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Den ökologischen Wandel gestalten Integriertes Umweltprogramm 2030

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Den ökologischen Wandel gestaltenIntegriertes Umweltprogramm 2030

Impressum

HerausgeberBundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB)Referat Öffentlichkeitsarbeit · 11055 BerlinE-Mail: [email protected] · Internet: www.bmub.bund.de

RedaktionBMUB, Referat G I 1, Dr. Jörg Mayer-Ries und Florian Raecke

TextBMUB (Kapitel 1 bis 4), Schäfer & Breuss GbR (Kapitel 5)

Gestaltungdesign.idee, Büro für Gestaltung, Erfurt

DruckDruck- und Verlagshaus Zarbock GmbH & Co. KG

BildnachweiseTitelseite: Martin Barraud/GettyImagesSeite 40: Paul Langrock/Zenit/laifSeite 58: Jürgen Fächle/Fotolia.comSeite 72: Daniel Schoenen/GettyImagesSeite 84: farbkombinat/Fotolia.comSeite 96: Marcel Schauer/Fotolia.com

StandAugust 2016

1. Auflage4.000 Exemplare

Bestellung dieser PublikationPublikationsversand der BundesregierungPostfach 48 10 09 · 18132 RostockTel.: 030 / 18 272 272 1 · Fax: 030 / 18 10 272 272 1E-Mail: [email protected]: www.bmub.bund.de/bestellformular

HinweisDiese Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Gedruckt auf Recyclingpapier.

Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Den ökologischen Wandel gestaltenIntegriertes Umweltprogramm 2030

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Inhaltsverzeichnis

Kurzfassung 6

Einführung 14

Gut leben 2050: Die Vision 16

1 Zeit für ein neues Umweltprogramm 201.1 Erfolgsgeschichte Umweltpolitik: Was wir erreicht haben 211.2 Aktuelle Aufgaben: Was wir tun 221.3 Die zentrale Herausforderung: Ökologische Grenzen einhalten 241.4 Neuer Schwung für die Umweltpolitik 261.5 Das Integrierte Umweltprogramm 2030 26

2 Welche grundlegenden Veränderungen notwendig sind 282.1 Gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel vorantreiben 292.2 Schlüsselbereiche grundlegend umgestalten 29

2.2.1 Energieversorgung 302.2.2 Mobilität 302.2.3 Landwirtschaft 312.2.4 Konsum und Ressourcennutzung 31

3 Übergreifende Maßnahmen für den Wandel 323.1 Für eine starke Umweltpolitik des Bundes 343.2 Für eine umweltgerechte Wirtschafts- und Finanzpolitik 343.3 Minderung weltweiter Umweltauswirkungen Deutschlands 353.4 Für ein neues Verständnis von Wohlfahrt 363.5 Zur Unterstützung nachhaltigen Handelns von Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen 36

4 Was wir konkret angehen wollen: Fünf Schwerpunkte 384.1 Umwelt- und klimaverträglich wirtschaften, Energie- und Ressourcenwende 40

4.1.1 Erfolge und positive Entwicklungen 454.1.2 Herausforderungen und neue Aufgaben 484.1.3 Leitziele und Maßnahmen 51

4.2 Zukunftsfähige Landwirtschaft, intakte Natur 584.2.1 Erfolge und positive Entwicklungen 634.2.2 Herausforderungen und neue Aufgaben 644.2.3 Leitziele und Maßnahmen 68

4.3 Nachhaltige Mobilität, lebenswerte Städte 724.3.1 Erfolge und positive Entwicklungen 774.3.2 Herausforderungen und neue Aufgaben 784.3.3 Leitziele und Maßnahmen 80

4.4 Gesunde Lebensbedingungen 844.4.1 Erfolge und positive Entwicklungen 894.4.2 Herausforderungen und neue Aufgaben 914.4.3 Leitziele und Maßnahmen 93

4.5 Internationale Dimension der Umweltpolitik 964.5.1 Erfolge und positive Entwicklungen 1014.5.2 Herausforderungen und neue Aufgaben 1044.5.3 Leitziele und Maßnahmen 106

5 Zukunft gestalten: Die Ergebnisse des Bürgerdialogs 1125.1 Vorgehensweise 1135.2 Bürgerbotschaften 115

5.2.1 Bürgerbotschaften zu übergreifenden Maßnahmen des Wandels 1155.2.2 Bürgerbotschaften zu umwelt- und klimaverträglich wirtschaften,

Energie- und Ressourcenwende 1155.2.3 Bürgerbotschaften zu zukunftsfähiger Landwirtschaft, intakter Natur 1165.2.4 Bürgerbotschaften zu nachhaltiger Mobilität, lebenswerten Städten 1185.2.5 Bürgerbotschaften zu gesunden Lebensbedingungen 1195.2.6 Bürgerbotschaften zur internationalen Dimension der Umweltpolitik 119

6 Verzeichnisse 1246.1 Abkürzungsverzeichnis 1246.2 Abbildungsverzeichnis 1266.3 Tabellenverzeichnis 126

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Kurzfassung

Zeit für ein neues UmweltprogrammDie deutsche Umweltpolitik ist eine Erfolgsgeschichte. Dass heute in Deutschland wieder in fast allen Ge-wässern gebadet werden kann, ohne gesundheitliche Folgen zu riskieren; dass Winter- und Sommersmog kaum noch auftreten; dass durch die Einführung blei-freien Benzins die Bleibelastung der Bevölkerung auf gesundheitlich unbedenkliche Werte sank; dass Luchs und Wildkatze in unseren Wäldern wieder heimisch wurden – dies und vieles mehr sind Meilensteine einer überaus erfolgreichen Umweltpolitik.

In fast allen Sparten der Umwelttechnologien ist Deutschland weltweit führend. Insgesamt sind in Deutschland fast zwei Millionen Menschen beruflich im Umweltschutz tätig. Für das Jahr 2030 wird, den gesamten Umwelttechnologie-Bereich in Deutschland betreffend, ein Umsatz in Höhe von einer Billion Euro vorhergesagt. Diese Zahlen zeigen, dass von Investi-tionen in energie- und ressourcensparende Anlagen, Technologien und Produkte auch die Wirtschaft profi-tiert und das Wohlstandsniveau in Deutschland durch kluge Umweltpolitik gesteigert wurde.

Trotz aller Erfolge gibt es noch ungelöste umweltpoliti-sche Herausforderungen. So konnte bisher der Verlust der biologischen Vielfalt nicht gestoppt und der ökolo-gische Zustand der Binnen- und Küstengewässer nicht entscheidend verbessert werden. Die Luft- und Lärm-belastung ist vor allem in den großen Städten immer noch zu hoch. Dringender Handlungsbedarf besteht auch hinsichtlich des Rohstoff- und Flächenverbrauchs sowie der Abfallmengen, die bisher nicht signifikant verringert werden konnten.

Nach wie vor werden somit in Deutschland ökologi-sche Belastbarkeitsgrenzen überschritten. Auch der globale Umweltzustand ist besorgniserregend: Im Hin-blick auf das Schwinden der biologischen Vielfalt sowie die Störung der Nährstoffkreisläufe von Stickstoff und Phosphor sind die planetaren Belastbarkeitsgrenzen weit überschritten. Die Menschheit hat sich also weit vom sicheren Handlungsraum entfernt und setzt sich einem hohen Risiko negativer ökologischer, wirt-schaftlicher und gesellschaftlicher Folgen aus. Auch im Hinblick auf den Landnutzungswandel und die Ver-änderung des Klimas hat die Menschheit den sicheren Handlungsraum bereits verlassen.

Deutschland trägt hierfür eine Mitverantwortung: Über unsere Lebensstile, unseren Konsum und unsere global vernetzte Volkswirtschaft werden die natürlichen Res-sourcen des Planeten in einem Ausmaß in Anspruch genommen, das nicht als Modell für die übrige Welt gelten kann. Technische Lösungen und „klassische“ Umweltpolitik allein werden nicht ausreichen, um die von Deutschland ausgehenden Umweltbelastungen im erforderlichen Maße zu reduzieren. Es ist Zeit, den not-wendigen Wandel in Deutschland voranzubringen.

Die im September 2015 von den Vereinten Nationen beschlossene Agenda 2030 für nachhaltige Entwick-lung, die Ergebnisse des Klimagipfels von Paris und des G7-Treffens 2015 stellen auf internationaler Ebene einen Rahmen dar, aus dem die Umwelt-politik Schwung schöpfen kann. Es ist Zeit für eine neue Umweltpolitik, die diesen Schwung nutzt und die Herausforderungen entschlossen angeht. Das Integrierte Umweltprogramm 2030 soll hierfür die Orientierung geben: Hin zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft und einer nachhaltigen Gesellschaft.

Das Integrierte Umweltprogramm 2030 führt eine lange Linie programmatischer Entwicklungsschritte fort: Von der Vorsorge als Leitprinzip der Umwelt-politik (1971 von der Bundesregierung vorgelegtes Umweltprogramm) über nachhaltige Entwicklung als Leitbild (1998 vom Bundesumweltministerium vorge-legter Entwurf für ein Umweltprogramm) hin zu einer transformativen Umweltpolitik als neuer Leitidee: Umweltpolitik muss gesellschaftliche Veränderungen aufgreifen, neue, nachhaltige Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsentwürfe fördern, damit den Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft forcieren – und hierzu das Instrumentarium der Um-weltpolitik weiterentwickeln.

Welche grundlegenden Veränderungen notwendig sindUm den umweltpolitischen Herausforderungen wirk-sam zu begegnen, sind grundlegende Veränderungen in Gesellschaft, Industrie und Landwirtschaft, Energie- und Ressourcennutzung, Verkehr und Infrastruktur unabdingbar.

Wie kann ein tiefgreifender Wandel, ein beschleunig-ter Übergang – eine „Transformation“ – hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft gelingen? Auf diese Frage des „Wie?“ sind viele Antworten erst noch zu erar-beiten. Die Politik kann und darf jedoch vor allem angesichts der dramatischen Umweltveränderungen nicht warten.

Klar ist: Ökonomische und soziale Ziele müssen künf-tig im Rahmen ökologischer Grenzen verwirklicht werden und hierin einen sicheren politischen und

gesellschaftlichen Handlungsraum aufspannen. Unter diesen Rahmenbedingungen kann eine Optimierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt unter Einhaltung aller gesetzten Umweltziele erreicht werden. Wir wollen eine sozial-ökologische Marktwirtschaft, die zukunftsfähige Konsum- und Lebensstile sowie inno-vative Arbeits- und Geschäftsmodelle fördert.

Grundlegende Veränderungen sind vor allem in folgen-den Schlüsselbereichen erforderlich:

→ Wir wollen eine Energiewende, die eine nahezu emissionsfreie Energieversorgung aller Sektoren sichert, einen im Dialog mit allen Beteiligten ent-wickelten Fahrplan für den Kohleausstieg verfolgt und klare Kriterien für ihre natur- und sozialver-trägliche Umsetzung berücksichtigt.

→ Wir wollen ein Verkehrssystem, das umwelt-gerechte Mobilität und städtische Lebensqualität ermöglicht, die Energiewende unterstützt sowie Lärm- und Luftbelastungen minimiert.

→ Wir wollen eine Landwirtschaft, die die biologische Vielfalt erhält, das Klima schützt, die Intensivst-tierhaltung beendet und Stoffausträge auf ein verträgliches Maß mindert.

→ Wir wollen eine Form der Ressourcennutzung und des Konsums, die die ökologischen Belast-barkeitsgrenzen in Deutschland und weltweit einhält.

→ Wir wollen den Wandel zur Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft auch auf internatio-naler Ebene noch stärker vorantreiben.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Übergreifende Maßnahmen für den WandelFür eine starke Umweltpolitik des Bundes

→ Umweltpolitik stärken: „Initiativrecht in anderen Geschäftsbereichen“ für das BMUB in Angelegen-heiten von umweltpolitischer Bedeutung.

→ Gesetzesfolgenabschätzung: Verpflichtende Dar-stellung von gesellschaftlichem Nutzen umwelt-relevanter Maßnahmen und Kosten umweltschä-digender Wirkungen.

→ Gemeinsame Verantwortung: Der Sachverstän-digenrat für Umweltfragen wird die Fortschritte zur Erreichung der Umweltziele der Bundesregierung regelmäßig bewerten.

Für eine umweltgerechte Wirtschafts- und Finanzpolitik

→ Ökologische Steuerreform: Weiterentwicklung der ökologischen Steuerreform.

→ Subventionsabbau: Abbau umweltschädlicher Subventionen in Deutschland, auf europäischer und internationaler Ebene.

→ Investitionen: Öffentliche Investitionen viel stärker an Nachhaltigkeitskriterien orientieren, insbeson-dere bei Infrastrukturen und regionaler Daseins-vorsorge.

→ Divestment: Entwicklung eines Kriterienkatalogs für die umweltgerechte Anlage öffentlicher Gelder.

Zur Minderung weltweiter Umweltaus-wirkungen, die von Deutschland ausgehen

→ Konsumbasierte Umweltziele: Regelmäßige Be-richterstattung über die weltweiten Umweltauswir-kungen, die von Deutschland ausgehen; Entwick-lung von Minderungszielen.

→ Lieferkettenmanagement: Deutlich ausgeweitete Berichtspflichten für Unternehmen sowie an-spruchsvolle Umweltstandards in den Lieferketten.

Für ein neues Verständnis von Wohlfahrt

→ Wohlfahrtsmessung: Den „Nationalen Wohlfahrts-index“ (NWI) dem Bruttoinlandsprodukt ergänzend zur Seite stellen.

→ Zeitpolitik: Entwicklung eines Konzepts für nach-haltige Lebensstile mit hohem Zeitwohlstand.

Zur Unterstützung nachhaltigen Handelns von Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen

→ Nachhaltiges Bürgerhandeln: Initiativen unter-stützen, die gesellschaftliche Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit vorantreiben.

→ Innovation: Einen flexiblen Innovationsfonds ein-richten, mit dem Fördermittel als freie Mittel für innovative Maßnahmen eingesetzt werden können.

→ Bürgerbeteiligung: Das BMUB wird als Vorreiter-ressort Beteiligungskultur weiter fortentwickeln und ermöglichen.

→ Bildung: In der schulischen, außerschulischen und beruflichen Bildung die Kompetenzen zur aktiven Gestaltung gesellschaftlichen Wandels fördern.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Was wir konkret angehen wollen: Fünf Schwerpunkte

1. Umwelt- und klimaverträglich wirtschaften, Energie- und Ressourcenwende

Ausgangslage: Eine fortschrittliche Umweltgesetz­gebung und die Förderung von Öko­Innovationen stärken den Wirtschaftsstandort Deutschland. Energie­ und Materialeffizienz sowie Kreislaufwirtschaft werden zunehmend zur Voraussetzung wirtschaftlichen Erfolgs. Immer mehr Unternehmen richten ihre Strategie und ihr Geschäftsmodell an Umweltschutz und Nachhaltig­keit aus. Deutschland ist beim Klimaschutz gut aufge­stellt und mit der Energiewende wurde die notwendige Transformation eines zentralen Wirtschaftsbereichs Deutschlands eingeleitet. Zugleich steht der Umstieg auf umweltverträgliches Wirtschaften in einigen Sek­toren noch am Anfang und aus der Digitalisierung von Wirtschafts­ und Arbeitswelt entstehen neue umwelt­politische Chancen und Risiken. Das Ziel einer weitge­hend treibhausgasneutralen Volkswirtschaft bis 2050 erfordert Veränderungen in allen Handlungsbereichen. Der Einsatz natürlicher Ressourcen in Deutschland ist weiterhin sehr hoch und führt auch international zu starken Umweltbelastungen. Nachhaltiger Konsum ist bisher ein Nischenthema.

Leitziel I: Sozial-ökologische Marktwirtschaft etablieren

Die deutsche Volkswirtschaft ist insgesamt so zu gestal-ten, dass Deutschland im „sicheren Handlungsraum“ agiert, also die ökologischen Belastbarkeitsgrenzen einhält. Die soziale Marktwirtschaft ist somit zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft als Rahmenord-nung nachhaltiger Innovations- und Wohlstandsdy-namik weiterzuentwickeln. Ziel wird sein, branchen-spezifische Roadmaps für nachhaltiges Wirtschaften und nachhaltige Geschäftskonzepte in Wirtschaft und Finanzwirtschaft zu initiieren. Zudem wird das BMUB auf stärkere Anreize für die Einführung von Umwelt-managementsystemen hinwirken, grüne Qualifika-tionen für die Industrie 4.0 fördern und den Struk-turwandel in Regionen, die durch nicht nachhaltige Wirtschaftssektoren geprägt sind, durch die Initiierung eines Strukturförderfonds sowie durch die Erarbeitung von Innovationsstrategien unterstützen.

Leitziel II: Klimaschutz und Energiewende fortsetzen und weiterentwickelnDie Energiewende bedarf einer zielgerichteten, strin-genten und zugleich naturverträglichen Umsetzung. Darüber hinaus wird der Klimaschutzplan 2050 Leit-bilder und Meilensteine für alle Handlungsfelder formulieren und kontinuierlich fortentwickeln. Das BMUB wird sich dafür einsetzen, den Ausbau erneuer-barer Energien zu forcieren und dabei auf eine bessere Kopplung der Energieverbrauchssektoren sowie auf eine hohe Naturverträglichkeit hinwirken. Beim Emis-sionshandel sind Rahmenbedingungen für die kom-mende Handelsperiode bis 2030 sicherzustellen, die ein robustes, auf Knappheit beruhendes Preissignal senden. Zudem wird das BMUB auf eine ambitionierte Ener-gieeffizienzstrategie sowie auf einen zügigen Aus- und Umbau der Netze drängen und sich für die schrittweise Reduzierung der Kohleverstromung, die Entwicklung von Speicherkapazitäten und die Nutzung aller Poten-ziale klimafreundlichen Bauens und Wohnens unter Berücksichtigung von Bezahlbarkeit und Baukultur einsetzen. Das Verfahren zur Standortauswahl für die Endlagerung radioaktiver Abfälle wird umgesetzt.

Leitziel III: Konsum- und Ressourcen-wende einleiten

Das BMUB erachtet eine Strategie zur Verlängerung der Nutzungsdauer von Produkten als notwendig sowie ein Konzept für ein „zweites Preisschild“, das die Umwelt-wirkungen besonders umweltrelevanter Produkte und Dienstleistungen darstellt. Auch wird das BMUB sich dafür einsetzen, dass auf Bundesebene in den umwelt-relevantesten Beschaffungsbereichen verpflichtende Nachhaltigkeitskriterien eingeführt werden. Zudem soll ein „Standardportal“ für nachhaltigen Konsum den Zugang zu glaubwürdigen Informationen erleichtern.

2. Zukunftsfähige Landwirtschaft, intakte Natur

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Ausgangslage: Zum Schutz der biologischen Vielfalt wurden auf nationaler, europäischer und internationa­ler Ebene ambitionierte Strategien und Zielsysteme ent­wickelt, sodass im Artenschutz und bei der Ausweisung neuer Schutzgebiete Erfolge erzielt wurden. Für den Schutz der Gewässer und Meere sind umfassende Rege­lungswerke in Kraft, und die Einträge von Schad­ und Nährstoffen in die Ökosysteme wurden in den letzten

Jahren gemindert. Zugleich verringert sich in Deutsch­land und weltweit die biologische Vielfalt so rasant, dass global ein hohes Risiko negativer ökologischer, wirt­schaftlicher und gesellschaftlicher Folgen besteht. Die Landwirtschaft wird überwiegend nicht umwelt­ und naturgerecht betrieben. Dies gilt global in weiten Teilen auch für Fischerei, Bodennutzung und Forstwirtschaft. Zudem bestehen Wissenslücken über die Entwicklung der biologischen Vielfalt.

Leitziel I: Landwirtschaft zukunftsfähig gestalten

Eine substanzielle Verbesserung des Zustands der biologischen Vielfalt und die Einhaltung der Klima-schutzziele werden sich ohne eine grundlegende Neu-ausrichtung der Landwirtschaft nicht erreichen lassen. Daher ist eine Debatte über die Frage notwendig, wel-che Art von Landwirtschaft in Deutschland zukünftig wünschenswert ist. Zentral ist die Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik. Wichtig ist hier aus umweltpolitischer Sicht, Direktzahlungen der ersten Säule stärker an öko-logischen Leistungen auszurichten und sie schrittweise abzuschaffen. Um das Ziel der Bundesregierung zu erreichen, den ökologischen Landbau auf 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche auszudehnen, sind die bestehenden Wachstumshemmnisse des ökologi-schen Landbaus zu identifizieren und zu beheben. Die Tierhaltung muss umweltverträglich und tiergerecht gestaltet werden. Das BMUB wird eine umfassende Stickstoffstrategie vorlegen und für eine Abgabe auf Pflanzenschutzmittel werben. Das BMUB wird sich dafür einsetzen, die regionalen Wertschöpfungsketten zu stärken. Die Förderung von Verbraucher-Erzeuger-Gemeinschaften ist zu prüfen.

Leitziel II: Biologische Vielfalt schützen und nachhaltig nutzen

Das BMUB wird die Umsetzung der im vergangenen Jahr vorgelegten Naturschutz-Offensive 2020 vorantrei-ben und dazu auch das Engagement anderer Ressorts, der Länder und anderer Akteure einfordern. Beim Bodenschutz wird das BMUB die rechtlichen Vorausset-zungen für Anordnungen zur Durchsetzung der Grund-sätze der „guten fachlichen Praxis“ in der Landwirt-schaft schaffen. Das BMUB wird auch für die naturver-trägliche Umsetzung der gemeinsamen Fischereipolitik der Europäischen Union (EU) eintreten. In Deutschland soll mehr Wildnis ermöglicht werden, und in der Waldbewirtschaftung sollen die Landesverwaltungen attraktive, langfristige Vertragsnaturschutzprogramme

anbieten. Um den Verlust der globalen biologischen Vielfalt zu begrenzen, wird das BMUB auf ein ge-meinsames Konzept der Bundesregierung für eine „Biodiversitäts außenpolitik“ hinwirken, die durch Bera-tungsangebote auch darauf abzielen soll, dass in mög-lichst vielen Vertragsstaaten der Konvention über die biologische Vielfalt der „Strategische Plan“ 2011 bis 2020 ambitioniert umgesetzt wird.

Leitziel III: Naturschutzpolitik handlungs-fähiger machen

Naturschutzpolitik bedarf in besonderem Maße einer strukturellen Stärkung. Das BMUB wird sich daher zum einen dafür einsetzen, dass durch ein umfassendes Biodiversitätsmonitoring bis 2030 fortlaufend aktuali-sierte, deutschlandweit zusammengeführte Informa-tionen zu Zustand und Entwicklung der biologischen Vielfalt vorliegen. Zudem sollte dem BMUB innerhalb der Bundesregierung die Ko-Federführung für die Mit-gestaltung der EU-Agrar- und -Fischereipolitik über-tragen werden.

3. Nachhaltige Mobilität, lebenswerte Städte

Ausgangslage: Nachhaltige Stadtentwicklung und nachhaltiges Bauen stehen seit einigen Jahren auf der politischen Agenda weit oben. Gesetzgebung und För­derprogramme haben die Lebensqualität in den Städten und Gemeinden verbessert, und Grün in der Stadt wird zu einem wichtigen Thema der integrierten Stadtent­wicklung. Der Flächenverbrauch für Siedlungen und Verkehr nimmt kontinuierlich ab, Fahrradverkehr und Car­Sharing wachsen. Zugleich ist der Energie­, Res­sourcen­ und Flächenverbrauch der Städte nach wie vor zu hoch und der ökologische Infrastrukturumbau drängt. Die Vision einer nachhaltigen, insbesondere ökologisch ausgerichteten „Smart City“ muss mit Leben gefüllt werden. Die Umweltauswirkungen des Verkehrs sind zu hoch; der Anteil hoch effizienter Fahrzeuge und erneuerbarer Energieträger ist sehr gering.

Leitziel I: Mobilität nachhaltig gestalten

Das BMUB wird eine umfassende Mobilitätsstrategie zur Gestaltung einer gesamthaft nachhaltigen Ver-kehrsentwicklung erarbeiten. Um klimaverträgliche Technologien bei allen Verkehrsträgern zum Standard

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zu machen, wird sich das BMUB auf EU-Ebene dafür einsetzen, die Kohlendioxid(CO2)-Grenzwerte für Per-sonenkraftwagen (Pkw) und leichte Nutzfahrzeuge ambitioniert weiterzuentwickeln sowie strenge CO2-Grenzwerte für schwere Nutzfahrzeuge festzusetzen. Insgesamt wird das BMUB auf eine ehrgeizige Wei-terentwicklung der Abgasgesetzgebung hinwirken. Zudem wird das BMUB in der Bundesregierung dafür eintreten, die Entwicklungsziele für elektrische und emissionsfreie Fahrzeuge durch geeignete Maßnahmen zu untersetzen. Im Jahr 2030 neu verkaufte Pkw sollten emissionsfrei betrieben werden können.

Leitziel II: Städte, Gemeinden und Infra-strukturen umweltfreundlich entwickeln

Das BMUB wird die Kommunen bei der Entwicklung kompakter, nutzungsgemischter und grüner Stadt-quartiere unterstützen und den mit dem Grünbuch „Grün in der Stadt“ angestoßenen öffentlichen Dialog-prozess fortsetzen. Um den Flächenverbrauch zu re-duzieren, wird das BMUB Maßnahmen zum Übergang hin zu einer Flächenkreislaufwirtschaft entwickeln. Die Lebenszykluskosten und Nachhaltigkeitsstandards im Bau werden optimiert. Das BMUB wird eine Dialog-plattform „Smart Cities“ einrichten und eine Strategie für integrierte, ressourceneffiziente Infrastrukturen ausarbeiten. Zur Anpassung an den Klimawandel sollen Hitzeaktionspläne und weitere Maßnahmenkonzepte auch für andere Extremwetterereignisse und sonstige Folgen des Klimawandels erarbeitet werden.

Leitziel III: Mitwirken bei nachhaltiger Stadt- und Mobilitätsentwicklung fördern

Städte und Mobilität können nicht allein von der Poli-tik nachhaltig gestaltet werden; tragfähige und innova-tive Lösungen benötigen das Zusammenwirken vieler Akteure. Dem dient die Initiative Nationale Stadtent-wicklungspolitik der Bundesregierung. Auch soll der interministerielle Arbeitskreis „Nachhaltige Stadtent-wicklung“ als ressortübergreifende Vernetzungsiniti-ative fortgeführt werden. Das BMUB wird Städtenetz-werke für nachhaltige Stadtentwicklung unterstützen und internationale Urbanisierungspartnerschaften stärker nachhaltig ausrichten. Das BMUB wird sich da-für einsetzen, die Potenziale für Partizipation und Teil-habe in Kommunen unter anderem durch Fortbildung der Verwaltung sowie private und bürgerschaftliche Initiativen zu erschließen. In experimentellen Vorha-ben sollen Ansätze zur umweltschonenden Vernetzung nachhaltiger Stadtentwicklung mit neuen Wohn- und Mobilitätsformen entwickelt werden.

4. Gesunde Lebensbedingungen

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Ausgangslage: Eine intakte Natur und Umwelt ge­hört nach Meinung vieler Menschen zu einem „guten Leben“. Auf nationaler, europäischer und internati­onaler Ebene wurden Regelungen zum Schutz der Gesundheit vor schädlichen Umwelteinflüssen umge­setzt. Zugleich sind ambitionierte zusätzliche Maß­nahmen erforderlich, um verbliebene gesundheitliche Umweltbelastungen wie Luftverunreinigungen und Lärm zu mindern. Verkehrswachstum, Technisierung und Klimawandel sind oftmals Ursachen umweltbe­dingter Gesundheitsbelastungen und schreiten weiter voran. Ärmere Menschen sind oft höheren umweltbe­dingten Gesundheitsbelastungen ausgesetzt. Es beste­hen weiterhin Wissenslücken zu Zusammenhängen von Umwelt und Gesundheit und der volkswirtschaft­liche Nutzen des gesundheitsbezogenen Umweltschut­zes wird noch nicht überall erkannt.

Leitziel I: Gesundheitsförderliche Umwelt-qualität erreichen

Die Umweltqualität muss in verschiedener Hinsicht noch weiter gesteigert werden, um ein gesundheits-verträgliches Niveau zu erreichen. Das BMUB wird daher zum einen ein ambitioniertes Luftreinhaltepro-gramm entwickeln, das die EU-Richtlinie zu nationa-len Emissionsminderungsverpflichtungen umsetzt („NERC-Richtlinie“). Zum anderen wird das BMUB eine integrierte Lärmminderungsstrategie erarbeiten, um den Lärm insbesondere durch den Verkehr, aber auch durch Industrie- und Gewerbeanlagen in Deutschland substanziell zu mindern.

Leitziel II: Umweltbedingte Gesundheits-risiken mindern

Um den Wandel hin zu einer nachhaltigen Ausgestal-tung von Produktion und Gebrauch von Chemikalien zu forcieren, wird das BMUB ein Leitbild und Konzept „Nachhaltige Chemie“ entwickeln und mit Zielen und Indikatoren unterfüttern. Ein internationales Kompe-tenzzentrum „Nachhaltige Chemie“ soll dieses Konzept international verbreiten. Um die Strahlenexposition der Bevölkerung weiter zu mindern, wird das BMUB insbesondere für Anlagen zur medizinischen und nicht medizinischen (vor allem kosmetischen) Anwen-dung am Menschen über den aktuellen Stand hinaus-gehende Schutzstandards vorschlagen und einen Maßnahmenplan „Radonsicher Bauen und Wohnen“

auflegen. Auf europäischer Ebene wird das BMUB intensiv darauf hinwirken, die Diskussion zur Verbes-serung der nuklearen Sicherheit und zur Harmonisie-rung der Sicherheitsanforderungen für alle kerntechni-sche Anlagen weiter voranzubringen.

Leitziel III: Wissenslücken des gesundheits-bezogenen Umweltschutzes schließen

Um die zum Teil gravierenden Wissens- und Kompe-tenzlücken in Behörden, Wissenschaft und Gesellschaft abzubauen, wird das BMUB Informationsangebote zu den Herausforderungen und Leistungen des gesund-heitsbezogenen Umweltschutzes entwickeln, in der Bundesregierung für ein umfassendes Forschungs-programm „Umwelt und Gesundheit“ werben und ein „Modellvorhaben gesundheitsbezogener Umweltschutz in der Planung“ aufsetzen.

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5. Internationale Dimension der Umweltpolitik

Ausgangslage: Umweltpolitik ist ein Paradebeispiel europäischer Kooperation, hat den Umweltzustand in allen Mitgliedstaaten maßgeblich verbessert und gilt weltweit als Vorbild. Auf internationaler Ebene wurde das Umweltvölkerrecht erfolgreich weiterent­wickelt. Mit der Verabschiedung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung wurde die Transfor­mation zu einer weltweit nachhaltigen Entwicklung beschlossen, und mit dem Paris­Abkommen ist ein verbindlicher Rahmen für die klimafreundliche Transformation der Weltwirtschaft geschaffen. Deutschland zählt zu den größten Gebern bei der Förderung von Maßnahmen für den Umweltschutz in Entwicklungs­ und Schwellenländern. Zugleich verbleiben im europäischen und internationalen Umweltrecht gravierende Regelungs­ und Ambiti­onslücken. In vielen Ländern fehlen finanzielle und Verwaltungskapazitäten, um bestehende Ziele, inter­nationale Vereinbarungen und Regelungen um­ oder durchzusetzen. Umweltschutz sollte auch in der EU­Politik noch stärker priorisiert und als Querschnitts­aufgabe finanziell gesichert werden.

Leitziel I: Regelungslücken schließen, ein höheres Ambitionsniveau erreichen

Das weitgehende Fehlen verbindlicher internationaler ökologischer Standards ist in den Handlungsfeldern Bergbau (einschließlich Tiefseebergbau), Bodenschutz, transnationale Unternehmen, Plastik- und Textilher-stellung sowie Plastikmüll besonders besorgniserre-gend. Das BMUB wird in diesen Bereichen auf entspre-chende verbindliche Standards hinwirken. Zudem wird sich das BMUB dafür einsetzen, dass in multilateralen Umweltvertragsregimen verstärkt flexible Verfahren ohne Notwendigkeit erneuter Ratifikation etabliert werden, um das Ambitionsniveau Schritt für Schritt erhöhen zu können. Die Vernetzung mit Vorreiter-Staaten, -Regionen und -Kommunen wird das BMUB forcieren. Das BMUB wird sich dafür einsetzen, auch außerhalb nationaler Hoheitsgebiete die Ausweisung von global verbindlichen Meeresschutzgebieten zu ermöglichen.

Leitziel II: Umsetzung und finanzielle Rahmenbedingungen verbessern

Das BMUB wird sich für eine Stärkung der EU-Um-weltpolitik einsetzen, zum Beispiel durch verbesserte Rechtsumsetzung, ein 8. Umweltaktionsprogramm, eine neue Nachhaltigkeitsstrategie, eine höhere Um-welt- und Klimaquote bei der Mittelvergabe und eine Stärkung der Umwelt- und der Klimakommission. Bei der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung wird Deutschland vorangehen, und das BMUB wird sich dafür einsetzen, dass Deutschland Entwicklungsländer bei der Umsetzung unterstützt. Das BMUB wird an der Entwicklung von neuen Finan-zierungsmechanismen für den internationalen Um-weltschutz mitwirken.

Leitziel III: Umweltbelange in allen Politik-bereichen stärken

In multinationalen Abkommen sollen Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards angemessen berücksichtigt und möglichst gestärkt werden. Das BMUB wird sich auch für eine Stärkung internationaler Umweltinstitu-tionen – insbesondere von UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen) – einsetzen. Die Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips, Zugang zu Gerichten und die Bekämpfung von Korruption und organisierter Umweltkriminalität sind essenzielle Voraussetzungen für die Umsetzung von Umweltrecht. Das BMUB wird daher für die Verschärfung und bessere Umsetzung

internationaler Standards zur Korruptionsbekämpfung eintreten und verstärkt auf Erfüllungshilfe- und Kon-trollmechanismen für Staaten, transnationale Unter-nehmen und internationale Institutionen hinwirken. Das BMUB wird sich für ein gemeinsames Konzept der Bundesregierung für eine „Klimaaußenpolitik“ zu Klimaschutz und Klimaanpassung einsetzen und auch seine Aktivitäten verstärken, Entwicklungs- und Schwellenländer beim Umbau ihres Energiesystems zu unterstützen.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Zukunft gestalten: Die Ergebnisse des BürgerdialogsIm Auftrag des BMUB wurde im Frühjahr 2016 ein Bürgerdialog zum Integrierten Umweltprogramm 2030 durchgeführt. Als Antwort auf die Frage: „Ökologisch zukunftsfähig: Wie wollen wir 2030 leben, wirtschaften und arbeiten? Wie gelingt gemeinsam der Weg dort-hin?“ erarbeiteten Bürgerinnen und Bürger verschie-denste Handlungsempfehlungen. Um eine möglichst vielfältige Beteiligung sicherzustellen, wurden die Teil-nehmenden nach dem Zufallsprinzip ausgesucht. Ins-gesamt arbeiteten in den sechs „Bürgerräten“ 79 Bürge-rinnen und Bürger jeweils anderthalb Tage an gemein-sam getragenen Lösungen. Diese wurden anschließend einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt, diskutiert und auf Anschlussfähigkeit überprüft. Auf diesen „Bürger-umweltforen“ brachten sich rund 500 Menschen ein. Um deutschlandweit eine einfache Mitsprache zu er-möglichen, fand zusätzlich ein Online-Dialog statt.

Breit getragene Bürgerbotschaften mit hoher Priorität:

Zu übergreifenden Maßnahmen des Wandels1. Transparenz erhöhen2. Bürgerbeteiligung stärken3. Umfassendere Bildung und Information

Zu umwelt- und klimaverträglich wirtschaften, Energie- und Ressourcenwende1. Kostenwahrheit und Verursacherprinzip

durchsetzen2. Energieeinsparung forcieren3. Lebensdauer der Produkte verlängern4. Recycling, Upcycling und Vermeidung von

Plastikmüll5. Produktkennzeichnung verbessern6. Dezentrale Energieerzeugung und Ausbau

erneuerbarer Energien (kontrovers)

Zu zukunftsfähiger Landwirtschaft, intakter Natur1. Artgerechte Tierhaltung, Ausstieg aus der

Massentierhaltung (online sehr kontrovers)2. Transparenz und unabhängige Aufklärung zur

konventionellen Landwirtschaft3. Regionalität fördern4. Produktkennzeichnungen erweitern5. Bio-Label: Glaubwürdigkeit sichern und

verein heitlichen6. Kontrollinstanzen stärken (bei Landwirtschaft

kontrovers)7. Artenvielfalt/Schutz von Insekten (insbesondere

Bienen)

Zu nachhaltiger Mobilität, lebenswerten Städten1. Weniger Individualverkehr mit Verbrennungs-

motoren, abgasfreie Großstädte bis 20302. ÖPNV und Fahrrad stärken3. Kostenwahrheit im Verkehr (inklusive Flugverkehr)4. Elektromobilität fördern5. Leerstand nutzen für bezahlbaren Wohnraum

Zu gesunden Lebensbedingungen1. Sauberes Wasser sicherstellen2. Fracking verbieten

Zur internationalen Dimension der Umweltpolitik1. Handel(sbedingungen) reformieren/Transparenz

bei internationalen Vereinbarungen2. Entwicklungszusammenarbeit/Technologie transfer

ausbauen3. In respektvoller Haltung

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Einführung

Eines ist sicher: Im Jahr 2050, in nicht einmal 35 Jahren also, werden wir anders leben als heute. Das ist einer-seits natürlich eine Binsenweisheit. Denn werfen wir den Blick um 35 Jahre zurück, wird sofort deutlich, dass wir heute in vielerlei Hinsicht anders leben als damals. Allein unsere Kommunikation, unsere Arbeitsplätze und unser Freizeitverhalten haben sich seit Beginn der 1980er Jahre grundlegend verändert. Andererseits zeigt der Blick zurück auch: In manchen Lebensbereichen hat sich wenig verändert. Aus unserer Sicht: zu wenig.

Unsere Mobilität etwa beruht nach wie vor darauf, dass wir in tonnenschweren, mit fossilen Brennstof-fen betriebenen Fahrzeugen unterwegs sind, die durch ihre Abgase, durch ihren Lärm und ihren Flächenbe-darf die Lebensqualität und Gesundheit vor allem in unseren Städten erheblich beeinträchtigen. Auch die schon seit den 1960er Jahren dominante Form der Landwirtschaft, die inzwischen weder einer intakten Umwelt und Natur noch dem Tierwohl noch dem Auskommen der Landwirte dienlich ist, hat so keine Zukunft. Ebenso wird sich die Art, wie wir konsumie-ren und die Ressourcen der Welt in Anspruch neh-men, nicht dauerhaft und auch nicht einmal über die kommenden Jahrzehnte fortsetzen lassen, denn damit tragen wir in hohem Maße zur Überschreitung öko-logischer Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten bei und riskieren so global den wirtschaftlichen Wohl-stand und den sozialen Frieden.

Wir werden daher im Jahr 2050 anders leben – ja, sogar anders leben müssen. Unsere Welt muss sich verändern, damit sie besser wird. Engagierte Umwelt-politik ist eine unerlässliche Voraussetzung dafür, dass alle Menschen in unserer Gesellschaft Zugang zur Natur haben, Städte eine gesunde Lebensqualität bieten können und auch unsere Kinder und Enkel die Chance auf ein gutes Leben besitzen. Und gleichzeitig trägt eine engagierte Umweltpolitik dazu bei, auch Menschen in ärmeren Ländern ein Dasein in einer lebenswerten Umwelt zu ermöglichen.

