diabetes und arbeit1 - deutsche diabetes gesellschaft: … · rechtliche grundlagen/empfehlungen....

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Diabetes und Arbeit IV – 10.7.1 Konietzko · Dupuis · Letzel · Nowak Handbuch der Arbeitsmedizin 43. Erg. Lfg. 9/06 1 Einleitung: Negativ-Darstellung des Diabetes in der Öffentlichkeit Vorträge und Veröffentlichungen, auch wissenschaftlicher Art und mit den besten Absichten, können eine pauschale Negativ-Wahrnehmung des Diabetes in der Öffentlichkeit und insbesondere auch bei Unternehmern auslösen oder verstärken. Die Laien- und Fachliteratur wird gerade in den letzten Jahren überflutet mit Berichten über die bereits be- stehende bzw. zu erwartende Diabetesepidemie und die sich IV – 10.7.1 Diabetes und Arbeit 1 Von K. RINNERT, Köln 1 Der vorliegende Text basiert in wesentlichen Teilen auf den „Empfehlungen zur Beur- teilung beruflicher Möglichkeiten von Personen mit Diabetes mellitus“, erstellt vom Ausschuss Soziales der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DEHN, J., FINCK, H., KAZDA, CH., H, J., SALOMON, M., SCHÜTT, W., V. KRIEGSTEIN, E., RINNERT, K.). daraus abzuleitenden volkswirtschaftlichen Kosten. Ge- spickt werden diese Berichte oder wissenschaftlichen Arbei- ten dann noch mit verschiedenen Hinweisen, z.B. auf die erhöhte AU-Quote bei Diabetikern und den Verlust an Er- werbstätigkeitsjahren und weitere Diabetes-assoziierte Ein- schränkungen. Diese Ausarbeitungen beruhen oft auf statis- tischem Material, das zehn oder 20 Jahre alt oder noch älter ist. Aus gesundheitspolitischen Erwägungen heraus sind diese Untersuchungen sicher notwendig und für spezi- elle Fragestellungen hilfreich, insbesondere in Diskussionen der Leistungserbringer mit den Kostenträgern. Es gibt aber auch hier „Nebenwirkungen“. „Nur negative Nachrichten sind gute Nachrichten!“ Dieser Satz gilt vielleicht für die Medien. Aber insgesamt hat die Schwemme der Diabetes- assoziierten Negativ-Schlagzeilen in Bezug auf Ausbreitung und Kosten auch zu einem neuen Negativ-Image des Dia- Diabetes mellitus ist eine häufige Erkrankung in den hoch industrialisierten Ländern. Wir gehen heute von ca. 5–6 Mio. Diabetikern in Deutschland aus. Damit liegt die Prävalenz bei Erwachsenen, mit stei- gendem Alter zunehmend, durchschnittlich bei etwa 6 %. Neuere Erhebungen lassen einen weiteren Anstieg auf etwa 7–8% der Erwachsenenbevölkerung erwarten. Es ist deshalb von herausragender volkswirtschaftlicher Bedeutung, möglichst viele Diabetiker im arbeitsfähigen Al- ter in den Arbeitsprozess zu integrieren. Darüber hinaus sollte auch dem Einzelnen die Möglichkeit gegeben werden, trotz eventuell notwendiger krankheitsbedingter Einschränkungen, weitgehend seine individuellen Neigungen und Fähigkeiten im Beruf zu verwirklichen. In den vergangenen Jahren ist leider ein großer Teil der Betroffenen ohne Prüfung des Einzelfalls als „ungeeignet“ ein- gestuft worden oder es wurden ihnen ungerechtfertigt „dauernde“ berufliche Bedenken bescheinigt. Bei der Beurteilung beruflicher Möglichkeiten von Personen mit Diabetes mellitus muss von den verschiedenen Be- handlungsmöglichkeiten und der sich daraus ergebenden Gefahr von Hypoglykämien ausgegangen werden. Ebenso spielen Begleit- und Folgeerkrankungen eine wichtige Rolle. Insgesamt müssen bei Menschen mit Diabetes verschiedene Aspekte berücksichtigt werden, z.B. Art des Berufes, Unfallgefährdung i.S.v. Selbst- und Fremdgefährdung, Qualität der Stoffwechseleinstellung über einen längeren Zeitraum, Art der Behandlung, Hypoglykämien (Häufigkeit, Wahrnehmung, Notwendigkeit der Fremdhilfe), Folgeerkrankungen (vorrangig Polyneuropathie, Retinopathie), Umgang mit der Erkrankung (Bewertung von Selbstkontrollen). Bis heute noch unterliegen Diabetiker durch zahlreiche Verordnungen und Empfehlungen einer eingeschränkten Mög- lichkeit, ihren Beruf auszuüben. Schulungen, Blutzuckerselbstkontrollen sowie verschiedene neue Therapien (Tabletten, Kurzzeitinsuline, Pumpe) ermöglichen eine bessere Behandlung und die Vermeidung von Komplikationen bei Diabetes mellitus. Durch die zunehmende Vielfalt von Berufen und die rasche Änderung von Tätigkeiten innerhalb einzelner Berufs- felder wird heute in jedem Einzelfall eine differenzierte Abstimmung zwischen den vorhandenen persönlichen Fähig- keiten und den konkreten beruflichen Anforderungen notwendig (Ausschuss Soziales der DDG 2004).

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Page 1: Diabetes und Arbeit1 - Deutsche Diabetes Gesellschaft: … · Rechtliche Grundlagen/Empfehlungen. Die EG-Richtlinie vom 12.6.1989 hat zur Konsequenz:

Diabetes und Arbeit IV –10.7.1

Konietzko · Dupuis · Letzel · Nowak – Handbuch der Arbeitsmedizin – 43. Erg. Lfg. 9/06 1

Einleitung: Negativ-Darstellung des Diabetes in derÖffentlichkeit

Vorträge und Veröffentlichungen, auch wissenschaftlicherArt und mit den besten Absichten, können eine pauschaleNegativ-Wahrnehmung des Diabetes in der Öffentlichkeitund insbesondere auch bei Unternehmern auslösen oderverstärken. Die Laien- und Fachliteratur wird gerade in denletzten Jahren überflutet mit Berichten über die bereits be-stehende bzw. zu erwartende Diabetesepidemie und die sich

IV– 10.7.1Diabetes und Arbeit1

Von K. RINNERT, Köln

1 Der vorliegende Text basiert in wesentlichen Teilen auf den „Empfehlungen zur Beur-teilung beruflicher Möglichkeiten von Personen mit Diabetes mellitus“, erstellt vomAusschuss Soziales der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DEHN, J., FINCK, H., KAZDA,CH., HOß, J., SALOMON, M., SCHÜTT, W., V. KRIEGSTEIN, E., RINNERT, K.).

daraus abzuleitenden volkswirtschaftlichen Kosten. Ge-spickt werden diese Berichte oder wissenschaftlichen Arbei-ten dann noch mit verschiedenen Hinweisen, z.B. auf dieerhöhte AU-Quote bei Diabetikern und den Verlust an Er-werbstätigkeitsjahren und weitere Diabetes-assoziierte Ein-schränkungen. Diese Ausarbeitungen beruhen oft auf statis-tischem Material, das zehn oder 20 Jahre alt oder nochälter ist. Aus gesundheitspolitischen Erwägungen heraussind diese Untersuchungen sicher notwendig und für spezi-elle Fragestellungen hilfreich, insbesondere in Diskussionender Leistungserbringer mit den Kostenträgern. Es gibt aberauch hier „Nebenwirkungen“. „Nur negative Nachrichtensind gute Nachrichten!“ Dieser Satz gilt vielleicht für dieMedien. Aber insgesamt hat die Schwemme der Diabetes-assoziierten Negativ-Schlagzeilen in Bezug auf Ausbreitungund Kosten auch zu einem neuen Negativ-Image des Dia-

Diabetes mellitus ist eine häufige Erkrankung in den hoch industrialisierten Ländern.Wir gehen heute von ca. 5–6 Mio. Diabetikern in Deutschland aus. Damit liegt die Prävalenz bei Erwachsenen, mit stei-

gendem Alter zunehmend, durchschnittlich bei etwa 6%. Neuere Erhebungen lassen einen weiteren Anstieg auf etwa 7–8%der Erwachsenenbevölkerung erwarten.

Es ist deshalb von herausragender volkswirtschaftlicher Bedeutung, möglichst viele Diabetiker im arbeitsfähigen Al-ter in den Arbeitsprozess zu integrieren. Darüber hinaus sollte auch dem Einzelnen die Möglichkeit gegeben werden,trotz eventuell notwendiger krankheitsbedingter Einschränkungen, weitgehend seine individuellen Neigungen undFähigkeiten im Beruf zu verwirklichen.

In den vergangenen Jahren ist leider ein großer Teil der Betroffenen ohne Prüfung des Einzelfalls als „ungeeignet“ ein-gestuft worden oder es wurden ihnen ungerechtfertigt „dauernde“ berufliche Bedenken bescheinigt.

Bei der Beurteilung beruflicher Möglichkeiten von Personen mit Diabetes mellitus muss von den verschiedenen Be-handlungsmöglichkeiten und der sich daraus ergebenden Gefahr von Hypoglykämien ausgegangen werden. Ebensospielen Begleit- und Folgeerkrankungen eine wichtige Rolle.

Insgesamt müssen bei Menschen mit Diabetes verschiedene Aspekte berücksichtigt werden, z.B.

– Art des Berufes,– Unfallgefährdung i.S.v. Selbst- und Fremdgefährdung,– Qualität der Stoffwechseleinstellung über einen längeren Zeitraum,– Art der Behandlung,– Hypoglykämien (Häufigkeit, Wahrnehmung, Notwendigkeit der Fremdhilfe),– Folgeerkrankungen (vorrangig Polyneuropathie, Retinopathie),– Umgang mit der Erkrankung (Bewertung von Selbstkontrollen).

Bis heute noch unterliegen Diabetiker durch zahlreiche Verordnungen und Empfehlungen einer eingeschränkten Mög-lichkeit, ihren Beruf auszuüben. Schulungen, Blutzuckerselbstkontrollen sowie verschiedene neue Therapien (Tabletten,Kurzzeitinsuline, Pumpe) ermöglichen eine bessere Behandlung und die Vermeidung von Komplikationen bei Diabetesmellitus.

Durch die zunehmende Vielfalt von Berufen und die rasche Änderung von Tätigkeiten innerhalb einzelner Berufs-felder wird heute in jedem Einzelfall eine differenzierte Abstimmung zwischen den vorhandenen persönlichen Fähig-keiten und den konkreten beruflichen Anforderungen notwendig (Ausschuss Soziales der DDG 2004).

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betes bei Unternehmern und Personalabteilungen geführt:„Diabetiker fehlen oft, kosten viel und fallen häufig vomDach!“ Dieses Sammelsurium von Vorurteilen und tradier-tem Unsinn ist ungerecht und diskriminierend gegenüberden einzelnen Menschen mit Diabetes, wird aber durch dieMehrzahl der Veröffentlichungen genährt und verstärkt.

Das Phänomen des Diabetes im Arbeitsumfeld besteht al-so einerseits in den deutlich verbesserten Möglichkeiten vonDiabetikern, insbesondere auch die beruflichen Anforderun-gen zu bewältigen. Andererseits führen die Negativ-Schlag-zeilen netto zu einer Belastung für Menschen im beruflichenKontext. Diabetes mellitus wird auch von internationalenFirmen leider wieder pauschal mit einer beruflichen Nicht-Eignung gleichgesetzt. Trotz therapeutischem Fortschrittsund guter Daten in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit und dasreduzierte Unfallrisiko von Menschen mit Diabetes nimmtdie Benachteiligung augenscheinlich wieder zu.

Dabei sollte der Weg in die Frühberentung oder Aner-kennung einer Schwerbehinderung nicht mehr, wie in den70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, diePerspektive für Menschen mit Diabetes sein. Die demogra-phische und epidemiologische Entwicklung, insbesondereder nächsten 20 bis 30 Jahre, zwingt zur Integration vonälteren (= älter als 45 Jahre) und gehandicapten Menschen.Dazu ist eine weitgehende Neuformulierung der meistenTexte zur beruflichen Eignung, nicht nur von Diabetikern,erforderlich. Vielmehr noch ist aber die Umgestaltung derArbeitsplätze und Produktionsweisen und der Produkteauf die älter werdenden Menschen am Arbeitsplatz und inder Gesamtbevölkerung erforderlich. Dazu bedarf es imberuflichen und betrieblichen Kontext der engen Zusam-menarbeit der wissenschaftlichen Fachdisziplinen, hier derDiabetologie und der Arbeitsmedizin (RINNERT 2006).

Nachfolgend werden Aspekte des Themas „Diabetesund Arbeit“ von verschiedenen Seiten betrachtet und füreine differenzierte und engagierte Sichtweise im Interesseder Menschen mit Diabetes mellitus geworben.

Rechtliche Grundlagen/Empfehlungen

Die EG-Richtlinie vom 12.6.1989 hat zur Konsequenz:

● Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und desGesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit.

● Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren● Anwendung in allen privaten und öffentlichen Tätig-

keitsbereichen.● Somit: Betriebsmedizinische Überwachung für jeden Ar-

beitnehmer!

Das Arbeitsschutzgesetz:

● Gilt seit dem 7.8.1996● Anwendung auf alle Tätigkeitsbereiche● Sicherheit und Gesundheitsschutz für alle Beschäftigten● Setzt die Vorschriften des europäischen Arbeitsschutz-

rechts in nationales Recht um.

Das bedeutet:

● Jeder Betrieb muss, zumindest anlassbezogen, mit einemzuständigen Betriebsarzt zusammenarbeiten!

● Eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen ist Pflicht!Daraus leiten sich alle weiteren Maßnahmen ab.

Praxis der arbeitsmedizinischen Beratung

Die betriebsärztliche und die diabetologische Praxis zeigen,dass im arbeitsschutzrechtlichen Regelwerk häufig sehrrestriktive Einschränkungen bei der Berufsausübung vonMenschen mit Diabetes ausgesprochen werden. Bishersieht das arbeitsschutzrechtliche Regelwerk aber an keinerStelle verbindlich eine Beurteilung durch einen Diabetolo-gen vor!

Konsequenzen:

● Bei relevanten diabetologischen Fragestellungen imRahmen einer arbeitsmedizinischen Beurteilung sollteobligat der zuständige Diabetologe gehört werden.

● Die Zusammenarbeit zwischen Menschen mit Diabetes,dem Hausarzt bzw. Diabetologen und dem Betriebsarztsollte zur üblichen Routine werden.

Aspekte bei der Wahl und Ausübung eines Berufes

Menschen mit Diabetes können nahezu alle Berufe undTätigkeiten ausüben, zu denen sie nach Neigung, Bega-bung, praktischen Fähigkeiten und Ausbildung geeignetsind, sofern keine anderen schwerwiegenden Folge- oderBegleiterkrankungen vorliegen.

Wahl und Ausübung eines Berufes oder einer Tätigkeitkönnen für einzelne Menschen mit Diabetes durch be-stimmte Bedingungen des Berufes und/oder des Diabeteseingeschränkt sein. Deshalb sind einige wenige Tätigkeitenbzw. Berufe für Menschen mit Diabetes nicht oder wenigergut geeignet.

Berufssituation für Menschen mit Diabetes alsBerufsanfänger oder mit Berufserfahrung

Von wesentlicher Bedeutung bei der Beratung und Beurtei-lung ist der Aspekt, ob es sich im konkreten Fall um die Be-ratungssituation bei der Berufswahl, also meist vor Auf-nahme eines Berufes handelt, oder um eine Beratungwährend der Berufsausübung, also oft nach vielen Berufs-jahren mit entsprechend größerer Berufserfahrung und so-mit auch eher vorhandenen Kompensationsmechanismen.

Berufswahl

Bei einer Erstausbildung, insbesondere bei jungen Men-schen mit Diabetes, ist darauf zu achten, dass im ange-strebten Beruf möglichst viele Tätigkeitsfelder offen stehen.

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Eine Ausbildung sollte nicht an Arbeiten mit erhöhterUnfallgefährdung scheitern, die auf Grund der Ausbil-dungsordnung für das Berufsbild nur während der Ausbil-dung ausgeführt werden müssen, für das Ausbildungszielaber nicht wesentlich sind und bei der späteren Berufs-tätigkeit nicht mehr zwangsweise gefordert werden, bei-spielsweise Arbeiten an einer Drehmaschine in der Ausbil-dung zum Technischen Zeichner oder Bereitschaftsdienstin der Ausbildung zum pflegerischen Beruf. Die gesetzli-chen Bestimmungen erlauben in vielen Fällen, mit der fürdie Prüfung zuständigen Stelle zu vereinbaren, dass sieauch dann als erfolgreich abgeschlossen gilt, wenn ein Aus-zubildender mit Diabetes diese Ausbildungsabschnittenicht als Ausführender durchlaufen hat.

Die Beratung des Menschen mit Diabetes zur Berufs-wahl sollte sich vor allem an Neigung, Begabung undFähigkeiten des Betroffenen orientieren. Sie muss diegeltenden Rechtsnormen und Richtlinien sowie andereVorschriften berücksichtigen und sich an Empfehlungenorientieren, wie z.B. die den Diabetes betreffenden berufs-genossenschaftlichen Grundsätze für arbeitsmedizinischeVorsorgeuntersuchungen oder Richtlinien wie die „Begut-achtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung“ des Gemeinsa-men Beirats für Verkehrsmedizin.

Wünschenswert ist, dass Kenntnisse sowohl in derarbeitsmedizinischen Berufskunde als auch in der Diabe-tesbetreuung bei den Beratenden bestehen. In der Regel istdeshalb die gemeinsame Beratung durch einen Arbeitsme-diziner und einen Diabetologen anzustreben.

In die Überlegungen bei der Berufsberatung sind so-wohl die Vorteile als auch die Nachteile einzubeziehen, diesich aus der evtl. Inanspruchnahme des Schwerbehinder-tengesetzes ergeben.

Berufsausübung

Tritt der Diabetes bei einem Beschäftigten auf, so kann ei-ne diabetesbedingte Einschränkung seiner Fähigkeiten dieAusübung seiner Tätigkeit relevant beeinträchtigen. Dannsollte als erstes überlegt werden, ob nicht durch eine Um-setzung im Betrieb die Erfahrung aufgrund der bisher aus-geübten Tätigkeit weiter verwertet werden kann. Die sichdabei ergebenden Fragen sollten zwischen Betroffenen,Betriebsarzt, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Arbeitgeber,Betriebsrat bzw. Personalrat und gegebenenfalls Schwer-behindertenvertretung geklärt werden. Erst wenn sich he-rausstellt, dass dieser Weg nicht möglich ist, sollte eineUmschulung erwogen werden. Eine fundierte Empfehlungfür einen bestimmten Beruf wird dann oft nur möglichsein, wenn sie sich auf eine differenzierte, individuelle ar-beitsmedizinische und diabetologische Beurteilung stützenkann, ggf. verbunden mit einer praktischen Arbeitser-probung oder einem Praktikum, durch die verlässlicheAnhaltspunkte für die späteren beruflichen Einsatzmög-lichkeiten gewonnen werden können.

Bei Tätigkeiten, die erfahrungsgemäß die Behandlungdes Diabetes erschweren, muss überlegt werden, ob zurVermeidung eines sozialen Abstieges vorübergehend Ein-schränkungen in der Stoffwechselqualität hingenommenwerden dürfen.

Berufliche Einschränkungen

Bedingungen, welche die Wahl und Ausübung eines Beru-fes oder einer Tätigkeit bei Menschen mit Diabetes beein-flussen können, sind durch die Beurteilung der Arbeits-bedingungen (so genannte Gefährdungsanalyse) zunächstzu analysieren und lassen sich folgendermaßen gliedern.

Krankheitsspezifische Risiken, z.B.

a) Selbst- und Fremdgefährdung durch plötzlich auftreten-de Unterzuckerungszustände (Hypoglykämien),

b) Auftreten anderer Krankheiten und eine evtl. absehbareoder nicht auszuschließende Gefahr von plötzlichen Ge-sundheitsstörungen, die fremder Hilfe bedürfen.

Tätigkeitsspezifische Risiken, z.B.

c) Beeinträchtigungen der Planbarkeit des Tagesablaufesund der Selbstkontrolle des Stoffwechsels,

d) Berufliche Expositionen, die das Auftreten von akutenoder chronischen Folgen des Diabetes begünstigen.

Zu a): Bei der Beratung von Menschen mit Diabetes mussdie Hypoglykämieneigung besonders berücksichtigt wer-den, da eine Hypoglykämie die Leistungsfähigkeit – meistnur für Minuten – vermindern und in seltenen Fällen auchzu einer Beeinträchtigung des Bewusstseins führen kann.Das Auftreten von Hypoglykämien kann daher bei man-chen beruflichen Tätigkeiten andere Menschen oder denMenschen mit Diabetes selbst gefährden. Das Risiko fürdas Auftreten von schweren Hypoglykämien kann durchAnpassung der Stoffwechseleinstellung und evtl. ein Hypo-glykämiewahrnehmungstraining (z.B. BGAT) vermindertwerden.

Schwere Hypoglykämien können im Einzelfall eine Ge-fahr bedeuten bei:

● Beruflicher Personenbeförderung oder beim Transportgefährlicher Güter (z.B. Piloten)

● Überwachungsfunktionen mit alleiniger Verantwortungfür das Leben Anderer

● Waffengebrauch● Arbeiten mit konkreter Absturzgefahr oder an anderen

gefährlichen Arbeitsplätzen (z.B. Feuerwehr).● Arbeiten im Überdruck, Taucherarbeiten

Zu b): Durch den Diabetes können Folgeerkrankungen anAugen, Nieren, Nerven sowie Gefäßen des Herzens, Gehirnsund der Beine auftreten, die zu Funktionseinschränkungenführen. Sollten derartige Erkrankungen vorliegen, sind sieaufgrund der eingetretenen und der im weiteren Verlauf evtl.zu erwartenden Funktionseinschränkungen zu berücksichti-gen. Auch wird man einem Menschen mit Diabetes mit Nei-gung zu schweren Hypoglykämien oder ketoazidotischenStoffwechselentgleisungen zu keiner Tätigkeit raten können,die weitab von jeglicher Zivilisation (d.h. auch ohne Mög-lichkeit einer notärztlichen Versorgung) erfolgt.

Zu c): Berufe und Tätigkeiten, bei deren Ausübung derTagesablauf nicht ausreichend vorausplanbar ist, können

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eine adäquate Behandlung erschweren – etwa durch sehrunregelmäßige Essenszeiten, stark wechselnde körperlicheBelastungen oder auch durch die Erschwerung der Stoff-wechselselbstkontrolle.

Das Risiko für Hypoglykämien ist bei Berufen größer,deren Arbeitsbedingungen eine jederzeitige Nahrungsauf-nahme, z.B. bei Strahler- und Hitzearbeiten durch die vor-geschriebene Schutzkleidung, verhindern. Arbeiten mitWechselschicht stellen für Menschen mit Diabetes ggf. be-sondere Anforderungen dar. Für diese Berufe und Tätig-keiten gilt im besonderen Maße, dass eine gute Schulungdes Patienten über seine Erkrankung und ihre Behandlungmit täglichen Stoffwechselselbstkontrollen und daraus ab-geleiteten Konsequenzen manche der einschränkenden Be-dingungen abmildern oder bedeutungslos machen können.

Zu d): Bei Berufen, die mit Exposition von starkerHitze, von großem Überdruck oder anderen besonderenBelastungen einhergehen, können gesundheitliche Beden-ken bestehen, die im Einzelfall gegen die Aufnahme einersolchen Tätigkeit sprechen können oder evtl. zusätzlicheSchutzmaßnahmen bei Menschen mit Diabetes wünschens-wert erscheinen lassen (Empfehlungen zur Beratung beiBerufswahl und Berufsausübung von Diabetikern derDeutschen Diabetes-Gesellschaft 1999).

„Unfallverhütungsvorschriften gelten auch für Menschenmit Diabetes“

Nicht ohne Grund ist darauf hinzuweisen, dass die Unfall-verhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften auchgerade bei Menschen mit Diabetes konsequent zu beachtensind, z.B. in Bezug auf die Einrichtung von Absturzsiche-rungen für Dachdecker oder Zimmerer. Nicht der Diabetesist in der Regel der Grund für Absturzunfälle, sondern dieNichteinhaltung der Arbeitsschutzvorschriften. Den Be-rufsgenossenschaften liegen keine Zahlen vor, die zeigenwürden, dass Menschen mit Diabetes häufiger verunfallen,z.B. vom Dach stürzen, als Menschen ohne Diabetes.

Statistische Hypoglykämiehäufigkeit ist nicht gleichUnfallhäufigkeit

Dazu sei auf zwei entscheidende, aber unterschiedliche Pro-bleme aufmerksam gemacht: Es ist zwar banal, aber trotz-dem ungemein wichtig, darauf hinzuweisen, dass das allge-meine statistische Risiko, dass z.B. mit Sulfonylharnstoff-Präparaten behandelte Diabetiker seltener zu Hypoglykämi-en neigen als insulinbehandelte, für die konkrete Gefährdungeine untergeordnete Rolle spielt (Amierican Diabetes Asso-ciation 2004). Unter Sulfonylharnstoffen sind in der Vergan-genheit und auch heute Unterzuckerungen mit Fremd-hilfebedarf beobachtet worden (HOLSTEIN et al. 2003). Da-her ist auch bei der Behandlung mit Betazytotropika, wiez.B. Sulfonylharnstoffen, für berufliche Begutachtungen dieFrage des individuellen Hypoglykämierisikos abzuklären.

Eine durchaus wichtige Differenzierung zwischen insu-linbehandelten Typ-2- und Typ-1-Diabetes wird in den

überwiegend amerikanischen und kanadischen Arbeiten inBezug auf das Gesamtergebnis allerdings oft nicht vorge-nommen. Die Unfallstatistiken des Hauptverbandes der ge-werblichen Berufsgenossenschaften klären diese Frage lei-der nicht, da sie keine diagnose- oder therapiebezogenenUnfallursachen dokumentieren.

Wichtig für die konkrete Beratung und Beurteilung ist,dass bei regionalen und betriebsspezifischen informellenRegelungen, z.B. auch in Verkehrsbetrieben, offensichtlicheiner relevanten Zahl von insulinbehandelten Menschenmit Diabetes das Verbleiben in ihrem Beruf unter enger be-triebsärztlicher und diabetologischer Führung ermöglichtwerden kann, ohne dass eine erhöhte Unfallinzidenz be-kannt geworden wäre. Als allgemeiner Rat kann daher nurwiederholt werden, hier eine enge Zusammenarbeit zwi-schen Diabetologen und Betriebsarzt anzustreben.

