der hyksos-palast bei tell el-dab'a. zweite und dritte ... · l787 l789 l807 l791 l792 l795...
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EINLEITUNG
Die Grabungen im Palastbezirk der 15. Dynastiewurden vom 1. März bis 15. Mai 2008 und vom 1.März bis 17. Mai 2009 nördlich des heutigen Dor-fes Khatacna, in Areal F/II, fortgesetzt. In diesemBereich war im Jahr 2002 durch einen Magneto-metersurvey ein Palastbezirk der 15. Dynastie fest-gestellt worden (Abb. 1).2 Grabungen fandenerstmals im Frühjahr 2006 statt.3 Da die auszugra-bende Fläche noch nicht unter dem Schutz derAntikenverwaltung liegt,4 musste der Ausgra-bungsbereich von lokalen Bauern (Sami Hussei-ni, Aimad Gawad, Mohamed Gawad) angemietetwerden. Die Arbeiten der Jahre 2008 und 2009konzentrierten sich auf den südlichen und öst-lichen Palastbereich (Abb. 2, ausgegrabene Flä-che rot eingerahmt).
Die Unternehmungen wurden vom Österrei-chischen Archäologischen Institut Kairo inZusammenwirkung mit dem Institut für Ägypto-logie der Universität Wien und der Kommissionfür Ägypten und Levante der ÖsterreichischenAkademie der Wissenschaften durchgeführt.5
Eine Lehrgrabung des Institutes für Ägyptologieder Universität Wien war in diesen beiden Kam-pagnen integriert.
Für die Zusammenarbeit vor Ort sei dem ägyp-tischen Supreme Council of Antiquities und des-sen Generalsekretär Dr. Zahi Hawass sowie demGeneraldirektor für Unterägypten und Sinai Dr.Mohammed ‘Abd el-Maksoud unser besondererDank ausgesprochen. Ebenso sei den Inspekto-ren der Antikenbehörde Mahmoud Sâlem Ghâ-nem, Risq Diyab und ‘Abd el-Salâm Mansûr ‘Abd
es-Salâm, die mit den Ausgrabungen unmittelbarkooperierten, gedankt.
Grabungsteilnehmer
Manfred Bietak - GrabungsleiterIrene Forstner-Müller - stellvertretende
GrabungsleiterinDavid Aston - ÄgyptologeBettina Bader - ÄgyptologinIldikó Bárány - StudentinMichaela Binder - AnthropologinAnja Brodbeck - RestauratorinYann Callot - Paläogeograph Pieter Collet - Zeichner Anne-Catherine Escher - ArchitektinJean Philippe Goiran - PaläogeographKai Graf - StudentChristoph Grill - ArchäozoologeJulia Gretzky - Anthropologin Astrid Hassler - klassische ArchäologinFelix Höfelmayer - klassischer ArchäologeKarin Kopetzky - ÄgyptologinRuth Maria Knünz - RestauratorinGünther Kunst - PaläozoologeChristian Kurtze - GeodätAxel Krause - FotografManuela Lehmann - ÄgyptologinNicola Math - ÄgyptologinMaria Antonia Negrete - Zeichnerin Sandra Müller - ÄgyptologinMiriam Müller - ÄgyptologinErico Peintner - Restaurator Silvia Prell - ÄgyptologinFerreol Salomon - Paläogeograph
1 Für die Auswahl und Herstellung der Abbildungendanken wir Nicola Math. Die photographischen Auf-nahmen am Feld stammen von Michael Weissl, dieObjektphotos von Axel Krause.
2 BIETAK/FORSTNER-MÜLLER/HERBICH 2007.3 BIETAK/FORSTNER MÜLLER 2006; BIETAK 2007.4 Ein enstprechender Antrag zur Umwidmung von
Agrarland zu Antikenland wird im Moment durch dieSCA gestellt. Dafür danken wir dem Generalsekretär,Dr. Zahi Hawass, sehr herzlich.
5 Die Finanzierung erfolgte in dankenswerter Weise durchdas Österreichische Archäologische Institut, die Univer-sität Wien, den Fonds zur Förderung der Wissenschaft-lichen Forschung (Stadtentwicklung im Nildelta, Pro-jektnummer P 21074-G08) und mit Unterstützungen derÖsterreichischen Akademie der Wissenschaften sowiedem Institute for Aegean Prehistory, Philadelphia, fürdie Bearbeitung der ägäischen Fresken. Dafür möchtenwir uns bei Malcolm Wiener, Connecticut, und PhilippBetancourt, Philadelphia, persönlich sehr bedanken.
DER HYKSOS-PALAST BEI TELL EL- DABcA. ZWEITE UND DRITTEGRABUNGSKAMPAGNE (FRÜHLING 2008 UND FRÜHLING 2009)1
Von Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
ÄGYPTEN UND LEVANTE/EGYPT AND THE LEVANT 19, 2009, 91–119© 2009 BY ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, WIEN
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Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
Palast (Abb. 2)
Die palatiale Anlage wurde in unmittelbarerNähe eines Nebenarms des Nils erbaut (Abb. 3).Die Schichten sind unterschiedlich gut erhalten,je weiter im Süden, desto mehr wurden diesedurch Nachbesiedelung und moderne landwirt-schaftliche Aktivitäten abgetragen. Im Nordenhingegen sind noch die Originalfußböden derRäume und vereinzelt Funde in situ erhalten.
Der Distrikt datiert in die mittlere 15. Dynastie(Tell el-Dabca-Phasen: spätes E/1 und D/3). Eini-ge Siegel, die innerhalb der Anlage gefundenworden sind, tragen den Namen des Königs Cha-jan und erlauben es, den Palast mit diesem König,einem der großen Hyksosherrscher, in Verbin-dung zu bringen (Abb. 4).6
Zwei Hauptbauphasen sind feststellbar, inner-halb derer es zu mehreren lokalen Umbauten kam:
In der früheren Phase (Str. c/2) hatte derPalast eine größere Ausdehnung, vor allem dergroße Magazintrakt G war in Nutzung. Zu dieserPhase dürfte auch das Gebäude S gehören, dassich südlich des Palastes befindet.