Die „Transformation unserer Welt“ – auf nichts Gerin-geres zielt die Agenda 2030 für nachhaltige Entwick-lung ab, die die Vereinten Nationen im September 2015 verabschiedet haben. Daraus erwächst ein neuer Gestaltungsauftrag auch für nationale Umweltpoli-tik: Den ökologischen Wandel weiterzugestalten und schneller voranzutreiben. Ein einfaches „Weiter so“ oder Nachhaltigkeitsfortschritte im Schneckentempo sind keine Option. Ein solcher Weg würde dem An-spruch der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung nicht gerecht werden.

Mit dem vorliegenden Integrierten Umweltpro-gramm 2030 kommen wir diesem Gestaltungs-auftrag nach. Das Integrierte Umweltprogramm orientiert sich am Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung, an den Grundsätzen von Vorsorge,

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

systemischem Denken und Innovationsfähigkeit, an der Erkenntnis ökologischer Belastbarkeitsgrenzen und an sozialer Gerechtigkeit. Im 30. Jahr seines Be-stehens stellt sich das Bundes umweltministerium damit den großen Herausforderungen und zeigt die großen Gestaltungsmöglichkeiten der Umweltpoli-tik in mittelfristiger Perspektive auf.

Denn im Unterschied zu 1986, dem Gründungsjahr des Bundesumweltministeriums, kann Umweltpolitik heute nicht mehr nur den Anspruch haben, die Kol-lateralschäden eines aus dem Ruder gelaufenen Wirt-schaftsmodells zu beseitigen. Heute geht es darum, zu einer Wirtschaftsweise zu kommen, die die Grenzen unserer natürlichen Lebensgrundlagen respektiert. Eine Wirtschaftsweise, die deshalb erfolgreich ist, weil sie nicht den kurzfristigen Profit für wenige, sondern nachhaltigen Wohlstand für alle im Auge hat. Wir müssen einen weitreichenden Wandel unserer Wirtschaft und Gesellschaft einleiten, wenn wir bis zur Mitte des Jahrhunderts nahezu klimaneutral wirt-schaften und arbeiten wollen. So hat es die weltweite Staatengemeinschaft – auch Deutschland – beim Klimagipfel in Paris Ende 2015 beschlossen. Es ist nun unsere Aufgabe, als eines der wohlhabendsten Indust-rieländer auf diesem Weg voranzugehen.

Umweltschutz ist eine große Chance für uns und für unser Land. Wir können den Risiken unserer Zeit die

begründete Hoffnung entgegensetzen, dass wir unsere Welt zum Besseren verändern können.

Wenn wir diesen Wandel, die „Transformation unserer Welt“, anstreben wollen, heißt dies, dass sich unsere eigenen Lebensentwürfe, unsere Volkswirtschaften, unser gesellschaftliches Zusammenleben und unsere Politik verändern müssen, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen weltweit dauerhaft zu erhalten.

Es ist Zeit für einen neuen Aufbruch der deutschen Umweltpolitik, der die ungelösten Probleme entschlos-sen angeht und Umweltpolitik wieder stärker in unse-rer sich wandelnden Gesellschaft verankert. Umwelt-politik muss zum Motor des Wandels werden. Hin zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft und einer nachhaltigen Gesellschaft.

Im Jahr 2050 werden wir anders leben – aber nicht schlechter als heute. Davon sind wir überzeugt, und dazu will das vorliegende Integrierte Umwelt-programm 2030 einen Beitrag leisten.

Das Integrierte Umweltprogramm 2030 geht bewusst über den Zuständigkeitsbereich meines Hauses hinaus, denn der ökologische Wandel lässt sich nur in einer breiten Allianz von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gestalten. Wir laden Sie ein, sich engagiert und kons-truktiv hieran zu beteiligen.

Gut leben 2050: Die Vision

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen hat einen hohen Transformationsdruck in Richtung einer gerechteren Welt und nachhaltigen Wirtschaftens erzeugt und ihren Anspruch erfolgreich einlösen können. Die Menschen in allen Erdteilen, die Gesellschaften un-terschiedlicher Entwicklungsniveaus, die wirtschaftlichen, sozialen, po-litischen und kulturellen Institutionen auf allen Ebenen orientieren sich am Leitbild nachhaltiger Entwicklung: Sie verwirklichen Wohlstands-gewinne sowohl lokal als auch global in sozial und ökologisch sicheren Handlungsräumen. Sie erhalten und entwickeln die natürlichen Lebens-grundlagen als materielle sowie immaterielle Basis für eine zunehmende Lebensqualität.

Ein modernes, faires und zeitgemäßes Klimaabkommen, das alle Staaten der Welt umfasst, hat einen globalen Kurswechsel hin zu einem treibhaus-gasneutralen und klimaresilienten Entwicklungspfad bewirkt. Auf Basis eines rechtlich verbindlichen Regelwerks fungiert das Abkommen als wirkungsvolles Steuerungsinstrument und Transparenzrahmen für alle Staaten auf ihrem Weg, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustri-ellen Stand unter zwei Grad Celsius zu halten und sich sogar an 1,5 Grad Celsius zu orientieren. Auch in anderen Bereichen haben internationale und europäische Regelungen den Schutz und die nachhaltige Nutzung von Natur und Umwelt substanziell verbessert. Der Rückgang der Biodi-versität konnte durch die Erhaltung und Wiederherstellung wertvoller Habitate gestoppt werden, der globale Stickstoffhaushalt wird nicht mehr überlastet. Die Versauerung der Ozeane schreitet nicht weiter voran, da die Treibhausgasemissionen unter anderem durch den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energien massiv zurückgehen.

Die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands und Europas leben gut in-nerhalb der ökologischen Belastbarkeitsgrenzen der Erde. Ihr Wohlstand und der gute Zustand der Umwelt sind das Ergebnis einer innovativen Kreislaufwirtschaft, bei der nichts vergeudet wird, natürliche Ressour-cen nachhaltig bewirtschaftet werden und die Biodiversität geschützt,

geachtet und wiederhergestellt wird. Europa ist mit seinem CO2- und ressourcenarmen Wirtschaftswachstum Schrittmacher für eine nach-haltige globale Gesellschaft und schafft kontinuierlich zukunftssichere Arbeitsplätze. Die Gesellschaften Europas, ihre Bürgerinnen und Bürger sowie ihre Institutionen tragen zur Sicherung und Steigerung politischer und rechtlicher Stabilität, nachhaltigen Wohlstands und Lebensqualität auch überall außerhalb Europas bei. Frieden und sozialer Zusammenhalt in Europa bieten den Rahmen für eine innovative und nachhaltige Ent-wicklung der einzelnen Staaten und ihrer bilateralen und multilateralen Partnerschaften.

Die Institutionen der schulischen, außerschulischen und beruflichen Bildung vermitteln Wissen und Kompetenzen zur aktiven Gestaltung gesellschaftlichen Wandels. Mit geeigneten Methoden befähigen sie die Lernenden, Ideen für eine nachhaltige Entwicklung einzubringen und Umsetzungsstrategien innerhalb der eigenen Lebenswelt entwi-ckeln zu können.

In Deutschland ist umweltverträgliches Wirtschaften in allen priva-ten und staatlichen Sektoren, über alle Stufen der Wertschöpfung, auf Arbeits-, Rohstoff- und Waren-, Dienstleistungs- und Finanzmärkten umfassend und dauerhaft realisiert. Nachhaltiger Umgang mit den natür-lichen Grundlagen und dem Wirtschafts-, Human- und Sozialvermögen der Volkswirtschaft, Vorsorgeprinzip und Offenheit für Innovationen sowie eine sozial-ökologisch konzipierte Marktwirtschaft bilden den ver-bindlichen wirtschaftspolitischen Rahmen. Prozesse ökologischen Struk-turwandels werden von allen Beteiligten als gestaltbare Chance aufgefasst.

Preise und Informationen schaffen Klarheit über die gesellschaftlichen Kosten der Nutzung von Energie, Ressourcen und Ökosystemen und machen sie für alle wirtschaftlichen Akteure in der Wertschöpfungskette transparent. Bei allen Bürgerinnen und Bürgern Deutschlands ist nach-haltiges, umwelt- und naturverträgliches Wirtschaften und Konsumieren

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in Bildung und Bewusstsein fest verankert und wird als Beitrag zur Steige-rung des individuellen und gesellschaftlichen Wohlstands verstanden.

Abfälle sind Rohstoff, sie werden zu 100 Prozent erfasst und nahezu voll-ständig recycelt – ohne Schadstoffanreicherung in den entstehenden Ma-terialien. Neue Dienstleistungen vor allem im Bereich Mobilität, Wohnen, Bildung und Ernährung machen das Besitzen vieler Dinge überflüssig. Die Energieversorgung ist stärker dezentral ausgerichtet, sie ist unabhängig von fossilen Brennstoffen, was kräftige Impulse für eine nachhaltige re-gionale Wirtschaft mit sich bringt. Urbane und stadtnahe Landwirtschaft dienen der Nahversorgung mit Lebensmitteln und der Versorgung mit regenerativer Energie. Der Finanzsektor orientiert sich mit seiner Kredit- und Anlagepolitik nicht mehr an der kurzfristigen Renditemaximierung, sondern an Kriterien wie solide Geschäftsmodelle, langfristige Kapital-erhaltung und sozial-ökologisch förderliche Innovationen.

Deutschland weist eine landestypische Vielfalt von natürlichen sowie durch menschliches Handeln geprägten Landschaften und Ökosys-temen, Lebensräumen und Lebensgemeinschaften wildlebender Arten auf. Nutzungen der Ökosysteme – wie zum Beispiel Böden, Wälder, Agrarökosysteme, Binnengewässer, Meere – erfolgen im Einklang mit ihrem Schutz und ihrer Erhaltung. Hierdurch sind die Ökosysteme auch widerstandsfähiger gegen die Auswirkungen des Klima wandels. Der Flächenverbrauch tendiert gegen Null. Die Menschen haben auch in unserem dicht besiedelten Land viele Möglichkeiten, großflächige Wildnis zu erleben. Alle Grundwasserkörper, Flüsse, Seen und Meere sind in einem guten Zustand und – wo immer möglich – gibt es wieder naturnahe und intakte Auen, die auch die Hochwassergefahr vermin-dern können, Nährstoffe zurückhalten und Zentren der biologischen Vielfalt sind. Die Einträge von Müll in die Meere wurden erheblich re-duziert. Die Meere wurden insgesamt zum Menschheitserbe erklärt und damit einer alleinigen Aneignung durch einzelne Staaten entzogen. Die Fischerei erfolgt ausschließlich naturverträglich.

Chemikalien werden umwelt- und gesundheitsverträglich produziert und verwendet. Besorgniserregende Stoffe sind durch nachhaltige Ersatzstoffe substituiert, neue Risiken werden frühzeitig identifiziert und ausgeräumt. Die Qualität der Luft ist so hoch, dass signifikante negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt nicht mehr auftreten. Negative Effekte auf Gesundheit und Umwelt durch Lärm, die Folgen des Klimawandels sowie ionisierende Strahlen und radioaktive Abfälle sind minimiert. Menschen aller Altersgruppen und sozialen Lagen werden somit wirksam und vorsorgeorientiert geschützt.

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Das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Regionen Deutsch-lands ist erreicht. Die Städte und Gemeinden in Deutschland sind at-traktive Orte zum Leben, Arbeiten und Wirtschaften: attraktiv für die Menschen in der Region, für Zugewanderte aus dem In- und Ausland, für Touristen sowie für Unternehmen und Arbeitskräfte.

Die ländlichen Regionen verfügen über eine hohe Umwelt- und Lebens-qualität, die sie als Heimat für Familien und Fachkräfte sowie als Wirt-schaftsstandorte attraktiv macht. Landwirtschaft wird deutschlandweit so betrieben, dass die biologische Vielfalt, die menschliche Gesundheit und das Klima geschützt werden. Die Nutztierhaltung erfolgt umweltver-träglich und tiergerecht. Arbeitsplätze in einer ökologisch ausgerichteten Land-, Energie- und Gesundheitswirtschaft, im sanften Tourismus und der regionalen Wertschöpfung werden ergänzt durch die mit dem flächen-deckenden Breitbandausbau verbundenen Möglichkeiten der Telearbeit und IT-basierter Kommunikation in Unternehmen und Kommunen.

In Städten existieren Grünflächen von hoher ökologischer Qualität, die unter anderem auch der Anpassung an den Klimawandel dienen und allen sozialen Schichten vielfältige Naturerlebnis- und Erholungsräume bieten. Die Städte sind durch einen hohen Anteil an Fuß- und Radverkehr sowie an elektrifiziertem öffentlichem Nahverkehr weitgehend frei von Verkehrslärm. Der motorisierte Individualverkehr wurde stark reduziert und ebenfalls weitgehend auf Elektromobilität umgestellt. Immer weniger Menschen besitzen einen eigenen Pkw. Carsharing und das flexible Kombi-nieren der Verkehrsmittel sind weit verbreitet. Auch der lokale Wirtschafts-verkehr ist durch intelligente urbane Logistik und alternative Fahrzeug-konzepte umweltfreundlich gestaltet.

Gebäude, Quartiere, Städte und Gemeinden sowie die gesamte Infra-struktur sind auch mithilfe modernster Technologien an die Heraus-forderungen des Klimawandels und der demografischen Entwicklung angepasst. Sie sind energie- und ressourceneffizient gestaltet, tragen zur biologischen Vielfalt bei und stehen im Einklang mit der Er-haltung des baukulturellen Erbes. Viele Gebäude sind miteinander vernetzt, Neubauten geben an Altbauten Energieüberschüsse ab, des-gleichen Gebäude an Elektroautos, und aus Abwässern wird Wärme-energie zurückgewonnen.

Die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands leben gut innerhalb eines sicheren Handlungsraums, der von einer modernen Umweltpolitik in globaler Verantwortung ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltig mitgestaltet wird.

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1 Zeit für ein neues Umweltprogramm

Kernbotschaften → 45 Jahre deutsche Umweltpolitik ergeben eine beeindruckende Erfolgsgeschichte.

→ Trotz aller Erfolge und einem breiten Spektrum aktueller Politikmaßnahmen gibt es national wie global noch ungelöste umweltpolitische Herausforderungen.

→ Vor allem der Verlust an biologischer Vielfalt, die gestörten Nährstoffkreisläufe und die Erderwärmung zeigen, dass der Mensch die Tragfähigkeit der Erde überfordert.

→ Deutschland trägt hierfür eine Mitverantwortung und unser Wohlstand basiert zunehmend auch auf der Verlagerung von Umweltbelastungen ins Ausland.

→ Um dramatische gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen abzuwenden, muss die Menschheit im „sicheren Handlungsraum“ agieren.

→ Die deutsche Umweltpolitik kann nur erfolgreich sein, wenn sie breite gesellschaft-liche Unterstützung erfährt und von der gesamten Bundesregierung mitgetragen wird.

→ Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die Ergebnisse des Klimagipfels von Paris und des G7-Treffens 2015 stellen auf internationaler Ebene einen Rahmen dar, aus dem die Umweltpolitik Schwung schöpfen kann.

→ Wir wollen diesen Schwung nutzen und die Herausforderungen entschlossen angehen.

→ Das Integrierte Umweltprogramm 2030 soll hierfür die Orientierung geben: hin zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft und einer nachhaltigen Gesellschaft.

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1.1 Erfolgsgeschichte Umweltpolitik: Was wir erreicht haben

Die deutsche Umweltpolitik1 ist eine Erfolgsgeschichte. Dass heute in Deutschland wieder in fast allen Gewäs-sern gebadet werden kann, ohne gesundheitliche Folgen zu riskieren; dass Winter- und Sommersmog kaum noch auftreten; dass durch die Einführung bleifreien Benzins die Bleibelastung der Bevölkerung auf gesundheitlich unbedenkliche Werte sank; dass Luchs und Wildkatze in unseren Wäldern wieder heimisch wurden – dies und vieles mehr sind Meilensteine einer überaus erfolgrei-chen Umweltpolitik. Zu diesen und anderen Erfolgen beigetragen haben vor allem folgende Handlungsfelder:

→ Luftreinhaltung durch weitreichende Minderung schädlicher Emissionen, vor allem von Schwefel-dioxid, Stäuben, Kohlenmonoxid, Fluorchlorkoh-lenwasserstoffe (FCKW) und Blei.

→ Gewässerschutz durch technisch ausgereifte Ab-wasserbehandlung mit einer weitgehenden Minde-rung des Eintrags von Schad- und Nährstoffen aus häuslichen und industriellen Abwässern; durch Mi-nimierung mikrobiologischer Risiken im Hinblick auf die Badegewässerqualität; durch Reduzierung des privaten und industriellen Wasserverbrauchs.

→ Naturschutz durch gegenwärtig 16 Nationalparks, 17 Biosphärenreservate, über 8.600 Naturschutzge-biete sowie circa 5.200 Natura-2000-Gebiete. Natura 2000 ist ein EU-weites Netz von Schutzgebieten zur Erhaltung gefährdeter oder typischer Lebensräume und Arten.

→ Bodenschutz durch sehr starke Minderung der Einträge etwa von Schwermetallen und langlebigen organischen Schadstoffen sowie durch die syste-matische Erfassung und Sanierung von Altlasten und schädlichen Bodenveränderungen – nach der Wende insbesondere auch in Ostdeutschland.

→ Klimaschutz durch verbindliche internationale, europäische und nationale Klimaschutzziele, die auf die Begrenzung der globalen Erwärmung unter zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Wer-ten abzielen.

→ Erhöhung von Material- und Energieeffizienz sowie Abfallbeseitigung und -recycling durch Gesetze und Verordnungen, den Aufbau einer Kreislaufwirt-schaft und Programme zu Ressourceneffizienz und Abfallvermeidung.

→ Umbau der Energieversorgung vor allem durch den Ausstieg aus der kommerziellen Nutzung der Atomenergie und den rasanten Ausbau erneuer-barer Energien, der die inländischen Treibhausgas-emissionen bereits deutlich gemindert hat.

→ Erhöhung der Chemikaliensicherheit durch Rechts-vorschriften zur Stoffprüfung vor allem besonders problematischer Stoffe.

Über die spürbare Verbesserung von Umweltqualität und Gesundheitsschutz hinaus hat die deutsche Um-weltpolitik auch bedeutende positive Effekte auf Wirt-schaft und Beschäftigung: In fast allen Sparten der Um-welttechnologien ist Deutschland weltweit führend. Allein die Unternehmen im Bereich erneuerbare Ener-gien beschäftigten 2014 rund 355.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; insgesamt sind in Deutschland fast zwei Millionen Menschen im Umweltschutz tätig. Für das Jahr 2030 wird, den gesamten Umwelttechnologie-Bereich in Deutschland betreffend, ein Umsatz in Höhe von einer Billion Euro vorhergesagt. Diese Zahlen zei-gen, dass von Investitionen in energie- und ressourcen-sparende Anlagen, Technologien und Produkte nicht nur die Umwelt, sondern auch die Wirtschaft profitiert und dass das Wohlstandsniveau in Deutschland durch kluge Umweltpolitik gesteigert wurde.

Ein wichtiger Erfolgsindikator der Umweltpolitik ist das Bewusstsein für die Bedeutung des Umweltschut-zes in der Bevölkerung. Hier hat ein weitreichender Wandel stattgefunden. Umweltpolitik ist schon lange kein Nischenthema mehr, sondern heute für alle Gesell-schafts- und Politikbereiche von Bedeutung. Getragen von der ausdrücklichen Zustimmung der Bevölkerung entwickelte sich eine anspruchsvolle Umwelt politik mit effektiven und verlässlichen Umweltgesetzen sowie kompetenten Umweltverwaltungen.

Festzuhalten ist allerdings auch: Umweltbezogene Zielvereinbarungen, EU-Richtlinien oder Strate-gien und Programme zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen können nicht allein durch das

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

1 Unter „Umweltpolitik“ wird im gesamten Dokument immer auch Naturschutzpolitik verstanden.

Bundesumweltministerium umgesetzt werden. Ohne ambitionierte Beiträge Dritter, insbesondere der an-deren Ressorts sowie der Länder und Kommunen, können viele Umweltziele nicht erreicht werden. Diese Feststellung betrifft alle umweltpolitischen Handlungsfelder, in besonderem Maße jedoch die Naturschutz politik. Hier werden zentrale Ziele der Bundesregierung zum Erhalt der biologischen Vielfalt, zu denen sich Deutschland auf EU-Ebene und auch international verpflichtet hat, nicht erreicht. Eine wesentliche Ursache liegt darin, dass zentrale Verur-sachersektoren nicht in der Handlungskompetenz des Umweltministeriums liegen.

Umweltpolitik war insgesamt betrachtet nie ein Selbst-läufer, ihre Geschichte ist kein linearer Erfolgsprozess. Immer wieder gab es Höhen und Tiefen, immer wieder entscheidende Wendepunkte. An solchen markanten Wendepunkten entstanden Umweltprogramme:

→ Das erste Umweltprogramm von 1971 entstand als Reaktion auf die massiven Umweltschäden im Westdeutschland des Wirtschaftswunders nach dem 2. Weltkrieg. Es stellt den eigentlichen Beginn der deutschen Umweltpolitik dar und verankerte bereits das Vorsorgeprinzip, das bis heute als Leit-prinzip des deutschen Umweltrechts gilt.

→ Das zweite Umweltprogramm wurde 1998 als Entwurf vom Bundesumweltministerium (BMU) vorgelegt. Auf der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro hatte sich die internationale Staatengemeinschaft erstmals zum Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung bekannt. Die Einführung dieses Leitbilds in die Umwelt-politik im Sinne einer globalen und dauerhaften Verantwortung machte eine programmatische Neuausrichtung notwendig, die das zweite Umwelt-programm leistete. Als Bestandteil der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie prägt dieses Programm bis heute wesentliche umweltpolitische Ziele der Bunde sregierung.

1.2 Aktuelle Aufgaben: Was wir tun

Gerade auch in den vergangenen Jahren wurde die Umweltpolitik substanziell weiterentwickelt.

Im Dezember 2014 hat das Bundeskabinett das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 beschlossen. Mit diesem Programm intensiviert die Bundesregie-rung ihre Anstrengungen, die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Das Aktionsprogramm ist das umfangreichste Maßnahmenpaket, das je eine Bundesregierung zum Klimaschutz vorgelegt hat.

Auf der Weltklimakonferenz in Paris Ende 2015 hat sich die Weltgemeinschaft auf das erste Klimaschutz-abkommen geeinigt, das alle Länder in die Pflicht nimmt. Mit dem Abkommen bekennt sich die Welt-gemeinschaft völkerrechtlich verbindlich zum Ziel, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen. Darüber hinaus sollen sich die Staaten anstrengen, den Tempera turanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das Abkommen legt auch fest, dass die Welt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts treibhausgasneutral werden soll. In den internationalen Verhandlungen zur Vor-bereitung und in der Begleitung der Konferenz hat das BMUB eine wichtige Rolle gespielt.

Der erste Fortschrittsbericht des BMUB zur Deut­schen Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DAS) wurde im Dezember 2015 im Bundeskabinett beschlossen. Die Bundesregierung legt mit dem Bericht 140 Maßnahmen vor, um Deutschland auf den Klima-wandel vorzubereiten.

Seit 2014 liegt das Nationale Hochwasserschutz­programm vor. Zum ersten Mal gibt es nun eine bun-desweite Aufstellung mit vordringlichen, überregional wirksamen Maßnahmen für den Hochwasserschutz. Der länderübergreifende Hochwasserschutz erhält damit ein tragfähiges Gerüst.

Im März 2016 hat das Bundeskabinett das „Deutsche Ressourceneffizienzprogramm II“ (ProgRess II) be-schlossen – als Fortschreibung des 2012 vorgelegten ersten Ressourceneffizienzprogramms. Maßnahmen sind zum Beispiel der Ausbau der Effizienzberatung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die Un-terstützung von Umweltmanagementsystemen, die verstärkte Beschaffung ressourceneffizienter Produkte und Dienstleistungen durch die öffentliche Hand, ver-besserte Verbraucherinformationen sowie ein stärkerer

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Technologie- und Wissenstransfer in Entwicklungs- und Schwellenländer.

Im Februar 2016 beschloss die Bundesregierung ein „Nationales Programm für nachhaltigen Konsum“. Es enthält Leitideen für eine Politik des nachhaltigen Konsums, die mit konkreten Maßnahmen unterlegt sind. Das vom BMUB entwickelte Programm wurde ge-meinsam mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vorgelegt und wird nun umgesetzt.

Das 2013 von Bund und Ländern beschlossene Ab­fallvermeidungsprogramm umfasst erstmalig eine Sammlung von existierenden und potenziellen Abfall-vermeidungsmaßnahmen auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene einschließlich einer Bewertung dieser Maßnahmen unter ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten. Es befasst sich mit Maß-nahmen und Instrumenten der öffentlichen Hand, die eine generelle Bedeutung haben und auf verschiedene Stoffströme angewandt werden können.

Im Oktober 2015 wurde die „Naturschutz­Offensive 2020“ vorgelegt. Das BMUB setzt mit diesem Aktions-programm, das zehn prioritäre Handlungsfelder und 40 vordringliche Maßnahmen benennt, die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) bis 2020 dort verstärkt um, wo deren Ziele ohne zusätzliche Maß-nahmen aller Voraussicht nach nicht fristgerecht er-reicht werden.

Das BMUB und das Bundesverkehrsministerium haben im September 2015 das Bundesprogramm „Blaues Band“ gestartet. Das Bundesprogramm wird einen Handlungsrahmen zum Aufbau eines national bedeu-tenden Biotopverbunds im Netz der Fließgewässer für die nächsten Jahre und Jahrzehnte darstellen. Darin werden die für den nationalen Biotopverbund in Frage kommenden Flussabschnitte konkretisiert und priori-siert. Ende 2016 soll eine Beschlussfassung des Bundes-kabinetts herbeigeführt werden.

Auf der Grundlage von Änderungsentwürfen der Bun-desregierung zu mehreren Gesetzen und Verordnun-gen aus dem April 2015 haben im Juli 2016 Bundestag und Bundesrat strenge Regelungen zum Fracking verabschiedet. Hierzu gehört insbesondere ein Ver-bot des sogenannten unkonventionellen Frackings. Lediglich zu wissenschaftlichen Zwecken können die Bundesländer bundesweit maximal vier Erprobungs-maßnahmen zulassen. Kommerzielle unkonventionelle

Fracking-Vorhaben sind in Deutschland damit bis auf Weiteres nicht zulässig. Zudem wurden auch strenge Voraussetzungen für das konventionelle Fracking ver-abschiedet.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen ein Verbot von Fracking. //

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Das Standortauswahlgesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für insbesondere Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle ist im Juli 2013 in Kraft getreten. Für die Endlagerung des hoch-radioaktiven Abfalls wird in einem neuen, ergebnis-offenen, wissenschaftsbasierten und transparenten Suchverfahren bis 2031 ein Standort gesucht, der die bestmögliche Sicherheit für den Zeitraum von einer Million Jahren gewährleistet.

Im August 2015 hat die Bundesregierung das Nationale Entsorgungsprogramm beschlossen. Es stellt ein um-fassendes Konzept zur sicheren Entsorgung aller radio-aktiven Abfälle dar.

Maßgeblich beteiligt war das BMUB auch an der Erarbeitung der Agenda 2030 für nachhaltige Ent­wicklung, die im September 2015 beim Nachhaltig-keitsgipfel der Staats- und Regierungschefs der Ver-einten Nationen verabschiedet worden ist. Sie wird die internationale Zusammenarbeit in zentralen Politikbereichen in den nächsten Jahrzehnten maß-geblich prägen. Mit den überwiegend auf das Jahr 2030 ausgestellten Zielen soll die Transformation der Volkswirtschaften in Richtung einer deutlich nachhaltigeren Entwicklung weltweit kräftig voran-getrieben werden.

Auf dem G7­Gipfel im Juni 2015 in Elmau konn-ten unter deutscher Präsidentschaft zu einer ganzen Reihe umweltpolitischer Themen wichtige Beschlüsse gefasst werden. Dazu zählen unter an-derem das Bekenntnis zu einer Dekarbonisierung der Weltwirtschaft innerhalb dieses Jahrhunderts,

die Gründung einer G7-Allianz für Ressourcen-effizienz und die Verständigung über einen Akti-onsplan zur Bekämpfung der Verschmutzung der Meere durch Müll.

Neben diesen politischen Vorhaben arbeitet das BMUB an einer Vielzahl weiterer Themen.

Abbildung 1: Die planetaren Belastbarkeitsgrenzen

Quelle: Steffen et al. 2015, übersetzt

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1.3 Die zentrale Heraus-forderung: Ökologische Grenzen einhalten

Trotz vieler Erfolge gibt es weiterhin umweltpoliti-sche Herausforderungen, die noch nicht gelöst sind. So konnte bisher der Verlust der biologischen Viel-falt nicht gestoppt und der ökologische Zustand der Binnen- und Küstengewässer nicht entscheidend

verbessert werden. Die Luft- und Lärmbelastung ist vor allem in den großen Städten immer noch zu hoch. Dringender Handlungsbedarf besteht auch hinsicht-lich des Rohstoff- und Flächenverbrauchs sowie der Abfallmengen, die bisher nicht deutlich genug verrin-gert werden konnten. Nach wie vor werden somit in Deutschland ökologische Tragfähigkeits- oder Belast-barkeitsgrenzen überschritten.

Die in Kapitel 1.2 beispielhaft aufgeführten aktuellen umweltpolitischen Maßnahmen werden zu einer wei-teren Verbesserung der Situation beitragen – sämtliche Umweltprobleme lösen werden sie nicht.

Auch der globale Umweltzustand ist besorgniser-regend. So sind laut dem regelmäßig vom Umwelt-programm der Vereinten Nationen veröffentlichten „Globalen Umweltausblick“ mehrere kritische globale, regionale und lokale Grenzen bereits erreicht oder überschritten. Hierdurch könne es zu abrupten und möglicherweise unumkehrbaren Beeinträchtigungen der Lebensbedingungen auf der Erde kommen – etwa im Hinblick auf das Klima oder den Wasserkreislauf.

Ein Kreis von etwa 30 internationalen Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftlern um Johan Rockström vom Stockholm Resilience Centre publizierte 2009 den Fachartikel „A safe operating space for huma-nity“ und formulierte darin für neun zentrale na-türliche Systeme und Prozesse „planetare Belastbar-keitsgrenzen“. Ein Teil des Autorenteams legte 2015 eine Aktualisierung und Fortentwicklung vor. Durch diese Veröffentlichungen erhielt die Debatte über die ökologische Tragfähigkeit der Erde in den vergange-nen Jahren in der Fachwelt große Aufmerksamkeit. Die Definition ökologischer Belastbarkeitsgrenzen basiert dabei einerseits auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, andererseits auf der Anwendung des Vorsorgeprinzips.

Die Kernaussagen des Konzepts in seiner aktuellen Form sind:

→ Im Hinblick auf die abnehmende Intaktheit der Biosphäre durch den Rückgang der biologischen Vielfalt sowie im Hinblick auf die Störung der Nährstoffkreisläufe von Stickstoff und Phosphor als Beispiel biogeochemischer Flüsse hat sich die Menschheit weit vom sicheren Handlungsraum entfernt und setzt sich einem hohen Risiko nega-tiver ökologischer, wirtschaftlicher und gesell-schaftlicher Folgen aus.

→ Im Hinblick auf die Veränderung des Klimas und die Reduzierung der Waldflächen durch die Ver-änderung der Landnutzung hat die Menschheit den sicheren Handlungsraum bereits verlassen und setzt sich einem erhöhten Risiko nicht tolerierbarer ökologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftli-cher Folgen aus.

→ Im Hinblick auf die Nutzung von Süßwasser, den Ozonverlust in der Stratosphäre und die Versaue­rung der Meere agiert die Menschheit derzeit in glo-baler Perspektive noch im sicheren Handlungsraum. Die Süßwassernutzung überschreitet jedoch vieler-orts lokale oder regionale Belastbarkeits grenzen.

→ Im Hinblick auf den Aerosolgehalt der Atmo­sphäre sowie die Einführung neuer Substanzen und modifizierter Lebensformen ist eine verläss-liche Einschätzung der hiermit verbundenen Risi-ken derzeit nicht möglich.

Der Klimawandel fügt sich also in eine ganze Reihe riskanter, durch Wechselwirkungen miteinander verbundener Veränderungen im Erdsystem ein und stellt somit nicht die einzige gravierende globale Um-weltveränderung dar. Gemeinsam mit dem Rückgang der biologischen Vielfalt kommt dem Klimawandel jedoch eine hervorgehobene Bedeutung zu. Diese bei-den Entwicklungen allein könnten – so die These der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – bereits dazu führen, dass die Erde in eine neue erdgeschicht-liche Epoche eintritt: das „Anthropozän“. Der relativ stabile erdgeschichtliche Zustand des seit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 11.000 Jahren herrschenden „Holozäns“ jedoch ist der bisherige Rahmen natürli-cher Lebensbedingungen für die gesamte Zivilisations-geschichte der Menschheit. Diesen stabilen Zustand zu verlassen, könnte eine nachhaltige Entwicklung gefährden: Armut zu beenden, gesunde Lebensbedin-gungen zu schaffen, gesellschaftliche und wirtschaft-liche Entwicklung und Stabilität zu ermöglichen, Ge-rechtigkeit und Frieden zu fördern, Lebensqualität und Wohlstand zu erhalten – all dies wird nicht möglich sein, wenn das Fundament fehlt: eine stabile Umwelt und intakte Natur.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Entwicklungen wie das Bevölkerungswachstum, der in vielen Weltregionen zunehmende materielle Wohl-stand oder die Urbanisierung werden die Inanspruch-nahme der natürlichen Ressourcen und die Ausschöp-fung oder Überschreitung der ökologischen Belastbar-keitsgrenzen weiter beschleunigen.

Menschengemachte Veränderungen der globalen Um-welt drohen also die Tragfähigkeit der Erde zu über-fordern. Deutschland trägt hierfür eine Mitverantwor-tung: Über die Lebensstile, den Konsum und die global vernetzte Volkswirtschaft werden die natürlichen Ressourcen der Welt von unserer Gesellschaft in einem Ausmaß in Anspruch genommen, das nicht als Modell für die übrige Welt gelten kann. Der Erdbeeranbau in Andalusien führt dort zu Wassermangel, die Textilpro-duktion in Bangladesch kann giftige Substanzen frei-setzen, die Herstellung von Elektronikartikeln in China verursacht Treibhausgasemissionen: alles für unseren Wohlstand. Eine solche „Verlagerung“ von Umweltbe-lastungen ins Ausland relativiert die umweltpolitischen Erfolge zu Hause und kann in den betroffenen Weltre-gionen Krisen verursachen, deren Folgen auf Deutsch-land rückwirken können.

In der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung heißt es: „Wir sind entschlossen, die kühnen und transforma­tiven Schritte zu unternehmen, die dringend notwendig sind, um die Welt auf den Pfad der Nachhaltigkeit und der Widerstandsfähigkeit zu bringen. Wir versprechen, auf dieser gemeinsamen Reise, die wir heute antreten, niemanden zurückzulassen. … Wir sind entschlossen, Armut und Hunger in allen ihren Formen und Dimen­sionen ein Ende zu setzen und sicherzustellen, dass alle Menschen ihr Potenzial in Würde und Gleichheit und in einer gesunden Umwelt voll entfalten können. Wir sind entschlossen, den Planeten vor Schädigung zu schützen, unter anderem durch nachhaltigen Konsum und nach­haltige Produktion, die nachhaltige Bewirtschaftung seiner natürlichen Ressourcen und umgehende Maß­nahmen gegen den Klimawandel, damit die Erde die Bedürfnisse der heutigen und der kommenden Genera­tionen decken kann.“

Damit ist ein politisches Bekenntnis zu einem tiefgrei-fenden Wandel, einer grundlegenden Transformation in Richtung Nachhaltigkeit formuliert, um weltweit die Armut zu bekämpfen, Frieden und Menschenrechte zu sichern sowie die Bedürfnisse und den Fortbestand der Menschheit langfristig innerhalb der ökologischen Grenzen zu schützen.

Technische Lösungen und „klassische“ Umweltpolitik allein werden nicht ausreichen. Es ist Zeit, den notwen-digen Wandel auch in Deutschland voranzubringen. Hierzu soll das Integrierte Umweltprogramm 2030 einen Beitrag leisten.

1.4 Neuer Schwung für die Umweltpolitik

Neben den in Kapitel 1.3 dargelegten Handlungserfor-dernissen spricht vor allem der aktuelle politische Rah-men dafür, dass das Bundesumweltministerium gerade jetzt, im Jahr seines 30-jährigen Bestehens, ein neues Umweltprogramm vorlegt:

1. Mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und ihren überwiegend auf 2030 ausgerichteten Zielen wird die überfällige Transformation der Volkswirtschaften in Richtung einer deutlich nach-haltigeren Entwicklung weltweit kräftig vorange-trieben. Das Integrierte Umweltprogramm 2030 nimmt den langfristigen, integrierten und transfor-mativen Impuls auf.

2. Der wegweisende Erfolg des Klimagipfels von Paris im Dezember 2015 und des G7­Treffens in Elmau im Juni 2015. Es gilt, diesen Schwung auch für andere Themen der Umweltpolitik zu nutzen – und in einem Integrierten Umweltprogramm die zentralen umweltpolitischen Handlungserforder-nisse und Lösungen zu bündeln.

3. Das Ende 2013 beschlossene 7. Umweltaktions­programm der EU für die Zeit bis 2020 „Gut leben innerhalb der Belastbarkeitsgrenzen unseres Plane-ten“. Für die nun beginnende Umsetzung des Pro-gramms bildet das Integrierte Umweltprogramm 2030 einen nationalen Beitrag.

1.5 Das Integrierte Umweltprogramm 2030

Mehr als 15 Jahre nach Verabschiedung des zweiten Umweltprogramms ist es Zeit für ein neues Programm. Unter einem Integrierten Umweltprogramm verstehen wir eine Darlegung der anstehenden Aufgaben, die in einer ganzheitlichen Herangehensweise

→ die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen umweltpolitischen Hand-lungsfeldern und Zielen beachtet und ihre Ko-härenz fördert, indem sie Chancen für Synergien nutzt und Zielkonflikte entschärft beziehungsweise vermeidet;

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

→ Umweltpolitik noch stärker mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und globalen Herausforderungen verschränkt;

→ die Leistungen der Umweltpolitik (etwa für Ge-sundheit, Lebensqualität, Gerechtigkeit und Inno-vation) für die alltägliche Lebenswelt der Bürgerin-nen und Bürger noch deutlicher herausstellt;

→ einen neuen, „transformativen“ Ansatz verfolgt, der gesellschaftliche Veränderungen aufgreift und neue, nachhaltige Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsent-würfe fördert – und damit das Instrumentarium der Umweltpolitik weiterentwickelt.

Vor diesem Hintergrund verstehen wir die deutsche Umweltpolitik – auch in Umsetzung der globalen Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung – als Treiber eines dynamischen Wandels hin zu einer sozial­ökologischen Marktwirtschaft und einer nach­haltigen Gesellschaft. Es geht um den grundlegenden Umbau unserer Produktions-, Handels-, Dienstleis-tungs- und Konsummuster – für eine Gesellschaft, in der nachhaltiges Handeln breit verankert ist.