Bindende Richtlinien ohne Ermessensspielraum

Bindende Richtlinien ohne Ermessensspielraum („Diagno-selisten“) für den beurteilenden Arzt bilden eine Gefahr fürnahezu alle Beteiligten. Solche Empfehlungen oder Verord-nungen oder auch Listen mit Ausschlusscharakter fußenhäufig auf der therapeutischen Praxis der 50er und 60erJahre des vergangenen Jahrhunderts und sind daher drin-gend überarbeitungsbedürftig.

Die sich aus bindenden Richtlinien ergebenden Nach-teile sind vielschichtig und letztlich vor allem auch kontra-produktiv für die Aufrechterhaltung des Betriebsablaufes.Die strikte Anwendung dieser Richtlinien oder Verordnun-gen führt nachweislich durch ihren Ausschlusscharakter zurVerheimlichung der Erkrankung bei Beschäftigten mit Dia-betes, da sie um ihren Arbeitsplatz und damit zu Recht umihre soziale Existenz fürchten. Die Verleugnung der auftau-chenden Probleme führt kurz- und langfristig zu Gefahrenfür den Betroffenen, jedoch auch zu großen Gefahren fürden gesamten Betriebsablauf und damit für Dritte.

Der „Insulinvermeidungszwang“

Nun zu dem Problem der Bewertung bzw. Begutachtungnach so genannten Diagnoselisten bzw. rein therapieassozi-ierten Einteilungen: Es existiert in der Praxis offensichtlichein Phänomen, das „Insulinvermeidungszwang“ genanntwerden kann. Man kann dieses Vorgehen der Betroffenenauch „indirekte Freiheitswiederherstellung“ nennen. Dasbedeutet, dass der Betroffene bei eindeutig zu erwartenderSanktionierung seines gesundheitlichen Defizits einen Aus-gleich suchen wird, um seine alte Freiheit wiederherzustel-len. Eine insulinbehandelte Flugbegleiterin oder ein Seefah-rer wird voraussichtlich vieles oder alles daran setzen, dassihre/seine Erkrankung nicht bekannt oder erkannt wird, daaus ihrer/seiner Perspektive mit einem Verbot der bisherigenTätigkeit unweigerlich gerechnet werden muss und diesauch auf Grund von finanziellen Verpflichtungen nichtmachbar ist. Daraus folgt das Verheimlichen einer Insu-lintherapie, entweder durch Einnahme vieler verschiedener

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blutzuckersenkender Tabletten mit einer Potenzierung derdabei bekannten und auch bisher noch nicht bekanntenNebenwirkungen oder der heimlichen Insulininjektion(„therapeutischer Untergrund“) (MATZ 2000). Beides isthochgradig gefährlich, nicht nur im Sinne einer Selbst-, son-dern auch im Sinne einer Fremdgefährdung. Der eigentlicheSinn des Ausschlusses von insulinbehandelten Menschenmit Diabetes aus risikoreichen Berufen, wie den o.g., wirddabei ins Gegenteil verkehrt, die Gefährdung für Menschund Maschine steigt beträchtlich.

Haben Diabetiker nun mehr oder weniger Arbeitsunfälle?

Bislang nicht veröffentlichte Daten der Krankenkassen zei-gen teilweise sogar eine Tendenz zur Reduktion der Arbeits-unfälle bei Menschen mit Diabetes. Dies betrifft sowohlFrauen wie auch Männer und dabei sowohl die Behandlungmit oralen Medikamenten wie auch mit Insulin! Diese Hin-weise sind aus mehreren Gründen beachtenswert:

Zunächst gilt es als „bewiesen“, dass Dachdecker mitDiabetes häufiger vom Dach fallen als Nicht-Diabetiker.Den „Dachdecker“ bzw. dieses Vorurteil findet man selbstauf den Internet-Seiten renommierter Universitätsklinikenund Diabetes-Institute. Evidenzbasierte Daten zu dieserbelastenden Vermutung gibt es nirgendwo, weder bei denBerufsgenossenschaften noch bei den Versicherungen,trotzdem hält sich diese Diskriminierung äußerst hart-näckig und wird fleißig abgeschrieben.

Der zugrunde liegende Denkfehler besteht in der Gleich-setzung von Hypoglykämie-Risiko und Unfallrisiko. Dabeiwerden die, insbesondere von ILMARINEN (ILMARINEN 2001)beschriebenen vielfältigen Faktoren, die die Arbeitsfähig-keit bedingen, außer Acht gelassen und die Person des Dia-betikers in Bezug auf seine Arbeitsfähigkeit auf rein meta-bolische Parameter reduziert.

Die Hinweise, dass Menschen mit Diabetes zumindestkein erhöhtes, evtl. sogar ein leicht reduzierte Risiko ha-ben, einen Arbeitsunfall zu erleiden, sprechen dafür, dassdie angesprochenen Faktoren der Arbeitsfähigkeit eineÜberkompensation des Hypoglykämie-assoziierten Unfall-risikos bedingen. Dies würde auch die These bestätigen,dass bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit weniger aufdie Defizite, sondern verstärkt auf die Ressourcen geachtetwerden soll.

Die Ergebnisse implizieren weiterhin, dass selbst eineim Hinblick auf die Arbeitsunfallprävention unspezifischeSchulung, wahrscheinlich in Verbindung mit der bei Dia-betikern im Berufsalltag erforderlichen höheren Disziplinund Motivation („nicht auffallen wollen“), zu einer effek-tiven Minimierung des Arbeitsunfallrisikos führt. Solltesich dieses Ergebnis bei weiteren Untersuchungen bestäti-gen, wäre dies ein weiterer, bislang unbekannter positiverAspekt einer guten Diabetiker-Schulung, aber auch vonmedizinischer Beratung und Schulung im betrieblichenKontext generell.

Die Krankenkassendaten zeigen aber auch „Schatten-seiten“ in Bezug auf ein erhöhtes Unfallrisiko: Insulin-behandelte Frauen mit Diabetes haben wahrscheinlich ein

erhöhtes Unfallrisiko im Bereich „Sonstiges“, also imHaushaltsbereich. Dass Haushaltsunfälle sehr häufig vor-kommen und oft auch schwere Verletzungen nach sichziehen, ist bekannt. Trotzdem ist dies als Schulungs-schwerpunkt in den Diabetiker-Schulungen bislang nichtvertreten.

Das akzeptable Risiko

Die beiden zentralen Komponenten der Risikoabschätzungsind das Schadensausmaß oder die Schwere und die Ein-tritts-Wahrscheinlichkeit bzw. die Häufigkeit (RENN 2005),(Abb. 1a). In der arbeitsmedizinischen und diabetologi-schen Literatur wird nicht nur oft fälschlich das Hypogly-kämie-Risiko mit dem Unfall-Risiko gleichgesetzt. Es wirddarüber hinaus nahezu ebenso häufig stillschweigend voneinem so genannten „Null-Risiko“ ausgegangen („Es könn-te ja was passieren!?“), wenn die berufliche Eignung vonMenschen mit Diabetes beurteilt werden sollen. Dabei istdas Leben grundsätzlich mit einem „Null-Risiko“ nicht ver-einbar, selbst der Weg auf die andere Straßenseite ist mit ei-nem Risiko behaftet. Fordert man daher nur von Diabeti-kern im Arbeitsumfeld eine Eliminierung nahezu jeglichenRisikos, ist dies eine Diskriminierung, da man gleiche Risi-ken bei anderen Personen oder Tätigkeitsbereichen akzep-tiert (RINNERT 2006).

Es kann also im Rahmen der beruflichen Eignungsfin-dung nur um die Abgrenzung eines Arbeitsumfeldes mitakzeptablen Risiko gegenüber einem zu vermeidenden,d.h. inakzeptablen Risiko gehen (Abb. 1b). Da die Festle-gung von Risikobereichen keine statische Größe ist, son-dern in verschiedenen Gesellschaften und auch innerhalbvon Betrieben und selbst Arbeitsfeldern variabel ausgelegtwerden (in unserer Gesellschaft wird z.B. das erhöhte Un-fallrisiko von jugendlichen Autofahrern nicht toleriert),gibt es auch eine „Grauzone“, das so genannte „Grenzrisi-ko“.

Als Sicherheit wird eine Sachlage bezeichnet, bei der dasnoch vorhandene Restrisiko nicht größer als das Grenzrisi-ko ist. Dabei ist unter Grenzrisiko das größte noch vertret-bare Risiko eines bestimmten technischen Vorgangs oderZustands zu verstehen (MÜLLER 2005).

Maßnahmen der Arbeitssicherheit, wie auch des Ge-sundheitsschutzes und die oben beschriebenen Kompensa-tionsmöglichkeiten können als Interventionen dienen, umden Mensch mit Diabetes aus dem Arbeitsfeld mit ver-meidbarem Risiko in den Bereich des akzeptablen Risikoszu führen (Abb. 1a und 1b), z.B. seitens des Patienten unddes Diabetologen mit guter Schulung und Therapie undbeispielsweise einem Hypoglykämiewahrnehmungstrai-ning (BGAT) bei entsprechender Indikation.

Die Abb. 1c zeigt die Zusammenhänge zwischen denBegriffen Mensch mit speziellem Merkmal, Gefährdung,gefahrbringende Bedingung, konkrete Gefahr und statisti-schem Risiko sowie Notwendigkeit des räumlichen undzeitlichen Zusammentreffens.

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Abb. 1a: Definition: Risiko, in Verbindung mit Abb. 1b: Akzeptables und inakzeptables Risiko.

Abb. 1c: Gefahr und Gefährdung.

a) b)

Elemente einer differenzierten und strukturiertenBeratung und Beurteilung

Paradigmenwechsel: Von der Defizitorientierung zurRessourcenorientierung

Die hier gezeigte Betrachtungsweise bedeutet einen Wandelin der Begutachtung von Menschen mit Diabetes in Hin-blick auf ihre berufliche Eignung, weg von einer pauschalenund verengten Beurteilung nach Diagnoselisten oder Thera-pieschemata hin zu einer individuellen Beurteilung, die ne-ben der Analyse der tatsächlichen Gefährdung durch dieTätigkeit die individuelle Leistungsfähigkeit in Form der ge-nannten Funktionen berücksichtigt und beides miteinander

in Beziehung setzt. Dies entspricht einerseits dem Wandel inder Berufswelt: weg von einem fast lebenslang ausgeübtenBeruf mit umschriebenen Tätigkeiten und damit verbunde-nen Gefährdungen hin zu wechselnden beruflichen Anfor-derungen mit sich daraus auch ergebenden veränderlichenGefährdungspotentialen. Andererseits geht diese moderneBetrachtungsweise auch weg von starren Therapieschematamit streng zugeordneten Nebenwirkungen und Risiken hinzu den seit vielen Jahren verfügbaren variablen Therapie-optionen. Zudem werden, was ganz wichtig wird in Anbe-tracht der sozioökonomischen Entwicklung, dadurch ältereund gehandikapte Menschen, die zunehmend aus ökono-mischen Gründen weiter im Erwerbsleben bleiben müssen,nicht aus dem Arbeitsleben von vornherein ausgegrenzt undsomit diskriminiert (TRIEBIG et al. 2003).

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Zur Qualität der Zusammenarbeit (von Patient, Haus-arzt, Diabetologen und Betriebsarzt)

Kooperation ist sicher wichtig! Aber wie kann man dieseherbeiführen und beurteilen? Zur Überprüfung seien eini-ge sehr einfache aber entscheidende Fragen genannt:

1. Kennt der Mensch mit Diabetes seinen Betriebsarzt?2. Kennt der Betriebsarzt den behandelnden Hausarzt

oder Diabetologen?3. Kennt der Diabetologe den betreuenden Betriebsarzt?

Daraus leiten sich folgende konkrete Orientierungspunktefür eine verantwortbare Beurteilung von Menschen mitDiabetes in risikoreichen Berufen ab:

„Checkliste für Diabetiker am Arbeitsplatz“

Bei der nachfolgend aufgeführten „Checkliste“ handelt essich um Voraussetzungen für eine verantwortbare Eig-nungsbeurteilung eines Menschen mit Diabetes in einemBeruf, bei dessen Ausübung realistisch eine Selbst- und/odereine Fremdgefährdung eintreten kann. Diese Vorbedingun-gen gelten für alle medikamentös behandelten Menschenmit Diabetes, bei denen es durch die medikamentöse The-rapie zu einer Hypoglykämie kommen kann. Es sollen keinemetabolischen Sollwerte, sondern Zielwerte in Form einerAbfrage von medizinischen und sozialen Funktionen darge-stellt werden. Die individuellen Zielwerte sind von den Ge-sprächspartnern miteinander zu vereinbaren.

1. Nachweisbare Zusammenarbeit von Patient, Haus-arzt/Diabetologen und Betriebsarzt

2. Gute Stoffwechseleinstellung (Blutzucker/HBA1c)3. Blutzuckerselbstmessung und Dokumentation4. Demonstration von Blutzuckermessung und ggf. der

Insulininjektion vor Ort (möglichst im Betrieb bzw.am Arbeitsplatz oder in der Praxis)

5. Gute, insbesondere zuverlässige Mitarbeit des Patien-ten

6. Nachweis einer durchgeführten geeigneten Schulung7. Bestätigung der anderen beteiligten Ärzte, dass es bis-

lang zu keiner schweren Hypoglykämie und anderenrelevanten Folgeerkrankungen gekommen ist.

8. Gute Kenntnis des Arbeitsplatzes, Ausschluss von be-sonderen Gefahren für Dritte bei leichten Hypoglykä-mien

9. Möglichkeit der Tätigkeitseinschränkungen oder ggf.auch -unterbrechung bei Therapieneueinstellung oder-änderung

10. Regelmäßige und kurzfristige arbeitsmedizinische unddiabetologische Kontrollen (ca. alle 6 bis 12 Monate)

11. Information des Unternehmers und der direkten Kol-legen des Menschen mit Diabetes über die Erkrankungund mögliche Notfallmaßnahmen, z.B. durch denMenschen mit Diabetes

12. Möglichst sorgfältige allgemeine Information des Un-ternehmers durch den Betriebsarzt

Anmerkungen:

● Diese Liste soll der Orientierung dienen und ist nicht alsabschließend zu betrachten.

● Im begründeten Einzelfall kann auf einzelne Aspekteggf. zu einem späteren Zeitpunkt eingegangen werden.

● Begründete individuelle Abweichungen oder Ergänzun-gen werden sicher erforderlich sein.

● Begriffe wie z.B. „gute Stoffwechseleinstellung“ sinddurch die Beteiligten, in Anlehnung an aktuelle Behand-lungsleitlinien, individuell zu definieren.

Epidemiologie

Mehr Menschen mit Diabetes im Betrieb

Zunehmend mehr Menschen mit Diabetes mellitus werdenin den nächsten Jahren und Jahrzehnten im Arbeitsprozessstehen. Dafür gibt es mindestens fünf gute Gründe:

1) Die Lebenserwartung von Menschen mit Diabetesnimmt weiter zu:

Die Lebenserwartung von Menschen mit Typ-1 und Typ-2-Diabetes ist zwar gegenüber der nicht-diabetischen Bevöl-kerung noch vermindert, im Mittel um etwa 2,5 Jahre, be-zogen auf die Todesursachenstatistik aus dem Jahr 2000.(Das durchschnittliche Alter der gestorbenen Diabetikerlag im Jahr 2004 bei 79,1 Jahren.) Es ist aber ein deutlicherAnstieg der Lebenserwartung von Menschen mit Diabetesinnerhalb der letzten Jahrzehnte, insbesondere bei Typ-1-Diabetikern, nachweisbar. So stieg die Lebenserwartung al-ler Diabetiker seit 1980 durchschnittlich um 5,1 Jahre(Statistisches Bundesamt 2004).

2) Die Inzidenz nimmt zu:

Seit Beginn der 90er Jahre ist Inzidenz des Typ-1-Diabetesbei Kindern und Jugendlichen in Deutschland unter 15 Jah-ren jährlich um 3 bis 3,6% pro angestiegen und liegt inWestdeutschland regional um 13,4/100000 Personenjahre(GIANI et al. 2004, HAUNER 1998). Sie steigt altersbezogenan bis über das 60. Lebensjahr.

3) Die Prävalenz für Diabetes und Prädiabetes nimmt dra-matisch zu:

Für das Jahr 2001 wird die Häufigkeit von behandeltenDiabeteserkrankungen in Deutschland mit 7% angegeben.Demnach war bei ca. 5,8 Millionen Menschen in Deutsch-land ein Diabetes bekannt. Ausgehend von Daten aus demJahr 1988 zeigt dies einen Anstieg der Diabetesfälle um ca.43%. Mit einem weiteren Anstieg ist zu rechnen (Abb. 2).Die Zunahme der Prävalenz betrifft überwiegend Typ-2-Diabetiker. Die Prävalenz für den unentdeckten Diabetes

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Abb. 2: Entwicklung der Diabetesprävalenz seit 1960 in Deutsch-land auf der Grundlage bevölkerungsbasierter Erhebungen (Deut-scher Gesundheitsbericht 2005).

ist wahrscheinlich auch noch einmal so hoch wie die desDiabetes in der Altersgruppe über 40 Jahre (GIANI et al.2004, HAUNER 1998, ICKS et al. 2005).Als wesentliche Ursachen für den Anstieg der Diabetes-häufigkeit in der Bevölkerung gelten der weitere Anstiegdes Übergewichts (Risikofaktor Nr.1), aber auch verbes-serte Therapieoptionen (medikamentöse Behandlung undSchulung) und eine frühzeitigere Diagnosestellung.

Der Diabetes mellitus liegt deutlich häufiger vor bei äl-teren Menschen als bei jüngeren: So erkranken im Alterzwischen 40 und 59 Jahren zwischen 4 und 10% der Frau-en und der Männer an einem Diabetes, bei Menschen imhöheren Alter (ab 60 Jahre) steigt die Prävalenz auf bis zu30% (ICKS et al. 2005, Deutscher Gesundheitsbericht

2005). Dies ist bedeutsam im Zusammenhang mit der Er-höhung des Renteneinstiegsalters.

4) Das Renteneinstiegsalter steigt:

Das Kabinett legte am 1.2.2006 fest, dass das Rentenein-trittsalter ab 2012 schrittweise bis 2029 erhöht wird. Abdann wird es eine Rente erst mit 67 geben (Spiegel online2006). Auch dadurch werden mehr ältere Menschen imArbeitsprozess stehen.

5) Die Überalterung der Bevölkerung nimmt dramatischzu:

Bereits in wenigen Jahren wird der Anteil der über 50-Jährigen stark ansteigen, weil die geburtenstarken Jahr-gänge, die so genannten Baby-Boomer, nun auch älter wer-den. Im Jahr 2020 wird mehr als jeder dritte Erwerbstäti-ge älter als 50 sein. Erstmals wird es dann in den Betriebenmehr 50-Jährige als 30-Jährige geben (SEDLATSCHEK undTHIEHOFF 2005) (Abb. 3).

Fazit:

Betrachtet man die vorgelegten Zahlen im Zusammen-hang, dann lag die Anzahl der Menschen mit Diabetes imerwerbsfähigen Alter im Jahr 2000 bei ca. 2,5 Mill. Perso-nen und wird bis zum Jahr 2020 auf ca. 2,8 Mill. Personenansteigen. Unternehmen sollten daher den demographi-schen Wandel schon jetzt in ihrer Personalstrategie berück-sichtigen, da ein „Aussortieren“ (Frühberentung) von älte-ren oder leicht gehandikapten Menschen nicht mehr mög-lich sein wird, zumal diese „Merkmale“ die Mehrzahl derBeschäftigten betreffen werden.

Abb. 3: Altersstruktur der Beschäftigten: Bevölkerung im Erwerbsalter und Altersgruppen in Prozent,Deutschland 2000 bis 2050.

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Das Phänomen „Diabetes im Arbeitsumfeld“

Diabetes im Arbeitsumfeld wird vielerorts als problema-tisch angesehen. Dabei gibt es neben Nachteilen, die mitder Diabeteserkrankung verbunden sein können, auch in-teressante positive Aspekte:

Erhöhte durchschnittliche Arbeitsunfähigkeitsdauer

Ein statistisches Handicap für Betriebe, die Menschen mitDiabetes einstellen, kann die erhöhte Zahl von ca. 20 Ar-beitsunfähigkeitstagen pro Jahr sein. Die durchschnittlicheArbeitsunfähigkeitsdauer betrug im Jahr 2004 diagnoseun-abhängig aber auch immer noch 12,2 Tage (MEISEL 2005)(Abb. 4).

Tatsächlich spielt diese Frage der möglichen Abwesen-heit vom Arbeitsplatz gerade auch für große Betriebe einesehr bedeutende Rolle. Auch unter dem Vorwand der Un-fallrisikoprävention wird oft Menschen mit Diabetes derZugang zu interessanten und lukrativen Arbeitsplätzenverwehrt. Interne Mitteilungen großer Firmen bestätigenaber, dass die statistisch erhöhte Arbeitsunfähigkeitsdauerdas Haupthindernis für eine Einstellung oder eine Weiter-beschäftigung nach Vertragsablauf ist.

Verlorene Erwerbstätigkeitsjahre

Dabei handelt es sich um kalkulatorische Kennzahlen, mitderen Hilfe die durch Arbeitsunfähigkeit, Invalidität undvorzeitigen Tod potenziell resultierenden Verluste für eineVolkswirtschaft abgebildet werden. Bei der erwerbstätigenBevölkerung sind im Jahr 2004 insgesamt 4,2 Mill. Er-werbstätigkeitsjahre durch Arbeitsunfähigkeit, Invaliditätund vorzeitigen Tod verloren gegangen. Verletzungen undVergiftungen verursachten den höchsten Verlust an Er-werbstätigkeitsjahren. 22,9% aller verlorenen Erwerbs-

tätigkeitsjahre waren im Jahr 2004 darauf zurück zu-führen. An zweiter Stelle stehen mittlerweile psychischeund Verhaltensstörungen mit 15,5% der verlorenen Er-werbstätigkeitsjahren, gefolgt von Muskel-Skelett- undBindegewebserkrankungen mit 12,7% der Erwerbstätig-keitsjahre. Danach folgen Neubildungen mit 11,6 % unddann die Krankheiten des Kreislaufsystems mit 9,4 % derverlorenen Erwerbstätigkeitsjahre. Der Diabetes verur-sacht nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes da-gegen „nur“ verlorene Erwerbstätigkeitsjahre von insge-samt 0,86% (0,036 Mill.). Andere Erkrankungen domi-nieren also das AU-Geschehen, nicht aber der Diabetesbzw. die Diabetiker (BÖHM 2006)!

Erkrankungsarten

Pathophysiologisch sind verschiedene Krankheitsformenzu unterscheiden, die gemeinsame Symptome aufweisen.Es liegt entweder eine gestörte Insulinsekretion oder eineverminderte Insulinwirkung oder auch beides zugrunde.Die Stoffwechselstörung kann durch adäquate Ernährung,Tabletteneinnahme oder Insulininjektionen sowie durchRegelung der körperlichen Belastung und selbst durchge-führte Stoffwechselkontrollen mit Therapieanpassung er-folgreich behandelt werden.

Der Typ-1-Diabetes, der bei ca. 5 % der Diabetiker miteiner Gesamtzahl von 200000 bis 250 000 Menschen mitDiabetes auftritt, ist gekennzeichnet durch eine progre-diente Zerstörung der insulinproduzierenden B-Zellen inden Langerhansschen Inseln des Pankreas. Es besteht einInsulinmangelsyndrom mit den klassischen Zeichen derPolyurie, Polydypsie, Ketose, Azidose und Gewichtsver-

Abb. 4: Arbeitsunfähigkeitsdauer in Kalendertagen nach Diagnosen

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lust. Der Typ-1-Diabetes tritt bevorzugt im Kindes- undJugendlichen- sowie im frühen Erwachsenenalter auf, erkann sich jedoch auch als LADA-Diabetes (Late autoim-mune-diabetes in adults) im späten Erwachsenenalter ma-nifestieren.

Zahlenmäßig im Vordergrund steht der Typ-2-Diabetesbei etwa 95% der Diabetiker, bei dem das metabolischeSyndrom mit Hyperglykämie, Hyperlipidämie, Hypertonieund Hyperinsulinämie imponiert. Pathogenetisch liegendabei ein peripherer Defekt mit Insulinresistenz sowie einSekretionsdefekt zugrunde. Neben einer genetischen Dis-position spielen als Realisationsfaktoren Übergewicht, un-gesunde Ernährung sowie mangelnde körperliche Aktivitätund höheres Lebensalter eine ausschlaggebende Rolle.

Sowohl beim Typ-1- als auch beim Typ-2-Diabetes er-fordert die Behandlung von dem Betroffenen ein besonde-res Maß an Kenntnissen über seine Erkrankung sowie anMotivation zur optimalen Selbstbehandlung und damitverbunden an Disziplin und Selbstverantwortung. Auf-grund der hohen Prävalenz des Diabetes und der dadurchsich ergebenden sozioökonomischen Dimension der Stoff-wechselkrankheit hat der Diabetes auch eine besonderevolkswirtschaftliche Bedeutung insofern, als möglichst vie-le Diabetiker im erwerbsfähigen Alter in den Arbeitspro-zess integriert werden sollten.

Die modernen Therapieformen des Diabetes mit neuenoralen Antidiabetika und intensivierter Insulintherapie mitKurzzeitinsulinen, Pen und Pumpe und evtl. Inhalationund Insulin ermöglichen eine bessere Behandlung und einebessere Anpassung an unterschiedliche Gegebenheiten.Durch die zunehmende Vielfalt von Berufen und Tätigkei-ten innerhalb einzelner Berufsfelder erscheint heutzutage injedem Einzelfall eine differenzierte Abstimmung zwischenberuflichen Gegebenheiten einerseits und individuellenkrankheitsbedingten Einschränkungen andererseits not-wendig.

Prognose

Die Prognose des Diabetes mellitus ist neben einer geneti-schen Prädisposition stark davon abhängig, inwieweit esgelingt, den Blutglukosewert im Sinne einer „Nahe-Normo-glykämie“ einzustellen. Die großen prospektiven Diabetes-studien konnten sowohl für Typ-1-Diabetiker (DiabetesControl and Complications Trial) (The Diabetes Controland Complications Trial Research Group 1993) als auchfür Typ-2-Diabetiker (UK Prospective Diabetes StudyGroup 1998) einen klaren Zusammenhang zwischen derGüte der Stoffwechseleinstellung und dem Auftreten vonprognosebestimmenden mikro- und makrovaskulären Fol-geerkrankungen aufzeigen.

