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Museums blätter Mitteilungen des Museumsverbandes Brandenburg Spurensicherungen: Zeitgeschichte zum Mitmachen Partizipation der Mitlebenden Jenseits der Gegenstände Projekt „Spurensicherung 1945“ Generationen im Dialog Dezember 2015 27

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Page 1: Dezember 2015 27€¦ · Autorinnen und Autoren Dr. Jürgen Danyel Stellv. Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam Thomas Drewing Geschichts- und Heimatverein

Museumsblätter

Mitteilungen des

Museumsverbandes Brandenburg

Spurensicherungen: Zeitgeschichte zum Mitmachen

Partizipation der Mitlebenden

Jenseits der Gegenstände

Projekt „Spurensicherung 1945“

Generationen im Dialog

Dezember 2015 27

Page 2: Dezember 2015 27€¦ · Autorinnen und Autoren Dr. Jürgen Danyel Stellv. Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam Thomas Drewing Geschichts- und Heimatverein

Autorinnen und Autoren

Dr. Jürgen Danyel Stellv. Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam

Thomas Drewing Geschichts- und Heimatverein Gusow-Platkow e. V.

Julia Dilger Sammlungsleiterin des Museums Neukölln

Bianca Ely Anne Frank Zentrum Berlin

Dietmar Fuhrmann Referent in der Geschäftsstelle des Museumsverbandes des Landes Brandenburg e. V.

Dr. Georg Goes Museumsleiter Museum Baruther Glashütte

Anke Grodon Museumsleiterin Stadtmuseum Schwedt/Oder

Roman Guski Projektkoordinator im Projekt „Spurensicherung 1945“

Beatrice Häusler Kleist-Museum Frankfurt (Oder)

Dr. Christian Hirte Kurator und Museumsberater, Berlin

Alexis Hyman Wolff freie Kuratorin und Museologin, Berlin

Hans-Peter Jakobson Kurator und Publizist, Gera

Anette Klumb Friedensscheune e. V.

Dr. Susanne Köstering Geschäftsführerin des Museumsverbandes des Landes Brandenburg e. V.

Christine Matt Jugend Museum Berlin-Schöneberg

Leontine Meijer-van Mensch Stellv. Direktorin des Museums Europäischer Kulturen in Berlin

Karin Melzer Leiterin des Referats 33 (Museen, Denkmalschutz und Denkmalpflege, Erinnerungskultur)

im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg

Astrid Peters Bildungs-und Begegnungsstätte Halbe

Katja Rosenbaum Museumsleiterin Stadt- und Brauereimuseum Pritzwalk

Alexander Sachse Referent in der Geschäftsstelle des Museumsverbandes des Landes Brandenburg e. V.

Claudia Schlaier Projektmitarbeiterin im Projekt „Spurensicherung 1945“

Wolf-Heinrich von Wolzogen Potsdam

Bildnachweis

Titelbild, S. 4, 32, 33, 35, 71 Museumsverband des Landes Brandenburg e. V. (Foto: Lorenz Kienzle)

