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Diagnostik und Therapie psychiatrischer Störungen in der Adoleszenz Nadine Fröhlich, Sächsisches Krankenhaus Altscherbitz Schkeuditz www.skh-altscherbitz.de 18.10.2017

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Diagnostik und Therapie psychiatrischer Störungen in der Adoleszenz

Nadine Fröhlich,

Sächsisches Krankenhaus Altscherbitz

Schkeuditz

www.skh-altscherbitz.de

18.10.2017

Definition

Als Adoleszenz

(lateinisch adolescere „heranwachsen“) wird in der

Entwicklung des Menschen der Zeitraum von der

späten Kindheit über die Pubertät bis hin zum vollen

Erwachsensein bezeichnet. Der Begriff steht für den

Zeitabschnitt, während dessen eine Person

biologisch gesehen zeugungsfähig wird und an deren

Ende sie körperlich nahezu ausgewachsen und

emotional wie sozial weitgehend gereift ist.

Untitled (We all have our vanity...)“ Muntean/Rosenblum

Definition

USA Adoleszenz bei Pubertätsbeginn: beginnend im Alter vom

vollendeten 13. bis zum vollendeten 19. Lebensjahr („thirteen“ to

„nineteen“ Begriff Teenager )

Mitteleuropa Adoleszenzphase – je nach Entwicklungsstadium –

meist Zeitraum zwischen 16. und 24. LJ

Weltgesundheitsorganisation (WHO) Adoleszenz als die Periode

des Lebens zwischen 10. und 20. LJ

Jugendrecht vorgegebener Begriff Jugend als der Zeitraum von 13.

bis zum 21. LJ

Adoleszenz (psychiatrisch) -Transition

Lebensphase, die den Übergang von der Kindheit zum

Erwachsenenalter markiert

Pubertät: Primär biologischer Begriff – Beginn der Adoleszenz

Dauer der Adoleszenz: 12. bis 25. Lebensjahr

„Mit 18 wird plötzlich alles anders. Jugendliche mit psychischen Erkrankungen

wechseln zum Erwachsenenpsychiater. Hier fühlen sie sich jedoch oft

deplatziert und brechen die Therapie ab. ……“ (Ärzteblatt)

„Der Übergang vom Jugend- in das Erwachsenenalter stellt für jeden Menschen

eine große Entwicklungsaufgabe dar, welche oftmals gelingt, manchmal aber

scheitert oder zu scheitern droht – dies betrifft insbesondere Menschen mit

psychischen Erkrankungen. “ …… (DGKJP/DGPPN)

Schwierigkeiten im Umgang mit den Diagnosen

Persönlichkeitsentwicklungsstörungen mit Beginn in der

Kindheit in der Erwachsenenpsychiatrie

Schizophrene und affektive Psychosen in der

Jugendpsychiatrie

Mehr Gemeinsamkeiten bei Sucht-und Essstörungen

Multiaxiale Klassifikation im Kinder- und Jugendbereich

Beispiel von Diagnoseentwicklung

6. Lebensjahr: Bindungsstörung

12. Lebensjahr: Störung des Sozialverhaltens und

der Emotionen

20. Lebensjahr: Persönlichkeitsentwicklungsstörung

(beginnend)

Entwicklungsaufgaben der

Adoleszenz: Was ist normal ?

Gewinnung von Identität und Identitätsdiffusion

Rolle in einer Gleichaltrigen Gruppe und Gewichtung dieser

Gruppe und Elternhaus

Non konfirme Rollenfindung durch Probehandeln

Gestaltwandel der Psychopathologie

Autonomieentwicklung (Rebellion vs. Lernen am Modell und

Identifikation)

Was war eine Adoleszenzkrise ?

Definition: Kritische Phase (14 – 25 LJ), die zu einem normalen

Entwicklungs- und Reifungsablauf gehört, aber fehlgeschlagene

Bewältigungsaspekte einschließt.

... ein durch ein überraschendes Ereignis oder Geschehen hervorgerufener

schmerzhafter Zustand oder Konflikt, der dann entsteht, wenn sich eine Person auf dem Weg zur

Erreichung wichtiger Lebensziele oder bei der Alltagsbewältigung Hindernissen

gegenübersieht und diese nicht mit den üblichen Problemlösungsmethoden bewältigen kann ....

... Plötzliche oder fortschreitende Verengung der Wahrnehmung, der

Wertesysteme sowie der Handlungsfähigkeit. Eine Krise stellt das

bisherige Wertesystem in Frage, ist bedrohlich und zeitlich begrenzt....

Neubestimmung der Adoleszenzkrise

Der Zeitfaktor: Krisen haben einen Anfang und ein Ende

Der jeweilige (adoleszenzspezifische) Auslöser für das krisenhafte

Geschehen, der den Jugendlichen daran hindert, die

Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, sollte erkennbar werden

und in einem sinnvollen Zusammenhang mit der Ausprägung der

Symptomatik stehen.