Das hier vorgelegte Integrierte Umweltprogramm 2030 führt eine lange Linie programmatischer Ent-wicklungsschritte fort: von der Vorsorge als Leitprin-zip der Umweltpolitik (1971 von der Bundesregierung vorgelegtes Umweltprogramm) über nachhaltige Ent-wicklung als Leitbild (1998 vom Bundesumweltminis-terium vorgelegter Entwurf eines Umweltprogramms) hin zu einer transformativen Umweltpolitik als neuer Leitidee.

Das Integrierte Umweltprogramm deckt bewusst nicht die gesamte Bandbreite der umweltpolitischen Zu-kunftsaufgaben und Handlungsnotwendigkeiten ab.

Es konzentriert sich stattdessen auf die Handlungsfel-der, die – trotz aller erreichten Erfolge – noch den größ-ten Bedarf grundlegender Veränderungen aufweisen.

Parallel zur Erarbeitung des Integrierten Umweltpro-gramms wurde im Frühjahr 2016 ein Bürgerdialog durchgeführt. Als Antwort auf die Frage: „Ökologisch zukunftsfähig: Wie wollen wir 2030 leben, wirtschaften und arbeiten? Wie gelingt gemeinsam der Weg dorthin?“ erarbeiteten Bürgerinnen und Bürger Handlungs-empfehlungen, die in Kapitel 5 vorgestellt werden. Viele Bürgerbotschaften weisen eine große Überein-stimmung mit Maßnahmen des Integrierten Umwelt-programms auf. Das BMUB wird auf dieser Basis den Dialog mit der Öffentlichkeit intensivieren und auch prüfen, wie die Ergebnisse des Bürgerdialogs in die Gestaltung zukünftiger Umweltpolitik einbezogen wer-den können.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

2 Welche grundlegenden Veränderungen notwendig sind

Kernbotschaften → Um den umweltpolitischen Herausforderungen wirksam zu begegnen, sind

grundlegende Veränderungen in Gesellschaft, Industrie und Landwirtschaft, Energie- und Ressourcennutzung, Verkehr und Infrastruktur unabdingbar.

→ Wir wollen eine sozial-ökologische Marktwirtschaft, die zukunftsfähige Konsum- und Lebensstile sowie innovative Arbeits- und Geschäftsmodelle fördert.

→ Wir wollen den Wandel zur Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft auch auf internationaler Ebene stärker vorantreiben.

→ Wir wollen eine Energiewende, die eine nahezu emissionsfreie Energieversorgung aller Sektoren sichert, einen im gesellschaftlichen Dialog mit allen Beteiligten erarbeiteten Fahrplan für den Kohleausstieg verfolgt und klare Kriterien für ihre natur- und sozialverträgliche Umsetzung berücksichtigt.

→ Wir wollen ein Verkehrssystem, das umweltgerechte Mobilität und städtische Lebensqualität ermöglicht, die Energiewende unterstützt und nutzt sowie Lärm- und Luftbelastungen minimiert.

→ Wir wollen eine Landwirtschaft, die die biologische Vielfalt erhält, das Klima schützt, die Intensivsttierhaltung beendet und Stoffausträge auf ein verträgliches Maß mindert.

→ Wir wollen eine Form der Ressourcennutzung und des Konsums, die die ökologischen Belastbarkeitsgrenzen in Deutschland und weltweit einhält.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

2.1 Gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel vorantreiben

Umweltpolitik muss viel stärker als in der Vergangen-heit Gesellschaftspolitik sein, die den Menschen und der sozialen Gemeinschaft dient, neue Leitbilder für Wohlstand, Teilhabe und Lebensqualität prägt und zugleich Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit stärkt. Notwendig ist eine schrittweise Veränderung unserer Routinen in allen Lebensbereichen und gesellschaftli-chen Handlungsfeldern.

Denn eines zeigen alle Analysen der umweltschä-digenden Trends: Das vorherrschende marktwirt-schaftliche Modell mit seiner Wertschöpfungs- und Wachstums logik ist ohne Korrekturen mittel- bis langfristig nicht in der Lage, die planetaren ökolo-gischen Grenzen einzuhalten. Ökonomische und soziale Ziele müssen künftig folglich im Rahmen ökologischer Grenzen verwirklicht werden und hierin einen sicheren politischen und gesellschaft-lichen Handlungsraum aufspannen. Ziel ist eine Optimierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt unter der Nebenbedingung, dass alle gesetzten Umwelt-ziele erfüllt werden.

Diese Weiterentwicklung der sozialen hin zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft als neue wirt-schaftliche Rahmenordnung ist eine zentrale politische Aufgabe, um ein nachhaltiges Wohlstandsmodell Wirk-lichkeit werden zu lassen.

Die zentrale Idee der sozialen Marktwirtschaft besteht darin, die Freiheit aller zu schützen, die als Anbieter oder Nachfrager am Markt teilnehmen, und gleichzei-tig für sozialen Ausgleich zu sorgen.

Die zentrale Idee der sozial-ökologischen Marktwirt-schaft besteht darin, die Freiheit der marktvermittel-ten Aushandlungsprozesse und den sozialen Ausgleich in die Einhaltung ökologischer Belastbarkeitsgrenzen einzubetten. Auf diese Weise wird die Ausgestaltung der Marktwirtschaft dem Leitbild Nachhaltige Ent-wicklung gerecht: Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Wohlstand, Wachstum, soziale Verantwortung und Umweltschutz werden so zusammengeführt, dass sich das Wirtschaften unter allen Gesichtspunkten dauer-haft tragfähig vollzieht. Es gilt, die sozial-ökologische Marktwirtschaft als Leitbild für Produktion, Handel und Konsum, für Unternehmen, Haushalte und öf-fentliche Hand zu etablieren.

Wie alle grundlegenden Veränderungsprozesse wird auch ein gesellschaftlicher Wandel in Richtung Nach-haltigkeit nicht konfliktfrei vor sich gehen. Denn „tra-ditionelle“, nicht nachhaltige Politikansätze, Lebensstile und Geschäftsmodelle werden durch den gesellschaft-lich erforderlichen Wandel unter Druck geraten. Das BMUB stellt sich diesen Herausforderungen. Mitei-nander reden, Ängste ernst nehmen, Konflikte lösen, Chancen aufzeigen, sozialverträgliche Lösungen entwi-ckeln – dies sind elementare Ansätze, um den Wandel zu gestalten. Das BMUB möchte eine „transformative Umweltpolitik“ entwickeln.

Wie kann ein tiefgreifender Wandel, ein beschleunig-ter Übergang – eine „Transformation“ – hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft gelingen? Auf diese Frage des „Wie?“ sind viele Antworten erst noch zu erarbeiten, denn die Diskussionen in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik stehen noch am Anfang. Die Politik kann und darf jedoch vor allem angesichts der zum Teil dramatischen Umweltveränderungen nicht warten.

Die deutsche Umweltpolitik muss zudem noch konse-quenter als bisher auf europäischer wie auf internatio-naler Ebene darauf hinwirken, dass der sichere Hand-lungsraum zum Maßstab politischer Entscheidungen wird. Wir wollen daher den Wandel zur Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft auch auf internationaler Ebene noch stärker vorantreiben, Vorbild dafür sein und uns im Sinne der globalen Partnerschaft, mit an-deren Ländern dazu austauschen.

2.2 Schlüsselbereiche grundlegend umgestalten

Um den Verlust an biologischer Vielfalt zu begren-zen, die Emissionen an Treibhausgasen, Stickstoff-verbindungen und anderen Luftschadstoffen zu mindern, den Gewässerzustand zu verbessern und den Lärm einzudämmen, sind grundlegende Verän-derungen vor allem in folgenden Schlüsselbereichen erforderlich:

→ Energieversorgung; → Mobilität; → Landwirtschaft; → Konsum und Ressourcennutzung.

Die deutsche Umweltpolitik ist in diesen Schlüssel-bereichen bereits aktiv und hat in vielen Bereichen Minderungen der Umweltauswirkungen erreicht. Für die grundlegende Umgestaltung sind jedoch weitere

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Anstrengungen nötig – zumal die Belastungen in einigen Teilbereichen sogar noch ansteigen. Eine Aus-nahme stellt die Energiewende dar. Diese Nachhal-tigkeitstransformation einer zentralen Infrastruktur in einem hochindustrialisierten Land ist zwar noch lange nicht abgeschlossen, doch wurden beispielsweise beim Ausbau erneuerbarer Energien schon große Fortschritte erzielt, die zuvor in ihrer Geschwindigkeit kaum jemand für möglich gehalten hätte.

2.2.1 Energieversorgung

Umweltpolitik wirkt mit der Energiewende bereits heute „transformativ“. Nicht nur in der Energiewirtschaft, son-dern auch in den Sektoren Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen sowie in den Haushalten, im Ver-kehr, in der Landwirtschaft und in der Abfallwirtschaft sind sehr anspruchsvolle Emissionsminderungen zu erbringen. Es sind umfangreiche Maßnahmen notwen-dig, die erheblichen zeitlichen Vorlauf benötigen. Dazu gehören Veränderungen in der Infrastruktur, aber auch eine Vielzahl technischer, organisatorischer und sozialer Innovationsprozesse. In Paris wurde der Zeitrahmen bis 2050 gesetzt. Je später die Weichenstellungen erfolgen, desto größer werden die erforderlichen jährlichen Emis-sionsminderungen und die notwendige Geschwindig-keit des Strukturwandels.

Der zügige Ausbau und die Modernisierung der Strom-netze sind eine zentrale Voraussetzung für das Gelin-gen der Energiewende. Die Netze und der Strommarkt müssen flexibler werden, um Energie und Lasten besser verteilen zu können. Für die zunehmende Nut-zung elektrischer Energie, zum Beispiel im Verkehr, müssen Speichertechnologien weiterentwickelt und langfristig Kapazitäten aufgebaut werden. Über den technischen Infrastrukturumbau hinaus sind auch hier gesellschaftliche Veränderungen und ein langer Atem notwendig. Durch bessere Planung und Dialog, räum-liche Steuerung und ökologische Standards können Fehlentwicklungen und Investitionsrisiken vermieden sowie die öffentliche Akzeptanz für Veränderungen in der Landschaft verbessert werden. Alle Akteure der Energiewende benötigen dabei auch einen kritischen Blick für Konflikte, die sich aus Sicht des Natur- und Artenschutzes ergeben können.

Eine anspruchsvolle Strategie, die in allen Sektoren auf Effizienz, Produkt- und Prozessinnovationen und den Ausbau von erneuerbaren Energien setzt sowie die Sektoren Strom, Wärme und Mobilität in-tegriert betrachtet, ist technisch machbar und zahlt sich langfristig aus – durch steigende Investitionen

insbesondere im Gebäudebereich und durch sinkende Energiekosten. Mittelfristig wird es auch darum ge-hen, den Energiebedarf durch Verhaltensänderungen, vor allem in den Bereichen Ernährung, Wohnen und Mobilität, zu reduzieren.

Notwendig ist eine Energiewende, die eine nahezu emissionsfreie Energieversorgung aller Sektoren si-chert, einen im gesellschaftlichen Dialog mit allen Beteiligten erarbeiteten Fahrplan für den Kohleausstieg verfolgt und klare Kriterien für ihre natur- und sozial-verträgliche Umsetzung berücksichtigt.

2.2.2 Mobilität

Der Verkehrssektor ist der einzige Sektor in Deutsch-land, der seine Treibhausgasemissionen seit 1990 nicht mindern konnte. Mit 18 Prozent trägt der Verkehr zu den gesamten Treibhausgasemissionen Deutschlands bei, 95 Prozent davon werden vom Straßenverkehr verursacht. Große, schwere, leistungsstarke Autos, stei-gende Fahrleistung und mehr Gütertransport auf den Straßen: Das sind die aktuellen Trends, die Einsparun-gen durch den Einsatz effizienter Technologien überde-cken. Hinzu kommen die Gefährdungen der menschli-chen Gesundheit durch Feinstaub, Stickstoffoxide (vor allem aus Dieselfahrzeugen) und Verkehrslärm. Es wird von jährlich etwa 42.000 vorzeitigen Todesfällen und über 300.000 verlorenen gesunden Lebensjahren durch Feinstaub und jährlich über 40.000 verlorenen gesun-den Lebensjahren durch Bluthochdruck ausgegangen, der durch Straßenverkehrslärm verursacht wird. Der motorisierte Individualverkehr sowie der Parkraum be-legen in den Kommunen Flächen, die dann nicht mehr für Aufenthalt und Erholung der Bewohnerinnen und Bewohner zur Verfügung stehen. Betroffen sind zudem vor allem sozial schwächere Bevölkerungsschichten in benachteiligten Stadtquartieren. Eine Abkehr der Stadtentwicklung von den autozentrierten Städten hin zu vielfältigen, integrierten Stadtquartieren und mehr Raum für Rad- und Fußverkehr sowie für den öffentli-chen Personennahverkehr (ÖPNV) ist erforderlich.

Effiziente und zunehmend elektrische Antriebe sind ein zentraler Stellhebel für einen nachhaltigeren Stra-ßenverkehr. Elektromobilität auf der Basis erneuer-barer Energien schützt das Klima, mindert Lärm- und Luftbelastungen und muss zu einem Baustein der Energiewende werden. Eine weitere Digitalisierung des Verkehrs sowie Zukunftstrends wie autonomes Fahren könnten Mobilität mittelfristig grundlegend verändern, womit Chancen für eine umweltgerechte Ausgestal-tung verbunden sind.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Ziel muss ein Verkehrssystem sein, das umweltgerechte Mobilität und städtische Lebensqualität ermöglicht, die Energiewende unterstützt und nutzt sowie Lärm- und Luftbelastungen minimiert.

2.2.3 Landwirtschaft

Die intensive Landwirtschaft in Deutschland, insbeson-dere die Intensivtierhaltung, hat erhebliche Umwelt- und Gesundheitsschäden zur Folge. Die unsachgemäße Düngung von Agrarflächen verursacht übermäßige Nährstoffeinträge, insbesondere von reaktiven Stick-stoffverbindungen, in Gewässer und in die Luft. Der unvermindert hohe Einsatz von Pestiziden führt zu einer signifikanten Abnahme der biologischen Vielfalt. Zudem verhindert der zu hohe Nährstoffeintrag eine Verbesserung der ökologischen Qualität von Böden und Gewässern und treibt den Aufwand für die Trink-wasseraufbereitung in die Höhe. Die Verunreinigung der Luft mit Stickstoffverbindungen aus Tierhaltungs-anlagen und durch die Gülleausbringung trägt erheb-lich zu Gesundheitsschäden durch Feinstaub bei. Die Emissionen aus der Landwirtschaft sind mit einem Anteil von 7,3 Prozent der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasen in Deutschland.

Trotz steigender Nachfrage nach regionalen Bio-Produkten schöpft der ökologische Landbau in Deutschland sein Wachstumspotenzial bei weitem nicht aus. Vom Ziel der Nationalen Nachhaltigkeits-strategie, den Flächenanteil des Ökolandbaus zu-künftig auf 20 Prozent zu erhöhen, ist Deutschland weit entfernt (2014: 6,3 Prozent). Der Import von Agrarerzeugnissen, insbesondere von Rohstoffen für die Nahrungsmittel- und Biokraftstofferzeugung sowie von Futtermitteln für die Intensivtierhal-tung, hat gravierende und meist nicht revidierbare Auswirkungen auf die ökologische und soziale Si-tuation in den Produktionsländern (zum Beispiel Zerstörung von Regenwäldern, Vertreibung und Auslöschung indigener Völker). Hierbei spielt der nach wie vor sehr hohe Fleisch- und Milchkonsum in Deutschland eine Rolle. Die Fleischproduktion erreichte im ersten Halbjahr 2015 ein Rekordhoch. Fast die Hälfte davon geht in den Export – Tendenz steigend. Eine Minderung des Fleischkonsums in Deutschland wäre somit ein wichtiger Beitrag zum Schutz von Umwelt und Natur sowie zur Verringe-rung von Gesundheitsrisiken, für sich genommen jedoch noch keine Lösung des Problems. Der Staat muss in diesen Bereichen aufklären, wird aber den Bürgerinnen und Bürgern keine Vorschriften zu ihren Essensgewohnheiten machen.

Notwendig ist eine Landwirtschaft, die die biologi-sche Vielfalt erhält, das Klima schützt, die Intensivst-tierhaltung beendet und Stoffausträge auf ein verträgli-ches Maß mindert.

2.2.4 Konsum und Ressourcennutzung

Um der globalen Verantwortung gerecht zu werden, muss das Konsumverhalten in Deutschland deutlich nachhaltiger werden. Ein erheblicher Teil der globalen Umweltbelastungen steht in enger Verbindung mit dem Verbrauch in den Industrieländern, so auch in der EU und in Deutschland. In Abhängigkeit von der Art der Be-lastung hinterlassen europäische Wirtschaftsaktivitäten laut der Europäischen Umweltagentur einen ökologi-schen Fußabdruck, der mit Anteilen zwischen 24 Pro-zent und 56 Prozent außerhalb von Europa liegt – mit in den letzten zehn Jahren deutlich gewachsener Tendenz für die Bereiche Land-, Wasser- und Rohstoffverbrauch sowie Emission von Luftschadstoffen.

Obwohl bereits in weiten Teilen der Bevölkerung ein grundlegendes Wissen über ökologische und soziale Zusammenhänge vorhanden ist und auch eine relativ große Bereitschaft in der Bevölkerung besteht, einen persönlichen Beitrag zum Umwelt- und Naturschutz zu leisten, klafft weiterhin eine große Lücke zwischen Wis-sen und Handeln. Nachhaltiger Konsum muss den Weg aus den Nischen in den Alltag finden.

Der Ressourceneinsatz der deutschen Wirtschaft ist nach wie vor zu hoch. Mit der Förderung und Aufbereitung von abiotischen Rohstoffen kann in den Abbauländern, abhängig von der eingesetzten Technik, eine Belastung der Trinkwasserressourcen, der Gewässer, der Böden und der Luft mit Gesundheitsschäden der dort lebenden Menschen verbunden sein. Durch hohen Wasser- und Flächenbedarf kann es zudem zu Nutzungskonflikten kommen, die die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung gefährden. Ein Umstieg auf biotische Rohstoffe kann einzelne Probleme lösen, führt aber oft zu neuen Belastungen in den Anbau-regionen, wie das Beispiel Palmöl zeigt.

Erforderlich ist eine Form der Ressourcennutzung und des Konsums, die die ökologischen Belastbarkeitsgren-zen in Deutschland und weltweit einhält.

Um den hier dargelegten Erfordernissen grundlegen-der Veränderung gerecht zu werden, sind zum einen übergreifende Maßnahmen notwendig, die in Kapitel 3 aufgezeigt werden. Zum anderen sind Maßnahmen in ausgewählten Schwerpunktfeldern einzuleiten, die in Kapitel 4 dargestellt werden.

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3 Übergreifende Maßnahmen für den Wandel

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Für eine starke Umweltpolitik des Bundes

→ Umweltpolitik stärken: „Initiativrecht in anderen Geschäftsbereichen“ für das BMUB in Angelegenheiten von umwelt-politischer Bedeutung.

→ Gesetzesfolgenabschätzung: Verpflich-tende Darstellung des gesellschaftlichen Nutzens umweltrelevanter Maßnahmen und der Kosten umweltschädigender Wirkungen.

→ Gemeinsame Verantwortung: Der Sach-verständigenrat für Umweltfragen wird die Fortschritte zur Erreichung der Um-weltziele der Bundesregierung regelmäßig bewerten.

Für eine umweltgerechte Wirt-schafts- und Finanzpolitik

→ Ökologische Steuerreform: Weiterentwick-lung der ökologischen Steuerreform.

→ Subventionsabbau: Abbau umweltschäd-licher Subventionen in Deutschland, auf europäischer und internationaler Ebene.

→ Investitionen: Öffentliche Investitionen viel stärker an Nachhaltigkeitskriterien orientieren, insbesondere bei Infrastrukturen und regio-naler Daseinsvorsorge.

→ Divestment: Entwicklung eines Kriterien-katalogs für die umweltgerechte Anlage öffentlicher Gelder.

Zur Minderung weltweiter Umweltauswirkungen, die von Deutschland ausgehen

→ Konsumbasierte Umweltziele: Regelmäßige Berichterstattung über die weltweiten Um-weltauswirkungen, die von Deutschlands aus-gehen; Entwicklung von Minderungszielen.

→ Lieferkettenmanagement: Anspruchsvolle Umweltstandards in den Lieferketten sowie deutlich ausgeweitete Berichtspflichten für Unternehmen.

Für ein neues Verständnis von Wohlfahrt

→ Wohlfahrtsmessung: Den „Nationalen Wohl-fahrtsindex“ (NWI) dem Brutto inlandsprodukt ergänzend zur Seite stellen.

→ Zeitpolitik: Entwicklung eines Konzepts für nachhaltige Lebensstile mit hohem Zeit-wohlstand.

Zur Unterstützung nach-haltigen Handelns von Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen

→ Nachhaltiges Bürgerhandeln: Initiativen unterstützen, die gesellschaftliche Ver-änderungen in Richtung Nachhaltigkeit vorantreiben.

→ Innovation: Einen flexiblen Innovations-fonds einrichten, mit dem Fördermittel als freie Mittel für innovative Maßnah-men eingesetzt werden können.

→ Bürgerbeteiligung: Das BMUB wird als Vorreiterressort Beteiligungskultur weiter fort entwickeln und ermöglichen.

→ Bildung: In der schulischen, außerschuli-schen und beruflichen Bildung die Kom-petenzen zur aktiven Gestaltung gesell-schaftlichen Wandels fördern.

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3.1 Für eine starke Umwelt-politik des Bundes

Die Ursachen heutiger Umweltprobleme liegen oftmals außerhalb der Zuständigkeiten des BMUB. Wie in Kapi-tel 2 festgestellt wurde, sind insbesondere Energiever-sorgung, Verkehr und Landwirtschaft wichtige Verur-sachersektoren für Umweltbelastungen. Diese Bereiche fallen in die Zuständigkeit anderer Ressorts. Um um-weltpolitische Belange in der Bundesregierung zu stär-ken, sind zwei Aspekte besonders wichtig: zum einen die Erweiterung der Möglichkeiten umweltpolitischer Impulse außerhalb der engeren Zuständigkeitsgrenzen des BMUB und zum anderen die Weiterentwicklung einer unabhängigen Begutachtung und Bewertung der Umweltpolitik der gesamten Bundesregierung.

Das BMUB wird daher zum einen ein „Initiativrecht des BMUB in Umweltfragen in anderen Geschäfts­bereichen“ anstreben. Die Geschäftsordnung der Bundesregierung ermöglicht entsprechende Initi-ativen bereits dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie dem Bundes-ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Ein Initiativrecht des BMUB in Angelegenheiten von umweltpolitischer Bedeutung wäre der Problem- und Verursacherstruktur heutiger Umweltprobleme ange-messen. Besonders wichtig ist dies auch zur angemes-senen Mitgestaltung der EU-Politik, beispielsweise bei der Weiterentwicklung der EU-Agrar- und -Fischerei-politik. Dieser Aspekt wird in Kapitel 4.2.3 vertieft.

Zum anderen wird sich das BMUB in der Bundesregie-rung dafür einsetzen, die Gesetzesfolgenabschätzung durch eine umfassende und verpflichtende Darstel­lung des gesellschaftlichen Nutzens von umweltre­levanten Maßnahmen und der Kosten umweltschä­digender Wirkungen, einschließlich nicht quantifi-zierbarer Wirkungen, weiter zu entwickeln. Es gilt, die Auswirkungen auf Umwelt und Natur und die daraus resultierenden Effekte auf die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt nicht nur für Vorhaben im Umweltbereich, sondern für alle Vorhaben zu prüfen.

Zudem wird das BMUB den Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) damit beauftragen, in regelmä-ßigen Abständen die Fortschritte der Maßnahmen zur Erreichung der Umweltziele der Bundesregie­rung zu begutachten und zu bewerten. Hierzu soll ein Katalog der wichtigsten Umweltziele erstellt werden. Dabei handelt es sich vor allem um Ziele, die die gesamte Bundesregierung beschlossen hat, sowie um Ziele aus internationalen und europäischen Ver-pflichtungen.

Umweltschutz wurde in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit oft als ein Politikbereich mit einer überbordenden Bürokratie dargestellt. Die Folge war ein massiver Abbau des Know-hows in den Umwelt-verwaltungen insbesondere der Bundesländer. Gegen-läufig zu diesem personellen und organisatorischen Ressourcenabbau haben sich die Vollzugsaufgaben in technischer und rechtlicher Hinsicht jedoch zunehmend anspruchsvoller und spezialisierter entwickelt, sodass heute eine erhebliche Lücke zwischen Vollzugsanspruch und Vollzugswirklichkeit besteht. Das BMUB wird mit Leitfäden, Best-practice-Austausch, wissenschaftlichen Fachveranstaltungen, Trainings-Angeboten und Zielver-einbarungen die Umsetzung der Bundesumweltpolitik in den Bundesländern verstärkt unterstützen.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen stärkere Kontroll­instanzen. // (bei Landwirtschaft kontrovers)

Zudem wird das BMUB dafür werben, die Umwelt­verwaltungen der Länder und Kommunen personell und organisatorisch besser auszustatten.

3.2 Für eine umweltgerechte Wirtschafts- und Finanzpolitik

Im ökonomischen System bildet sich unzureichend ab, wenn individuell verursachte Umweltschäden und unterlassener Umweltschutz Kosten für die Ge-sellschaft verursachen. Schadstoffemissionen etwa können Atemwegserkrankungen hervorrufen, die den Verursachern, wie zum Beispiel Autofahrern oder Un-ternehmen, nicht hinreichend angelastet, sie also nicht „internalisiert“ werden.

Bisher geschieht die Internalisierung der externen Umweltkosten nach dem Verursacherprinzip nur un-zureichend. Verursacher erhalten keine ausreichenden ökonomischen Anreize, die Umweltbelastung zu senken; ein Wandel in Richtung nachhaltiger Produktions- und Konsumweisen wird dadurch erschwert. Das Ziel,

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Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen mehr Kostenwahrheit und Durchsetzung des Verursacherprinzips (zum Beispiel bei den Kosten für den Rückbau der Atommeiler). //

innerhalb der ökologischen Belastbarkeitsgrenzen zu leben, ist bisher bei der Internalisierung externer Kosten ebenfalls kein Maßstab gewesen. Dies verzerrt den Wett-bewerb und hemmt die Entwicklung und Marktdiffu-sion umweltfreundlicher Techniken und Produkte.

Umweltsteuern und auch umweltbezogene Gebühren gehören zu den wichtigsten marktorientierten Instru-menten der Umweltpolitik und stellen eine unabding-bare Rahmenbedingung nachhaltigen Wirtschaftens dar. Sie verteuern den Ressourcenverbrauch und tragen bei geeigneter Ausgestaltung zu dessen Reduktion bei, indem sie Anreize zu Einsparungen bieten. Das BMUB wird daher ein Konzept für die Weiterentwicklung der ökologischen Steuerreform erarbeiten, das die Vielzahl von Internalisierungsoptionen darstellt und in ein übergreifendes Konzept einbindet. Dabei gilt es, die ökologischen Lenkungsziele mit Gerechtigkeits- und Verteilungszielen sowie wirtschaftlichen Effizienzzielen zu verbinden und gleichzeitig das übergeordnete Ziel zu berücksichtigen, innerhalb der ökologischen Belast-barkeitsgrenzen zu leben. In diesem Kontext ist unter anderem die Einführung einer Abgabe auf Pflanzen-schutzmittel zu diskutieren (vergleiche Kapitel 4.2.3).

Nach dem Verursacherprinzip müssen auch Subventio-nen, die umweltschädliche Produkte und Techniken ver-billigen oder umweltschädliche Aktivitäten belohnen, abgebaut werden. Das BMUB wird sich daher auf nati-onaler, europäischer und internationaler Ebene dafür einsetzen, umweltschädliche Subventionen abzubauen beziehungsweise in Investitionen für zukunftsfähige, sozial-ökologisch gerechte Maßnahmen umzuwidmen. Nur durch einen effektiven Abbau umweltschädlicher Subventionen kann zum Beispiel auch der Umbau zu einer nachhaltigen und kohlenstoffarmen Energiever-sorgung langfristig gewährleistet werden.

Es stehen immense Infrastrukturinvestitionen in den Bereichen Energie, Verkehr und Wohnen, Bildung und

Gesundheit, Stadtentwicklung und Daseinsvorsorge an, die umweltverträglich und umweltförderlich auszuge-stalten sind. Das BMUB will die Rolle des öffentlichen Bereichs als wichtigen wirtschaftlichen Akteur im ökologischen Strukturwandel und damit als Innovati-onstreiber, Vorreiter und Vorbild stärken. Investitionen müssen viel stärker in eine nachhaltig ausgerichtete regionale Daseinsvorsorge und nachhaltig gestaltete Infrastrukturen gelenkt werden.

Zu einer umweltförderlichen Lenkung von Investitio-nen zählt auch, aus Umweltschutzsicht nicht vertret-bare Vorhaben, Projekte und Technologien nicht länger finanziell zu unterstützen. Im Sinne eines solchen „Di-vestment“ benötigen wir einen Kriterienkatalog für die umweltgerechte Anlage öffentlicher Gelder.

Diese übergreifenden wirtschafts- und finanzpoliti-schen Initiativen werden in Kapitel 4.1.3 durch spezi-fische Maßnahmen zum umweltverträglichen Wirt-schaften ergänzt.

3.3 Minderung weltweiter Umweltauswirkungen Deutschlands

Der in Kapitel 1.3 dargestellten Verlagerung von Um-weltbelastungen muss zukünftig konsequenter und systematisch entgegengewirkt werden.

Als Basis für die Begründung konsumbasierter Re­duktionsziele wird das BMUB die durch den hiesigen Konsum weltweit verursachten Treibhausgas- und Schadstoffemissionen, das Ausmaß der Wasser- und Landnutzung sowie die Rohstoffverbräuche und das Ausmaß des Verlustes an biologischer Vielfalt erfor-schen lassen. Auf Grundlage einer so gewonnenen Da-tenbasis soll eine regelmäßige Berichterstattung über die im Ausland verursachten Umweltauswirkungen Deutschlands erfolgen.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen mehr Transparenz bei allen umweltpolitischen Themen (auch über Lobbying und durch praktikable Ökobilanzen). //

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Daneben sind auch Unternehmen aufgerufen, ihre Wertschöpfungsketten auf Umweltauswirkungen zu untersuchen. Ziel ist, dem Endverbraucher belastbare Umweltinformationen bereitstellen zu können. Das BMUB wird Politikmaßnahmen für ein besseres Lie­ferkettenmanagement entwickeln, um darauf hinzu-wirken, die von Deutschland ausgehenden weltweiten Umweltauswirkungen schrittweise auf ein global verträgliches Maß zu vermindern. Berichtspflichten für Unternehmen sowie Umwelt- und Sozialstandards in den Lieferketten werden hierbei eine wichtige Rolle spielen (vergleiche auch Kapitel 4.1.3). Ein relevanter Bereich ist in diesem Zusammenhang der Bergbau (vergleiche Kapitel 4.5.3).

3.4 Für ein neues Verständnis von Wohlfahrt

Gesellschaftlicher Fortschritt und Wohlstand dür-fen nicht allein mit dem Umfang wirtschaftlichen Wachstums – im Sinne von in Geldgrößen erfassten Wertschöpfungssteigerungen einer Volkswirtschaft – gleichgesetzt werden. Stattdessen gilt es, neben den materiellen auch die immateriellen Bestandteile gesell-schaftlichen Wohlstands und individuellen Wohlerge-hens – sprich der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt – zu messen. Das heißt, den Einsatz wirtschaftlicher Güter und Infrastrukturen (real- und finanzwirt-schaftliches Kapital), Fähigkeiten und Beziehungen in der Gesellschaft (humanes und soziales Kapital) und vor allem den verfügbaren Reichtum eines Landes an natürlichen Lebensgrundlagen und Ökosystemen (Naturkapital) mit in die Betrachtung und Bewertung aufzunehmen. Die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“, die der Deutsche Bundestag 2010 einsetzte, hat den Bedarf an neuen Ansätzen zur Messung gesellschaftlicher Wohlfahrt bestätigt und einen entsprechenden Indikatorensatz vorgeschlagen.

Das BMUB wird sich dafür einsetzen, den „Nationalen Wohlfahrtsindex“ (NWI) dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) ergänzend zur Seite zu stellen und eine regelmä-ßige Berichterstattung über die Entwicklung des NWI aufzubauen. Der NWI setzt sich aus 20 wohlfahrtsrele-vanten Komponenten wirtschaftlichen Handelns zu-sammen, die Aktivitäten und Strukturmerkmale wie so-ziale Gerechtigkeit, unbezahlte gesellschaftliche Arbeit, wie zum Beispiel Haus-, Pflege- und ehrenamtliche Ar-beit, Umweltschäden und Ressourceninanspruchnahme zu erfassen und monetär zu bewerten suchen.

Unbezahlte gesellschaftliche Arbeit wird von immer mehr Menschen auch in umwelt- und nachhaltigkeits-fördernde Projekte investiert. Hierfür muss jedoch im Alltag hinreichend viel Zeit verfügbar sein. Die in Teilen der Gesellschaft erkennbaren Tendenzen hin zu einer stärkeren Wertschätzung von Zeitwohlstand und Entschleunigung weisen auf umweltpolitische Win-Win-Potenziale hin. Zum einen können Gesundheit und Lebensqualität maßgeblich gesteigert werden, zum anderen können Menschen bewusster und nachhal-tiger konsumieren und sich zugleich für das Gemein-wohl engagieren.

Wie eine „Zeitpolitik“ für Nachhaltigkeit, Gesundheit und Lebensqualität aussehen könnte, bedarf jedoch der weiteren Ausarbeitung. Das BMUB wird daher prüfen, wie ein Konzept für umweltbewusste Lebensstile mit hohem „Zeitwohlstand“ aussehen könnte. Hierzu soll zunächst eine gesellschaftliche Debatte über die Bedeutung von Zeit für die individuelle Lebensqualität initiiert werden, um im Anschluss mögliche Ziele und Indikatoren, Ansatzpunkte, Strategien und Instru-mente einer „Zeitpolitik“ zu identifizieren.

3.5 Zur Unterstützung nach haltigen Handelns von Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen

Umweltpolitik benötigt eine aktive Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger, von Verbänden und Un-ternehmen sowie von Städten und Regionen an Maßnahmen und Projekten für Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Der Anerkennung und Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements kommt somit große Bedeutung zu. Es geht dabei nicht nur darum, in Bereichen, in denen es sich wirtschaftlich lohnt,

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen, dass Bürgerinnen und Bürger in wesentlichen Fragestellungen frühzeitig beteiligt werden. //

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tätig zu sein, sondern sich auch im nicht kommerziel-len Bereich aktiv zu engagieren.

Zur Unterstützung eines gesellschaftlichen Wandels in Richtung Nachhaltigkeit gibt es bereits wichtige Initiativen. So initiieren zum Beispiel lokale Umwelt- und Nachhaltigkeitsinitiativen der „Transition Town“-Bewegung Gemeinschaftsprojekte in Bezug auf eine Stärkung der lokalen Wirtschaft, der regionalen Land-wirtschaft oder der dezentralen Energieversorgung. Bürger-Energie-Projekte oder Energie-Genossenschaf-ten stärken die Akzeptanz der Energiewende und un-terstützen deren Finanzierung. Die Anerkennung, Bün-delung und produktive Nutzung dieses Engagements durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist noch aus-baufähig. Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass viele Nachhaltigkeitsinitiativen einer „Vereinnahmung“ durch die Politik äußerst kritisch gegenüberstehen.

Das BMUB wird Initiativen, die gesellschaftliche Ver­änderungen in Richtung Nachhaltigkeit voranzutrei­ben versuchen (sogenannte „Change Agents“), stärker als bisher unterstützen.

Die oben genannten Initiativen und Projekte stellen teilweise „soziale Innovationen“ dar, also neue soziale Ansätze, Praktiken und Muster, die es erlauben, Prob-leme adäquat zu lösen. Solche Innovationen entstehen oftmals in gesellschaftlichen „Nischen“. Das BMUB wird neue flexible und niedrigschwellige Förderansätze etablieren, um das Wissen über Transformationspro-zesse in Richtung Nachhaltigkeit zu erweitern und solche Prozesse zugleich konkret anzustoßen. Mit der Schaffung eines flexiblen Innovationsfonds können Fördermittel des BMUB als freie Mittel für innovative Maßnahmen genutzt werden.

Gesellschaftlicher Wandel – und damit auch der Wan-del hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft – braucht breite Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen mit ihren unterschiedlichen Lebenslagen, Wertemustern und Interessen.

Sehr positive Erfahrungen mit Beteiligungsprozessen wurden zum Beispiel im Zusammenhang mit der Wei-terentwicklung des Deutschen Ressourceneffizienz-programms (ProgRess II) und bei der Erarbeitung des Klimaschutzplans 2050 gemacht. Auch die Erarbeitung des Integrierten Umweltprogramms wurde durch einen umfassenden Bürgerdialog unterstützt (verglei-che Kapitel 5). Bürgerbeteiligung und -teilhabe wird daher bei der Arbeit an wichtigen Schwerpunktthemen des BMUB zukünftig von Anfang an mitgedacht. Das

BMUB wird als Vorreiterressort eine neue Beteili­gungskultur fortentwickeln.

Das BMUB wird sich im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung dafür einsetzen, in der schu-lischen, außerschulischen und beruflichen Bildung Wissen und Kompetenzen zur aktiven Gestaltung ge­sellschaftlichen Wandels zu vermitteln. Wir wollen die Menschen dazu befähigen, Ideen für eine nachhaltige Entwicklung einzubringen und Umsetzungsstrategien zu entwickeln. Hierfür sind Dialogangebote notwendig, die junge Menschen als Expertinnen und Experten ihres Alltags ernst nehmen und sie zum Beispiel auch mit Hilfe von Modellvorhaben in die Entwicklung von umweltpolitischen Maßnahmen einbeziehen.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen ins Handeln kommen (un­ter anderem durch Positivbeispiele, Kul­tur des Scheiterns, Top­Runner­Ansatz). //

Das BMUB wird junge Menschen partizipativ an dem Ausbau von Bildungsangeboten beteiligen und so die Gestaltung einer nachhaltigen Bildungs-, Lern- und Wissenskultur unterstützen. Eine aktive Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an Maßnahmen und Projek-ten für Umweltschutz, Naturschutz und Nachhaltigkeit setzt ein Bildungsangebot voraus, das Beteiligung so-wohl ermöglicht als auch selbst zum Maßstab hat.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen umfassendere Information und Bildung durch erfahrungsbasierte Lernformen, damit der ökologische Werte wandel gelingen kann. //

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4 Was wir konkret angehen wollen: Fünf Schwerpunkte

Neben den übergreifenden Maßnahmen (Kapitel 3) sind aus umweltpolitischer Sicht vor allem in fünf Schwerpunktbereichen grundlegende Veränderungen einzuleiten:

1 Umwelt- und klimaverträglich wirtschaften, Energie- und Ressourcenwende

2 Zukunftsfähige Landwirtschaft, intakte Natur

3 Nachhaltige Mobilität, lebenswerte Städte

4 Gesunde Lebensbedingungen

5 Internationale Dimension von Umweltpolitik

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

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In allen Schwerpunktbereichen kann auf umweltpolitischen Er-folgen und positiven Ent wicklungen aufgebaut werden. Anderer-seits gibt es jedoch auch in jedem dieser Bereiche substanzielle Herausforderungen und neue Aufgaben, auf die das Integrierte Umweltprogramm mit Zielen und Maßnahmen antwortet. Die genannten Maßnahmen sind aus heutiger Sicht wichtige Schritte, um zu grundlegenden Verbesserungen zu ge langen. Sie stellen jedoch keinen abgeschlossenen Maßnahmenkatalog dar, sondern sind im Lichte der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftli-chen und ökologischen Entwicklungen fortzuschreiben.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

4.1 Umwelt- und klimaverträglich wirtschaften, Energie- und Ressourcenwende

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Erfolge und positive Entwicklungen

→ Eine fortschrittliche Umweltgesetzgebung und die Förderung von Öko-Innovationen stärken den Wirtschaftsstandort Deutschland.

