitze in einem Lehrgebiiude.

Unter Umst~inden dient ein einzelnes Wort als Einkleidung einer Aussage. Dann haben wit es aber mit einer abgektirzten Form zu tun, die eine voUst~indigere Form vertritt. Z. B, das ,,Fertig" des Eisenbahnsehaffners ist abgektirzte Form far alas Wortgeffige: Der Zug ist zum Abfahren fertig. Ftir unsere Zwecke bedtirfen wir allemal der vollst~indigen Form; wir stellen demnach die Forderung:

Forderung o. - - Das Wortgefiige mug ein in grammatiseher Hinsicht vollsttindiges sein.

Dazu treten folgende Forderungen: Forderung b. - - Das Wortgefiige darf als Ganzes und in

seinen Teilen nur eine einzige Auslegung gestatten. Hat also ein Wort oder eine Wortfolge mehr als e ine Bedeutung, so mull er- kennbar gemacht sein, welche Bedeutung gemeint ist.

Forderung c. - - Was nicht zum Verst~ndnis n~tig ist, sondern nut zur Ausschmiiekung oder Ankniipfung dient, ist fortzulassen.

Z. B. statt: Natiirlich ist ,, ein reehter Winkel, write nur zu sagen: ~ ist ein reehter Winkel; ebenso statt: Folglieh ist ,, ein rechter Winkel. Das Wort ,,natiirlich" oder ,,folglich" hat aller- dings etwas zu bedeuten; abet, was es bedeutet, geh6rt nieht zu dem Inhalt des Wortgeftiges, der uns bier allein beschtiftigt.

2. Als Beispiel einer Aussage wtihle ieh einen geometrisehen Satz, indem ich aus NG x) S. 206 den ,,Grundsatz" unter Nr. xo entnehme und ibm folgende Fassung gebe:

Aussage G. - - Sind zwei Punkte Endpunkte einer (und der- selben) geraden Streeke, so sind sie nicht Endpunkte einer (und derselben) anderen geraden Strecke.

Dadurch, dail ich die Aussage G als g e o m e t r i s c h e n Satz bezeiehnet babe, ist der Forderung b entsprochen (siehe aueh w 2 Nr. 3, Absatz 3). Das Wort ,,Streeke" ist in tier iiblichen Weise ftir eine vollst/indig begrenzte Linie.angewendet, w~ihrend das Wort ,,Linie" far den allgemeinen Zweek vorbehalten bleibt, insbesondere

1) NG bedeutet: Vorlesungen iiher neuere Geometrie. Leipzig ~882. Zweite

Ausgabe I9x2.

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auch ffir die F~ille der Unbegrenztheit oder nur einseitiger Be- grenztheit.

Die Aussage G drtickt eine Eigenschaft der geraden Strecke aus; dem Gebrauch folgend, wird man sie eine ,,Aussage fiber die gerade Strecke" nennen. Die Aussage G kommt aber nut dadureh zustande, dab auBer dem Begriff der geraden Strecke auch die Begriffe des Punktes, des Endpunktes und der Zahl 2 herangezogen werden. H~lt man die Begriffe ,,gerade" und ,,Strecke" auseinander, so sind in der Aussage G folgende Begr i f f e - - ich will sie die Begriffe N nennen - - zueinander in Beziehung gesetzt:

zwei, Punkt, Strecke, gerade, Endpunkt.

Wenn ich hier sage, dab dies die ,,Begriffe" sind, die in unserer Aussage auftreten, so ist damit gemeint: die aufgeftihrten N a m e n sind die, deren Bedeutung der Leser kennen muB (auBer den so- gleieh zu erw~ihnenden Ftigemitteln).

Was sonst im Wortgefage G, d. h. in dem die Aussage G dar- stellenden Wortgeffige, an Worten, Flexionsmitteln und Inter- punktionszeichen auftritt, some die gesamte Anordnung, dient dazu, die obigen Begriffe, d. h. das, was mit den obigen Namen bezeichnet ist, so zu verknfipfen, dab eine bestimmte Beziehung zwischen ihnen zum Ausdruck kommt. In erschOpfender Weise wird man daher G eine ,,Aussage tiber die Begriffe N" nennen. Ieh m6chte hiernach sagen, dab die Begriffe N den S t o f f der Aus- sage bilden, und m6chte weiter in G die WOrter N, d. h. die die Begriffe N ausdrtickenden W6rter, S to f fwOr te r , die iibrigen Bestandteile an Worten, Flexionsmitteln und Interpunktions- zeichen, sowie die gesamte Anordnung F a g e m i t t e l nennen. 1)

Auf die Rolle, die die Ftigemittel spielen, werde ich erst an einer spiiteren Stelle eingehen (siehe w 3 Nr. 4)-

3. Es wurde oben erw~ihnt, dab man die Aussage G eine ,,Aus- sage fiber die gerade Strecke" nennen kann, wobei nicht der ganze ,,Stoff" yon G zur Geltung kommt, d .h . nicht die Gesamtheit der Begriffe N, sondern nur die Begriffe ,,gerade" und ,,Strecke". Eine solche Benennung yon G entspricht dem Umstand, daft G in der Geometrie seinen Platz in einem Abschnitt finder, der ,,yon den geraden Streeken" handelt. In einem urnfassenderen Ab-

x) Unsere Betrachtungen bleiben anwendbar, wenn die Wortgeftige in Formel- schrift dargestellt werden. Die Formelschrift ist nut berechtigt, wenn sie sicher in die gewfihnliche Sprache iibertragen werden kann.

3x*

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2B.~ M. Pasch

schnitt ,,Won den Strecken tiberhaupt" wird folgende Aussage Platz finden:

Aussage/'. ~ Sind zwei Punkte Endpunkte einer krummen Strecke, so sind sie aueh Endpunkte einer anderen krummen Strecke.

Wenn ich in G das Stoffwort ,,gerade" durch ,,krumm" er- setze, so entsteht eine Aussaget

Aussage G o. - - Sind zwei Punkte Endpunkte einer krummen Strecke, so sind sie nicht Endpunkte einer anderen krummen Strecke, eine Aussage, die durch / ' widerlegt wird. Wenn wir aber des- halb die Aussage G O verwerfen, so ist doch das Wortgeftige G O nicht sprachwidrig, G O auch als Aussage nicht yon vornherein unzu- ltissig. Erst die Kenntnis gewisser Lehren der Geometrie ver- anlaflt uns, G O abzulehnen.

4- SteUen wir uns vor, dab wir zwar mit den Eigenschaften der g e r a d e n Strecken bekannt w~iren, nicht aber mit denen der k r u m m e n Strecken, und dab wir demgemtif~ die in der Aussage/ ' niedergelegte Tatsache noch nicht ki~nnten. Dann hatten wir keinen AnlaB, G O zu verwerfen. Wir dtirften unter den vorgestellten Umstiinden zwar Go nicht als gtiltig hinstellen, aber doch zum Gegenstand einer Untersuchung machen; wir dtirften die F r a g e a u f w e r f e n , ob Go gtiltig ist oder nicht. Ich will sagen: G O ist ftir den, der noch auf dem geschilderten Standpunkt steht, dis- k u t a b e l . Far den, der schon Sa tz / ' kennengelernt und anerkannt hat, ist Go, weil m i t r unvereinbar, nicht mehr diskutabel.

Welche Aussagen als ,,g01tig" zu bezeichnen sind, wird sparer er6rtert werden (siehe w 4 Nr. 3).

5. Bildet man in der Geometrie, wie in Nr. 3 angedeutet wurde, etwa einen Abschnitt ~, der ,,yon den Strecken" handelt, so werden daxin die Aussagen G u n d / ' Platz finden. War die Aus- sage G eine Aussage tiber die Begriffe N (siehe Nr. 2), so ist die Aussage/1 eine Aussage tiber die Begriffe:

zwei, Punkt, Strecke, krumm, Endpunkt,

die ich die Begriffe Q nennen will. Nun werden die Zahlen, also auch die Zwei, in der Geometrie

vorausgesetzt; die tibrigen Begriffe N und Q, nlimlich:

Punkt, Strecke, gerade, krumm, Endpunkt,

werden in der Geometrie eingeftihrt, und zwar mtissen sie in Ab-

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schnitt ~I zur Verftigung stehen, bevor die Aussagen G u n d / ' ein- gereiht werden. Dies reicht aber zur Aufstellung yon G oder / ' nicht aus; vielmehr miis~en zu diesem Zweck Aussagen voraa- gestellt sein, wonach die Stoffw~rter N und ~ miteinander die Verbindungen eingehen kOnnen, die in den Wortgefiigen G und /'- vorkommen. Es miissen z .B. Aussagen vorangehen, wonach die Verbindung des Adjektivs ,,gerade" oder ,,krumm" mit dem Sub- stantiv ,,Strecke" einen Sinn hat.

Keinen Sitm h~itte es, etwa ,,krumm" mit , ,Punkt" zu ver- binden, also yon einem ,,krummen Punkt" zu sprechen. Eine Aussage, in der dies gesch~ihe, h~itte ebenfalls keinen Sinn, und die Frage, ob die Aussage diskutabel ist oder night, w ~ e bei einer solchen Aussage gegenstandslos.

6. Wir werden hiernach, wenn ein Wortgeftige E vorliegti zuerst priifen, ob darin nur solche StoffwSrter und StoffwSrter- verbindungen vorkommen, deren Berechtigung durch vorhergehende Aussagen gesichert ist. Ist dies der Fall, so will ich die Aussage E als k o r r e k t bezeiclmen.

Die Aussage Go war korrekt. Sie ist ftir reich, solange ich die Aussage/ ' nicht kenne, auch diskutabel. Bin ich im Absclmitt ~I fiber die Aussage/ ' hinausgelangt, so h~rt G O nicht auf, korrekt zu sein, ist aber ftir reich nicht mehr diskutabel.

Eine Aussage ist nur diskutabel, wo sie korrekt ist; aber wenn eine Aussage korrekt ist, braucht sie datum noch &eineswegs dis kutabel zu sein.

7. Wir haben gesehen, daft die Aussage Go, die an einer Stelle im Abschnitt ~I noch diskutabel war, es an einer sp~iteren Stelle in ~ nicht mehr ist. Zerlegen wir nun ~ derart in zwei Abschnitte A und B, dab A vor B steht und nur yon g e r a d e n Strecken handelt, der Begriff ,,krumm" aber erst in B eingeftihrt wird. Vqenn ich dann versuchen wollte, die Aussage F in den Abschnitt A ein- zureihen oder sie an A anzufiigen, so stiinde dem im Wege, daf F an einer solchen Stelle noch nicht korrekt ist; sie wird es erst in B, wo sie iiberdies endgtiltige Aufnahme findet (siehe Nr. 3)-

Auch die Aussage Go ist noch nicht korrekt in A, sondem erst in B, wo sie tiberdies diskutabel wird. Aber die Aufnahme wird ihr auch in B versagt (siehe ebenfalls Nr. 3).

Wenn ich schliefllich in F alas Stoffwort ,,ktumm" durch ,,gerade" ersetze, so entsteht eine Aussage:

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Aussage/'o. - - Sind zwei Punkte Endpunkte einer geraden Streeke, so sind sie aueh Endpunkte einer anderen geraden Streeke.

Die Aussage P o ist in A korrekt. Sie ist aber dort nur dis- kutabel, solange ich die in der Aussage G niedergelegte Tatsaehe noeh nicht kenne. Bin ich im Absehnitt A fiber die Aussage G hlnausgelangt, so ist P o nicht mehr diskutabel.