In der späteren Phase (Stratum c/1) wurdeder Hof B mit seinen massiven Umfassungsmau-ern sowie der südwestlich an diesen anfugendegroße Treppenturm errichtet. Ebenso dürfte inder damaligen Zeit der an den Gebäudetrakt Aanfugende Treppenturm I in der späten Palast-phase erbaut worden sein. Die Magazine G undein großer Teil des Hofes C wurden aufgegebenund von einer neuen Umfassungsmauer (M150)abgeschnitten. Der Gebäudetrakt A, vermutlich
93Der Hyksospalast bei Tell el-Dabca. Zweite und Dritte Grabungskampagne (Frühling 2008 und Frühling 2009)
Nicolas Sartori - ÄgyptologeLaurent Schmitt - PaläogeographMichael Schultz - PaläopathologeRudolfine Seeber - RestauratorinNora Shalaby - ÄgyptologinUrsula Thanheiser - ArchäobotanikerinHervé Tronchère - PaläogeographHendrik Uleners - ArchäologeMichael Weissl - klassischer ArchäologeUllrike Zeger - Ägyptologin
Magnetometersurvey
Christian SchweitzerTomasz HerbichArtur BuszekDawid SwiechSzymon Zdzieblowski
STRATIGRAPHISCHE ÜBERSICHT
rezente Gruben und Kanäle, Sebachgruben, ovale 1,2 × 0,6 m große Gruben, die auf die Tätigkeit von Edou-ard Naville 1895 zurückgehen a/1
Gruben mit vierhenkeligen Vorratsgefäßen, 27. Dynastie b/1
ramessidischer Friedhof mit einfachen Grubenbestattungen, 19. Dynastie b/2
Relikte pastoraler Tätigkeit, Rinder und Schaf/Ziegenbestattungen, vermutlich spätere 18. Dynastie b/3
Einbau (M472–475) innerhalb des Vestibüls in Trakt A, frühe 18. Dynastie b/4
Nachnutzung des Palastes, aschige Schichten und Feuerstellen im nördlichen Bereich des Hofes C post c
jüngere Palastphase: die Fläche wurde verkleinert (Magazintrakt G durch Mauer M150 überbaut), ein Teil desVestibüls im Osten zugemauert, Hof B mit Opfergrubensystem L81, Brunnen L1045, Treppenhäuser I und II c/1
ältere Palastphase: der Palast war größer angelegt, der Magazintrakt G reicht bis weit nach Süden, Vestibüloffen, Pferdebestattung L1428, Gebäude S c/2
Werkstatt L1421, Opfergrube L928 d
6 S. auch SARTORI 2009.
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95Der Hyksospalast bei Tell el-Dabca. Zweite und Dritte Grabungskampagne (Frühling 2008 und Frühling 2009)
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96 Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
der Hauptteil des Palastes, erhielt an der Nord-ostflanke eine zusätzliche Verfüllung des ehema-ligen Vestibül-Bereiches, sodass sich dieser Traktals wuchtige Konstruktion darstellt, an deren Süd-ostflanke dann sekundär Magazine angefügt wur-den. Auch der grosse Brunnen L1045 im Süden,der Gebäude S zerstört, dürfte in diese Zeit fallen.
Die Gesamtanlage ist NO–SW orientiert undentspricht in ihrer Ausrichtung exakt der destuthmosidischen Palastes G in cEzbet Helmi.7 DerPalast ist in mehrere Bereiche unterteilt, Grup-pen von Räumen wechseln sich mit Höfen ab.Der Bau ist addidativ gewachsen, scheint abereinem Schema zu unterliegen, dass noch nichtvöllig geklärt werden konnte. Als Baumaterialwurden schlammige dunkelgraue Lehmziegelverwendet, die Bodenpflasterung besteht ausSandziegeln. Die Ziegelformate sind nicht ein-heitlich, die beliebtesten Maße sind 37–38 × 18–19 cm, 40–42 × 20–21 cm und 47–50 × 20–21 cm.Aufgrund der Nivellierung durch moderne Land-wirtschaft ist nur mehr der Fundament- bzw. Kel-lerbereich erhalten. Manche der Höfe waren mitroten Lehmböden ausgestattet.
Den Hauptteil der Anlage bildet GebäudetraktA (Abb. 5). Dieser besteht aus zwei Reihen vonMagazinen mit Sandziegelpflaster die im Südwest-en und Südosten von aufgefülltem Kastenmauer-werk eingefasst waren. Möglicherweise findet sichdas Konzept der Füllmauern auch im Nordwestendes Gebäudekomplexes. Dieser Bereich muß erstausgegraben werden. Ebenso wurde, zumindest inder Spätphase des Palastes, auch ein Teil des Vesti-büls verfüllt. An das Südeck des Traktes A warüberdies ein Treppenhaus angefügt, das schließ-lich auf bis fast 20 × 20 m vergrößert worden war.
7 BIETAK 2005.Abb. 3 Uferrand des Palastes
Abb. 4 Siegelabdruck des Königs ChajanTED Inv. Nr. 9355
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97Der Hyksospalast bei Tell el-Dabca. Zweite und Dritte Grabungskampagne (Frühling 2008 und Frühling 2009)
Abb. 5 Gebäudetrakt A
8 Vgl. die Rampenlandung der tuthmosidischen Paläste F, G und J im Areal H/I–VI, s. BIETAK, MARINATOS & PALYVOU
2007, figs. 14–17, 21, 22, 24.
Dabei wurde der Zwischenraum zu einer weiterenTreppenrampe, die von Hof C geradlinig aufsObergeschoss hinauf führt, mit Ziegeln angefülltund die Konstruktion dadurch nochmals vergrö-ßert. Vor Errichtung des Hofes B scheint von Süd-westen, vom Hof D her, eine weitere Treppenram-pe geradlinig auf diesen Turm hinauf geführthaben. Später dürfte sie die Verbindung vomGebäudekomplex A auf die Kronen der Umfas-sungsmauern des Hofes B hergestellt haben. Eineweitere, aber wesentlich breitere Rampe mitKastenmauerwerk führte von Nordwesten her aufdas Obergeschoss des Gebäudes A und dürfte sichim Kastenmauerwerk an der Südwestflanke desGebäudes A fortgesetzt haben, da eine Mauerver-stärkung, die an das vorhin genannten Treppen-haus grenzt, wie eine Landung aussieht.8 Das
Obergeschoss muss auf Grund der Treppenauf-gänge und Rampen eine besondere Bedeutunggehabt haben. Es hatte architektonisch eine zen-trale Verbindungsfunktion innerhalb des Palasta-reals und umfasste vermutlich die wichtigstenöffentlichen Räume des Palastes.
Die Magazinräume des Baues A hatten wohlauf Grund ihrer massiven Absicherung mit Füll-mauerwerk eine besondere Bedeutung gehabtund waren offensichtlich vor dem Verlassengeleert worden. Dabei wurde jedoch Bruchgutzurückgelassen. In zwei Räumen (L275 undL1153) fanden sich nämlich entlang der Seiten-wände an den Stellen, an denen der Boden infol-ge der Wandsetzung stark abgesackt war, einegroße Anzahl von stark fragmentierten importier-ten Amphoren der syrisch-palästinensischen Mitt-
leren Bronzezeit und dislozierte Gefäßverschlüsseohne Stempelabdrücke. In der Raummitte vonL1153 lag eine kleine Schale (Abb. 6).
Die südwestliche Reihe der Magazine ist aus 5Ziegel starken Mauern errichtet worden, die nord-östliche Reihe aus schmäleren, halb so breiten (2½Ziegel starken) Mauern. Vermutlich war die süd-westliche Raumgruppe mit Tonnengewölben über-deckt, die nördliche mit einem Flachdach. DieMauerstärke im nördlichen Teil lässt die Präsenzeiner Säulenhalle im Obergeschoss vermuten.