→ Energie- und Materialeffizienz sowie Kreislaufwirtschaft werden mehr und mehr zur Voraussetzung wirtschaftlichen Erfolgs.

→ Immer mehr Unternehmen richten ihre Strategie und ihr Geschäfts modell an Umweltschutz und Nachhaltigkeit aus – auch in traditionellen Wirtschaftszweigen.

→ Deutschland ist bei Klimaschutz und Klimaanpassung gut aufgestellt.

→ Mit der Energiewende wurde die Transformation eines zentralen Wirtschaftsbereichs Deutschlands erfolgreich eingeleitet.

→ Umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen sind zunehmend zertifiziert und anerkannt, nachhaltiger Konsum fördert innovative Geschäfts- und Beteiligungsmodelle.

→ Immer mehr Menschen sehen Umweltschutz als grundlegende Bedingung zur Bewältigung von Zukunftsaufgaben und als wirtschaftliche Chance.

Herausforderungen und neue Aufgaben

→ Der Umstieg auf umweltverträgliches Wirtschaften steht in einigen Sektoren noch am Anfang, gleichzeitig nimmt der globale Wettbewerb um die grünen Zukunftsmärkte zu.

→ Umweltmanagementsysteme müssen breiter etabliert und thematisch ausgeweitet werden.

→ Die Digitalisierung von Wirtschafts- und Arbeitswelt eröffnet umweltpolitische Chancen und Risiken.

→ Umweltrisiken werden am Finanzmarkt und bei dessen Regulierung unterbewertet.

→ Die Energiewende ist noch nicht vollendet; das Ziel einer weitgehend treibhausgasneutralen Volks-wirtschaft bis 2050 erfordert deutlich mehr Veränderungsbereitschaft und Innovation.

→ Der Einsatz natürlicher Ressourcen in Deutschland ist weiterhin sehr hoch und führt auch inter-national zu starken Umweltbelastungen.

→ Nachhaltiger Konsum ist bisher ein Nischenthema.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Leitziele und Maßnahmen

Leitziel I: Sozial-ökologische Marktwirtschaft etablieren

1. Branchenspezifische Roadmaps für nachhaltiges Wirtschaften

2. Nachhaltige Geschäftskonzepte in Wirtschaft und Finanzwirtschaft etablieren

3. Anreize für Unternehmen mit Umweltmanagementsystem ausbauen

4. Grüne Qualifikationen für die Industrie 4.0

5. Strukturwandel in Regionen ökologischer Modernisierung nachhaltig begleiten

Leitziel II: Klimaschutz und Energiewende fortsetzen und weiterentwickeln

6. Klimaschutzplan 2050

7. Erneuerbare Energien: Sektorenkopplung vorantreiben

8. Erneuerbare Energien naturverträglich ausbauen

9. Emissionshandel weiterentwickeln

10. Ambitionierte Energieeffizienzstrategie

11. Netzausbau beschleunigen, Lasten besser verteilen, die Entwicklung von Speichertechnologien fördern

12. Kohleverstromung sozialverträglich und regionalwirtschaftlich verantwortungsvoll beenden

13. Klimafreundliches Bauen und Wohnen

14. Endlagerung radioaktiver Abfälle: wissenschaftsbasierte und transparente Standortauswahl

Leitziel III: Konsum- und Ressourcenwende einleiten

15. Verlängerung der Nutzungsdauer von Elektrogeräten

16. Zweites Preisschild für Sozial- und Umweltkosten von Produkten

17. Weitere verpflichtende Nachhaltigkeitskriterien für die öffentliche Beschaffung

18. Eine glaubwürdige multimediale Informationsbasis für nachhaltigen Konsum

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Umsetzung von globalen Nach haltigkeits zielen und Zielen des 7. EU-Umweltaktionsprogramms

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Die Ziele und Maßnahmen des Integrierten Umweltprogramms tragen zur Umsetzung von globalen Nachhaltigkeitszielen und Zielen des 7. EU-Umweltaktionsprogramms bei (Auswahl):

ó Globale Nachhaltigkeitsziele (SDG)

SDG 7: Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern

SDG 8: Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern

SDG 9: Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen

SDG 12: Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen

SDG 13: Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen

ó Prioritäre Ziele des 7. EU-Umweltaktions programms (7. UAP)

Prioritäres Ziel 2: Übergang zu einer ressourceneffizienten, umweltschonenden und wett bewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaftsweise in der Union

Prioritäres Ziel 6: Sicherung von Investitionen für Umwelt- und Klimapolitik und Berücksichtigung von Umweltkosten unter Beachtung etwaiger nachteiliger sozialer Auswirkungen

→ Ressourceneffizienzprogramm (ProgRess): 2016 wurde das ursprünglich 2012 vorgelegte Programm fortgeschrieben (ProgRess II). Damit will die Bundesregierung Wirtschaftswachstum und Wohlstand möglichst weitgehend vom Ressourceneinsatz entkoppeln, Umweltbelastungen reduzieren und gleich-zeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stärken und Arbeitsplätze sichern.

→ Abfallvermeidungsprogramm: Das 2013 von Bund und Ländern beschlossene Abfallvermeidungspro-gramm umfasst existierende und potenzielle Abfallvermeidungsmaßnahmen auf Bundes-, Länder- so-wie Gemeindeebene und eine Bewertung dieser Maßnahmen unter ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten.

→ Nationales Programm Nachhaltiger Konsum: Das im Februar 2016 von der Bundesregierung vorge-legte Programm enthält Leitideen für eine Politik des nachhaltigen Konsums, die mit konkreten Maß-nahmen unterlegt sind.

→ Aktionsprogramm Klimaschutz 2020: Ziel ist, dass Deutschland seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 reduziert. Das Programm wurde im Dezember 2014 von der Bundesregierung beschlossen.

Laufende und weiterzuentwickelnde politische Vorhaben (Auswahl)

→ Nationaler Aktionsplan Energieeffizienz: Ziel der Bundesregierung ist es, den Primärenergieverbrauch bis zum Jahr 2020 gegenüber 2008 um 20 Prozent zu senken und bis 2050 zu halbieren. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde im Dezember 2014 dieser Aktionsplan beschlossen.

→ Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit: Ziel des 2010 beschlossenen und 2015 weiterentwickelten Programms ist es, Nachhaltigkeit konkret im Verwaltungshandeln der Bundesregierung umzusetzen.

→ Exportinitiative Umwelttechnologien: Im März 2016 hat das BMUB diese Initiative gestartet, mit der die exportorientierten Aktivitäten der deutschen Umweltwirtschaft flankiert werden sollen.

→ Eco-Innovation Action Plan (Eco-AP) der EU: Die Bundes regierung wird den 2011 veröffentlichten europäischen Eco-AP durch einen deutschen Öko-Innovationsplan national unterlegen.

4.1.1 Erfolge und positive Entwicklungen

Eine fortschrittliche Umweltgesetzgebung und die Förderung von Öko-Innovationen stärken den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Deutschland ist bei der sozial-ökologischen Moderni-sierung insgesamt gut aufgestellt. Die Lern- und Anpas-sungsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft, ihr Modell der Mitbestimmung und ihre Erfolge bei der sozialen Sicherung erleichtern eine Modernisierung unserer Wirtschaft. Zahlreiche Studien haben bestätigt, dass aktive und ambitionierte Umweltpolitik wirtschaft-liche Grundlagen sichert, Öko-Innovationen fördert und damit Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftlichen Wohlstand stärken kann.

Deutschland gehört heute – auch wegen seiner ambi-tionierten Umweltpolitik – zu den weltweit führenden Anbietern auf den Märkten für innovative Umwelt-technologien. Auf dem globalen Markt für Umwelt-technik und Ressourceneffizienz hatte Deutschland 2013 einen Marktanteil von 14 Prozent davon 83 Mil-liarden Euro im Bereich Bau und Stadtentwicklung. Schätzungen zufolge wird sich das Weltmarktvolumen dieser grünen Zukunftsmärkte mehr als verdoppeln: von 2,5 Billionen Euro im Jahr 2013 auf 5,4 Billionen Euro im Jahr 2025, für Deutschland von 344 Milliarden auf 740 Milliarden Euro. Der Anteil der Umwelttechnik und Ressourceneffizienz an der Wirtschaftsleistung in Deutschland lag 2013 bei 13 Prozent Diese Unterneh-men gehen bis 2018 von einer jahresdurchschnittlichen Zunahme der Mitarbeiterzahl von 6,7 Prozent aus.

Energie- und Materialeffizienz sowie Kreislauf-wirtschaft werden mehr und mehr zur Voraus-setzung wirtschaftlichen Erfolgs.

Durch anspruchsvolle Umweltpolitik im Wechselspiel mit einer innovativen Wirtschaft stieg in Deutschland die Energieproduktivität zwischen 1990 und 2015 um rund 56 Prozent Der Endenergieverbrauch ging sowohl in der Industrie als auch im Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistungen seit 1990 merklich zu-rück. Deutschlands Rohstoffproduktivität – also das Verhältnis von erwirtschaftetem Bruttoinlandsprodukt zu eingesetzter Menge an abiotischem Primärmaterial wie zum Beispiel Baumineralien oder importierten Rohstoffen, Halb- und Fertigwaren – hat sich von 1994 bis 2014 um etwa 48 Prozent erhöht.

72 Prozent aller Abfälle, 90 Prozent der Bauabfälle und 65 Prozent der Siedlungsabfälle werden in Deutsch-land recycelt. Das ist im internationalen Vergleich bei-spielhaft. Gemeinsam mit den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern, der Wirtschaft und insbesondere der privaten Entsorgungswirtschaft ist es gelungen, die Bürgerinnen und Bürger zu motivieren, ihr Verhalten im Hinblick auf Abfallvermeidung und -trennung po-sitiv zu ändern. Die Abfallintensität, also das Verhältnis zwischen Wirtschaftswachstum und Abfallerzeugung, sank zwischen 2000 und 2012 um etwa 28 Prozent.

Der zunehmende Wettbewerb im Bereich der Ab-fallwirtschaft hat in der Recyclingtechnik zu einem Innovationsschub geführt. Deutschland verwen-det in großem Umfang Sekundärrohstoffe, was

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Herstellungskosten spart und zudem die Umwelt ent-lastet. Im Jahr 2012 ist das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) in Kraft getreten, mit dem die europäische Abfallrahmenrichtlinie in nationales Recht umgesetzt wird. In den letzten Jahren hat sich die Bundesregie-rung verstärkt international engagiert, um gemeinsam mit Partnern dafür zu werben, auch in Schwellen- und Entwicklungsländern die Prinzipien einer Kreislauf-wirtschaft zu etablieren.

Immer mehr Unternehmen richten ihre Strategie und ihr Geschäftsmodell an Umweltschutz und Nachhaltigkeit aus – auch in traditionellen Wirt-schaftszweigen.

Sowohl Unternehmensleitungen als auch Beschäftigte sind sich der wachsenden ökonomischen Bedeutung umweltbezogener Aspekte für die Wertentwicklung von Unternehmen bewusst. Vor allem Material- und Energiekosten haben einen hohen Anteil an den Pro-zess- und Produktkosten. Zunehmend relevant werden umweltbedingte Reputationsrisiken. Umweltverträgli-ches Wirtschaften bedeutet für die Unternehmen dem-entsprechend Kostensenkung, etwa durch verbesserte Ressourceneffizienz und geringere Zulieferabhängig-keiten. Auch Absatzsteigerungen können die Folge sein.

Deutsche Hersteller sind oftmals Vorreiter bei der Herstellung von energieeffizienten Produkten. Die EU-Richtlinien zum Ökodesign sowie zur Kennzeich-nung des Energieverbrauchs von Produkten tragen wesentlich zur Erreichung der nationalen und europä-ischen Energieeffizienzziele bei. Das erste und weltweit bekannteste Umweltzeichen, „Der Blaue Engel“, ist seit seiner Gründung im Jahr 1978 eine Erfolgsgeschichte und weltweit anerkannt.

Aktuell sind in Deutschland rund 1.200 Organisatio-nen nach den Anforderungen des Europäischen Um-weltmanagementsystems EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) registriert. Knapp 7.000 Organisa-tionen betreiben ein Umweltmanagement (ISO 14001) und cica 3.500 ein Energiemanagement (ISO 50001). Die Zahl der Unternehmen, die über ein Umwelt- oder Energiemanagementsystem verfügen, wird in den nächsten Jahren ansteigen. Wesentliche Gründe sind die steuerlichen Begünstigungen für Unternehmen, die ein Energiemanagementsystem eingeführt haben oder die die Anforderungen von EMAS erfüllen, sowie die Anforderungen der Europäischen Energieeffizi-enzrichtlinie. Hiernach sind Unternehmen, die keine

kleinen oder mittleren Unternehmen sind, verpflich-tet, mindestens alle vier Jahre ein Energieaudit (DIN EN 16247) durchzuführen. Alternativ zum Energieau-dit wird auch ein zertifiziertes Energie- oder Umwelt-managementsystem anerkannt.

Das BMUB führt seit 2013 im Rahmen der Plattform „Unternehmen Biologische Vielfalt 2020“ mit Wirt-schafts- und Naturschutzverbänden einen konstruk-tiven Dialog über Maßnahmen im Bereich der ge-werblichen Wirtschaft zur Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Ein wichtiges Ziel ist die Berücksichtigung biologischer Vielfalt im un-ternehmerischen Management und über die gesamte Lieferkette hinweg. Vorreiter-Unternehmen arbeiten an diesen Themen intensiv in der Initiative „Biodiversity in Good Company“.

Im Vergaberecht wurden die Möglichkeiten gestärkt, Umweltkriterien stärker als früher bei der Auftragsver-gabe zu berücksichtigen. Mit dem Umweltinnovations-programm fördert das BMUB – vorrangig in kleinen und mittleren Unternehmen – Projekte im großtechni-schen Maßstab, die das Ziel haben, Umweltbelastungen zu vermeiden oder zu verringern.

Deutschland ist bei Klimaschutz und Klima-anpassung gut aufgestellt.

Seit dem Jahr 1990 hat Deutschland seine Treibhaus-gasemissionen bereits deutlich reduziert. So hat Deutschland im Rahmen der ersten Verpflichtungs-periode des Kyoto-Protokolls das Ziel, seine Emis-sionen im Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2012 um 21 Prozent gegenüber 1990 zu senken, mit einer Minderung von 23,6 Prozent deutlich übererfüllt. Mit der Deutschen Anpassungsstrategie an die Fol-gen des Klima wandels (DAS) wird seit 2008 das Ziel verfolgt, die Verwundbarkeit gegenüber den Folgen des Klimawandels zu mindern beziehungsweise die Anpassungs fähigkeit natürlicher, gesellschaftlicher und ökonomischer Systeme zu erhalten oder zu stei-gern. Im Zuge dieses Prozesses konnten die Kenntnisse über die zu erwartenden Auswirkungen, die Verwund-barkeiten und mögliche Gegenmaßnahmen deutlich verbessert und Strukturen der Zusammenarbeit in-nerhalb der Bundesregierung und zwischen Bund und Ländern sowie verschiedene Netzwerke von Akteuren aufgebaut werden. Mit zwei Aktionsplänen (2011, 2015) hat die Bundesregierung die DAS mit spezifi-schen Aktivitäten des Bundes unterlegt.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Mit der Energiewende wurde die Transformation eines zentralen Wirtschaftsbereichs Deutsch-lands erfolgreich eingeleitet.

Unter dem Eindruck des Reaktorunglücks im Kern-kraftwerk Fukushima Daiichi 2011 beschloss die Bundesregierung, die Nutzung der Atomenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität in Deutsch-land bis 2022 zu beenden und den Ausbau erneuerba-rer Energien zu beschleunigen. Mit der Energiewende beschreitet die Bundesregierung den Weg in eine sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Zu-kunft der Energieversorgung. Kompass hierbei sind das Energiekonzept der Bundesregierung aus dem Jahr 2010, die Energiewendebeschlüsse aus dem Jahr 2011 sowie europäische Vorgaben (vergleiche Kapi-tel 4.5). Im Jahr 2014 hat die Bundesregierung den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz sowie das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 beschlossen. Beide Programme enthalten unter anderem Maß-nahmen zur Unterstützung der Energiewende.

Das energiepolitische Zieldreieck aus Versorgungs-sicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit bleibt dabei die Richtschnur der Energiepolitik. Zentra-les umweltpolitisches Ziel ist, die Treibhausgasemissi-onen bis 2020 um mindestens 40 Prozent und bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Diese nahezu vollständige Vermeidung von Treib-hausgasemissionen erfordert eine umfassende Trans-formation der Energieversorgung, im Verkehrs- und Gebäudebereich, in der Landwirtschaft, in der Abfall-wirtschaft, in der Industrie sowie im Gewerbe-, Han-dels- und Dienstleistungsbereich. Dabei hat Deutsch-land schon vieles erreicht: Mit einem Anteil von fast einem Drittel sind erneuerbare Energien inzwischen die wichtigste Stromquelle.

Deutschland ist das weltweit erste hochindustrialisierte Land, das seine Energieinfrastruktur derart tiefgreifend umbaut. Diese zentrale Nachhaltigkeitstransformation hat Vorbildcharakter für andere Staaten.

Umweltfreundliche Produkte und Diens t-leistungen sind zunehmend zertifiziert und anerkannt, nachhaltiger Konsum fördert inno-vative Geschäfts- und Beteiligungsmodelle.

In einigen Bereichen konnten durch die Weichenstel-lungen von Umwelt- und Verbraucherpolitik bereits dauerhafte nachhaltigkeitsorientierte Konsumstruktu-ren etabliert werden. Zum Beispiel wird eine steigende Nachfrage nach „grünen“, umweltfreundlichen Pro-dukten beobachtet: Fast drei Viertel der Bürgerinnen und Bürger greifen beim Kauf von Haushaltsgeräten und Leuchtmitteln immer oder sehr oft zu den ener-gieeffizienten Alternativen, und mehr als ein Drittel der Bevölkerung gibt an, bereits einmal Ökostrom bezogen zu haben. Auch wird verstärkt Wert auf eine umwelt-verträgliche und sozial verantwortungsvolle Herkunft der Produkte gelegt. Nicht zuletzt nimmt der Anteil der Lebensmittel aus ökologischem Anbau seit Beginn der 2000er Jahre in Deutschland stark zu.

Die Änderung der Konsumpraktiken hat in den vergan-genen Jahren zu völlig neuen Geschäftsmodellen ge-führt. Hierzu zählen etwa das Teilen, gemeinsame Nut-zen und gegenseitige Ausleihen von Produkten in einer „Sharing Economy“ oder das Aufkommen sogenannter „Prosumenten“. Dabei handelt es sich beispielsweise um Besitzer von Solaranlagen, die Energieverbraucher und -produzenten zugleich sind.

Immer mehr Menschen sehen Umweltschutz als grundlegende Bedingung zur Bewältigung von Zukunftsaufgaben und als wirtschaftliche Chance.

Umweltschutz wird zunehmend als Erfolgsbedingung für andere politische Herausforderungen gesehen: 63 Prozent der Befragten sind laut der Studie „Um-weltbewusstsein in Deutschland 2014“ der Meinung, dass Umweltschutz eine grundlegende Bedingung ist, um Zukunftsaufgaben (wie zum Beispiel Globalisie-rung) zu meistern. Rund die Hälfte aller Befragten hält Umwelt- und Klimaschutz zudem für eine grundle-gende Voraussetzung, um den Wohlstand zu sichern (56 Prozent) und Arbeitsplätze zu schaffen (46 Prozent). Sogar 69 Prozent stimmten der These zu, dass sich konsequenter Umweltschutz künftig positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auswirkt. Immer mehr Menschen begreifen konsequenten Umweltschutz also als wirtschaftliche Chance. Dies gilt auch international. Insbesondere in Folge der

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Weltfinanzkrise 2009 und in Zusammenhang mit dem Nachhaltigkeitsgipfel der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro 2012 gewannen in Entwicklungs- und Schwel-lenländern und in Institutionen wie etwa bei der Or-ganisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), bei der Welthandelsorganisation (WTO), beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und bei der Weltbank umweltorientierte Wirtschaftsstrate-gien maßgeblich an Einfluss. So ist ein Wandel hin zu einer „Green Economy“ oder – bei Betonung nicht nur der ökologischen, sondern auch der sozialen Verantwor-tung – „Green and Inclusive Economy“ zu beobachten.

4.1.2 Herausforderungen und neue Aufgaben

Der Umstieg auf umweltverträgliches Wirtschaf-ten steht in einigen Sektoren noch am Anfang, gleichzeitig nimmt der globale Wettbewerb um die grünen Zukunftsmärkte zu.

Während in den letzten 30 Jahren viele Branchen durch Innovation und technischen Fortschritt große Erfolge bei der Reduzierung ihrer Umweltauswirkungen errei-chen konnten, bleiben einige Sektoren hinter dem not-wendigen Strukturwandel hin zu Umweltverträglich-keit und Nachhaltigkeit zurück. Dies gilt insbesondere für die Sektoren Landwirtschaft (vergleiche Kapitel 4.2) und Mobilität (vergleiche Kapitel 4.3), in denen die ökologische Modernisierung mittels umfassender In-novationen und struktureller Wandlungsprozesse auch mit Blick auf die langfristige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erheblich forciert werden muss. Denn es sind die grünen Zukunftsmärkte, die auch in den kom-menden Jahren sehr schnell wachsen werden. Ohne zusätzliche Anstrengungen zur umweltverträglichen Ausrichtung aller Wirtschaftssektoren läuft Deutsch-land daher mittel- und langfristig Gefahr, seine füh-rende Rolle bei Umwelt- und Effizienztechnologien zu verlieren. Auch Schwellenländer – insbesondere China – holen auf und werden zu wichtigen Wettbewerbern.

Umweltmanagementsysteme müssen breiter etabliert und thematisch ausgeweitet werden.

Während die Zahl der Unternehmen mit Zertifizie-rungen nach den Umweltmanagementnormen ISO 14001 und ISO 50001 in den letzten Jahren angestiegen ist, stagniert die Zahl der EMAS-Unternehmen. Dies liegt vor allem daran, dass das Instrument EMAS und sein Nutzen für die Unternehmen derzeit noch zu

wenig bekannt sind und anspruchsvoller betrieblicher Umweltschutz aktuell von Verbrauchern, Lieferanten, Abnehmern und der öffentlichen Hand noch zu wenig honoriert wird. Auch wenn für die kommenden Jahre aufgrund steuerlicher Vergünstigungen mit einem An-stieg zu rechnen ist, bleibt Umweltmanagement noch weit davon entfernt, sich in der Breite durchzusetzen. Damit bleiben auch Ressourcen- und Energieeffizienz-potenziale in Unternehmen ungenutzt.

Auch die Integration sozialer oder menschenrechts-bezogener Kenngrößen in die Managementsysteme ist noch wenig ausgeprägt, unter anderem aufgrund der ungeklärten Frage, wo die unternehmerische Verant-wortung in der Wertschöpfungskette konkret beginnt. Hinzu kommt der hohe Aufwand zur Datenerhebung. Zur Berücksichtigung biologischer Vielfalt im unter-nehmerischen Management und über die gesamte Lieferkette hinweg fehlt es noch an anerkannten Indi-katoren und Kennzahlen.

Die Digitalisierung von Wirtschafts- und Arbeitswelt eröffnet umweltpolitische Chancen und Risiken.

Das rasante Wachstum der Datenbestände in sozialen Netzwerken, Unternehmen und Behörden („Big Data“), ihre zunehmende Verknüpfung, die Digitalisierung zentraler Infrastrukturen (zum Beispiel Energie, Mobi-lität) und die Anwendung neuartiger Auswertungsme-thoden (zum Beispiel Echtzeitverarbeitungen) ermög-lichen neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäfts-modelle. Die Vernetzung von Menschen, Maschinen, Objekten und IKT-Systemen in einem dynamischen Management von komplexen Systemen („Industrie 4.0“) wird voraussichtlich im kommenden Jahrzehnt unter anderem Geschäftsprozesse stark beschleunigen, Wertschöpfungsketten neu strukturieren und die An-passung an individuelle Kundenwünsche (zum Beispiel durch 3D-Druck) ermöglichen. Alltagsgegenstände (zum Beispiel Smartphones, häusliche Elektronik, Fahr-zeuge, Kleidung, Gebäude, Maschinen) sollen in einem „Internet der Dinge“ eigenständig webbasiert Infor-mationen austauschen und insgesamt zu einer „intelli-genten“ Umgebung werden (Smart Home, Smart Grid, Smart Car, Smart „Everything“). Der Online-Handel hat an Marktanteil gewonnen, vor allem in den Sparten Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), Bekleidung und Nahrungsmittel.

Die Potenziale von „Big Data“, „Industrie 4.0“ und dem „Internet der Dinge“, Umweltentlastungen (zum

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Beispiel in Richtung erhöhter Ressourceneffizienz) herbeizuführen, lassen sich derzeit noch nicht absehen. So wird der zunehmende Konsum von IT-Produkten (gleichzeitiger Besitz von Smartphone, Tablet, Lap-top) mit zum Teil kurzer Nutzungsphase zu erhöhten Bedarfen an knappen Rohstoffen und gesteigerten Anforderungen an die Recyclingfähigkeit führen. Die Zunahme elektromagnetischer Felder ist von gesund-heitlicher Bedeutung (vergleiche Kapitel 4.4.2).

Mit der Digitalisierung sind andererseits mehr Infor-mationen über Produkte und Prozesse verfügbar, und deren Nachhaltigkeitsperformanz wird transparenter. Neben dem Online-Handel bilden Produkt-Dienstleis-tungssysteme (zum Beispiel Drucker-Leasing) und An-sätze der Ökonomie des Teilens und der Kooperation (Share-Economy) eine Alternative zum konventionel-len Produkthandel. Zudem bietet das Internet Raum für neue Formen des Konsums (zum Beispiel Online-Tauschplattformen). Um die ökologischen Potenziale der Digitalisierung nutzen und ihre Umweltrisiken bewerten und mindern zu können, sind neue berufli-che Qualifikationen erforderlich.

Umweltrisiken werden am Finanzmarkt und bei dessen Regulierung unterbewertet.

Die Krisen des Finanz- und des Klimasystems haben eine gemeinsame Ursache: die Unterbewertung von Risiken und die daraus folgende Fehlallokation von Kapital. Einer Strukturkrise analog zur Finanzkrise aufgrund der systematischen Unterbewertung langfristiger Umwelt-risiken ist unter allen Umständen vorzubeugen.

Klimarisiken werden von Investorinnen und Investo-ren zunehmend beachtet. Nach dem Paris-Abkommen gilt es, Investitionsflüsse mit einem emissionsarmen und gegenüber dem Klimawandel widerstandsfähigen Entwicklungspfad in Einklang zu bringen. Dagegen er-scheinen andere Umweltrisiken wie zum Beispiel Ver-lust an Biodiversität, Betrieb von Atomenergie anlagen und Auswirkungen von Tiefseebohrungen nach Öl noch unterbewertet. Insbesondere für den Bereich langfristiger Finanzinstrumente besteht eine starke Notwendigkeit, Umweltrisiken in die Investmentpro-zesse und das Risikomanagement zu integrieren.

Umweltleistungskennzahlen für Unternehmen, die auch die Beschaffungsketten einbeziehen und die von Finanzakteuren bei der Unternehmensbewertung be-rücksichtigt werden, können mehr Transparenz schaf-fen. Finanzmarktakteure spielen auch eine wichtige

Rolle bei der Initiierung und Durchsetzung von frei-willigen Selbstverpflichtungen und Standards. Die ökonomisch relevanten Umweltrisiken, zu denen vor allem physische und regulative Risiken, reputations-bezogene Risiken und Haftungsrisiken zählen, werden zum Großteil von den Vorschriften zum Risikomanage-ment erfasst. In der Praxis des unternehmensinternen Risikomanagements und der entsprechenden internen Berichterstattung ist dies jedoch nur in Ansätzen und lediglich auf Seiten der Rückversicherer geschehen.

Die Energiewende ist noch nicht vollendet; das Ziel einer weitgehend treibhausgasneutralen Volkswirtschaft bis 2050 erfordert deutlich mehr Veränderungsbereitschaft und Innovation.

Das auf der Klimakonferenz 2015 in Paris vereinbarte Ziel vollständiger Treibhausgasneutralität wird erst erreicht, wenn keine fossilen Energieträger mehr verbrannt werden. Klima- und Energiepolitik sind untrennbar miteinander verbunden, die Energiewirt-schaft verantwortet allein rund 40 Prozent der Treib-hausgasemissionen in Deutschland.

Das Ziel einer Transformation zu einer treibhausgas-neutralen Wirtschaft und Gesellschaft innerhalb der nächsten 35 Jahre ist eine große Herausforderung. Um Treibhausgasneutralität zu erreichen, müssen neben den Emissionen der Stromerzeugung die energiebe-dingten Emissionen der Sektoren Verkehr, Gebäude, Industrie und Gewerbe, Handel, Dienstleistungen (GHD) vollständig vermieden werden. Strom aus er-neuerbaren Energien trägt die Dekarbonisierung im Stromsektor. Aber auch im Gebäude- und Mobilitäts-sektor, in der Industrie und im GHD-Bereich kann weitgehende Treibhausgasneutralität bis 2050 nur

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Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen, dass Energieeinsparung forciert wird, zum Beispiel durch Ener-giebilanzstandards für Produktzulas-sungen. //

erreicht werden, wenn – neben der konsequenten Nut-zung der Effizienzpotenziale – Strom aus erneuerbaren Energien eingesetzt wird. Dafür müssen die Sektoren Energiewirtschaft, Verkehr, Gebäude und Industrie deutlich stärker als heute interagieren (sogenannte „Sektorenkopplung“).

In vielen Bereichen der wirtschaftlichen Infrastruktur werden die Entscheidungen und Investitionen von heute die Entwicklung bis 2030, bis 2050 und darüber hinaus vorzeichnen.

Der Erfolg der Energiewende hängt auch unmittelbar mit dem europäischen Emissionshandel zusammen. Von zentraler Bedeutung ist hierbei eine ausreichende Anreizwirkung zur Vermeidung von Treibhausgasemis-sionen für die betroffenen Anlagen aus den Sektoren Energie und Industrie. Nur wenn es gelingt, diese Anreizwirkung wiederherzustellen und aufrecht zu erhalten, kann der Emissionshandel dazu beitragen, die Klimaziele der EU kosteneffizient zu erreichen.

Eine zentrale Erfolgsbedingung der Energiewende ist zudem die Senkung des Energieverbrauchs. Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, den Gesamt-Primärenergieverbrauch bis 2050 gegenüber 2008 zu halbieren. Für die Steigerung der Energieeffizienz be-stehen in allen Bereichen noch erhebliche Potenziale.

Mittelfristig wird es auch darum gehen, den Energie-bedarf durch Verhaltensänderungen vor allem in den Bereichen Ernährung, Wohnen und Mobilität zu redu-zieren. Das Langfrist-Projekt Klimaschutz und Energie-wende fordert von den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur eine dauerhafte Unterstützung und Akzeptanz für die Veränderungen im Lebensumfeld, etwa durch Lei-tungsbauten, sondern auch eigenes Handeln.

Der notwendige ökologische Strukturwandel der Wirtschaft bringt, neben vielen positiven Effekten,

auch Herausforderungen mit sich. Er muss wirt-schaftlich und sozial verträglich gestaltet werden. Dies gilt zum Beispiel für die deutschen Braun-kohlereviere. Durch den Kohleausstieg und den Rückgang des Braunkohleabbaus müssen hier neue Perspektiven für Wirtschaft und Beschäftigung ge-schaffen werden. An anderer Stelle gilt es, die etwa beim zügigen Ausbau und der Modernisierung der Stromnetze auftretenden Konflikte – auch ganz konkret vor Ort – zu lösen.

Der Ausbau von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien und der Netzausbau verändern die Land-schaft und wirken sich auf viele Lebensräume, Tier- und Pflanzenarten aus. Auswirkungen auf die Natur müssen frühzeitig berücksichtigt werden, um eine naturverträgliche Ausgestaltung zu ermöglichen.

Der Einsatz natürlicher Ressourcen in Deutsch-land ist weiterhin sehr hoch und führt auch in-ternational zu starken Umweltbelastungen.

Die kontinuierlich gesteigerte Energieproduktivität in Deutschland führte zu einer effizienteren Energie-nutzung, geht jedoch mit einem absoluten Rückgang des Primärenergieverbrauchs im Zeitraum 1990 bis 2015 von lediglich 10,5 Prozent einher. Die Effizienz-steigerung wurde durch ein Wirtschaftswachstum von 39,8 Prozent im selben Zeitraum weitgehend aufge-zehrt. Auch die Rohstoffproduktivität in Deutschland hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht. Aller-dings ist auch der Anteil der importierten Güter am gesamten Primärmaterialeinsatz zwischen 1994 und 2014 von 26 auf 39 Prozent gestiegen. Werden alle Roh-stoffe, die bei der Herstellung deutscher Importgüter im Ausland verwendet werden, mit den in Deutschland entnommenen Rohstoffen zusammengerechnet, ist der abiotische Rohstoffeinsatz zwischen 2000 und 2011 sogar um 1,7 Prozent gestiegen. Ein Umstieg auf bioti-sche Ressourcen kann einzelne Probleme lösen, führt aber oft zu neuen Belastungen in den Anbauregionen, wie das Beispiel Palmöl zeigt.

Der Energie- und Rohstoffeinsatz der deutschen Wirt-schaft ist somit nach wie vor zu hoch. Dieser hohe Be-darf führt zur Inanspruchnahme von Wasser und Flä-chen, zu massiven Eingriffen in Natur und Landschaft sowie zu Emissionen von Schadstoffen, Nährstoffen und Treibhausgasen in den Lieferländern der Rohstoffe, Halb- und Fertigwaren.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Gleichzeitig wächst in Deutschland ein wertvolles Sekundärrohstofflager heran, das sogenannte „an-thropogene Lager“, das als Rohstoffdepot genutzt werden kann („urban mining“). Von besonderer Mas-senrelevanz sind Gebäude, Infrastrukturen sowie langlebige Kapital- und Konsumgüter wie Maschinen, Haustechnik, Autos und Elektrogeräte. Der Bestand dieser Güter ist mittlerweile circa 75-mal größer als die jährlich neu aufgewendeten Materialien für die laufende Produktion. Der Gesamtgehalt an Metallen wie zum Beispiel Eisen/Stahl, Kupfer, Aluminium, Zink und zahlreichen Edel- und Sondermetallen über-steigt die nationalen geogenen, das heißt natürlich vorhandenen geologischen Reserven teilweise deut-lich; allerdings ist der Aufwand der Stoffseparierung zum Teil sehr hoch.

Nachhaltiger Konsum ist bisher ein Nischen thema.

Nachhaltiger Konsum muss den Weg aus den Nischen in den Alltag finden. Nach wie vor klafft eine große Lü-cke zwischen Wissen und Handeln. Notwendig ist eine Stärkung der Konsumkompetenz der Verbraucherin-nen und Verbraucher sowie der politischen Rahmen-bedingungen für nachhaltige Konsumweisen.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen erweiterte Produktkenn-zeichnungen von Lebensmitteln (zum Beispiel Fotos zur Haltungsform von Tieren). //

Noch bestehen gravierende Informationsdefizite im Hinblick auf die ökologischen und sozialen Bedin-gungen, unter denen Produkte – über die gesamte Lieferkette hinweg – hergestellt werden. Gleichzeitig fühlen sich viele Verbraucherinnen und Verbraucher von der Vielzahl der Produktkennzeichnungen über-fordert. Insgesamt ist das Verharren in gewohnten

Verhaltensmustern, sozialen Normen und Lebens-stilen noch weit verbreitet. Nicht den Produkten, sondern der Allgemeinheit zugerechnete Kosten (ver-gleiche Kapitel 3.2) sowie zahlreiche steuerliche Re-gelungen senden falsche und ökologisch fragwürdige Preissignale. In vielen Produktkategorien werden „grüne“ Produkte nur in sehr begrenztem Maße oder gar nicht angeboten.

Effizienzsteigerungen senken oft die Kosten für Pro-dukte oder Dienstleistungen. Häufig ist die Folge, dass freiwerdende Mittel zu vermehrter Nachfrage in diesem oder anderen Konsumsegmenten führen. Die ursprünglichen Umweltentlastungseffekte werden somit teilweise wieder aufgehoben („Rebound-Effekt“). Beispielsweise verbrauchen heutige Haushaltsgeräte weniger Strom als noch vor 30 Jahren; gleichzeitig sind Anzahl und Größe von Elektrogeräten im Haushalt al-lerdings gestiegen. Der durch die Nutzung von Elektro-geräten bedingte Stromverbrauch privater Haushalte stieg somit an.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

4.1.3 Leitziele und Maßnahmen

Leitziel I: Sozial-ökologische Markt-wirtschaft etablieren

Die Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft hin zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft und deren Etablierung muss sich auf eine umweltgerechte Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Minderung der von Deutschland ausgehenden weltweiten Umwelt-auswirkungen sowie ein neues Wohlfahrtsverständnis stützen. Übergreifende Maßnahmen, die auf diese drei Grundlagen abzielen, sind in Kapitel 3 formuliert. Die im Folgenden aufgeführten spezifischeren Maßnahmen ergänzen und differenzieren diese Ansatzpunkte mit dem Ziel einer klaren Konturierung der angestrebten Rahmenordnung einer sozial-ökologischen Marktwirt-schaft in einzelnen Branchen, Wertschöpfungsbereichen, Entscheidungsebenen und Innovationssystemen.

1. Branchenspezifische Roadmaps für nachhaltiges Wirtschaften

Im Dialog mit Wirtschaft und Gewerkschaften wollen wir branchenspezifische Roadmaps für nachhaltiges Wirtschaften initiieren, um Innovationspotenziale und

Wettbewerbsvorteile zu erschließen. Gemeinsam mit den betroffenen Branchen und Unternehmen sollten Ziele und Meilensteine für alle Stufen des Wertschöp-fungsprozesses identifiziert werden.

2. Nachhaltige Geschäftskonzepte in Wirt-schaft und Finanzwirtschaft etablieren

Initiativen und Ansätze nachhaltiger Unternehmens-führung und Geschäftskonzepte sind in Zusammen-arbeit mit allen relevanten Akteuren systematisch zu fördern, zum Beispiel durch:

→ Unterstützung von Lieferketten, Produktions- und Logistikprozessen, die Umwelt- und Sozialstandards einhalten, das Klima schützen sowie an die Folgen des Klimawandels angepasst sind. Damit soll die Integration von Umwelt- beziehungsweise Nach-haltigkeitsaspekten in das unternehmerische Kern-geschäft gefördert werden.

→ Verpflichtende Vorgaben für alle öffentlichen Förderinstitutionen hinsichtlich der Einhaltung ökologischer und sozialer Standards (national, auf EU-Ebene und international), zum Beispiel auf der Basis bestehender Umweltzeichenkriterien.

→ Etablierung von Standards für Nachhaltigkeits-berichterstattung und deren Integration in die Finanzberichterstattung von Unternehmen.

→ Förderung für grüne Start-ups mit ihrem heraus-ragenden Innovationspotenzial.