S. 6 Museumsverband des Landes Brandenburg e. V. (Foto: Alexander Sachse)

S. 8 DHM (Foto: Thomas Bruns)

S. 16 Peter van Mensch, Berlin

S. 19 Wilma Wesselink, Amsterdam

S. 22, 24–26 Alexis Hyman Wolff

S. 23 Märkischer Markt, Redaktion Bernau

S. 28 o. li., 29 li. Museumsverband Brandenburg (Foto: Christian Rasemann)

S. 28 u. li, re. Museumsverband Brandenburg (Foto: Roman Guski)

S. 29 re. Museumsverband Brandenburg (Foto: Martin Bock)

S. 36, 39 Anne Frank Zentrum

S. 40, 42, 43, 45 Jugend Museum Berlin-Schöneberg

S. 46 historisches museum frankfurt (Foto: Petra Welzel)

S. 48 historisches museum frankfurt (Foto: Uwe Dettmar)

S. 49 Stefanie Kösling

S. 50, 51 Museum Neukölln (Foto: Friedhelm Hoffmann)

S. 53 Museum Neukölln

S. 54 Stadt- und Regionalmuseum Perleberg

S. 55 Beate Vogel, Märkische Allgemeine Zeitung

S. 56 Friedensscheune e. V.

S. 57 Patrick Pleul

S. 58 Museum Platkow

S. 59 Astrid Peters, Halbe

S. 60–61 Stadtmuseum Schwedt

S. 62 Christian Hirte

S. 63 li., u. re. TMB Fotoarchiv Steffen Lehmann

S. 63 o. re. Landkreis Elbe-Elster(Foto: Kai Hüttner)

S. 64 re., 65 Förderverein Ofen- und Keramikmuseum Velten e. V.

S. 64 li. Stadt Velten

S. 66 Spreewald-Museum Lübbenau (Foto: Dietmar Fuhrmann)

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Inhalt

Inhalt 5

Forum

Spurensicherungen: Zeitgeschichte zum Mitmachen

6 „Grabe, wo du stehst.“

Grußwort zur Herbsttagung des Museums-

verbandes im Potsdam Museum

Karin Melzer

8 Partizipation der Mitlebenden

als Herausforderung

Zeitgeschichte im Mitmachmuseum

Jürgen Danyel

16 Zeitgeschichte zum Mitmachen

Oder: wie wäre es, wenn alle ihre einstige

Gegenwart mitsammeln?

Leontine Meijer-van Mensch

22 Jenseits der Gegenstände

Ein Museum im Kantorhaus Bernau

Alexis Hyman Wolff

28 Projekt „Spurensicherung 1945“

Ansatz, Arbeitsschritte, Ausstellung

Roman Guski, Claudia Schlaier

36 Generationen im Dialog über Geschichte

Ein Projekt des Anne Frank Zentrums

Bianca Ely

40 HEIMAT BERLIN. Migrationsgeschichte

für Kinder

Ein Modellprojekt des Jugend Museums

Schöneberg

Christine Matt

46 Die Bibliothek der Alten

Ein Projekt am Historischen Museum

Frankfurt am Main

Wolf-Heinrich von Wolzogen

50 Eins von 99

Der Grabstein für Lucie als Beispiel

der Sammlungs- und Ausstellungspraxis

im Museum Neukölln

Julia Dilger

Fundus

54 Portrait

57 Schon gesehen?

66 Schatztruhe

68 Lesestoff

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28 Forum Spurensicherungen

Der Museumsverband Brandenburg hat 70 Jahre nach

Ende des Zweiten Weltkriegs ein landesweites

Projekt ins Leben gerufen, bei dem sich Jugendliche

auf historische Spurensuche begeben und in ihrem Ort

nach Dingen und Geschichten aus dem Jahr 1945

recherchieren.

Der Artikel skizziert die Idee und Umsetzung des

Projekts: Welche Vorüberlegungen wurden getroffen?

Wie wurden die Teilnehmenden gewonnen und

unterstützt? Welche konkreten Schritte waren erforder-

lich, auf dem Weg hin zu einer zentralen Ausstellung,

die professionell kuratiert wurde, aber wesentlich

auf Ideen der beteiligten Jugendlichen zurückgeht?

Abschließend werden grundlegende Erfahrungen aus

dem Projekt zusammengetragen und Chancen und

Herausforderungen aus organisatorischer, fachlicher

und pädagogischer Sicht reflektiert.

Projekt „Spurensicherung 1945“

Ansatz, Arbeitsschritte, Ausstellung

Roman Guski, Claudia Schlaier

oben: Blick in die Runde: Projektbeteiligte bei der Zwischenpräsentation in Potsdam

unten: Anhand eines Zeitstrahls erschließen sich Jugendliche zentrale historische Ereignisse

rechts: Wissenswertes aus den Workshops: Wie schreibe ich einen Ausstellungstext?

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Spurensicherungen Forum 29

Konzeptioneller Ansatz und pädagogische Vorüber-

legungen

Das Projekt „Spurensicherung 1945“ folgte einem

offenen, partizipativen Ansatz. Ein grundlegendes Ziel

war es, den Dialog der Generationen anzuregen

und Geschichte für junge Menschen erfahrbar zu machen.