Kennzeichnend für die Mikroangiopathie ist, dass mitzunehmender Dauer der Erkrankung durch die gestörtenStoffwechselprozesse die Kapillarwände immer dicker wer-den. Dies erschwert die Ernährung, insbesondere die Stoff-wechselversorgung der umliegenden Gewebe mehr und

mehr, bis es schließlich zu Funktionsstörungen und letzt-endlich zu bleibenden Schäden bis hin zum Absterben vonGeweben kommt.

Am Auge manifestieren sich die Spätschäden als diabe-tische Retinopathie, nach 15 Jahren Zuckerkrankheit sindbei Typ-1-Diabetikern 90%, bei Typ-2-Diabetikern ca.50% betroffen (KLEIN et al. 1984a, KLEIN et al. 1984b).Durch Blutung in den Glaskörper des Auges und Ablösungder Netzhaut kann es zum teilweisen bis völligen Verlustder Sehkraft kommen. Auch andere diabetische Augenver-änderungen können zur Erblindung führen, weswegen einejährliche Augenhintergrunduntersuchung bei Diabetikernunerlässlich ist.

Die Prävalenz der sensomotorischen diabetischen Neu-ropathien liegt bei Patienten mit Typ-1- oder Typ 2-Diabe-tes im Mittel bei etwa 30 % (ZIEGLER 1994). Das Auftretenist vor allem abhängig von der Diabetesdauer und der Güteder Stoffwechseleinstellung. Am häufigsten sind Gefühls-störungen der Füße und Unterschenkel, im weiteren Ver-lauf mit Störung des Temperatur- und Vibrationsempfin-dens. Dies birgt die Gefahr des diabetischen Fußsyndroms,bei dem es durch unbemerkte Verletzungen am Fuß zuKomplikationen bis hin zur Amputation des Beines kom-men kann. Auch die Nervenversorgung der inneren Orga-ne kann von der fortschreitenden Nervenschädigung be-troffen sein (autonome Neuropathie). 10–20% der Typ-2-Diabetiker haben schon bei Diagnosestellung eine Neu-ropathie des Herz-Kreislauf-Systems, nach 20-jährigerKrankheitsdauer 50%. Die Prävalenz der autonomen dia-betischen Neuropathie bei Typ-1-Diabetikern liegt bei36% (KEMPLER 2002).

An der Niere führt ein länger bestehender Diabetesmellitus durch die Mikroangiopathie zur diabetischenNephropathie oder Glomerulosklerose (KIMMELSTIEL-WIL-SON). In Deutschland ist der Anteil der Patienten mit Dia-betes unter Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz von36% im Jahre 1990 auf 59 % im Jahre 1995 angestiegen(RITZ 1996b). Frühzeitig kommt es bei einer diabetischenNierenschädigung zu einer vermehrten Eiweißausschei-dung, weswegen der Urin jährlich auf Mikroalbumine (Al-buminausscheidung = 20mg/l) untersucht werden soll.Auch hier steht das Auftreten einer Nierenschädigung inengem Zusammenhang mit der Diabetesdauer und derGüte der Stoffwechseleinstellung sowie der Genetik. Durcheine frühzeitige Behandlung eines Bluthochdrucks, auchwenn er anfangs nur grenzwertig erhöht ist, kann das Fort-schreiten einer diabetischen Nephropathie verzögert wer-den. Dies gilt insbesondere für Medikamente aus derGruppe der ACE-Hemmer, die auch gleichzeitig die Sterb-lichkeit bei Diabetikern verringern (LEWIS 1993).

Die Makroangiopathie ist keine diabetesspezifischeErkrankung sondern entspricht der Atherosklerose, derGefäßverkalkung, die jeden treffen kann. Nur tritt sie beiDiabetikern sehr viel häufiger und früher auf – männlicheDiabetiker weisen ein 1,5- bis 2,5-fach, Diabetikerinnenein 4-fach höheres relatives koronares Mortalitätsrisikoauf (PANZRAM 1984, PANZRAM 1987a).

Somit ist die Gesamtprognose des Diabetikers ent-scheidend von der Behandlung der Stoffwechselstörung

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selbst und der Behandlung der Begleiterkrankungen – undhier insbesondere des arteriellen Hypertonus – abhängig(UK Prospective Diabetes Study Group 1998).

Grundlage einer erfolgreichen Therapie des Diabetesmellitus ist die Patientenschulung und -aufklärung. Hierbeigeht es einerseits darum, das Wissen über die Krankheitund ihre Therapie zu vermitteln, andererseits ist die Ver-mittlung der Fähigkeit zum adäquaten Umgang mit derErkrankung im (beruflichen) Alltag zentraler Bestandteileines jeden Diabetesschulungsprogramms.

Medikamentöse Behandlung

Zur medikamentösen Behandlung des Diabetes mellitusstehen Tabletten (orale Antidiabetika) und Insulin zur Ver-fügung. Ein Typ-2-Diabetiker wird in der Regel zunächstmit Diät und, wenn dieses nicht ausreicht, zusätzlich mitTabletten behandelt. Sollte mit dieser Therapie jedochnicht das gewünschte Therapieziel erreicht werden, so isteine Insulintherapie – evtl. nur ergänzend – angezeigt. Typ-1-Diabetiker hingegen müssen stets mit Insulin behan-delt werden.

Orale Antidiabetika

Es gibt verschiedene Wirkprinzipien bei oralen Antidiabe-tika. Eine Möglichkeit ist die Verzögerung der Kohlenhy-drat-Aufnahme, wodurch nach dem Essen eine Entgleisungdes Blutzuckers nach oben vermieden werden kann. Diesbewirken Alpha-Glukosidasehemmer, beispielsweise mitden Wirkstoffen Acarbose und Miglitol. Sie werden zuBeginn einer Mahlzeit eingenommen und bewirken eineHemmung von Enzymen in der Dünndarmschleimhaut, sodass die Spaltung und damit die Aufnahme von Kohlen-hydraten aus dem Darm ins Blut verzögert wird. AuchFüll- und Quellstoffe bewirken eine langsamere Nahrungs-resorption, wie Guar, das unverdauliche Polysaccharid derindischen Büschelbohne.

Biguanide sind eine Substanzgruppe, die sowohl dieZuckerresorption verzögern als auch die Zuckerneubil-dung in der Leber hemmen. Zudem fördern Medikamentedieser Gruppe die Aufnahme von Zucker in die Muskula-tur und bremsen den Appetit. Auf diese Weise senkt Met-formin den Blutzucker und hilft beim Abspecken – wes-wegen Biguanide die Mittel der Wahl bei übergewichtigenMenschen mit Typ-2-Diabetes sind, sofern keine Kontra-indikationen bestehen. Eingenommen werden sie bei odernach den Mahlzeiten.

Glitazone verbessern die Empfindlichkeit der Zellenfür Insulin, wodurch der Blutzuckerspiegel effektiv gesenktwird. Zu diesen „Insulin-Sensitizern“ gehören beispiels-weise Rosiglitazon und Pioglitazon.

Sulfonylharnstoffe (SH) wie Glibenclamid und Glimepi-rid erniedrigen die Blutzucker-Schwelle, ab der die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse Insulin freisetzen. Geeignet

sind sie bei Typ-2-Diabetes, wenn noch ausreichend Insulinvom Körper gebildet wird, aber Diät und insulinresistenz-mindernde Präparate alleine nicht genügten, den Blutzuckerausreichend zu senken. Hypoglykämien sind möglich unddann oft lange anhaltend.

Glinide, auch als „Sulfonylharnstoffanaloga“ bezeich-net, regulieren den Blutzucker nach einer Mahlzeit dadurch,dass sie die kurzfristige Insulinfreisetzung aus den Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse anregen. Glinide wie etwaRepaglinide oder Nateglinide werden zu den Mahlzeiteneingenommen, ähnlich einer intensivierten Insulintherapie.Obwohl die schnelle und kurze Wirkung eine flexiblere An-wendung erlaubt und die Gefahr der Unterzuckerung gerin-ger als bei Sulfonylharnstoffen ist, setzt die Anwendung vonGliniden ebenfalls eine gute Schulung des Patienten voraus.

Insulin

Angezeigt ist eine Insulintherapie immer bei Typ-1-Diabe-tes (auch insulinabhängiger Diabetes genannt) und beiTyp-2-Diabetes, wenn Diät zusammen mit Tabletten nichtmehr ausreichen, um den Blutzucker auf angemesseneWerte zu senken.

Heutzutage wird grundsätzlich mit gentechnologischhergestelltem Humaninsulin behandelt.

● Kurzwirkende Normalinsuline werden meist Blutzuckerabhängig etwa 15 Minuten vor der Mahlzeit subkutangespritzt und haben ihren Wirkgipfel nach etwa 1–2Stunden.

● Kurzwirksame Insulinanaloga (z.B. Insulin Lispro oderInsulin Aspart) werden nach subkutaner Injektion nochschneller resorbiert, so dass der Spritz-Ess-Abstandkomplett wegfallen kann. Hierdurch kann das Risikofür Hypoglykämien unter anderem wegen der fehlendenNotwendigkeit von Zwischenmahlzeiten gesenkt wer-den (SIEBENHOFER 2004).

● Verzögerungsinsuline haben durch die Kristallisierungmit Hilfe von Protamin (NPH-Insulin) oder Zink bzw.durch die Ausfällung saurer Insuline durch Neutralisa-tion infolge der Gewebsflüssigkeit in der Spritzstelle ei-ne längere Wirkungsdauer. Intermediärinsuline wirkendabei 9–18 Stunden, Langzeitinsuline über 24 Stunden.

● Gängig sind heutzutage auch Insulinmischungen auskurzwirkendem und Intermediärinsulin. Für praktischalle Bedürfnisse stehen mittlerweile entsprechendePräparate zur Verfügung. Der Abstand zum Essen nachdem Spritzen beträgt normalerweise 30 Minuten, je-doch kann auch hier bei einer Mischung eines schnell-wirksamen Insulinanalogons mit einem Intermediärin-sulin auf einen Spritz-Ess-Abstand verzichtet werden.

Bei der konventionellen Insulintherapie kommen Interme-diärinsuline oder Insulinmischungen zum Einsatz. Da dieSubstitution von Insulin möglichst dem Bedarf angepasstwerden soll, ist eine befriedigende Einstellung meist nurdurch täglich zwei Injektionen zu erreichen. Nur in Aus-nahmefällen reicht eine einmalige Insulingabe pro Tag. Beider Zweispritzentherapie werden morgens 2/3 bis 3/4 der

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Tagesdosis gespritzt, der Rest vor dem Abendessen. Auf-grund der Insulinspiegel der Mischinsuline sind feste Kost-pläne mit 6–7 Haupt- und Zwischenmahlzeiten erforder-lich, um eine stabile Stoffwechselsituation zu erreichen.

Eine bessere Einstellung erfordert oft drei Injektionen:Bspw. morgens Mischinsulin – mittags kurzwirkendes In-sulin – und abends wieder Mischinsulin. Durch die Kom-bination von kurz- und langwirksamem Insulin kann dieDosis dem tatsächlichen Insulinbedarf des Körpers ange-passt werden. Wichtigster Nachteil dieser Therapieformmit starr vorgegebenen Insulindosen: Der Patient muss zufesten Zeiten essen, ob er will oder nicht – sonst droht ihmeine Unterzuckerung.

Bei der intensivierten Insulintherapie wird versucht,den Insulinspiegel so optimal wie möglich an den Insulin-spiegel eines Gesunden anzupassen. Dabei wird der Insu-linspiegel aufgegliedert in eine Basalrate an Insulin sowiezusätzliche mahlzeitenabhängige Insulinspritzen. Es gibtzwei Möglichkeiten der Nachahmung eines normalen In-sulinspiegels:Bei der intensivierten konventionellen Insulintherapie(ICT) testet der Mensch mit Diabetes selbst vor den Mahl-zeiten den Blutzuckerspiegel und bestimmt abhängig vonder Größe der Mahlzeit, der Tageszeit und der geplantenkörperlichen Belastung die entsprechende Insulindosis. Zu-sätzlich wird immer ein langwirksames Insulin eingesetzt.Diese Art der Therapie erlaubt in der Regel eine bessere in-dividuelle Anpassung der Therapie an den Tagesablauf unddie Bedürfnisse eines Diabetikers, erfordert jedoch eineintensive Schulung, täglich mindestens vier Blutzucker-selbstkontrollen und die Fähigkeit des Patienten, die Insu-lindosis jeweils zu bestimmen. Allerdings kommt nichtjeder Patient damit zurecht.

Bei der Insulinpumpentherapie (Continuierliche Sub-cutane Insulininfusion: CSII) übernimmt eine kleine Pum-pe das Spritzen des Insulins. Kontinuierlich wird Insulinvon einer kleinen äußerlich sitzenden Pumpe unter dieHaut gegeben. Verwendet wird ausschließlich kurzwirken-des Insulin. Die Blutzuckerkontrolle erfolgt jedoch nachwie vor durch den Patienten, der dann zu den Mahlzeitenden entsprechenden Insulinbolus abruft. Die Erfordernissean Patienten bei dieser Therapieform entsprechen denen,die an Patienten mit ICT gestellt werden.

Die Komplexität der Beurteilung im Einzelfall wirddurch die vorstehende Auflistung von Einflussfaktoren nurandeutungsweise beleuchtet. Hier ist nicht nur diabeto-logische Fachkompetenz sondern auch ein spezifischesFachwissen im Hinblick auf die beruflichen Anforderun-gen verlangt. Neben einer ausführlichen diabetologischenUntersuchung (inklusive einer Untersuchung auf autonomeFehlfunktionen) ist zur Beurteilung einer berufsbedingtenGefährdung im Regelfalle auch eine Arbeitsplatzbegehungerforderlich. In den folgenden Kapiteln werden die berufs-spezifischen Besonderheiten näher beleuchtet. Die durchdie Erkrankung selbst bedingte Gefährdung und Beein-trächtigung muss individuell diabetologisch abgeklärt wer-den und kann unter Umständen durch eine Therapieum-stellung (z.B. von einer ICT auf eine Insulinpumpenthera-pie) durch den Behandler im Sinne des Berufswunsches des

Patienten beeinflusst werden. Durch eine Anpassung derTherapieziele, intensivere Stoffwechselselbstkontrolle mitoptimierter Therapieanpassung und evtl. auch durch einHypoglykämiewahrnehmungstraining kann das Risiko fürschwere Hypoglykämien so gemindert werden, dass eineNeubewertung des Leistungsvermögens zu einer wenigereinschränkenden Beurteilung führen kann.

Ernährung

Trotz großer Fortschritte in der Pharmakotherapie desDiabetes spielt die Ernährung weiterhin eine zentrale Rolleals Basis der Behandlung. Dabei ist ein Paradigmenwechselvon der „Diät“ zu einer individuell zu handhabenden „ge-sunden Ernährung“ eingetreten.

Besonders die Grundlagen der Ernährungsempfehlun-gen für Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 unterschei-den sich dabei nicht wesentlich von denen, die auchGrundlage der Empfehlungen für die Allgemeinbevölke-rung zur Erhaltung der Gesundheit sind (The DiabetesControl and Complications Trial Research Group 1993).Voraussetzung ist allerdings eine gründliche Schulung desPatienten über die Wirkung verschiedener Kohlenhydrateauf den Glucosestoffwechsel. Da heute die intensivierteInsulintherapie nach dem Basis-Bolus-Konzept als Stan-dardtherapie des Typ-1-Diabetes gilt, muss die prandialeInsulintherapie auf die jeweilige Kohlenhydratmenge ange-passt sein.

Bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes stellt die Er-nährungstherapie einschließlich einer dafür notwendigenSchulung und Beratung die Grundlage aller therapeuti-schen Maßnahmen dar. Ganz wesentlich ist die individuel-le Anpassung der täglichen Kalorienzufuhr vom Gewichtdes Patienten abhängig. Bei Übergewicht steht eine Reduk-tionskost mit Limitierung und Modifizierung der Fettzu-fuhr im Vordergrund (Praxis-Leitlinien der Deutschen Dia-betes-Gesellschaft 2002). Normalgewichtige benötigenkeine Reglementierung der Energiezufuhr.

Grundlagen der Empfehlung zur qualitativen Zusam-mensetzung der Ernährung stellen die evidenzbasiertenEmpfehlungen der Europäischen Diabetes-Gesellschaft dar(MANN et al. 2004), die TOELLER im März 2005 publizierte(TOELLER 2005).

● Eine Salzreduktion ist für Diabetiker insbesondere mitbegleitender Hypertonie geeignet.

● Eine moderate Alkoholaufnahme (bis 10g/Tag bei Frau-en und bis zu 20g/Tag bei Männern) ist tolerabel, soll-te aber bei insulinbehandelten Diabetikern wegen derHypoglykämiegefahr von einer Kohlenhydrataufnahmebegleitet werden. Patienten mit Polyneuropathie, Hy-pertriglyzeridämie, anamnestischem Alkoholabusus so-wie Frauen während der Schwangerschaft sollten kei-nen Alkohol konsumieren.

● Für die Empfehlung zum Verzehr spezieller Diabetiker-produkte oder Diätprodukte für Diabetiker finden sich

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keine Begründungen. Fruktose, Zuckeralkohole und an-dere energiehaltige Zuckeraustauschstoffe haben gegen-über der Verwendung von üblichem Zucker (Saccharo-se) für Menschen mit Diabetes keine nennenswertenVorteile und sollten nicht empfohlen werden. Ener-giefreie Süßstoffe können in Getränken sinnvoll sein(TOELLER 2000).

Voraussetzung einer Umsetzung der aktuellen Empfehlun-gen zur Ernährung bei Diabetes ist eine gute Schulung undBeratung, gegebenenfalls auch Nachschulung, da überhol-te „Diätvorschriften“ oft immer noch angewendet werden.Dies sollte sich aber auch auf das Personal vonGroßküchen und Kantinen beziehen, aus denen berufstäti-ge Diabetiker oft ihre Mahlzeiten beziehen. Gut geschulteDiabetiker können grundsätzlich durchaus an Gemein-schaftsverpflegungen teilnehmen. Zwischenmahlzeiten, dieim Rahmen einer Insulintherapie oder oralen Medikationz.B. mit Sulfonylharnstoffen erforderlich sein können, wer-den in der Regel vom Diabetiker selbst mitgebracht. Dabeisollte u.U. dem erwerbstätigen Diabetiker die Möglichkeitgegeben werden, am Arbeitsplatz bzw. in den dafür vorge-sehenen Sozial- oder Pausenräumen eine Zwischenmahl-zeit einzunehmen. Dies kann auch bei körperlich anstren-genden Tätigkeiten zur Vermeidung von Hypoglykämiennotwendig sein.

Kompensation von Eignungsmängeln

Eine arbeitsmedizinische Beurteilung erfolgt tätigkeits- undarbeitsplatzbezogen. Bei der Einschätzung beruflicherMöglichkeiten und Risiken von Personen mit Diabetesmellitus ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalleserforderlich.

Eine pauschale Beurteilung aufgrund der Diagnose„Diabetes mellitus“ ist nicht sinnvoll, da die funktionellenAuswirkungen der Erkrankung sehr unterschiedlich sind.Sie sind unter anderem abhängig von der Schwere der Er-krankung, den bereits eingetretenen Komplikationen, denim Vordergrund stehenden Symptomen, der durchgeführ-ten Behandlung und den weiteren Behandlungsmöglichkei-ten, der Wechselwirkung mit anderen Erkrankungen sowieden weiteren persönlichen Voraussetzungen des zu Begut-achtenden.

Hierbei sollte der Fokus nicht allein auf die gesund-heitlichen Einschränkungen (Diabetestyp und -verlauf,Therapie und mögliche Komplikationen) gerichtet werden,sondern im Sinne eines ressourcenorientierten Ansatzesauch Kompensationsmöglichkeiten mit einbezogen wer-den.

Diese Kompensationsmöglichkeiten können zum einenin der Person begründet sein beispielsweise als

● langjährige berufliche Erfahrung,● Persönlichkeitsstruktur,● reflektierter Umgang mit der Erkrankung,

● vorausschauendes Handeln unter Einbeziehung mögli-cher Risiken in Arbeitsabläufen.

Zum anderen können sie auch in der Qualität der indi-viduellen Stoffwechselführung begründet sein. Es sollteebenso in die Überlegungen einbezogen werden, ob durchgeeignete therapeutische Intervention (wie etwa einer The-rapieanpassung mit Stoffwechseloptimierung, einer Teil-nahme an einer qualifizierten Diabetesschulung und/odereinem Hypoglykämiewahrnehmungstraining) möglicheaktuelle Risiken minimiert werden können.

An dieser Stelle ist anzumerken, dass moderne Diabe-testherapien die Möglichkeiten der individuellen berufli-chen Rehabilitation gerade in den letzten Jahren erheblichverbessert haben. Dies betrifft sowohl die Anpassung derTherapie an die jeweiligen Bedingungen des Arbeitsplatzesals auch die gesundheitliche Prognose.

Allein aus der Diagnose „Diabetes mellitus“ ist esdaher nicht möglich und sinnvoll, auf eine Nichteignungzu schließen. Es ist jeder Einzelfall auf Funktionsde-fizite,

● z.B. des Bewusstseins und weiterer cerebraler Funktio-nen,

● der Persönlichkeit,● der Beweglichkeit und Kraft,● der Sinnesorgane,● der allgemeinen Leistungsfähigkeit und● auf akute und chronische Schmerzen zu prüfen.

Funktionseinschränkungen können sich bei Diabetes melli-tus vor allem aufgrund akuter Komplikationen oder Folge-erkrankungen ergeben. Daneben besteht auch ein erhöhtesRisiko für Begleiterkrankungen, die eine gesonderte Be-wertung verlangen.

Als Akutkomplikationen sind die Hypoglykämie unddie Hyperglykämie, als diabetische Folgeerkrankungen diediabetische Retinopathie, Nephropathie, Polyneuropathie,die Mikro- und Makroangiopathie zu nennen.

Das individuelle Risiko für das Auftreten von Akut-komplikationen – hier insbesondere Hypoglykämien ver-schiedener Schwere – am Arbeitsplatz wird u.a. beeinflusstdurch:

● Bedingungen des Arbeitsplatzes und der Tätigkeit,● Art und Dauer des Diabetes mellitus,● Therapiekonzept,● Suffizienz der Behandlung,● Selbstbehandlungskompetenz,● Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle,● bestehende Begleit- und Folgeerkrankungen,● Vorhandensein einer Hypoglykämiewahrnehmungsstö-

rung („hypoglycemia unawareness“)● Kompensationsmöglichkeiten, z.B. gezielte Coping-

Strategien für spezielle Berufsanforderungen (z.B.Schichtarbeit)

Zu beachten ist, dass alle genannten Punkte durch geeig-nete Intervention modifiziert werden können, also keines-wegs statisch sind.

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Ad 1) Anpassung der Medikamentendosis, Medikamenten- Therapieumstellung (z.B. Wahl eineswirkung Insulins mit anderer Galenik), Verbesserung

der Spritztechnik, Schulung und Selbst-kontrolle

Ad 2) An Therapie angepasste Ernährung, Ernährung Einhalten des Kostplanes, Schulung und

Selbstkontrolle

Ad 3) Anpassung der Insulin- oder Medikamen-körperliche tengabe an den jeweiligen Bedarf, Aus-Aktivitäten gleich des zusätzlichen Kohlenhydratbedarfs

durch Zusatzmahlzeiten, Schulung undSelbstkontrolle

Ad 4) Verhaltensänderung mit dem Ziel der Alkoholkonsum Risikominimierung, Schulung und Selbst-

kontrolle

Ad 5) Gewichts- Therapieanpassung, Schulung undabnahme Selbstkontrolleohne Therapie-anpassung

Ad 6) Überprüfung der selbst gemessenen Ergeb-fehlerhafte nisse mit Hilfe von Parallelmessungen, Selbstkontrolle Schulung und Selbstkontrolle

Tabelle 1: Kompensationsmöglichkeiten (ohne Anspruch auf Voll-ständigkeit):

Diabetische Folgeerkrankungen können in Abhängig-keit von Art und Ausmaß Einschränkungen der berufli-chen Einsatzmöglichkeiten nach sich ziehen.

Als Faktoren, die sich auf die jeweils aktuelle Medika-tion (Insulin und insulinotrope Substanzen, wie z.B. Sul-fonylharnstoff-Präparate) auswirken, sind insbesondere zunennen:

1. Tabletten- und Insulinwirkung2. Ernährung3. körperliche Aktivitäten4. Alkoholkonsum5. Gewichtsabnahme ohne entsprechende Therapieanpas-

sung6. fehlerhafte Ergebnisse der Stoffwechselselbstkontrolle

Die individuelle Beurteilung arbeitsplatzbezogener Risikenund Ressourcen bei der arbeitsmedizinischen Bewertungvon Menschen mit Diabetes mellitus schafft die Möglich-keit einer differenzierten Beratung im Einzelfall. Das indi-viduelle Risiko am Arbeitsplatz wird u.a. beeinflusst durchBedingungen des Arbeitsplatzes und der Tätigkeit, Art undDauer des Diabetes mellitus, Therapiekonzept, Suffizienzder Behandlung, Selbstbehandlungskompetenz, Selbstbe-obachtung und Selbstkontrolle. Zu beachten ist, dass allegenannten Punkte durch geeignete Intervention modifiziertwerden können, also keineswegs statisch sind.

Beurteilungsrelevant sind daher auch Kompensations-möglichkeiten (Berufserfahrung, reflektierter vorausschau-ender Umgang mit gesundheitlichen Risiken am Arbeits-platz, Hypoglykämiewahrnehmungstraining (z.B. BGAT),Therapieumstellung, Dosisanpassung, Schulung, Motivati-on u.a.) bei den vorliegenden diabetesspezifischen Risiken(Hypoglykämiegefährdung, Folgeerkrankungen, Qualitätder Stoffwechseleinstellung). Die verstärkte Einbeziehungberuflicher Aspekte sowohl in die ärztliche Betreuung alsauch die Beratung und Schulung durch das Diabetesteamkann dazu beitragen, den Prozess der beruflichen Rehabi-litation zu unterstützen.

Deshalb ist es nicht möglich, einen vollständigen Kata-log mit Diagnosen aufzustellen, aus denen zwingend Nicht-eignung folgt. Es ist jeder Einzelfall auf Funktionsdefizite,wie die oben genannten, zu prüfen.