→ Aufbau eines Kompetenzzentrums für nachhaltige Finanzwirtschaft in breiter Trägerschaft unter an-derem von Finanzmarktakteuren, Stiftungen, Ver-braucherschutz und Umweltpolitik.

→ Nachhaltige Ratinginstrumente als Orientierungs-hilfe auf dem Finanzmarkt.

→ Verankerung von Umwelt- und Nachhaltigkeits-kompetenzen in der beruflichen und betrieblichen Ausbildung und Qualifizierung.

3. Anreize für Unternehmen mit Umwelt-managementsystem ausbauen

Das BMUB wird in der Bundesregierung darauf drän-gen, die Anreize für die Einführung von Umweltma-nagementsystemen zu verstärken. Insbesondere sollen staatliche Vergünstigungen und Vollzugserleichterun-gen systematisch an den Aufbau eines Umweltmanage-mentsystems gekoppelt und EMAS-Unternehmen bei der öffentlichen Beschaffung bevorzugt berücksichtigt werden. Im Jahr 2030 sollen alle Unternehmen über ein Umwelt- oder Nachhaltigkeitsmanagementsystem verfügen und mindestens 10.000 Organisationen in Deutschland nach EMAS registriert sein. Zudem wird das BMUB darauf hinarbeiten, dass die Lieferketten stärker in die unternehmerischen Managementsys-teme einbezogen und hierbei der Schutz der biologi-schen Vielfalt sowie auch Nachhaltigkeitsaspekte wie Menschenrechte, Arbeitspraktiken, faire Betriebs- und Geschäftspraktiken oder Korruptionsbekämpfung be-rücksichtigt werden.

Insgesamt strebt das BMUB die Etablierung umfassen-der Nachhaltigkeitsmanagementsysteme in privaten wie öffentlichen Unternehmen und Organisationen an, wobei insbesondere für kleine und mittlere Unter-nehmen tragfähige Ansätze konzipiert werden sollen. Das BMUB wird sich in Kooperation mit Ressorts und Finanzmarktakteuren dafür einsetzen, dass Umweltri-siken in den Portfolios von Banken und Versicherun-gen im Risikomanagement berücksichtigt und durch fördernde Eigen- wie Fremdkapitalregelungen abgesi-chert sind.

4. Grüne Qualifikationen für die Industrie 4.0

Um die wirtschaftlichen Chancen auf den grünen Zukunftsmärkten auch in Zeiten von Digitalisierung und dem Aufkommen einer „Industrie 4.0“ nutzen zu können, müssen genügend entsprechend ausgebildete Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Für die Umstel-lung auf eine nachhaltigere Wirtschaftsweise steht der Erwerb zusätzlicher Kompetenzen und Fähigkeiten im Mittelpunkt. Das BMUB wird mit Blick auf diese Anforderungen seine Angebote zur Nachhaltigkeit im Beruf weiter ausbauen und sich für ein Förderpro-gramm einsetzen, das die Vermittlung von Nachhal-tigkeitskompetenzen im Rahmen der beruflichen und betrieblichen Aus-, Fort- und Weiterbildung ermöglicht und dabei auch die Bildungsinstitutionen der öffent-lichen Verwaltungen mit einbezieht. Ein wesentliches

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Ziel der Qualifizierungen wird sein, die Potenziale von Digitalisierung und Industrie 4.0 zur Umweltentlastung frühzeitig zu erkennen und zu nutzen. Für eine hohe Wirkungskraft ist in der Konzeption und Umsetzung die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern, Stiftun-gen und weiteren Akteuren der Zivilgesellschaft von zentraler Bedeutung.

5. Strukturwandel in Regionen ökologischer Modernisierung nachhaltig begleiten

Die ökologische Modernisierung in Richtung nach-haltigen Wirtschaftens setzt in einzelnen Regionen, etwa mit starker Prägung durch die Kohlewirtschaft, Schwerindustrie oder hochindustrialisierte Intensiv-tierhaltung, einen umfassenden regionalen Struktur-wandel voraus. Für die betroffenen Regionen bedarf es deshalb eines entsprechenden Strukturförderfonds. Gemeinsam mit den Akteuren vor Ort sind Innovati-onsstrategien zu erarbeiten, die unter Verwendung von Mitteln aus dem Fonds unter anderem die Ansiedlung nachhaltigkeitsorientierter Unternehmen und For-schungseinrichtungen fördern.

Leitziel II: Klimaschutz und Energie-wende fortsetzen und weiterentwickeln

Die Energiewende basiert auf dem Energiekonzept der Bundesregierung (2010/2011). Eine ganze Reihe von Gesetzen, Programmen und Strategien dient dazu, den Transformationsprozess Schritt für Schritt voranzutrei-ben. Aus Sicht des BMUB sind folgende Maßnahmen von zentraler Bedeutung, um den Klimaschutz zu för-dern und die Energiewende zielgerichtet, kohärent und naturverträglich fortzusetzen:

6. Klimaschutzplan 2050

Die deutsche Klimaschutzpolitik orientiert sich im Lichte des Paris-Abkommens am Leitbild einer weitgehenden Treibhausgasneutralität bis 2050. Die bisherigen energiepolitischen Ziele des Energiekon-zepts der Bundesregierung (beispielsweise die Ziele zur Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien) sind auf eine Minderung der Treibhausgasemissio-nen um 80 bis 95 Prozent bis 2050 ausgerichtet. Spä-testens seit Paris ist klar, dass diese Ziele Mindest-ziele darstellen, die möglichst schon früher erreicht werden müssen.

Die Bundesregierung richtet den Klimaschutzplan 2050 mittelfristig am Ziel aus, die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis spätestens 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken. Entsprechend sollen die Treibhausgasemissionen bis spätestens 2040 um mindestens 70 Prozent gesenkt werden.

Im Pariser Abkommen ist zudem verankert, dass alle Vertragsstaaten regelmäßig prüfen, wie sie ihre Min-derungsbeiträge erhöhen können. Im Zuge der Erar-beitung weiterer Klimaschutzpläne sollten die hier verankerten Mindestziele daher überprüft und soweit wie möglich angehoben werden.

7. Erneuerbare Energien: Sektorenkopplung vorantreiben

Das BMUB wird sich dafür einsetzen, dass nicht nur im Stromsektor, sondern auch im Gebäude- und Mo-bilitätssektor, in der Industrie und im Bereich von Ge-werbe, Handel und Dienstleistungen (GHD) Strom aus erneuerbaren Energien eingesetzt wird und dass die hierfür notwendigen Technologien – vor allem „Power-to-Gas“ (Umwandlung erneuerbaren Stroms in Wasser-stoff beziehungsweise Methan) und „Power-to-Liquid“ (Umwandlung erneuerbaren Stroms in flüssige Kraft-stoffe) – weiterentwickelt werden. Dabei ist wichtig, dass neben dem Stromsektor künftig auch die weiteren genannten Sektoren angemessen zur Finanzierung der Energiebereitstellung aus erneuerbaren Energien und der notwendigen Infrastruktur beitragen. Daraus fol-gen auch nachhaltigere Erlöspotenziale für die erneu-erbare Energieerzeugung und -bereitstellung.

8. Erneuerbare Energien naturverträglich ausbauen

Der Ausbau von Photovoltaikanlagen soll vorzugsweise auf oder an Gebäuden erfolgen und damit einen Beitrag zur Akteursvielfalt bei der Energiewende leisten. Pho-tovoltaik-Freiflächenanlagen verstärken demgegenüber die Flächenkonkurrenzen zwischen den verschiedenen Flächennutzungen und erhöhen damit unter anderem auch den Druck auf ökologisch wertvolle Flächen.

Das BMUB wird sich dafür einsetzen, dass Bioenergie ausschließlich aus Rest- und Abfallstoffen gewon-nen wird und Kaskadennutzungen stärker berück-sichtigt werden. Der Energiepflanzenanbau führt zu einer Intensivierung der Landwirtschaft mit den

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen dezentrale Energie - er zeu gung und den Ausbau erneuer-barer Energien. // (bei Windkraft kontrovers)

entsprechenden negativen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, Gewässer, Luft und Böden, und er verschärft die Flächen- und Nutzungskonkurrenzen mit der Erzeugung von Nahrungs- und Futtermitteln. Wegen der landwirtschaftlichen Erzeugung liefert Bio-energie aus Anbaubiomasse außerdem eine zu geringe Minderung an Treibhausgasemissionen.

Die Nutzung der verschiedenen zur Verfügung ste-henden Möglichkeiten der Raumordnung kann einen wichtigen Beitrag für eine effiziente Steuerung des Ausbaus der erneuerbaren Energien leisten. Das BMUB wird sich dafür einsetzen, dass durch eine konsequente Anwendung dieses Instruments geeignete Flächen für die Nutzung erneuerbarer Energien ausgewiesen wer-den und dadurch die identifizierten naturschutzfach-lich besonders wertvollen Flächen frühzeitig erkannt und geschützt werden.

In Nationalparken, Kern- und Pflegezonen von Bio-sphärenreservaten, Naturschutzgebieten und Natura-2000-Gebieten sollen keine Anlagen errichtet werden.

9. Emissionshandel weiterentwickeln

Die bereits beschlossene Reform des Emissionshan-dels durch die Einführung der Marktstabilitätsreserve ist ein wichtiger Schritt zur Wiederherstellung seiner Anreizfunktion. So sollen die Überschüsse im Emissi-onshandel sukzessive abgebaut werden und das System künftig flexibler auf starke Nachfrageschwankungen reagieren können. Die Reform ist auf Dauer angelegt, und sie muss regelmäßig daraufhin überprüft werden, ob die getroffenen Regelungen auch zukünftig ange-messen sind.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Für die umfassende Überarbeitung des EU-Emissions-handels ab 2021 muss darauf geachtet werden, dass die Rahmenbedingungen für die kommende Handelsperi-ode bis 2030 so gesetzt werden, dass sich ein robustes, auf Knappheit beruhendes Preissignal einstellt, mit dem die Beteiligten verlässlich planen können. Indem der EU-Emissionshandel die angemessenen Anreize für Investitionen und Emissionsminderungen setzt, wer-den die EU-Klimaschutzziele auf kosteneffiziente Weise erreicht.

Eine Vorbedingung für die Verknüpfung des EU-Emis-sionshandels mit Emissionshandelssystemen anderer Staaten und Regionen ist eine Harmonisierung der Systeme und eine Festlegung auf bestimmte Standards, zum Beispiel bei der Überwachung der Emissionen in beteiligten Unternehmen. Dazu sind sowohl Ka-pazitätsmaßnahmen in Entwicklungs- und Schwel-lenländern notwendig, die Emissionshandelssysteme aufbauen, als auch ein kontinuierlicher Dialog auf technischer und politischer Ebene zwischen existieren-den Systemen.

10. Ambitionierte Energieeffizienzstrategie

Das BMUB wird sich dafür einsetzen, dass die Bundes-regierung bis 2020 eine umfassende und langfristig ausgerichtete strategische Herangehensweise ent-wickelt, um die Energieeffizienz in allen Handlungs-feldern deutlich voranzubringen. Dazu zählt auch die Fortschreibung der Maßnahmen des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz (NAPE) über das Jahr 2020 hinaus. Diese Strategie soll danach regelmäßig im Lichte der Klimaschutzziele und des jeweiligen Umset-zungsfortschritts fortgeschrieben werden. Erforderlich ist ein gut abgestimmter Instrumentenmix (Beratung und Information, Förderung und andere finanzielle Anreize, Ordnungsrecht, Forschung und Innovation).

11. Netzausbau beschleunigen, Lasten besser verteilen, die Entwicklung von Speicher-technologien fördern

Das BMUB wird dafür werben, dass die Bundesregie-rung in einer umfassenden Initiative Hemmnisse beim Netzaus- und -umbau sowohl auf Übertragungs- als auch auf Verteilebene identifiziert und geeignete Maß-nahmen für eine Beschleunigung des Ausbaus entwi-ckelt. Dabei sollen diejenigen Regionen identifiziert werden, in denen Netzengpässe und die Abregelung der Einspeisung erneuerbarer Energien besonders häufig

auftreten und hierfür kurz- und mittelfristige Gegen-maßnahmen eingeleitet werden. In den identifizierten Regionen sollen Modelle zur lokalen Nutzung des abgeregelten Stroms entwickelt und erprobt werden, insbesondere durch Sektorenkopplung, Lastmanage-ment und andere Flexibilisierungsoptionen sowie auch durch den Einsatz von Energiespeichern. Eine starke Bürgerbeteiligung muss gewährleistet sein.

Das BMUB wird in der Bundesregierung darüber hin-aus dafür eintreten zu prüfen, ob durch den derzeitigen gesetzlichen und regulatorischen Rahmen die not-wendigen Impulse für einen intelligenten Netzausbau auf der Verteilnetzebene gesetzt werden und wie eine weitere Digitalisierung im Verteilnetz vorangebracht werden kann.

12. Kohleverstromung sozialverträglich und regionalwirtschaftlich verantwortungsvoll beenden

Für die erfolgreiche Fortführung der Energiewende und insbesondere um die Klimaschutzziele zu errei-chen, ist eine schrittweise Reduzierung der Kohlever-stromung in Deutschland notwendig. Dieser Prozess muss sozial- und industriepolitisch sowie regionalwirt-schaftlich klug organisiert werden und bedarf einer breiten Verankerung in der Gesellschaft. Das BMUB wird sich dafür einsetzen, dass die Stromerzeugung auf Basis von Kohle in einem breiten Dialog mit allen Beteiligten rechtzeitig vor 2050 beendet wird. Bei der schrittweisen Reduzierung der Kohleverstromung müssen die sozialen und regionalwirtschaftlichen Belange berücksichtigt, der Rückbau der bestehenden Anlagen und die Rekultivierung der Braunkohlefolge-landschaften sichergestellt werden.

13. Klimafreundliches Bauen und Wohnen

Die im Herbst 2015 von der Bundesregierung verab-schiedete Effizienzstrategie Gebäude zeigt einen robus-ten Pfad hin zu einem klimaneutralen Gebäudebestand, der gleichzeitig auf die beiden wesentlichen Eckpfeiler Effizienz und erneuerbare Energien setzt. Damit dies gelingt, gilt es, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten alle vorhandenen technischen und ökonomischen Po-tenziale zu nutzen und Fehlinvestitionen zu vermeiden. Im Gebäudebereich bedeutet Klimaschutz vor allem die Notwendigkeit eines langfristig angelegten, verlässli-chen und umfangreichen Investitions- und Modernisie-rungs-, Forschungs- und Entwicklungs programms.

Darüber hinaus erfordert Klimaschutz nicht nur ener-gieeffiziente, emissionsarme Lösungen, sondern auch ressourcenschonende Bauweisen, die Verwendung nachhaltiger und damit möglichst ressourcenschonen-der Baustoffe.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen, dass Leerstand für bezahl-baren Wohnraum genutzt wird, zum Beispiel durch Wiedernutzungsfristen. //

Für das Wohnen der Zukunft sind städtebauliche, sozi-ale und raumplanerische Aspekte aber ebenso wichtig wie energetische und ressourcenbezogene Fragen. Zen-trales Ziel des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen ist daher die Erhaltung und Schaffung bezahl-baren Wohnraums insbesondere auch für untere und mittlere Einkommensschichten. Bei der Gebäudesanie-rung kommt es auch darauf an, das unverwechselbare Erscheinungsbild der baukulturell wertvollen Gebäu-desubstanz und historischer Quartiere zu bewahren.

14. Endlagerung radioaktiver Abfälle: wissenschaftsbasierte und transparente Standort auswahl

Mit der Einsetzung der Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe des Bundestags“ („Endlager-Kommission“) wurde ein wissenschaftsbasiertes und transparentes Verfahren zur Lösung der grundlegen-den, generationsübergreifenden Fragen der Endla-gerung hoch radioaktiver Abfälle eingeleitet. Sobald der Bundestag auf Grundlage der Empfehlungen der Endlager-Kommission über das weitere Auswahl-verfahren entschieden hat, wird das BMUB dieses Verfahren – einschließlich der darin enthaltenen Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung – umset-zen. Derzeit wird das Endlager Konrad für die End-lagerung radioaktiver Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung errichtet. Es soll im Jahr 2022 in Betrieb genommen werden.

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Leitziel III: Konsum- und Ressourcen-wende einleiten

Die Bundesregierung hat beschlossen, dass bis zum Jahr 2030 in Deutschland die Gesamtrohstoffproduk-tivität gegenüber 2010 um mindestens 30 Prozent steigen soll. Die Bundesregierung strebt an, den Roh-stoffbedarf für inländischen Konsum und Investitio-nen (RMC/Kopf) weiter zu verringern. Der Marktanteil von Produkten und Dienstleistungen, die mit staatlich anerkannten Umwelt- und Sozialsiegeln ausgezeich-net sind, soll bis 2030 deutlich steigen.

Die Bundesregierung hat mit dem Nationalen Pro-gramm für nachhaltigen Konsum sowie mit dem fort-geschriebenen Ressourceneffizienzprogramm (Prog-Ress II) im Frühjahr 2016 wichtige Meilensteine auf dem Weg hin zu einer Konsum- und Ressourcenwende gesetzt.

Das BMUB wird mit folgenden zusätzlichen Maßnah-men das nachhaltige Wirtschaften in diesen Bereichen unterstützen und vorantreiben:

15. Verlängerung der Nutzungsdauer von Elektrogeräten

Die Herstellungsphase hat bei Produkten häufig die größten Umweltwirkungen des gesamten Lebens-zyklusses zu verzeichnen. Es ist daher sinnvoll, eine möglichst lange Nutzungsdauer zu erzielen. Das BMUB wird eine Strategie entwickeln, die durch Ein-satz verschiedener Instrumente eine Verlängerung der Nutzungsdauer erreichen soll. Denkbar sind hier zum Beispiel Anforderungen für eine Mindest-Lebensdauer sowie Vorgaben für Reparaturfähigkeit und Aufrüstbarkeit. Auch Möglichkeiten für Ände-rungen im Gewährleistungsrecht sowie verpflich-tende Aussagen zur Haltbarkeit von Produkten sol-len geprüft werden.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen, dass die Lebensdauer von Produkten verlängert wird, zum Beispiel durch längere Gewährleistung. //

16. Zweites Preisschild für Sozial- und Umwelt kosten von Produkten

Das BMUB wird ein Konzept für ein „zweites Preis-schild“ entwickeln, das die Umweltwirkungen, also unter anderem Umweltschäden und Ressourcenver-brauch, von besonders umweltrelevanten Produkten und Dienstleistungen darstellen soll. Ziel ist, Ver-braucherinnen und Verbrauchern eine nachhaltige Kaufentscheidung zu erleichtern. Langfristiges Ziel des BMUB ist, dass bei möglichst vielen Produkten und Dienstleistungen der Preis die tatsächlichen gesell-schaftlichen Kosten widerspiegelt. Neben der Internali-sierung der „externen Umweltkosten“ sind hierbei auch die „sozialen Kosten“ zu berücksichtigen.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen eine umfassendere Pro-duktkennzeichnung, zum Beispiel CO2-Emissionen, Inhaltsstoffe in Prozent, Herkunft. //

17. Weitere verpflichtende Nachhaltigkeits-kriterien für die öffentliche Beschaffung

In einem ersten Schritt hat das BMUB durch das Maß-nahmenprogramm Nachhaltigkeit sowie durch die im April 2016 abgeschlossene nationale Vergaberechts-reform darauf hingewirkt, dass Umweltkriterien stär-ker als bisher bei der Auftragsvergabe berücksichtigt werden können. Zudem wird das BMUB in der Bundes-regierung im Rahmen der Weiterentwicklung des Maß-nahmenprogramms Nachhaltigkeit darauf hinwirken, dass mehr umweltverträgliche Produkte und Dienst-leistungen als bisher beschafft werden. Zu diesem Zweck wird das BMUB sich dafür einsetzen, dass in den wichtigsten umweltrelevanten Beschaffungsbereichen des Bundes verpflichtende Nachhaltigkeitskriterien eingeführt werden.

18. Eine glaubwürdige multimediale Infor-mationsbasis für nachhaltigen Konsum

Informationen für Verbraucherinnen und Verbrau-cher zu nachhaltigem Konsum gibt es bereits in gro-ßer Zahl, insbesondere im Internet. Diese Informatio-nen sind häufig eher verwirrend als hilfreich. Zudem ist die Information zumeist nicht dort vorhanden, wo die eigentlichen Kaufentscheidungen getroffen wer-den. Durch die Schaffung und Etablierung eines (mul-timedialen) „Standardportals“ der Bundesregierung für nachhaltigen Konsum soll den Verbraucherinnen und Verbrauchern der Einstieg und der Zugang zu glaubwürdigen Informationen leicht gemacht wer-den. Durch eine zentrale Anlaufstelle (Kompetenz-zentrum) sollen Informationen sowohl für bestimmte Zielgruppen (zum Beispiel in Form einer Best-Practice Plattform für Initiativen zu sozialen Innovationen) als

auch individualisiert zur Verfügung gestellt werden können. Durch Ausbau von Umweltzeichensystemen wie dem Blauen Engel, Aufnahme entsprechender In-formationen in Apps, Barcodes, Produkt-Suchmaschi-nen und anderen Instrumenten können die Informa-tionen den Verbraucherinnen und Verbraucher auch am Ort und zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung zur Verfügung stehen.

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4.2 Zukunftsfähige Land wirtschaft, intakte Natur

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Erfolge und positive Entwicklungen

→ Zum Schutz der biologischen Vielfalt wurden auf inter nationaler, europäischer und nationaler Ebene ambitionierte Strategien und Zielsysteme entwickelt.

→ National und international wurden Erfolge im Artenschutz und bei der Ausweisung neuer Schutz-gebiete erzielt.

→ Für den Schutz der Gewässer und Meere sind umfassende Regelungswerke in Kraft.

→ Einträge von Schad- und Nährstoffen in die Ökosysteme wurden in den letzten Jahren gemindert.

Herausforderungen und neue Aufgaben

→ Der sichere Handlungsraum zur Biodiversität ist verlassen: In Deutschland und weltweit verringert sich die biologische Vielfalt, viele Arten und Lebensräume sind bedroht.

→ Die Landwirtschaft wird vielfach nicht umwelt- und natur gerecht betrieben und verursacht weiterhin zu hohe Schad- und Nährstoffeinträge in die Ökosysteme.

→ Der Wert und der Nutzen von Natur und ihrer Ökosystemleistungen als Lebensgrundlage werden nicht ausreichend erkannt.

→ Fischerei wird häufig nicht naturverträglich betrieben und ist auch in Meeresschutzgebieten noch nicht eingeschränkt.

→ Böden werden noch unzureichend geschützt und weiter versiegelt.

→ Es gibt in Deutschland nach wie vor zu wenig Flächen, auf denen sich die Natur vom Menschen ungestört entwickeln kann.

→ Die Bewirtschaftung der Wälder ist vielerorts noch nicht hinreichend naturnah gestaltet.

→ Das Wissen über den Zustand und die Entwicklung der biologischen Vielfalt in Deutschland ist nicht zufriedenstellend.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Leitziele und Maßnahmen

Leitziel I: Landwirtschaft zukunftsfähig gestalten

1. Öffentliche Debatte über ein Leitbild „Zukunftsfähige Landwirtschaft“

2. EU-Agrarförderung: Ökologisierung stärken, Direktzahlungen schrittweise abschaffen und in Förderungen für gesellschaftliche Leistungen umwandeln

3. Ökolandbau stärker fördern

4. Umweltverträglichkeit der Tierhaltung sicherstellen

5. Nationale Stickstoffstrategie

6. Pflanzenschutzmittel: Einsatzmengen mindern, Umweltauswirkungen begrenzen

7. Sicheres Einkommen für Landwirte: Faire Erzeugerpreise

Leitziel II: Biologische Vielfalt schützen und nachhaltig nutzen

8. Naturschutz- Offensive 2020 umsetzen

9. Bodenschutz: Rechtlichen Rahmen weiterentwickeln, Vollzug stärken

10. Fischereipolitik naturverträglich ausgestalten und Fischerei in Meeresschutzgebieten regulieren

11. Mehr Wildnis ermöglichen, Wälder flächendeckend naturnah bewirtschaften

12. Biodiversitätsaußenpolitik der Bundesregierung

13. Biodiversitätskonvention: Internationale Umsetzung des „Strategischen Plans“ fördern

Leitziel III: Naturschutzpolitik handlungsfähiger machen

14. Umfassendes bundesweites Biodiversitätsmonitoring

15. BMUB- Mitentscheidungsrechte bei EU- Agrar- und - Fischereipolitik stärken

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Umsetzung von globalen Nach haltigkeits zielen und Zielen des 7. EU-Umweltaktionsprogramms

Die Ziele und Maßnahmen des Integrierten Umweltprogramms tragen zur Umsetzung von globalen Nachhaltigkeitszielen und Zielen des 7. EU-Umweltaktionsprogramms bei (Auswahl):

ó Globale Nachhaltigkeitsziele (SDG)

SDG 2: Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nach-haltige Landwirtschaft fördern

SDG 14: Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nach-haltig nutzen

SDG 15: Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nach-haltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodenverschlechterung stoppen und umkehren und den Biodiversitätsverlust stoppen

ó Prioritäre Ziele des 7. EU-Umweltaktions programms (7. UAP)

Prioritäres Ziel 1: Schutz, Erhaltung und Verbesserung des Naturkapitals der Union.

→ Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt: Die 2007 von der Bundesregierung verabschiedete Strategie berücksichtigt alle biodiversitätsrelevanten Bereiche. Sie enthält rund 330 Ziele, circa 430 Maßnahmen und ein Set an Indikatoren, um diese zu kontrollieren und weiter zu entwickeln.

→ Bundesprogramm Biologische Vielfalt: Das Programm unterstützt seit Anfang 2011 die Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt durch Förderung ausgewählter Vorhaben.

→ Nationales Naturerbe: Seit 2005 wurden insgesamt 156.000 Hektar wertvolle Naturflächen in Bundes-besitz von der Privatisierung ausgenommen und unentgeltlich an Länder, Naturschutzstiftungen und Naturschutzverbände übertragen.

→ Natura 2000: Dieses EU- weite Netz von Schutzgebieten zur Erhaltung gefährdeter oder typischer Lebensräume und Arten ist mit über 18 Prozent der Landfläche der EU das größte Schutzgebietsnetz weltweit.

→ EU-Biodiversitätsstrategie bis 2020: Die 2011 von der EU- Kommission vorgelegte Strategie legt die politischen Rahmenbedingungen für das Handeln auf EU- Ebene fest.

→ EU- Wasserrahmenrichtlinie (WRRL): Die 2000 in Kraft getretene WRRL fordert, dass Flüsse, Seen, Küstengewässer und das Grundwasser bis zum Jahr 2015 in einem „guten Zustand“ sind.

Laufende und weiterzuentwickelnde politische Vorhaben (Auswahl)

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→ EU- Meeresstrategie- Rahmenrichtlinie (MSRL): Die 2008 in Kraft getretene MSRL soll bis 2020 einen „guten“ Umweltzustand für alle europäischen Meere realisieren.

→ Oberflächenwasserverordnung: Die im Dezember 2015 von der Bundesregierung beschlossene neue Verordnung regelt chemische, physikalische und biologische Anforderungen an Oberflächengewässer.

→ Grundwasserverordnung: Die Verordnung stellt Kriterien für die Beschreibung, Beurteilung, Einstu-fung und Überwachung des Grundwasserzustands auf.

→ Düngeverordnung: Die Bundesregierung arbeitet an der Novellierung der Verordnung, um landwirt-schaftliche Stickstoffeinträge in die Umwelt zu verringern.

→ Biodiversitätsprojekte im Rahmen der Internationalen Klimaschutzinitiative (IKI): Seit 2008 fördert die IKI Investitionen zum Schutz des Klimas und der Biodiversität im Ausland. Bis 2015 konnten damit über 600 Millionen Euro für die biologische Vielfalt weltweit bereitgestellt werden.

4.2.1 Erfolge und positive Entwicklungen

Zum Schutz der biologischen Vielfalt wurden auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene ambitionierte Strategien und Zielsysteme entwickelt.

Seit 1993 ist das internationale Übereinkommen über die biologische Vielfalt in Kraft. Ziel dieser „Biodiver-sitätskonvention“ ist, den Verlust der biologischen Vielfalt weltweit signifikant zu verlangsamen und schließlich ganz zu stoppen. Unterlegt wird dies durch den „Strategischen Plan“ 2011 bis 2020 der Konvention mit seinen fünf strategischen Zielen und den 20 „Aichi-Biodiversitätszielen“. Der Strategische Plan bildet die Grundlage für die nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne der Vertragsstaaten, die der Umset-zung der globalen Ziele dienen. Der aktuelle Strategi-sche Plan verfolgt das Ziel, bis 2020 den gegenwärtigen Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten.

Die europäische Umweltpolitik ist für die Erhaltung einer intakten Natur von besonderer Bedeutung. Her-vorzuheben ist die EU-Biodiversitätsstrategie 2020, die sich sowohl an die EU-Kommission selbst als auch an die Mitgliedstaaten richtet und die die Erhaltung von biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen zum Ziel hat. Ohne die einschlägigen Richtlinien der EU wä-ren die Erfolge im Natur-, Meeres- und Gewässerschutz nicht denkbar: Durch die EU-Vogelschutz- und die

Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) wurde in den letzten 30 Jahren das weltweit beispielhafte Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ aufgebaut, das EU-weit über 26.000 Schutzgebiete umfasst. Dies entspricht über 18 Prozent der Landfläche der EU.

Mit der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt hat die Bundesregierung 2007 ein umfassendes Hand-lungsprogramm mit Visionen, Zielen und Maßnahmen beschlossen. Die Strategie umfasst alle biodiversitäts-relevanten Bereiche und richtet sich an staatliche und nicht staatliche Akteure in Deutschland.

National und international wurden Erfolge im Artenschutz und bei der Ausweisung neuer Schutzgebiete erzielt.

Dass in Deutschland heute wieder Wölfe leben und auch andere Tierarten wie Biber, Luchs, Wildkatze, Schwarzstorch, Seeadler, Uhu und Wanderfalke wieder vermehrt vorkommen, ist ein Erfolg strenger gesetz-licher Artenschutzbestimmungen und Artenhilfs-maßnahmen. Informations- und Kommunikations-kampagnen tragen dazu bei, die Akzeptanz vor allem gegenüber räuberisch lebenden Tieren, insbesondere den Wölfen, zu erhöhen.

Die Zahl der geschützten Gebiete in Deutschland ist beträchtlich: 17 Biosphärenreservate, 16 National-parke und über 100 Naturparke, die zusammen etwa

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30 Prozent der Landesfläche einnehmen. Darüber hi-naus sind im Nationalen Naturerbe insgesamt 156.000 Hektar Bundesflächen für den Naturschutz gesichert.

Der deutsche Beitrag zum europäischen Schutzgebiets-netz Natura 2000 umfasst die im Rahmen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie gemeldeten circa 5.200 Gebiete, die 15,5 Prozent der Landfläche und rund 45 Prozent der marinen Fläche einnehmen. Die rechtliche Unterschutz-stellung und die Festlegung von Schutzmaßnahmen für die FFH-Gebiete in Deutschland sind in vollem Gange; für jeweils mehr als die Hälfte der FFH-Gebiete konnten diese Maßnahmen bereits abgeschlossen werden.

Auch weltweit hat der Flächenanteil von Naturschutz-gebieten und Nationalparks in den letzten Jahrzehn-ten kontinuierlich zugenommen und liegt nun bei 15,4 Prozent der globalen Landfläche.

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Für den Schutz der Gewässer und Meere sind umfassende Regelungswerke in Kraft.

Weitere rechtlich verbindliche Zielsetzungen auf europäischer Ebene legen die EU-Wasserrahmen-richtlinie (EU-WRRL) von 2000, die EU-Hochwas-serrisikomanagement-Richtlinie von 2007 und die EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (EU-MSRL) von 2008 fest, die zum Teil auf europäischer Ebene (zum Beispiel im Rahmen der Fischereipolitik), zum Teil in Deutschland durch innerstaatliches Recht, vor allem durch das Wasserhaushaltsgesetz, umgesetzt werden. Der Vollzug erfolgt auf Ebene von Ländern und Kom-munen. Diese Richtlinien verlangen von allen Mit-gliedstaaten, Gewässer- und Meeresschutz nach ein-heitlichen fachlichen Grundsätzen zu betreiben und im Umsetzungsprozess eng zusammenzuarbeiten. In diesem Gefüge spielen die bereits vor Jahrzehn-ten etablierten Meeresschutzkooperationen OSPAR (Nordsee/Nordostatlantik) und HELCOM (Ostsee) sowie die internationalen Flussgebietskommissionen oder die trilaterale Wattenmeer-Zusammenarbeit eine bedeutende Rolle.

Im Dezember 2013 wurde die Reform der Gemeinsa-men Fischereipolitik (GFP) vom EU-Parlament offiziell verabschiedet und gilt seit Jahresbeginn 2014 in allen Gewässern der Europäischen Union. Ein Kernpunkt der Reform ist die Nachhaltigkeit. Die schädlichen Auswir-kungen der Fischerei auf das Meeresökosystem sollen auf ein Mindestmaß reduziert und eine nachhaltige Nutzung der Meeresressourcen umgesetzt werden. Auch die erforderlichen Beschränkungen der Fische-rei in Meeresschutzgebieten können im Rahmen der

Gemeinsamen Fischereipolitik (Verordnung über die Gemeinsame Fischereipolitik) festgelegt werden.

Unter deutscher Federführung wurden globale und re-gionale Aktionspläne zur Bekämpfung von Meeresmüll innerhalb des G7-Prozesses und der Regionalkooperati-onen OSPAR sowie HELCOM verabschiedet. Im Rahmen der Umsetzung der EU-MSRL wird ein umfassendes Pro-gramm für die heimische Nord- und Ostsee aufgestellt.

Einträge von Schad- und Nährstoffen in die Ökosysteme wurden in den letzten Jahren gemindert.

Stoffeinträge aus Industrieanlagen in Gewässer, Böden und die Luft wurden in den letzten Jahren deutlich gemindert. Dies gilt auch für Einträge reaktiver Stick-stoffverbindungen in die Umwelt, insbesondere aus Energiewirtschaft, Verkehr und Industrie. Verbesserun-gen des chemischen Gewässerzustandes seit 1985 sind vor allem darauf zurückzuführen, dass in kommunale und industrielle Kläranlagen investiert wurde.

In den vergangenen Jahren wurden jährlich rund 1.000 Altlasten-Flächen saniert, in der Summe ist ihre Gesamtzahl auf fast 30.000 angewachsen. Bis zum Jahr 2013 waren mehr als ein Viertel aller Verdachts-flächen hinsichtlich ihrer Gefährdung bewertet. Die Jahrhundert aufgabe einer vollständigen Sanierung aller Altlasten wird Schritt für Schritt durchgeführt.

4.2.2 Herausforderungen und neue Aufgaben

Der sichere Handlungsraum zur Biodiversität ist verlassen: In Deutschland und weltweit verrin-gert sich die biologische Vielfalt, viele Arten und Lebensräume sind bedroht.

Die planetare Belastbarkeitsgrenze zur biologischen Vielfalt ist weit überschritten (vergleiche Kapitel 1.2 und 1.3): Weltweit sind viele Arten und Lebensräume bedroht. Allen Bemühungen zum Trotz nimmt auch in Deutschland die biologische Vielfalt kontinuierlich ab. Dem 2015 vorgelegten Indikatorenbericht zur Nationa-len Strategie zur biologischen Vielfalt zufolge liegt bei fast allen Indikatoren zwischen dem Ist-Zustand und den jeweiligen Zielwerten ein weiter Abstand. Eines der größten Defizite besteht beim zentralen Indikator „Artenvielfalt und Landschaftsqualität“: Dort geht die Schere zwischen Ist-Zustand und Zielwert immer wei-ter auseinander.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen, dass bis 2030 Trinkwas-ser, Flüsse und Seen sauber sind. //

Rund 90 Prozent der Flüsse, Bäche und Seen in Deutschland haben bislang die Ziele der EU-Was-serrahmenrichtlinie (WRRL) nicht erreicht. Die häu-figsten Ursachen sind zum einen Verbauung, Begra-digung und auch die durch Wehre unterbrochene Durchgängigkeit der Fließgewässer, zum Beispiel für Fische, und zum anderen die zu hohen Stoffeinträge, die vor allem aus der Landwirtschaft in die Gewässer gelangen. 36 Prozent aller Grundwasserkörper befin-den sich, vor allem aufgrund zu hoher Nitratwerte, in einem schlechten Zustand. Ursachen für das Verfehlen des guten Umweltzustands der deutschen Küsten- und Meeresgewässer als zentralem Ziel der EU-Meeresstrategierahmenrichtlinie (MSRL) sind Belastungen durch Fischerei, Überdüngung durch Emissionen aus der Landwirtschaft, Schadstoffe, Müll und Lärm.

Die Landwirtschaft wird vielfach nicht umwelt- und naturgerecht betrieben und verursacht wei-terhin zu hohe Schad- und Nährstoffeinträge in die Ökosysteme.

Die intensive Landwirtschaft in Deutschland hat er-hebliche negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt (vergleiche Kapitel 2.2.3). In den letzten zehn Beobachtungsjahren (2001 bis 2011) hat sich der Indi-kator für die Artenvielfalt und Landschaftsqualität der Nationalen Strategie zu biologischen Vielfalt gerade im Agrarland deutlich verschlechtert. Er ist auf den bisher tiefsten Wert abgesunken und weit vom Zielwert ent-fernt. Vor diesem Hintergrund muss an der Agrar politik dringend etwas geändert werden, um den Verlust der biologischen Vielfalt in der Kulturlandschaft zu stoppen und Umweltziele für Böden und Gewässer zu erreichen.

So ist zum Beispiel die wichtigste Quelle für Stick-stoffemissionen in die Umwelt mit 63 Prozent die Landwirtschaft. Während die Stickstoffemissionen aus Verkehr und Industrie seit Jahrzehnten sinken, hat die

Landwirtschaft zur Minderung bisher vergleichsweise wenig beigetragen. Das Ziel der Nationalen Nachhal-tigkeitsstrategie, die landwirtschaftlichen Stickstoff-überschüsse bis 2010 auf 80 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr zu reduzieren, wurde mit einem Überschuss von 96 Kilogramm Stickstoff pro Hektar deutlich verfehlt. Seitdem ist keine Verbesserung zu erkennen.

Besondere Bedeutung für das Erreichen einer zu-kunftsfähigen Landwirtschaft hat die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP), die mit ihrem Fördersystem ganz wesentlich das Verhalten der landwirtschaftli-chen Betriebe steuert. Trotz einer stärkeren Betonung ökologischer Aspekte bei der Agrarreform von 2013 (sogenanntes „Greening der 1. Säule“) erhalten in den Jahren 2014 bis 2020 Landwirtinnen und Landwirte aus dem EU-Haushalt 311 Milliarden Euro allein dafür, dass sie Landwirtschaft betreiben (sogenannte 1. Säule der EU-Agrarpolitik). Die Umweltanforderungen des „Greenings“ und der „Cross Compliance“ (Bindung bestimmter EU-Agrarzahlungen an Verpflichtungen aus den Bereichen Umweltschutz, Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze sowie Tierschutz) sowie das landwirtschaftliche Fachrecht sind offenkundig nicht ausreichend, um eine umweltgerechte Landwirtschaft zu erreichen. Die Änderung der bestehenden Förder-strukturen ist deshalb eine der wichtigsten politischen Herausforderungen für eine intakte Natur.