Der südwestliche Magazinteil9 besteht auseiner Gruppe von drei gleich großen Räumen(L23, 55 und 59: ca. je 11.7 × 2.5m), an die imNordwesten ein kürzerer Raum (L12: 8.9 ×1.58m) anschließt, da die mutmaßliche Aufgangs-rampe im Westeck des Gebäudes A einen Dop-pelknick besitzt. Der mittlere der drei längerenRäume ist von Norden her über eine Tür von dernordöstlichen Raumgruppe betretbar. Die ande-ren Magazinräume sind über Türen im Norden
der Längswände begehbar. Manche dieser Maga-zinräume (L55 und L59) sind über doppelteZwischenwände besonders abgesichert.
Der nordöstliche Magazintrakt besteht auseiner Gruppe von mindestens sieben Räumen(L1153, L1184, L275, L274, L328, L340, undL341). Diese sind annähernd gleich groß, (7 Zie-gel Längen breit, ca. je 13,65 × 2,6–2,74 m groß)und mit Sandziegelpflaster ausgestattet. Zugängesind schlecht erhalten und können, wie folgt,rekonstruiert werden. Der Eingang dürfte ineinen der beiden mittleren Magazinräume,(L274), geführt haben. Die anderen Räumewaren – ähnlich wie die vier südwestlichen Maga-zinräumen – über Türen an den Nordost-Endender Längswände zugänglich.
Im Nordosten des Komplexes A befand sich einVestibül, das den Zugang zu den Magazinen gestat-tete (Abb. 7). In diesem wurde vor dem Zugang zuden Magazinen eine Pferdebestattung (L1428)gefunden (Abb. 8). Es handelte sich vermutlich
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9 S. auch BIETAK/FORSTNER-MÜLLER 2006: 68–71.
Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
Abb. 6 Magazinraum L1153, entlang der Seitenwände Keramikfragmente und Gefäßverschlüsse
99Der Hyksospalast bei Tell el-Dabca. Zweite und Dritte Grabungskampagne (Frühling 2008 und Frühling 2009)
10 Bestimmung durch Karl Kunst, Vienna Institute of Archaeological Science.
Abb. 8 Pferdebestattung L1428 aus der Nutzungsphase des Palastes
Abb. 7 Vestibül im Nordosten des Gebäudetraktes A
um eine Stute im Alter zwischen 5–10 Jahren.10
Diese ist durch eine spätere Kinderbestattung(L1417), die ebenfalls in die 15. Dynastie datiert,gestört. Das Pferdegrab ist obendrein von einer
Schicht mit Keramikfragmenten überdeckt, diezur Nutzungsphase des Palastes gehört. Die beson-dere Position des Tieres im Vestibül des Magazin-traktes kann als Hinweis aufgefasst werden, dass sie
ihrem Besitzer – vermutlich war es der Inhaber desPalastes – besonders wertvoll war. Später wurde dienördliche Hälfte des Vestibüls durch eine massiveMauer (M405) abgemauert und der gesamteBereich möglicherweise aufgefüllt (s. oben). DieseMaßnahme ist ein weiterer Hinweis, dass die Pfer-debestattung in die frühere Belegungszeit des Pala-stes (c/2), auf jeden Fall in die Zeit vor der Abmau-erung des Vestibüls, zu datieren ist.
An den Haupttrakt A schließt im Südwesteneine weitere Gruppe von vier Räumen an (E) an(Abb. 9), die aus 2½ bis drei Ziegel starken Lehm-ziegelmauern erbaut sind. Die nördlicheren drei(L642, L644 und L645) sind gleich groß (ca. 8,65× 2,58–2,61m), der südlichste Raum (L647) etwasbreiter (ca. 8,65 × 3,10m). Innerhalb der Räumeließen sich sandige und lehmige Böden, aberkeine Sandziegelpflaster, feststellen. Möglicher-weise wurden die Räume nie genutzt, sonderndienten als mit Erde angefüllte Substruktionen.
Südöstlich des Gebäudes A befindet sich dergroße Hof C (Abb. 10). Dieser konnte in der
Kampagne 2009 nur in seinem Westbereich aus-gegraben werden; die genauen Ausmaße sindnoch nicht bekannt. Er ist von mehreren großenStörungen durchzogen. Der Hof war mit mehre-ren, teilweise 10 cm dicken rötlichen Lehmzie-gelböden ausgestattet. In seiner Mitte fanden sichdie Reste von Einbauten. Der Abdruck eines Kor-bes (L1088) (Abb. 11) wurde noch in situ vorge-funden. Unter dem Hofniveau konnten Relikteder Bautätigkeit für den Palast wie Kalkablage-rungen und runde, grob verlegte Ziegelsetzun-gen gefunden werden. Im Nordbereich weist inhöherer Lage eine Reihe von Feuerstellen aufeine Nachnutzungsphase (squatter-Tätigkeit) inden Palastruinen.
Südlich davon grenzte in der früheren Palast-phase c/2 eine sehr große Einheit von Magazinenan (G). Diese bestehen aus sechs langen schma-len Räumen, die wiederum in je drei Einheitenunterteilt sind (Abb. 2). Die beiden nördlicherensind etwas kleiner (15,15 × 3,2), die vier südliche-ren länger (16,6 × 3,2 m). Eingänge sind nicht
100 Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
L159
L695
L694
L194
L188
L190
L191
L189
L192
L193
L195
L698
L263
L178
L646
L868 L637
L637
L99
L219
L61
L487
L1123
L644
L637
L645
L647
L642
L1123
L389
L1221
M42M22
M41
M44
M244
M240
M242
M250
M241
M77
M78
M32M33M50
M157
M229
M245
M158
M371
M374
M380
M90
M391M76
M87
M84
M89
M75
M74
M71
M67
M56
M51
22 23 24
N
O
P
Q
2521
PALAST F/II - KOMPLEX „E“
HOF
TREPPENHAUS1
D
E
0
20 m
frühe Palastphase - Stratum c/2
Einbau in Hof “B” - Stratum c/1 späte Palastphase - Stratum c/1
Abb. 9 Raumgruppe E
mehr erhalten. Die Wände bestehen aus vier Zie-gel starken Lehmziegelmauern, die Böden –soweit erhalten – sind aus gestampftem Lehm.
In der späteren Phase c/1 des Palastes wurdeder Hof C verkleinert und die Magazine mögli-cherweise ganz aufgegeben, da die neue Umfas-sungsmauer M150 mitten durch ddurch diegenannten Elemente schneidet bzw. auf die mitt-lere Trennwand der Magazine schräg aufgesetztworden war.
Zur selben Zeit entstand ein großer Hof (B)(Abb. 2). Dieser hatte ursprünglich die Maße 21,3
× 27 m und ist von zwei Seiten mit breiten Kase-mattenmauern eingefasst. Die südöstliche Ein-friedung ist aus einer Doppelmauer errichtetworden, die nach einem Vorsprung mit derneuen Umfassungsmauer des Hofes C die neuesüdöstliche Fassade des Palastes bildet. An dieSüdwestflanke des Hofes B ist ein massives, weitaus der Fassade herausragendes großes Treppen-haus (L849) angefügt, das einen bastionsartigenCharakter hat (Abb. 12).