In sich einen Widerspruch enthaltende Aussagen, z .B.: ,,Die Streeke s ist gerade und nicht gerade", sind an keiner Stelle dis- kutabel. Sie bleiben ebenso aul3er Betracht, wie Seheinaussagen, z.B.: ,,Eine Streeke, die gerade ist, ist gerade".

w 2. A u f s t e l l u n g e ine r Folge yon A u s s a g e n

I. Ich will nun ein umfassenderes Beispiel herstellen, um das i m w I Gesagte zu erl~iutern und Weiteres vorzubereiten.

Indem ich die in w I angewendeten Bezeichnungen beibehalte, kann ich annehmen, daft man die Geometrie mit einem Abschnitt A er6ffnet, der yon den geraden Strecken handelt, und erst sp~iter den Begriff der krummen Strecke einffihrt (w I, Nr. 7)- In den Abschnitt A geh6rt dann die Aussage G, in der wir als StoffwOrter die W/~rter N antreffen (w I Nr. 2). Der Aussage G mfissen im Abschnitt A Aussagen vorangehen, durch die die Stoffw6rter N und die in G benutzten Verbindungen dieser Stoffw0rter eingeffihrt werden (w I Nr. 6). Nur das unter den N befindliche Zahlwort ,,zwei" ist auszunehmen, weil die Zahlen Und ihre Gesetze nicht erst in der Geometrie eingefiitirt, sondern in ihr sehon vorausgesetzt werden (w I Nr. 5).

Die Aussage G war aus NG Seite 206: Dritter Zusatz zu w I, entnommen und nut insofern anders gefaflt worden, als start ,,Streeke" voltstfindiger ,,gerade Strecke" und statt ,,~iuflerster Punkt" in iiblicher Weise ,,Endpunkt" gesagt wurde. Die Num- mern I~-97 a . a . O , k0nnen zum Abschnitt A verwendet und zwar an die Spitze gestelll: werden. De," Rest des Abschnittes A ist aus NG w I vom I. Lehrsatz an zu entnehmen; siehe NG Seite 2o5, 206.

Der Absehnitt A ist, wie aueh B und l"iberhaupt 9/ (siehe bier w I Nr. 6, 7) eine Folge yon Aussagen, deren jede an ihrer Stelle nieht blofl korrekt, sondern auch diskutabel, ja sogar ,,gfiltig" ist (w I Nr. 4). Die einzelnen Aussagen mfissen allerdings noeh darauf geprifft werden, ob s[e den in w I Nr. I aufgestellten For- derungen a, b, c genfigen.

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2. Das herzustellende Beispiel soil nieht, wie die Beispiele in w I, eine einzelne Aussage sein, sondern eine Folge von Aus- sagen. Diese Folge will ich aus A so entnehmen, dab sic an die Spitze yon A gestellt werden kann und mit der Aussage G sehlieBt. Ftir das Beispiel kommt also vom Absehnitt A niches in Betracht, als die Nummem I--IO Bus NG Seite 2o6. Die Nummern 4, 6, 7, 8, 9 k6nnen abet hinter IO gestellt werden. Ftir meinen Zweck geniigen daher die Nummern I, 2, 3, 5, Io. Diese lauten:

(I) (Grundbegriff) P u n k t . (2) (Grundbegriff) G e r a d e S t r ecke . Statt ,,gerade Strecke"

sagen wir meist nur ,,Strecke". (3) (Grundbegriff) ~,uf3erst, und zwar in der Verbindung!

tiuflerster Punkt einer Strecke. State ,,~iuBerster Punkt" sagen wir meist ,,Endpunkt".

(5) (Grundsatz). Ist eine Strecke angegeben, so kann man zwei Punkte angeben, die iiuf3erste PurLkte der Strecke sind.

(Io) (Grundsatz). Sind zwei Punkte, ~iuBerste Punkte einer Strecke, so sind niche beide Punkte tiuflerste Punkte einer anderet~ Streeke.

Weshalb bier durchweg von Strecken gesprochen wird, nicht yon Linien, ist in w I Nr. 2 angegeben.

3- Dureh die Nummem (I), (2), (3) werden die geometrisehen Begriffe

Punkt, gerade Strecke, tiugerst

eingefiihrt, und zwar als G r u n d b e g r i f f e im Sinn yon NG Seite I6, VF 1) w I. An ihre Stelle treten bei uns die Begriffe:

Punkt, Strecke, gerade, Endpunkt.

In den Nummern (5) und (IO) treffen wir auflerdem einen arith- metischen Begriff an: die Zahl 2. - - W i e ich hier das Wore ,,Begriff" gebrauche, ergibt sich aus w I N r . 2.

Die Nummem (5) und (Io) sind Aussagen fiber die erw~ihnten Begriffe, die Begriffe N (w I N r . 2). Diese Aussagen sind Grund- s~itze im Sinn yon NG Seite 5 und I7, VF w Die Grundbegriffe und Grundsiitze habe ich spiiter K e r n b e g r i f f e und K e r n s g t z e genannt: Archly der Math. u. Phys., Bd. 24, I916, S. 276.

Der hier aus NG entnommene Wortlaut ist in den Stoff- w6rtern N auszudrticken und aul3erdem mit den in w I Nr. I auf- gestellten Forderungen a, b, c in Einklang zu bringen. Er geniigt

t) VF bedeutet: Vetgnderliche und Funktion. Leipzig und Berlin I9I 4.

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der Forderung c. Aueh die Forderung b ist ediillt; daft etwa bei dem Wort ,,gerade" an den bei Zahlen auftretenden Gegematz zwischen ,,gerade" und ,,ungera~le" (Zahl) gedaeht werden kOnnte, ist nicht zu beftirchten, du der Begriff ,,gerade" hier ausdrticldieh als geometrischer Begriff eingefiihrt wurde. Aber die Forderung a ist nur bei (5) und (Io) erfiillt, wlihrend (I), (2) und (3) ihr erst angepat3t werden miissen.

Bei der hiemach erforderliehen Umformung muff ich noeh beriicksichtigen, daft

Punkt, gerade Strecke, iiuBerster Punkt einer geraden Strecke

nicht Eigr sondern Gemeinnamen sind; siehe hierzu GA x) Seite If., VF Seite I, 3, 153. Dies ist aus der gnappen Form vor, (t), (2) und (3) noch nicht zu ersehen, sondern erst aus den Siitzen (5) und (xo).

4. Fiir die Umformung der Nummer (x) aus NG wird nunmehr maflgebend sein, dab der Name , ,Punkt" ein Gemeinname und der Begriff , ,Punkt" ein Kernbegriff sein soll. Ich sage daher: Es kommt vor, und zwar nicht b%fl einmal, dab ein Ding ein Punkt ist. Und welter: Es kommt vor, dab ein Ding kein Punkt ist. Denn sonst w ~ e es tiberfltissig, yon Dingen und auflerdem noeh von Punkten zu sprechen.

Auf welche Weise der Leser gelemt hat, mit dem Wort , ,Punkt" in der Geometrie einen bestimmten Sinn zu verbinden, und welcher Sinn dies ist, bleibt dahingestellt, ebenso in welchem Sinn der Punkt ftir den Leser ein Ding ist, ob ein Naturgegenstand oder ein Gedankending. Der Leser muff sich irgendwie einen Begriff , ,Punkt" und einen Begriff ,,Ding", unter dem der Begriff , ,Punkt" enthalten ist, gebildet haben. Ist dies geschehen~ so besteht ftir den Leser die MOglichkeit des Vorkommnisses: dieses Ding ist ein Punkt. Mit dieser MOglichkeit ist der Boden for unsere Be- trachtungen gewonnen.

Was hier vom Punkt gesagt wurde, gilt in entsprechender b

Weise auch ftir die iibrigen geometrischen Kernbegriffe. Deshalb k6nnen philosophisehe Grundfragen, wie die naeh der Ent- scheidung zwischen Empirismus und Apriorismus, hier ganz un- beriihrt bleiben.

5. Bei der Umformung der Nummer (2) aus NG mug ieh jetzt mit der Strecke beginnen und dann die gerade Strecke ein-

1) GA bedeutet: Grundlagen der Analysis, Leipzig trod Berlin x9o9.

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fiihren. Zunliehst sage ich daher: Es kommt vor, und zwar nicht blofl einmal, daft ein Ding eine Streeke ist; es kommt vor, dab ein Ding keine Streeke ist. Und weiter: Punkt und Strecke,sind verschiedene Begriffe. Ob diese Begriffe einander nicht sogar aussehlieflen, ist for unseren Zweek ohne Belang.

Sodann sage ieh: Es kommt vor, und zwar nieht blofl einmal, daft eine Streeke eine gerade Strecke ist; es kommt vor, daft eine Streeke keine gerade Strecke ist. Hierdurch ftihre ich den Kern- begriff ,,gerade" ein, aber in Verbindung mit ,,Strecke", und zwar nur in dieser Verbindung. Ob das Adjektiv ,,gerade" dauernd nur mit dem Substantiv ,,Streeke" verbunden werden kann, bleibt dahingestellt.

Statt Nummer (3) sage ich: Es kommt vor, dab ein Punkt P Endpunkt einer geraden Strecke s ist, und zwar kommt "dies nieht nut ftir einen einzigen Punkt vor; es kommt vor, dab ein Punkt P' nieht Endpunkt einer geraden Strecke s' ist. Hierdureh ftihre ieh den Kernbegriff ,,Endpunkt" ein, abet nur in der Verbindung; Endpunkt einer geraden Strecke.

Der obige Wortlaut sagt for den Fall, dab der Punkt P End- punkt der geraden Strecke s ist und ein anderer Punkt Po.ebenfalls Endpunkt einer geraden Streeke, etwa der Strecke so, niehts dartiber aus, ob so von s verschieden sein muff oder mit s zusammea- fallen dad.

Satz (5) erhlilt die Form: Ist eine gerade Strecke angegeben, so k6nnen zwei Punkte angegeben werden, die Endpunkte tier Streeke sind.

Satz (IO) endlich erhiilt die Form: Sind zwei Punkte End- punkte einer geraden Streeke, so sind sie nicht Endpunkte einer anderen geraden Strecke.

Damit sind wir bei der Aussage G angelangt. 6. In dem hier herangezogenen Werk tiber Geometrie habe

ieh die empiristisehe Auffassung der Mathematik zugrunde gelegt. Ober diesen Standpunkt babe ich mieh aueh in VF w 3 und w 69, sowie in einigen Abhandlungen 1) ausgesprochen. Die Geometrie hat dann den Charakter einer Naturwissensehaft, ihre Kernbegriffe sind empirische. Lehnt man die empiristisehe Auffassung ab, so werden die geometrischen Kernbegriffe, wie ieh es in VF Seite I39

1) Grundfragen dex Geometric. Journal fox Math., Bd. 47, x9x7; Mathematik und Logik. Leipzig, Wilhelm Engelmann, x9x9, 2. Aufl. x924; Die Begriffswelt des Mathematikers in der Vorhalle der Geometrie. Leipzig, Felix Meiner, x92~-.

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ausdrticke, hypothetische Begriffe (,,illusorische" nach der Aus- drucksweise yon J. H j e l m s l e v in der Abhandlurg: Die Geo- metric der Wirklichkeit, Acta Mathematica, Bd. 4o, I916, S. 35)-

Indem ich den empiristischen Standpunkt festhalte, kann ieh die vorstehenden Aussagen noch anders fassen. Zun;4chst werde ich Punkt und Strecke so einftihren: Es kfnnen Dirge argegeben werden, die Punkte sind; es kSrmen Dirge angegeben werden, die Strecken sind. Oder blotl: Es k6nnen Punkte argegeben werden; es kSnnen Strecken angegeben werden. Verf~hrt man dann ebenso mit dem Begriff ,,gerade", dana erh~ilt man genau diejenige Fassung, an die sich die sp~iter - - in Satz (5) - - vorkommenden Worte: ,,Ist eine gerade Strecke argegeben", unmittelbar an- lehnen k/~nnen. Ober ,,Ding" und ,,argeben" siehe die Erld~inmgen in GA w t und VF w I, sowie in der Abhandlung: Der Ursprurg des Zahlbegriffs, Archly der Math. u. Phys., Bd. 28, Heft I, x919.