Auch wenn allgemein anerkannt ist, dass sich in der Landwirtschaft dringend etwas ändern muss, bestehen in der Gesellschaft derzeit sehr unterschiedliche Vor-stellungen davon, welche Art der Landwirtschaft künf-tig wünschenswert ist. Dabei reichen die Zukunftsbil-der von regionalem, kleinbäuerlichem Ökolandbau auf 100 Prozent der Fläche bis hin zu einer hochtechni-sierten und hocheffizienten Landwirtschaft, die durch große Unternehmen und Konzerne geprägt ist.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen, dass Regionalität geför-dert wird (zum Beispiel Begrenzung von Tiertransporten, keine importierten Futtermittel, Exportverbot von Nah-rungsmittel-Überschüssen). //

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Der Wert und der Nutzen von Natur und ihren Ökosystemleistungen als Lebensgrundlage werden nicht ausreichend erkannt.

Viele Menschen sind davon überzeugt, dass Natur grundsätzlich schützenswert ist. Das Verständnis, dass Natur und Landschaft auch „auf Grund ihres eigenen Wertes“ und aus Vorsorge zu erhalten sind, ist weniger verbreitet. Auch dass Natur die elementare Grundlage für die Wirtschaft und das Wohlergehen der Menschen ist, wird eher abstrakt wahrgenommen. 92 Prozent der Menschen in Deutschland sind laut der Naturbewusst-seinsstudie 2013 zwar der Meinung, dass die Natur zu einem „guten Leben“ dazugehört. Welche konkreten Leistungen intakte Ökosysteme für das tägliche Leben erbringen, ist vielen Menschen jedoch nicht bewusst. Dazu gehören sauberes Wasser, Nahrungsmittel, „Luft zum Atmen“ und Schutz vor Katastrophen wie Hoch-wasser, für die sonst kostenintensive technische Lö-sungen erforderlich wären oder hohe gesellschaftliche Kosten anfallen.

Der Wert der Natur bleibt oft verborgen, weil ihre Leis-tungen scheinbar selbstverständlich und unbegrenzt kostenlos zur Verfügung stehen. Der Beitrag der Natur für die Wirtschaft taucht weder in einer Unterneh-mensbilanz noch in der volkswirtschaftlichen Gesamt-rechnung auf. Daher wird er – trotz rechtlicher An-forderungen zum Schutz der Natur – in gesellschafts-politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen nicht ausreichend berücksichtigt.

Daher bleibt es die zentrale Herausforderung, sowohl aus Verantwortung für heutige und folgende Generati-onen als auch mit Blick auf die Unumkehrbarkeit von natürlichen Prozessen und Kipppunkten, den Wert und den Nutzen von Natur und ihrer Ökosystemleistungen als Lebensgrundlage für den Menschen gesellschaft-lich, volkswirtschaftlich und politisch anzuerkennen, besser zu erfassen und stärker bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen zu berücksichtigen. Mit dem vom BMUB geförderten Projekt „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“ (2012 bis 2017) wurde hierzu bereits ein wichtiger Schritt getan.

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Fischerei wird häufig nicht naturverträglich betrieben und ist in Meeresschutzgebieten noch nicht reguliert.

In Nord- und Ostsee sind rund ein Drittel der Meeres-organismen in ihrem Bestand gefährdet. Die Hauptur-sache für die bedenkliche Situation liegt in schädlichen Fischereipraktiken und in der Überfischung der Meere. Außerdem gibt es im Meer eine Vielzahl von weiteren Nutzungen, über und unter Wasser. Die kumulativen Auswirkungen dieser Nutzungen auf die Natur bereiten immer mehr Probleme.

Die reformierte Gemeinsame Fischereipolitik der Euro-päischen Union (GFP) enthält eine Reihe wichtiger Vor-gaben für das Fischereimanagement in europäischen Gewässern. Die ambitionierten Ziele und Regelungen der Reform müssen jedoch auch tatsächlich umge-setzt werden. Ein Beispiel ist neben der Festlegung der Fischerei-Quoten die Umsetzung von Rückwurfverbot und Anlandepflicht. Rückwürfe sind unerwünschte Fänge, die entweder tot oder lebendig ins Meer zurück-geworfen werden, weil Fische von einer unerwünsch-ten Art oder Größe sind. Die meisten zurückgeworfe-nen Fische sterben. Dies fördert Verschwendung und Überfischung. Die neue GFP will dieser Verschwendung durch die Einführung einer Pflicht zur Anlandung Einhalt gebieten. Weitere Beispiele für Regelungen, deren Umsetzung eine Herausforderung darstellt, sind die Erhebung von umweltrelevanten Daten, die Ent-wicklung technischer Vorschriften zum Beispiel für die Anwendung beifangreduzierender Fangtechniken und die Berücksichtigung ökologischer Kriterien bei der nationalen Verteilung der Fangquoten. Insgesamt bestehen hierbei noch viele Defizite.

Zudem sind große Teile von Nord- und Ostsee zwar als Natura 2000-Gebiete ausgewiesen, die für diese Gebiete erforderlichen Beschränkungen schädlicher Fischerei-techniken beziehungsweise der allgemeinen Nutzung müssen aber entweder noch erarbeitet (Ostsee) oder mit den betroffenen Nachbarstaaten abgestimmt wer-den (Nordsee).

Böden werden noch unzureichend geschützt und weiter versiegelt.

Trotz einiger Erfolge bleibt beim Bodenschutz noch viel zu tun. Durch Überbauung kommt es Jahr für Jahr zu erheblichen Verlusten von fruchtbaren Böden.

Versiegelte Böden fehlen für die Produktion von Le-bensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen oder als Grundlage der Biodiversität. Verluste entstehen au-ßerdem durch unangepasste Bewirtschaftungsformen wie zum Beispiel den Einsatz schwerer Maschinen oder erosionsförderndes Pflügen von Böden in Hanglagen. Bodenerosion und -verdichtung sowie Humusverluste senken die Fruchtbarkeit und belasten die Umwelt. So wird der Bodenabtrag durch Erosion auf fast 15 Prozent der Ackerflächen auf mehr als drei Tonnen jährlich ge-schätzt. Humusreiche, moorige Böden unter landwirt-schaftlicher Nutzung emittieren circa fünf Prozent der deutschen Treibhausgase und sind damit eine der größ-ten Quellen für Treibhausgase aus der Landwirtschaft, obwohl ihr flächenmäßiger Anteil klein ist.

Vor diesem Hintergrund gilt es, die wissenschaftli-chen und rechtlichen Grundlagen zu verbessern, die zur nachhaltigen Sicherung der Bodenfunktionen notwendig sind. Bodenschutzaspekte sind verstärkt in allen Politikbereichen zu verankern. Gleichzeitig müssen wirkungsvolle Instrumente zur Sicherung der begrenzten Bodenressourcen entwickelt beziehungs-weise weiterentwickelt werden. Im Hinblick auf die landwirtschaftliche Bodennutzung steht die nötige Konkretisierung der Grundsätze der guten fachlichen Praxis, wie sie im Bundes-Bodenschutzgesetz verankert sind, bis heute aus. Zur Sicherung der nachhaltigen Nutzung sind fachliche Standards mit ausreichender Verbindlichkeit notwendig, deren Einhaltung wirksam zu kontrollieren ist.

Es gibt in Deutschland nach wie vor zu wenig Flächen, auf denen sich die Natur vom Menschen ungestört entwickeln kann.

Natürliche dynamische Prozesse wurden besonders seit dem Beginn der Industrialisierung und mit einem besonderen Schub seit den 1950er Jahren in Mitteleu-ropa systematisch aus der Landschaft verdrängt. Nur 0,6 Prozent der Fläche Deutschlands sind Wildnis- oder Wildnisentwicklungsgebiete, in denen natürliche Prozesse unbeeinflusst von menschlichen Eingriffen ablaufen können. Natürliche Prozesse sind jedoch für viele Arten und Lebensräume besonders bedeutsam. Somit ist ihr Schutz oder ihre Wiederzulassung ein wesentliches Ziel des Naturschutzes. Wildnisgebiete sind auch wichtig, um erleben und erforschen zu kön-nen, wie sich eine Natur ohne Nutzungen entwickelt und aussieht.

Die Bewirtschaftung der Wälder ist vielerorts noch nicht hinreichend naturnah gestaltet.

Derzeit findet lediglich auf knapp zwei Prozent der Waldfläche eine rechtlich und dauerhaft gesicherte natürliche Waldentwicklung statt. Viele Tier-, Pflanzen- und Pilzarten sind auf naturnahe und strukturreiche Wälder angewiesen und daher überproportional ge-fährdet. Ursächlich dafür ist, dass die forstliche Produk-tion in unseren Wäldern trotz der hohen gesellschaft-lichen Wertschätzung, die naturnahen Wäldern ent-gegengebracht wird, Naturschutzziele oft noch nicht ausreichend berücksichtigt. Die Hälfte des gesamten inländischen Holzaufkommens wird gegenwärtig energetisch genutzt. Die nicht angepasste Entnahme von Holz aus dem Wald kann zu einem Rückgang der biologischen Vielfalt führen und mindert zudem die Funktion des Waldes als CO2-Senke.

Das Wissen über den Zustand und die Ent-wicklung der biologischen Vielfalt in Deutsch-land ist nicht zufriedenstellend.

In Deutschland kommen etwa 9.500 Pflanzenarten, 14.400 Pilzarten und 48.000 Tierarten vor. Wegen der anhaltenden Gefährdung der biologischen Vielfalt sind viele Arten selten geworden, ihre weitere Entwicklung muss verfolgt werden. Neue Arten, die einwandern und hier Fuß fassen, müssen beobachtet werden. Na-turschutzmaßnahmen müssen begleitet werden, um deren Wirksamkeit und Erfolg einschätzen zu können. Für all das wird ein umfassendes Biodiversitätsmoni-toring auf der Basis von bundesweit repräsentativen Stichprobenflächen benötigt, damit repräsentative Aussagen zum Zustand und zu Veränderungen der bio-logischen Vielfalt in der Gesamtlandschaft, das heißt innerhalb und außerhalb von Schutzgebieten, möglich sind. Ein übergreifendes Monitoring der biologischen Vielfalt benötigt einheitliche Standards, damit die Da-ten vergleichbar sind, und ausgebildete Taxonominnen und Taxonomen.

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4.2.3 Leitziele und Maßnahmen

Leitziel I: Landwirtschaft zukunftsfähig gestalten

1. Öffentliche Debatte über ein Leitbild „Zukunftsfähige Landwirtschaft“

Die sehr unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen und Leitbilder einer nachhaltigen, umweltverträglichen Landwirtschaft erschweren den notwendigen Trans-formationsprozess. Daher ist eine gesellschaftliche und politische Debatte über die Frage notwendig, welche Art von Landwirtschaft in Deutschland zukünftig wün-schenswert ist. Ziel ist, in einem öffentlichen Dialogpro-zess ein Leitbild „Zukunftsfähige Landwirtschaft“ zu ent-wickeln, auf das sich eine möglichst breite Allianz von Akteuren aus den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt-schutz, Verbraucherschutz, Gesellschaft, Wissenschaft und Politik einigen kann. Hiermit sollen die ländlichen Räume in ihrer Gesamtheit im Rahmen eines integrier-ten Ansatzes als Lebens-, Wirtschafts-, Erholungs- und Naturräume gesichert und weiterentwickelt werden.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen Transparenz und unab-hängige Aufklärung zur konventionellen Landwirtschaft. //

2. EU-Agrarförderung: Ökologisierung stärken, Direktzahlungen schrittweise abschaffen und in Förderungen für gesell-schaftliche Leistungen umwandeln

Wir brauchen eine Neuausrichtung des Systems der EU-Agrarsubventionen. Die Höhe der Zuwendungen soll sich stärker als bisher an den Leistungen der Land-wirte für öffentliche Güter (Natur-, Umwelt-, Klima-schutz, Gesundheit, Tierwohl und Entwicklungsgerech-tigkeit) orientieren: „Öffentliche Mittel für öffentliche Leistungen“. In diesem Sinne wird das BMUB darauf

drängen, dass in Deutschland so bald wie möglich mehr Mittel der sogenannten 1. Säule der GAP in die Förderung der ländlichen Entwicklung umgeschichtet werden. In einem zweiten Schritt wird das BMUB dar-auf hinwirken, dass die Direktzahlungen der 1. Säule in der nächsten EU-Finanzperiode ab 2021 schrittweise abgebaut werden. Die freiwerdenden Mittel sollen dafür eingesetzt werden, konkrete Leistungen im Um-weltschutz und für eine nachhaltige Landwirtschaft zu bezahlen. Auch im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-zes (GAK)“ wird sich das BMUB dafür einsetzen, dass die Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen im Rahmen der Agrarstrukturförderung weiter gestärkt werden.

3. Ökolandbau stärker fördern

Ziel ist, dass die bestehenden Wachstumshemmnisse des ökologischen Landbaus identifiziert und behoben werden. So kann ein Beitrag zur Stärkung des ökolo-gischen Landbaus in Deutschland geleistet und die Rahmenbedingungen für die Branche so ausgestaltet werden, dass der in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung vorgesehene Öko-Flächenanteil von 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Deutsch-lands schneller erreicht wird.

Forschung und Innovation im ökologischen Land-bau sollten stärker gefördert werden. Denkbare For-schungsthemen sind zum Beispiel: innovative Verfah-ren zur Bekämpfung von Schädlingen, Krankheiten und Unkräutern; Alternativen zu kupferhaltigen Pro-dukten für den ökologischen Pflanzenschutz; Verrin-gerung des Energieverbrauchs von Gewächshäusern; Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit.

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Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen glaubwürdige und verein-heitlichte Bio-Label. //

4. Umweltverträglichkeit der Tierhaltung sicherstellen

Das BMUB setzt sich dafür ein, die planungsrechtliche Steuerung von Tierhaltungsanlagen zu verbessern.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen artgerechte Tierhaltung und den Ausstieg aus der Massentier-haltung. // (von allen Bürgerräten und Umwelt-foren vehement gefordert, online sehr kontrovers)

Durch eine Novelle zum Baugesetzbuch sollte die Privi-legierung von Intensivtierhaltungsanlagen im Außen-bereich weiter eingeschränkt werden.

Ferner soll die Umweltverträglichkeit der Tierhaltung durch eine Konkretisierung und Fortentwicklung der guten fachlichen Praxis verbessert werden. Dies wird – entsprechend den Regelungen des Bundesna-turschutzgesetzes zur Land-, Forst- und Fischereiwirt-schaft – ein ausgewogenes Verhältnis zum Pflanzen-bau sicherstellen.

5. Nationale Stickstoffstrategie

Zusätzlich zur Novellierung des Düngerechts arbeitet das BMUB an einer umfassenden Stickstoffstrategie. Diese Strategie soll die bereits vorhandenen vielfäl-tigen Ziele und politischen Maßnahmen zur Minde-rung der Stickstoffemissionen aus den unterschied-lichen Bereichen bündeln, miteinander verzahnen und gegebenenfalls um weitere Ziele, Maßnahmen und Instrumente ergänzen. Sie wird alle relevanten Verursachersektoren – insbesondere Landwirtschaft, Energiewirtschaft, Verkehr und Industrie – abdecken, aber auch die Nutznießer von Erfolgen der Minde-rung von Stickstoffbelastungen in den Blick nehmen. Mittel- bis langfristig soll eine deutliche Absenkung der Stickstoffeinträge erzielt werden, die den wirk-samen Schutz der Binnengewässer, der Meere, der Böden und der biologischen Vielfalt vor der flächen-deckenden Eutrophierung durch reaktive Stickstoff-verbindungen sowie eine Reduzierung der Gesund-heitsbelastungen zum Ziel hat. Die Strategie wird mit laufenden Aktivitäten auf der EU- und globalen Ebene verknüpft. Sie soll letztlich auch Deutschlands Beitrag dazu darstellen, die planetare Belastbarkeits-grenze für Stickstoff (vergleiche Kapitel 1.3) mittel-fristig wieder einzuhalten.

6. Pflanzenschutzmittel: Einsatzmengen mindern, Umweltauswirkungen begrenzen

Um den Einsatz besonders schädlicher Pflanzenschutz-mittel, aber auch von Pflanzenschutzmitteln insgesamt, zu mindern, wird sich das BMUB für die Einführung einer Abgabe auf Pflanzenschutzmittel einsetzen. Die erzielten Einnahmen werden zum Beispiel für die Be-ratung von Landwirten sowie für Ausgleichszahlungen in Härtefällen verwendet.

Das BMUB wird zudem mit Nachdruck dafür sorgen, dass die Auswirkungen der Anwendung von Pflanzen-schutzmitteln auf die biologische Vielfalt verringert werden. Das durch EU-Recht für Pflanzenschutzmittel vorgeschriebene Zulassungsverfahren bietet dafür ei-nen Rahmen, der für die notwendige Verbindlichkeit sorgt und eine entsprechende Durchschlagskraft hat. Pflanzenschutzmittel, deren Anwendung ein hohes Risiko für die biologische Vielfalt darstellt, sollen demnach in landwirtschaftlichen Betrieben nur dann angewandt werden dürfen, wenn dort hinreichende ökologische Ausgleichsflächen ohne Pflanzenschutz-mittel-Einsatz vorhanden sind.

7. Sicheres Einkommen für Landwirte: Faire Erzeugerpreise

In den vergangenen Jahren sind die Erzeugerpreise für verschiedene landwirtschaftliche Produkte wie zum Bei-spiel Milch oder Getreide erheblich gesunken, sodass die Landwirte vom Lebensmittelpreis an der Ladentheke zu-nehmend weniger erhalten und in ihrer wirtschaftlichen Situation stark beeinträchtigt werden. Einkommenssta-bilität ist jedoch ein entscheidender Faktor für Investi-tionen von Landwirten in Naturschutzmaßnahmen, in umweltverträgliche Technologien, in den Klimaschutz und in die Nutzung erneuerbarer Energien. Nachhaltige Landwirtschaft muss sich für die Erzeuger auch lohnen. In diesem Zusammenhang ist die Förderung von Ver-braucher-Erzeuger-Gemeinschaften und Initiativen zur urbanen Landwirtschaft und Gärtnerei auf städtischen Brachen zu prüfen.

Darüber hinaus wird sich das BMUB dafür einsetzen, eine faire Marktsituation für alle Beteiligten inner-halb der Wertschöpfungskette sicherzustellen und die regionalen Wertschöpfungsketten zu stärken. Diese Maßnahmen werden indirekt eine höhere Einkom-mensstabilität für die Landwirte schaffen, sodass ein größerer Anreiz zur Hofnachfolge geschaffen wird. Das BMUB wird somit dazu beitragen, dem „Höfesterben“ entgegenzuwirken.

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Leitziel II: Biologische Vielfalt schützen und nachhaltig nutzen

8. Naturschutz-Offensive 2020 umsetzen

Das BMUB wird mit diesem Handlungsprogramm, das zehn prioritäre Handlungsfelder und 40 vordringliche Maßnahmen benennt, die die Ziele der Nationalen Stra-tegie zur biologischen Vielfalt (NBS) bis 2020 dort ver-stärkt umsetzen, wo diese ohne zusätzliche Maßnahmen nicht fristgereicht erreicht werden. Einzelne Maßnah-men der Naturschutz-Offensive 2020 etwa für eine zu-kunftsfähige Landwirtschaft, naturverträgliche Fischerei und Forstwirtschaft sowie Biodiversitätsmonitoring werden an anderer Stelle gesondert aufgegriffen.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

//Wir wollen, dass mehr für den Erhalt der Artenvielfalt getan wird (und insbe-sondere die Bienen geschützt werden). //

Wichtig ist die Umsetzung der Naturschutz-Offensive 2020 als Ganzes. Das BMUB wird hierzu auch die Zu-sammenarbeit von Bund und Ländern intensivieren, um länderübergreifend und gemeinsam mit den an-deren Bundesressorts dafür zu sorgen, dass deutliche Verbesserungen des Erhaltungszustandes von Arten und Lebensraumtypen erreicht werden. Das BMUB wird sich in die dazu erforderlichen Prozesse intensiv einbringen und seine bestehenden Förderprogramme einsetzen, um hierzu einen Beitrag leisten zu können.

9. Bodenschutz: Rechtlichen Rahmen weiter entwickeln, Vollzug stärken

Das BMUB wird den rechtlichen Rahmen zum Boden-schutz, insbesondere das Bundes-Bodenschutzgesetz und die Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverord-nung, ambitioniert weiterentwickeln. Dabei wird Wert darauf gelegt werden, Bodenschutz mit anderen um-weltpolitischen Handlungsfeldern, zum Beispiel Kli-maschutz, noch stärker als bisher zu verknüpfen. Das

BMUB hält insbesondere eine weitergehende Konkre-tisierung der Grundsätze der guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft für vorrangig. Zu diesem Zweck wird es auf die Einführung einer entsprechenden Ver-ordnungsermächtigung im Bundes-Bodenschutzgesetz hinwirken und damit auch die rechtlichen Vorausset-zungen für Anordnungen zur Durchsetzung der guten fachlichen Praxis schaffen. Große Bedeutung kommt dabei der Entwicklung praxisorientierter und vollzugs-fähiger Regelungen zu. Dies unterstützt sowohl die Beratung als auch die Kontrolle.

10. Fischereipolitik naturverträglich aus-gestalten und Fischerei in Meeresschutz-gebieten regulieren

Die durch die Novellierung der Gemeinsamen Fische-reipolitik der EU geschaffenen Möglichkeiten für eine naturverträglichere Fischerei bedürfen einer konkreten Umsetzung. Das BMUB wird sich dafür einsetzen, dass die Fangquoten für alle Fischarten so festgesetzt werden, dass sich alle Fischbestände möglichst rasch, spätestens bis 2020, erholen und nachhaltig auf Niveaus erhalten werden, die oberhalb der für die maximalen Dauererträge erforderlichen Bestandsgrößen liegen. Der maximale Dauerertrag ist diejenige Fangmenge, die das Nachwach-sen der Bestände nicht gefährdet und trotzdem langfristig hohe Erträge sichern würde. Beifänge, insbesondere auch von bedrohten Arten, müssen minimiert, schädigende Fischereitechniken weitgehend begrenzt werden, und Fi-scherei-Mehrjahrespläne müssen ökologischen Grundsät-zen folgen. Das BMUB wird sich auch für die Entwicklung neuer naturverträglicher Fischereitechniken einsetzen und sie nach seinen Möglichkeiten unterstützen. Denkbar ist zum Beispiel eine Finanzierung aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF). Mit diesen Maßnah-men soll auch die langfristige Grundlage für die Fische-reibetriebe in Deutschland gesichert werden.

Das BMUB wird zudem darauf hinwirken, dass in den Meeresschutzgebieten keine mit den Naturschutzzielen unverträgliche kommerzielle oder Freizeit-Fischerei mehr stattfindet. Entsprechende Vorschläge zur Regu-lierung der Fischerei in Meeresschutzgebieten werden entwickelt und anschließend mit den wirtschaftlich betroffenen Mitgliedstaaten auf EU-Ebene verhan-delt werden müssen. Ziel ist die Erarbeitung von „ge-meinsamen Empfehlungen“, die dann durch die EU-Kommission umzusetzen sind. Zusätzlich sollen in den Managementplänen für die Natura 2000-Gebiete in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Maßnahmen festgelegt werden, um den guten Erhaltungszustand der Natura 2000-Schutzgüter zu erreichen.

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11. Mehr Wildnis ermöglichen, Wälder flächen deckend naturnah bewirtschaften

Auf zwei Prozent der Landesfläche Deutschlands soll sich Wildnis entwickeln können. Ergebnisse von Forschungs-vorhaben zeigen, dass das naturräumliche Potenzial zur Erreichung dieses Ziels vorhanden ist. Diese Wildnis-potenziale gilt es in den kommenden Jahren zu erschlie-ßen, die Natur und biologische Vielfalt darin zu bewahren oder der Natur wieder ursprüngliche Entwicklungsmög-lichkeiten anzubieten und gleichzeitig Wildnisflächen auch der Bevölkerung zugänglich zu machen. Diese können im Hochgebirge, in Flussauen und an Küsten, in Moorgebieten, Wäldern, ehemaligen militärisch genutz-ten Gebieten und Bergbaufolgelandschaften liegen.

Das BMUB wird sich zudem für eine nachhaltige und naturnahe Bewirtschaftung von Wäldern in Deutsch-land sowie für naturverträgliche Maßnahmen zu deren Anpassung an den Klimawandel einsetzen. Besondere Leistungen der Forstwirtschaft für den Naturschutz sol-len dabei angemessen honoriert werden. Die biologische Vielfalt des Waldes und seine Funktion als CO2-Senke sollen erhalten bleiben. Folgende Einzelziele sollen erreicht werden: Die naturnahe Waldbewirtschaftung wird weiter vorangetrieben und fünf Prozent der Wald-fläche einer natürlichen Entwicklung überlassen. Soweit Privat wald betroffen ist, gilt das Freiwilligkeitsprinzip. In den öffentlichen Wäldern sollen zehn Prozent der Fläche einer natürlichen Entwicklung überlassen werden. Das BMUB wird sich zudem dafür einsetzen, dass die Lan-desverwaltungen verstärkt attraktive und langfristige Vertragsnaturschutzprogramme im Wald anbieten und dass Bund und Länder gemeinsam mit allen relevanten Akteuren klare und vergleichbare Kriterien für die gute fachliche Praxis der Waldbewirtschaftung festlegen.

12. Biodiversitätsaußenpolitik der Bundes regierung

Das BMUB wird auf ein Konzept der Bundesregie-rung für eine „Biodiversitätsaußenpolitik“ hinwirken. Hierbei soll insbesondere der Dialog mit Staaten, die Hotspots der Biodiversität darstellen, fortgeführt be-ziehungsweise noch weiter vertieft und diese bei ihren Bemühungen zum Schutz der biologischen Vielfalt unterstützt werden.

13. Biodiversitätskonvention: Internationale Umsetzung des „Strategischen Plans“ fördern

Das BMUB wird – insbesondere auch im Rahmen der oben genannten Biodiversitätsaußenpolitik der

Bundesregierung – durch Beratungsangebote strate-gisch bedeutende Vertragsstaaten des Übereinkommens über die biologische Vielfalt dabei unterstützen, ihre nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne ambitioniert umzusetzen und damit zur Erreichung der globalen Ziele des Strategischen Plans substanziell bei-zutragen.

Leitziel III: Naturschutzpolitik handlungs-fähiger machen

14. Umfassendes bundesweites Biodiversitäts monitoring

Das BMUB wird darauf hinwirken, bis spätestens 2030 ein fortlaufend aktualisiertes, deutschlandweites Biodi-versitätsmonitoring einzuführen. Auch darüber hinaus soll die Datenlage zum Zustand und zu Veränderungen der biologischen Vielfalt deutlich verbessert werden. Um dies zu ermöglichen, wird sich das BMUB dafür einsetzen, dass eine ausreichend große Zahl von Art-Expertinnen und Experten ausgebildet wird, dass Ta-xonomie und Ökologie heimischer Arten als etabliertes Lehrthema in der schulischen und universitären Aus-bildung gestärkt wird und dass FFH-Expertinnen und -Experten regelmäßig geschult und Nachwuchskräfte gefördert werden. Ferner wird das BMUB Instrumente und Informationssysteme zur Einbindung ehrenamt-licher Expertise bei der Erhebung, Zusammenführung und Auswertung von Daten (Citizen Science) unter Einbindung existierender Initiativen entwickeln und ausbauen. Engagierte Bürgerinnen und Bürger sollen aktiv in Monitoring-Prozesse eingebunden, ihr Natur-bewusstsein und ihr Verständnis für politisches Han-deln auf diese Weise gestärkt werden.

15. BMUB-Mitentscheidungsrechte bei EU-Agrar- und -Fischereipolitik stärken

Die Gestaltung der EU-Agrar- und -Fischereipolitik hat für den Schutz der biologischen Vielfalt entschei-dende Bedeutung. Es wäre deshalb sinnvoll, dem BMUB innerhalb der Bundesregierung die Ko-Feder-führung für diese Politikbereiche zu übertragen und somit die Mitwirkung Deutschlands mit dem Bun-desministerium für Landwirtschaft und Ernährung gemeinsam zu koordinieren. Auf diese Weise können Umweltbelange von vornherein – und somit stärker als im üblichen Verfahren der Ressortabstimmung – in die Positionsfindung der Bundesregierung einge-bracht werden.

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4.3 Nachhaltige Mobilität, lebenswerte Städte

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Erfolge und positive Entwicklungen

→ Nachhaltige Stadtentwicklung und nachhaltiges Bauen stehen auf der Agenda von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft weit oben.

→ Gesetzgebung und Förderprogramme haben die Lebens qualität in den Städten und Gemeinden verbessert.

→ Grün in der Stadt wird zu einem wichtigen Thema der integrierten Stadtentwicklung.

→ Der Flächenverbrauch für Siedlungen und Verkehr wurde abgeschwächt.

→ Fahrradverkehr und Car- Sharing nehmen zu, und vor allem Großstädte verfügen über einen gut aus-gebauten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).

→ Bürgerinnen und Bürger engagieren sich zunehmend stärker in der Mitgestaltung ihrer Städte und Gemeinden.

Herausforderungen und neue Aufgaben

→ Die Vision einer nachhaltigen, insbesondere ökologisch ausgerichteten „Smart City“ muss mit Leben gefüllt werden.

→ Der Energie- , Ressourcen- und Flächenverbrauch der Städte ist zu hoch; die Städte sind noch nicht ausreichend an den Klimawandel angepasst.

→ In der Bau- und Immobilienwirtschaft muss der Lebens zyklusgedanke in Bezug auf Gebäudekosten, Ressourcen inanspruchnahme und biologische Vielfalt stärker beachtet werden.

→ Der ökologische Infrastrukturumbau drängt.

→ Eine grundlegende Mobilitätswende, begleitet von einer Energiewende im Verkehr, muss zugleich Umweltauswir kungen reduzieren und kostengünstige Mobilität erhalten.

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Leitziele und Maßnahmen

Leitziel I: Mobilität nachhaltig gestalten

1. Mobilitätsstrategie für eine gesamthaft nachhaltige Verkehrsentwicklung

2. Klimaverträgliche Technologien bei allen Verkehrsträgern zum Standard machen

Leitziel II: Städte, Gemeinden und Infrastrukturen umweltgerecht entwickeln

3. Kompakte, nutzungsgemischte und grüne Quartiere sowie grüne und resiliente Infrastruktur

4. Flächenschutz ambitioniert vorantreiben

5. Lebenszykluskostenansatz und Nachhaltigkeitsstandards im Bau verankern

6. Dialogplattform „Smart Cities“

7. Strategie für integrierte, ressourceneffiziente und resiliente Infrastrukturen

8. Klimaanpassung: Maßnahmenkonzepte und Hitze aktionspläne

Leitziel III: Mitwirken bei nachhaltiger Stadt- und Mobilitätsentwicklung fördern

9. Stärkere Vernetzung der Akteure nachhaltiger Stadtent wicklung

10. Experimentierräume für nachhaltige Stadt- , Regional- und Mobilitätsentwicklung

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Umsetzung von globalen Nach haltigkeits zielen und Zielen des 7. EU-Umweltaktionsprogramms

Die Ziele und Maßnahmen des Integrierten Umweltprogramms tragen zur Umsetzung von globalen Nachhaltigkeitszielen und Zielen des 7. EU-Umweltaktionsprogramms bei (Auswahl):

ó Globale Nachhaltigkeitsziele (SDG)

SDG 9: Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen

SDG 11: Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen

SDG 13: Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klima wandels und seiner Auswirkungen ergreifen

ó Prioritäre Ziele des 7. EU-Umweltaktions programms (7. UAP)

Prioritäres Ziel 8: Förderung der Nachhaltigkeit der Städte in der Union

→ Weißbuch „Grün in der Stadt“: In dem 2015 vom BMUB vorgelegten Grünbuch wird der Wissens-stand zum urbanen Grün zusammengefasst. Bis Frühjahr 2017 werden hieraus konkrete Handlungs-empfehlungen für lebenswerte grüne Städte erarbeitet und in einem Weißbuch vorgelegt.

→ Aktionsprogramm Klimaschutz 2020: Ziel ist, dass Deutschland seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 reduziert. Das Programm wurde im Dezember 2014 von der Bundesregierung beschlossen.

Laufende und weiterzuentwickelnde politische Vorhaben (Auswahl)

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

4.3.1 Erfolge und positive Entwicklungen

Nachhaltige Stadtentwicklung und nachhaltiges Bauen stehen auf der Agenda von Politik, Wirt-schaft und Wissenschaft weit oben.

Die gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Entwicklung spielt sich in Deutschland und weltweit ganz überwiegend in Städten ab. Bereits jetzt leben in Deutschland rund 75 Prozent der Menschen in Städten, weltweit sind es über 50 Prozent. Rund 80 Prozent aller Arbeitsplätze weltweit werden in Städten bereitgestellt. Dementsprechend ist verständlich, dass Städte welt-weit um 60 Millionen Einwohner pro Jahr wachsen. Deutschland ist von einer dezentralen Siedlungsstruk-tur geprägt, denn auch außerhalb der Ballungsräume lebt ein Großteil der Bevölkerung in Städten.

Städte und ihre Einwohnerinnen und Einwohner sind zentrale Akteure nachhaltiger Entwicklung. Dieser Erkenntnis folgend sind nachhaltige Stadtentwick-lung sowie nachhaltiges Bauen in den vergangenen Jahren bei Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf der Agenda immer wichtiger geworden. Städte spielen eine Schlüsselrolle, wenn es um die Senkung des Verbrauchs von Energie und anderen natürlichen Ressourcen, die Entlastung und den Schutz der Ökosysteme, die um-weltbezogene Gesundheitsvorsorge oder den Ausbau erneuerbarer Energien geht. Andererseits sind Städte von den Folgen des Klimawandels in besonderer Weise betroffen; sie müssen deshalb Maßnahmen zur Anpassung ergreifen. Auf städtischer Ebene kommen die wesentlichen Akteure zur Umsetzung von Klima-schutzmaßnahmen zusammen – Bürgerschaft und Unternehmen, Bildungseinrichtungen, aber auch die Kommunalverwaltung. Dabei spielen Klima- und Res-sourcenschutz in viele strategische Handlungsfelder der Kommunen hinein: Stadt- und Quartiersentwick-lung, Gebäudebestand und Infrastruktur, individuelle und öffentliche Mobilität, Bildung und Wirtschaft, Natur und Ressourcen sowie auch Tourismus und in-terkommunale Kooperation.

Gesetzgebung und Förderprogramme haben die Lebensqualität in den Städten und Gemeinden verbessert.

Die Umwelt- und Baugesetzgebung trägt wesentlich zur ökologischen Qualität, aber auch zu hohen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Standards der deut-schen Städte und Gemeinden bei. In die nachhaltige Stadtentwicklung hat der Bund über die Programme

der Städtebauförderung von 1971 bis 2015 insgesamt 16,43 Milliarden Euro investiert, im Jahr 2016 stehen weitere rund 653 Millionen Euro Bundesmittel zur Verfügung. Damit wurde das Bild der Städte und Ge-meinden entscheidend mitgeprägt. Innenstädte und Ortszentren wurden in ihrer Funktion gestärkt, Ge-bäudebestände saniert, öffentliche Räume, Grün- und Freiflächen aufgewertet, eine bedarfsgerechte Infra-struktur geschaffen und Wohnumfeldverbesserungen durchgeführt.

Die vom Bund ergriffenen rechtlichen und förder-politischen Maßnahmen leisten bereits einen wich-tigen Beitrag für einen klimagerechten Umbau der Städte. Mit dem Programm „Energetische Stadt-sanierung“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) werden im Quartier umfassende Maßnahmen zur Ver-besserung der Energieeffizienz von Gebäuden und der kommunalen Infrastruktur angestoßen.

Im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI) initiiert und fördert das BMUB mit der „Richtlinie zur Förderung von Klimaschutzprojekten in sozialen, kul-turellen und öffentlichen Einrichtungen“ (Kommunal-richtlinie) Projekte, die einen Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen leisten. Mit dem „Förderpro-gramm Anpassung an den Klimawandel“ im Rahmen der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawan-del (DAS) werden ebenfalls viele lokale Projekte geför-dert. Ziel ist es, die systematische Berücksichtigung der Folgen des Klimawandels in allen Planungs- und Ent-scheidungsprozessen insbesondere auch öffentlicher Akteure anzuregen und zu unterstützen.

Grün in der Stadt wird zu einem wichtigen Thema der integrierten Stadtentwicklung.

Grün in der Stadt ist ein wichtiger Baustein für Lebensqualität. Urbanes Grün ist von hohem Wert für die Steigerung der Attraktivität der Städte und Gemeinden, für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Gesundheit, biologische Vielfalt sowie Klima- und Ressourcenschutz. Mit dem Grünbuch „Grün in der Stadt – für eine lebenswerte Zukunft“ wurde erstmals eine Bestandsaufnahme zu diesem Thema und den vielfältigen Funktionen von Stadtgrün vorgelegt so-wie ein breiter Dialog über den Stellenwert von Grün- und Freiflächen in den Städten angestoßen. Darüber hinaus wurde das Thema „Grün in der Stadt“ in der Städtebauförderung gestärkt. Die Schaffung und Erhal-tung von Grün- und Freiräumen wird seit 2015 in allen Programmen explizit als förderungs fähig benannt.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Der Flächenverbrauch für Siedlungen und Verkehr wurde abgeschwächt.

Der Bund verfolgt seit Langem das Ziel einer kompak-ten Siedlungsentwicklung, um kurze Wege zu ermögli-chen und die Zersiedelung der Landschaft zu mindern. Derzeit liegt der Flächenverbrauch für Siedlungen und Verkehr bei 69 Hektar pro Tag. Damit hat sich in den letzten Jahren der Zuwachs an Siedlungs- und Ver-kehrsfläche zu Lasten der unbebauten, unzersiedelten, unzerschnittenen Freiflächen abgeschwächt. In der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie wurde das Ziel formuliert, bis 2020 den Flächenverbrauch auf 30 Hek-tar pro Tag zu begrenzen. Diesem Ziel wurde auch mit der Innenentwicklungsnovelle des Baugesetzbuchs (BauGB) von 2013 Nachdruck verliehen. Des Weiteren forscht der Bund (BMBF und BMUB) intensiv an wirk-samen Instrumenten, die das Flächensparen begünsti-gen. Dabei sind insbesondere der laufende bundesweite Modellversuch zum Handel mit Flächenzertifikaten und die Arbeiten zu einer Informationsplattform Flä-chensparen für kommunale Akteure zu nennen.

Fahrradverkehr und Car-Sharing nehmen zu, und vor allem Großstädte verfügen über einen gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).

Bei der Verkehrsmittelwahl entscheiden sich vor allem in den Großstädten die Menschen mit zunehmender Tendenz für öffentliche Verkehrsmittel und das Fahr-rad. Ebenso steigt die Nachfrage nach Car-Sharing, was ebenfalls zur Verkehrsvermeidung beitragen kann, wenn damit der Verzicht auf das eigene Auto verbun-den ist und in der Gesamtbilanz noch häufiger umwelt-freundliche Verkehrsmittel (ÖPNV, Fuß-, Radverkehr) genutzt werden.