Beispielhaft bestehen Kompensationsmöglichkeiten beiden o.g. Faktoren wie folgt:

Blutglukose-Wahrnehmungstraining:Hypoglykämien rechtzeitig erkennen und vermeiden lernen

Hypoglykämien erkennen: ein Problem?

Hypoglykämien sind eine häufige Begleiterscheinung derInsulin-Behandlung bei Typ-1-Diabetes mellitus, in gerin-gerem Maße auch bei Typ-2-Diabetes mellitus. Längere Er-krankungsdauer, Neuropathie, bestimmte Medikamente,HbA1-Werte im Normbereich und eine vorangegangeneschwere Hypoglykämie begünstigen das Entstehen einerWahrnehmungsstörung, die dann ihrerseits wiederum zuweiteren unbemerkten Hypoglykämien beiträgt. DieserTeufelskreis ist durch die Forschung der 90er gut belegt,seine Entwicklung ist jedoch großenteils reversibel: durchdrei Monate konsequente Hypoglykämievermeidung wirddie Wahrnehmbarkeit von tiefen Werten wieder verbessert.Das eigentliche Ziel muss also die Vermeidung von Hypo-glykämien sein, da sonst jederzeit wieder die Wahrneh-mung gestört werden kann (DDG-Information 2004).

Die Definition einer Hypoglykämie wird in der Regelüber Schwellenwerte des gemessenen Blutzuckers vorge-nommen. Letztlich ist dieser Weg nur eine Krücke, da derfür die Leistungsfähigkeit des Menschen entscheidendeFaktor die Glukoseversorgung des Gehirns ist. Erkennenkann man Hypoglykämien an zwei Typen von Sympto-men:

1. Den sog. autonomen Symptomen, die durch die Aus-schüttung von Stresshormonen beim Absinken des

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Glukosespiegels hervorgerufen werden (z.B. Zittern,Schwitzen, Herzklopfen),

2. den sog. neuroglukopenischen Symptomen, die durchdas Absinken der Glukoseversorgung des Gehirns ent-stehen (z.B. Konzentrationsschwäche, Verlangsamungdes Denkens, leichte Fehler bei Routinetätigkeiten, mo-torische Unsicherheiten).

Die Art und Stärke der Symptome verändert sich deutlichim Laufe eines Lebens mit Diabetes und ist vor allem sehrindividuell (Idiosynkrasie der Symptome). Langfristig istentscheidend, dass die betroffene Person ihre persönlichenSymptome klar erkennt, und zwar möglichst jene Sympto-me, die schon frühzeitig bei sinkender Glukose bemerkbarsind (z.B. kleine Leistungseinschränkungen bei einem Blut-zuckerspiegel von 70mg/dl), und die, die wiederkehrenund die spezifisch für einen Glukosebereich sind, die sie al-so wieder erkennen kann.

Dem Ziel der Hypoglykämievermeidung muss dasbessere Erkennen von reliablen und validen persönlichenSymptomen vorausgehen. Diese Fähigkeit kann durch einVerhaltenstraining gefördert werden.

Hypoglykämien erkennen und vermeiden lernen mit dem Blutglukose-Wahrnehmungstraining (Blood Glucose Awareness Training = BGAT)

Das Blutglukose-Wahrnehmungstraining ist ein Verhaltens-training, das zu Prävention und Therapie der Hypogly-kämie-Wahrnehmungsstörung nachweislich geeignet ist.Wissen/Information allein genügen nicht, um die Wahr-nehmung für Hypoglykämien zu verbessern, Verhaltens-änderungen (z.B. eine genauere Selbstbeobachtung spezifi-scher Symptome) sind notwendig. Das Blutglukose-Wahr-nehmungstraining (BGAT) wurde von der amerikanischenForschergruppe um DANIEL COX über 15 Jahre hinweg aufder Basis eines bio-psycho-behavioralen Modells der Hy-poglykämiewahrnehmung entwickelt, evaluiert und in derinternationalen Fachliteratur präsentiert (z.B. COX et al.,1994; 1995; 2001). Es wurde bereits in mehrere Sprachenübersetzt. Die deutschsprachige Version von FEHM-WOLFS-DORF, KERNER und PETERS liegt seit 1997 vor. Die Autorenbilden im deutschsprachigen Raum Ärzte, Psychologenund Diabetesberaterinnen als BGAT-Trainer aus, um dasAngebot dieses neuen Trainingsprogramms in Schwer-punktpraxen und Kliniken zu ermöglichen. Auf der Web-seite www.bgat.de findet sich eine Liste der ausgebildetenBGAT-Trainer nach Postleitzahlen geordnet, so dass diePatienten ggf. selbst Kontakt zu einem Trainer in ihrerNähe aufnehmen können.

Das BGAT ist ein strukturiertes verhaltensmedizinischesTraining, das für Gruppen oder Einzelpersonen angebotenwird. Es umfasst acht Sitzungen, zwischen denen die Teil-nehmer Übungsaufgaben zu bearbeiten haben. Eine ambu-lante Durchführung ist vorteilhafter als eine stationäre, umdas Lernen unter Alltagsbedingungen zu fördern (Tab. 2).

Umfangreiche Kursmaterialien dienen der Auffrischungdes Wissens, das jedoch keine hinreichende Bedingung für

eine gute Hypoglykämie-Erkennung ist. Da Verhaltensän-derungen erreicht werden sollen, liegt der Schwerpunkt desTrainings darauf, zu besserer Selbstbeobachtung z.B. vonSymptomen bei niedrigem Blutzucker anzuleiten, aus demBeobachteten Schlüsse zu ziehen und umzusetzen. Bei ei-nem Termin werden die Partner einbezogen, um die häufiggeschilderten Partnerkonflikte beim Nichterkennen vonHypoglykämien einer Lösung zuzuführen.

Die bisherigen Erfahrungen mit dem BGAT sind sehrermutigend: BGAT-Teilnehmer lernen, Hypo- und Hyper-glykämien sicherer zu erkennen und vorausschauend zuvermeiden. Dadurch verringert sich nicht nur die Zahl derzu niedrigen Glukosewerte (< 70 mg/dl), sondern auch dieder zu hohen (> 180mg/dl). Die hormonelle Gegenregula-tion bei niedrigen Glukosespiegeln erholte sich wiederdurch die BGAT-Teilnahme (KINSLEY et al. 1999), die Ent-scheidung, nicht hypoglykämisch Auto zu fahren, kanndurch besseres Erkennen der Symptome niedriger Glukosezuverlässiger getroffen werden (CLARKE et al. 1999).

Die Bedeutung des BGAT innerhalb der ärztlichen Be-rufsempfehlungen und Eignungsbeurteilungen wird durchdie zunehmende Orientierung an den vorhandenen Fähig-keiten und Stärken der Menschen mit Diabetes weiter anBedeutung gewinnen (DDG Informationen 2004).

Rechtsfragen

Begründung des Arbeitsverhältnisses

Aus der Sicht des an Diabetes Erkrankten sind bei der Be-werbung um einen Arbeitsplatz der Umfang des Fra-gerechts des zukünftigen Arbeitgebers zum Gesundheits-zustand des Bewerbers und die Relevanz einer ärztlichenEinstellungsuntersuchung sicher von großer Bedeutung. Indiesem Zusammenhang ist anerkannt, dass dem Arbeitge-ber ein Fragerecht nur dann zusteht, wenn er ein berech-tigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an derBeantwortung seiner Fragen für das Arbeitsverhältnis hat,was z.B. ohne weiteres für Fragen nach beruflichen undfachlichen Fähigkeiten, Kenntnissen und Erfahrungen gilt.Fragen nach dem Gesundheitszustand bedürfen dagegenbesonderer Rechtfertigung. Es ist hierzu höchstrichterlich

● Ihre besten persönlichen Hypoglykämie-Warnzeichen eher zu entdecken.

● Hypoglykämien zu vermeiden.● Die richtige Behandlungsentscheidung zu treffen.● Zuverlässige und unzuverlässige Symptome zu unterscheiden.● Sich richtig und rechtzeitig zu behandeln.● Wie Stress die Blutglukose beeinflusst.● Partnerkonflikte in Hypoglykämie-Situationen zu regeln.● Wie Stimmungen und Gefühle auf die Blutglukose einwirken.● Das Zusammenwirken von Insulin, Nahrung und Bewegung.● Schlussfolgerungen für sich persönlich zu ziehen.

Tabelle 2: Was lernen Menschen mit Diabetes im BGAT?

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anerkannt, dass das Fragerecht sich im Wesentlichen auffolgende Punkte beschränkt (Bundesarbeitsgericht 1995):

● Liegt eine Krankheit bzw. eine Beeinträchtigung desGesundheitszustandes vor, welche die Eignung für dievorgesehene Tätigkeit auf Dauer oder in periodisch wie-derkehrenden Abständen einschränkt?

● Liegen ansteckende Krankheiten vor, welche die zu-künftigen Kollegen oder Kunden gefährden?

● Ist im Zeitpunkt des Dienstantritts bzw. in absehbarerZeit mit einer Arbeitsunfähigkeit zu rechnen?

Daraus ergibt sich, dass gezielt nur nach solchen Gesund-heitsbeeinträchtigungen gefragt werden darf, die die Ver-wendung des Bewerbers auf den vorgesehenen Arbeitsplatzeinschränken (RICHARDI 1988). Dies ist z.B. dann der Fall,wenn die Erkrankung ein besonderes Schadensrisiko be-gründet. Dies kann beim Diabetiker eine Selbst- undFremdgefährdung durch plötzlich auftretende Unterzucke-rungszustände (Hypoglykämien) sein.

Schwere Hypoglykämien können im Einzelfall eine Ge-fahr bedeuten bei

● beruflicher Personenbeförderung oder beim Transportgefährlicher Güter (z.B. Piloten),

● Überwachungsfunktionen mit alleiniger Verantwortungfür das Leben Anderer,

● Waffengebrauch,● Arbeiten mit konkreter Absturzgefahr oder an anderen

gefährlichen Arbeitsplätzen,● Arbeiten im Überdruck, Taucherarbeiten (DDG-Infor-

mation 2004).

Mit dem Fragerecht des Arbeitgebers bei derartigen insAuge gefassten Tätigkeiten korrespondiert eine Offenba-rungspflicht des Bewerbers (RICHARDI 1988).

Abgesehen von diesen Ausnahmefällen ist die Fragenach einer Diabeteserkrankung grundsätzlich unzulässig.Sie kann daher wahrheitswidrig verneint werden, ohnedass der Bewerber mit Konsequenzen rechnen müsste(BAG 2003).

Auch eine ärztliche Einstellungsuntersuchung kann sichnur auf solche körperlichen und geistigen Eigenschaften er-strecken, über die der Arbeitgeber den Bewerber befragendarf. Das Verlangen nach einer ärztlichen Untersuchungkann nicht weiter reichen als die Offenbarungspflicht desBewerbers (RICHARDI 1988). Auch bei vom Bewerber bei-zubringenden ärztlichen Zeugnissen ist im Regelfall davonauszugehen, dass der Arzt nur insoweit von der ärztlichenSchweigepflicht entbunden ist, als es darum geht, die kör-perliche und geistige Eignung für die in Aussicht genom-mene Arbeit festzustellen. Dies dürfte auch im Bereich desöffentlichen Dienstes für die nach BAT oder Beamtenrechteinzuholenden amtsärztlichen Gesundheitszeugnisse gelten(RICHARDI 1988).

Unfälle während des Arbeitsverhältnisses

Der Gesetzgeber hat in § 8 Abs.1 Sozialgesetzbuch (SGB)VII – Gesetzliche Unfallversicherung – bestimmt, was un-ter einem Arbeitsunfall zu verstehen ist. Danach handelt essich um Unfälle von Versicherten infolge einer den Ver-sicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begrün-denden Tätigkeit. Unfälle sind zeitlich begrenzte, vonaußen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einemGesundheitsschaden oder zum Tod führen. Anerkennungund Entschädigung eines Körperschadens durch einen Trä-ger der gesetzlichen Unfallversicherung (Berufsgenossen-schaft) setzen demnach nicht nur voraus, dass ein Unfall-ereignis stattgefunden hat, sondern dass die versicherteTätigkeit Ursache, zumindest aber wesentliche Teilursachefür den Eintritt des Unfallereignisses gewesen ist. Das Un-fallereignis wiederum muss Ursache, ebenfalls zumindestwesentliche Teilursache des eingetretenen Körperschadensgewesen sein. „Eine Hypoglykämie, die während der Ar-beitszeit auftritt, sowie die daraus resultierenden Folgen(z.B. Sturz vom Stuhl oder auf dem Betriebsgelände unddadurch bedingte Prellungen, Frakturen o.ä.) stellen, wiez.B. auch ein epileptischer Anfall, grundsätzlich keinen Ar-beitsunfall dar. Eine Entschädigung durch den im Einzelfallzuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherungscheidet in diesen Fallgestaltungen aus, da es sich insoweitum sog. „Unfälle aus innerer Ursache“ handelt, bei denendie Krankheitsanlage den rechtlich wesentlichen Grund fürden erlittenen Unfall darstellt. Nur wenn besondere be-triebliche Umstände wesentlich zur Entstehung oder zurSchwere der Unfallfolgen beigetragen haben, liegt – aus-nahmsweise – ein vom Unfallversicherungsträger zu ent-schädigender Arbeitsunfall vor (z.B. Sturz eines Dach-deckers infolge einer Hypoglykämie von einem Steildachauf den Betonboden und daraus resultierende multiple Ver-letzungen)“ (DDG-Information 2004).

Haftung

Ist nach den vorstehenden Gesichtspunkten ausnahmswei-se ein Arbeitsunfall anzunehmen, so ist die Haftung desUnternehmers oder von Arbeitskollegen gegenüber demVerletzten regelmäßig beschränkt. Sie sind ihm gegenübernur dann zum Ersatz des Personenschadens verpflichtet,wenn sie den Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt habenoder wenn der Arbeitsunfall bei der „gewöhnlichen“ Teil-nahme am Verkehr (vgl. §104 Abs.1 SGB VII) eingetretenist. Ein Regress des Unfallversicherungsträgers gegen Un-ternehmer oder Arbeitskollegen ist nur dann möglich,wenn sie den Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrlässigherbeigeführt haben (vgl. § 110 SGB VII) (DDG-Informa-tion 2004).

Vertragspartnern gegenüber haftet der Unternehmerdagegen grundsätzlich sowohl für eigenes Verschulden(Vorsatz und Fahrlässigkeit), §276 BGB, als auch für dasVerschulden der sog. Erfüllungsgehilfen, also Personen, de-ren er sich zur Erfüllungen seiner Verpflichtungen bedient,§ 278 BGB. Der Arbeitnehmer haftet dem Arbeitgeber ge-

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genüber im Rahmen des Arbeitsverhältnisses auf Grunddes vom Arbeitgeber zu tragenden Betriebsrisikos im Er-gebnis nur für eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Ver-letzung seiner Pflichten (WEIDENKAFF in PALANDT 2005).Diese Haftungsbeschränkung zugunsten des Arbeitneh-mers tritt bei Ansprüchen Dritter gegen ihn jedoch nichtein.

Sonstigen Dritten gegenüber besteht bei Schadensver-ursachung durch Arbeitnehmer eine eigene Haftung desUnternehmers aus §823 BGB (z.B. bei Nichteinhaltungvon Sicherheitsvorschriften). Der Unternehmer kannaußerdem nach §831 BGB haften. Diese Haftung für „Ver-richtungsgehilfen“ tritt nach dem Gesetz dann nicht ein,wenn der Unternehmer beweist, dass er bei der Auswahlund der erforderlichen Überwachung des Arbeitnehmershinreichend sorgfältig verfahren ist. Bei größeren Betriebenbesteht insoweit die Schwierigkeit, dass der Inhaber nichtselbst alle Mitarbeiter überwachen kann. Er wird deshalbnur die Zwischenpersonen (z.B. die Abteilungsleiter) aus-wählen und sie überwachen, diese wiederum weitere An-gestellte. In einem solchen Fall ist es daher erforderlich,aber auch ausreichend, dass der Unternehmer beweist, dieZwischenperson sorgfältig ausgesucht und überwacht zuhaben. Ferner ist es erforderlich, dass der Unternehmer füreine ausreichende Organisation des Betriebes gesorgt hat.Es muss sichergestellt sein, dass auch die Zwischenpersondie ihr unterstellten Personen sorgfältig auswählt undüberwacht.

Bei Kraftfahrern stellt die Rechtsprechung besondersstrenge Anforderungen: erforderlich sind Erkundigungenbei früheren Arbeitgebern und eine strenge planmäßigeBeaufsichtigung der Fahrer. Der Unternehmer oder seinVertreter müssen sich fortlaufend über Zuverlässigkeit, all-gemeine Dienstführung und Berufstüchtigkeit der Fahrerunterrichten und unvermutete Kontrollen vornehmen(SPRAU in PALANDT 2005)

Bei Vorliegen einer Erkrankung ist es nicht nur Aufga-be des Betroffenen selbst, sich darüber zu informieren, ober durch seine jeweilige Erkrankung bzw. deren Folgennoch fahrtauglich ist oder ob Fahrtauglichkeit nicht mehrbzw. nur noch eingeschränkt vorliegt. Vielmehr muss auchder Fuhrparkverantwortliche sicherstellen, dass die Er-krankung des Fahrers nicht zu einer Gefährdung desStraßenverkehrs führt. Eine solche Gefährdung kann dannangenommen werden, wenn aufgrund der Erkrankungs-oder Verletzungsfolgen zu erwarten ist, dass ein Unfall mithoher Wahrscheinlichkeit eintreten kann. Dies muss aberdurch entsprechende Untersuchungsbefunde zu begründensein.

Der Gesetzgeber hat in der Fahrerlaubnisverordnung(FeV) geregelt, welche körperlichen und geistigen Anforde-rungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs erfüllt sein müs-sen. In Anlage 4 zu §11 FeV sind sämtliche Erkrankungen,Verletzungen und Behinderungen, die nicht nur vorüberge-hend sind und die Fahreignung einschränken oder aufhe-ben können, aufgeführt.

Um eigene Haftungsrisiken auszuschließen, sollte derFuhrparkmanager darauf achten, dass auf keinen Fall jederFahrer uneingeschränkten Zugriff ohne entsprechende

Prüfung auf die in einem Pool zur Verfügung gestelltenFahrzeuge hat. Ein Schlüsselbrett, von dem bei Bedarf dieFahrzeugschlüssel durch jeden betrieblich berechtigtenFahrer weggenommen werden können, genügt der Sorg-faltspflicht des Fuhrparkverantwortlichen nicht (SCHÄFER

et al. 2005).

Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Hat der Arbeitnehmer bei Begründung des Arbeitsverhält-nisses auf Fragen, zu deren wahrheitsgemäßer Beantwor-tung er verpflichtet war, wahrheitswidrig geantwortet, sokann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag wegen arglistigerTäuschung nach §123 BGB anfechten. Bei einem bereits inVollzug gesetzten Arbeitsvertrag kommt der Anfechtungim Regelfall allerdings keine rückwirkende Kraft (ex-tunc-Wirkung) zu. Anstelle rückwirkender Nichtigkeit wird derAnfechtung nur die kündigungsähnliche Wirkung der Auf-lösung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft (ex-nunc-Wirkung) zugeschrieben (BAG 1999).

Grundsätzlich kann aber auch in anderen Fällen Dia-betes wie jede Erkrankung zu einer Kündigung durch denArbeitgeber führen. Dabei ist von Bedeutung, ob das Kün-digungsschutzgesetz (KSchG) anwendbar ist. Das ist nachderzeitiger Rechtslage dann der Fall, wenn der Arbeitneh-mer seit mehr als sechs Monaten in dem Arbeitsverhältnissteht und der Arbeitgeber einschließlich der zu kündigen-den Person mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt bzw.bis zum 31.12.2003 mehr als fünf Arbeitnehmer beschäf-tigt hat und diese fünf auch derzeit noch im Betrieb tätigsind. Dort, wo weniger Arbeitnehmer beschäftigt sind unddamit das KSchG nicht gilt, braucht der Arbeitgeber einenKündigungsgrund nicht nachzuweisen. Er kann frei ent-scheiden, von welchen Mitarbeitern er sich trennen will.Hier liegt die Grenze dort, wo eine Kündigung als willkür-lich einzustufen wäre. Bei Geltung des KSchG sind nachder Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) beiden sog. personenbedingten Kündigungen, zu denen auchdie Krankheitskündigung zählt, folgende Prüfungsschrittezu durchlaufen (SCHIEFER 1994):

● Es muss ein Kündigungsgrund in der Person des Arbeit-nehmers vorliegen (persönliche Fähigkeiten und Eigen-schaften stehen künftiger Erfüllung arbeitsvertraglicherVerpflichtungen entgegen);

● betriebliche oder wirtschaftliche Interessen müssen durchdie personenbedingten Gründe konkret beeinträchtigtsein;

● es besteht unter Berücksichtigung zumutbarer Umschu-lungs- und Fortbildungsmaßnahmen keine Weiterbe-schäftigungsmöglichkeit;

● schließlich ist eine Interessenabwägung dahin vorzuneh-men, ob die Beeinträchtigung der betrieblichen Interessenvom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommenwerden muss.

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Hypoglykämiegraduierung

Praxisbezogene Einteilung der Hypoglykämie in Schwere-grade

Hypoglykämien – das Hauptproblem

Der weitaus überwiegende Anteil an leistungseinschrän-kenden und gefährdenden Problemen im Berufsleben vonMenschen mit Diabetes ergibt sich meist aus plötzlichenhypoglykämischen Stoffwechselentgleisungen. Diese Aus-sage resultiert allerdings nur aus der Ableitung der Häu-figkeit von Hypoglykämien und Erfahrungsberichten, einesystematische Untersuchung dazu ist nicht bekannt.

Unterzuckerungen können in der Regel anhand ihrertypischen Symptome wahrgenommen werden. Diese lassensich unterscheiden in autonome, neuroglykopenische undunspezifische Symptome: Die zunehmende Aktivierung dessympathoadrenalen Systems bewirkt die Entstehung ders.g. „autonomen“ Symptome wie Schwitzen, Zittern,Herzklopfen, Hunger- und Angstgefühlen. Erst unterhalbeines Blutzuckers von ca. 50mg/dl (2,8mmol/l) treten erstesogenannte „neuroglykopenische“ Symptome auf (Benom-menheit, Sprach- und Sehstörungen, Koordinationsstörun-gen, Paresen, atypisches Verhalten, Verwirrtheitszustände).Bei einer Blutglukose unterhalb von 30mg/dl (1,7mmol/l)drohen infolge der Neuroglykopenie Krämpfe und Bewusst-seinsverlust. Als unspezifische Zeichen sind Schwindel,Übelkeit und Kopfschmerzen zu nennen (BERGER und JÖR-GENS 2001).

Bei der Wahrnehmung eines oder mehrerer Symptomesollten die Betroffenen ihre aktuelle Tätigkeit sofort unter-brechen, um eine ausreichende Menge rasch resorbierbarerKohlenhydrate aufzunehmen. Wenn dies nicht geschieht,kann es infolge einer fortschreitenden Hypoglykämie zueinem vorübergehenden Steuerungsverlust mit entspre-chender Selbst- oder Fremdgefährdung kommen (BERGER

2000).Abgeschwächte oder fehlende Hypoglykämiewahrneh-

mung kann begünstigt werden durch lange Diabetesdauer,sehr niedrige Blutzuckereinstellung, häufige Unterzucke-rungen und Medikamente (z.B. Betablocker, aber auchinsulinotrope Substanzen wie z.B. SH). Hypoglykämie-wahrnehmungsstörungen stellen ein ernst zu nehmendesRisiko am Arbeitsplatz dar. Eine Kompensation kann imEinzelfall durch Anpassung des Arbeitsplatzes, der Thera-pieziele, der Medikation oder ein qualifiziertes Hypogly-kämiewahrnehmungstraining erfolgen.

Schwere und Häufigkeit von Hypoglykämien

Zweckmäßig für die arbeitsmedizinische Begutachtung istdie Unterscheidung der Hypoglykämien nicht nur in Un-terzuckerungen ohne erforderliche Fremdhilfe gegenüberdenjenigen mit erforderlicher Fremdhilfe. Denn die Beein-trächtigung des gezielten Denkens und Handelns oder ein

kurzzeitiger Orientierungsverlust durch eine auftretendeHypoglykämie hat bereits einen relevanten Einfluss auf dieberufliche Eignung, auch wenn die Unterzuckerung vomPatienten noch selbst behandelt werden kann.

Ist der Patient auf Fremdhilfe angewiesen, spricht manin der Regel von schweren Unterzuckerungen. Diese Formder Unterzuckerung ist häufig verbunden mit zunehmen-dem Verkennen der Realität, Kontrollverlust mit Aggressi-vität, Bewusstseinseinschränkungen oder auch Bewusstlo-sigkeit, eventuell auch mit Krampfanfällen.

Hypoglykämien können sowohl bei Insulintherapienals auch bei der Einnahme insulinotroper Substanzen (Sul-fonylharnstoffe und Sulfonylharnstoffanaloga) auftreten.Beim Vorliegen eines (insulinpflichtigen) Diabetes mellitusTyp 1 ist das Hypoglykämierisiko (nicht gleichzusetzen mitdem Unfallrisiko!) höher als beim Typ-2-Diabetes mellitus(CRANSTON 1994).

Laut Statistik erleben insulinbehandelte Patienten proWoche durchschnittlich ein bis zwei Hypoglykämien, diemit Symptomen einhergehen. Dazu kommen schätzungs-weise noch einmal so viele Hypoglykämien, die der Patientselbst nicht wahrnimmt. Die allermeisten Hypoglykämienbenötigen keine Fremdhilfe! Während also die meistenHypoglykämien sogenannte leichte Hypoglykämien sind,erleiden pro Jahr etwa 10 % der insulinbehandelten Pati-enten eine oder sogar mehrere schwere Hypoglykämien,die durch Angehörige mit Glukagon oder durch einen Arztmit Glukose i.v. behandelt werden müssen (BERGER 2000).Es gibt jedoch auch zahlreiche insulinbehandelte Men-schen mit Diabetes, bei denen auch nach langer Diabetes-dauer keine mittelschweren oder gar schweren Unter-zuckerungen auftreten.

Über die Häufigkeit von Unterzuckerungen unter Sul-fonylharnstoffen liegen keine sicheren Daten vor, die Häu-figkeit wird jedoch eher unterschätzt, da die Substanzenselbst zu einer Hypoglykämiewahrnehmungsstörung führenkönnen. Besonders problematisch sind jedoch Unterzucke-rungen unter dieser Substanzgruppe auch deshalb, weil sieprotrahiert, d.h. über viele Stunden bis zu zwei Tagen ver-laufen können.