Unsere Betrachturg hat nur zum Ziel, die Bedirgurgen fiir i n n e r e Folgerichtigkeit blollzulegen; nur diese soil das zu be- schaffende Beispiel beleuchten. Daher ist es hier einerlei, ob der Leser die empiristisehe Auffassung tier Geometrie teilt oder nicht. Immerhin kann auch der Nicht-Empirist mit einer Aussage wie der, dab Punkte argegeben werden k0nnen, einen Sinn verbinden. Auch der Nicht,Empirist stellt sich ja beispielsweise die Aufgabe: Gegeben zwei Punkte, gesucht die Mitre der sie verbindenden geraden Strecke. Hier muB er es als mfglich gelten lassen, Punkte zu geben, oder m wie icli lieber sage - - Punkte anzugeben.

Auch die Frage, ob hinter die Kernbegriffe des Mathematikers zurtickgegangen werden kann, ist for unsere Zwecke ohne Belarg. Doch sei auf die .~uBerurg in VF Seite 32 hingewiesen.

7- Ich stelle nunmehr die Aussagen zusammen, die ich zurtick- behalten will.

(a) Es kfnnen Punkte argegeben werden. Kurz: Es gibt Punkte.

Wie in GA (siehe dort w 7 Lehrsatz 52) und in VF (siehe dort Seite x54), gilt die Wendung ,,Es gibt" als Abkiirzurg fiir ,,Es kann angegeben werden", gleichvieI welcher Sinn mit dem An- geben zu verbinden ist.

(b) Es gibt Strecken. (c) Es gibt gerade Strecken. (d) Es gibt Punkte, deren jeder Endpunkt einer geraden

Strecke ist. Ausfiihdicher: Es kann ein Punkt P und eine gerade

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Strecke s so angegeben werden, dab P Endpunkt von S ist, und zwar kann dies nieht nur ftir einen einzigen Punkt geschehen.

(e) Ist eine gerade Streeke angegeben, so gibt es zwei Punkte, die Endpunkte der Strecke sind.

(f) Sind zwei Punkte Endpunkte einer geraden Streeke, so sind sie nieht Endpunkte einer anderen geraden Strecke.

w Ober die Beze iehnungen

I. Einige Stellen im vorigen Paragraphen lassen es als wiin- schenswert erseheinen, daft schon jetzt die Regeln erOrtert werden, die man in der Mathematik bei der Wahl yon Bezeichnungen be- Iolgt. Ieh will deshalb die Verwertung tier in w ~ Nr. 7 zusammen- gestellten S/itze versehieben und vorher tiber die Bezeiehnungen sprechen.

Vor allem ist festzuhalten, daB, wo ftir ein Ding ein Eigen- name eingeftihrt worden ist, dieser nieht aueh ftir ein anderes Ding angewendet werden daft. Fiir Dinge, ftir die sieh nicht sehon in der $praehe ein Name vorfindet, werden meist Buehstaben als Namen eingefiihrt. Habe ich nun fiir ein Ding etwa den Bueh- staben ~ als Eigennamen eingefilhrt, so kann ich den Buehstaben nieht aueh als Eigennamen eines anderen Dinges verwenden. Eigermame des Buehstaben selbst ist das Wort Alpha.

Doeh muB man feste und ver~inderliehe Namen unterseheiden. ,,Alpha" ist der Ieste Name eines Buehstaben; ,,Alexander der Grofle" ist der Ieste Name eines Mannes; ,,Drei" ist der feste Name einer Zahl, ebenso" ,~". Solehe Namen dad ieh in dem Zusammenhang, in dem sie stehen, nie in anderer Bedeutung ver- wenden. Der Buehstabe ~ abet ist nieht der Ieste Name eines bestimmten Dinges; vielmehr kann, wenn bei einer Untersuehung einem Ding der Name ~ beigelegt war, ~ als Name dieses Dinges wieder aufgegeben werden, und man ist in der Tat gewohnt, die Namen als aufgegeben zu betraehten, wenn die Untersuehung einen Absehlufl erreieht hat, also etwa beim Absehlufl eines Kapitels. Ist aher der Name ~ ftir das in Rede stehende Ding einmal aufgegeben und mithin frei geworden, so daft jeh ihn in anderer Bedeutung verwenden.

Das Gesagte gilt in entsprechender Weise ftir die Gemein- namen. Es karm anch auf 5toffw6rter anderer Art iibertragen werden, was jedoch bier attfler Betracht bleiben daft.

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2. Die Regel, die ieh an die Spitze gestellt habe, wird also genauer damn zu fassen sein, dag bei der Einfiihrung eines Namens bestimmt werden muir, ob er ein fester Name sein soil oder nicht.

In VF w 2 sind die Eigennamen a, b, ~I und die Gemein. namen A, ~ so eingefiihrt, dab ihre Bedeutung nicht yon sel~st tiber w 2 hinaus fortgelten kann; siehe auch die folgenden Para- graphen in VF bis zur Aufnahme ,,abgekiirzter Darstetlung" in w 16. Die Mitteilung der Bedeutung eines Namens ist in diesen F~illen eine Definition mit beschr~inkter Geltungsdauer.

Die Regel, dat3 ein und derselbe Name nieht gteichzeitig Ver- schiedenes bedeuten soil, habe ieh streng genommen verletzt, indem ich in w I Nr. 2 yon der Aussage G und dem Wortgefiige G, yon den Begriffen N und den W6rtem N, in w I Nr. 3 yon der Aussage G O und dem WortgeftigeGo sprach. Doch kormte ich mir diese Bequemlichkeit gestatten, ohne Migverst~indnisse be- ftirehten zu mtissen.

3. Keineswegs ausgeschlossen ist dagegen~ dab in einem und demselben Zusammenhang Bezeichnungen auftreten, die, obwohl verschieden, dennoch dasselbe bedeuten.

Fiir das die Aussage einkleidende Wortgefiige konnte in w I derselbe Buehstabe benutzt werden, wie fiir die Aussage sell)st, Das wird unstatthatt, sobald als Einkleidung einer und derselben Aussage verschiedene Wortgeftige auftreten, beispielsweise fiir die Aussage G au~er der bisherigen noch die you ihr nur wenig ab- weiehende Einkleidung: Sind zwei Punkte Endpunkte einer geraden Strecke, so kann keine andere gerade Strecke angegeben werden, fiir die jene Punkte Endpunkte sind. Hier treffen wit andere Fiigemittel an, als in der friiheren Fassung, aber dieselben Stoff2 w6rter;

zwei, Punkt, Strecke, gerade, Endpunkt.

Ich will an die Stelle dieser W6rter irgendwelche Zeichen (als D e c k n a m e n im Sinn yon ,,Mathematik und Logik" S. 37f.) setzen, etwa ~, p, 7, ~, e, mit der Maflgabe, dat3 /~, 7, 8 Substan- tiva sind, ~ ein Adjektiv, ~ ein/Zahlwort. Dann erhalte ich die zwei Wortgeftige:

I. Sind (~fl's)e's eines (~7}, so sind sie nicht Cs eines anderen (~7).

II. Sind (oc/~'s)ds. eines (~ 7), so kann kein anderes (~ 7) angegeben werden, fiir das jene /~'s d s sind.

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Und diese beiden Wortgefiige stellen eine und dieselbe Aussage dar, aueh wenn a, //, ~, ~, ~ nicht als Decknamen far die obigen Begriffe gelten, sondem ihre Bedeutung ganz dahingesteUt bleibt. Nur werde festgehalten, dab p, 7, ~ Substantiva vorstellen, ~ ein Adjektiv, ~ ein Zahlwort.

4. DaB die durch I. und II. dargestellten Aussagen fiber ,t, p, 7, ~, ~ sich decken, - - genauer gesagt, daB nur eine einzige Aussage vorliegt, - - ist ausschliefllich dutch die Fiigemittel bedingt und hiingt in keiner Weise davon ab, was die als Stoffw6rter gel- tenden Zeichen bedeuten. In jedem Fall, wo zwei verschiedene Wortgefiige V, W mit denselben Stoffw6rtem vorliegen, ist die Frage, ob diese Wortgeftige auch verschiedenen Inhalt haben, ausschlieBlich aus den Ftigemitteln zu beantworten; die Bedeutung der Stoffw6rter dam dabei keine Rolle spielen. M a n muff vo r - a u s s e t z e n , daft de r L e s e r au f G r u n d se ines Vers t~ind- h i sses ft ir d ie F i i g e m i t t e l j e d e d e r a r t i g e F r a g e zu en t - s c h e i d e n v e r m a g . (Vgl. Journal fiir Math., Bd. 147, S. I89; Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 1918, Bd. 27, S. 232. )

Wird die durch das Wortgeftige V dargestellte Aussage mit v, die durch W dargestellte mit w bezeiehnet, so k6nnen also, ob- wohl V und W voneinander verschieden waren, v und w zusammen- fallen; die Namen v und w kOnnen eine und dieselbe Aussage be- deuten. Ist dies der Fall, so kann man aueh sagen: Aus v folgt w, und aus w folgt v, und zwar folgen v und w aus einander u n- m i t t e l b a r , d .h . ohne Zuziehung irgendwelcher anddren, yon den StoffwOrtern geltenden Aussagen. Sind dagegen v und w voneinander verschieden, so k6nnen sie nicht gegenseitige un- mittelbare Folgerungen sein. Doch ist nicht ausgeschlossen, daB dann eine der beiden Aussagen unmittelbar aus der anderen folgt, etwa w aus v, in diesem Fall muff die Aussage w in tier Aussage v als ein Tell enthalten sein.

Bei der Frage, ob die Aussagen v und w zusammenfallen, handelt es sich nur um die durch sie ausgesagte Beziehung zwischen den Stoffw6rtern. Falls die Versehiedenheit der Fiigemittel eine Verschiedenheit der Eindracke in a n d e r e r HJnsicht hervorruft, so bleibt das for uns auger Betraeht. VergIeiehe die Bemerkung am Schlug yon w I Nr. I.

5- Die Frage, ob die in Nr. 4 eingeftihrtcn Namen v und to eine und dieselbe Aussage bedeuten, habe ieh als entscheidbar

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254 ~t. Pa~eh

bezeichnet. Es sei bei dieser Gelegenheit bemerkt, daB, wenn in einem Lehrgebliude die Begriffsbildung iiberhaupt der Forderung der Entscheidbarkeit gentigt, auch die Frage, ob zwei Eigen- namen, die irgendwie auftreten, gleichbedeutend stud, entscheidbar sein muff. Ohne jene Voraussetzung kann ich die Frage jedoch nieht ftir entscheidbar erklliren. Dasselbe gilt ftir Gemeinnamen, sowie far Bezeichnungen iiberhaupt. Vgl. die Er~rterung tiber E n t s c h e i d b a r k e i t s f r a g e n in VF w 76.

Tritt in einer Betraehtung ein Ding p a u f , und wird man im weigeren Verlauf zu einem Dingq geftihrt, so ist damit, daft man die yon p verschiedene Bezeichnung q gewi~hlt hat~ nieht gesagt, dab q ein anderes Ding ist als #. Gelingt es, festzustellen, dab die Namen p und q gleiehbedeutend sind, so wird tier Buehstabe q entbehrlich; die festgesteUte Tatsaehe wird dutch eine GI ei eh u n g ausgedrtickt: p ---- q (GA Def. 54). Aueh im Fall p = q, wo nieht ,,Dinge" vorliegen, sondem nur ein einziges Ding, sprieht man yon ,,den Dingen" # und q (vgl. GA Def. 58). Aber die Frage, ob p = q ist, habe ieh nut unter einer gewissen Voraussetzung fiir allgemein entscheidbar erkl~iren k~nnen, und solange man sie nieht entsehieden hat, kann der Buehstabe q jedenfalls nicht auf- gegeben werden.