Mittels verschiedener Politikansätze versucht die deut-sche Raumordnungs-, Stadtentwicklungs- und Ver-kehrspolitik, die verkehrsbedingten Umweltbelastun-gen zu mindern. Mit umfangreichen Haushaltsmitteln fördert der Bund mit der Bundesverkehrswegeplanung besonders den Ausbau von Schiene und Wasserstraße und mit dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz sowie den Regionalisierungs- und Entflechtungsmit-teln den ÖPNV. Dadurch konnte zum Beispiel das Nahverkehrsangebot auf der Schiene erheblich ausge-baut werden. Über den Nationalen Radverkehrsplan und die Nationale Klimaschutzinitiative werden unter anderem Maßnahmen zur Stärkung des Radverkehrs und zur Verknüpfung der Verkehrsträger erfolgreich unterstützt. Verkehrsträgerspezifische Abgaben und Steuern wie Kraftfahrzeugsteuer, Lkw-Maut oder

Luftverkehrssteuer setzen ebenfalls Anreize zur Nut-zung umweltfreundlicherer Verkehrsmittel. Darüber hinaus bestehen mit der EU-Regulierung über den CO2-Ausstoß von Neufahrzeugen und der Förderung der Elektromobilität sowie mit der Einbeziehung des Luftverkehrs in den EU-Emissionshandel weitere Ins-trumente zur Minderung der Umweltbelastungen im Straßen- und Luftverkehr.

Bürgerinnen und Bürger engagieren sich zunehmend stärker in der Mitgestaltung ihrer Städte und Gemeinden.

Umwelt- und Stadtentwicklungspolitik haben eine entscheidende Rolle als Thema, Bezugspunkt und Mo-tivationshintergrund für die quantitativ wie qualitativ wachsende zivilgesellschaftliche Beteiligung gespielt. Die wachsende Zahl der Quartiersinitiativen (wie etwa „Urban Gardening“-Projekte), Bürgerentscheide oder Basisbewegungen (zum Beispiel das „Transition Town“-Netzwerk) lebt stark von Umwelt- und Nachhaltigkeits-motiven. Gerade die Umweltpolitik hat eine Vielzahl von Ressourcen, Strukturen und Mechanismen für Bürgerengagement, den Zugang zu Informationen, Teilnahme- und Teilhabechancen eröffnet und erwei-tert. In vielen Städten gibt es nach wie vor eine „Lokale Agenda 21“-Gruppe. Diese Gruppen haben sich die lokale Umsetzung des globalen Aktionsprogramms „Agenda 21“ zur Aufgabe gemacht, das auf der Konfe-renz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Natio-nen 1992 beschlossen worden war.

4.3.2 Herausforderungen und neue Aufgaben

Die Vision einer nachhaltigen, insbesondere ökologisch ausgerichteten „Smart City“ muss mit Leben gefüllt werden.

Die Diskussion um die Zukunft der Städte im Zei-chen der Digitalisierung wird unter der Überschrift „Smart City“ geführt. Dahinter verbirgt sich die Idee einer intelligenten, digitalisierten und vernetzten Stadt der Zukunft, die insbesondere in den Bereichen technische Infrastruktur, Gebäude, Dienstleistungen, Mobilität oder Governance ihren Ausdruck findet. Digitalisierung und Vernetzung beziehen sich dabei auf die Herausbildung neuer Infrastrukturen mit in-novativen Steuerungssystemen und Netzwerken im urbanen Raum. Dem Smartphone kommt dabei ein großer Stellenwert zu. Räume und Infrastrukturen werden in einer „Smart City“ über Kommunikations-systeme miteinander verknüpft. Smart-City-Konzepte

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

zielen auf die Steigerung der Energie- und Ressour-ceneffizienz, auf die Erhöhung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit sowie auf die Steigerung der Lebensqualität der Stadtbewohner ab.

Herausforderung sowohl für die Politik als auch für alle gesellschaftlichen Akteure ist, das Potenzial, aber auch die Risiken für Menschen, Umwelt und Städte verläss-lich abzuschätzen. Daher bedarf es auch einer gesell-schaftspolitischen Debatte zur digitalen Transforma-tion der Städte. Die Chancen intelligenter, integrierter und nachhaltiger Lösungen müssen genutzt, politisch gestaltet und an einer am Gemeinwohl orientierten Stadtentwicklungspolitik ausgerichtet werden. Die Risiken der weiteren Technisierung unseres Lebens-umfelds, vor allem auch mit Blick auf die Umwelt und unsere Gesundheit (vergleiche Kapitel 4.4), müssen minimiert werden.

Der Energie-, Ressourcen- und Flächenver-brauch der Städte ist zu hoch; die Städte sind noch nicht ausreichend an den Klimawandel angepasst.

40 Prozent der gesamten Primärenergie in Deutsch-land werden für den Betrieb von Gebäuden benötigt. Über 50 Prozent aller abiotischen Rohstoffe, die in Deutschland der Natur entnommen oder importiert werden, werden im Bausektor genutzt. Über 60 Prozent des Abfallaufkommens kommen aus dem Baubereich. Böden werden bei vielen Baumaßnahmen stark be-ansprucht und in ihrer natürlichen Lagerung zerstört. Damit gehen wichtige Bodenfunktionen verloren. Die bestehenden Maßnahmen zur Begrenzung des Flä-chenverbrauchs auf 30 Hektar pro Tag – das Ziel der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie für das Jahr 2020 – reichen nicht aus.

Technologien und Konzepte für eine energieeffiziente und ressourcenschonende Bauweise sind bereits heute verfügbar, aufgrund der relativ niedrigen Energiepreise und der Externalisierung von Umweltkosten (verglei-che Kapitel 3.2) jedoch häufig in traditioneller Betrach-tung noch nicht wirtschaftlich.

Eine wesentliche Aufgabe ist die Lösung von Ziel-konflikten zwischen Wohnungsneubau („kosten-günstiges Bauland“) und Freiraumschutz („Schutz des Außenbereichs“) sowie zwischen Dichte und Offenheit. Die Ausweisung von zusätzlichem Bau-land muss zugunsten der Innenentwicklung und vor allem in schrumpfenden Regionen zugunsten der

Revitalisierung von Leerständen verringert werden. Auch zur Anpassung der Siedlungsstruktur an die Folgen des Klimawandels sowie von Gebäuden an neue nachhaltige Mobilitätsmuster sind erhebliche Anstrengungen notwendig.

In der Bau- und Immobilienwirtschaft muss der Lebenszyklusgedanke in Bezug auf Gebäudekos-ten, Ressourceninanspruchnahme und biologi-sche Vielfalt stärker beachtet werden.

Bei der Kalkulation der Gebäudeerstellung werden langfristige Betriebs-, Instandsetzungs- und externe Kosten oft nicht oder ungenügend berücksichtigt. Bei privaten und öffentlichen Bauherrinnen und Bauher-ren muss die ganzheitliche Beurteilung und Optimie-rung der Lebenszykluskosten weiter verbessert werden. Die Erarbeitung und Umsetzung entsprechender Grundlagen und Vorgehensweisen ist eine übergrei-fende Herausforderung.

Die Umweltauswirkungen bei der Gewinnung von Rohstoffen für die Erstellung von Gebäuden müssen hinsichtlich der Landnutzung, der Eingriffe in Böden und in den Wasserhaushalt, der Auswirkungen auf die Biodiversität und der Degradation von Ökosystemen noch wesentlich besser erfasst werden. Für Emissionen von Schadstoffen aus Bauprodukten, die in Kontakt mit Wasser, Boden und Luft stehen, liegen noch zu wenige Informationen vor.

Herausforderungen bestehen auch bei der Berücksich-tigung der biologischen Vielfalt bei Neubauten und insbesondere bei Baumaßnahmen im Bestand sowie bei der naturnahen Gestaltung von gebäudenahen Außenanlagen. In den bestehenden untergesetzlichen Regelwerken und Zertifizierungssystemen werden diese Aspekte bislang nicht oder ungenügend berücksichtigt.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Der ökologische Infrastrukturumbau drängt.

Der Aus- und Umbau von öffentlichen Infrastrukturen gehört zu den Schlüsselstrategien nachhaltigen Wirt-schaftens und gesundheitsvorsorgender Umweltpolitik. Gegenwärtig steht die Erneuerung vieler Infrastruktur-systeme an. Dies muss mit modernen Standards und Technologien geschehen, denn Infrastrukturinvestitio-nen legen öffentliches Kapital auf Jahrzehnte fest („Pfad-abhängigkeit“). Die Nutzung der erneuerbaren Energien im Rahmen der Energiewende erfordert eine tiefgrei-fende Anpassung des gesamten Energiesystems an die durch die neuen Technologien eröffneten Optionen.

Im Verkehrsbereich bedarf es einer geänderten Schwer-punktsetzung zugunsten des Erhalts, der Stabilität und der Verknüpfung bestehender Verkehrsnetze, der Ein-beziehung von Rückbauoptionen insbesondere in die planerische Straßennetzbetrachtung und des Ausbaus der Infrastruktur für umweltfreundliche Verkehrsträ-ger, insbesondere im Güterverkehr.

Die Wasserver- und vor allem -entsorgung muss an die demografischen Veränderungen angepasst werden. Da-bei hängen die Effizienz und die technische Umsetzung von der Bevölkerungsdichte ab. Die hohe Anfälligkeit von Infrastrukturen vor allem durch Klima-Extrem-ereignisse macht es zudem notwendig, sie klimaresili-enter zu gestalten.

Eine grundlegende Mobilitätswende, begleitet von einer Energiewende im Verkehr, muss zugleich Umweltauswirkungen reduzieren und kostengünstige Mobilität erhalten.

Die gravierenden Umweltauswirkungen des Ver-kehrs, insbesondere des Straßenverkehrs, werden in Kapitel 2.2.2 dargelegt. Prognosen gehen von einem weiteren Anwachsen des Verkehrs aus. Im Güterver-kehr wird bis 2030 im Mittel aller Verkehrsträger ein Wachstum der Verkehrsleistung von fast 40 Prozent gegenüber 2010 erwartet. Ohne eine grundlegende Änderung der Verkehrspolitik würde das Verhältnis der Verkehrsträger untereinander fast unverändert bleiben. Der Straßengüterverkehr hätte mit mehr als 70 Prozent weiterhin den größten Anteil. Ob sich erreichen lässt, die Umweltfolgen des Verkehrs subs-tanziell zu mindern, hängt wesentlich davon ab, wie stark der Verkehr tatsächlich wächst, wie effizient eingesetzte Technologien sind, wie nachhaltig Kraft-stoffe in Zukunft sein werden und wie schnell sich alternative Antriebe durchsetzen. Die Digitalisierung wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten vo-raussichtlich zu einem Wandel der Mobilität führen. Noch ist jedoch nicht absehbar, ob beziehungsweise wann sich zum Beispiel selbstfahrende Fahrzeuge durchsetzen und welche Folgen ihre Nutzung für das Mobilitätsverhalten haben wird. Die umweltpolitisch notwendige Transformation des Verkehrssystems wird im Wechselspiel mit diesen Veränderungen zu gestalten sein.

Diese Transformation wird zwei zentrale Herausforde-rungen in den Blick nehmen müssen. Zum einen wird sich das Verhalten von Menschen und von Wirtschafts-akteuren ändern müssen, um Verkehr zu vermeiden

oder auf umweltfreundliche Verkehrsträger zu ver-lagern. Bei diesem Transformationspfad „Vermeiden und Verlagern“ waren die Fortschritte in der Vergan-genheit gering, vor allem im Hinblick auf die erzielten Treibhausgasminderungen. Zum anderen werden sich Technologien grundlegend ändern müssen. Bei diesem zweiten Transformationspfad „Effizienz und erneuer-bare Energien“ gab es in der Vergangenheit beachtliche Erfolge. Die bisherige Geschwindigkeit erzielter Fort-schritte reicht jedoch nicht mehr aus, sondern bedarf einer wesentlichen Beschleunigung. Beide genannten Pfade müssen einander ergänzen.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen Kostenwahrheit im Ver-kehr. Kosten für Infrastruktur, ökologi-sche und gesundheitliche Schäden sollen eingepreist werden. Daher müssen bei-spielsweise Flüge teurer werden. //

4.3.3 Leitziele und Maßnahmen

Leitziel I: Mobilität nachhaltig gestalten

1. Mobilitätsstrategie für eine gesamthaft nach haltige Verkehrsentwicklung

Das BMUB wird eine umfassende Mobilitätsstrategie zur Gestaltung einer gesamthaft nachhaltigen Ver-kehrsentwicklung erarbeiten. Ein darin enthaltener

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen weniger Individualver-kehr mit Verbrennungsmotoren und bis 2030 abgasfreie Großstädte . //

Maßnahmen- und Prioritätenplan soll auch ein nach-haltiges Steuer- und Finanzierungssystem für den Ver-kehr beinhalten. Künftige Bundesverkehrswegepläne sollen innerhalb des von der Mobilitätsstrategie vorge-gebenen Rahmens entwickelt werden.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen, dass ÖPNV und Fahr­radverkehr durch deutliche Budget­umschichtungen gestärkt werden. //

Als Bestandteil der Strategie wird das BMUB ein Vor-rangkonzept „Sharing Mobility“ vorlegen, bestehend aus weiterentwickelten gesetzlichen Rahmenbedin-gungen und finanziellen Fördermaßnahmen für Car-Sharing, BikeSharing und ScooterSharing (Elektrorol-ler) sowie multimodale Nutzungen. Im Rahmen der Mobilitätsstrategie wird das BMUB zudem die Stärkung von ÖPNV sowie Rad- und Fußverkehr vorantreiben, um in den Kommunen den motorisierten Individual-verkehr und die von ihm beanspruchte Fläche zu re-duzieren. Freiwerdende Flächen können für Erholung, Aufenthalt und aktive Bewegung genutzt werden. Re-gionale und kommunale Verkehrsentwicklungspläne sollen diese Ziele umsetzen. Das BMUB wird darauf drängen, die Ziele des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) hinsichtlich Radwegebau und Verkehrsanteil ambitioniert fortzuschreiben. Insgesamt wird die Stra-tegie darauf abzielen, auch die Chancen der Digitalisie-rung für eine umweltfreundliche Mobilität zu nutzen. Hierzu wird sie im Wechselspiel mit entsprechenden Innovationen fortlaufend weiterentwickelt.

2. Klimaverträgliche Technologien bei allen Verkehrsträgern zum Standard machen

Das BMUB wird sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, die CO2-Grenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge ambitioniert weiterzuentwickeln sowie strenge CO2-Grenzwerte für schwere Nutzfahrzeuge festzusetzen. Insgesamt wird das BMUB auf eine ehrgeizige Weiter-entwicklung der Abgasgesetzgebung hinwirken.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen, dass Elektromobilität gefördert wird. // (online zum Teil kontrovers)

Die im Mai 2016 beschlossene Einführung von Kauf-anreizen ist bereits ein wichtiges Signal für den um-weltfreundlichen Umbau des Verkehrssektors. Das BMUB wird in der Bundesregierung dafür eintreten, die Entwicklungsziele für elektrische und emissi-onsfreie Fahrzeuge durch weitere Maßnahmen zu unterlegen. Zur Erreichung längerfristiger Ziele ent-sprechend dem Klimaschutzplan 2050 wird das BMUB einen Fahrplan vorlegen. Im Jahr 2030 neu verkaufte Fahrzeuge sollten über einen elektrischen Antrieb oder über Motoren verfügen, die mit regenerativ erzeugten synthetischen Kraftstoffen angetrieben werden können. Im Stadtverkehr eingesetzte Liefer-fahrzeuge und der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) sollen dann sogar im Fahrzeugbestand annä-hernd emissionsfrei sein.

Auch im Luft- und Seeverkehr sind umfangreiche Um-welt- und Klimaschutzmaßnahmen notwendig. In die-sen Bereichen wird das BMUB auch darauf hinwirken, dass zunehmend strombasierte Kraftstoffe (chemische Speicherung von Strom in Form von Wasserstoff, Me-than und synthetischen Kohlenwasserstoffen) verwen-det werden, sofern eine CO2-neutrale Stromversorgung sichergestellt ist.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Leitziel II: Städte, Gemeinden und Infra-strukturen umweltgerecht entwickeln

3. Kompakte, nutzungsgemischte und grüne Quartiere sowie grüne und resiliente Infrastruktur

Das BMUB wird die Kommunen im Rahmen bestehen-der Förderinstrumente bei der Entwicklung kompakter, nutzungsgemischter und zugleich grüner Stadtquartiere unterstützen. Leitlinie ist die intelligente Verbindung von Sanierungs-, Um- und Rückbaumaßnahmen mit dem ökologischen Umbau unter Berücksichtigung der Baukultur (zum Beispiel Bauwerksbegrünung, Hof-flächen, Wohnumfeldmaßnahmen, Flächenmanage-ment). Handlungsansätze sind zum Beispiel die spar-same Ausweisung von neuem Bauland, die Nachverdich-tung im Bestand durch Aufstockungen, die Stärkung der Mehrgeschossigkeit im Gewerbebau, die Umwandlung gewerblich genutzter Räume zu Wohnungen und die Veränderung der Nutzung von Verkehrsflächen.

Das BMUB wird zudem den mit dem Grünbuch „Grün in der Stadt“ angestoßenen öffentlichen Dialogprozess fortsetzen und ein Weißbuch mit konkreten Maßnah-men und Empfehlungen zur Förderung des urbanen Grüns erarbeiten. Das BMUB wird zudem gemeinsam mit Ländern und Kommunen darauf hinwirken, die Erhebung, Qualifizierung und Vernetzung städtischer Grünräume voranzubringen und den fußläufigen, bar-rierefreien Zugang zu Grün-, Erholungs- und Spielflä-chen, insbesondere auch in benachteiligten Stadtquar-tieren, zu gewährleisten. Die Grünflächenversorgung in sozial benachteiligten Wohngebieten soll gestärkt und an den gesamtstädtischen Durchschnitt angeglichen werden.

4. Flächenschutz ambitioniert vorantreiben

Das BMUB wird Maßnahmen zum Flächenschutz und der Gestaltung des Übergangs zu einer Flächenkreis-laufwirtschaft entwickeln. Der Flächenverbrauch soll bis 2030 auf 20 Hektar pro Tag gesenkt werden. Das BMUB setzt sich im Rahmen der Weiterentwicklung des Raumordnungsgesetzes des Bundes zudem dafür ein, dass sich die Länder auf der Ebene ihrer Landes- und Regionalplanung eigene Flächensparziele setzen. Das BMUB wird insgesamt darauf drängen, die Raum-ordnung und Regionalplanung zu stärken und ihre

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Potenziale für den Flächenschutz (Siedlungsentwick-lung, regionale Grünzüge etc.) besser zu nutzen. Eine Informationsplattform zum Flächensparen soll beste Praktiken zum Einsatz von zielführenden Instrumen-ten und Maßnahmen bekannt machen.

5. Lebenszykluskostenansatz und Nach­haltigkeitsstandards im Bau verankern

Das BMUB wird die Handlungsanleitungen, Förderan-reize, Modellansätze, Ausbildungs- und Informations-maßnahmen zu Lebenszykluskosten und Nachhaltig-keitsanforderungen im Bau fortentwickeln. Ziel ist, dass Bauherrinnen und Bauherren, Planerinnen und Planer sowie Investorinnen und Investoren grundsätzlich bei Bauvorhaben den gesamten Lebenszyklus des Gebäu-des im Auge behalten, also Nachhaltigkeitsanforderun-gen neben der Planung und Baudurchführung auch bei Betrieb und Nutzung berücksichtigen. Das BMUB unterstützt deshalb Initiativen zur Verbreiterung des Einsatzes von Qualitätssicherungs- und Bewertungs-systemen zum nachhaltigen Bauen, so dass über den Bundesbau hinaus bei möglichst vielen Bauvorhaben von vornherein Nachhaltigkeitsstandards berücksich-tigt werden. Das BMUB wird zudem Vorschläge entwi-ckeln, mit deren Hilfe langfristige Betriebs-, Instand-setzungs- und externe Kosten bei der Finanzplanung angemessen berücksichtigt werden können. Dies wird die ganzheitliche Beurteilung und Optimierung der Lebenszykluskosten erleichtern.

6. Dialogplattform „Smart Cities“

Zur Unterstützung und Gestaltung der digitalen Trans-formation der Städte bedarf es auch einer gesellschafts-politischen Debatte. Das BMUB wird diese Debatte anstoßen und dazu im Rahmen des interministeri-ellen Arbeitskreises „Nachhaltige Stadtentwicklung in nationaler und internationaler Perspektive“ eine Dialogplattform „Smart Cities“ einrichten. Im direkten Austausch mit relevanten Akteuren der Stadtentwick-lung und insbesondere den Städten sollen die Chancen und Risiken von Smart Cities identifiziert, erörtert und strategisch bewertet werden. Darauf aufbauend sollen Leitplanken für die digitale Transformation der Städte erarbeitet werden, die eine möglichst nachhaltige und am Gemeinwohl orientierte Stadtentwicklung gewähr-leisten. Erkenntnisse aus der Dialogplattform werden auch in die Strategie integrierter, ressourceneffizienter und resilienter Infrastrukturen (siehe Seite 83) einfließen.

7. Strategie für integrierte, ressourcen­effiziente und resiliente Infrastrukturen

Ziel ist ein Umbau der Infrastrukturen, der deren Ener-gie-, Flächen- und Ressourceneinsatz in Aufbau und Betrieb effizienter macht. Infrastrukturen sollen eine geringere Anfälligkeit gegenüber dem Klimawandel aufweisen, also resilienter sein, gleichzeitig finanziell tragbar sein und – wo sinnvoll – innovative Finanzie-rungsoptionen nutzen. Hierzu wird das BMUB – unter anderem unter Einbeziehung von Erkenntnissen aus der Dialogplattform „Smart Cities“ – eine Strategie für integrierte, ressourceneffiziente Infrastrukturen ausar-beiten. Ziel ist, durch funktionale Kopplung von Infra-strukturen ökologische, ökonomische und soziale Syn-ergieeffekte zu nutzen. Infrastrukturen sollen zu einem flexiblen, anpassungsfähigen Gesamtsystem ausgebaut und mit den neuen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) intelligent gesteuert werden. Hierzu wird das BMUB im Rahmen der Strategie Eckpunkte für den verantwortungsvollen Einsatz digitaler Technik in den städtischen Infrastruk-turen erarbeiten.

8. Klimaanpassung: Maßnahmenkonzepte und Hitzeaktionspläne

Da vor allem Stadtbewohnerinnen und -bewohner von klimawandelbedingten Hitzewellen betroffen sein werden, wird das BMUB Grundlagen zur Entwicklung von Hitzeaktionsplänen erarbeiten. Hitzeaktionspläne sollen ein Element in der umfassenden Weiterentwick-lung der Anpassungsstrategie an den Klimawandel und der zugehörigen Aktionspläne werden. Das BMUB wird in diesem Zusammenhang weitere Maßnahmen-konzepte auch für andere Extremwetterereignisse und sonstige Folgen des Klimawandels erarbeiten.

Leitziel III: Mitwirken bei nachhaltiger Stadt- und Mobilitätsentwicklung fördern

9. Stärkere Vernetzung der Akteure nachhaltiger Stadtentwicklung

Wir brauchen eine stärkere Koordination zwischen lokalen und globalen, europäischen und nationalen Nachhaltigkeitszielen sowie einen intensiveren Aus-tausch über laufende Aktivitäten und best practice. Dem dient die Initiative „Nationale Stadtentwicklungs-politik“ der Bundesregierung. Auch soll der interminis-terielle Arbeitskreis „Nachhaltige Stadtentwicklung in nationaler und internationaler Perspektive“ als ressort-übergreifende Vernetzungsinitiative fortgeführt wer-den. Das BMUB wird weiterhin internationale Orga-nisationen und Netzwerke der Städte und Gemeinden in ihren Aktivitäten zu nachhaltiger Stadtentwicklung unterstützen. Urbanisierungspartnerschaften sollten stärker als bisher dazu genutzt werden, nachhaltige und integrierte Ansätze der Stadtentwicklungspolitik auf den Weg zu bringen.

10. Experimentierräume für nachhaltige Stadt­, Regional­ und Mobilitäts­entwicklung

Die Potenziale für Partizipation und Teilhabe in Kom-munen sollten durch gezielte Fortbildung der Verwal-tung sowie privater und bürgerschaftlicher Initiativen erschlossen werden. Das BMUB wird Modellvorhaben (vergleiche Kapitel 3.5) fördern, in denen nachhaltiges Handeln und neue Beteiligungsverfahren im Alltag geprüft werden können. Damit sollen unter anderem praktisches und lokales Wissen gehoben sowie Ak-zeptanz, Machbarkeit und Transferpotenzial ermittelt werden. In experimentellen Vorhaben sollen insbe-sondere innovative Ansätze zur umweltschonenden Vernetzung nachhaltiger Stadtentwicklung mit neuen Formen des Wohnens und der Mobilität entwickelt werden. Das BMUB wird auch gemeinsam mit Bürge-rinnen und Bürgern gestaltete Forschungs- und Ent-wicklungsprojekte fördern.

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4.4 Gesunde Lebensbedingungen

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Erfolge und positive Entwicklungen

→ Eine intakte Natur und Umwelt gehört nach Meinung vieler Menschen zu einem „guten Leben“.

→ Umweltrecht, - programme und - strategien bewirken einen weitreichenden Schutz der Gesundheit vor schädlichen Umwelteinflüssen.

→ Auch auf europäischer und internationaler Ebene wurden wichtige Regelungen zum gesundheits-bezogenen Umweltschutz umgesetzt.

→ Gesundheitsbezogene Umweltbelastungen und Wirkungen umweltpolitischer Maßnahmen werden durch die gesundheitsbezogene Umweltbeobachtung erkannt.

Herausforderungen und neue Aufgaben

→ Luftverunreinigungen und Lärm, aber auch andere Umweltbelastungen, erfordern ambitionierte zu-sätzliche Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit.

→ Verkehrswachstum, Technisierung und Klimawandel sind oftmals Ursachen umweltbedingter Gesund-heitsbelastungen und schreiten weiter voran.

→ Ärmere Menschen sind oft höheren umweltbedingten Gesundheitsbelastungen ausgesetzt.

→ Es bestehen weiterhin Wissenslücken zu Zusammenhängen von Umwelt und Gesundheit.

→ Der volkswirtschaftliche Nutzen des gesundheitsbezogenen Umweltschutzes wird noch nicht hin-reichend erkannt.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Leitziele und Maßnahmen

Leitziel I: Gesundheitsförderliche Umweltqualität erreichen

1. Ambitioniertes Luftreinhalteprogramm

2. Integrierte Lärmminderungsstrategie

Leitziel II: Umweltbedingte Gesundheitsrisiken mindern

3. Nachhaltige Chemie: Leitbild und Konzept für Deutschland und international

4. Nichtionisierende Strahlen: optimierte Schutzstandards für die Anwendung am Menschen

5. Maßnahmenplan „Radonsicher Bauen und Wohnen“

6. Atomkraftwerke in der EU: anspruchsvolles Regelwerk schaffen

Leitziel III: Wissenslücken des gesundheitsbezogenen Umweltschutzes schließen

7. Informationen zum umweltbezogenen Gesundheitsschutz: Wertschätzung, Risikomündigkeit und Selbstwirksamkeit in der Bevölkerung fördern

8. Forschungsprogramm „Umwelt und Gesundheit“

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Umsetzung von globalen Nach haltigkeits zielen und Zielen des 7. EU­Umweltaktionsprogramms

Die Ziele und Maßnahmen des Integrierten Umweltprogramms tragen zur Umsetzung von globalen Nachhaltigkeitszielen und Zielen des 7. EU-Umweltaktionsprogramms bei (Auswahl):

ó Globale Nachhaltigkeitsziele (SDG)

SDG 3: Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern

SDG 13: Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klima wandels und seiner Auswirkungen ergreifen

ó Prioritäre Ziele des 7. EU­Umweltaktions programms (7. UAP)

Prioritäres Ziel 3: Schutz der Unionsbürger vor umweltbedingten Belastungen, Gesundheitsrisiken und Risiken für die Lebensqualität

→ EU- Chemikalienverordnung „REACH“: Diese 2007 in Kraft getretene Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien ordnet in der EU das Chemikalienrecht grundlegend neu und einheitlich.

→ Regulierung von Nanomaterialien: Das BMUB setzt sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit Nanomaterialien ein und wird insbesondere für eine entsprechende Weiterentwicklung von REACH werben.

→ Einsatz leiserer Güterwagen: Ab dem Jahr 2020 sollen keine lauten Güterwagen mehr auf dem deut-schen Schienennetz fahren dürfen. Die Bundesregierung bereitet eine gesetzliche Regelung vor.

→ Verordnung über elektromagnetische Felder: Die 2013 neugefasste Verordnung regelt den Schutz vor elektromagnetischen Feldern, die von ortsfesten Anlagen wie zum Beispiel Mobilfunkanlagen oder Hochspannungsleitungen ausgehen.

Laufende und weiterzuentwickelnde politische Vorhaben (Auswahl)

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4.4.1 Erfolge und positive Entwicklungen

Eine intakte Natur und Umwelt gehört nach Meinung vieler Menschen zu einem guten Leben.

Auf die Frage, was ein gutes Leben ausmacht, wird an erster Stelle „gesund sein“ genannt. Dies hat die Studie „Umweltbewusstsein in Deutschland 2014“ bestätigt. Für 30 Prozent der Befragten sind Aspekte einer in-takten Natur und Umwelt Bestandteil eines „guten Lebens“ – annähernd gleich viele wie hinsichtlich der materiellen Aspekte des Lebensstandards (34 Prozent). „Eine intakte Umwelt/Natur genießen“ steht auf Platz fünf einer entsprechenden Rangliste (nach der Er-füllung existenzieller Grundbedürfnisse, der Geborgen-heit in der Familie/Gemeinschaft und einem hohen/guten Lebensstandard). Gesundheit und Erholung in der Natur zählen für viele Menschen daher auch zu den wichtigsten Naturschutzgründen. Studien im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz sowie der im Mai 2016 veröffentlichte Bericht zu den Ökosystemleistungen in der Stadt von „Naturkapital Deutschland – TEEB DE“ belegen die Wirkungen von Natur und Landschaft auf das psychische, physische und soziale Wohlbefinden der Menschen.

In der Generation der heute 15- bis 30-Jährigen zeich-net sich ein Wandel der Ansprüche an ein „gutes Leben“ ab. Vielen jungen Menschen ist es offenbar sehr wich-tig, im Berufsleben Stress und Arbeitszeit zu begrenzen, mehr Gestaltungsfreiheit, Flexibilität und Selbstver-wirklichung zu erlangen sowie ausreichend Zeit für ihr Privatleben zu haben. Auszeiten und Entschleunigung werden als Möglichkeiten gesehen, das eigene Wohl-befinden zu erhalten und Überlastungen zu vermeiden. Neben das Streben nach materiellem Wohlstand treten somit Zeitwohlstand, soziale Geborgenheit, sinnerfüllte Arbeit, gute Bildung, Freizeit und Lebensqualität als zentrale Elemente eines „guten Lebens“. Die in Kapi-tel 3.4 diskutierten Fragen einer möglichen „Zeitpoli-tik“ weisen somit auch gesundheitliche Bezüge auf.

Die Umweltbelastung, von der sich Bürgerinnen und Bürger am meisten betroffen fühlen, ist Lärm. Insge-samt von Lärm überhaupt nicht gestört oder belästigt fühlt sich gerade einmal ein Viertel der Bevölkerung. Zwei Drittel meinen, dass Lärm sie mittelmäßig oder etwas belästigt. Stark oder äußerst stark gestört fühlen sich rund zehn Prozent aller Befragten. Eine der wich-tigsten Belastungen ist dabei der Straßenverkehrslärm, von dem sich etwa die Hälfte der Bevölkerung gestört

oder belästigt fühlt. Zusätzlich ist eine sozialräumlich ungleiche Verteilung von Lärmbelastungen zu erken-nen. Zahlungsschwache und/oder in anderer Hinsicht benachteiligte Bevölkerungsgruppen leben häufiger in lärmbelasteten Quartieren (vergleiche Kapitel 4.3).

Umweltrecht, ­programme und ­strategien bewirken einen weitreichenden Schutz der Gesundheit vor schädlichen Umwelteinflüssen.

In der Luftreinhaltung, beim Gewässer- und Boden-schutz sowie beim Schutz vor gefährlichen Chemika-lien und im Strahlenschutz sind auf nationaler Ebene umfassende umweltrechtliche Regelungen in Kraft, durch die umweltbedingte Gesundheitsbelastungen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten bereits er-heblich verringert werden konnten. Das Risikobewusst-sein in Wirtschaft und Gesellschaft hinsichtlich dieser Belastungen hat sich wesentlich erhöht. Das gesteigerte Bewusstsein ist das Ergebnis intensiver, langjähriger Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger über gesund-heitliche Umweltrisiken. Die hierdurch entstandene gesellschaftliche Akzeptanz hat ambitionierte Regelun-gen zur Begrenzung der Belastungen ermöglicht.

Die Luftbelastung hat in den letzten Jahrzehnten in Deutschland und Europa erheblich abgenommen. Ein effektives Regelwerk auf EU- und nationaler Ebene ist hierfür verantwortlich. Beim Lärmschutz sind die stra-tegische Lärmkartierung und die Lärmaktionsplanung wichtige aktuelle Instrumente. Für alle Hauptverkehrs-straßen, Haupteisenbahnstrecken und Großflughäfen sowie für alle Ballungsräume werden heute Lärmkar-ten ausgearbeitet. Auf dieser Grundlage werden unter Mitwirkung der Öffentlichkeit Lärmaktionspläne erstellt. Beim Schienenverkehrslärm wurden mit der Einführung des lärmabhängigen Trassenpreissystems wichtige Anreize zur Umrüstung von Güterwagen auf lärmmindernde Bremssohlen geschaffen. Im Luftver-kehr werden seit 2007 die Lärmschutzaspekte bei der Flugroutenplanung in der Umgebung von Flughäfen frühzeitig und fachlich vertieft berücksichtigt.

Auch im Bereich der ionisierenden Strahlung konnte der Schutz der Bevölkerung in den letzten Jahren nochmals deutlich optimiert werden. Die mittlere Jahresdosis von beruflich strahlenexponierten Perso-nen, die etwa an Röntgengeräten, in Kernkraftwerken oder Flugzeugen tätig sind, wurde in den letzten Jah-ren auf jetzt nur noch drei Prozent des gesetzlichen Grenzwertes gesenkt.

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Auch auf europäischer und internationaler Ebene wurden wichtige Regelungen zum ge­sundheitsbezogenen Umweltschutz umgesetzt.

Wie in anderen Handlungsfeldern der Umweltpolitik auch, ist der gesundheitsbezogene Umweltschutz in Deutschland vielfältig mit Programmen und Regelun-gen auf EU- und internationaler Ebene verknüpft. Viele umweltpolitische Erfolge auf diesen Ebenen gehen auf die deutsche Mitwirkung zurück.

Heute wird zum Beispiel das Chemikalienrecht in den EU-Mitgliedstaaten in fast allen zentralen Bereichen durch die 2007 in Kraft getretene EU-Chemikalien-verordnung „REACH“ (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien) ge-regelt. Mit der REACH-Verordnung wurde in der EU das Chemikalienrecht grundlegend neu und einheit-lich geordnet. Gemäß dem Prinzip der kontrollierten Eigenverantwortlichkeit übernimmt die Industrie die Verantwortung für die sichere Verwendung ihrer Stoffe entlang der Lieferkette. Kernanliegen ist es, die bestehenden Wissenslücken zu schließen, um einen verantwortlichen Umgang mit Chemikalien zu ermög-lichen. Von entscheidender Bedeutung ist die Pflicht, Chemikalien vor ihrer Vermarktung und Anwendung zu untersuchen, auf ihre Risiken hin zu bewerten und soweit erforderlich und geboten zu beschränken oder zu verbieten beziehungsweise durch weniger schädli-che Alternativen zu ersetzen. Die Chemikaliensicher-heit gehört deshalb in Deutschland und der EU zu den am stärksten regulierten Bereichen im Umweltschutz.

Auch die Luftreinhaltung ist stark durch europäische und internationale Regelungen geprägt, denn ein er-heblicher Teil der weiträumigen Belastung durch Luft-schadstoffe wird durch grenzüberschreitende Emissio-nen verursacht. Die Bundesregierung trägt sowohl auf europäischer Ebene wie auch weltweit maßgeblich zu einem konstruktiven Dialog über Luftreinhaltemaß-nahmen bei. Auf internationaler Ebene ist die UNECE-Luftreinhaltekonvention von zentraler Bedeutung. Auf europäischer Ebene wird aktuell ein von der Europä-ischen Kommission vorgelegtes Legislativpaket ver-handelt. Zentrales Element ist die sogenannte NERC-Richtlinie, die für die wichtigsten Luftschadstoffe nati-onale Emissionsminderungsverpflichtungen („national emission reduction commitments“, NERC) festlegt, die bis 2030 zu erreichen sind. Hinsichtlich dieser Ver-pflichtungen wurde im Juni 2016 eine Einigung erzielt. Zur Umsetzung der Verpflichtungen sind nationale Luftreinhalteprogramme zu erarbeiten.

Für den Bereich der Reaktorsicherheit liegt seit 2014 als Folge des Reaktorunfalls von Fukushima eine überarbeitete EU-Richtlinie vor, die das Ziel verfolgt, die nukleare Sicherheit in Europa kon-tinuierlich zu verbessern. Deutschland konnte im Rahmen der Überarbeitung durchsetzen, dass die Richtlinie ambitionierte Sicherheitsziele und zusätzliche Verpflichtungen zu gegenseitiger Über-prüfung enthält. Das Reaktorunglück war auch Anlass für eine transparente Risiko- und Sicher-heitsbewertung im Hinblick auf die Robustheit aller Kernkraftwerke in der EU („Stresstest“). Im Jahr 2012 hat Deutschland – ebenso wie alle anderen Teilnehmerstaaten des Stresstests – einen nationa-len Aktionsplan vorgelegt, der insbesondere Maß-nahmen zum Notfallschutz enthält. Viele dieser Maßnahmen sind bereits realisiert, weitere werden derzeit umgesetzt. Die nationalen Aktionspläne wurden daraufhin bereits aktualisiert. Der EU-Stresstest hat erstmals zu einer gemeinsamen und gegenseitigen Überprüfung aller Kernkraftwerke in Europa geführt.

Die Umsetzung der Euratom-Grundnormenrichtlinie von 2013 zum Schutz vor Gefahren durch ionisierende Strahlung nimmt die Bundesregierung zum Anlass, das Strahlenschutzrecht insgesamt durch ein Strah-lenschutzgesetz grundlegend zu modernisieren. Dabei werden nicht nur bestehende Regelungen verbessert, sondern auch Schutzlücken geschlossen, etwa im Hin-blick auf das in höheren Dosen Lungenkrebs verursa-chende radioaktive Edelgas Radon oder im Hinblick auf radiologische Altlasten.

Im Januar 2013 wurde die Quecksilber-Konvention der Vereinten Nationen – die sogenannte „Minamata-Konvention“ – abschließend verhandelt. Deutschland hat sich stark für die Verabschiedung der Konvention eingesetzt, die Verbotsregelungen für die Verwendung von Quecksilber enthält.

Des Weiteren engagiert sich die Bundesregierung im „Strategischen Ansatz für ein Internationales Chemikalienmanagement“ (Abkürzung: „SAICM“) unter dem Dach der Vereinten Nationen. SAICM soll die diversen Aktivitäten zur Chemikaliensi-cherheit auf globaler Ebene bündeln und bis zum Jahr 2020 sicherstellen, dass die mit der weltweiten Herstellung und Verwendung von Chemikalien ver-bundenen negativen Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit minimiert werden („2020-Ziel“).

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Gesundheitsbezogene Umweltbelastungen und Wirkungen umweltpolitischer Maßnahmen werden durch die gesundheitsbezogene Umweltbeobachtung erkannt.