Es sollte keine schwere psychische Dekompensation bzw.

Psychopathologie vorliegen.

Gegenüberstellung von Verhaltensweisen in der Adoleszenz

Krisenhaft Normal

Zeitweiliger Gebrauch bzw. Missbrauch

von Drogen oder Alkohol als primärer

Organisator von Identität und zentraler

Regulator von Wohlbefinden und

Selbstbetrachtung

Gelegentliche Experimente mit Drogen in

Verbindung mit Gleichaltrigenaktivitäten

Zeitweilige promiskuöse sexuelle

Beziehungen oder mangelnde

Beziehungen zu Gleichaltrigen

Sexuelle Experimente mit gleichaltrigen

Jungen oder Mädchen, Gefühle von

Schüchternheit und Unsicherheit im Umgang

mit Anderen

Zeitweilige Schulverweigerung oder

Verlust von Interesse an schulischen oder

außerschulischen Aktivitäten

Geringe Fluktuation der Interessen

Gegenüberstellung von Verhaltensweisen in der Adoleszenz

Krisenhaft Normal

Eltern hassen und basale

gesellschaftliche Werte und Regeln

vorübergehend bekämpfen

Auseinandersetzungen über Musik,

Kleidung, Freizeit

Ungeordnetes Denken, Suizidgedanken

Provozieren durch überzogenes

Verhalten; Individualitätssuche

Argumente für eine eigenständige Betrachtungsweise

Entwicklungsaufgaben wie Identitätsbildung, Verselbstständigung, Gestalten

eines eigenen sozialen Raums jenseits der Herkunftsfamilie oft nicht mit 18.

Geburtstag abgeschlossen

Gerade bei Jugendlichen mit Psychosen, Angst- und Zwangserkrankungen,

Essstörungen, depressiven Syndromen etc. finden sich

„Entwicklungsverzögerung“ und regressive Entwicklungen.

Gleichzeitig werden symptomatische Übergangsphänomene überinterpretiert.

Erwachsenenpsychiatrisches Setting nicht angemessen !

„Untersozialisierte“ aggressiv-impulsive Jugendliche und junge Erwachsene sind

in einem „erwachsenenpsychiatrischen Setting“ schwer zu integrieren.

Die Peer-group spielt in den Entwicklungs- und Lern-prozessen Adoleszenter eine

zentrale Rolle

Konflikt vs. Struktur (gut vs. desintegriert)

Diagnostische Kriterien von Persönlichkeitsstörungen

Spezifische Persönlichkeitsstörungen lassen sich nur bei etwa 50-60% in

Patientenpopulationen diagnostizieren, etwa 40-50% fallen insbesondere

im Kindes- und Jugendalter in Restkategorien.

Durch überlappende Kriterien liegt die interne Komorbidität bei 30-40%.

Im Alterungsprozess kommt es zu einer Reduktion von

(„physiologischer“) Identitätsdiffusion, Neurotizismus, Extraversion und

Impulsivität. Bestimmte Merkmale gelten in der Adoleszenz als normal

und werden wenige Jahre später als pathologisch gekennzeichnet.

Die Remissionraten von Persönlichkeitsstörungen liegen in einem

erstaunlich hohen Bereich

Zustand oder Merkmal ?

Für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung wird ein stabiles

Symptom- und Merkmalsintervall von zumindest 2 Jahren als

angemessen betrachtet, um langfristige regressive Prozesse

auszuschließen.

Komplexe Traumafolgestörungen weisen einen breiten

Überschneidungsbereich insbesondere zur Borderline

Persönlichkeitsstörung auf und zeigen in

Allgemeinbevölkerungsstudien Remissionsraten von etwa 50%

Prozent mit oder ohne Behandlung.

Implikationen der Reifungs- und Verselbständigungsphase

Verselbständigung, Schulabschluss, Eingliederung in das

Berufsleben sind zentrale Entwicklungsaufgaben: Habilitation

(Karriere) vs. Rehabilitation als zentrale sozialpsychiatrische

Aufgabe

Unterschiedliche Wirk- und Nebenwirkungsprofile von

Medikamenten, z. B. Antidepressiva

Ungleiche Situation des off-label use in Erwachsenenpsychiatrie

und Jugendpsychiatrie

Unterschiedliche Suizidrisiken in verschiedenen Lebensaltern,

überlappende Zuständigkeitsdefinitionen im Sozialrecht zwischen

Jugendhilfe und Sozialhilfe, im Strafrecht etc.

Unterschiede der Psychotherapie

Grundsätzlich unterschiedliche Psychotherapiekonzepte bei

Jugendlichen und Erwachsenen

Freiwilligkeit und Motivation?