6. Unter einem anderen Gesiehtspunkt werden von vorn- h e r e i n verschiedene Bezeichnungen eingeftihrt, ohne dab behauptet wird, dab sie Versehiedenes bedeuten. In diesem Sinn wurden in w 2 Nr. 5 die Buehstaben P und P', s und s', s und so eingeftihrt, tun jedesmal die versehiedenen Mi)gliehkeiten mit einer und der- selben Ausdrueksweise umfassen zu kOnnen.

Ebenso liegt die Saehe, wenn tch den Summenausdruek a + b bilde, wo a irgendeine Zahl bedeutet, b ebenfalls. Dabei steht niehts im Wege, ftir ~ denselben Zahlenwert wie fiir a zu nehmen. Auch dann nennt man a + b eine Summe yon ,,zweP' Zahlen. Noch mehr M/3gliehkeiten vereinigt man zu gleiehmliBiger Schreibweise, wenn man die Gleichung

a x -~ b y + c = o

anschreibt, wobei die Verwendung yon ftinf Buehstaben keines- wegs ausdrticken soU, dab immer ftinf verschiedene Zahlen ge- meint sind. Wegen der Art, wie hier die Gleiehheit in der Gleichung zu verstehen ist, siehe VF w 36.

Wie vielfach, so treten zu den beiden letzten Beispielen die

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Die axiomatische Methode in der neueren Mathematik 255

Namen als die A r g u m e n t e yon mathematisehen ,,Ausdriieken" (VF w167 I I und 27) auf, n/imlich als die Argumente der Ausdriicke

a+b, a x + b y + c . Da yon ,,Ausdr~cken" auch im Sinne des gewOhnlichen Sprach- gebrauchs gesprochen werden mug, bezeichnete ich a. a. O. den mathematischen Ausdruck noch anders, nlimlieh als ein ,,Bild". Vorzuziehen wiire wohl das ohnehin gebrliuchliche Wort ,,Formel". Nur bezeiehnet man als Formel bald einen Ausdruck, bald eine Relation. I~h m6chte deshalb D ing fo rme l und S a t z f o r m e l unterscheiden.

7. Es kann noeh naeh der RoUe gefragt werden, die bei der Erw/ihnung yon Dingen, etwa yon ,,p und q", der Reihenfolge zukommt. Die Reihenfolge ist gleiehgtiltig, solange nicht eine besondere Festsetzung dies iindert. So sind ursprtinglich ,Unter, schied zwischen 5 und 7" und ,,Unterschied zwisehen 7 und 5" gleiehbedeutende Dingformeln. Gleichbedeutend sind die Satz- formeln: p = q , q=p. Usw.

w B e s p r e e h u n g e iner Folge von A u s s a g e n

I . Ich trete nunmehr in die dureh w 2 vorbereitete Betraehtung ein, indem ich auf die dort in Nr. 7 aufgestellte Folge yon seehs geometrischen Aussagen die Gedankeng~inge des w I anwende, und zwar halte ieh mich naeh dem in w Nr. 7 Gesagten an fol- gende Fassungen.

(a) Es gibt Punkte. (b) Es gibt Streeken. (c) Es gibt gerade Strecken. (d) Es kann ein Punkt und eine gerade Streeke so angegeben

werden, daft der Punkt Endpunkt der Streeke ist, und zwar kann dies nieht nur far einen einzigen Punkt gesehehen.

(e) Ist eine gerade Streeke angegeben, so gibt es zwei Punkte, die Endpunkte der Streeke sind.

(J) Sind zwei Punkte Endpunkte einer geraden Strecke, so sind sie nieht Endpunkte einer anderen geraden Streeke.

Diese Folge yon Aussagen will ieh T nennen. An Stoffw~rtern treten darin auf:

I) das arithmetisehe Stoffwort ,,zwei", 2) die geometrisehen Stoffw6rter ,,Punkt, Streeke, Gerade,

Endpunkt".

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256 M, Pasch i

Die F01ge T handelt yon den diesen Stoffw0rtem entsprechenden Begriffen. Der arithmetische Begfiff wurde dabei vorausgesetzt, nur die geometrischen Begriffe waren erst einzuffihren. Sie werden dutch die Aussagen a, b, c, d eingeffihrt und zwar als Kembegfiffe; vgl. w 2 Nr. 3- Ich will diese vier Aussagen deshalb E i n f f i h r u n g s - s~ tze nennen. Die Aussagen e und f sind S~tze fiber die so ein- geffihrten Begriffe und zwar Kems~tze; vgl. ebenfalls w 2 Nr. 3.

5. Die Einffihrungss~tze sind insofern zu den Kerns~tzen zu rechnen, als sie sich ebensowenig auf mathematische Beweise stfitzen, wie die als Kems~tze bezeichneten Aussagen. Der Unter- schied tri t t aber zutage, wenn man die ursprfinglichen, in w 2 Nr. 2 anzutreffenden Fassungen betraehtet. Die Einffihrungss~tze lieflen sieh dort in ,,unvollst~ndigen Formen" im Sinn yon w I Nr. I ein- kleiden, die Kerns~tze aber nicht.

Den Einffihrungss~tzen und anderen Kerns~tzen stehen in der Mathematik die auf Beweise gestfitzten Aussagen, die ab- geleiteten S~tze oder ,,Lehrs~tze", gegenfiber. Die Bemerlmng ira Eingang zu w I fiber die Anwendung des Wortes ,,Sat'z" ist im vorliegenden Fall dahin zu verstehen, dab dieses Wort nur ffir die Einffihrungss~itze, Kerns~tze und Lehrs~tze angewendet werden soll. Die zur Einffihrung der a b g e l e i t e t e n B e g r i f f e dienenden Aussagen, die D e f i n i t i o n e n , habe ich hier nicht besonders er- w~hnt~ well aus den Definitionen Lehrs~tze hergestellt werden k6nnen, die das Zurfiekgehen auf die Definitionen fiberflfissig maehen; siehe VF w 4.

3. Wie ieh in w 2 Nr. 6 ausgesproehen habe, sind es nur Fragen der inneren Folgeriehtigkeit, die ieh hier untersuehe. Deshalb ist es hier gleiehgfiltig, dureh welehe Erwligungen man dazu be- stimmt wird, die Einffihrungss/itze und die Kems~itze anzuerkennen und sie in das Lehrgeb~ude der Mathenmtik aufzunehmen. Wenn ieh mieh aber einmal entschlossen habe, eine solche Aussage an- zuerkennen, so will ieh sie eine gf i l t ige Aussage nennen. Doch wird damit der Umfang des Begriffs einer gfiltigen Aussage nicht erschOpft sein.

Die Anerkennung einer Aussage kann aber nur in Frage kommen an einer Stelle, wo die Aussage diskutabel ist, und daffir wiederum ist Vorbedingung, daft die Aussage dort korrekt sein muff (siehe w I Nr. 4---6). Sehen wir, wie es sich damit in unserem Fslle verh/ilt.

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In der Folge T sind vor der Aussage f die Begriffe des Punktes, der Streeke, der geraden Streeke und des Endpunktes einer geraden Strecke durch a---d eingeftihrt und die M6glichkeit, daft zwei Punkte Endpunkte einer geraden Strecke sind, dutch e gegeben. Mithin ist die Aussage f in der Folge T an ihrer Stelle korrekt. Sie ist dort auch diskutabel, well sie keiner vorhergehenden Aussage widerspricht.

Vor der Aussage e sind die erforderlichen Begriffe ebenfalls dutch a - - d eingefithrt; sie ist daher an ihrer Stelle korrekt. Sie ist dort aueh diskutabel; es besteht kein Widersprueh gegen eine vorhergehende Aussage. Vor der Aussage d sind die erforderlichen Begriffe dutch a--c eingeftihrt; d selbst dient zur Einftihrung des Begriffs ,,Endpunkt einer geraden Strecke". Die Forderung der Korrektheit ist erftillt, ebenso die der Diskutabilit~it.

Die Aussage c client zur Einftihrung des Begriffs der geraden Streeke, naehdem der Begriff der Streeke dutch b eingcfiihrt ist. Sie ist aber auch ohne b korrekt, well man so vorgehen kann, wie in NG Seite 2o6, wo ,,gerade Strecke" nicht auf ,,Streeke" und ,,gerade,' zurtiekgeftihrt, sondem als ein Ganzes belassen ist.

Die Aussagen a und b endlieh haben die allereinfachste Form, die Einftihrungss~itze haben k6nnen. Derartige Einftihrungsstitze sind ohne weiteres als korrekt und als diskutabel zu bezeiehnen.

4. Daft die in der Folge T an ihrer Stelle korrekte Aussage f dort aueh diskutabel ist, habe ich in Nr. 3 damit begrtindet, daft f keiner vorhergehenden Aussage widersprieht. Dabei kann es sieh nut um e ine vorhergehende Aussage handeln, um e, nicht um einen der Einftihrungsstitze a--d. Wir begegnen hier der Aufgabe, wenn zwei Aussagen vorliegen, zu entscheiden, ob sie einander wider- sprechen.

Diese Aufgabe erinnert an die in w 3 Nr. 4 vorgekommene, wo zwei Wortgefflge vorlsgen und zu entscheiden war, ob die da- dutch eingekleideten Aussagen verschieden sind oder sich decken; die Entscheidung hier~iber habe ich dort ffir eine immer m6gliche erkl~rt. Weiter kommt ebenda zur Sprache, daft eine Aussage in einer anderen als ein Teil enthalten sein kann. Deckt sich die Aussage w mit der Ausssge v oder mit einem Tell yon-v, so wird man sagen: w folgt aus v u n m i t t e l b a r , d .h . (siehe a. a. O.) ohne Zuziehung irgendwelcher anderen, yon den Stoffw6rterv. geltenden Aussagen. Was ich nun in w Nr. 4 sis eine fiir uns notwendige Voraussetzung hingestellt hsbe, erweitere ich jetzt

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:258 M. Pasch

dahin: Man muft v o r a u s s e t z e n , daft der Lese r au f G r u n d s e i n e s V e r s t i i n d n i s s e s fi ir die F t i g e m i t t e l s t e t s zu en t - s e h e i d e n weil3, ob e ine A u s s a g e aus e i n e r a n d e r e n un- m i t t e l b a r fo lgt .

5. Es ist noch festzulegen, warm zwei Aussagen ats einander widersprechend gelter~ sollen. Zuniiehst kann ich, wenn eine Aus- sage v vorliegt, ein Wortgeftige bilden, dessen Inh~t die Ab- lehnung yon v darstellt. Alle derartigen Wortgefiige haben einen und denselben In_halt v'; dieser heiBt das (kontradiktorisehe) G e g e n t e i l von v. Betrachten wir n~iher den Fall, dab die Aussage v an einer SteUe auftritt, wo sie korrekt ist. Dann ist dort auch v' korrekt; dean beim Obergang yon v zu v' werden neue Stoff- w6rter oder neue Verbindu~Lgen tier Stoffw6rter nicht gebraucht. Wird nun v' anerkannt, so wird v verworfen, und umgekehrt. Somit ergibt sich: Ist v' das Gegenteil yon v~ so ist v das Gegen- teil yon v'. Man beac&te, daB. die Korrektheit yon v vorausgesetzt wurde.

Enthiilt die Aussage v als Teil eine Aussage vo, so muB ic&, wenn ich vo verwerfe, auch v verwerfen; aus dem Gegenteil yon v o folgt also das Gegenteil yon v.