Ursachen von Hypoglykämien

Das individuelle Hypoglykämierisiko kann von verschiede-nen Faktoren beeinflusst werden, z.B. von der Diabetesart,der Therapie, der Diabetesdauer und der Stoffwechselein-stellung und Faktoren, die sich auf den jeweils aktuellenInsulinbedarf auswirken. Ein erhöhtes Risiko für schwereHypoglykämien besteht bei schweren Hypoglykämien inder Anamnese (3–4-faches Risiko) und bei Verlust der Hy-poglykämiewahrnehmung sowie bei einer Stoffwechselein-stellung mit überdurchschnittlich häufigen Blutzuckerwer-ten unter 63mg/dl (3,5 mmol) (CRANSTON 1994). Als wei-tere Prädiktoren sind Niereninsuffizienz, schwere Leberer-krankungen und Katabolismus zu nennen (BERGER undJÖRGENS 2001). Als Faktoren, die sich auf die jeweils aktu-elle Medikation (Insulin und insulinotrope Substanzen, wiez.B. SH) auswirken können, sind insbesondere u.a. zu nen-

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nen: Tabletten- und Insulinwirkung, Ernährung, körperli-che Aktivitäten, Alkoholkonsum, Gewichtsabnahme ohneentsprechende Therapieanpassung und fehlerhafte Ergeb-nisse der Stoffwechselselbstkontrolle

Folgeerkrankungen

Neben der Unterzuckerung, als wichtigstes Kriterium derGefährdung, sind zusätzlich noch andere Faktoren zuberücksichtigen, wenn es um die Beurteilung der Einsatz-möglichkeit für den einzelnen Arbeitsplatz geht. Wichtig fürdie Einschätzung sind die bereits vorhandenen Folgeerkran-kungen. Nach dem heutigen Wissensstand bestimmen gera-de Gefäßschäden in zunehmendem Maße das Schicksal desDiabetikers. Die Auswirkungen von diabetesspezifischenErkrankungen (insbesondere die diabetische Retinopathie,Nephropathie und Neuropathie) sowie die diabetesunspezi-fischen Erkrankungen an den Gefäßen (Durchblutungs-störungen an den hirnversorgenden Gefäßen, den Herz-kranzgefäßen und an den Gefäßen der Extremitäten) sindim Abschnitt „Prognose und Behandlung“, bereits erwähnt.All diese Merkmale und Einschränkungen sollen berück-sichtigt werden, wenn es um die Beurteilung der Einsatz-möglichkeit für den einzelnen Arbeitsplatz geht.

Folgeerkrankungen müssen individuell in die Gefähr-dungskategorien eingestuft werden. Das Auftreten einerFolgeerkrankung lässt nicht automatisch auf das Vorhan-densein anderer Folgeerkrankungen schließen. Es gibt kei-ne strenge Korrelation diabetischer Folgeerkrankungen un-tereinander (SCHLEICHER 2001).

Der Verlauf von Folgeerkrankungen lässt sich durchdie Qualität der Diabeteseinstellung aber auch durchflankierende Maßnahmen wie Blutdrucksenkung oder Le-bensstiländerung beeinflussen. Während beginnende Fol-geerkrankungen an den verschiedenen Organsystemen inder Regel keine beruflichen Einschränkungen nach sichziehen, können fortgeschrittene Folgeerkrankungen jenach Schwere bis zur Erwerbsunfähigkeit führen. Maßgeb-lich ist der vorliegende Funktionsverlust.

Eine arbeitsmedizinische Beurteilung sollte sich deshalbgrundsätzlich an der individuellen Befundlage und derPrognose orientieren. Hier ist eine Kooperation mit denbehandelnden Hausärzten, Diabetologen und anderen Spe-zialisten als hilfreich anzusehen.

Für die Beurteilung der beruflichen Möglichkeiten (be-rufliche Eignungsprognose) sollen fünf arbeitsmedizinischrelevante Gefährdungskategorien berücksichtigt werden:

Zur Systematik der Einschätzung eines beruflichenRisikos

Zur Einschätzung eines beruflichen Risikos bei Diabetesmellitus werden folgende Abstufungen verwandt:

O: Gute Stoffwechseleinstellung ohneHypoglykämiegefährdung

bei diätetisch eingestelltem Diabetes mellitus, auch mitoralen Antidiabetika ohne Hypoglykämiegefährdung (α-Glukosidase-Hemmer, Biguanide, Glitazone-Präparate).

Alle anderen Therapieformen sind mit einerHypoglykämiegefährdung verbunden!

A: Stoffwechseleinstellung mit Hypoglykämieneigung, aberohne schwere Hypoglykämie

Bei Diabetes mellitus, behandelt mit oralen Antidiabetikamit Hypoglykämiegefährdung (Sulfonylharnstoffe, Glinidebzw. Sulfonylharnstoffanaloga) und/oder Insulin.

Für die Zuordnung zu dieser Kategorie gilt die Bedin-gung: ohne offenkundige Beeinträchtigung der Handlungs-fähigkeit, immer mit adäquater Selbsthilfe. Gilt bei Insulin-oder Sulfonylharnstofftherapie.

B: Stoffwechseleinstellung mit Hypoglykämieneigung,schwere Hypoglykämien nur im Schlaf

Für die Zuordnung zu dieser Kategorie gilt: im Wachzu-stand ohne erkennbare Beeinträchtigungen der Handlungs-fähigkeit und mit adäquater Selbsthilfe. Bei Insulin- oderSulfonylharnstofftherapie.

C: Schlechte Stoffwechseleinstellung:

● Ketoazidose, starke Blutglukoseschwankungen, starkerhöhter HbA1c (z.B. über dem Doppelten des oberstenReferenzwertes des Labors) oder

● Hypoglykämien mit Beeinträchtigungen der Hand-lungsfähigkeit und/oder Kontrollverlust bei Bewusst-seinsstörung durch Hypoglykämie.

Hier Selbsthilfe teilweise noch möglich, meist Fremdhilfeerforderlich. Bei Insulin- oder Sulfonylharnstofftherapie.

D: Folgeerkrankungen

Gemeint sind Folgeerkrankungen, die die Tätigkeit evtl.beeinflussen. Eine individuelle Beurteilung ist auch hier er-forderlich. Folgeerkrankungen sind bei der Risikobewer-tung zusätzlich zu berücksichtigen:

Sollten mehrere Gefährdungskategorien gleichzeitigvorliegen, so ist diejenige mit der höchsten Gefährdungmaßgebend. Die O-Kategorie ist arbeitsmedizinisch durch-aus relevant, da hier kaum Einschränkungen bestehen.

Einteilung der Gefährdungsbereiche

Bei dem Versuch einer Zuordnung von Hypoglykämierisi-ko und beruflichen Tätigkeiten liegt zunächst folgendeAnnahme bzw. folgendes Vorgehen nahe: Es werden Be-rufszweige oder Berufe aufgelistet und vermutete allge-meine berufsspezifische Risiken definiert und diese dann

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mit einer statistischen Hypoglykämiewahrscheinlichkeit in Verbindung gebracht. Daraus sind in der VergangenheitBerufslisten bzw. Diagnoselisten entstanden, die suggerier-ten, dass bestimmte Berufe besonders geeignet oder unge-eignet für Menschen mit bzw. ohne Diabetes sind.

Diese Zuordnungen sind nicht mehr zeitgemäß undführen letztlich zur Diskriminierung der Betroffenen. Diessei nochmals kurz begründet:

Die Berufswelt ist heute gekennzeichnet durch rascheVeränderung und große Varianz der tatsächlichen Tätig-keiten innerhalb eines traditionellen Berufsbildes. Darausfolgen eine unzureichende Vorhersehbarkeit und ein häufi-ger Wechsel der tätigkeitsbezogenen Gefährdungen. DerGesetzgeber hat im Arbeitsschutzgesetz darauf reagiertund eine nahezu kontinuierliche Beurteilung der Gefähr-dungen am Arbeitsplatz im Arbeitsschutzgesetz zwingendals Voraussetzung für alle weiteren Maßnahmen vorge-schrieben (Arbeitsschutzgesetz 1996).

Um den Menschen mit Diabetes in der Einschätzung ih-rer beruflichen Gefährdung gerecht zu werden, wäre es da-her hilfreich, Arbeitsunfälle und deren gesundheitliche Ur-sachen zu analysieren und daraus Schutzmaßnahmen abzu-leiten. Eine Anfrage beim Hauptverband der gewerblichenBerufsgenossenschaften ergab aber, dass in der Unfallstati-stik der gesetzlichen Unfallversicherungsträger solche Da-ten gar nicht erfasst werden. Es liegen somit keine validenDaten über den Zusammenhang zwischen Arbeitsunfällenund diabetesassoziierten Erkrankungen vor (Hauptverbandder gewerblichen Berufsgenossenschaften 2002).

Behelfsweise kann man im Analogieschluss die relativzahlreiche internationale Literatur zu Autounfällen unddiabetesassoziierten Erkrankungen zu Rate ziehen. Dabeizeigt sich jedoch trotz der bekannten medikamentös be-dingten Hypoglykämiehäufigkeit eine unerwartet niedrigehypoglykämieassoziierte Unfallrate, die sich zudem statis-tisch kaum oder gar nicht von der Unfallrate von Men-schen ohne Diabetes unterscheidet. Andere Faktoren, wiedas Alter der Untersuchten, die Diabetesdauer und die Artder antihypertensiven Behandlung scheinen einen höherenEinfluss zu haben (HARSCH und STOCKER 2002).

Es bleibt daher bei der Risikozuordnung nur der Weg,den auch das moderne Arbeitsschutzrecht seit 1996 vor-gibt: Die Beurteilung der Arbeitsbedingungen der kon-kreten Tätigkeit unter Berücksichtigung der individuellenLeistungsfähigkeit der oder des Einzelnen.

Ein weiterer Anstoß zur Erstellung einer solchen Emp-fehlung mit dem Instrument einer Beratungsmatrix kamdurch die „BG-Information: Empfehlungen zur Beurtei-lung beruflicher Möglichkeiten von Personen mit Epilep-sie“ vom Dezember 1999 (BGI 585) aus der Reihe „Be-rufsgenossenschaftliche Informationen für Sicherheit undGesundheit bei der Arbeit“ des Ausschusses „Arbeitsmedi-zin“ des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenos-senschaften, HVBG (BG-Information 1999).

Bei der Erstellung der nachfolgenden Matrix wurdez.T. wie folgt vorgegangen: Auf Anfrage teilte der Haupt-verband der gewerblichen Berufsgenossenschaften die lautStatistik des HVGB häufigsten Unfallhergänge mit. Diesewerden in einer Statistik des HVBG nach Wirtschaftszwei-

Tabelle 3: Bewertungskategorien

6 Grundsätzlich keine Bedenken.

? Möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze: Berücksichtigtwerden müssen die Kompensationsmöglichkeiten in Bezugauf die Eignungsmängel sowohl bei dem Betroffenen alsauch durch spezifische Gegebenheiten des Arbeitsplatzes.Häufig keine Bedenken unter bestimmten Voraussetzun-gen.

?? Möglich in besonderen Fällen: Berücksichtigt werden müs-sen die Kompensationsmöglichkeiten in Bezug auf die Eig-nungsmängel.

Bis zum Wirksamwerden der Kompensationsmöglich-keiten bestehen in der Regel befristete Bedenken. DieBefristung muss zeitlich terminiert werden und fällt miteinem Nachuntersuchungstermin zusammen.

I Grundsätzlich nicht möglich, dem können dauernde Beden-ken entsprechen – wenn aber durch therapeutische Maß-nahmen Besserungen eingetreten sind, ist nach einer indivi-duell festzulegenden Zeit eine Neubewertung möglich.

Gliederung nach Wirtschaftszweigen

Für ein strukturiertes Beratungsgespräch und auch zur sys-tematischen Information mussten die Tätigkeiten sortiertwerden. Es wurden daher exemplarisch Tätigkeitsfeldernach Wirtschaftszweigen in Anlehnung an die Aufteilungder Berufsgenossenschaften zusammengestellt:

● Bau/Tiefbau, Holzverarbeitung● Bergbau● Chemie● Gesundheitsdienst● Fahrzeuge Straßen, U-Bahnen und Eisenbahnen● Binnen- und Seeschifffahrt

Daraus hat sich die vorliegende Einteilung nach Wirt-schaftszweigen ergeben. Zusätzlich aufgeführt wird eineEinteilung für den Feuerwehr- und Polizeidienst.

gen zusammengefasst. Bei der auf die Belange der Präven-tion ausgerichteten berufsgenossenschaftlichen Unfallstatis-tik stehen die Unfallhergänge bzw. die Unfallereignisse imVordergrund der Erfassung. Daraus lassen sich natürlichbetriebsspezifisch die entsprechenden Gefährdungen, dienur vor Ort erkannt werden können, eingrenzen und auchanschließend beurteilen (Hauptverband der gewerblichenBerufsgenossenschaften 2002).

Es werden also nicht mehr die einzelnen Berufe aufge-führt, sondern die für Wirtschaftszweige häufigsten Tätig-keiten oder auch Unfallhergänge. Diese werden hier in derx-Achse einer Matrix dargestellt (Abb. 3). Dazu wurdedann das Hypoglykämierisiko, unterteilt nach vier Schwe-regraden, sowie eine Rubrik für Folgeerkrankungen in dery-Achse aufgeführt und die berufliche Eignung im Schnitt-punkt dieser Parameter über eine in der arbeitsmedizini-schen Beurteilung übliche Bewertungsskala verknüpft(Abb. 3).

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Die Matrix

Die Matrix soll der schnellen, einfachen und reproduzier-baren Zuordnung des Hypoglykämierisikos zu den Fakto-ren ermöglichen:

● Mensch (mit Diabetes)● Arbeit (hier im Sinne von ausgeübter Tätigkeit)● Gesundheit (individuelle Faktoren)

Die Beurteilung sollte in folgenden Schritten ablaufen:

1. Der Diabetiker erläutert seinen Beruf oder seine Tätig-keit.

2. Gemeinsam erfolgt die Zuordnung zu einem Wirt-schaftszweig, ggf. auch im Analogieschluss zum Ge-fährdungspotential.

3. Anschließend folgt die Benennung der konkreten Ge-fährdungen gemeinsam mit dem Betroffenen und beiUnklarheiten mit weiteren Fachleuten (Ärzte, Fachkraftfür Arbeitssicherheit, Vorgesetzte u.a.). Es können auchnur einzelne Gefährdungen vorliegen, die dann ebenauch nur zu berücksichtigen sind.

4. Bei der abschließenden Bewertung muss man sich ander Gefährdung mit dem höchsten Risiko in Verbin-dung mit dem Hypoglykämiegrad richten.

Die Matrix wird am Beispiel eines Bauberufes, z.B. Dach-decker, erläutert (Tab. 4).

Im konkreten Beispiel bei Vorliegen des Hypoglykä-miegrades B würden befristete Bedenken gegenüber derFortsetzung der Tätigkeit als Dachdecker mit dem o.g. Ge-fährdungsprofil für etwa 3 bis 6 Monate ausgesprochen.Danach erfolgt automatisch eine Nachuntersuchung. DieZwischenzeit wird genutzt für die Veranlassung oder Un-terstützung von Kompensationsmechanismen (allgemeineNachschulung, arbeitsplatzspezifische Absprachen, insbe-sondere BGAT).

Risiken oder Gefährdungen, die nicht über die verfüg-baren Unfallstatistiken ableitbar sind, sondern sich aus derpraktischen Erfahrung der Beurteilenden ergeben, sind ge-sondert zu kennzeichnen bzw. zu erwähnen.

Die Grundelemente der Matrix

Die vorgeschlagene Matrix und ihre Aufteilung kann auchaus der Perspektive betrachtet werden, dass verschiedeneärztliche Fachrichtungen, Arbeitsmediziner und Diabetolo-gen zusammen eine Bewertung vornehmen. Dabei ist eswohl dem Schwerpunkt nach der Part der Arbeitsmedizi-ner (und auch nach dem Arbeitssicherheitsgesetz ihr ge-setzlicher Auftrag), die Gefährdungen am Arbeitsplatz zuermitteln. Der Part der Diabetologen ist es in der Regelvorwiegend, das Hypoglykämierisiko zu quantifizierenund die therapeutischen Optionen zu vereinbaren (Abb. 5).Die Bewertung erfolgt individuell in Bezug auf den Men-schen mit Diabetes und seine Tätigkeit.

1. Beruf/Tätigkeit: Dachdecker, Zimmerer, Gerüstbauer

2. Berufsbereich: hochgelegene Arbeitsplätze, Bau/Tiefbau

3. Konkrete Gefährdungen werden benannt, gemeinsam mit dem Betroffenen und ggf. weiteren Fachleuten (Ärzte, Fachkraft fürArbeitssicherheit, Vorgesetzte u.a.)

Gefährdung

Hypoglykämie-Grad Stolper-, Rutsch- Anstoßunfall, Getroffen durch Handwerkszeug-(s. o.) und Sturzunfall Quetschung Gegenstände Verletzung

0 6 6 6 6

A ? ? ? ?

B ?? ?? ?? ??

C I I I I

D ?? ?? ?? ??

Tabelle 4: Beispiel zum Matrixaufbau, die Zuordnungen sind im Einzelfall zu prüfen.

Abb. 5: Die Matrix: Der Mensch mit Diabetes im Fokus der Ar-beitsmedizin und Diabetologie

ARBEITSMEDIZIN

Menschenmit Diabetes

DIA

BE

TO

LO

GIE

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Weitere Grundelemente der Regelung in der Matrixformsollen deutlich gemacht werden:

1. Der 1. Grundgedanke, „Weg von der Defizitorientie-rung – hin zur Ressourcenorientierung“ ist ein wesent-licher Aspekt und tatsächlich ein Paradigmenwechsel,der in der gesamten Arbeitsmedizin zu finden ist(TRIEBIG, G. 2003). Die Abwendung von der Defizitori-entierung ist auch ein wichtiger Weg zum Abbau vonungerechtfertigten Hemmnissen und damit von Diskri-minierung.

2. Dazu gehört aber auf der anderen Seite auch eine neueBetrachtungsweise, ausgehend von dem seit 1996 gelten-den Arbeitsschutzgesetz, das die konkrete Gefährdungder ausgeübten Tätigkeit in den Fokus der Betrachtungstellt, und nicht mehr eine eher abstrakte Gefährdung imZusammenhang mit der Berufsbezeichnung.

3. Die diabetologische Einschätzung wird ein wichtigerBaustein der arbeitsmedizinischen Beurteilung.

4. Die Matrix symbolisiert auch das Ineinandergreifen undZusammenwirken der verschiedenen Partner des Men-schen mit Diabetes bei der Beurteilung seiner berufli-chen Möglichkeiten.

Berufszweige und Tätigkeiten

Bauberufe

Hoch- und Tiefbau

Grundsätzlich können die Einstufungen nur Hilfestellun-gen leisten, eine individuelle Beurteilung ist immer erfor-derlich (sowohl personen- als auch arbeitsplatzspezifisch)(Tab. 5).

Die Zuordnung der Gefährdungen erfolgte nach denAngaben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsge-nossenschaften und sind nur als Orientierung zu sehen.

Die Zuordnung „Übrige Unfallhergänge“ ist seitens desHVBG nicht weiter untergliedert. Es sollten hier spezifi-sche und nicht aufgeführte besondere Gefährdungen durchdie Tätigkeit berücksichtigt werden.

Grundsätzlich sind die konkreten Gefährdungen zu er-mitteln bzw. zu besprechen.

Bei Arbeitsplätzen mit regelmäßig erforderlichem Be-steigen von Leitern bzw. Arbeiten in unebenem Geländekann das Vorliegen einer schweren diabetischen Polyneu-ropathie bestimmend für das Aussprechen dauerhafter ge-sundheitlicher Bedenken sein.

Kompensationsmöglichkeiten zur „Feinjustierung“ dervier Beurteilungskategorien (6, ?, ??, K) sind u.a. der„Checkliste für Betriebsärzte“ zu entnehmen.

Hochgelegene Arbeitsplätze

Grundsätzlich können die Einstufungen nur Hilfestellun-gen leisten, eine individuelle Beurteilung ist immer erfor-derlich (sowohl personen- als auch arbeitsplatzspezifisch)(Tab. 6).

Die Zuordnung der Gefährdungen erfolgte nach denAngaben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsge-nossenschaften und ist nur als Orientierung zu sehen.

Die Zuordnung „Übrige Unfallhergänge“ ist seitens desHVBG nicht weiter untergliedert. Es sollten hier spezifi-sche und nicht aufgeführte besondere Gefährdungen durchdie Tätigkeit berücksichtigt werden.

Grundsätzlich sind die konkreten Gefährdungen zu er-mitteln bzw. zu besprechen.

Folgeerkrankungen, wie das Vorliegen einer diabe-tischen Polyneuropathie oder einer KHK werden eher zum Aussprechen dauerhafter gesundheitlicher Bedenkenführen.

Kompensationsmöglichkeiten zur „Feinjustierung“ dervier Beurteilungskategorien (6, ?, ??, K) sind u.a. der„Checkliste für Betriebsärzte“ zu entnehmen.

1. Beruf/Tätigkeit: Abbrucharbeiter, Fliesen- und Estrichleger, Glaser, Maurer, Stahlbetonbauer, Steinmetz, Straßenbauer, Trocken-baumonteur, Verputzer u.a.

2. Wirtschaftszweig: Hoch- und Tiefbau

3. Konkrete Gefährdungen werden benannt, gemeinsam mit dem Betroffenen und ggf. weiteren Fachleuten (Ärzte, Fachkraft fürArbeitssicherheit, Vorgesetzte u.a.)

Gefährdung

Hypoglykämie-Grad Übrige Unfall- Stolper-, Rutsch- Anstoßunfall, Getroffen durch(s. o.) hergänge und Sturzunfall Quetschung Gegenstände

0 6 6 6 6

A ? ? ? ?

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C ?? ?? ?? ??

D ?? ?? ?? ??

Tabelle 5: Matrix Hoch- und Tiefbau

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1. Beruf/Tätigkeit: Dachdecker, Gerüstbauer, Glas- und Gebäudereinigung, Korrosionsschutz, Montagearbeiten, Schornsteinbau,Schornsteinfeger, Zimmerer u.a.

2. Wirtschaftszweig: hochgelegene Arbeitsplätze, Bau/Tiefbau

3. Konkrete Gefährdungen werden benannt, gemeinsam mit dem Betroffenen und ggf. weiteren Fachleuten (Ärzte, Fachkraft fürArbeitssicherheit, Vorgesetzte u.a.)

Gefährdung

Hypoglykämie-Grad Stolper-, Rutsch- Anstoßunfall, Getroffen durch Handwerkszeug-(s. o.) und Sturzunfall Quetschung Gegenstände Verletzung

0 6 6 6 6

A ? ? ? ?

B ?? ?? ?? ??

C I I I I

D ?? ?? ?? ??

Lackierer, Korrosionsschutz

Grundsätzlich können die Einstufungen nur Hilfestellun-gen leisten, eine individuelle Beurteilung ist immer erfor-derlich (sowohl personen- als auch arbeitsplatzspezifisch)(Tab. 7).

Die Gefährdungen 1 (Arbeiten mit Atemschutz) und 2(Lösungsmittelexposition) entstammen nicht der Statistikdes HVBG, sondern sind an der arbeitsmedizinischen Be-ratungspraxis orientiert. Die Zuordnung der Gefährdun-gen 3 und 4 erfolgte nach den Angaben des Hauptverban-des der gewerblichen Berufsgenossenschaften und sind nurals Orientierung zu sehen.

Grundsätzlich sind die konkreten Gefährdungen zu er-mitteln bzw. zu besprechen.

Kompensationsmöglichkeiten zur „Feinjustierung“ dervier Beurteilungskategorien (6, ?, ??, K) sind der „Check-liste für Betriebsärzte“ zu entnehmen.

Bergbau

In der Klima-Bergverordnung werden keine definitivenEinschränkungen für die Tätigkeit von Menschen mit Dia-betes aufgeführt. Natürlich sind die besonderen Bedingun-gen unter Tage, insbesondere die klimatischen Besonder-heiten und die örtlichen Begebenheiten und Risiken fürMenschen mit Diabetes, gerade auch bei Insulintherapie,von besonderer Bedeutung und daher sorgfältig bei der in-dividuellen Tauglichkeitsbeurteilung zu berücksichtigen.

Es wird in diesem Zusammenhang verwiesen auf dasMerkblatt vom 12. Januar 1984 (BAnz. S. 617) des Bun-desministers für Wirtschaft zum Untersuchungsbogen undzur ärztlichen Bescheinigung nach den Anlagen 2 und 3 der Klima-Bergbauverordnung von 9. Juni 1983 (BGBl. IS. 685). Danach können nach den Ausführungen unterNummer 1.1 Ergänzungsuntersuchungen erforderlich sein,z.B. bei Verdacht auf Störungen der Inneren Sekretion (z.B.bei Diabetes mellitus). Nach Nummer 2.2 bestehen ge-

Tabelle 6: Matrix: Hochgelegene Arbeitsplätze

1. Beruf/Tätigkeit: Bautenschützer, Beschichter, Industrieanstreicher, Lackierer, Korrosionsschützer u.a.

2. Wirtschaftszweig: Bau – Ausbaugewerke

3. Konkrete Gefährdungen werden benannt, gemeinsam mit dem Betroffenen und ggf. weiteren Fachleuten (Ärzte, Fachkraft fürArbeitssicherheit, Vorgesetzte u.a.)

Gefährdung

Hypoglykämie-Grad Arbeiten mit Lösungsmittel- Stolper-, Rutsch- Anstoßunfall,(s. o.) Atemschutz exposition und Sturzunfall Quetschung

0 6 6 6 6

A ? ? ? ?

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C I I I I

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Tabelle 7: Matrix Lackierer und Korrosionsschutz

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* s. auch separate Matrix „Schichtarbeit“** s. auch separate Matrix „Schichtarbeit“ – „Einzelarbeit nachts“

1. Beruf/Tätigkeit: Chemikant/Industriemechaniker/Prozessleittechniker

2. Wirtschaftszweig: Chemie

3. Konkrete Gefährdungen werden benannt, gemeinsam mit dem Betroffenen und ggf. weiteren Fachleuten (Ärzte, Fachkraft fürArbeitssicherheit, Vorgesetzte u.a.)

Gefährdung

Hypoglykämie-Grad Chemikaliengefährdung Überwachungsarbeit Schichtarbeit * Einzelarbeit **(s.o.) Messwarte

0 6 6 6 6

A ? ? ? ?