Therapie ist vielmehr Teil der Entwicklung der Jugendlichen,

als deren Reflektion – weniger Abstinenz und Distanz im

Jugendbereich

Mehr Entwicklungsanreiz als Regression

Einbeziehung der primären Bezugspersonen und des

Helfersystems

Ärzteblatt 2016

Zentrale Anlässe der Therapie

Wiederholte Schul- und Ausbildungsabbrüche

Peer group – „Mobbingerfahrungen“

Beschädigte Autonomieentwicklung als Kind psychisch kranker

Eltern oder broken-home-Konstellation

Hohe Eigendynamik von Symptomen (pathologischer

Medienkonsum, soziale Angst, selbstverletzendes Verhalten)

Zentrale Themen der Therapie

Entwicklung und Verfolgung eines eigenen Lebensentwurfs

Anerkennung der Tatsache des „Aufsichgestelltsein“

Entwicklung einer stabilen persönlichen Identität

Akzeptanz des eigenen (sexuellen) Körpers

tragfähige Beziehungen zu Gleichaltrigen

Fähigkeit zu Intimität und Partnerschaft

Verzicht auf bzw. Integration von Omnipotenz- und Grandiositätsphantasien

Entwicklung eines reifen Ich-Ideals

Bereitschaft und Fähigkeit zu sozialer Verantwortung und politischem Handeln

Stabilisierung der eigenen Moralität

Ökonomische Unabhängigkeit

Besonderheiten in der Behandlung

Scham und Gleichaltrigengruppe

Partnerschaften im Therapieverlauf

erste Erfahrung von Anerkennung

Schichtenproblematik

Ferienlager (Vermeidung von

Verantwortungsübernahme)

Rebellion und Regression

Schnittstellenprobleme der sozialen Unterstützung

Besonders bei sozial Schwachen, Suchtpatienten

und intellektuell grenzbegabten Jugendlichen zum

Teil Brüche in der sozialen Flankierung nach dem 18.

Geburtstag

Nicht geklärte Zuständigkeit

Ablehnung von Autoritäten und Kontrolle durch die

Betroffenen

Schnittstellenprobleme der sozialen Unterstützung

Soziale Flankierungen durch die Jugendhilfe endet

in der Regel mit 18 (21)Jahren – rechtlich bis zum

27. Lebensjahr möglich (§41SGBVIII)

Unterschiedliche Erfahrungen mit Jugendämtern zur

Verlängerung von Hilfen über das 18. Lebensjahr

hinaus

Frage der Amtsbetreuung nach dem 18. Lebensjahr (§1896 BGB)

Anrecht auf eigenen Wohnraum erst ab 25.

Lebensjahr

Herausforderungen und Chancen

Profilierung der verschiedenen Berufsgruppen für die

Besonderheiten der Klientel

Vernetzung mit den Helfersystemen der

Jugendpsychiatrie

Kooperation mit Kinder- und Jugendpsychiatern

Weiterbehandlung von Patienten dieses Faches

PIA: Lückenlose Behandlung der Jugendlichen in das

Erwachsenenalter

Konsequenz

SKH Altscherbitz Station PA 2 (Tel.: 034204874050)

Entwicklung eines Schwerpunktes für junge Erwachsene (ab 18)

Incl. verhaltenstherapeutisch orientierter Psychotherapiegruppe für

Junge Erwachsene

Station mit psychotherapeutischer Gruppe und Psychosegruppe

Stationäre Mutter-Kind-Behandlung bei postpartalen Erkrankungen

(5 Mutter Kind Einheiten)

Ambulante Spezialsprechstunden:

Früherkennungszentrum für Menschen mit beginnenden Psychosen

ADHS Spezialsprechstunde

FEZ Warum ?

Anstieg an psychischen Störungen im jungen Erwachsenenalter

12-Monatsprävalenz 38 %

Niedrigste Behandlungsrate 15 % (Jacobi et al. 2014, DEGSI-MH, Robert-Koch-

Institut)

Verordnung an Psychopharmaka in dieser Altersgruppe,

insbesondere Studenten rapide angestiegen (Techniker Krankenkasse)

Vielzahl psychischer Störungen (75 %) beginnen in Kindheit,

Adoleszenz und jungem Erwachsenenalter

Hälfte der psychischen Erkrankungen der gesamten

Lebensspanne findet Ausgang während der Pubertät (Kessler et al 2005,

neuseeländische Dunedin-Längsschnitt-Studie)

Zielgruppe FEZ

vorrangig Jugendliche und junge Erwachsene (keine

Altersgrenze nach unten) mit

Konzentrationsstörungen

Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen

Misstrauen, Unsicherheit, Angst

Zurückgezogenheit, Irritabilität

Störungen des Denkens und der Gefühle

Leistungsabfall in Ausbildung oder Beruf

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