Die beteiligten Kinder und Jugendlichen konnten eigene

Wege suchen, um der Zeitgeschichte des Jahres

1945 auf die Spur zu kommen. Viele haben Zeitzeugin-

nen und Zeitzeugen befragt und dingliche Überreste

gesucht, die mit dem Kriegsende oder der Nachkriegs-

zeit in Verbindung stehen. Dreh- und Angelpunkt

der Spurensuche waren die Museen des Landes. Diese

stellten Räumlichkeiten, Hilfsmittel und Expertise zur

Verfügung. Auf Landesebende unterstützte der Landes-

jugendring Brandenburg e. V. die Ansprache von

Jugendlichen. Das Brandenburgische Institut für Gemein-

wesenberatung (demos) stand dem Projektteam in

der Auseinandersetzung mit etwaigen rechtsextremen

Provokationen beratend zur Seite. Zur Zielgruppe

des Projekts gehörten Kinder und Jugendliche zwischen

14 und 18 Jahren, vereinzelt nahmen aber auch Jüngere

teil. Ein wichtiger Aspekt war die freiwillige Teil nahme.1

Dies wurde verknüpft mit der Methode des „Entdecken-

den Lernens“, was zum Ziel hatte, dass sich die

Teilnehmenden das benötigte Fachwissen und metho-

dische Kompetenzen selbst erschließen und aneignen.

Hierbei wurden sie unterstützt von pädagogischen

Fachkräften. Über die Zielvorgabe hinaus, Spuren aus

dem Jahr 1945 für eine zentrale Ausstellung zu

sichern, wurden keine thematischen, inhaltlichen und

methodischen Vorgaben gemacht. Handlungsleitend

für die Nachforschungen waren demnach keine „Master

Narrative“, sondern unterschiedliche Wissensstände

und Interessen der Jugendlichen. So richtete sich der

Blick nicht darauf, „wie es wirklich gewesen ist“, son-

dern wie Geschichte persönlich erfahren, erinnert und

erzählt und zwischen den Generationen verhandelt

wird.

Teilnehmerinnen aus Cottbus besuchen die Ausstellung im Potsdam-Museum

Das japanische Fernsehen berichtet über die Recherche-Arbeit der „Forensics“

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30 Forum Spurensicherungen

Qualifizierung

In weiteren Workshops konnten sich sowohl die Jugend-

lichen als auch begleitende Pädagogen/-innen und

Museumsmitarbeiter/-innen zusätzlich qualifizieren. Im

Fokus standen einerseits pädagogische Ansätze.

So wurde etwa eine Weiterbildung zum Ansatz des

„Entdeckenden Lernens“ und Methoden der historischen

Bildung angeboten. Andererseits wurden mit Jugend-

lichen methodische und inhaltliche Fragen besprochen,

die sich auf die Recherche, Analyse und Aufbereitung

von Informationen bezogen. Angepasst an den jeweiligen

Bedarf der Gruppe und die Situation vor Ort hat der

Museumsverband zu den genannten drei Aufgabefeldern

Workshopeinheiten konzipiert, um die Nachforschungen

zu unterstützen.

Recherche

Die erste Workshopeinheit beschäftigte sich mit der

Themensetzung und dem Projektmanagement. Bezug-

nehmend auf die lokale Geschichte und das Vor-

wissen wurden die Teilnehmenden dabei unterstützt,

ein Thema zu finden, eigene Fragestellungen zu

entwickeln und diese einzugrenzen. In einem weiteren

Schritt wurden Recherchewege zusammengetragen

und der Projektverlauf besprochen. Die Jugendlichen

haben Zeitpläne mit eigenen Arbeitsschwerpunkten und

gemeinsamen Projektevents angelegt. Vor Ort wurden

die Jugendlichen zusätzlich durch engagierte Museums-

pädagogen/-innen, Sozialarbeiter/-innen oder Lehr-

kräfte begleitet. So kamen die Projektgruppen über die

externen Workshops hinaus regelmäßig zusammen,

um Recherchen auszuwerten, Inhalte zu besprechen

und Präsentationen vorzubereiten.

Analyse

Ein weiterer Workshop beschäftigte sich mit Quellen-

kritik und der Durchführung von Interviews. Anhand von

Quelleninterpretationen und Gedankenspielen wurde

die Erkenntnis vermittelt, dass es keine „historische Wahr-

heit“ gibt, sondern jedes Ereignis verschieden erfahren,

interpretiert und erzählt wird. So wurden die Teilneh-

Im Projektverlauf haben die beteiligten Jugendlichen

eigene Fragen entwickelt und eigeninitiativ nach

Antworten gesucht. Neues Wissen haben sich die

Teilnehmenden vornehmlich anhand von Internet- und

Literaturrecherchen, Interviews und Exkursionen

angeeignet. Das pädagogische Team half, das Vorge-

hen zu strukturieren, Recherchewege aufzuzeigen,

Quellen kritisch zu hinterfragen und den jeweiligen

historischen Kontext zu betrachten. Zudem wurde durch

Workshops der regelmäßige Austausch über den

Stand der Recherchen und offene Fragen angeregt.