Liegt aufler v noch eine Aussage w vor, so kann icb auch yon w das Gegenteil w bilden. Die Aussagen v und te gelten als ein- a n d e r w i d e r s p r e c h e n d , wenn w" unmittelbar aus v, oder v' unmittelbar aus w folgt. Diese beiden Moglichkeiten lassen sich aufeinander zurtickf~ihren. Folgt n~imlich w' in tier Weise aus v, dab w' mit v zusammvnigllt, so fiillt w mit u' zusammen, und v' folgt unmittelbar aus w, ~mdemfalls deckt sic& w' m i t einerr Teil vo yon v also w mit dem Gegenteil yon vo; dann folgt un. mittelbar aus w das Gegenteil yon v o und damit das Gegenteil yon v, d . i . v', Ich k a n n n u n m e h r a u e h die Frage~ ob zwei A u s s a g e n e i n a n d e r w i d e r s p r e c h e n fiir e n t s c h e i d - ba r e rk l i t r en (siehe w 3 Nr. 4 und w 4 Nr. 4).

Erseheint die Aussage v an einer Stdle, wo sie diskutabel ist, so kann dort auch v' diskutabel sein. Nehmen wir z. B. als v die Aussage: ,,Die Strecke a ist gerade", also als v' die Aus- sage: ,,Die Strecke a ist nic&t gerade"; ist an einer Stelle, wo v und v' korrekt sind, noeh keine Aussage vorhanden, die v oder v' umfabt, so kann ich sowohl v als auch v' als diskutable Aussagen anreihen; ist dagegen dort schoa eine Aussage vorhanden, die etwa v umfat~t, so ist dort v diskutabel (sogar gtiltig), v' aicht diskutabel.

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Ist v an einer gewissen Stelle zwar korrekt, aber nicht dis- kutabel, so ist v' anzuerkennen, v zu verwerfen.

6. Ich komme auf den Fall zuriick, wo zwei Aussagen v und w vorliegen, und w einen Teil yon v bildet. Urn ein Beispiel zu geben, w~ihle ich sis Aussage v die folgende: Das Quadrat einer reeUen Zahl ist niemals negativ; als Aussage w: Das Quadrat einer positiven reellen Zahl ist niemals negativ. An einer gewissen Stelle in der Arithmetik finden diese Aussagen auf Grund von Beweisen ihren Platz, und was w aussagt, ist in v mit enthalten. Ich bilde noch eine Aussage wl: Das Quadrat einer nicht posi- tiven reellen Zahl ist niemals negativ. Dann ist w 1 ebenfalls ein Tell yon v, und zwar in der Weise, dab v sich aus den Teilen w und w t vollst~indig zusammensetzt.

Ffir das betrachtete Verh~iltnis yon w und wl zur Aussage v ist es iibrigens gleichgiiltig, ob diese Aussagen bewiesen sind, oder ob sie auch nur diskutabel sind. J s sogar yon der Korrektheit kann abgesehen werden; nut muff das Hinzutreten eines Adjektivs wie ,,positiv" oder ,,nicht positiv" zur ,,reellen Zshl" dahin auf. gefaBt werden, daft irgendeine Einteilung der reellen Zahlen an. genommen wird. Es sind also such hier lediglich die Wortgeffige, nach denen man zu urteilen hat; dsbei kommt es wieder nur auf die Ffigemittel an.

Wenn die Aussagen w und w I Teile der Aussage v sind und v durch w und wl vollst~lndig ersch6pft wird, so folgen w und wl unmittelbar aus v; ich kann aber dann such sagen: v folgt un- mittelbar aus w und wt.

An die SteRe der zwei Aussagen w und w~ kann such elne Folge yon mehr als zwei Aussagen treten, wobei ich bemerke, dab hier durchweg nur etliche Folgen gemeint sind. In jedem Fall rechne ich die Frage, ob die Aussagen einer Folge durch eine gewisse Aussage zusammengefatlt werden, zu den entscheidbaren Fragen.

7- Fiir entscheidbar erld~ire ich somit alle Fragen, bei denen es sich darum handelt, ob eine vorgelegte Aussage aus einer oder mehreren vorgelegten Aussagen unmittelbar folgt oder nicht. Ich glaube, dab diese Ansicht sich aufdr~ingt, wenn man mathe- matische Beweise zergliedert. Indem ich in G.g, Anhang zu w 2, das Wesen des mathemstischen Beweises er6rterte, sprach ich mich dahin aus, daft jeder direkte Beweis entweder das ist, was ich oben unmittelbares Folgern genannt habe, oder auf Aneinanderreihen

32"

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260 M. Pasch

solcher Vorgiinge hinauslliuft. Jeder einzelne dieser Vorg~inge ist im Grunde selbst ein Beweis, der Beweis einer Behauptung, der man keinen selbst~ndigen Wert beimiflt; siehe GA Seite 6.

Indem ich in NG, zweiter Zusatz zu w I, auf alas Zergliedem der Beweise zurtickkam, nannte ieh den Beweis, der nut ein un- mittelbares Folgem darstellt, einen S c h r i t t (genauer: einen Beweisschritt). Fast immer ist der Beweis eines Lehrsatzes eine Folge yon Schritten, nur iiut3erst selten ein einziger Schritt. Um dies zu beleuchten, babe ieh in NG, dritter Zusatz zu w I, ein Stiick aus den Ardiingen der Geometrie in Schritte aufzul0sen gesucht, was freilich zu auBerordentlicher Weitl~ufigkeit fiihrte. Auch in VF babe ich im Anfang die einzelnen Schritte kenntlich gemacht, bis ich in w 8 zu abgekiirzter Darstellung tiberging.

Die abgektirzte DarsteUung im Sinne w n VF w I6 ist die tibliche; der Grad der Abktirzung ist oft bedeutend. Ober die Riehtigkeit der Beweise erlangt man abet allemal nut dadureh voUe Sicherheit, dab man die Beweise in ihre letzten Bestandteile, die Schritte, aufl0st oder doch in Teile, die man gelernt hat, auch ohne weiteres Zerlegen zu beurteilen. Wiire nun nieht ftir jeden Schritt die Frage nach der Richtigkeit entseheidbar, so k6nnte man auch tiber den liickenlos dargestellten Beweis nicht immer ein sicheres Urteil f~illen.

w 5" O b e r g a n g zum F o r m a l i s m u s

x. Wie im vorigen Paragraphen ausgesprochen wurde, soil jeder direkte mathematische Beweis, der nieht ein bloger Schritt - - e i n Beweisschritt - - ist, eine Folge yon Schritten sein. Jeder Beweisschritt i~t ein unmittelbares Folgern im Sinn des vorigen Paragraphen. Er setz, t Aussagen voraus, aus denen ich folgere, und hesteht darin, dab ieh an jene eine weitere Aussage anreihe, und zwar eine Aussage, die aus einer oder mehreren yon jenen unmittelbar folgt. Die Frage, ob eine vorgelegte Aussage aus einer oder mehreren vorgelegten Aussagen unmittelbar folgt oder nicht, babe ich fiir entscheidbar erkl~irt, und zwar so, dab die, Entscheidung nur yon den Ftigemitteln abh~ingt. Ieh halte demgem~B daran lest, dab der Leser, der den Sinn der Fiigemittel kennt, jede solche Frage entscheiden kann, daft er mithin tiber jeden Beweissehritt ein sicheres Urteil hat.

Um das Urteil vollstiindig vorzubereiten, muff ieh dem Leser mitteilen~ auf welehe Aussage oder welche Aussagen ich den Schritt

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Die axiomatische Methode in der neueren Mathematik 26I

stfitze. Untertasse ich dies, so bleibt das Urteil m6glich, wird aber erschwert; der Leser ist dann darauf angewiesen, miihsam jede vorangegangene Aussage und jede Kombination aus ihnen durch- zugehen, bis er zur Entscheidung gelangt. AIlerdings kommen bei den Kombinationen nur die Aussagen in Betraeht, die einen Tell der dutch den Schritt zu beweisenden Aussagc darstellen.

2. Ist der Beweis nicht ein bloBer Schfitt, so muu ieh die Sehritte, aus denen der Beweis bestehen soil; dem Leser einzeln vorfiihren. Unterlasse ich dies, so wird dadureh dem Leser das Urteil fiber die Richtigkeit des Beweises nicht blofl erschwert, sondem es wird dem Leser die Unterlage ffir ein sicheres Urteil vorenthalten. Der Leser ist damn darauf angewiesen, auf gut Glfick zu suchen, ob er die L~cken im Beweise erg~inzen, die unter- driickten Schtitte ausfindig machen kann. Die F r a g e , ob e in l f i c k e n h a f t v o r g e l e g t e r Beweis zu e i n e m vo l l s t~ ind igen e r h o b e n w e r d e n kann , ist nicht entscheidbar; man besitzt keine Vorsehrift, nach der sich in jedem einzelnen Fall die Ent- scheidung ergeben muff.

Betrachten wit iiberhaupt den Fall, dab eine-Gruppe yon Aussagen und aufferdem eine einzelne Aussage vorliegt. Dann ent- Steht die Frage, ob die einzelne Aussage aus der Gruppe gefolgert werden kann; und eine solehe Frage kann ich aufwerfen, ohne dab ieh irgend etwas fiber den Beweis jener Aussage mitteile. Dieser Fall geh~ fiber den eines wenigstens lfickenhaft mitgeteilten Beweises noch hinaus; er ist erst recht nicht entseheidbar..

Lfickenlose DarsteUung habe ich in NG Seite 206---209 und in VF w167 2 - - 7 vorgeffihrt, die Gefahren der ,,abgekfirzten Dar- stellung" in VF w 16 erOrtert.

3. Bei den Entseheidungen, yon denen ira vorstehenden die Rede ist, sind aussehlieBlieh die Ffigemittel maflgebend; die Stoffw6rter spielen dabei keine Rolle. Dasselbe gilt f~ir die Ent- scheidung darfiber, ob eine vorgelegte Aussage korrek% und ob sie diskutabel ist. Dieser Umstand tritt am seh~irfsten hervor, wenn man ffir die Stoffw6rter beliebige Decknamen (siehe w 3 Nr. 3) einsetzt. Ieh will eine solche Einsetzung jetzt an der in w 4 Nr. I mit T bezeichr~eten Folge yon geometrisehen Aussagen vorrlehmen, Dabei werde ich, um das Weitere e t w ~ einfaeher zu gestalten, nur die geometrischen Stoffw6rter (sieh'e a~ a. O.):

Punkt, Strecke, gerade, Endpunkt,

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262 M. Pasch

entfernen, dagegen das arithmetische Stoffwort ,,zwei" stehen lassen. Andererseits wird die Fassung im folgenden etwas weit- l~iufiger werden, weil ich die unfibersichtliche Schreibweise in w 3 Nr. 3 hier vermeiden mfehte.

Schreibt man ~t for ,,Punkt", ~ ffir, ,Strecke", ~, ffir ,,gerade", fiir , ,Endpunkt", so verwandelt sich die Folge T in eine Folge T',

n~imlich: (a') Es gibt ~t~s. (b') Es gibt B's. (d) Es gibt ~'s, die ~, sincl. (d') Es kann ein a und ein ~, das y ist, so angegeben werden,

dab das a ein d des ~ ist, und zwar kann dies nicht nur ffir ein ein- ziges a geschehen.

(e') Ist ein/~ angegeben, das ? ist, so gibt es zwei a's, die d's des fl sind.

(f') Sind zwei a's d's eines p, das ? ist, so sind sie nicht ~'s eines anderen p, aas ? 1st.

4. In tier Folge T' haben wir hinsichtlich der Bedeutung der Zcichen tt, //, ~,, d nur das Eine festzuhalten, daft a, p . d Sub- stantiva sein sollen, ), ein Adjektiv; im Hinbhck auf das in w 3 fiber die Bezciclmungen Gesagte bemerke ieh noch ausdrficldich, dab tt, p, d verschiedene Bedeutung haben sollen. Eine bestimmte Bcdeutung jedoch dad mit den vier Zeichen nicht verbunden werden; vielmehr mfissen die Betraehtungen, die wir an T' an- stellen yon einer solchen Bedeutung vollkommen unabh~ingig sein. F f i r jede an T aagestellte Betrachtung ist es tier Pr0fstein, dab sie restlos auf T' fibertragen werden kann. Kann sic das nicht, so muff man daraus entnehmen, daft die Betrachtung sich nicht blofl auf die Aussagen der Folge T gestfitzt hat, dab vlelmehr noch Anderes unbemerkt hineingespielt hat.