B ? ?? ?? ??

C I I I I

D ?? ?? ?? ??

1. Beruf/Tätigkeit: Chemikant/Industriemechaniker/Prozessleittechniker

2. Wirtschaftszweig: Chemie

3. Konkrete Gefährdungen werden benannt, gemeinsam mit dem Betroffenen und ggf. weiteren Fachleuten (Ärzte, Fachkraft fürArbeitssicherheit, Vorgesetzte u.a.)

Gefährdung

Hypoglykämie-Grad Schwerer Atemschutz Hitzearbeit Arbeiten in Behältern Absturzgefährdung(s.o.)

0 6 6 6 6

A ? ? ? ?

B I ?? I ??

C I I I I

D ?? ?? ?? ??

sundheitliche Bedenken für Arbeiten unter Klimaeinwir-kungen im Sinne der Klima-Bergverordnung unter ande-rem bei erheblichen Stoffwechselstörungen, insbesondereDiabetes. Es sei darauf hingewiesen, dass hier von „erheb-lichen“ Stoffwechselstörungen gesprochen wird. Ein Aus-schlussgrund ist daher nach den vorliegenden Ausführun-gen der Klima-Bergverordnung bei Diabetes mellituszunächst nicht grundsätzlich gegeben.

Darüber hinaus wird im Schlusssatz des Merkblattesdarauf hingewiesen, dass gesundheitliche Bedenken „dau-ernde“ gesundheitliche Bedenken, aber auch „befristete“gesundheitliche Bedenken sein können. Es ist daher einegute Differenzierungsmöglichkeit in der Eignungsbeur-teilung gegeben und somit auch die Verpflichtung zur Be-gründung, warum vom Untersucher eine bestimmte Be-wertungskategorie letztendlich gewählt wird.

Wie auch bei anderen Vorschriften, sollte auf die gege-benen Möglichkeiten der zu beurteilenden Person geachtetwerden, also auf ihre vorhandenen Ressourcen und nichtauf ein abstraktes Defizit, z.B. in Form der Diagnose Dia-betes mellitus. Diese vorhandenen Fähigkeiten und Eigen-

schaften werden dann in Beziehung gesetzt zu den für dieTätigkeit erforderlichen Eignungsmerkmalen und danacheine Bewertung durchgeführt. Dieses differenzierte Vorge-hen wird z.B. im Steinkohlebergbau erfolgreich ange-wandt, so dass dort auch Menschen mit Diabetes im Ein-zelfall unter enger Begleitung durch den Betriebsarzt unddie für die Arbeitssicherheit zuständigen Personen Tätig-keiten über und auch unter Tage durchführen können.

Grundsätzlich können die Einstufungen nur Hilfestel-lungen leisten, eine individuelle Beurteilung ist immer erfor-derlich (sowohl krankheits- als auch arbeitsplatzspezifisch).

Chemie

Arbeiten in der Chemie sind in vielfältiger Form belastetdurch Gefährdungen, bei denen Hypoglykämien eine er-hebliche Zusatzgefahr darstellen.

Dies betrifft sowohl den betreffenden Arbeitnehmer alsauch die Produktionsanlagen, Technika oder Laboratoriensowie evtl. Mitarbeiter oder Unbeteiligte (Tab. 8, 9).

Tabelle 8: Matrix Chemie 1

Tabelle 9: Matrix Chemie 2

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Berufe des Gesundheitswesens

Ärztliches Personal

Die Ausübung des Berufes stellt hohe Anforderungen andas ärztliche Personal. Die Vielfalt der jeweiligen Tätigkei-ten, Spezialisierungen aber auch die Besonderheiten desArbeitsplatzes erfordern eine differenzierte Beurteilung desEinzelfalles.

Selbst- oder Fremdgefährdungen ergeben sich aus demjeweiligen Tätigkeitsfeld. Als Beispiele für potentielleSelbst- oder Fremdgefährdung infolge einer Hypoglykämiesind zu nennen:

● Verletzungsgefahren (OP-Bereich)● Notfallsituationen, die ständige Verfügbarkeit erfor-

dern,● Sicherung von Patienten,● Schichtarbeit, Nachtdienst, Alleinarbeit,● verantwortliche Überwachungstätigkeiten (OP, Anäs-

thesie, Intensivstation, Dialyse, Notaufnahme u.ä.)

Als Beispiele für Tätigkeitseinschränkungen infolge diabe-tischer Folgeerkrankungen sind zu nennen:

● stehende Tätigkeiten bei Diabetischem Fuß-Syndrom(OP-Dienst)

● hohe körperliche Belastung bei autonomer Polyneuro-pathie, arteriellem Hypertonus oder diabetischer Reti-nopathie

Kompensationsfaktoren sind sowohl in der Art der Be-handlung und Selbstkontrolle als auch im Umgang mit derErkrankung zu suchen.

Berufsrechtliche Besonderheiten in der Krankenpflege und bei nichtärztlichen Heilberufen

Allgemeine Voraussetzungen zur Berufsausübung

Als allgemeine Voraussetzung für die Erteilung der Erlaub-nis zum Führen der Berufsbezeichnung gilt, dass der An-tragsteller „nicht wegen eines körperlichen Gebrechensoder wegen Schwäche seiner geistigen oder körperlichenKräfte oder wegen einer Sucht zur Ausübung des Berufsunfähig oder ungeeignet ist.“

in der Krankenpflege: § 2 Krankenpflegegesetz (KrPflG),in der Physiotherapie: §2 des Masseur- und Physiothera-

peutengesetzes (MPhG),in der Ergotherapie: §§2, 3 Gesetz über den Beruf des Be-

schäftigungs- und Ergotherapeuten,in der Logopädie: §§2, 3 Gesetz über den Beruf des

Logopäden,

Für Psychologen, die in niedergelassener Praxis tätig wer-den wollen, bestimmt §29 der ersten Durchführungsver-ordnung zum Heilpraktikergesetz (DVO), dass die Berufs-erlaubnis nicht zu erteilen ist, wenn infolge eines körper-lichen Leidens oder wegen Schwäche der geistigen oderkörperlichen Kräfte die für die Berufsausübung erforderli-che Eignung fehlt.

Voraussetzungen zu Ausbildung und Prüfung

Die Ausbildung zum Physio- und Ergotherapeuten oderLogopäden ist durch fehlende gesundheitliche Vorausset-zungen nicht beschränkt. Bei Pflegeberufen ist im Gegen-satz dazu für den Zugang zu einer Ausbildung nach § 6 (1)bzw. § 10 (3) KrPflG neben der Vollendung des 17. Le-bensjahres die gesundheitliche Eignung zur Ausübung desBerufes Voraussetzung. Für die Zulassung zur Prüfungwird kein Nachweis über die körperliche Eignung zur Aus-übung des Berufes mehr verlangt, da er durch die Untersu-chung für den Besuch der Krankenpflegeschule erfolgt.

Auch wenn es gesetzlich nicht gefordert wird, ist esdoch zu empfehlen, die Eignung zur Berufsausübung auchfür die Bereiche der Physiotherapie, Ergotherapie, Logopä-die und Psychotherapie analog den gesetzlichen Regelungenin Pflegeberufen schon bei Ausbildungsbeginn abzuklären.

Sind in der Krankenpflege, der Physio- oder Ergothera-pie, der Logopädie oder bei der Tätigkeit als HeilpraktikerVoraussetzungen für die Erteilung zum Führen der Berufs-bezeichnung irrtümlich als gegeben angenommen worden,oder sind nachträglich Tatsachen eingetreten, die die Ver-sagung der Erlaubnis rechtfertigen würden, so ist diesezurückzunehmen bzw. zu widerrufen (§4 MPhG, §3 Kr-PflG und §3 Gesetz über den Beruf des Beschäftigungs-und Arbeitstherapeuten). Teilgenehmigungen sind nichtvorgesehen.

Die gesundheitliche Eignung ist dann nicht (mehr) alsgegeben anzusehen, wenn wesentliche Tätigkeiten des Be-rufes nicht (mehr) ausgeübt werden können. Gesundheitli-che Eignung bezieht sich nicht auf die Fähigkeit, jedwedeim Beruf vorkommende Tätigkeit ausüben zu können(KURTENBACH, GOLOMBEK, SIEBERS, 1992 S.110 f.). Die Au-toren weisen auch ausdrücklich darauf hin, dass nicht derUmstand, dass der Arbeitnehmer an einer chronischenKrankheit leidet, entscheidend für die Beurteilung ist, son-dern vielmehr der Umgang mit der Erkrankung im Vorder-grund steht. Dies deckt sich mit den „Empfehlungen zurBeratung bei Berufswahl und Berufsausübung von Diabeti-kern der Deutschen Diabetesgesellschaft“ vom Mai 1999.Hiernach stellt die individuelle Situation der Betroffenendie Grundlage der Eignung oder Nicht-Eignung für dieAusübung eines angestrebten Berufes oder Arbeitsfeldesdar.

Mögliche berufliche Gefährdungen oder Einschrän-kungen ergeben sich in den oben aufgeführten Berufen vorallem durch die Qualität der Stoffwechseleinstellung, dieArt der Diabetestherapie, durch das Hypoglykämierisikooder durch Begleit- bzw. Folgeerkrankungen. Bei Begleit-oder Folgeerkrankungen ist die individuelle Situation aus-schlaggebend für Berufseignung.

Konkrete Gefährdungen

Konkrete Gefährdungen ergeben sich bei der Berufsaus-übung infolge einer Hypoglykämie in folgenden Zusam-menhängen:

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IV –10.7.1 Diabetes und Arbeit

Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege

● Nichtärztliche Heilberufe Fremdgefährdung möglichbei: Notfallsituationen, die ständige Verfügbarkeit er-fordern, Alleinarbeit, Sicherung von Patienten, Schicht-arbeit, Nachtdienst, Fahrdiensten (z.B. Gemeindekran-kenpflege), verantwortliche Überwachungstätigkeiten(OP, Anästhesie, Intensivstation, Dialyse u.ä.).

Krankengymnast/in, Masseur und Med. Bademeister/-in,Masseur/-in, Arbeits- und Beschäftigungstherapeut/-in, Er-gotherapeut/-in, Klinische Psychologie/Psychotherapie,Sprachtherapie, Logopädie, Diplom Sportlehrer/-in, fürBehindertensport, Podologe/Podologin.

● Eigengefährdung ist möglich durch Ertrinken, Verbren-nungen, Arbeit an Maschinen mit ungeschützten rotie-renden Teilen, Instrumentenverletzungen.

● Fremdgefährdung ist möglich bei: Applikation von Bä-dern, unzureichender Sicherung von Patienten, Wärme-therapie, Elektrotherapie, fehlender Beaufsichtigung,Instrumentenverletzungen.

Medizinisch-Technische Assistenzberufe

Eigengefährdung oder Fremdgefährdung möglich bei: Not-fallsituationen, die ständige Verfügbarkeit erfordern, Al-leinarbeit, Sicherung von Patienten, Schichtarbeit, Nacht-dienst.

Reinigungspersonal

Eigengefährdung oder Fremdgefährdung möglich bei: Um-gang mit Chemikalien (Desinfektionsmittel usw.), wech-selnde körperliche Belastung (Hypoglykämiegefährdung).

Die Zuordnung der Gefährdungen ist nur als Orientie-rung zu sehen.

Es sollten hier spezifische und nicht aufgeführte be-sondere Gefährdungen durch die Tätigkeit berücksichtigtwerden. Grundsätzlich sind die konkreten Gefährdungenzu ermitteln bzw. zu besprechen.

Sozialpflegerische und sozialpädagogische Berufe

Berufsrechtliche Besonderheiten

Gemäß der Verordnung über die staatliche Anerkennungvon Erzieherinnen, Haus- und Familienpflegerinnen undKinderpflegerinnen wird die Anerkennung erst nach Ableis-tung des Berufspraktikums, einer positiven fachlichen Be-urteilung und dem Freisein von körperlichen, geistigen undseelischen Einschränkungen ausgesprochen. Die staatlicheAnerkennung kann zurückgenommen werden, wenn es zuerheblichen Einschränkungen bei der Wahrnehmung der

Aufsichtspflicht bzw. zu Eigengefährdung aufgrund vonStörungen im körperlichen, geistigen und seelischen Be-reich kommt. Die zuständigen Schul-/Fachaufsichtsbe-hörden prüfen den jeweiligen Einzelfall. Auch wenn seitensder staatlichen Aufsichtsbehörde die gesundheitlichen Vor-aussetzungen zur Berufsausübung erst am Ende der Aus-bildung überprüft werden, empfiehlt sich eine solche Ab-klärung schon vor Ausbildungsbeginn.

Staatlich anerkannter Erzieher/-in, Kinderpfleger/-in,Haus- und Familienpfleger/-in, Diplom- Sozialarbeiter/-in(FH) Diplomsozialpädagoge/-in (FH)

Kindergarten, Kindertagesstätte, Schülerhort, Fachrich-tung Jugend- und Heimerziehung, Fachrichtung Arbeitser-ziehung, Ämter, freie und gemeinnützige Träger.

Eigengefährdung oder Fremdgefährdung möglich beiNotfallsituationen, die ständige Verfügbarkeit erfordern,Alleinarbeit, verantwortliche Aufsichtsfunktion, Schicht-arbeit, Nachtdienst, Arbeit an Maschinen mit unge-schützt rotierenden Teilen (bei Arbeitserziehern), Fahr-tätigkeit.

Feuerwehr

Nach der FwDV 300 schließt die Erkrankung Diabetesmellitus die Feuerwehrdiensttauglichkeit aus. Eine diffe-renzierte Betrachtungsweise erscheint jedoch gerechtfertig.Die nachfolgende Zuordnung gilt für Berufserfahrene imFeuerwehrdienst. Berufsanfänger mit Diabetes mellitussollten grundsätzlich allenfalls Tätigkeit im Gefährdungs-bereich 4 anstreben (Tab. 10).Die Einteilung in die Kategorien „Angriffstrupp“, „Reser-vetrupp“, „modifizierte Helfergruppe“ und „Einsatzzent-rale“ ist willkürlich. Weitere Kategorien sind denkbar,bringen jedoch keine zusätzliche Information. Die genann-ten Kategorien stehen für unterschiedliche Belastungsberei-che. Untersuchungen über Belastungen von Feuerwehrleu-ten in genannten unterschiedlichen Belastungsbereichenliegen nicht vor.

Unter „modifizierte Helfergruppe“ sind Feuerwehrleu-te zu verstehen, die nicht zum Angriffs- oder Reservetruppgehören, jedoch unterstützend tätig werden. Diese Be-zeichnung ist nicht generell in Gebrauch. Es gibt bislangkeine bundesweite einheitliche Klassifizierung der unter-schiedlichen Tätigkeiten und Belastungen bei Feuerwehr-leuten.

Kompensationsmöglichkeiten zur „Feinjustierung“ dervier Beurteilungskategorien (6, ?, ??, K) sind der „Check-liste für Betriebsärzte“ zu entnehmen.

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Diabetes und Arbeit IV –10.7.1

Konietzko · Dupuis · Letzel · Nowak – Handbuch der Arbeitsmedizin – 43. Erg. Lfg. 9/06 27

1. Beruf/Tätigkeit: Berufsfeuerwehr, freiwillige Feuerwehr

2. Wirtschaftszweig: Feuerwehr

3. Konkrete Gefährdungen werden benannt, gemeinsam mit dem Betroffenen und ggf. weiteren Fachleuten (Ärzte, Fachkraft fürArbeitssicherheit, Vorgesetzte u.a.)

Gefährdung

Hypoglykämie-Grad Angriffstrupp Reservetrupp Modifizierte Einsatzzentrale(s.o.) Helfergruppe

0 6 6 6 6

A ? ? ? ?

B I I ?? ??

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Polizeidienst

Für die Einstellung und Beschäftigung von Diabetikern imöffentlichen Dienst gelten die Richtlinien der DeutschenDiabetes-Gesellschaft zur Einstellung von Diabetikern inden öffentlichen Dienst (siehe Anhang: Einstellung von Dia-betikern in den öffentlichen Dienst 1982). Darin wird unterPunkt 1 ausgeführt, dass „der generelle Ausschluss des Dia-betikers von pensionsberechtigten Anstellungen im Staats-dienst und vergleichbaren Institutionen aus medizinischenGründen nicht gerechtfertigt“ ist. Als weitere Forderungenwird für insulinbehandelte Diabetiker aufgeführt, dass „dieStoffwechselstörung auf Dauer gut einstellbar sein sollte“und dass „die Mehrzahl der Harnproben zuckerfrei seinsollte“. Die Richtlinien regeln dann noch weitere Detailfra-gen, u.a., dass „Diabetiker nicht zu Tätigkeiten herangezo-gen werden sollen, die beim Eintritt hypoglykämischer Re-aktionen Gefahren für sie selbst oder ihre Umwelt mit sichbringen“.

Entscheidend für die Beurteilung von Menschen im Po-lizeidienst ist die Vorschrift für die ärztliche Beurteilung

der Polizeidiensttauglichkeit (PDV 300). Dort sind in derAnlage 1 die „Beurteilungsmaßstäbe und die Polizeidienst-tauglichkeit ausschließende Fehler“ aufgeführt. UnterPunkt 2.1.1 sind die Fehler aufgeführt, die eine Einstellungausschließen. Dazu wird unter 2.1.2 der Diabetes ein-schließlich der latenten und subklinischen Formen und dassogenannte Metabolische Syndrom aufgeführt. Dies allesbetrifft aber nur die Einstellung.

Empfehlung zur Beurteilung der Polizeidienstfähigkeit,wenn der Diabetes bei einem im Polizeivollzugsdienst täti-gen Beamten auftritt ist in Tabelle 11 aufgeführt.

Die Tätigkeitszuordnungen sind nur als Beispiel zu be-trachten und ggf. durch andere Tätigkeitseinschränkungenzu ergänzen oder zu ersetzen.

Unter Kapitel 3 der PDV 300 (Bestimmungen zur Beur-teilung der Polizeidienstfähigkeit) wird die uneingeschränk-te Polizeidienstfähigkeit (hier PDF abgekürzt), die einge-schränkte PDF und die Polizeidienstunfähigkeit definiert.Die eingeschränkte PDF und die Polizeidienstunfähigkeitsind jeweils zu begründen. Bei Polizeibeamten mit Diabetesmellitus wird in der Regel eine eingeschränkte Polizei-

Tabelle 10: Matrix Feuerwehr

Tabelle 11:

1. Beruf/Tätigkeit: Polizeivollzugsdienst, allgemeiner Verwaltungsdienst

2. Wirtschaftszweig: Polizeidienst

3. Konkrete Gefährdungen werden benannt, gemeinsam mit dem Betroffenen und ggf. weiteren Fachleuten (Ärzte, Fachkraft fürArbeitssicherheit, Vorgesetzte u.a.)

Gefährdung

Hypoglykämie-Grad Polizeivollzugsdienst Polizeivollzugsdienst, Polizeivollzugsdienst, Allgemeiner (s.o.) ohne Schusswaffe nur Innendienst Verwaltungsdienst

0 6 6 6 6

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IV –10.7.1 Diabetes und Arbeit

dienstfähigkeit attestiert und die Beamten können somit imDienst verbleiben (FINCK 2002).

Es gibt auch die Möglichkeit einer tätigkeitsbezogenenEinschränkung, z.B. bezogen auf den Nachtdienst, den Er-mittlungsdienst, die Außendiensttätigkeit, das Führen vonDienstfahrzeugen, das Führen von Schusswaffen usw. DieAusgestaltung dieser Einsatzmöglichkeit ist aber eine län-derspezifische Angelegenheit und wird selbst von Dienst-stelle zu Dienststelle nicht einheitlich gehandelt.

Eine Versetzung von Polizeibeamten in den Ruhestand,nur weil eine Diabeteserkrankung vorliegt, ist in der Regelnicht erforderlich und spricht daher letztlich für eine Dis-kriminierung.

Kompensationsmöglichkeiten zur „Feinjustierung“ dervier Beurteilungskategorien (6, ?, ??, K) sind der „Check-liste für Betriebsärzte“ zu entnehmen.

Beurteilung der Seediensttauglichkeit bei Menschen mit Diabetes mellitus

Bisher führt die Tatsache, dass Menschen mit Diabetes ei-ne Behandlung mit Insulin durchführen, unweigerlich zurSeedienstuntauglichkeit. Dies wird begründet mit §2 Ab-satz 1, unter Verweis auf die Anlage 1 der Verordnungüber die Seediensttauglichkeit (Verordnung über die See-diensttauglichkeit 1975).

Im Absatz 2 des gleichen Paragraphen steht jedoch,dass der untersuchende Arzt sehr wohl die Seediensttaug-lichkeit feststellen kann, wenn unter Berücksichtigung desLebensalters, der Berufserfahrung und der Tätigkeit desUntersuchten nicht zu befürchten ist, dass er oder anderePersonen an Bord oder die Schiffssicherheit gefährdet wer-den.

Der grundsätzliche Ausschluss von Menschen mit Dia-betes mellitus vom Seedienst ist medizinisch nicht mehr ge-rechtfertigt und bedeutet eine unzumutbare Härte für dieBetroffenen. Die fehlende Möglichkeit der Insulintherapiefür Seeleute führt in Einzelfällen durch den „Insulin-Ver-meidungszwang“ zu einer erzwungenen schlechteren Stoff-wechsellage der Kapitäne oder Besatzungsmitglieder undindirekt zu einer möglichen Gefährdung auch andererPersonen an Bord oder der Schiffssicherheit. Das Ziel derVerordnung, also der Schutz von Personen und der Schiffs-sicherheit, wird somit durch diese strikte Auslegung in dasGegenteil verkehrt!

Es wird dagegen gehalten, dass die sorgfältige Einhal-tung einer Diabetes-Diät bei der Teilnahme an der Ge-meinschaftsverpflegung an Bord von Seeschiffen zumeistkaum möglich wäre. Dies ist jedoch für die Beurteilungnicht unbedingt von Bedeutung, da eine strikte Einhaltungeiner Diabetes-Diät nach den aktuellen Empfehlungen nurin besonderen Einzelfällen notwendig und bei vielen Men-schen mit Diabetes nicht zwingend erforderlich ist. Viel-mehr ist eine an die Bedürfnisse des Diabetikers (Stoff-wechsellage, Beruf, Alltagsernährung u.a.) angepassteErnährung und medikamentöse Therapie, natürlich auchmit Insulin, das gemeinsam zu erreichende Ziel. Dies auchunter dem Aspekt der Vermeidung von Folgeerkrankungen

(The Diabetes Control and Complications Trial ResearchGroup 1993, UK Prospective Diabetes Study Group1998a).

Als weiteres Argument für den Ausschluss von insulin-behandelten Diabetikern vom Seedienst wird die besonde-re Verantwortung des Schiffsführers für die Verkehrssi-cherheit des Schiffes und seiner Besatzung angeführt. Hiermuss aber ebenfalls bedacht werden, dass gerade hier diefehlende Möglichkeit der Insulintherapie für Seeleute inEinzelfällen durch den „Insulin-Vermeidungszwang“ zueiner erzwungenen schlechteren Stoffwechsellage der Ka-pitäne oder Besatzungsmitglieder und somit indirekt zu ei-ner möglichen Gefährdung auch anderer Personen an Bord(Besatzung und Passagiere) oder gar der Schiffssicherheitführen kann.

Es wird also zurzeit eine relevant schlechtere Stoff-wechseleinstellung in Kauf genommen oder Insulin wirdheimlich gespritzt und notwendige Blutzuckermessungenwerden vermieden, um die Bescheinigung für die Seedienst-tauglichkeit zu erlangen oder nicht zu verlieren. DieseSachverhalte werden auch gelegentlich bekannt, obwohlsie von den Betroffenen selbst natürlich geheim gehaltenwerden. Die Diabetiker wenden sich in ihrer problemati-schen Situation teilweise nicht an ihre zuständigen Ärzte,weil sie Sorge haben, dass ihnen dann die Seediensttaug-lichkeit aberkannt wird. Es werden z.T. abenteuerlicheKombinationen und Mengen von oralen Antidiabetika ein-genommen, mit entsprechend schlechten Stoffwechselwer-ten und bekannter deutlich erhöhter Gefahr von protra-hierten Unterzuckerungen (diese sind an Bord sehr schlechtbeherrschbar) und anderen bekannten Nebenwirkungen,nur um eine Insulintherapie zu vermeiden.

Es sei nochmals betont, dass auch die Seefahrtstaug-lichkeitsverordnung in § 2 Abs.2 eine individuelle Beurtei-lung ausdrücklich zulässt. Dies wird auch von den begut-achtenden Ärzten der See-Berufsgenossenschaft bestätigt.Es ist jedoch leider festzustellen, dass von dieser Möglich-keit kein Gebrauch gemacht wird und ausnahmslos alleinsulinpflichtigen Diabetiker als seedienstuntauglich be-trachtet werden. Diese diskriminierende Praxis ist be-drückend, weil die gesetzliche Regelungen, auch nach denGuidelines der ILO, individuelle Beurteilungen zulassenund die wissenschaftliche Datenlage gute Gründe an dieHand geben, dass eine strikte Beurteilungspraxis ohneAusnahme nicht gerechtfertigt ist. So sieht der Annex Cder Guidelines for Conducting Presea and Periodic Medi-cal Fitness Examinations for Seafarers ein sehr differen-ziertes Vorgehen in der Beurteilung und der Auflagen beibestimmten Erkrankungen vor, so auch bei Diabetes melli-tus. Es wird dort z.B. differenziert zwischen Berufsanfän-gern und erfahrenen Seefahrern.

Die bisherige Auslegung der Seediensttauglichkeits-Verordnung wird nachvollziehbar von betroffenen Seeleu-ten als unzumutbare Härte und Diskriminierung empfun-den. In Absprache mit dem Seeärztlichen Dienst der See-Berufsgenossenschaft sollte daher bei der Beurteilung derSeediensttauglichkeit bei Menschen mit Diabetes mellitusnach folgendem Leitsatz verfahren werden.