Dabei wurden neue Informationen in Beziehung

zur Welt der Kinder und Jugendlichen gesetzt und das

Erleben von Diktatur, Krieg und Verfolgung aus ver-

schiedenen Perspektiven betrachtet.

Projektinitiierung

Das Projekt „Spurensicherung 1945“ wurde Anfang

Juli 2014 im Potsdam Museum – Forum für Kunst und

Geschichte öffentlich vorgestellt. Zuvor hatte der

Museums verband Brandenburg die Museen, Schulen

und Jugendeinrichtungen im Land über den Projekt-

start informiert und durch Presse- und Öffentlichkeits-

arbeit zur Teilnahme am Projekt aufgerufen. Interessierte

Jugendliche konnten sich auch über eine eigens für

das Projekt geschaltete Internetseite anmelden und

wurden dann vom Museumsverband zu Projekttreffen in

ihrer Region eingeladen. Der weitere Verlauf wurde

über eine Facebook-Seite dokumentiert, die Berichte,

Fotos und Presseartikel zum Projekt versammelt.

In einer ersten Workshop-Reihe in Eberswalde, Finster-

walde und Cottbus wurden Jugendliche mit der

Projektidee vertraut gemacht sowie mit hilfreichen

Materialien versorgt. So erhielten die Teilnehmenden

offizielle Legitimationsschreiben und Visitenkarten,

die den Zugang zu Museen, Archiven und Gedenkstät-

ten erleichtern und als Kontaktinformation dienen

sollten. Die Auftaktworkshops widmeten sich vor allem

dem gegenseitigen Kennenlernen und der Gruppen-

findung. Durch den Austausch über das Vorwissen, die

Arbeit mit einem Zeitstrahl und die Interpretation

von musealen Objekten aus dem Jahr 1945 fand zudem

eine thematische Annäherung statt.

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Spurensicherungen Forum 31

die Jugendlichen die Ausstellungsräume in Augen-

schein genommen hatten, trafen sie auf das professio-

nelle Ausstellungsteam. In kleinen Gesprächsrunden

wurden die recherchierten Geschichten, medialen Ver-

arbeitungen, Textentwürfe und Gestaltungsideen

vorgestellt und besprochen. Während einige Ideen ver-

worfen wurden, entstanden andere neu – etwa die,

alle Projektgruppen in der Ausstellung und dem dazu-

gehörigen Katalog durch ein Gruppenportrait zu würdigen.

Am Abend konnten sich die Teilnehmerinnen und Teil-

nehmer des Workshops bei einem gemeinsamen

Grillabend im Potsdamer Kulturzentrum freiLand austau-

schen. Der zweite Workshoptag diente vornehmlich

dazu, Einblick in die Arbeit der anderen Gruppen

zu bekommen sowie Termine und das weitere Vorgehen

abzustimmen. Die Eindrücke von der Zwischen-

präsentation motivierten viele Spurensicherer, die

bereits erzielten Ergebnisse zu überarbeiten. Am Ende

dieses Professionalisierungsprozesses standen

bereits ausstellungsreife Texte, die redaktionell kaum

überarbeitet wurden.

Ausstellung

Wie das Projekt selbst, wurde auch die Entwicklung der

Ausstellung als beteiligungsorientierter Prozess be-

griffen, dem kein starres Konzept zugrunde lag. Daher

standen die Projektgruppen bei der Zwischenpräsen-

tation als wesentliche Akteure der geplanten Ausstellung

im Mittelpunkt. Das Zusammenkommen half dem

Museumsverband Brandenburg sowie dem Kurator und

dem Gestalter der Ausstellung, die beteiligten Gruppen

kennenzulernen und ihre Ergebnisse anzu sehen. An

diesem Punkt zeichnete sich klar ab, welche inhaltlichen

Schwerpunkte die Jugendlichen gewählt hatten,

wessen Geschichten sie erzählen und wie sie ihre

Ergebnisse präsentieren wollten.