Hof B war an seiner Südost-, Nordost- und Nord-westseite und in seiner Mitte mit Bänken aus Lehm-ziegeln ausgestattet. Der südwestliche Teil desHofes war ohne Bänke, hier fanden sich noch Über-reste eines Sandziegelgebäudes, das vermutlich diegleiche Bedeutung innehatte wie der spätere Ein-bau B2 im nordöstlichen Teil des Hofes. Einbau Bmit den Innenmaße 9,12 × 4, 9 m besaß drei Kam-mern und saß wie ein Keller tief im Boden. Er dien-te vermutlich zum Aufbewahren von Nahrung,Getränken und Geschirr, wie man anhand der zer-brochenen Relikte vermuten kann. Der Bau durch-hackte die Bank an der ursprünglichen Nordost-kante des Hofes. Ersatzweise wurde entlang seinerSüdwestflanke eine neue Bank errichtet.
Die älteren Bänke wurden später, als das abge-lagerte Material so angewachsen war, dass es dieMauern überdeckte, durch neue Bänke ersetzt.In dem Hof wurden ohne Zweifel rituelle Mahl-zeiten mit vielen Teilnehmern durchgeführt.11
101Der Hyksospalast bei Tell el-Dabca. Zweite und Dritte Grabungskampagne (Frühling 2008 und Frühling 2009)
11 BIETAK/FORSTNER-MÜLLER 2006: 74–77; BIETAK/FORSTNER-MÜLLER 2007; FORSTNER-MÜLLER 2009: 10–11.
Abb. 10 Großer Hof C mit rötlichen Fußböden
Abb. 11 Korbabdruck L1088
12 Eine genauere Beschreibung des Inhalts der GrubenL81 erfolgt im selben Band, s. ASTON 2009.
13 S. auch BIETAK/FORSTNER-MÜLLER 2006: 77, Abb. 14.
Die Überreste solcher Feiern wie Keramik undTierknochen wurden in großen Gruben (Gru-bensystem L81) innerhalb des Hofes deponiert(Abb. 13).
Mehr als 5000 Keramikgefäße waren in diesenGruben in absichtlich zerbrochenem Zustand ver-scharrt worden; die meisten davon waren Ringst-
änder, Schalen und Trinkgefäße.12 Von besonde-rem Interesse waren Räuchergefäße, Ritualgefäßewie Libationsgefäße, Tierrhyta oder so genannte“Fischschalen” aus Mergelton C.
Die vorgefundene nubische Keramik13 ent-stammt dem Umfeld der Kermakultur (KermaMoyen); das Formenrepertoire besteht aus offe-
102 Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
Abb. 12 Treppenhaus L849 an der Südwestflanke des Hofes B
103Der Hyksospalast bei Tell el-Dabca. Zweite und Dritte Grabungskampagne (Frühling 2008 und Frühling 2009)
14 Für diese Information danken wir Janine Bourriau undCharles Bonnet.
15 Mündliche Mitteilung Ch. Bonnet.
nen Gefäßen, vor allem Schalen. Becher, diebekannten „Kerma-beaker“, wurden nicht ange-troffen. Die Gefäße selbst sind nicht dem Zen-trum der Kerma-Kultur, sondern ihrer Periphe-rie zuzuordnen;14 einige scheinen lokale inÄgypten angefertigte Produkte dieser Keramikzu sein.15
Die abgehaltenen Ritualmähler waren repetitiv;in welchen zeitlichen Abständen diese durchge-führt wurden, ist unklar. Es scheint, als ob der Hofdie Funktion einer Stätte dieses Rituals bildete. Erkönnte daher als „marzea5“ angesehen werden –eine Einrichtung, die uns aus dem VorderenOrient seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. bekannt ist,16
Abb. 13 Grubensystem L81 in Hof C, spätere Palastphase
104 Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
Abb. 14 Rhyton aus Mergel-C in Gestalt eines Nilpferdes, TED Inv. Nr. 9015S
Abb. 15 Mergel-IC-Fischschale, TED Inv. Nr. 9195
105Der Hyksospalast bei Tell el-Dabca. Zweite und Dritte Grabungskampagne (Frühling 2008 und Frühling 2009)
16 S. dazu BIETAK 2003.17 K.G. KUNST in ASTON & BADER 2009 XXXX.18 FORSTNER-MÜLLER im Druck.
19 MÜLLER 2009.20 Für diesen Hinweis danken wir V. Müller, die diese
Gruben bearbeitet.
wo solche Bankette anlässlich des Geburtstags vonGöttern oder Königen oder auch aus funerärenAnlässen gefeiert wurden. In vorliegendem Fallkönnten diese Rituale mit Fruchtbarkeit inZusammenhang stehen; manche Funde aus denOpfergruben wie Rhyta in Form einer nacktenweiblichen Figur oder eines mit eingeritzten Lotus-blumen versehenen Nilpferdes (Abb. 14) sowie dieDarstellung eines weiblichen Dämonen in Nil-pferdgestalt auf einer Mergel C-Fischschale könn-ten als solche Hinweise gelten (Abb. 15).
Ein Variantenreichtum an Tierknochen zeugtvom Gegenstand des Verzehrs, neben einer großenAnzahl an Rinderknochen fanden sich auch Kno-chen von Schweinen, Ziegen/Schafen, Fischen,Vögeln und einem Nilpferd.17 In einigen Gefäßen
waren noch Speisereste (Knochen von Nilbar-schen) in situ vorgefunden worden (Abb. 16).
Der Bereich nordwestlich von Hof D ist nochunerforscht.
Nördlich des Gebäudes A befindet sich einweiterer Kultplatz (F) mit vielen kleinerenOpfergruben von ca. zwei Meter Durchmesser(Abb. 17).18 Diese sind typische Opfergruben,wie sie auch aus anderen Arealen in Tell el-Dabcabestens bekannt sind, unter anderem aus Tem-pelvorplätzen im Areal A/II und F/I, aber auchaus Friedhöfen.19 Sie bergen die für solche Depo-nien typische Keramik wie Näpfe, Schalen,Bechervasen, Ringständer und Tierknochen(Rinder und Schafe/Ziegen). Wie generell inder materiellen Kultur des Fundplatzes Tell el-Dabca, ist auch hier wieder die Mischung ausvorderasiatischen und ägyptischen kulturellenTraditionen feststellbar. Entstammt der Brauchder Opfergruben im Palast- bzw. nicht funeräremTempelbereich vermutlich dem VorderenOrient, sind Elemente wie die Beisetzung zweierhinteren Rinderschenkels, L811, (Abb. 18) imägyptischen Einflussbereich zu suchen. Die Gru-ben datieren alle in die 15. Dynastie (Str. D/3–D/2), scheinen allerdings etwas später als dieGruben L81 (frühes Stratum D/3) angelegt wor-den zu sein.20 Dies könnte auf eine längere Ver-wendungsdauer des Palastes oder auf eine kulti-sche Weiternutzung weisen.