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Diabetes und Arbeit IV –10.7.1

Konietzko · Dupuis · Letzel · Nowak – Handbuch der Arbeitsmedizin – 43. Erg. Lfg. 9/06 29

„Wer als Diabetiker mit Insulin behandelt wird, ist inder Regel nicht in der Lage, den in der Seediensttaug-lichkeitsverordnung gestellten Anforderungen gerechtzu werden. Ausnahmen setzen außergewöhnliche Um-stände voraus, die in einem ausführlichen Gutachten imEinzelnen zu beschreiben sind. Alle Beteiligten sollendarauf hinwirken, dass eine optimale Therapie realisiertwird. Dabei sind zur Beurteilung der Seediensttauglich-keit im Einzelfall spezifische Kenntnisse der Arbeitsbe-dingungen und Verhältnisse in der heutigen Seeschiff-fahrt erforderlich.“

Diese differenzierte Regelung wird von den Beteiligten an-gestrebt und entspricht wohl auch der eigentlichen Absichtder Seediensttauglichkeitsverordnung und insbesonderedem Inhalt des §2 Abs.2 (s.o.).

Die Fahrtauglichkeit und die Kraftfahrereignung bei Diabetes mellitus

Menschen mit Diabetes mellitus erfreuen sich wie Stoff-wechselgesunde der im Grundgesetz der BundesrepublikDeutschland verankerten Grundrechte der freien Wahl desBerufes, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstättesowie des Rechts auf Mobilität. Die Gewährleistung derMobilität hat in unserer Gesellschaft, in der Freizeit undvor allem im Berufsleben einen sehr hohen Stellenwert.

Im Berufs- und Arbeitsleben wird Mobilität und Flexi-bilität erwartet. Viele Berufstätige nehmen täglich größereEntfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte inKauf, um einen Arbeitsplatz zu bekommen oder zu erhal-ten. Darüber hinaus ist für alle Berufskraftfahrer der Er-halt der Fahrerlaubnis von existentieller Bedeutung.

Der Erwerb der Fahrerlaubnis zum Führen von Kraft-fahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr ist deshalbauch für Menschen mit Diabetes mellitus von großer prak-tischer Bedeutung, insbesondere auch im Hinblick auf dieBerufsausübung und auf berufliche Fahrtätigkeiten vonPersonen mit Diabetes mellitus.

Die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr bedarfeiner gesetzlichen und normativen Regelung, um die öf-fentliche Sicherheit und Ordnung auf unseren Straßen zugewährleisten. Mit der Teilnahme am Straßenverkehr un-terwerfen sich Diabetiker wie Nichtdiabetiker den gelten-den gesetzlichen Regelungen.

Die Grundlage des Straßenverkehrsrechts sind dasStraßenverkehrsgesetz (StVG) als Rahmengesetz sowie dieStraßenverkehrsordnung (StVO) und die Verordnung überdie Zulassung von Personen zum Straßenverkehr, die Fahr-erlaubnisverordnung (FeV). Die Fahrerlaubnisverordnung,die in Umsetzung der „EG-Richtlinie über den Führer-schein“ in nationales Recht am 1. Januar 1999 in Kraftgetreten ist, beinhaltet Regelungen für die Zulassung vonPersonen zur Teilnahme am Straßenverkehr oder die ein-geschränkte Zulassung bei Krankheiten, Behinderungenoder Mängeln und weiterhin über die Einschränkung der

Zulassung sowie die Anordnung von Auflagen und Be-schränkungen und letztlich auch über Maßnahmen wie dieEntziehung der Fahrerlaubnis.

Weitere Rechtsgrundlagen bzw. Rechtsvorschriften inarbeitsmedizinischer Hinsicht sind das Arbeitssicherheits-gesetz (ASiG) und die Unfallverhütungsvorschriften mitden Berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen für arbeits-medizinische Vorsorgeuntersuchungen nach G 25 für Ver-sicherte, die Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeitenausüben und die VDV-Leitlinien für die betriebsärztlicheBeurteilung von Betriebsbediensteten in ÖPNV-Unterneh-men.

Die spezifischen Ziele der genannten Rechtsnormengelten der allgemeinen Verkehrssicherheit bei der Fahrer-laubnisverordnung durch Vermeidung erkennbarer, signifi-kant erhöhter Risiken sowie dem Gesundheitsschutz unddem Erhalt der Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten beimArbeitssicherheitsgesetz und den Unfallverhütungsvor-schriften und darüber hinaus ist die Haftung der Unter-nehmer für die Sicherheit der Fahrgäste und die Dritterund letztlich auch die Fürsorgepflicht der Unternehmer fürdie Mitarbeiter und für einen ungestörten Betriebsablauftangiert.

Beim Diabetes mellitus können sowohl therapiebeding-te Nebenwirkungen als auch krankheitsbedingte Kompli-kationen zu einer Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeitbis hin zur Fahruntauglichkeit sowie auch zu einer Ein-schränkung der Eignung zum Führen bestimmter Fahr-zeugklassen bis hin zur Ungeeignetheit führen und zwarFolgende:

● Schwere akute Stoffwechselentgleisungen,● labile Stoffwechsellage,● Hypoglykämien, insbesondere● Hypoglykämien mit Wahrnehmungsstörungen,● die diabetische Neuropathie mit Sensibilitätsstörungen

von Händen oder Füßen,● die diabetische Retinopathie mit Visusminderung.

Durch diese krankheitsbedingten Komplikationen und the-rapiebedingten Nebenwirkungen ist der Diabetes mellitusvon verkehrsmedizinischer Bedeutung. Generell sind Dia-betiker, die keine Krankheitszeichen zeigen und erwartenlassen, zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet. Diesesgilt für den größten Teil aller Diabetiker. Die Vorausset-zungen zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen könnenjedoch eingeschränkt oder ausgeschlossen sein, wenndurch unzureichende Behandlung oder durch Nebenwir-kungen der Behandlung oder durch Komplikationen derErkrankung verkehrsgefährdende Gesundheitsstörungenbestehen oder zu erwarten sind, die die Fahrtauglichkeitoder auch die Eignung zum sicheren Führen von Kraft-fahrzeugen einschränken können. Diese Diabetiker bedür-fen der individuellen Beurteilung der Kraftfahrereignungmit der Frage, ob ihre Fähigkeiten den Mindestanforde-rungen zum Führen von Kraftfahrzeugen entsprechen.

Gemäß Anlage 4 der Fahrerlaubnisverordnung ist dieEignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraft-fahrzeugen nicht gegeben bei Diabetikern mit Neigung zu schweren Stoffwechselentgleisungen mit Hyper- und

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IV –10.7.1 Diabetes und Arbeit

Hypoglykämien mit Kontrollverlust, Verhaltensstörungenoder Bewusstseinsbeeinträchtigungen, insbesondere Hy-poglykämie-Wahrnehmungsstörungen. In solchen Fällenkann jedoch vielfach die bedingte Eignung zum Führenvon Kraftfahrzeugen wieder hergestellt werden durchgeeignete Maßnahmen wie Therapieänderung (z.B. Insu-lin- oder Insulinregime-Umstellung), vermehrte Blut-zuckerselbstkontrollen oder das Hypoglykämie-Wahrneh-mungs-Training. In den meisten Fällen werden jedochmeist mehrere „geeignete Maßnahmen“ parallel zu veran-lassen sein. In solchen Fällen von Eignungseinschränkun-gen ist immer eine individuelle ärztliche Begutachtungdurch einen Facharzt (Internist/Diabetologe) mit verkehrs-medizinischer Qualifikation oder durch einen Amtsarztoder durch einen Facharzt für Arbeitsmedizin bzw. Arzt

mit der Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin wie es dieFahrerlaubnisverordnung im §11 Fahrerlaubnisverord-nung (FeV) vorsieht, angezeigt und begründet.Bei erstmaliger Stoffwechseleinstellung oder bei Umstel-lung oder Neueinstellung kann die Eignung oder die be-dingte Eignung nach Erreichen einer ausgeglichenen Stoff-wechsellage einschließlich der Normalisierung des Sehver-mögens wieder gegeben sein. Dazu zählt insbesondereauch die sichere Erkennung von Hypoglykämiezeichen. Beiausgeglichener Stoffwechsellage sind im Umgang mit derErkrankung informierte (= geschulte) Diabetiker, die mitDiät, oralen Antidiabetika oder mit Insulin behandelt wer-den, in der Lage, Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 (= KlassenA, A1, B, BE, M, L, T) sicher zu führen.

Kraftfahrzeuge der Gruppe 2 (= LKW, Busse und Fahr-zeuge zur Fahrgastbeförderung) können ausnahmsweisegeführt werden, wenn eine gute Stoffwechselführung ohneUnterzuckerung über etwa drei Monate dokumentiert ist.Die Ausnahmen sind in einem ausführlichen ärztlichenGutachten zu beschreiben, wobei es insbesondere daraufankommt, die straßenverkehrsgefährdungsausschließen-den Aspekte darzustellen und auf die Sicherheit der Hypo-glykämieerkennung und die Zuverlässigkeit des Straßen-verkehrsteilnehmers mit Diabetes mellitus einzugehen. Re-gelmäßige Nachbegutachtungen im Abstand von höchs-tens zwei Jahren sind erforderlich.

Bei der verkehrsmedizinischen Begutachtung vonKraftfahrern sind die „Begutachtungs-Leitlinien zur Kraft-fahrereignung“ des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsme-dizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Woh-nungswesen und beim Bundesministerium für Gesundheitzu berücksichtigen, die von der Bundesanstalt für dasStraßenwesen überarbeitet und im Februar 2000 in der6. Auflage veröffentlicht wurden.

In den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereig-nung sind zur Zuckerkrankheit die folgenden Leitsätze er-arbeitet worden (Tab. 12).

Für die Zwecke dieser Begutachtungs-Leitlinien wur-den die Fahrerlaubnisklassen entsprechend der EG-Richtli-nie in zwei Gruppen eingeteilt:

Gruppe 1: Führer von Kraftfahrzeugen der Klassen A,A1, B, BE, M, L und T.

Gruppe 2: Führer von Kraftfahrzeugen der Klassen C,C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E

und Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung.Bei der Erstellung der Beurteilungsgrundsätze wurden

sowohl die Bedürfnisse des Einzelnen zur Teilnahme ammotorisierten Straßenverkehr als auch das Interesse derAllgemeinheit an der Straßenverkehrssicherheit berück-sichtigt. Der Beirat für Verkehrsmedizin hat es als seineAufgabe angesehen, Beurteilungsgrundsätze aufzuzeigen,die den Gutachtern als Entscheidungshilfe für den Einzel-fall dienen sollen (Tab. 13).

Im Einzelfall kann von diesen Beurteilungsgrundsätzenbegründet abgewichen werden, wie es beispielsweise fürden Berufskraftfahrer (Gruppe 2) mit insulinbehandeltemDiabetes mellitus erforderlich wäre. Der ärztliche Gutach-ter hat dabei die Aufgabe und die Kompetenz, eine Krank-

§ 11 Fahrerlaubnis-Verordnung

Eignung

(1) Bewerber um eine Fahrerlaubnis müssen die hierfürnotwendigen körperlichen und geistigen Anforderun-gen erfüllen. Die Anforderungen sind insbesonderenicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangelnach Anlage 4 oder 5 vorliegt, wodurch die Eignungoder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahr-zeugen ausgeschlossen wird. Außerdem dürfen die Be-werber nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen ver-kehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze ver-stoßen haben, so dass dadurch die Eignung ausge-schlossen wird. Bewerber um die Fahrerlaubnis derKlasse D oder D1 müssen auch die Gewähr dafür bie-ten, dass sie der besonderen Verantwortung bei der Be-förderung von Fahrgästen gerecht werden.

(2) Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegendie körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaub-nisbewerbers begründen, kann die Fahrerlaubnisbehör-de zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Er-teilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder überdie Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen dieBeibringung eines ärztlichen Gutachtens durch den Be-werber anordnen. Bedenken gegen die körperliche odergeistige Eignung bestehen insbesondere, wenn Tat-sachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung odereinen Mangel nach Anlage 4 oder 5 hinweisen. DieBehörde bestimmt in der Anordnung auch, ob das Gut-achten von einem

1. für die Fragestellung (Absatz 6 Satz 1) zuständigenFacharzt mit verkehrsmedizinischer Qualifikation,

2. Arzt des Gesundheitsamtes oder einem anderen Arztder öffentlichen Verwaltung oder

3. Arzt mit der Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“oder der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“

erstellt werden soll. Die Behörde kann auch mehreresolcher Anordnungen treffen. Der Facharzt nach Satz 3Nr.1 soll nicht zugleich der den Betroffenen behandeln-de Arzt sein.

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1 Blutzuckererniedrigung unter den Normalbereich2 Blutzuckererhöhung über den Normalbereich

Diabetes und Arbeit IV –10.7.1

Konietzko · Dupuis · Letzel · Nowak – Handbuch der Arbeitsmedizin – 43. Erg. Lfg. 9/06 31

heit oder einen Mangel festzustellen und sich zur Prognoseim Hinblick auf die Auswirkung bei Teilnahme eines Be-troffenen am motorisierten Straßenverkehr zu äußern. DerGutachter hat unter Berücksichtigung der speziellen Be-fundlage insbesondere auch die Möglichkeiten der Kom-pensation von Mängeln zu prüfen. Unter Kompensationwird die Behebung oder der Ausgleich von Leistungsmän-geln oder Funktionsausfällen bzw. fahreignungsrelevantenDefiziten durch andere Funktionssysteme verstanden. DassKompensationen durch besondere menschliche Veranla-gungen, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellungoder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstel-

lungen möglich sind, kann als erwiesen angesehen werden.Beim insulinbehandelten Diabetes mellitus besteht thera-piebedingt ständig die Möglichkeit des Auftretens einerHypoglykämie, die vorübergehend zu einer fahreignungs-relevanten Funktions- oder Leistungseinschränkung führenkann, die es zu kompensieren gilt.

Folgende Kompensationsmöglichkeiten kommen in Be-tracht:

● Die eingehende Schulung des Betroffenen mit Kennen-lernen der individuellen eigenen Hypoglykämiesympto-me und

● das Hypoglykämiewahrnehmungstraining, insbesonde-re im Falle einer Hypoglykämiewahrnehmungsstörung,

● die verstärkte Blutglukoseselbstkontrolle und ggf.● die Therapieänderung.

Wenn chronische Eignungsmängel einer ständigen Kom-pensation bedürfen, kann die Fahrtauglichkeit und dieKraftfahrereignung nur noch bedingt gegeben sein. Derbetreffende Kraftfahrer darf nur unter festgelegten Be-schränkungen der Fahrerlaubnis oder unter Auflagen ammotorisierten Straßenverkehr teilnehmen.

Die Leistung des ärztlichen Gutachters besteht in die-sem Fall darin, der Rechtsinstanz (Verwaltungsbehördenoder Gerichte) die Eignung oder die bedingte Eignung so-wie auch die Beschränkungen oder Auflagen als rechtlicheFolgerung ableitbar zu machen.

Bei der arbeitsmedizinischen Untersuchung der Berufs-gruppe der Fahrer sind als spezifische Ziele zu nennen: DerGesundheitsschutz für die Beschäftigten und der Erhalt derArbeitsfähigkeit sowie die Sicherheit auch für Dritte (Mit-arbeiter, Fahrgäste) und die Verantwortung für einen un-gestörten Betriebsablauf.

Die Haftung des Unternehmers beinhaltet die Haftungfür die Sicherheit seiner Fahrgäste und die Dritter und dieVerpflichtung zur Fürsorge für die Mitarbeiter entspre-chend den spezifischen Belastungen des Dienstes.

In diabetologischer Hinsicht ist die arbeitsmedizinischeBeurteilung bei Berufen mit Fahrtätigkeiten in etwa kom-patibel mit der verkehrsmedizinischen Beurteilungsweise.Mit Rücksicht darauf, dass bei Arbeitnehmern/Verkehrs-teilnehmern mit Diabetes mellitus die Progredienz der Er-krankung bei der Eignungsbeurteilung mit zu bedenken ist,wird in vielen Fällen eine vorzeitige Nachuntersuchung vorAblauf des regulären Untersuchungsintervalls (max. dreiJahre im Fahrdienst und max. fünf Jahre nach der Fahrer-laubnisverordnung) zu empfehlen sein.

Präventionsmaßnahmen haben in der Arbeitsmedizinebenso wie in der Verkehrsmedizin einen hohen Stellen-wert, der sich in diabetologischer Hinsicht fokussierenlässt auf Verhaltensprävention durch Hypoglykämiepro-phylaxe und -früherkennung.

In der Fahrerlaubnisverordnung wird in §2 betreffs derPflicht zur Vorsorge folgendes ausgeführt:

● Wer als Diabetiker zu schweren Stoffwechselentglei-sungen mit Hypoglykämien1 mit Kontrollverlust,Verhaltensstörungen oder Bewusstseinsbeeinträchti-gungen oder Hyperglykämien2 mit ausgeprägtenSymptomen wie z.B. Schwäche, Übelkeit, Erbrechenoder Bewusstseinsbeeinträchtigungen neigt, ist nichtin der Lage, den gestellten Anforderungen zumFühren von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerechtzu werden.

● Wer nach einer Stoffwechseldekompensation erst-mals oder wer überhaupt neu eingestellt wird, ist solange nicht in der Lage, den gestellten Anforderun-gen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Grup-pen gerecht zu werden, bis die Einstellphase durchErreichen einer ausgeglichenen Stoffwechsellage(incl. der Normalisierung des Sehvermögens) abge-schlossen ist.

● Bei ausgeglichener Stoffwechsellage sind im Umgangmit der Erkrankung informierte Diabetiker, die mitDiät, oralen Antidiabetika oder mit Insulin behan-delt werden, in der Lage, Kraftfahrzeuge der Grup-pe 1 sicher zu führen.

● Wer als Diabetiker mit Insulin behandelt wird, ist inder Regel nicht in der Lage, den gestellten Anforde-rungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Grup-pe 2 gerecht zu werden. Ausnahmen setzen außerge-wöhnliche Umstände voraus, die in einem ausführli-chen Gutachten im Einzelnen zu beschreiben sind.Neben regelmäßigen ärztlichen Kontrollen sindNachbegutachtungen im Abstand von höchstens 2 Jahren erforderlich.

● Diabetiker, die mit oralen Antidiabetika vom Sul-fonylharnstofftyp behandelt werden, sind in der La-ge, den gestellten Anforderungen zum Führen vonKraftfahrzeugen der Gruppe 2 gerecht zu werden,wenn vor der Genehmigung eine gute Stoffwechsel-führung ohne Hypoglykämien über etwa 3 Monatevorlag. Nachbegutachtungen sind im Abstand vonhöchstens 3 Jahren erforderlich.

Tabelle 12: Leitsätze in den Begutachtungs-Leitlinien für Kraft-fahrereignung

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IV –10.7.1 Diabetes und Arbeit

1. Beruf/Tätigkeit: Kraftfahrer

2. Wirtschaftszweig: z.B. Fahrgastbeförderung

3. Konkrete Gefährdungen werden benannt, gemeinsam mit dem Betroffenen und ggf. weiteren Fachleuten (Ärzte, Fachkraft fürArbeitssicherheit, Vorgesetzte u.a.)

Gefährdung

Hypoglykämie-Grad PKW Taxi LKW Bus(s.o.)

0 6 6 6 6

A 6 ? ? ?

B ? ?? ?? ??

C I I I I

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Aus juristischer Sicht empfiehlt es sich, insulinbehandeltenKraftfahrern wie auch insulinbehandelten Arbeitnehmernmit Fahrtätigkeiten die folgenden Verhaltensregeln mit derBitte um Beachtung schriftlich zu überreichen:

Ratschläge für insulinbehandelte Kraftfahrer

Insulinbehandelte Diabetiker, die als Kraftfahrer amStraßenverkehr teilnehmen, müssen zur eigenen Sicherheitsowie zur Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer die fol-genden Ratschläge kennen und beachten:

● Griffbereite Bereithaltung ausreichender Mengen vonschnell wirksamen Kohlenhydraten (z.B. Trauben-zucker, Würfelzucker) im Fahrzeug.

● Blutglukoseteststreifen im Fahrzeug mitführen.● Bei Hypoglykämie oder Verdacht auf Hypoglykämie

Fahrt nicht antreten.

● Bei Zeichen von oder Verdacht auf Hypoglykämie Fahrtsofort unterbrechen, schnell wirksame Kohlenhydratenehmen und abwarten, bis die Hypoglykämie sicherüberwunden ist.

● Vor Antritt einer längeren Fahrt aus Sicherheitsgründenund auch aus juristischen Gründen eine Blutglukose-selbstkontrolle durchführen und das Ergebnis protokol-lieren.

● Bei längeren Fahrten jeweils nach etwa zwei bis dreiStunden Pausen einlegen, BZ messen und dokumentie-ren und ggf. eine bestimmte Menge Kohlenhydrate es-sen.

● Lange Nachtfahrten möglichst vermeiden.● Die Fahrtgeschwindigkeit aus eigenem Entschluss be-

grenzen.● Kein Alkohol vor und während einer Fahrt (auch kein

Diätbier).● Diabetikerausweis, Insulin und Insulinspritzen und ggf.

Glucagon mitführen.● Regelmäßige ärztliche Kontrollen einschließlich der au-

genärztlichen Untersuchung samt Prüfung der Sehleis-tung einholen.

Zusammenfassend ergibt sich bei Zugrundelegung deroben dargestellten Matrix mit Berücksichtigung der ar-beitsmedizinischen sowie auch der diabetologischenAspekte zur Systematik der Einschätzung eines beruflichenRisikos bei den Berufen mit Fahrtätigkeiten folgende Zu-sammenschau (Tab. 13).

§ 2 FeV – Fahrerlaubnisverordnung

Wer sich infolge körperlicher Mängel nicht sicher imVerkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilneh-men, wenn Vorsorge getroffen ist, dass er andere nichtgefährdet. Die Pflicht zur Vorsorge obliegt dem Ver-kehrsteilnehmer selbst oder einem für ihn Verantwort-lichen

Berufe mit Fahrtätigkeiten

Tabelle 13: Fahrtätigkeiten

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Diabetes und Arbeit IV –10.7.1

Konietzko · Dupuis · Letzel · Nowak – Handbuch der Arbeitsmedizin – 43. Erg. Lfg. 9/06 33

Verkehrsunternehmen mit Schienenverkehr

Die berufliche Tätigkeit in Schienenverkehrsunternehmenunterliegt den Regeln der Eisenbahn- und Betriebsordnung(EBO) vom 8.5.1967, zuletzt geändert am 21.6.2002.

Die EBO regelt die gesundheitlichen Eignungsanforde-rungen für Eisenbahnbetriebsbedienstete innerhalb derBundesrepublik Deutschland.

Die Tauglichkeitsfeststellung erfolgt durch einen ver-kehrsmedizinisch erfahrenen Arzt mit der Gebietsbezeich-nung „Arbeitsmedizin“ oder der Zusatzbezeichnung „Be-triebsmedizin“.

Als Beurteilungsgrundlage gilt die tätigkeitsbezogeneUntersuchung nach den VDV (Verband Deutscher Ver-kehrsunternehmen) Schriften 714, bzw. der Konzernricht-linie 107 für alle Unternehmensbereiche der DeutschenBahn AG.

Die Sicherheit der Fahrgäste steht an erster Stelle, sodass sehr hohe gesundheitliche Anforderungen an den Mit-arbeiter gestellt werden. Bewerber für den Betriebsdienst(z.B. Triebfahrzeugführer, Weichenwärter, Fahrdienstleiter,Rangierer) dürfen zum Zeitpunkt der Erstuntersuchungkeine Erkrankung des Glukosestoffwechsels haben.

Entwickelt ein Betriebsdienstmitarbeiter im Laufe derJahre einen Diabetes mellitus erfolgt die Beurteilung derTauglichkeit tätigkeitsbezogen unter Würdigung der The-rapie, der Güte der Stoffwechseleinstellung und dem Aus-schluss von Folgekomplikationen. Dieses stellt sehr hoheAnforderungen an den Mitarbeiter, um die Sicherheit derFahrgäste und der Mitarbeiter zu gewährleisten. Zudem isteine enge Zusammenarbeit des Hausarztes/Diabetologenmit dem Betriebsarzt die Grundlage für die Attestierung ei-ner Betriebsdiensttauglichkeit. Die nahenormoglykämischeBlutzuckereinstellung muss durch regelmäßige Kontrollennachgewiesen werden. Zudem muss die Hypoglykämiege-fahr nahezu ausgeschlossen sein und eine Diabetes-Schu-lung erfolgt sein. Die notwendige Diagnostik und Therapiesollte in Analogie zu den Leitlinien der DDG erfolgen. Diebindende Tauglichkeitsfeststellung erfolgt durch den Ver-

kehrsmediziner des jeweiligen Verkehrsunternehmens.Die Deutsche Bahn AG als größter Schienenverkehrs-

dienstleister mit etwa 230000 Mitarbeitern hat sich auf-grund der demoskopischen Entwicklung bereits intensiv mitder Diabetesproblematik beschäftigt. Betriebsdiensttätige,die aufgrund ihrer Diabeteserkrankung ihre Tätigkeit nichtmehr ausführen können, werden in der Regel innerhalb desBetriebes umgesetzt. Hierfür wurden umfangreiche bahnin-terne Richtlinien geschaffen, die in regelmäßigen Abständendurch den Ausschuss Arbeitsschutz und Gesundheitsförde-rung der DB AG überarbeitet werden.

Schichtarbeit

Wechselschicht existiert weltweit in mehreren hundert ver-schiedenen Formen, ist unverzichtbar für große Teile derIndustrie und dennoch gesundheitlich problematisch.

Wach- und Schlafrhythmus, Essens- und Verdauungs-rhythmus werden innerhalb mehrerer Wochen hin und her-geschoben. Vor allem bei vollkontinuierlichen Systemengibt es Lücken und Überlagerungen in der Tabletten- undinsbesondere der Insulintherapie, somit systemimmanenteine vermehrte Hypoglykämiegefährdung (Tab. 14). Dabeisind die arbeitsphysiologisch befürworteten kurz-rotiertenSchichtsysteme auf Grund der häufigen Umstellungen nochschwerer zu bewältigen als lang rotierte Systeme.

Gute, nicht übermäßig straffe Stoffwechseleinstellung(HbA1c!), eine sorgfältige Diabetesschulung, Stoffwechsel-protokollierung und „Training der Hypoglykämiewahr-nehmung“ sind unverzichtbare Voraussetzungen patien-tenseitig. Dazu sollte eine regelmäßige Betreuung durchHausarzt bzw. Diabetologen und Betriebsarzt kommen(Kooperation der ärztlichen Kollegen untereinander!).

Zu empfehlen sind weiterhin die Unterweisung derMitarbeiterkollegen über evtl. Notfallmaßnahmen sowiedie Beteiligung an Selbsthilfegruppen von Diabetikern inWechselschicht, soweit vorhanden.