In der weiteren Planung kam es darauf an, die Ergebnis-

se in ihrer Vielfalt zu würdigen, aber auch miteinander

in Beziehung zu setzen und die gewählten Darstellungs-

formen adäquat umzusetzen. Neben klassischen Mitteln

der Darstellung – Objekte, Texte und Hörstationen –

zeigte die Ausstellung auch eine Facebook-Chronik,

menden dafür sensibilisiert, dass die Erinnerung von

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die selbst ein historisches

Ereignis erlebten, durch die eigene Wahrnehmung

gefiltert ist und sich ihre Erinnerung über die Jahre ver-

flüchtigt oder verändert, weil sie sich etwa eigenen

Interessen oder gesellschaftlichen Gegebenheiten

anpasst. Den Teilnehmenden wurde bewusst, dass es

eine große Herausforderung ist, Interviews nach

eigenem Erkenntnisinteresse zu lenken. Um die Jugend-

lichen besser darauf vorzubereiten, wurden Worst-

Case-Szenarien gesammelt. Den genannten Befürch-

tungen der Gruppe wurden gemeinsam erarbeitete

Lösungsmöglichkeiten gegenübergestellt. Ein wichtiger

Workshop-Baustein war es, gemeinsam zu bespre-

chen, wie ein Fragenkatalog aufgebaut sein kann und

welche Frageformen zum Erzählen einladen.

Aufbereitung

In Vorbereitung auf eine Zwischenpräsentation und

die zentrale Ausstellung zum Projekt, unterstützte ein

dritter Workshop die Projektteilnehmden dabei, das

recherchierte Material aufzubereiten. Zunächst wurden

verschiedene Ausstellungsarten und -konzepte be-

sprochen. Neben der Gestaltung und Szenographie lag

ein wesentliches Augenmerk auf dem Medium Text.

Nachdem zusammengetragen wurde, was nicht fehlen

darf und wie man spannend erzählt, gab es kleine

Schreibübungen. Die Texte wurden anschließend in der

Gruppe vorgestellt und besprochen. Da sich die Übungen

an den Rechercheprojekten orientierten, konnten

die Teilnehmenden im weiteren Projektverlauf darauf

aufbauen. Zusätzlich wurden Ideen ausgetauscht,

wie Exponate und Ergebnisse präsentiert werden können

und welche Medien dafür geeignet sind.

Ergebnissicherung

Im Mai 2015 lud der Museumsverband alle am Projekt

beteiligten Jugendlichen zu einer Zwischenpräsentation

ins Potsdam Museum ein. Der zweitägige Workshop

diente insbesondere dem Austausch der Gruppen unter-

einander. Ein anderer wesentlicher Aspekt war die

Diskussion der Ergebnisse mit Fachleuten. Nachdem

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32 Forum Spurensicherungen

mationen zum historischen Kontext sinnvoll erscheinen.

Gruppiert wurden die Narrative nach gemeinsamen

Themen und Motiven: „Leben im Krieg“, „Letzte Kriegs-

phase“, „Gefangenschaft“, „Flucht“ und „Nach dem

Krieg“. Die Sammlung der Ausstellungsobjekte wurde

punktuell ergänzt. Bereits zu Projektbeginn wurden

Museen und Gedenkstätten Brandenburgs um Leihgaben

gebeten, damit auf den Projektgruppen kein zu gro-

ßer Druck lastete, ausreichend Exponate zu beschaffen.

Zudem war es dem Ausstellungsteam ein wichtiges

Anliegen, auch Perspektiven der Verfolgten darzustellen.

Das Ergebnis ist gleichwohl keine repräsentative

Darstellung der Geschichte, sondern eine Auswahl von

Geschichtswahrnehmungen im Jahr 2015.

Fazit und Reflexion

Das Projekt „Spurensicherung 1945“ war das einzige

landesweite Kulturprojekt, das sich 2015 mit dem

70. Jahrestag des Kriegsendes befasste und konnte,

vielleicht auch deshalb, eine große Breitenwirkung

eine digitale Landkarte und eine PowerPoint-Präsentation.