In der Folge T' sind vor tier Aussage jr' die Begriffe ~ und /~, der Begriff des p, das ~, ist, und der des d eines/~, das ? ist, durch t t ' - d' eingeffihrt und die MOgiiehkeit, dab zwei a's d's emes p, das ? ist, sind, durch e' gegeben. Mithin ist die Aussage jr' in der Folge T' an ihrer Stelle korrekt, wie jr in T (w 4 Nr. 3). Die Aus- sage f ' widerspricht keiner in ~r, vorhergehenden Aussage; mithin ist sie i n T' an ihrer SteUe diskutabel, wie f in T (siehe a. a. 0.).

Ebenso gilt das a. a. O. fiber die Aussagen e, d, c Gesagte naeh Aufstellung der Folge T' weiter for e', d', d; sehliefllich das 0ber tt und b. Gesagte ffir a' und b'.

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Die axiomatische Methode in der neueren Mathematik 263

5- Mathematische Beweise miissen, wenn sie Anspruch auf Strenge machen wollen, zweierlei Bedingungen edtillen. Erstens dfiden sie nur an Aussagen ankntipfen, die einen 0bergang, wie den hier ausgefithrten yon T zu T', vertragen; zweitens miissen sie restlos weitergelten, wenn man diesen 0bergang ausfilhrt, wenn man slch also von den Stoffw6rtern, mit denen man eine Be- deutung verbindet, zu wiliktirlichen Zeichen erhebt. Mit anderen Worten: Der mathematische Beweis hat mit dem, was die Stoff- w6rter bedeuten, nichts zu tun; er h~ilt sich in letzter Linie nur an die Fiigemittel und stellt so einen reinen F o r m a l i s m u s vor. Diesen Formalismus, der ,,geradezu auf die Spitze getrieben werden muff", habe ich als den Lebensnerv der Mathematik bezeichnen zu dfirfen geglaubt (VF Seite 121).

Den Beweisen liegen Einffihrungss~itze und Kerns~itze oder Stamms~itze (siehe w 6) zugrunde. Diesen ist eine Erl~iuterung vorauszuschicken. Ffir die zur Folge T gehfrigen S~itze ist dies bier durch die Hinweise in w I und w 2 geschehen. FOr eine solche Vorbetmchtung gelten die Gesetze des Formalismus nur in be- schr~flctem Maffe. Immerhin wird der ,,vormathematische" Teil wesentlich davon beeinfluBt sein, wiewett der Forscher sich in alas Wesen des Formalismus eingelebt hat.

Im eigentlich mathematischen Teil ist nur auf die innere Folgerichtigkeit zu achten; fiir diese ist es gleichgiiltig, welchen Standpunkt die Vorbetrachtun~ einnimmt, insbesondere ob sie sich zum Empirismus oder zum Apriorismus bekennt. Ffir die innere Folgerichtigkeit bietet aber nut der starre Formalismus eine Gew~ihr. Eben durch seine Starrheit schliefft er alle Willkiir aus; Unanfechtbarkeit der mathematischen Beweise kann es olme ihn nicht geben.

6. Schon das erste Beispiel emer Aussage, das hier, in w I Nr. 2, herangezogen wurde, war eine geometrische Aussage. Das Beispiel war aus NG Seite 2o6, dritter Zusatz zu w I, entnommen, ist an der Hand dieses ,,Zusatzes" hier in w 2 weiter ausgebaut worden und hat schlieBlich zu der hier in w 4 Nr. I mit T bezeichneten Folge yon Aussagen geleitet. Wie in w 2 Nr. I ausgefiihrt wurde, kann man die Geometrie mit einem Abschnitt A er6ffnen, der von den geraden Strecken handelt. An die Spitze des Abschnitts A kann man die Nummem 1--97 des ,,Zusatzes" steUen und das Weitere aus BIG w I yore ersten Lehrsatz an entnehmen. Die Neufassung der Nummern I, 2, 3, 5, IO des ,,Zusatzes" hat zur Folge T gefiihrt.

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M. Pasch

Dureh den f3bergang von T zu T' mittels der Zeiehen a, 3, 7, ~ in Nr. 3 des gegenwlirtigen Paragraphen wurde T des geome- trischen Charakters entkleidet, tiberhaupt jeder Zusammenhang mit der Wirkliehkeit verwiseht. Ich will sagen: T wurde fo rma l i - s ier t . 1) Dieses Verfahren muB sieh auf jeden eigentlieh mathe. matischen Text anwenden lassen. So werde ieh den Text des Ab- sehnitts A formalisieren und zu einem Tex tA ' aufsteigen k6nnen, der A als Sonderfall umfat3t. Die Arbeit am Text d ' ist die eigeat- lich mathematisehe Arbeit; eine Arbeit, die hinsiehtlieh ihrer Zu- verltissigkeit zum Auseinandergehen der Meinungen keinen AnlaB bieten daft; die Arbeit, auf der die ,,mathematisehe Gewiflheit". beruht.

7- Das Formalisieren des Absehnitts A der Geometrie war in Nr. 6 so gedaeht, wie das der Folge T, d. h. so, daft nicht blofl die Fiigemittel unberiihrt bleiben, sondern aueh gewisse Stoff. w6rter, ntimlieh die arithmetisehen. Wie an versehiedenen Stellen (w I Nr. 5, w 2 Nr. I, w 4 Nr. I) geltend gemaeh.t wurde, werden in der Geometrie die arithmetisehen Begriffe und S~itze voraus- gesetzt; dem entspreehend kann man nieht blo$ T oder A, sondern die gesamte Geometrie so formalisieren, dab die arithmetisehen Stoffw6rter unbertihrt bleiben. Aus dieser MOgliehkeit entspringt aber nicht blof3 eine Vereinfachung innerhalb der Geometrie, sondern aueh eine leiehtere Handhabung des formalistisehen Ver- fahrens im Vergleieh zur Analysis (Zahlenlehre im weitesten Sinn); und dieser leichteren Formalisierung wiederum ist es zuzusehreiben, daft ftir das Gebiet der Geometrie die Bemiihtmgen um folgerieh- tigen Aufbau frtiher zu Ergebnissen fiihren konnteni als ftir das Gebiet der Analysis. Die Beispiele for unsere Zwecke wird man deshalb gem aus der Geometrie entnehmen.

Die Geometrie - - unter AusscMuB der krummen Gebitde in formalistischem Sinn aufzubauen, war die Absicht des mehr- erw~ihnten Werkes NG (I882). Sic n6tigte zur Aufsuchung yon Grundtatsachen der Geometrie. Die Anzahl der Grundtatsachen, die zum Vorschein kamen, war unerwartet gro0, stieg jed0ch noch beim Streben nach vollst~ndiger Zergliederung in der zweiten Ausgabe des Werkes (I912); siehe dort die Zus~itze zu w I auf Seite 204---209.

Der eigentlieh mathematischen Arbeit am Stoff der Geo-

*) Mathematik und Logik. S. Ix und 37f.

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Die axiomatische Methode in der neueren Mathematik ~2~5

metrie mut3te ieh Er6rterungen voraussehicken, .urn den rein mathe~ matischen Aufbau mit der Anwendung auf die Erscheinungswelt in Zusammenhang zu setzen und die ftir die Grundtatsachen ge- w~ihlte Fassung zu erlliutern; siehe a. a. O. Seite If., I--7, I7~2I, ioI--IlO, 125--I27, 188, I9~-2o4, 217f. Zum ,,vorgeometrischen" Stoff sind aueh die Lehren der Analysis zu rechnen. Sie werden im Vertrauen auf die innerhalb der Analysis vorgenommene Prtifung in die Geometrie hintibergenommen, z.B. in N G w 23 die ,,stetige Zahlenreihe" behufs Einftihrung der Koordinaten.

8. Der ,,vorgeometrische" Teil der Geometrie mug sich, wie bemerkt, auch mit der Anwendbarkeit der Geometrie beschliftigen; fiir ihn besteht daher die Notwendigkeit, auf Modelle ode* Figuren Bezug zu nehmen. Wenn ab'ea" die Geometrie im engeren Sinn der eigentlich mathematische Teil N beitrr Beweise der Lehrsiitze ebenfaUs auf Figuren Bezug nimmt, so beruht das keineswegs a u f einer Notwendigkeit. ,,Die Zuziehung der Figuren erleichtert wesentlich die Auffassung der in dem Lehrsatz ausgesprochenen Beziehungen und der etwa zum Beweise angewandten Konstruk- tionen; sie ist tiberdies ein fruchtbares Mittel, um solche Beziehungen und Konstruktionen zu entdecken. Aber werm man das Opfer an Mtihe und Zeit nicht scheut, so kann man beim Bewei~e eines jeden Lehrsatzes die Figur fortlassen; der Lehrsatz ist eben nur dann wirklich bewiesen, wenn der Bew~is yon der Figur vollkommen unabl~ngig ist. Jeder Schlufl, der im Veflaufe des Beweises vor- kommt, muff in der Figur seine Best/itigung linden, aber er wird nieht aus der Figur, sondem aus einem bestimmten vorhergegangenen Satze (ode* aus einer Definition)gerecht:fertigt." (NG Seite 43.)

Der sicherste Priifstein ftir die Richtigkeit der Beweise ist das Formalisieren. Das Arbeiten ohne Figur, sei es eine gezeichnete, sei es eine blofl vorgestellte, kann bei gentigender Wachsamkeit das Formalisieren ersetzen. Wie schwer es abet ist, Wachsamkeit zu tiben, lehren die bewunderungswiJrdigen ,,Elemente" des Euk l id . O'ber die Lticke, die schon der erste Beweis bei E u k l i d enthiilt, siehe NG Seite 44f. Auch nach den vielfachen .Umgestaltungen, die sie im Laufe der Zeit erfahren haben, sind manche Beweise in der Geometrie mit iihnlichen Unvollkommenheiten behaftet. Auf solche Darstellungen kann ein Urteil tiber das Wesen de. Geometrie nicht ohne weiteres gegriindet werden.

9. Die letzte Bemerkung gilt nich't bloB ftir die Geometrie, sondern ftir die Mathematik tiberhaupt. An Stelle der streng for-

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266 M. Paseh

malistischen Darstellung pflegt der Mathematiker ein abgekiirztes, oft auflerordentlich abgekiirztes Verfahren zu befolgen und vor- zutragen. ,,Geht dadurch die Zuverl~issigkeit der Ergebnisse nur in verhgltnism~iffig geringem Umfang verloren, so kann doeh der Niehtmathematiker dutch die Besehaffenheit, in der er die Lite- ratur vorfindet, tiber das Wesen der Mathematik irregefiihrt werden, und auch der Mathematiker ist nieht sieher, daft das Gefiihl da- fiir sich in ihm abschw~icht, j e mehr man notgedrungen darauf verzichtet, daft bei der Darstellung far den engeren Kreis yon Fachm~innem der formalistisehe Charakter der Onter~uchungen ~iuBerlich herausgearbeitet win'd, desto notwendiger wird es, daft der Forscher seiner Arbeit innerlich jenen Charakter wahrt. Daft diese Forderung nieht leicht zu erftillen ist, beweisen die Irrtiimer, die selbst den bedeutendsten Mathematikem begegnet sind." (VF Seite I22.)