1. Beruf/Tätigkeit: Wechselschicht

2. Wirtschaftszweig: Chemie u.ä.

3. Konkrete Gefährdungen werden benannt, gemeinsam mit dem Betroffenen und ggf. weiteren Fachleuten (Ärzte, Fachkraft fürArbeitssicherheit, Vorgesetzte u.a.)

Gefährdung

Hypoglykämie-Grad Frühschicht Spätschicht Nachtschicht Schichtwechsel Einzelarbeit nachts(s.o.)

0 6 6 6 6 6

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B ?? ?? ?? ?? ??

C I I I I I

D ?? ?? ?? ?? ??

Tabelle 14: Wechselschicht

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IV –10.7.1 Diabetes und Arbeit

Geeignete Sicherheitsschuhe für Menschen mit Diabetes

Sicher ist die Frage nach geeigneten Sicherheitsschuhen fürMenschen mit Diabetes kein alltägliches Problem. Aber imEinzelfall kann der geeignete Sicherheitsschuh die beruf-liche Existenz sichern und im umgekehrten Fall der unge-eignete Sicherheitsschuh die Gesundheit ruinieren.

Eine kurze, einheitliche und umsetzbare Information fürMenschen mit Diabetes im Berufsleben und deren beraten-de Ärzte existiert zu dieser Fragestellung zur Zeit nicht.Ausgehend von verschiedenen konkreten Fragestellungenvon Menschen mit Diabetes, Diabetologen und Arbeitsme-dizinern wurde versucht, Licht in das Dunkel der geeigne-ten Schuhversorgung von Menschen mit Diabetes im Be-rufsleben zu bringen. Der folgende Abschnitt fasst verfüg-bare Informationen von Arbeitsmedizinern, Menschen mitDiabetes, Diabetologen, Orthopädieschuhmachern undSchuhherstellern und der zitierten Literatur zusammen.

Persönliche Schutzausrüstung (PSA-Benutzerverordnung)

Sicherheitsschuhe gehören zu der so genannten persönli-chen Schutzausrüstung eines Berufstätigen. Die Verord-nung über die Sicherheit und Gesundheitsschutz bei derBenutzung persönlicher Schutzausrüstung (PSA) bei derArbeit (PSA-Benutzerverordnung) setzt die Richtlinie desRates der Europäischen Gemeinschaft vom 30. November1989 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesund-heitsschutz bei Benutzung persönlicher Schutzausrüstun-gen durch Arbeitnehmer bei der Arbeit (89/656/EWG) indeutsches Recht um.

Im §2 Absatz 1 der PSA-Benutzerverordnung wird dieBereitstellung und Benutzung von persönlicher Schutz-ausrüstung geregelt. Demnach hat der Arbeitgeber nurpersönliche Schutzausrüstungen auszuwählen und denBeschäftigten bereitzustellen, die den Anforderungen derVerordnung über das Inverkehrbringen von persönlicherSchutzausrüstung entsprechen, Schutz gegenüber der zuverhütenden Gefährdung bieten, ohne selbst eine größereGefährdung mit sich zu bringen, für die am Arbeitsplatzgegebenen Bedingungen geeignet sind und den ergonomi-schen Anforderungen und den gesundheitlichen Erforder-nissen der Beschäftigten entsprechen.

Hier wird bereits die mögliche Diskrepanz zwischenunterschiedlichen Schutzzielen bei berufstätigen Menschenmit Diabetes deutlich: Einerseits soll der Sicherheitsschuh(S3, s.u.) vor mechanischen Einwirkungen auf den Fußschützen, andererseits kann der Sicherheitsschuh selbst,z.B. bei Vorliegen eines diabetischen Fußsyndroms, eineGefährdung darstellen. Allzu oft führte die Lösung diesesProblems bei Menschen mit Diabetes nicht zur Auswahleines geeigneten Sicherheitsschuhes, sondern zu einer Ar-beitsplatzumsetzung oder Kündigung des Arbeitsverhält-nisses.

Genauere Informationen zu den verschiedenen Anfor-derungen können hier weiterhelfen. Sie sind u.a. enthalten

in der BGR 191 (Berufsgenossenschaftliche Regeln fürSicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, Benutzung vonFuß- und Beinschutz des Fachausschusses „PersönlicheSchutzausrüstungen“ des Hauptverbandes der gewerb-lichen Berufsgenossenschaften e.V., Sankt Augustin)(Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaftene.V. 1994). In dieser Berufsgenossenschaftlichen Regel wer-den alle wichtigen Definitionen und Regelungen für denEinsatz von Fußschutz zusammengefasst. Es wird daher beiweiteren Detailfragen auch auf diese Regeln als weiter-führende Literatur verwiesen. Die Berufsgenossenschaftli-chen Regeln werden ständig aktualisiert und sind ggf. überdie zuständige Berufsgenossenschaft kostenlos zu beziehen.

Probleme bei Sicherheitsschuhen für Menschen mit Diabetes

Auf die Frage „Gibt es eine einheitliche und optimale Ver-sorgung von Menschen mit Diabetes mit diabetischemFußsyndrom mit einem Sicherheitsschuh?“ muss festge-stellt werden: „Eine allgemein gültige Lösung ist nicht vor-handen und wird es voraussichtlich auch nicht geben!“Dies soll im nachfolgenden Teil erläutert werden.

In der Universitätsklinik Düsseldorf wurden Ende derneunziger Jahre dynamische Druckmessungen zwischenFußsohlen und Brandsohlen in Sicherheitsschuhen durch-geführt, ausgehend von der Vermutung, dass es offensicht-lich bei einer bisher unbekannten Anzahl von Diabetikerndurch das Tragen von Sicherheitsschuhen zu Verletzungenmit schweren Folgeschäden kommt (THEURICH 2000). DieErgebnisse legten damals nahe: Für berufstätige Menschenmit Diabetes mit neuropatischen Fußveränderungen gibt esin der Regel keine geeigneten industriell gefertigten Sicher-heitsschuhe.

Grundsätzlich sollten alle Versicherten (auch ohneDiabetes bzw. Neuropathie) einer optimalen Schuh- undEinlagenversorgung zugeführt werden. Das bedeutet mög-lichst eine Anpassung nach dem Mehrweitensystem sowieHinweise auf optimales Trageverhalten (z.B. täglicherWechsel).

Eine Abweichung von gesetzlichen Bestimmungen oderentsprechenden Vorgaben wird es als Sonderregelung fürMenschen mit Diabetes wahrscheinlich nicht geben. EineRisikoabwägung sollte jedoch auch in Zukunft von denzuständigen Gremien überdacht werden. Eine wichtigeKonsequenz wäre außerdem eine fundierte Beratung, aufdie Menschen mit Diabetes zurückgreifen können: Diesbeinhaltet die Schuhversorgung in grundsätzlich zwei ver-schiedenen arbeitsmedizinischen Betreuungsbereichen:

a) Die enge und intensive werksärztliche Betreuung, so ge-nanntes „Schuhpool-Modell“.

b) Die überregionale überbetriebliche Betreuung durch Ar-beitsmediziner und Arbeitsmedizinische Dienste.

Zu a): Im werksärztlichen Betreuungsmodus ist eine vonAnfang an differenzierte und persönliche Beratung undSchuhversorgung mit Anpassung vor Ort möglich. Hiersollte/könnte eine Schuhversorgung noch bis zum Stadium

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II a des diabetischen Fußsyndroms möglich sein (s. stadi-engerechte Auswahl von Sicherheitsschuhen).

Zu b): Bei der üblichen überbetrieblichen arbeitsmedi-zinischen Betreuungsform ohne regelmäßigen und zudemmeist nur kurzfristigen Einsatz des Arbeitsmediziners amArbeitsplatz im Betrieb des Betroffenen ist eine Schuhver-sorgung i.d.R. nur im Stadium I möglich (s. stadiengerech-te Auswahl von Sicherheitsschuhen).

Es wird in diesem Zusammenhang auf die vielseitigenProbleme der Schuhanpassung hingewiesen. Diese er-fordert zunächst eine Vermessung der Füße bzgl. Längeund Breite in Millimetern (analog dem WMS-System beiKindern), wobei neben einer Schublehre in Extremfällenauch Umrisszeichnungen hilfreich sein können. Daran an-schließen muss sich im optimalen Fall eine vergleichendeAnprobe (korrekte Schnürung, Gehen, Treppensteigen,Hocken!) von Sicherheitsschuhen verschiedener Weitenund Längen, falls möglich auch verschiedener Modelle(unterschiedliche Leisten!).

Die neu auf den Markt gekommene Methode des drei-dimensionalen Einscannens der Füße wird der Anpassungvon orthopädischen Maßschuhen vorläufig vorbehaltenbleiben. Auch diese Methode wird jedoch eine Anprobeunter den o.g. Kriterien nicht überflüssig machen können,da der Schuh nicht nur statisch sondern dynamisch am Fußoptimal passen muss. Bei sensibilitätsgestörten polyneuro-pathischen Füßen kann die subjektive Wahrnehmung beider Anprobe aber so stark eingeschränkt sein, dass einefachkundige Fremdbeurteilung hinzukommen muss, dadreidimensionale Druck-Schermessungen in Schuhen nochnicht vorhanden sind.

Ebenfalls zu diskutieren ist die Sicherstellung einergeeigneten Beratung für die üblichen überbetrieblichenarbeitsmedizinischen Betreuungsformen ohne regelmäßigenund zumeist nur kurzfristigen Einsatz des Arbeitsmedizi-ners am Arbeitsplatz, z.B. durch in Anspruchnahme quali-fizierter Orthopädieschuhmacher oder Arbeitsmediziner.

Der Sicherheitsschuh für Menschen mit Diabetes – die Anforderungen

Festzuhalten ist zunächst, dass im Bereich der Entwicklungund Fertigung von modernen Sicherheitsschuhen ein ra-santer Wandel stattgefunden hat, zum Vorteil der Benutzerder Sicherheitsschuhe. Vergleiche oder Untersuchungenmit alten oder nicht mehr in der Produktion befindlichenSicherheitsschuhen oder unüblichen Schuhgrößen habenfür die praktische Beratung daher nur einen begrenztenAussagewert, auch wenn sie für grundsätzliche Überlegun-gen hilfreich sein können.

Von arbeitsmedizinischer Seite wird in Bezug auf dietatsächliche Häufigkeit der notwendigen Schuhversorgungin den einzelnen Risikogruppen festgestellt, dass es sich beider Anpassung von Sicherheitsschuhen weit überwiegendum die Risikogruppen 1a und 1b handelt (s. stadienge-rechte Auswahl von Sicherheitsschuhen).

Mögliche Gefährdungen durch das Tragen von Sicher-heitsschuhen sind zu diskutieren, auch bezüglich der Art

und Lokalisation der gefundenen Läsionen und dem mögli-chen Zusammenhang mit der Bauart von Sicherheitsschuh-en. Die Läsionen an den Großzehen sind vermutlich auf un-terschiedliche Einflüsse zurückzuführen: Neben der einge-schränkten Sohlenflexibilität eines S 3 Sicherheitsschuhes(Stahlsohle und Verbindung mit Stahlkappe) ist bei Schädenan der medialen Halluxkante evtl. auch der Großzehenab-duktions-Winkel in der Brandsohlen- und Stahlkappenge-staltung von Bedeutung (STURM und GRUBER 1997).

Nachvollziehbar setzt ein starrer Schuhboden im Be-reich der Schuhspitze (Kombination von relativ starrerStahlsohle in direkter Verbindung mit der Zehenkappe) derFlexion in den Zehengrundgelenken bei der physiolo-gischen Abroll- und Abstoßbewegung einen Widerstandentgegen, der zu einer erhöhten und im Einzelfall schädi-genden vertikalen Druckerhöhung und Scheuerverstär-kung plantar und evtl. dorsal führen kann.

Für den Fall einer verminderten Beugefähigkeit imGroßzehengrundgelenk („Hallux rigidus“; Häufigkeit un-ter Menschen mit Diabetes noch unbekannt) werden zweiWege diskutiert, um Scherbewegungen, die als Ausgleichfür die fehlende Abrollbewegung im Schuh auftreten, zuminimieren:

1. Sicherheitsschuh mit Weichbettung und konvexer Lauf-sohle (Ballenrolle)

2. Sicherheitsschuh mit Weichbettung mit (nach DIN) ma-ximal zulässiger Verkürzung der Stahlkappe und optio-naler Weite 14

Zu 1): Nachteile der ersten Variante wären das Gewicht unddie Notwendigkeit einer Sonderanfertigung (Baumusterprü-fung erforderlich!) sowie die möglicherweise unzureichendeAkzeptanz durch die Schuhform und die bedingte Geeignet-heit an Arbeitsplätzen, z.B. bei stehenden Tätigkeiten oderbei Arbeiten, bei denen durch die Schuhsohle ein stabilerStand gewährleistet sein muss. Der Vorteil wäre eine bisherpostulierte Verringerung der bauartbedingten Druck- undScherkräfte.

Zu 2): Nachteilig wäre bei dieser Konstruktion dermöglicher Weise unzureichende Minimierungseffekt aufdie bauartbedingten Druck- und Scherkräfte. Der Vorteilliegt in der praktischen Verfügbarkeit dieses Modells alsSerienschuh.

Für beide Varianten ist im Übrigen festzustellen, dassein medial weitgehend zumindest gerade verlaufenderBrandsohlenumriss den verfügbaren anthropometrischenDaten besser entsprechen würde und den genannten Läsio-nen i.d.R. vorbeugen könnte. Die Umsetzung ist eine An-forderung an die Industrie.

Weitere Anforderungen an einen geeigneten Sicher-heitsschuh für Menschen mit Diabetes sind

● ein atmungsaktives Funktionsfutter mit getesteter Haut-verträglichkeit auch des Oberleders,

● eine möglichst naht- bzw. kantenfreie Verarbeitung,● eine optional besonders weite Passform (Weiten 13 und

14)● sowie ein Schaftaufbau, der auch ein nachträgliches

Einlegen von Schuheinlagen problemlos möglich macht.

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IV –10.7.1 Diabetes und Arbeit

Auf dem Markt erhältliche Sicherheitsschuhe, die dieseAnforderungen erfüllen, sollten zunächst für Menschenmit Diabetes empfohlen werden, bis gesicherte weitere Er-kenntnisse vorliegen. Konkrete Empfehlungen zu auf demMarkt erhältlichen geeigneten Sicherheitsschuhen fürMenschen mit Diabetes sind nach den oben genanntenKriterien unter dem Vorbehalt weiterer erforderlicher Un-tersuchungen und Optimierungen bereits möglich. Infor-mationen dazu sind z.B. erhältlich über den AusschussSoziales der Deutschen Diabetes Gesellschaft.

Empfehlung zum Vorgehen bei der stadiengerechtenAuswahl von Sicherheitsschuhen für Menschen mitDiabetes (s. stadiengerechte Auswahl vonSicherheitsschuhen)

Die Empfehlung lehnt sich an die Stadieneinteilung zurSchuhversorgung beim Diabetischen Fußsyndrom der Ar-beitsgruppe „Qualitätskriterien und Evaluation der Schuh-versorgung beim diabetischen Fuß“ an (SPRAUL 1999). Siestützt sich auf praktische Erfahrungen und zahlreiche Ge-spräche mit Arbeitsmedizinern, Menschen mit Diabetes undDiabetologen, Orthopädieschuhmachermeistern und derenVerband (HAAS 2000, Information des Fachausschusses„Persönliche Schutzausrüstung 1998, PIEBER et al. 2000).

Praxis der Schuhversorgung

Im Stadium 1 (s. stadiengerechte Auswahl von Sicherheits-schuhen) sollte eine Schuhversorgung mit geeigneten Schu-hen generell möglich sein. Ab Stadium 2 ist ein differen-ziertes Vorgehen in der Regel erforderlich.

Eine Schuhversorgung von Menschen mit Diabetes miteinem diabetischen Fußsyndrom ab Stadium 2b bzw. beiüberbetrieblicher (unregelmäßiger) Betreuung ab Stadium2a sollte nur in einer geeigneten Einrichtung, d.h. in derRegel bei einem dafür ausgebildeten Orthopädieschuhma-cher erfolgen (Qualifizierungsnachweis ggf. prüfen). Dabeisollte es zu einer Maßanfertigung der Einlagen kommenund die Effizienz der Einlagenversorgung bzgl. der Druck-und Scherminimierung z.B. über eine Pedographie nachge-wiesen werden. Anschließend sollte um diese Einlage he-rum der Schuh aufgebaut werden, wobei insbesondere aufdie dreidimensionale Fußarchitektur zur Vermeidung vonFolgeschäden am Fußrücken Rücksicht genommen werdenmuss. Die mittlerweile zur Verfügung stehende Scanner-technik kann dabei hilfreich sein. Auf die Sicherstellungder Antistatik durch Leitbänder oder vergleichbare leiten-de Verbindungen zwischen Futter und Sohle ist zu achten.Für die Versorgung von Menschen mit Diabetes betrifftdies das Stadium 1 und 2, soweit Konfektionssicherheits-schuhe mit orthopädischen langsohligen Einlagen zum Ein-satz kommen, da letztere in der Regel nicht antistatisch ge-fertigt werden.

Bei einem diabetischen Fußsyndrom mit Neuropathiesollte evtl. auch in den Bereichen, in denen arbeitsplatz-bezogen das Tragen von S 3 Schuhen nicht zwingend vor-geschrieben ist, ein Schuh mit Stahlzwischensohle (S3,Durchtrittsicherheit) empfohlen werden.

Mehrweitensystem

Um das sinnvolle vergleichende Anprobieren zu erleichternund ein genaues Anpassen der Schuhe zu erreichen, ist einMaßsystem notwendig, das über eine einfache einmaligeFußvermessung zur annähernd richtigen Schuhgröße inLänge und Weite führt: Das Mondopoint-System. Diesesgeht nicht wie bisher von der Schuhgröße aus, sondern vonzwei in Millimeter gemessenen markanten Maßen des be-kleideten Fußes, seiner Länge und seiner größten Breite(messbar in einer Schublehre). Die Fußbreite steht in einembestimmten Verhältnis zum Ballenumfang und damit zurFußweite. In einem Forschungsprojekt der Bundesanstaltfür Arbeitsschutz in Dortmund (BAU Fb 4.76) zur Ent-wicklung eines fußgerechten Schuhleistens wurde bereits1986 festgestellt, dass ohne besondere Schwierigkeiten fürdie Schuhanpassung vier Weiten bei einem Längensprungvon 7,5mm (Längensprung R2 nach DIN 66047) ausrei-chend sind. Zur individuellen optimalen Anpassung vonSchuhen ist die vorherige Vermessung der Füße zu emp-fehlen.

Da das Fußvolumen im Laufe des Tages zunehmenkann, ist die Fußmessung möglichst am Nachmittag (z.B.Ende der täglichen Arbeit) vorzunehmen. Des weiterenmüssen Länge und größte Breite sowohl am linken als aucham rechten Fuß ermittelt werden, weil oft Unterschiedezwischen den Maßen des rechten und des linken Fußes be-stehen.

Empfehlung zum Vorgehen bei der stadiengerechten Aus-wahl von Sicherheitsschuhen für Menschen mit Diabetes

Einteilung nach Risikogruppen:

1a) Diabetes mellitus ohne PNP/AVK

Konfektionsschuhe mit individueller Anpassung nach Län-gen- und Weitensystem. Herausnehmbare industriell gefer-tigte Einlage mit Weichbettung

1b) Wie oben mit Fußdeformitäten

Konfektionsschuhe mit individueller Anpassung nach Län-gen- und Weitensystem. Orthopädische Maßeinlagen und/oder Schuhzurichtung zum Ausgleich der Fußdeformität

2a) Diabetes mellitus mit PNP/AVK

Konfektionsschuhe mit individueller Anpassung nach Län-gen- und Weitensystem. Bei PNP ist zum Fußschutz eineStahlsohle (S 3 Schuh) erforderlich. Orthopädische Maß-einlage (diabetische Fußbettung) zur Reduktion der Druck-spitzen (Prophylaxe). Anpassung über Orthopädieschuh-macher.

2b) Wie oben mit Fußdeformität

Konfektionsschuhe mit individueller Anpassung nach Län-gen- und Weitensystem, bei stärkerer Deformierung or-thopädische Maßschuhe. Diabetesadaptierte Fußbettungzur Reduktion der Druckspitzen, Schuhzurichtung falls

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Diabetes und Arbeit IV –10.7.1

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erforderlich. Bei PNP ist zum Fußschutz eine durchtritt-sichere Sohle (S 3 Schuh) erforderlich. Anpassung überOrthopädieschuhmacher.

Stadien 3 bis 6

Bei allen Stadien ab Stadium 3 ist die Anpassung von Maß-schuhen erforderlich.

Die Herstellung eines „orthopädischen“ Sicherheits-schuhes erfolgt nach dem EG-Prüf- und Bescheinigungs-verfahren.

Qualifizierung der Orthopädieschuhmacher: Spezial-kurs zur Herstellung der orthopädischen Sicherheitsschuhegemäß dem Baumuster an den Fachschulen des Hand-werks (DDG-Informationen 2004).

Anhang:Einstellung von Diabetikern in den öffentlichen Dienst

Richtlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft

Der Bundesminister des Innern hat im Rundschreiben vom31. August 1982 (Aktenzeichen – D I 1 – 210 107/5) dieseRichtlinien empfehlend an die Obersten Bundesbehördenweitergeleitet. Dabei wurde darauf hingewiesen, daß fürschwerbehinderte Diabetiker die Maßstäbe gelten, die all-gemein der Einstellung von Schwerbehinderten in den öf-fentlichen Dienst zugrunde gelegt werden.

(1) Der generelle Ausschluß des Diabetikers von pen-sionsberechtigten Anstellungen im Staatsdienst und ver-gleichbaren Institutionen ist aus medizinischen Gründennicht gerechtfertigt.

(2) Für die Einstellung in die genannten Tätigkeitenkommen alle arbeitsfähigen Diabetiker in Betracht, derenStoffwechselstörung mit Diät allein, mit Diät und oralenAntidiabetika und/oder Insulin auf Dauer gut einstellbarist. Durch eine gute Stoffwechselkontrolle wird das Risikofür das Auftreten diabetes-spezifischer Komplikationenverringert.

(3) Diabetische Bewerber um solche Stellen sollten freivon diabetes-spezifischen Komplikationen an Augen undNieren sein. Die Feststellung solcher Befunde hat durchfachärztliche Augenhintergrunduntersuchung (Fundusko-pie) sowie durch den kompletten Harnstatus und die Be-stimmung des Kreatininwertes im Serum zu erfolgen.

(4) Diabetiker, die rein diätetisch behandelt werden,können jede Tätigkeit ausüben, zu der sie nach Vorbildungund Leistung auch sonst geeignet wären. Insulinbehandel-te Diabetiker sollten nach Möglichkeit keine Tätigkeitenverrichten, die unregelmäßige Arbeitszeiten erfordern. Siesollten ferner nicht zu Tätigkeiten herangezogen werden,die beim Eintritt hypoglykämischer Reaktionen Gefahrenfür sie selbst oder ihre Umwelt mit sich bringen, z.B. alsFahrer öffentlicher Verkehrsmittel.

(5) Diabetische Bewerber müssen ein ärztliches Zeugnisvorweisen, aus dem die Qualität der Stoffwechselführung,der Nachweis regelmäßiger und langfristiger Stoffwechsel-kontrollen sowie die Bereitschaft zur Kooperation hervor-gehen. Zur Beurteilung der Einstellungsqualität werden die

unter Punkt 6 genannten Grenzwerte für die Blutzucker-konzentration zugrunde gelegt. Zusätzlich kann die Be-stimmung des glykosylierten Hämoglobins (HbA 1 oderHbA1c) herangezogen werden. Die Eignung des Bewerberssoll in der Regel durch ein fachärztliches Gutachten geklärtwerden, das von einem diabetologisch erfahrenen Arztoder in einer Diabetesklinik erstattet werden sollte (siehePunkt 7).

(6) Die Beurteilung der Qualität der Stoffwechsel-führung soll individuell erfolgen. Ein überwiegend ausge-glichener Stoffwechselzustand sollte dokumentiert sein.Für nicht mit Insulin behandelte Diabetiker ist überwie-gend Harnzuckerfreiheit zu fordern, bei insulinbehandel-ten Diabetikern sollte die Mehrzahl der Harnprobenzuckerfei sein. Zur Beurteilung der Stoffwechsellage sindeinzelne Blutzuckerwerte, besonders im Nüchternzustand,ungeeignet. Dasselbe gilt für die Untersuchung einer ein-zelnen Urinportion. Es ist erforderlich, wenigstens dreiBlutzuckerwerte zu geeigneten Zeiten im Tagesverlauf zumessen, die Maximalwerte sollten ei insulinbehandeltenDiabetikern ein bis zwei Stunden nach den Mahlzeitennicht wesentlich über 220 mg/dl Glukose liegen, bei diät-und tablettenbehandelten nicht über 160 mg/dI.

(7) Untersuchungskatalog:

7.1 Körperliche Gesamtuntersuchung: unter anderem Blut-druckmessung, Palpation der Pulse an den typischen Stel-len, Inspektion der Füße.7.2 EKG, Röntgenuntersuchung der Lungen7.3 Laboruntersuchungen: Es werden nur solche Untersu-chungen gefordert, die zur Beurteilung des Diabetes odereventuell diabetes-spezifischer Komplikationen notwendigsind. Bei pathologischen Werten ist vor einer Stellungnah-me Bestätigung durch Kontrollen erforderlich:

– Kreatinin im Serum – Kompletter Harnstatus.

7.4 Ophthalmologische Untersuchungen: Durch einenOphthalmologen müssen diabetes-spezifische Fundusver-änderungen ausgeschlossen werden. Der Befund muß do-kumentiert werden, bei sehr geringen Veräiiderungen soll-te eine Nachuntersuchung nach mindestens einem halbenJahr erfolgen. 7.5 Stoffwechselkontrollen: Der Bewerber sollte regel-mäßige ärztliche Stoffwechselkontrollen wahrnehmen undhäusliche Stoffwechsel-Selbstkontrollen durchführen. ZurBeurteilung der Kooperationsbereitschaft dienen unter an-derem die vom behandelnden Arzt bescheinigten Untersu-chungsbefunde und die vom Bewerber dokumentierten Er-gebnisse der regelmäßigen Stoffwechsel-Selbstkontrollen.

April 1982Deutsche Diabetes-GesellschaftDer Vorstandi.A. Professor Dr. Bruno Weber VorsitzenderAusschuß für diese Richtlinien:Ch. Böninger, W. Höpker, G. Kurow, H.-j. Mitzkat, P. Pe-trides (Vorsitz), R. Petzoldt, F.-E.Struwe

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