In der Regel wurden keine Archivrecherchen durch-

geführt, sondern Oral History als methodischer Zugang

gewählt. Das gängigste Ausstellungsmedium war

die Textform. Der Gestalter fand einen kreativen Weg,

mit den vielen Texten umzugehen: Ausgestellt in

Bilderrahmen wirkten sie selbst wie Exponate. Die

Ausstellungsbesucher/-innen dürften keine große Mühe

gehabt haben, die Texte zu lesen. Es sind, wie eine

Teilnehmerin aus Cottbus bei einem ihrer Besuche fest-

stellte, „viele kleine Geschichten“: Wenn man ange-

fangen habe zu lesen, wolle man wissen, wie es weiter-

geht.2

In der direkten Vorbereitung der Ausstellung war es

dem Team wichtig, dass die Ausstellungstexte nur

redaktionell überarbeitet werden und es keine inhalt-

lichen Eingriffe gibt. Die Texte wurden folglich kaum

geglättet, sondern liegen weitestgehend so vor, wie sie

die Jugendlichen verfasst haben. Selbst einige inhalt-

liche Irritationen blieben bestehen. Kontrovers diskutiert

wurde, inwieweit erklärende Hinweise und Infor-

Impressionen aus der Ausstellung „Spurensicherung 1945“. Die Aus stellung war vom 7. August bis 4. Oktober 2015 im Potsdam Museum zu sehen. Zur Ausstellung erschien der Katalog: Projekt Spurensicherung 1945. Ein Katalog zur Ausstellung des brandenburgischen Museumsverbandes im Potsdam Museum, 7. August bis 4. Oktober 2015, Herausgeber: Museumsverband des Landes Brandenburg e. V., Potsdam 2015.

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Spurensicherungen Forum 33

erzielen. Insgesamt haben etwa 80 Kinder und Jugend-

liche aus verschiedenen Teilen des Landes daran

teilgenommen. Dabei konnten Interessierte unterschied-

lichen Alters und verschiedener Schultypen ge-

wonnen werden. Gleichwohl war es bisweilen schwierig,

Jugendliche für eine Teilnahme zu begeistern, da

diese oftmals durch ganztägigen Unterricht und lange

Schulwege ausgelastet waren. Ein intensives Kennen-

lernen und ein regelmäßiger Austausch unter den Grup-

pen war aufgrund der zeitlichen Ressourcen und

der weiten Wege im Flächenland Brandenburg ebenfalls

nicht umsetzbar.

Mit dem Projektverlauf, den Ergebnissen und der

professionellen Präsentation zeigten sich die teilnehmen-

den Jugendlichen überaus zufrieden. Davon zeugen

anhaltende Teilnahme, Rückmeldungen an den Muse-

umsverband und Beiträge im Gästebuch der Aus-

stellung. Der Eindruck, einen erkennbaren Beitrag zur

Ausstellung geleistet zu haben und sich dort wieder-

zufinden, wurde als große Wertschätzung der eigenen

Arbeit erfahren. Das Begleitprogramm zur Ausstellung

unterstützen die Projektgruppen durch Werkstattgesprä-

che, in denen sie Rede und Antwort standen und die

Ergebnisse reflektierten. In die konkrete Gestaltung und

den Aufbau der Ausstellung waren die Jugendlichen

nicht einbezogen, was bei Nachfolgeprojekten durch-

aus zu erwägen wäre. Dass das Ausstellungsteams

immer offene Ohren für die Wünsche und Ideen der

Jugendlichen hatte, hat aber zur Identifikation mit dem

Projektergebnis beigetragen.

Das Projekt „Spurensicherung 1945“ hatte in vielerlei

Hinsicht experimentellen Charakter. In der großen

Offenheit lag immer auch eine Gefahr des Scheiterns.

Eine breitere Beteiligung an einzelnen Projektbau-

steinen wie der Zwischenpräsentation, wäre aus Sicht

des Museumsverbandes sicher wünschenswert

gewesen. Wiederum haben auch die Jugendlichen bei

ihren Recherchen gemerkt, dass nicht alles immer

nach Plan läuft. Dies gilt auch in historischer Perspek-

tive: Die Geschichte des Jahres 1945 ist eine Ge-

schichte verschiedener politischer Systeme, unterschied-

licher historischer Perspektiven und mannigfaltiger

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34 Forum Spurensicherungen

lichen aus der Region die Projektidee der Spuren-

sicherung in Zusammenarbeit mit dem dortigen

Kreismuseum fort.