Südlich des Palastes liegen die Reste einesgroßen Gebäudes (S) mit annähernd quadrati-schem Grundriss (17,7m) (Abb. 2). Seine Orien-tierung entspricht nicht der des Palastes, son-dern ist, wohl infolge lokaler topographischerGegebenheiten, leicht nach Süden verschoben.Der größte Teil wurde durch Gruben, vor allemdurch den Brunnen L1045, und moderne land-wirtschaftliche Tätigkeit zerstört. Der Grundrissist nur in Ansätzen zu erahnen. In seinem NW-Eck befindet sich ein Treppenhaus (Maße 4,56 ×4,4m), im Südosten ist eine Bank (M338) ange-baut. An die SO-Außenmauer fugt eine NNW–SSO verlaufende Mauer (M341) an. Es istunklar, ob es sich um einen Raum oder Hof han-delt, da die betreffenden Schichten größtenteilsabgetragen sind.
Abb. 16 In einem Gefäß deponierte Speisereste (Nil-barsch) innerhalb des Grubensystems L81
Das Gebäude S könnte in die frühere Phasedes Palastes fallen. Seine nördliche Ecke würdemit der südöstlichen Mauer der späten Palastpha-se kollidieren.
Brunnen L1045
Ein großer rechteckiger Brunnen (L1045)schneidet in Gebäude S ein (Abb. 19). SeineOrientierung entspricht der des Palastes; er könn-te zu dessen späterer Phase gehören. Der Brun-
nen misst in seinem oberen Ansatz 12.5 × 10 m,seine Grubenwand ist geböscht. Er ist so tief ange-legt, dass er in den damaligen Grundwasserspie-gel hineinreichte. Heute liegt dieser bei ca. 4 mNN. Die Sohle des Brunnens reicht bis etwa0,50 m NN hinab. Insofern könnte dieser Auf-schluss über die Grundwasserverhältnisse von ca.1600 v. Chr. geben.
Die Seitenwände des Brunnens waren mitLehm befestigt. Sein Abgang bestand aus einem
106 Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
Abb. 17 Kultplatz F nördlich des Traktes A
107Der Hyksospalast bei Tell el-Dabca. Zweite und Dritte Grabungskampagne (Frühling 2008 und Frühling 2009)
Abb. 18 Bestattung zweier Hintergliedmaßen einesRindes in Opfergrube L811
Abb. 19 Brunnen L1045 Abb. 20 Abgang des Brunnens L1045 mit Resten vonKalksteinstufen
Dromos, der sich entlang der Ostseite des Brun-nens fortsetzte. Reste von Stufen aus Kalksteinwaren teilweise noch auf der Sohle des Abgangs –allerdings nicht mehr ganz in situ, sondern abge-sunken – erhalten (Abb. 20).
Der Brunnen wurde in der späteren 15. Dyna-stie (in Stratum D/2) verfüllt. Die durch Siebenaus der Verfüllung gewonnenen Funde umfassenneben einer großen Menge an Keramik und eini-gen Siegelabdrücken auch das Fragment einerKeilschrifttafel, die das älteste solche DokumentÄgyptens darstellt und mehr als 100 Jahre vordem Tontafelarchiv von Amarna datiert(Abb. 21, 22) (s. unten Beitrag F. van Koppenund K. Radner).
Ältere Schichten
Grube L928 (Stratum d) (Abb. 23)
Im Süden des Palastes (Planquadrate v/23 undw/24) wurde eine große Grube angeschnitten.Diese ist dicht mit einer großen Anzahl von Kera-mikgefäßen wie rundbodigen Näpfen, Ringstän-dern, Vorratsgefäßen aus der Levante, Mergel C-Zîren und Bierflaschen verfüllt. Die Gefäße mitgeschlossener Form waren mit dem Boden nachoben in die Erde gesteckt worden; bei zumindesteinem Napf ist der Boden absichtlich perforiert.21
Es scheint sich um eine ähnliche große Opfer-grube wie Grubensystem L81 zu handeln undkönnte mit einem Vorgängerpalast (Str. d) inZusammenhang stehen. Diese Entdeckung istvielleicht ein Hinweis, dass es an dieser Stelle von
Str. d bis c/1 ein kultisches Kontinuum gegebenhat, wofür auch der Sandziegelbau im Hof B spre-chen würde.
21 Zum intentionellen Unbrauchbarmachen von Gefäßen s. auch MÜLLER 2009: 278, 341–343; SEILER 1995: 185–203,2005: 178.
108 Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
Abb. 21 Fragment einer Keilschrifttafel, TD Inv. Nr. 9420
Abb. 23 Ältere Opfergrube L928, (Str. d)
Abb. 22 TD Inv. Nr. 9420 (Handkopie von Frans van Kop-pen). Die Pfeile markieren den linken bzw. unteren Tafelrand
Bad L1135 (Stratum d) (Abb. 24)
Die Reste eines kleinen Bades, das teilweise durchden Brunnen L1045 gestört worden war, konntenin Planquadrat v/23 festgestellt werden. Dieses istNNW–SSO mit der Biegung nach Süden orien-tiert. Es besteht aus einem Becken (Beckenmaße:116 × 93 cm) aus gebrannten Ziegeln (Maße: 27,5× 12,5 × 4,2 cm), die in 3 Reihen flach gesetztsind. Der Rand ist mit senkrecht stehenden Zie-geln gesetzt und dadurch erhöht; die Ausgußsei-te, ist durch 2 Reihen aufgestellter Ziegelbegrenzt. Ein Ausfluß führt in eine in den Bodenversenkte Amphore. Rings um das Bad fand sichein Lehmboden.
Werkstatt L1421 (Stratum d)
Unterhalb der Palastanlage wurde im Planqua-drat j/26 ein Raum freigelegt, der einem heftigenFeuer zum Opfer gefallen war (Abb. 25).
Die nördliche Hälfte konnte in dieser Kam-pagne noch nicht freigelegt werden, da sie der-zeit von einem sich in Verwendung befindlichenStall überdeckt ist. Der Raum ist im Westen undSüden von zwei jeweils ½ Ziegel starken Sandzie-
gelmauern, M468 und M469, (W- und S-Mauer)eingefasst. Die Mauer M468 ist entweder an M471angefugt, oder die Läufer von M471 wurden wäh-rend des Baus in der Flucht verlängert. Im Südenist eine Bank aus Schlammziegeln angebaut(M470).