Beispiele hierfiir, die in der Geschiehte der mathematisehen Irrtiimer des neunzehnten Jahrhunderts eine Rolle spielen, sind in VF w 68 ausfiihrlich durehgesproehen. Sie k6nnen ,,ein Bild davon geben, wie in der Mathematik bei der Begriffsbildung und den Sehltissen tiefergehende L,'rtiimer vorkommen und andauem kOnnen. Bei der Ersehlieffung eines neuen Gebietes oder der Be- arbeitung einer Frage yon neuer Eigenart bleibt h~itr[ig der Bliek verschlossen ftir die voile Tragweite der Behauptungen und fiir Einzelheiten yon ungewohnter Art; er er6ffne~ sich east dem, der dem Gegenstand friseh gegeniibertritt und sieh yon dem Bann der Obedieferung losmaeht." (VF Seite I37.)

Io. Ieh habe oben, in Nr. 5, yon der ,,Starrheit" gesprochen, mit der sich der Formalismus in der Matheamtik durchsetzen muff. Ieh nenne demgem~iff den in streng formalistisehem Sinn zu be- arbeitenden Teil der Mathematik den s t a r r e n Teil. t) Die Ent- wieldung im starren Teil muff sich aus Schritten zusammensetzen, und die Sehritte miissen einzeln zuriiekgelegt sein oder doeh zuriiek. gelegt werden k6nnen. Bei der Wiedergabe mag man die Schritte zusammenziehen; doch wird es verh~ingnisvoll for den Leser und aueh fiir den Forseher, wenn die Gedr~ingtheit ein gewisses Maff iibersehreitet und die Liicken nicht mehr leieht und sieher zu er- g~inzen sind.

1) .Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung. x9tS. Bd. 27. S. 2~8.

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Die axiomatische Methode in der neueren Mathematik 267

Dem starren Teil der Mathematik stelle ich den b i e g s a m e n Tel l gegentiber. Zu diesem gehOrt zuniichst das ,,Vormathematische", alas allem rein Mathematischen vorausgeschickt oder an bestimrnten Stellen zwischen rein mathematische Abschnitte eingeschaltet wird. Vgl. die Hinweise in Nr. 7 auf eine Reihe solcher Stellen in NG.

Zum ,,biegsamen Teil" sind aber aullerdem gewisse Stellen yon rein mathematischem Inhalt zu rechnen. Das sind erstens die am Schluil yon Nr. 7 gekennzeiehneten Stellen; sie behandeln Stoffe, die ftir den strengen Formalismus noch nicht reif sind. Zweitens sind es die Gedankeng~inge, durch die der Mathematiker sich den Weg zu neuer Erkenntnis bahnt oder dem Leser einen solchen Weg zeigen will. Diese sch~pferischen Gedankengiinge dtiden und k6nnen das formalistische Geprlige nicht annehmen.

Die Denker, die das Wesen der Erkenntnis tiberhaupt zu er- grtinden suchen, haben yon jeher die Fragen der mathematisehen Erkenntnis herangezogen. Es ist vedeldt, bei solchen Unter- suchungen, wie es oft geschieht, wesentlich den biegsamen Tell der Msthematik zu benutzen. Erst durch das Studium des starren Teils ist wirldiche Einsicht in das Gefiige der Mathematik zu gewinnen.

w Das F o l g e r n aus e inem Sta ture

I. Jedem mathematischen Beweis liegt eine Gruppe yon Aus- sagen derart zugrunde, dab zwar nicht notwendig sUe Aussagen der Gruppe verwendet werden, daft aber andere Aussagen in keiner Weise hineinspielen dtirfen. Wenn man einen Beweis vortrligt, so mull man zuvor angeben, auf welche Gruppe yon Aussagen man ihn sttitzt; diese Gruppe nenne ich den S ta ture ftir den Beweis, die einzelnen Aussagen die S tamms~i tze , die durch sie ver- kntipften Begriffe die S t a m m b e g r i f f e . 1)

Werm ich den auf einen gewissen Stamm gestiitzten Beweis einer Aussage anerkenne, so bin ich nach der gew6hnlichen Vor- stellung gezwungen, die Aussage selbst anzuerkennen, da sie ja eine ,,bewiesene Aussage" ist. Dies beruht darauf, dab man ftir gew0hnlich nur an einen Stature ankntipft, dessert Bestandteile man bereits anerkannt hat. Das als Beweis bezeichnete Vedahren

t) Zun~chst in der Geometrie fiir das Sondergebiet der projektiven Geometrie eingefilhrt: NG Seite 74 und 98 (siehe auch das Sachverzeichnis in der zweiteu Ausgabe).

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kann jedoch auf St~imme jeder Art angewendet werden, besonders auch auf solche, in denen die Stoffw0rter durch bedeutungsiose Zcichen vertreten werden. Wenn ich also den ,,1~weis" einer Aussage anerkenne, so bedeutet das nicht notwendig dic An- erkennung der Aussage selbst, sondern nur die Anerkennung der Tatsache, daft die Aussage eine Folgerung aus dem S t a m m ist. Man wird daher start ,,beweisen" lieber ,,folgern" oder ,,ab- leiten" sagen, wenn verhindert werden soil, daft der Leser nur an die gew6hnliche Bedeutung des Beweises denkt.

Eine Aussage heifle korrekt ,,auf Grund eines gewissen Stammes" (kurz: auf einem gewissen Stature), wenn in ihr nur solche Stoff- w6rter und nur solche Verbindungen yon Stoffw6rtern vorkommen, deren Berechtigung durch den Stature, d. h. dutch Aussage, die zu dem Stature geh0ren, gesichert ist. Eine Aussage heifle diskutabel ,,auf einem gewissen Stature", wenn sie kciner einzelncn zu dem Stamm geh6rigen Aussage widerspricht.

2. Habe ich alle Stamms~itze anerkannt, so muff ich auch jede aus dem Stature gcfolgerte Aussage anerkennen. Verwerfe ich eine aus einem Stature gefolgerte Aussage, so muff ich den Stamm, d. h. seine Bestandteile, teilweise oder ganz verwerfen.

Um ein Beispiel hierfiir zu geben, will ich die in w 4 Nr. I mit T bezeichnete Folge yon geometrischen Aussagen teils ab- tindern tells erweitem, indem ich folgende Aussagen bilde:

(A) ES gibt Punktc. (B~ Es gibt Strecken. (C)' Es gibt gcrade Strcckcn. (D) Es kann ein Punkt und eine gerade Strecke so angcgeben

werdcn, dab der Punkt Endpunkt der Strecke ist, und zwar kann dies nicht nur ftir eincn einzigen Punkt geschchen.

(E) Es kann cin Punkt und eine nicht gcradc Streckc so an- gcgeben wcrdcn, daft dcr Punkt Endpunkt der Strccke ist, und zwar kann dies nicht nur fiir einen cinzigen Punkt gcschehen.

(F) [st eine Streckc angegeben, so gibt cs zwei Punkte, die Endpunktc der Strecke sind.

(G) Sind zwei Punkte Endpunkte einer geraden Strecke, so sind sie nicht Endpunkte einer anderen geraden Strecke.

(H) Sind zwei Punkte Endpunkte einer Strecke, so sind sie auch Endpunkte einer anderen Strecke.

(/) Es sol ls Eigenname einer geraden Strecke sein.

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Die axiomatische Methode in der neueren Mathematik 269

(K) Es sollen P, Q~ Eigennamen yon Punkten sein, die End- punkte yon s sind.

(L) Es solt o Eigenname einer yon s versehiedenen Streeke sein, fiir die P und Q Endpunkte sind.

(M) Die Strecke a ist gerade. Die so entstandene Folge von geometrischen Aussagen be-

zeiehne ich mit S. Die Aussagen A, B, C, D, G sind die aus der Folge T unver-

~indert fibernommenen Aussagen a, b, c, d, f. Die Aussage e habe ieh in F abge~indert, um sie aueh auf Strecken zu beziehen, die nieht gerade sind. Die Aussagen E, H, 1, K, L, M sind neu. Dureh E wird das in D (d) nut ffir die gerade Strecke Ausgesprochene auf die nieht gerade Streeke ausgedehnt. Die Aussage G ist die zuerst in w I Nr. 2 aufgestellte; die Aussage H hat ~ihnlichen Inhalt wie die in w I Nr. 3 mit F bezeiehnete.

Wegen des Vorkommens yon nieht geraden Strecken vgl. die Einffihrung yon Kernbegriffen in w 2 Nr. 4 und 5.

3- Die Aussagen A- -E sind Einfiihrungss~tze. Der Kern- begriff , ,Endpunkt" war durch D(d) nur in Verbindung mit der g e r a d e n Streeke eingefiihrt worden; durch E tritt er aueh mit der nicht geraden in Verbindung. Start ,,nieht gerade" hier das Wort ,,krumm" einzuffihren, dureh einen besonderen Einffihrungs- satz oder durch eine Definition, habe ich der Kiirze halber unter- lassen. Das in w 4 Nr. 3 fiber die dortigen Einffihrungss~itze Ge- sagte gilt hier fiir die Aussagen A--E; die Forderung ihrer Korrekt- heir in der Folge L i s t erfiillt, eine besondere Prtifung der Dis- kutabilit~it ist nicht vorzunehmen.

In der Folge S sind vor der Aussage F die Begriffe des Punktes, der Strecke, der geraden Streeke, sowie der Begriff des End- punktes einer geraden und einer nieht geraden Streeke dutch A--E eingefiihrt. Die Aussage F i s t daher an ihrer Stelle korrekt; dab sie dort aueh diskutabel ist, wird ebenso begriindet, wie fiir e in w Nr. 3.

Durch F i s t die M~gliehkeit gegeben, dab zwei Punkte End- punkte einer Streeke sind, und zwar kann dies eine gerade Strecke sein, aber aueh eine nicht gerade. Mithin sind die Aussagen G und H in der Folge S an ihrer Stelle korrekt. Sie sind dort aueh dis- kutabel.

Die Aussagen F, G, H sind Kerns/itze. Aus dem in w 4 Nr. 3 geltend gemachten Grunde ist es hier gleichgfiltig, durch welche

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270 M. Pasch

Erwligungen man dazu bestimmt wird, die Einftihrungssiitze und die Kems~itze in das Lehrgebiiude der Mathematik aufzunehmen.

Ganz anders als die Siitze A--H sind die Aussagen I - -M geartet; sie kOnnen nicht beanspruchen, in das Lehrgeb~iude der Mathematik aufgenommen zu werden. Durch I, K, L werden Bezeichnungen eingefiihrt, deren Einftihrung nach C, F, H zu- liissig ist; im Hinblick auf w 3 Nr. 2 bemerke ich abet, daft wit es hier nicht mit ,,festen" Bezeichnungen zu tun haben. DieAus- sagen I, K, L werden korrekt dutch C, F, H; sie sind auch dis- kutabel; die Anerkennung kann ihnen, soweit sie bei ,,verlinder- lichen" Bezeichnungen mOglich ist, nicht versagt werden. Die Aussage M wird korrekt durch L; sie ist diskutabel, weil sie keiner der Aussagen A--L widerspricht; die Frage der Anerkennung bleibt often.

4. Die in Nr. 2 mit S bezeichnete Folge benutze ich als einen ,,Stamm" zu Folgerungen gemlig Nr. I, und zwar ziehe ieh sehritt- weise ,,unmittelbare" Folgerungen im Sinn von w 3 Nr. 4, w 4 Nr. 4 und 6.

I. P und Q sind Endpunkte yon o. II. a ist eine yon s verschiedene Strecke.

III. a ist eine von s verschiedene gerade Strecke. IV. s ist eine gerade Strecke. V. Die Punkte P und Q sind Endpunkte yon s.

VI. Die Punkte P und Q shad Endpunkte der geraden Streeke s. VII. Sind Punkte P und Q Endpunkte der geraden Strecke s,

so sind sie nicht Endpunkte einer yon s versehiedenen geraden Strecke.

VII I . P und Q sind nicht Endpunkte einer yon s verschiedenen geraden Strecke.