Einige Museen haben durch ihre eher verhaltene

Beteiligung am Projekt leider die Chance vertan, sich für

jüngere Zielgruppen zu öffnen und diese in ihre

Arbeit einzubeziehen. Dass diese Öffnung ein großes

Potential bergen kann, zeigt die Erfahrung aus Ebers-

walde. Dort hat das Jugendgeschichtsprojekt einen

14-Jährigen zu einem Praktikum und weiterem Engage-

ment im Museum angeregt. In speziellen Führungen

für Kinder vermittelt er Wissenswertes zur Stadtgeschich-

te. Die meisten Jugendlichen haben ihre Ergebnisse

vor Ort im Museum, in der Schule oder der Kirche vor-

gestellt und auch in Presse, Radio und Fernsehen

wurde über ihr Engagement berichtet. So wurden die

Teilnehmenden zu wichtigen Multiplikatorinnen

und Multiplikatoren, zum einen für die Geschichte ihres

Ortes und zum anderen für die Botschaft, dass

die Beschäftigung mit Geschichte Spaß machen kann!

1 Da sich einige Gruppen im Rahmen des Unterrichts am Projekt beteiligten, war

eine freiwillige Teilnahme nicht immer garantiert. Die Beteiligung erfolgte aber

überwiegend durch Projektkurse und nicht in Klassenverbänden. Gleichwohl

war bei den schulischen Gruppen weder eine finanzielle Förderung noch eine

hinreichende pädagogische Begleitung durch die Projektverantwortlichen

möglich. Die außerschulischen Gruppen wurden im Rahmen des Bundespro-

gramms „Kultur macht stark“ gefördert.

2 Nachzulesen sind die Texte im Katalog zur Ausstellung: Projekt Spurensicherung

1945. Ein Katalog zur Ausstellung des brandenburgischen Museumsverban-

des im Potsdam Museum, 7. August bis 4. Oktober 2015, Herausgeber: Muse-

umsverband des Landes Brandenburg e. V., Potsdam 2015.

Ausstellung und Katalog wurden von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung ge-

fördert.

Interpretationen. Durch die eigenständige Auseinan-

dersetzung mit der nationalsozialistischen Geschichte

und ihren Folgen sowie Ermutigungen des pädago-

gischen Teams, die Quellen zu hinterfragen, sich neues

Wissen anzueignen und verschiedene Perspektiven

zu betrachten, konnten die Jugendlichen ihren eigenen

kritischen Blick schärfen. Fallstricke gab es, wo es an in-

tensiver Begleitung und offenem Austausch fehlte.

In der Regel führten die Jugendlichen Interviews

mit Personen aus dem eigenen Familien- und Bekann-

tenkreis oder dem Sozialraum Schule. Die enge

Bindung schaffte Zugänge, die sonst verschlossen

geblieben wären. Einige Personen fanden sich gerade

deshalb bereit, ihre Geschichte zu erzählen oder

persönliche Erinnerungsstücke bereitzustellen, weil sie

von Angehörigen darum gebeten wurden. Wiederum

gab es aufgrund der persönlichen Nähe auch Loyalitäts-

konflikte, weshalb es an kritischer Distanz fehlte.

So erfährt man in einem der Ausstellungstexte – mit

Rücksicht auf den Interviewten – zwar viel darüber,

wie sich „ein engagiertes Mitglied der NSDAP, Mitglied

im Sicherheitsdienst (SD)“ nach Kriegsende eine

neue Existenz aufbaute, aber nichts über sein Wirken im

Nationalsozialismus – eine mutmaßliche Verbrechens-

geschichte. Teilweise verlief die Projektarbeit im schu-

lischen Rahmen und ohne hinreichende pädagogische

Begleitung durch das Projektteam. Die Aussage einer

Grundschulklasse: „In Oderberg hatte man keine

Vorurteile gegenüber Juden“, hätte das Projektteam z. B.

zum Anlass nehmen können, die Gruppe durch

irritierendes Nachfragen zu Nachrecherchen anzuregen.

Die Stimmen der Verfolgten gerieten in den Interviews

nur schemenhaft in den Fokus. Zwar wurden die

unerzählten Geschichten, etwa die der im Nationalsozia-

lismus Ermordeten, in den Workshops zum Projekt

thematisiert, bei den Vor-Ort-Recherchen wurden die

Jugendlichen ihrer Spur aber kaum habhaft. Die

„Forensics“, wie sich die Projektgruppe aus Finster walde

nannte, nahm dies zum Anlass, die KZ-Gedenkstätten

Sachsenhausen, Buchenwald und Auschwitz zu besuchen.

Zuletzt nahm die Gruppe im August am mehrtägigen

Generationenforum in Ravensbrück teil, wo sie auf Über-

lebende des ehemaligen Frauenkonzentrationslagers

trafen. Mittlerweile setzt eine andere Gruppe von Jugend-

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Spurensicherungen Forum 35