Der Raum war dicht mit körnigem rot verzie-geltem Lehm verfüllt, im oberen Bereich fandensich sehr viele stark überfeuerte Keramikfrag-mente von importierten Amphoren der MittlerenBronzezeitkultur, eine davon ruhte noch aufeinem Ringständer, ferner fanden sich Näpfe, ver-einzelt von Kochtöpfe und auch Mergel C-Gefä-ße. Die Dachkonstruktion bestand möglicher-weise aus Lehm und Schilfmatten oder Schilf-bündeln, da sich verbrannte Lehmbrocken undPlatten mit Rippenstruktur fanden (Abb. 26).Hölzerne Dachbalken sind auszuschließen, da imgesamten Raum so gut wie keine substantielleHolzkohle gefunden wurde.
Im unteren Bereich von L1421 wurden nochObjekte in situ vorgefunden.
An die Westwand waren drei Amphorengelehnt, zwei davon mit ägyptisch Blau, die drittemit Sand gefüllt (Abb. 27). Sehr viele kleine, kari-
109Der Hyksospalast bei Tell el-Dabca. Zweite und Dritte Grabungskampagne (Frühling 2008 und Frühling 2009)
Abb. 24 Bad L1135, (Str. d)
110 Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
Abb. 25 Werkstatt L1421
Abb. 26 Schilfmatten oder Schilfbündel in Werkstatt L1421, vermutlich Reste der Dachkonstruktion
nierte Schalen waren am S-Rand des Raumesdeponiert. Diese waren teilweise noch ineinandergestapelt. An der S-Wand des Raumes lagen dreiArmreifen aus Elfenbein,22 daneben fand sich
eine Stange, von der kleine Scheiben abgeschnit-ten worden waren.
Des weiteren fanden sich noch ein Reibstein,Obsidianknollen, Bronzebeschläge, (wahrschein-lich die Reste von Mobiliar), Elfenbeineinlagen,Meeresmuscheln (Tridacna),23 teilweise mit Bear-beitungsspuren, Korallen24 und ein Zaubermesseraus Bein (Abb. 28). Beim Sieben kamen Frag-mente von Jaspis, Kalzit und Fayence hervor.
Ein stark überfeuerter Deckel aus Kalzit warmit der linksläufigen Aufschrift
“Kronprinzessin, Königstochter,geliebt von Hathor, der Herrin der Myrrhe; Sat-Hathor-Duat“ versehen (Abb. 29). Hier handeltes sich um ein älteres Stück aus dem MittlerenReich, das in der Werkstatt vermutlich zur Weiter-verarbeitung aufbewahrt worden war.
Von besonderem Interesse sind Siegelab-drücke des „Green Jasper Workshops“ mit inte-grierten hieroglyphischen Kolumnen (Abb. 30).Eines dieser Siegel kann einem HqA-RTnw, „Fürstenvon Retenu“, zugewiesen werden, dessen Namenoch nicht lesbar ist.
Die Werkstatt könnte mit den westlich gelege-nen Metallverarbeitungsöfen in Zusammenhangstehen.25
Jüngere Schichten
Bau der frühen 18. Dyn (Abb. 31)
Innerhalb des Vestibüls des Traktes A wurde nachAufgabe des Palastes der Bau (M472–M475)errichtet, der somit aus dessen Nachnutzungs-phase stammt. Er ist fast völlig zerstört, sein
111Der Hyksospalast bei Tell el-Dabca. Zweite und Dritte Grabungskampagne (Frühling 2008 und Frühling 2009)
Abb. 28 Zaubermesser aus Bein in Werkstatt L1421
Abb. 27 Mit blauer Farbe verfüllte Amphoren an derWestwand der Werkstatt L1421
22 Bestimmung Karl G. Kunst.23 Bestimmung Karl G. Kunst.
24 Bestimmung Karl G. Kunst.25 BIETAK/FORSTNER-MÜLLER 2006, 74: Abb. 10.
26 Bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befand sichim Areal F/II eine Senke, die danach aufgefüllt wor-den war, um das Land als Ackerland bewirtschaften zukönnen. Die dazu nötige Erde wurde aus der Umge-bung herangekarrt. Es ist nicht auszuschließen, dassdie Schicht mit den Fresken in dieser Zeit aus cEzbetHelmi stammen.
27 Lit. in BIETAK, MARINATOS & PALYVOU 2007.28 BIETAK 2006.29 Zum ramessidischen Friedhof von cEzbet Helmi s. BIE-
TAK/FORSTNER-MÜLLER 2007: 54, Abb. 34–37.
Grundriss kann nicht rekonstruiert werden. Diedarin gefundene Keramik, eine Schale mitschwarzer Dekoration, erlaubt eine Datierung indie frühe 18. Dynastie.
Dieser Einbau wurde von einer Schicht mitPutzfragmenten minoischer Fresken überlagert.Diese stammt vermutlich von Einplanierungsar-beiten durch lokale Bauern in der ersten Hälftedes 20. Jahrhunderts.26 Die Entfernung von denminoischen Freskenfunden im Bereich des tuth-mosidischen Palastbezirkes von 400–500 m istfreilich beachtlich.27
Tierbestattungen
Auch in dieser Kampagne wurden Tierbestattun-gen, welche uns bereits von den Grabungen incEzbet Helmi (400–500m Distanz vom Areal F/II)
bekannt sind, festgestellt (Abb. 32). Es handeltsich um sorgsam bestattete Tierkadaver meist vonSchafen/Ziegen sowie auch von einigen Rin-dern.28 Möglicherweise handelt es sich um Beiset-zungen verendeter Tiere einer Tempelherde wäh-rend der späten 18. oder frühen 19. Dynastie.Dies würde die pietätvolle Bettung der Tiereerklären.
Ramessidischer Friedhof
Der bereits aus früheren Kampagnen in den Are-alen F/II und ’Ezbet Helmi bekannte ramessidi-sche Friedhof konnte vor allem im südlichenBereich der untersuchten Fläche wiederum fest-gestellt werden.29
Die Toten (L607, L931, L1000 und L1265)waren ausnahmslos in ovalen, N–S oder O–Worientierten Gruben bestattet und in der Regelohne Beigaben beigesetzt. Die KinderbestattungL931 hatte um ihren Hals eine Kette aus einerweißen und einer blauen Fayenceperle und zweiBes-Amuletten aus Fayence (Abb. 33).
112 Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
Abb. 30 Siegelabdrücke des „Green Jasper Workshops“,einer trägt Titel und Namen eines Fürsten von Retenu
Abb. 29 Kalzitdeckel mit hieroglyphischer Inschrift, derden Namen einer Prinzessin des Mittleren Reiches trägt
113Der Hyksospalast bei Tell el-Dabca. Zweite und Dritte Grabungskampagne (Frühling 2008 und Frühling 2009)
Abb. 32 Rinderbestattung L1230, späte 18. oder frühe 19. Dynastie
Abb. 31 Späterer Einbau in den Palast aus der frühen 18. Dynastie
114 Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
Abb. 33 Ramessidische Kinderbestattung L931 mit einer Kette aus einer blauen und weißen Fayenceperlensowie zwei Bes-Amuletten aus Fayence
Abb. 34 Grubengrab L1423
115Der Hyksospalast bei Tell el-Dabca. Zweite und Dritte Grabungskampagne (Frühling 2008 und Frühling 2009)
30 S. auch BIETAK/FORSTNER-MÜLLER 2006: 66.31 Die Datierung der Gefäße erfolgte durch David Aston.
32 Zum Wiederaufschwung dieses Gebietes während der26. und 27. Dynastie s. FORSTNER-MÜLLER 2009: 12.
Einen Sonderfall stellt Grubengrab L423 dar(Abb. 34). Dieses ist im Norden, im Vestibül desPalastes, nahe der erwähnten Pferdebestattungder Hyksoszeit entlang einer Palastmauer ange-legt worden und im Gegensatz zu den übrigenramessidischen Gräbern NW–SO orientiert. DerTote wurde in gestreckter Rückenlage beigesetzt,der Schädel liegt im NW; das Gesicht ist leichtnach S gewandt; die Arme liegen seitlich am Kör-pers. Beigaben wurden nicht mitgegeben.