IX. P und Q sind nicht Endpunkte der yon s verschiedenen geraden Strecke o.

X. P und Q sind nicht Endpunkte yon o.

Die Aussagen I und II sind aus L gefolgert; jede von ihnen stellt einen Tell yon L vor, indem auch riickwlirts L aus I und II ,,unmittelbar" gefolgert werden kann.

Die Aussage III folgt aus M und II; sie fat]t diese beiden Aussagen zu einer einzigen zusammen. Die Aussage IV folgt aus I; sie deckt sich einfach mie I. In derselben Weise folgt V aus K. Sodann folgt VI aus IV und V.

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Die axiomatische Methode in der neueren Mathematik 27I

Die Aussage VII folgt aus G. Sie beschriinkt sich darauf, das in G allgemein Behauptete nur for P, Q und s auszusprechen, und liefert somit nur einen Teil des Inhalts yon G. Siehe w 3 Nr. 4 und w Nr. 4.

Aus VI und VII folgt viii , aus l i t und VIII folgt IX, aus IX endlich X.

5- Aus dem Stamm S wurde die Aussage I unmittelbar ge- wonnen; der ,,Beweis" der Aussage I war nur ein einziger ,,Schritt" im Sinn yon w 4 Nr. 7.

Die Ableitung der Aussage X aus dem Stamm S wurde dutch die Aussagen I I - - IX vermittelt, so daft 8 Schritte dem schliefll~ch zu X fiihrendea Schritt vorausgingen; die Aussage I wurde dabei nicht benutzt. Hiernach hat sieh unser Beweis der Aussage X in 9 Schrittcn vollzogen.

Bei der Ausfiihrung eines Schrittes kOnnen StoffwOrter oder Verbindungen yon StoffwOrtern herausfullen, aber nicht neu ein- treten. Aus korrekten Aussagen konnen daher durch Folgern nur korrekte Aussagen hervorgehen. Im Stamm S ist jede Aussage an ihrer Stelle korrekt, oder kurz: der Stamm S ist korrekt; und in der Tat sind es auch die Folgerungen I--X.

In w 5 ist am Ende yon Nr. 2 darauf hingewiesen worden, daft meist im Aufbau yon Beweisen Aussagen auftreten, durch die (voriibergehende) Bezeichnungen eingeftihrt werden, und zwar nut solche Bezeichnungen, deren Berechtigung vorher gesichert ist. Diese Aussagen schieben sich zwischen die Schritte des Be- weises und k6nnen selbst als Schritte aufgefaflt werden. Die Be- merkung beziiglich der Korrektheit der Folgerungen aus einem korrekten Stamm gilt auch, wenn bei dem Folgern Aussagen der eben beschriebenen Art zugezogen werden, was in unserem Beispiel nicht der Fall war.

6. Anders als mit der Korrektheit verh~lt es sich mit der Diskutabilitiit. Der Stamm S ist diskutabel. Das bietet jedoch keine Gewiihr daftir, dab auch jede Folgerung aus S an ihrer Stelle diskutabel ist. In der Tat sind nur die Aussagen I - -VI I I disku- tabel; IX und X dagegen stehen in Widersprueh mit I und sind daher nicht mehr diskutabel. Hinter IX habe ich X nur auf- gestellt, um den Widersprueh mit I so scharf wie moglich hervor- treten zu lassen.

Halten wir die Tatsache lest; dab aus dem Stamm S sowohl die Aussage I gefolgert wurde als auch ihr (kontradiktorisches)

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2~2 M. Pasch

Gegenteil X. Danach mtiflte ieh, wenn ieh S anerkennen wollte, zwei miteinander unvereinbare Aussagen anerkennen. Nach w 4 Nr. 5 ist dies ausgeschlossen. Ich muff daher den Stamm S ver- werfen.

Allgemein: Wenn ieh bei richtigem Folgern aus einem Stamm zu zwei einander widersprechenden Aussagen gelange, so muff ich den Stamm verwerfen. Damit ist aber nicht gesagt, dab immer in einem solchen Stamm jeder einzelne Bestandteil zu verwerfen ist, sondern nur der Stamm als G-anzes. So habe ich ftir den Stamm S, der uns hier als Beispiel dient, alle Bestandteile aufler M schon in w 3 anerkannt; nur beztiglich der Aussage M i s t die Frage der Anerkennung often geblieben. Ich muff nunmehr die Aussage M verwerfen.

7- Die Aussagen A--L bilden einen Stamm, der S O heiflen mag. Dureh den Widerspruch zwischen I u n d X bin ieh nur des- halb zur Verwerfung der Aussage M gezwungen, weil ich den Stamm So, d. i . alle seine Bestandteile, anerkannt habe. Indem ich aber M verwerfe, erkenne ich das Gegenteil davon an, also die Aussage:

(M') Die Strecke e ist nicht gerade.

Da hiernach die Anerkennung yon S O die yon M' nach sieh zieht, wird M' eine Folgerung aus S O genannt, und zwar wurde M' da- dureh aus S O gefolgert, daft an S O die Aussage M, das Gegenteil yon M', angereiht und aus dem so erweiterten Stamm, dem StammS, zwei einander widersprechende Aussagen abgeleitet wurden. Auch dieses Folgern heiflt ein Beweis, und zwar ein in- direkter Beweis der Aussage M' auf Grund yon So.

Allgemein: Es sei R e i n Stamm, den ich anerkerme, 8 eine (ira Sinn yon Nr. I) ,,auf" dem Stamm R diskutable Aussage, v o n d e r auch das Gegenteil 8 ' auf R diskutabel sei (siehe w 4 Nr. 5 gegen Ende). Dann daft ieh 8 ' an R anreihen; den so erweiterten Stature nenne ieh RI. Kazan ieh aus R 1 dureh direkten Beweis zwei einander widerspreehende Aussagen ableiten, so muff ich 8 ' verwerfen und 8 anerkennen; als eine aus Rx ableitbare Aussage gilt auch jeder Bestandteil yon R. Das angewendetete Verfahren heiflt wieder ein Beweis, und zwar ein i n d i r e k t e r B e w e i s der Aussage 8 auf (Grund von) R, 8 heiflt wieder eine Folgerung aus dem Stamm R.

Vgl. hierzu GA Seite 6, VF w 7. Die ,,versuehsweise" auf-

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Die axiomatische Methode in der neueren Mathematik 273

gestellten Aussagen, yon denen in GA Seite 5, VF Seite 8 und 62 die Rede ist, sind die bier als ,,diskutabel" bezeichneten.

Wenn der Stature R und die Aussage O vorliegen, so kann man fragen, ob O sich aus R tolgem l~fCt. Diese Frage wurde sehon in w 5 Bir. 2 als nicht entscheidbar bezeiehnet. Dort be. deutete die Frage aber nur, ob O sieh mittels eines direkten Be. weises folgem lieffe, wtihrend jetzt noch der indirekte Beweis in Betracht kommt. Auch in diesem Sinn ist die aufgeworfene Frage n i c h t e n t s e h e i d b a r .

Ich habe oben vorausgesetzt, dab O' auf R diskutabel ist. Trifft dies nicht zn, so hat ein Bestandteil u yon R die Eigen- schaft, daff u und O' einander widersprechen. Dann fglgt aber 0 unmittelbar aus u (w 4 Nr. 4 am Ende), mithin unmittelbar aus R. Ist also O' nicht diskutabel auf R, so ergibt sich 0 als Folgerung aus R mittels direkteu Beweises, und zwar mittels eines einzigen Schrittes.

8. In Nr. 7 Absatz 2 wurde an einen anerkannten Stature R eine auf ihm diskutable Aussage O', deren Gegenteil O ebenfalls diskutabel war, angereiht und R dadurch zu einem Stature R t erweitert, aus dem sich zwei einander widersprechende Aussagen folgem lieffen. Dabei konnte ich zunachst nur die einfachste M6g- liehkeit berticksichtigen, ntimlich die, daft das Folgern aus R durch direkten Beweis geschah, also ausschliefflieh durch Schritte, deren jeder ein unmittelbares Folgern bedeutet. Nehmen wit jedoch jetzt an, dag Rt zum Zweek des indirekten Beweises yon O durch Schritte zuntichst zu einem Stamm R~ erweitert, dann abet ver. sucht wird, an Ra eine darauf diskutable Aussage O1, ftir deren Gegenteil O1' dasselbe gilt, anzureihen und dies durch indirekten Beweis zu rechtfertigen, also in der Weise, daft man vorerst O t' an R2 anreiht. Eine Entscheidung durch weitere Schfitte kann nut erfolgen, wenn diese zu zwei einander widersprechenden Fol- gerungen ftihren. In diesem Fall mug man entweder O t' oder O" oder beide verwerfen. Wird hierauf 01 statt O 1' an R~ angereiht, so kommt es zu weiterer Entseheidung nur, wenn es gelingt, auch jetzt zwei einander widerspreehende Folgerungen herzustellen, so dag man jetzt entweder 01 oder O' oder beide verwerfen muff. Wollte man O' aufreehterhalten, so miiffte man O 1' und zugleich 01 verwerfen, d .h . 01 und 01' - - zwei einander widersprechende Aussagen - - gelten lassen. Die Aussage O' ist mithin nicht auf- recht zu erhalten, O wie in Nr. 7 als bewiesen zu betrachten.

Annalen der PhiloJophie. V. $3

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274 M. Pasch: Die axiomatische Methode in der neueren Mathematik

9- Sind zwei Aussagen v und w vorgelegt, so karm ich yon v das Gegenteil v', yon w das Gegenteil w' bilden. Folgt nun w un: mittelbar aus v, so mut3 mit w' zugleich v' bestehen; denn sonst besttinde v mit w', also w mit w'. Ich kann dannv ' eine unmittel- bare Folge yon w' nennen nach dem Vorgang in. w 3 Nr. 4. FoIgt un~ekehrt v' unmittelbar aus w', so folgt w unmittelbar aus v, (Vgl. w 4 Nr. 4 am Ende.)

Entsprechendes gift, wenn es sieh n i c h t u m unmittelbares Folgern handelt, sondern um Folgern unter Zuziehung eines Stammes. Auch dann zieht vgn den Aussagen:

Aus v folgt w. Aus w' folgt v'.

jede die andere nach sich. Jede der beiden Aussagen heil3t die K o n t r a p o s i t i o n der andern. Die Kontraposition einer Aussage kann als eine unmittelbare Folgerung aus ihr geIten, der Inhalt der Aussage als derselbe wie der ihrer Kontrapositi0n. VgI. VF Seite 8.

S c h l u f l b e m e r k u n g

Ich babe versucht, aus der axiomatischen Arbeit heraus die in ihr wirksam gewordenen Gesichtspunkte zu entwickeln. Ich darf nicht hoffen, diesen Gegenstand irgendwie erscht~pft zu haben. Insbesondere babe ich die Frage, wie die dargelegten Gesichts- punkte, an deren buchstfibliche Verwirldichung doch nicht gedacht werden kann, sich dennoch durchsetzen lassen, nicht ber0hrt. Der Schwerpunkt liegt in der Unterscheidung zwischen F0gemitteln und Stoffwortern im Wortgefiige des ,,starren" Tells der Mathe- matik (siehe w 5 Nr. IO). Nur sie setzt uns in den Stand, die Be- griffsbildung in der Mathematik und ihren Sondergebieten yon den Anfiingen an nachzupriffen, Verstecktes arm Licht zu ziehen, Inhaltloses zu beseitigen. 0her das Verhiiltnis zu anderen Auf- fassungen babe ich mich bei anderen Gelegenheiten ausgesprochen, besonders neuerdings in den ,,Betraehtungen zur BegrOndung der Mathematik", Mathematische Zeitschrift, Bd. 20 (1924) S. 231; ,~Zweite Abhandlung", ebendas., Bd. 25 (1926) S. I66.