Da die Oberkante der Grabgrube nicht mehrerhalten ist, wäre eine stratigraphische Zuweisungin die spätere Hyksoszeit möglich, wahrscheinlichhandelt es sich jedoch um ein ramessidischesGrab.
Vorratsgruben der 27. Dynastie30 (Abb. 35)
Im südlichen Teil der untersuchten Fläche fandsich eine Reihe von perserzeitlichen Vorratsgru-ben, in denen große Gefäße mit Henkeln depo-
niert waren (L209, L368, L916, L948, L999,L1255, L1335).31 Solche Gruben konnten bereits2006 festgestellt werden und bezeugen auf einNeues die intensive Nutzung des Geländes in die-ser Epoche.32 Die Besiedelung erreichte damalsfast die gleichen Ausmaße wie Avaris in der 15.Dynastie.
EIN TONTAFELFRAGMENT AUS DER DIPLOMATISCHEN
KORRESPONDENZ DER HYKSOSHERRSCHER MIT
BABYLONIEN
Von Frans van Koppen und Karen Radner
Das hier vorgestellte Tontafelfragment aus Tell el-Dabca / Avaris ist das bisher älteste bekannte Keil-schriftdokument aus Ägypten; es wurde auseinem Brunnen innerhalb eines Palastbezirks der15. Dynastie geborgen (s. oben Beitrag Bietak/Forstner-Müller). Obwohl der gesamte Grubenin-
Abb. 35 Vorratsgrube der 27. Dynastie, L948, mit großem vierhenkeligem Gefäß
halt gesiebt wurde, konnten keine weiterenBruchstücke unserer oder weiterer Tontafelnidentifiziert werden.
Aufgrund des Fundkontexts und der Naturdes Textes – ein Brief, der mittels eines Botenoder einer diplomatischen Mission unterbeträchtlichem Kostenaufwand aus dem heutigenSüdirak ins Nildelta transportiert werden musste– kann man sicher davon ausgehen, dass es sichnicht um einen Privatbrief handelt, sondern einSchriftstück aus der diplomatischen Korrespon-denz zwischen den babylonischen und ägypti-schen Königshöfen. Das Brieffragment ist damitein direkter Vorläufer der internationalen Brief-wechsel der Pharaonen des Neuen Reichs.33
Wie wir sehen werden, liefert das Bruchstückaufgrund seines Duktus sehr wahrscheinlicheinen Synchronismus zwischen der letzten Phaseder Herrschaft der I. Dynastie von Babylon überSüdmesopotamien und der Regierungszeit derägyptischen Herrscher der 15. Dynastie. Es stelltdeshalb ein wertvolles neues Indiz in den Bemü-hungen um die Etablierung der Chronologie des2. vorchristlichen Jahrtausends dar. Im folgendenwird für mesopotamische Daten die sogenannte„Mittlere Chronologie“ verwendet, der zufolgedie Eroberung Babylons durch hethitische Trup-pen im Jahr 1595 v. Chr. stattgefunden hätte. Diesist mit Sicherheit nicht zutreffend, aber das tat-sächliche Datum – irgendwann in der zweitenHälfte des 16. Jahrhunderts v. Chr. – kann nachdem derzeitigen Quellenstand nicht sicher eta-bliert werden. Nur Neufunde wie das hier vorge-stellte Fragment sind in der Lage, die Forschunghier weiter voranzubringen.
Physische Beschaffenheit und Tafelformat
Das Tontafelbruchstück mit der InventarnummerTeD 9420 wurde kurz nach seiner Bergung vonden beiden Autoren bei einem Besuch auf derGrabung am 14. April 2009 gelesen und kopiert(Abb. 21, 22). Seine erhaltenen Maximalmaßesind 2,0 cm × 1,1 cm × 1,1 cm.
Das Fragment stammt von der unteren linkenEcke der Vorderseite einer in akkadischer Keil-schrift und Sprache beschriebenen Tontafel, wieaufgrund des erhaltenen linken Tafelrandes undder Wölbung klar ist. Vom Text der Vorderseitesind die Reste von fünf Zeilen erhalten, davon
drei Zeilenanfänge. Vom Text auf der linkenTafelkante ist der Anfang der wohl einzigen dar-auf angebrachten Zeile erhalten, die gleichzeitigdie letzte Zeile des Gesamttextes darstellt. DasFormat und die Tatsache, dass der linke Tafelrandbeschriftet ist, zeigen an, dass es sich um dieInnentafel eines Briefes handeln muss. DieserBefund wird, wie in der Folge zu zeigen ist, auchdurch den Textinhalt bestätigt.
Sprache, Textgenre und Herkunft
Trotz der geringen erhaltenen Textmenge ist klar,dass die Sprache akkadisch ist. Das Wort anåku„ich“ in der Zeile 3’ zeigt zudem, dass es sich beider Textgattung entweder um einen Brief oderum eine literarische Komposition handelt, dennnur hier ist die erste Person Singular zu erwarten.Das Tafelformat schließt einen literarischen Textaber sicher aus, und damit können wir das Frag-ment zweifellos als Bruchstück eines Briefes klas-sifizieren.
Aufgrund der Zeichenformen ist klar, dass dieTafel mit einem Griffel aus Schilfrohr geschrie-ben wurde, was auf eine Abfassung des Briefes inMesopotamien hinweist: Schreibgriffel aus Holz,Bein oder Metall, wie sie in Anatolien, in derLevante und auch in Ägypten zur Niederschriftvon Keilschrift verwendet werden, resultieren ineinem optisch ganz andersartigen, viel klobigerenSchriftbild. Es handelt sich um die in Südmeso-potamien, also politisch gesehen Babyloniengebräuchliche Schriftform, die sich durch die ver-tikale Grundhaltung des Schreibgriffels von dernordmesopotamischen Schriftform (mit horizon-taler Grundhaltung) unterscheidet. Obwohl alsoder geringe Textbestand für sich alleine keineBestimmung des akkadischen Dialektes als baby-lonisch oder assyrisch erlauben würde, ist auf-grund der Zeichenformen klar, dass der Brief aufbabylonisch abgefasst wurde. Dies passt auch zurTonqualität des Fragments, dessen dunkle Farbeund Feinheit ohne weiteres mit dem bekanntenbabylonischen Material vergleichbar ist.
Datierung
Der Duktus der Keilschriftzeichen gestattet einechronologische Eingrenzung unseres Fragments,denn die Schriftform und die Gestaltung der Tafelhaben enge Parallelen in der Schreibpraxis der
33 18. Dynastie: MORAN 1992; 19. Dynastie: EDEL 1994, JAKOB 2003.
116 Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
117Der Hyksospalast bei Tell el-Dabca. Zweite und Dritte Grabungskampagne (Frühling 2008 und Frühling 2009)
spätaltbabylonischen Periode, d.h. der Zeit derNachfolger Hammurabis von Babylon (1792–1750v. Chr. nach der „mittleren Chronologie“).
Eine zuverlässige nähere chronologische Ein-ordnung gestaltet sich jedoch schwieriger, denndie paläographische Erforschung der Keilschriftist noch nicht soweit fortgeschritten, dass eineSchreiberhand mit Präzision datiert werdenkönnte. Es existieren allerdings Vorarbeiten, diejedoch entweder veraltet34 oder noch nicht zumAbschluss gebracht worden sind.35 Innerhalb derKeilschriftforschung existiert bisher nur für diehethitischen Texte eine historische Paläographie,die eine zuverlässige Datierung des Schriftduktuserlaubt.36 Keines der in der hethitischen Paläo-graphie als diagnostisch erkannten Keilschriftzei-chen erscheint jedoch in unserem Text.
In unserem kleinen Fragment gibt es nur vierKeilschriftzeichen, die für eine paläographischeAnalyse herangezogen werden können: [a] dasZeichen A in Zeile 3’, [b] das Zeichen I in denZeilen 2’ und 4’, [c] das Zeichen NA in den Zei-len 2’, 3’ und 4’ and [d] schließlich das ZeichenKU in Zeile 3’. Die beiden Vokalzeichen [a] und[b] unterliegen kaum einer Veränderung undsind deshalb ohne Nutzen für unsere Zwecke. DasZeichen NA [c] erscheint in der jüngeren Formdes altbabylonischen Duktus, die sich ganz deut-lich von der älteren, aus wesentlich mehr Keilenzusammengesetzten Form unterscheidet;37 dieVereinfachung dieses Zeichens im Schreibge-brauch kann grob in die Zeit Hammurabis vonBabylon datiert werden. Am aussagekräftigsten istdas Zeichen KU [d],38 das in jener einfachenForm aus drei horizontalen Keilen mit nur einemvertikalen Keil am Ende geschrieben ist, wie siefür südmesopotamische Schriftstücke der altbaby-lonischen Zeit charakteristisch ist: Belege fürganz ähnlich geformte Beispiele des Zeichens KUsind auf Tontafeln mit Datierungen in die Regie-rungszeit der babylonischen Könige Hammurabi(z.B. BM 93768: Rs. 2 aus Larsa), Samsuiluna(1749–1712 v. Chr.; z. B. BM 17290: Rs. I 16’, II 4’aus Sippar) und Ammißaduqa (1646–1626 v. Chr.;
z. B. BM 97128: 5, Rs. 4, 7 aus Sippar) belegt (s.die entsprechenden Fotos auf der CDP-Projekt-webseite). Die einfache Form mit nur einem ver-tikalen Keil lässt sich gelegentlich auch in südme-sopotamischen Texten der mittelbabylonischenZeit nachweisen,39 während außerhalb Babylo-niens zur gleichen Zeit die Zeichenform mit zweivertikalen Keilen sehr viel gängiger war.40
Ebenfalls bedeutend für die Datierung ist dasallgemeine Schriftbild. In unserem Text wirdeine kursive, sehr schmal geschriebene Kurz-schrift verwendet. Hier ist einmal das bereitsdiskutierte Zeichen KU zu nennen, und weitersdas Zeichen A, das in seiner einfachsten Formgeschrieben ist, nämlich mit zwei ungebroche-nen, nebeneinander stehenden horizontalenKeilen anstelle der komplexeren Form mit rechtszwei übereinander gesetzten horizontalen Kei-len. Vor allem aus dem reichhaltigen Textmateri-als aus Sippar gewinnt man den Eindruck, dassdiese Art des Schriftbildes typisch für Schriftstük-ke der ausklingenden spätaltbabylonischen Zeitist, d. h. aus den späten Regierungsjahren desAmmißaduqas und der Regierungszeit seinesNachfolgers Samsuditanas, des letzten Herr-schers der I. Dynastie von Babylon.
Aufgrund der vorangehenden Ausführungenist nicht nur klar, dass unser Brief bzw. seinSchreiber aus Babylonien stammt, sondernaußerdem sehr wahrscheinlich, dass der Text indie Jahrzehnte unmittelbar vor dem Fall vonBabylon datiert, der heute einen wichtigen Fix-und Endpunkt in der Diskussion um die absolu-te Chronologie Mesopotamiens und des Mittel-meerraums darstellt. Ein etwas späterer Abfas-sungszeitpunkt unter einem der ersten Herr-scher der nachfolgenden kassitischen Dynastiekann zwar nicht ausgeschlossen werden, da ausdieser Zeit bislang keine Tontafeln bekannt sind,kann eine solche Vermutung in Ermangelungvon Belegen aber auch nicht weiter erhärtet wer-den. Der Duktus der aus der späteren Kassiten-zeit erhaltenen Tontafeln aus dem 14. Jh. v. Chr.unterscheidet sich dann bereits deutlich von der
34 FOSSEY 1926; trotz des allzu unkritischen Ansatzes, dernicht zwischen den verschiedenen Schriftträgernunterscheidet, und der fehlenden Autopsie der Origi-naltexte noch immer wertvoll.
35 Cuneiform Digital Palaeography [CDP] Project derUniversität Birmingham unter der Leitung von A.Livingstone, seit 2004: www.cdp.bham.ac.uk.
36 Mit Verweisen auf weitere Literatur: WILHELM 1984;NEU & RÜSTER 1989.
37 FOSSEY 1926: 142–149.38 FOSSEY 1926: 960–962.39 Nr. 249 in der Zeichenliste von CLAY 1906.40 SCHROEDER 1915: 92 Nr. 202.
118 Manfred Bietak und Irene Forstner-Müller mit einem Beitrag von Frans van Koppen und Karen Radner
Schriftform der spätaltbabylonischen Zeit undunseres Fragments.
Der Text in Umschrift:
VorderseiteAnfang weggebrochen
1’ [x] × × [...]2’ [k]i-i na-[…]3’ a-na-ku × [ …]
4’ i-na […]unterer Tafelrand
5’ ªa-na¬ [...]Rest weggebrochenlinker Tafelrand
x [...]
Z 2’: Wohl die Konjunktion k• „weil; wenn“Z 3’: anåku: „ich“
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