Für den gesundheitsbezogenen Umweltschutz ist es sehr wichtig, Zusammenhänge zwischen Umwelt und Gesundheit zu untersuchen und zu beobachten, damit die Erfolge der Umweltpolitik, zum Beispiel bei der Chemikalienregulierung, sowie bisher unbekannte Belastungen erkannt werden. Die gesundheitsbezo-gene Umweltbeobachtung ist hierbei ein wichtiges Instrument. Dazu gehört das Human-Biomonitoring, mit dem untersucht wird, welche in der Umwelt vor-kommenden Stoffe vom menschlichen Organismus aufgenommen werden. Als Human-Biomonitoring (HBM) bezeichnet man die Untersuchung von Blut, Urin, Muttermilch und anderen Körpermedien auf Schadstoffe. Es gibt Auskunft darüber, welche Schad-stoffe in welchen Mengen in den menschlichen Körper gelangt sind.

Mithilfe von sozial- und umweltepidemiologischen Studien wurde in den vergangenen Jahren erkannt, dass der soziale Status in Deutschland mit darüber ent-scheidet, ob und in welchem Umfang Kinder, Jugendli-che und Erwachsene durch Umweltschadstoffe belastet sind. Sozioökonomische Faktoren wie Bildung und Einkommen, aber auch andere Faktoren wie Migrati-onshintergrund und das soziale Umfeld beeinflussen die Wohnbedingungen, Lebensstile, die verfügbaren Ressourcen sowie die damit verbundenen Gesund-heitsrisiken. Der sozialräumlich gerechte Zugang zu Grün- und Erholungsflächen sowie die Vermeidung und der Abbau der räumlichen Konzentration gesund-heitsrelevanter Umweltbelastungen werden unter dem Begriff „Umweltgerechtigkeit“ diskutiert.

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4.4.2 Herausforderungen und neue Aufgaben

Luftverunreinigungen und Lärm, aber auch andere Umweltbelastungen, erfordern ambitionierte zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit.

Die Verbreitung verschiedener, mit Umwelteinflüssen in Verbindung gebrachter Krankheitsbilder nimmt zu. In mehreren Bereichen ist ohne ambitionierte zusätz-liche Maßnahmen keine Minderung der Belastungen in Sicht. Das gilt etwa für die Verunreinigung der Luft mit Feinstaub, Ozon und Stickstoffverbindungen, die in Deutschland und in der EU mittelfristig eine Haupt-ursache umweltbedingter Gesundheits- und Umwelt-schäden bleiben wird.

Luftverunreinigungen stellen auch weltweit eine der größten umweltbedingten Belastungen für die Ge-sundheit dar. In Deutschland wird von jährlich etwa 42.000 vorzeitigen Todesfällen und über 300.000 verlo-renen gesunden Lebensjahren durch Feinstaub ausge-gangen. Neben den Krankheitslasten, die durch Luft-schadstoffe (besonders Feinstaub) verursacht werden, belasten auch Allergien die Gesundheit.

Auch der Umgebungslärm konnte noch nicht ausrei-chend gemindert werden und führt weiterhin zu einer Vielzahl an gesundheitlichen Belastungen. Bluthoch-druck, der durch Straßenverkehrslärm verursacht wird, verursacht in Deutschland nach Schätzungen der Welt-gesundheitsorganisation (WHO) jährlich über 40.000 verlorene gesunde Lebensjahre (vergleiche Kapitel 4.3). Es ist möglich, dass die Empfindlichkeit der Bevölke-rung gegenüber negativen Umwelteinflüssen durch den demografischen Wandel noch ansteigt.

Zudem kann es durch ionisierende Strahlung zu relevanten Gesundheitsbelastungen kommen. Fer-ner ist das natürliche radioaktive Edelgas Radon, das in Böden und Gesteinen vorkommt, von ge-sundheitlicher Bedeutung. In Deutschland tritt es insbesondere in Mittelgebirgen auf. Durch Ritzen und Fugen kann es in Häuser eindringen. Radon ist nach Tabakrauch die zweite wichtige Ursache für Lungenkrebs.

Verkehrswachstum, Technisierung und Klima­wandel sind oftmals Ursachen umweltbedingter Gesundheitsbelastungen und schreiten weiter voran.

In einigen Bereichen besteht für eine Minderung der Belastungen ein zentrales Problem darin, dass mit ei-nem weiteren Anstieg der verursachenden Aktivitäten zu rechnen ist. Dies gilt beispielsweise für den Verkehr (vergleiche Kapitel 4.3).

Neben dem Verkehr nimmt auch die Technisierung un-serer Umgebung zu. Mit zunehmender Technisierung steigt die Exposition der Bevölkerung gegenüber elek-tromagnetischen Feldern weiter an, zum Beispiel durch Mobilfunk, Hochspannungsleitungen, Elektromobilität und Entwicklungen hin zu Wohnungen und Wohn-häusern mit starker Vernetzung, integrierter Steuerung und Internetanbindung der im Haushalt eingesetzten Systeme („Smart Home“). Ähnliches gilt für Städte mit umfassender Vernetzung ihrer Infrastruktursysteme und „Smart Cities“ (vergleiche Kapitel 4.3). Die Anwen-dung nichtionisierender Strahlen am Menschen (zum Beispiel in der Kosmetik) schreitet ebenfalls voran.

Auch der Klimawandel stellt eine zunehmend bedeu-tende Ursache von Gesundheitsbelastungen dar. Bei-spielsweise kann es zu mehr hitzebedingten Sterbefäl-len kommen, Infektionskrankheiten sowie nichtüber-tragbare Krankheiten wie Allergien können zunehmen, die Konzentrationen an bodennahem Ozon können steigen und verstärkt zu Atembeschwerden führen.

Ärmere Menschen sind oft höheren umwelt­bedingten Gesundheitsbelastungen ausgesetzt.

Menschen mit geringem Einkommen und niedriger Bildung sind oft höheren Umweltbelastungen ausge-setzt als finanziell besser gestellte Menschen. Zudem sind Stadtteile, in denen ärmere Bevölkerungsgruppen wohnen, oft nicht mit ausreichenden Grünräumen versorgt (vergleiche Kapitel 4.3). Gerade dort werden Parks und Grünanlagen jedoch als Orte der Begegnung und der Erholung benötigt.

Es bestehen weiterhin Wissenslücken zu Zusammenhängen von Umwelt und Gesundheit.

Wissensdefizite zu Ursache-Wirkungs-Zusammen-hängen sowie Kombinationseffekten umweltbedingter Gesundheitsbelastungen stellen eine große Heraus-forderung dar. So ist etwa über die gesundheitlichen Auswirkungen gefährlicher chemischer Stoffe zum Teil noch wenig bekannt; erst durch die REACH-Ver-ordnung wird derzeit die Datenbasis zu Produktion, Einsatz und Eigenschaften von Stoffen und Gemischen auf dem EU-Markt verbessert. Große Wissenslücken bestehen allerdings nach wie vor im Hinblick auf die gesundheitlichen Wirkungen von Nanomaterialien sowie von hormonähnlich wirkenden Stoffen. Auch der Kenntnisstand über die Ursachen von Krebserkran-kungen und insbesondere von Leukämien bei Kindern und mögliche umweltbedingte Auslöser hat sich in den letzten Jahren kaum verbessert.

Insgesamt nimmt die Zahl von Substanzen und physi-kalischen Faktoren, deren Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit weitgehend unbekannt sind, zu.

Der volkswirtschaftliche Nutzen des gesund­heitsbezogenen Umweltschutzes wird noch nicht hinreichend erkannt.

Aktuelle Daten zu den volkswirtschaftlichen Kosten der gesundheitlichen Auswirkungen der Luftverschmut-zung liegen für die 53 Länder der WHO-Region Europa vor. Demnach beliefen sich die Kosten der durch Fein-staub verursachten Krankheitslast und der etwa 600.000 vorzeitigen Todesfälle auf fast 1,6 Billionen US-Dollar im Jahr 2010. In zehn Ländern der Region machen diese Kosten mindestens 20 Prozent des Bruttoinlandspro-dukts (BIP) aus. In Deutschland entsprechen diese Kos-ten einem Anteil von 4,5 Prozent am BIP.

Diese allein für den Bereich Feinstaub angestellten Schätzungen zeigen, dass der gesundheitsbezogene Um-weltschutz ein beachtliches Potenzial zur Krankheits-vermeidung und einen enormen volkswirtschaftlichen Nutzen aufweist. Auch im Chemikalienbereich trägt ein effektiver, vorsorgender Gesundheitsschutz erheblich zur Vermeidung von gesundheitlichen Beeinträchtigun-gen und damit zu einer Entlastung der Sozialsysteme bei. Trotz dieser Erkenntnisse wird der volkswirtschaft-liche Nutzen einer hohen, gesundheitsförderlichen Um-weltqualität noch nicht hinreichend erkannt.

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4.4.3 Leitziele und Maßnahmen

Leitziel I: Gesundheitsförderliche Umweltqualität erreichen

1. Ambitioniertes Luftreinhalteprogramm

Zur Umsetzung der aktuell verhandelten EU-Richtli-nie zu nationalen Emissionsminderungsverpflichtun-gen bis 2030 (und folgende) (NERC-RL) und der dafür erforderlichen zusätzlichen quellenbezogenen Maß-nahmen wird das BMUB – in Verknüpfung mit einer umfassenden Mobilitätsstrategie (vergleiche Kapitel 4.3) – ein ambitioniertes Luftreinhalteprogramm ent-wickeln. Ziel ist, bis 2020 die Schadstoffbelastung der Luft mit Schwefeldioxid, Stickstoffoxiden, Ammoniak, flüchtigen organischen Verbindungen und Feinstaub im Mittel um 21 Prozent gegenüber 2005 zu senken. Bis 2030 soll die Schadstoffbelastung der Luft für diese Komponenten im Mittel um 45 Prozent gegen-über 2005 gesenkt werden.2

Bis 2050 ist eine Luftqualität zu erreichen, die ge-währleistet, dass die Critical Loads und Levels, also Belastbarkeitsgrenzen unterschiedlich empfindlicher Ökosysteme, sowie die Luftqualitätswerte der Weltge-sundheitsorganisation in Deutschland flächendeckend eingehalten werden.

2. Integrierte Lärmminderungsstrategie

Um den Lärm insbesondere durch den Verkehr, aber auch durch Industrie- und Gewerbeanlagen in Deutsch-land substanziell zu mindern, wird das BMUB eine integrierte Lärmminderungsstrategie entwickeln. Sie soll insbesondere darauf abzielen, Lärmbrennpunkte zu entlasten und zu vermeiden, dass Menschen gesundheit-liche Beeinträchtigungen durch Lärm erfahren.

Um Lärmbelastungen substanziell zu mindern, sollen

→ verkehrsträgerübergreifende Lärmschutz-Regelun-gen geschaffen werden;

→ Lärmsanierungen vor allem dort vorangetrieben werden, wo die Belastung hoch ist;

→ Entwicklungen lärmarmer Techniken bei Fahr-zeugen sowie bei mobilen Geräten und Maschinen forciert werden;

→ für hoch belastete Schienenwege und Straßen Begrenzungen der Geräuschimmissionen festgelegt werden.

Die integrierte Lärmminderungsstrategie soll mit einer umfassenden Mobilitätsstrategie (vergleiche Kapitel 4.3) verknüpft werden.

Leitziel II: Umweltbedingte Gesundheits-risiken mindern

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3. Nachhaltige Chemie: Leitbild und Konzept für Deutschland und international

Um den Wandel hin zu einer nachhaltigen Ausgestal-tung von Produktion und Gebrauch von Chemikalien zu forcieren, wird das BMUB ein Leitbild und Konzept „Nachhaltige Chemie“ entwickeln und mit Zielen und Indikatoren unterfüttern. Die Transformation des Che-miesektors soll dazu beitragen, dass bis 2030 die Be-lastung der Menschen in Deutschland durch Umwelt-chemikalien und -schadstoffe auf ein gesundheitlich unbedenkliches Maß gesenkt wird. Ein internationales Kompetenzzentrum „Nachhaltige Chemie“ soll dieses Konzept international verbreiten und dazu dienen, die Transformation hin zu einem dauerhaft zukunftsfähi-gen Umgang mit Chemikalien zusammen mit einem weltweiten Netzwerk von Wissenschaft, Unternehmen, Verbänden und Institutionen voranzutreiben. Zu den Kernaufgaben gehören ökologische Fragestellungen wie der sparsame Verbrauch von endlichen Rohstof-fen, die Vermeidung von gefährlichen Abfällen, die Vermeidung der Freisetzung gefährlicher Stoffe in die Umwelt, der Erhalt der biologischen Vielfalt, aber auch soziale und ökonomische Fragen.

2 Reduzierungen für die Einzelstoffe: Schwefeldioxid (SO2) -58 Prozent, Stickoxide (NOX) -65 Prozent, Ammoniak (NH3) -29 Prozent,

flüchtige organische Verbindungen ohne Methan (NMVOC) -28 Prozent, Feinstaub mit einem aerodynamischen Durchmesser

kleiner als 2,5 Mikrometer (PM 2,5) -43 Prozent.

Zudem sollen, aufbauend auf den Erkenntnissen und Handlungsansätzen, die durch den Strategischen Ansatz zum internationalen Chemikalienmanage-ment (SAICM) entstanden sind und bis zu seinem Auslaufen 2020 noch entstehen werden, Ziele und inhaltliche Schwerpunkte eines neuen Prozesses ab-geleitet werden.

4. Nichtionisierende Strahlen: optimierte Schutzstandards für die Anwendung am Menschen

Für elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder sowie die optische Strahlung ist – vor allem auch vor dem Hintergrund der ständig wachsenden Zahl von Strahlenquellen – eine so weit wie technisch mög-liche Minimierung der Strahlenexposition erforderlich. Das BMUB wird insbesondere für Anlagen zur medizi-nischen und nicht-medizinischen (vor allem kosmeti-schen) Anwendung am Menschen über den aktuellen Stand hinausgehende Schutzstandards vorschlagen.

5. Maßnahmenplan „Radonsicher Bauen und Wohnen“

Das BMUB wird einen Maßnahmenplan „Radon-sicher Bauen und Sanieren“ auflegen, der zum Ziel hat, die Radonexposition in Deutschland langfristig signifikant abzusenken. Konkrete Sanierungsmaß-nahmen sollen im Einzelfall auf der Grundlage von Messungen der Radonkonzentration in der Innen-raumluft vor Ort festgelegt werden. Besondere Be-deutung kommt der Verminderung besonders hoher Radonexpositionen zu, die vorrangig in den noch festzulegenden Radonvorsorgegebieten zu erwarten sind. Bei Neubauten soll durch die Anwendung einer noch zu entwickelnden bautechnischen Regel ein entsprechender Radonschutz erreicht werden. Der Maßnahmenplan wird mit einer Informationskam-pagne verknüpft, die insbesondere Architekten und Bauingenieure, in den Radonvorsorgegebieten aber auch die breite Öffentlichkeit, ansprechen soll. Die Anzahl an Wohnhäusern, Aufenthalts räumen und Arbeitsplätzen mit hohen Radonkonzentrationen soll bis 2030 deutlich reduziert werden.

6. Atomkraftwerke in der EU: anspruchs­volles Regelwerk schaffen

Wir werben in der EU und international für eine Ener-gieversorgung ohne Atomenergie. Zahlreiche Staaten nutzen jedoch noch auf absehbare Zeit die Atomkraft. Das BMUB wird intensiv dazu beitragen, die mit dem „Stresstest“ begonnene europäische Diskussion zur Verbesserung der nuklearen Sicherheit und zur Har-monisierung der Sicherheitsanforderungen für alle kerntechnischen Anlagen weiter voranzubringen. Hierzu gehören die im Rahmen der EU-Richtlinie vor-gesehenen gegenseitigen Überprüfungen, an denen sich Deutschland auch nach dem Ausstieg beteiligen wird, ebenso wie die aktive Mitarbeit bei der Weiterent-wicklung europäischer und multilateraler Sicherheits-anforderungen.

Leitziel III: Wissenslücken des gesund-heitsbezogenen Umweltschutzes schließen

7. Informationen zum umweltbezogenen Gesundheitsschutz: Wertschätzung, Risiko mündigkeit und Selbstwirksamkeit in der Bevölkerung fördern

Das BMUB wird Konzepte entwickeln, die den Bür-gerinnen und Bürgern die Herausforderungen und Leistungen des gesundheitsbezogenen Umweltschut-zes nahebringen. Diese Konzepte sollen im Sinne der „Risikomündigkeit“ auch dazu befähigen, umwelt-bedingte Gesundheitsrisiken besser einschätzen zu können, sie zu verringern und zu entscheiden, wo sich Engagement für eine gesundheitsförderlichere Umwelt lohnt.

8. Forschungsprogramm „Umwelt und Gesundheit“

Das BMUB wird in der Bundesregierung für ein For-schungsprogramm werben, das folgende Elemente enthalten soll:

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→ Verstärkte Forschung zu Ursache-Wirkungs- Zusammenhängen. Hierzu besteht besonderer Bedarf im Hinblick auf Leukämie und Krebs, auf Kombina tionseffekte von Chemikalien, auf Wir-kungen im Niedrigdosisbereich, auf gesundheitli-che Wirkungen von endokrinen Disruptoren und Nanomaterialien. Das BMUB wird sich beim Bun-desministerium für Bildung und Forschung für den Ausbau der Toxikologie an den deutschen Universi-täten einsetzen.

→ Stetige Fortführung der Deutschen Umweltstu-die zur Gesundheit (GerES). Diese Studie dient als Instrument zur Erfolgskontrolle des gesundheits-bezogenen Umweltschutzes und als Frühwarnung bei neuen Risiken zum Beispiel durch neue Chemi-kalien und Ersatzstoffe. Zudem sollen gesundheit-liche Langzeituntersuchungen einbezogen werden („Nationale Kohorte“; Aufbau einer Geburtskohorte zur Erforschung der Ursachen von Gesundheits-schäden, die in der frühesten Kindheit durch Um-welteinflüsse ausgelöst werden können).

→ Weiterentwicklung von Analysemethoden im Human-Biomonitoring. Liegen Anhaltspunkte für gesundheitlich bedenkliche Stoffe vor, die die Allgemeinbevölkerung möglicherweise belasten, bislang aber im menschlichen Körper nicht mess-bar sind, sollen, ausgehend von der bestehenden Initiative des BMUB gemeinsam mit dem Verband der chemischen Industrie (VCI), Analysemethoden entwickelt werden.

→ Auswirkungen von Umweltbelastungen auf die alternde Gesellschaft. Um einschätzen zu können, ob und wie stark der demografische Wandel um-weltbedingte Gesundheitsrisiken verstärkt, sollen diese Zusammenhänge verstärkt untersucht wer-den. Zur Untersuchung und Minimierung der klimawandelbedingten Gesundheitsrisiken für eine alternde Gesellschaft soll eine „Klima-Gerontolo-gie“ entwickelt werden.

→ „Citizen Science“: Forschung zum gesundheits-bezogenen Umweltschutz soll stärker für das Wissen, die Erfahrung und die Anliegen von Bür-gerinnen und Bürgern geöffnet werden. Auch soll es ihnen ermöglicht werden, in wissenschaftlich begleiteten Pilotprojekten und experimentellen Vorhaben (vergleiche Kapitel 3.5 und 4.3) neue sozi-ale Praktiken eines „guten Lebens“ in einer gesund-heitsförderlichen Umwelt auszuprobieren.

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4.5 Internationale Dimension der Umweltpolitik

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Erfolge und positive Entwicklungen

→ Die europäische Umweltpolitik ist ein Paradebeispiel europäischer Kooperation, hat den Umwelt-zustand in allen Mitgliedstaaten maßgeblich verbessert und gilt weltweit als Vorbild.

→ Das Umweltvölkerrecht wurde erfolgreich weiterentwickelt.

→ Mit der Verabschiedung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung wurde die Transformation zu einer weltweit nachhaltigen Entwicklung beschlossen.

→ Mit dem Paris- Abkommen ist ein verbindlicher Rahmen für die klimafreundliche Transformation der Weltwirtschaft geschaffen worden.

→ Der 2014 in der EU verabschiedete 2030- Klima- und -Energierahmen entwickelt die erfolgreiche Zieltrias zu Treibhausgasemissionen, erneuerbaren Energien und Energieeffizienz fort.

→ Die Staats- und Regierungschefs der G7- Staaten betonen die Notwendigkeit einer „Dekarbonisie-rung“ der Weltwirtschaft im Laufe dieses Jahrhunderts.

→ Strategien und Konzepte wie „Green Economy“ oder „Low- carbon development“ bereiten den politischen Boden für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel.

→ Deutschland zählt zu den größten Gebern bei der Förderung von Maßnahmen zum Umweltschutz in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Herausforderungen und neue Aufgaben

→ Im europäischen und internationalen Umweltrecht verbleiben gravierende Regelungslücken.

→ Weltweit bestehende Regelungen und Standards zeigen Ambitionslücken, denn sie reichen meist nicht aus, um die Umweltprobleme zu lösen.

→ In vielen Ländern fehlen finanzielle und Verwaltungskapazitäten, um bestehende Ziele, EU- Recht, internationale Vereinbarungen und Regelungen um- oder durchzusetzen.

→ Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ist weltweit von allen Staaten umzusetzen.

→ Umweltschutz muss als Priorität und Querschnittsaufgabe der EU- Politik finanziell gesichert werden.

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Leitziele und Maßnahmen

Leitziel I: Regelungslücken schließen, ein höheres Ambitionsniveau erreichen

1. Schutzgebiete auf Hoher See und in Polargebieten einrichten und vernetzen

2. Verbindliche internationale ökologische Standards für prioritäre Handlungsfelder

3. Internationales Umweltrecht dynamisieren

4. Vorreiterallianzen von Staaten, Regionen und Kommunen

Leitziel II: Umsetzung und finanzielle Rahmenbedingungen verbessern

5. EU- Umweltpolitik stärken

6. Agenda 2030: Bei der Umsetzung vorangehen, Entwicklungsländer unterstützen

7. Bessere finanzielle Rahmenbedingungen für den internationalen Umweltschutz

Leitziel III: Umweltbelange in allen Politikbereichen stärken

8. Hohe Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards für Wirtschaftsabkommen

9. UNEP stärken, multilaterale Umweltabkommen institutionell vernetzen

10. Internationale Standards zur Korruptionsbekämpfung und ihre Umsetzung stärken

11. Klimaaußenpolitik der Bundesregierung

12. Energiewende in Entwicklungs- und Schwellenländern fördern

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Umsetzung von globalen Nach haltigkeits zielen und Zielen des 7. EU­Umweltaktionsprogramms

Die Ziele und Maßnahmen des Integrierten Umweltprogramms tragen zur Umsetzung von globalen Nachhaltigkeitszielen und Zielen des 7. EU-Umweltaktionsprogramms bei (Auswahl):

ó Globale Nachhaltigkeitsziele (SDG)

SDG 10: Ungleichheit innerhalb von und zwischen Staaten verringern

SDG 13: Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen

SDG 14: Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nach-haltig nutzen

SDG 15: Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nach-haltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodenverschlechterung stoppen und umkehren und den Biodiversitätsverlust stoppen

SDG 16: Friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen

SDG 17: Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung wiederbeleben

ó Prioritäre Ziele des 7. EU­Umweltaktions programms (7. UAP)

Prioritäres Ziel 4: Maximierung der Vorteile aus dem Umweltrecht der Union durch verbesserte Umsetzung

Prioritäres Ziel 9: Verbesserung der Fähigkeit, wirksam auf internationale Umwelt- und Klimaprobleme einzugehen

Laufende und weiterzuentwickelnde politische Vorhaben (Auswahl)

→ Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht (1985) und Montreal- Protokoll (1987)

→ Klimarahmenkonvention (1992), Kyoto- Protokoll (1997), Übereinkommen von Paris (2015)

→ Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD, 1992) und seine Protokolle

→ Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES, 1973)

→ Übereinkommen von Minamata über Quecksilber (2013)

→ Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe (POP- Konvention, 2001)

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→ Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung (1989)

→ Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) (1982)

→ Regionale Übereinkommen zum Schutz von Nordostatlantik (OSPAR, 1992) und Ostsee (HELCOM, 1974)

→ Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung (Genfer Luft­reinhaltekonvention, 1979)

→ Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (Espoo­Konvention, 1991)

→ Übereinkommen über den Zugang zu Umweltinformationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus­Konvention, 1998)

→ Antarktisvertrag (1961), Umweltschutzprotokoll zum Antarktisvertrag (Madrid­ Protokoll, 1991) Aktionsprogramm Klimaschutz 2020: Ziel ist, dass Deutschland seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 reduziert. Das Programm wurde im Dezember 2014 von der Bundesregierung beschlossen.

Im Folgenden werden vor allem übergeordnete struk-turelle Erfolge, Herausforderungen, Ziele und Maß-nahmen der internationalen Dimension von Umwelt-politik dargelegt. Dabei werden beispielhaft einzelne Handlungsfelder der Umweltpolitik mit wiederum beispielhaft ausgewählten Politikprozessen erwähnt. Inhaltlich stärker hervorgehoben werden dabei die aktuellen impulsgebenden Prozesse der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, der Klimapolitik und des G7-Treffens 2015.

4.5.1 Erfolge und positive Entwicklungen

Die europäische Umweltpolitik ist ein Parade-beispiel europäischer Kooperation, hat den Um-weltzustand in allen Mitgliedstaaten maßgeb-lich verbessert und gilt weltweit als Vorbild.

Angesichts des grenzüberschreitenden Charakters der meisten Umweltprobleme und der Binnenmarktre­levanz vieler Umweltregelungen ist die EU­Umwelt­politik ein Erfolgsbeispiel europäischer Kooperation. Der europäische Mehrwert wird in diesem Bereich allgemein anerkannt. Ungeachtet weiterhin bestehen­der großer Unterschiede in der Umsetzung des EU­Umweltrechts in den verschiedenen Mitgliedstaaten

hat die Umweltpolitik auch zum Abbau von Ungleich­heiten beigetragen. Das EU­Umweltrecht umfasst rund 500 Richtlinien, Verordnungen, Beschlüsse und Entscheidungen und stellt damit laut der Europäischen Umweltagentur das umfassendste moderne Regelwerk der Welt dar.

Der Umweltzustand hat sich deshalb in der ganzen EU in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert. Gemäß dem im März 2015 veröffentlichten Umweltzustands­bericht der Europäischen Umweltagentur ist in vielen Teilen Europas die lokale Umweltsituation ähnlich gut wie zu Beginn der Industrialisierung. Ihr Treibhaus­gasminderungsziel für 2020 (­20 Prozent) wird die EU voraussichtlich deutlich übererfüllen. Damit wird die EU auch die völkerrechtlich verbindlichen Ziele sowohl der ersten als auch der zweiten Verpflichtungsperiode des Kyoto­Protokolls erfüllen. Der Europäische Rat hat im Oktober 2014 die Klima­ und Energieziele für 2030 sowie eine Reihe von Rahmenbedingungen zur Um­setzung festgelegt. Der 2005 eingeführte EU­Emissi­onshandel wurde kontinuierlich weiterentwickelt und dient vielen Staaten außerhalb der EU als „Blaupause“. Er konnte durch eine Reform mit der Einführung einer Marktstabilitätsreserve deutlich gestärkt werden, be­darf jedoch weiterhin einer Fortentwicklung.

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Das Umweltvölkerrecht wurde erfolgreich weiterentwickelt.

Bei der Weiterentwicklung des Umweltvölkerrechts bedienen sich die Staaten vorwiegend des Instruments des Multilateralen Umweltvertrags („Multilateral Envi­ronmental Agreement“, MEA) sowie ergänzend oftmals rechtlich unverbindlicher, aber politisch bindender Instrumente, die von internationalen Konferenzen und Organisationen verabschiedet werden. In Fortent­wicklung traditioneller Rechtsetzungsmechanismen verfügen MEAs zudem über eigenständige Gremien (Vertragsstaatenkonferenzen, VSK), die die Weiterent­wicklung der Verträge und eine dynamische Vertiefung der Zusammenarbeit innerhalb dieser Vertragsregime ermöglichen.

Zu den erfolgreichen MEAs zählen beispielsweise das Montreal­Protokoll über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen, die Basler Konvention über die Verbringung von gefährlichen Abfällen und das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES). Die hier erreichten Erfolge unterstreichen die Not­wendigkeit und Möglichkeiten von internationaler Rechtsetzung zur Lösung globaler Probleme. Aus diesem Grund hat die Staatengemeinschaft auch in jüngster Zeit völkerrechtliche Verträge geschlossen. Der Verhandlungsprozess zu einer neuen Queck­silberkonvention konnte 2013 ebenso abgeschlossen werden wie der zum Nagoya­Protokoll über den Zu­gang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt. Das Protokoll von Nagoya ist be­reits in Kraft getreten.

Die Bemühungen der Staaten um eine Stärkung der Synergien innerhalb des Umweltbereichs haben im Chemikaliensektor erste Früchte getragen. Mittlerweile teilen sich die Sekretariate der Basler, der Rotterdamer und der Stockholmer Konvention Sekretariatsdienst­leistungen und einen Exekutivsekretär, führen ge­meinsame Projekte durch und halten ihre Konferenzen gemeinsam ab.

Mit der Verabschiedung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung wurde die Transforma-tion zu einer weltweit nachhaltigen Entwicklung beschlossen.

Mit der ambitionierten und integrierten Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung haben die Vereinten Natio­nen 2015 auf höchster politischer Ebene den Wandel zu einer weltweit nachhaltigen Entwicklung beschlossen. Konkretisiert wird der Auftrag zur Transformation durch die erstmalige Einigung auf einen umfassenden Katalog mit konkreten Handlungsansätzen und Zielsetzungen (Sustainable Development Goals, SDGs), der für alle Län­der gültig ist. Die Umsetzung der Agenda soll bis 2030 erfolgen und bietet den politischen Rahmen, um Um­welt und Nachhaltigkeit weltweit voranzubringen.

In institutioneller Hinsicht hat die Staatengemein­schaft durch die Aufwertung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) anlässlich der Rio+20­Konferenz 2012 ein klares Signal für die Stärkung der Umweltdimension der nachhaltigen Entwicklung gegeben. Mit der Gründung der Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA) wurde ein universelles internationales Organ etabliert, das als „führende Auto­rität des globalen Umweltschutzes“ innerhalb wie auch außerhalb des Systems der Vereinten Nationen für Umweltbelange eintritt.

Mit dem Paris-Abkommen ist ein verbindlicher Rahmen für die klimafreundliche Transforma-tion der Weltwirtschaft geschaffen.

Im Klimabereich wurden die Verhandlungen zu einem fairen und zeitgemäßen Abkommen für alle Staaten durch die Vertragsstaatenkonferenz von Paris Ende 2015 erfolgreich abgeschlossen. Es ist gelungen, ein rechtlich verbindliches Regelwerk als wirkungsvolles Steuerungs­instrument und Transparenzrahmen für alle Staaten zu beschließen, das einen globalen Paradigmenwechsel hin zu einem treibhausgasneutralen und klimaresili­enten Entwicklungspfad einleitet und dabei die starre Spaltung zwischen Industrie­ und Entwicklungsländern aufhebt. Es wurde vereinbart, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Stand unter zwei Grad Celsius zu halten und sich sogar an einer 1,5­Grad­Obergrenze zu orientieren. Neben ambitionierten Vereinbarungen zur Minderung von Treib hausgasen enthält das Abkommen auch Vereinbarungen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels sowie zur Konsistenz von Finanzflüssen mit einem treibhausgas­neutralen und klimaresilienten Entwicklungspfad.

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Der 2014 in der EU verabschiedete 2030-Klima- und -Energierahmen entwickelt die erfolgreiche Zieltrias zu Treibhausgasemissionen, erneuerba-ren Energien und Energieeffizienz fort.

Die EU­Staats­ und Regierungschefs einigten sich 2014 auf einen Rahmen für die Klima­ und Ener­giepolitik der Europäischen Union bis 2030. Dabei wurde die Fortführung der bisherigen Zieltrias für die Bereiche Klimaschutz, erneuerbare Energien und Energieeffizienz vereinbart. Hier soll der Ausstoß von Treibhausgasen EU­intern bis 2030 um mindestens 40 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 gesenkt werden. Außerdem soll der Anteil der erneuerbaren Energiequellen in der EU verbindlich auf mindestens 27 Prozent gesteigert und der Energieverbrauch um mindestens 27 Prozent gegenüber der erwarteten Entwicklung gesenkt werden. Für das letztere (un­verbindliche) Ziel ist spätestens für 2020 eine Über­prüfung vorgesehen, mit Blick auf eine Zielanhebung auf 30 Prozent.

Die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten betonen die Notwendigkeit einer „Dekarboni-sierung“ der Weltwirtschaft im Laufe dieses Jahrhunderts.

Das Thema Klimaschutz hat in den letzten zehn Jahren weltweit auf der politischen Agenda an Be­deutung gewonnen. Große Schwellenländer, allen voran China und Indien, sehen die Notwendigkeit, durch nationale Maßnahmen ihren Treibhausgas­ausstoß zu reduzieren. Dazu gehören unter anderem der Umbau des Energiesystems, die Entwicklung von klimafreundlichem Verkehr und der Ausbau des Emissionshandels. Der G7­Gipfel unter deutscher Präsidentschaft 2015 hat politisches Momentum für treibhausgasneutrale, klimaresiliente Entwicklungs­pfade und den dafür benötigten wirtschaftlichen Paradigmenwechsel erzeugt. Mit einer Dekarboni­sierung der globalen Wirtschaft im Laufe des Jahr­hunderts soll die Überschreitung der vereinbarten Obergrenze der globalen Erwärmung von zwei Grad Celsius verhindert werden. Im Zuge der G7­Präsi­dentschaft hat Deutschland zudem eine politische Plattform („Carbon Market Platform“) gegründet, die unter anderem die Weiterentwicklung des glo­balen Kohlenstoffmarktes unterstützen und voran­treiben soll.

Strategien und Konzepte wie „Green Economy“ oder „Low-carbon development“ bereiten den politischen Boden für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel.

Durch die internationale Etablierung von sektorüber­greifenden Ansätzen wie „Green Economy“ oder „Low­carbon development“ wurde der politische Boden für die Erarbeitung und Umsetzung konkreter Strategien und Maßnahmen geschaffen, die einen volkswirt­schaftlichen und gesellschaftlichen Wandel voran­treiben. Erfolgreiche Beispiele wie die „Partnership for Action on Green Economy“ zeigen, dass eine Wirt­schaftsweise profitabel sein kann, die menschliches Wohlergehen steigert und soziale Gleichheit sicher­stellt, während gleichzeitig Umweltrisiken und ökolo­gische Knappheiten erheblich verringert werden. Sol­che Beispiele sind essenziell, um global Nachahmer zu finden. Dabei sind Industrie­ wie Entwicklungsländer gleichermaßen im Fokus. Da Umwelt­ und Effizienz­technologien Wachstums­ und Innovationstreiber ent­lang der gesamten industriellen Wertschöpfungskette sein können, bieten sie das Potenzial für die Sicherung, Schaffung und Aufwertung von Arbeitsplätzen und Einkommen in Entwicklungs­ und Industrieländern.

Deutschland zählt zu den größten Gebern bei der Förderung von Maßnahmen zum Umwelt-schutz in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Deutschland ist ein wichtiger Partner in der internatio­nalen Entwicklungszusammenarbeit und zählt zu den größten Gebern bei der Förderung von Klimaschutz­ und Biodiversitätsmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Wasser­ und Sanitärversorgung in Entwicklungs­ und Schwellenländern. Die Industrieländer haben sich bei der Klimakonferenz der Vereinten Nationen 2009 dem Ziel verpflichtet, ab dem Jahr 2020 gemeinsam 100 Mil­liarden US­Dollar pro Jahr aus unterschiedlichen Finanzierungsquellen – öffentlichen und privaten, bilateralen und multilateralen einschließlich alter­nativer Finanzierungsquellen – für die notwendigen Reform­ und Transformationsprozesse zu einer treib­hausgasneutralen und klimaangepassten Entwicklung in Entwicklungsländern zu mobilisieren. Dieses Ziel wurde auf der Konferenz von Paris 2015 bekräftigt. In Paris wurde weiterhin das klare transformative Ziel vereinbart, Finanzflüsse mit einem Entwicklungs­pfad für treibhausgasneutrale und klimaresiliente

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Entwicklung zu verknüpfen. Es wurde vereinbart, dass Industriestaaten weiterhin eine Führungsrolle einneh­men, weitere Staaten wurden jedoch eingeladen, frei­willig beizutragen.

Mit der Internationalen Klimaschutzinitiative (IKI) ver­folgt das BMUB seit 2008 unter großer internationaler Anerkennung den Ansatz des „Handelns und Verhan­delns“ und flankiert damit die deutsche Entwicklungs­zusammenarbeit und internationale Forschungspro­gramme des BMBF. Als zielgerichtetes Instrument der Klima­ und Biodiversitätsfinanzierung wirkt die IKI als Katalysator für konkrete Maßnahmen in den Partner­ländern und trägt mit innovativen Pilotvorhaben zur Umsetzung von Beschlüssen aus den internationalen Klima­ und Biodiversitätsverhandlungen und zur Am­bitionssteigerung bei. Mit Hilfe der IKI unterstützt das BMUB auch Entwicklungsländer bei der Umsetzung der „Bonn Challenge“, einer von BMUB geschaffenen, international anerkannten Aktionsplattform, die das Ziel verfolgt, weltweit bis zum Jahr 2020 150 Millionen Hektar an Wäldern wieder aufzubauen.

4.5.2 Herausforderungen und neue Aufgaben

Im europäischen und internationalen Umwelt-recht verbleiben gravierende Regelungslücken.

Trotz der Erfolge im nationalen, europäischen und internationalen Umweltrecht verbleiben gravierende Regelungslücken. Verbindliche internationale Boden­schutzregelungen sind bisher nur punktuell vorhan­den. Zur Eindämmung der globalen Meeresvermüllung, darunter auch des Eintrags von Mikroplastik, fehlen adäquate Regelungen. Bestehende Regelwerke, etwa für die Schifffahrt (MARPOL, Londoner Konvention), decken den landbürtigen Eintrag von Müll in die Meere nicht ab. Regelungslücken bestehen nach wie vor auch in Gemeinschaftsräumen (zum Beispiel Hohe See, Mee­resboden jenseits nationaler Hoheitsgewässer) und in der Arktis, wo es bisher keine adäquaten Umweltstan­dards gibt. Lediglich für das Seegebiet in der Antarktis gibt es Verhandlungen, allerdings noch ohne konkrete Erfolge. Nach wie vor ist es nicht möglich, international anerkannte Meeresschutzgebiete auf Hoher See auszu­weisen. Im internationalen Luftverkehr sowie bei der Regulierung multinationaler Unternehmen bestehen ebenfalls Regelungslücken bezüglich umweltrelevanter Tatbestände.

In manchen zentralen Bereichen wie etwa im Klima­schutz gibt es seit der Einigung in Paris Ende 2015 ein

gemeinsames, rechtlich verbindliches Vertragswerk mit Verpflichtungen für alle Staaten. Diese Verpflichtungen beruhen auf zuvor freiwillig unterbreiteten nationalen Zielen, die für die globalen Handlungsanforderungen im Klimaschutz mit der Zwei­Grad­Obergrenze noch nicht ausreichen. Mechanismen zur Fortschreibung der Regelungen sind angelegt; es wird sich zeigen müs­sen, wie die Anreize zur Progression der nationalen Ziele greifen. Im Chemikalienbereich existieren zwar spezifische völkerrechtliche Verträge für bestimmte Chemikalien, und die Quecksilberkonvention füllt eine wichtige Lücke, es fehlt aber eine übergeordnete Rahmenkonvention. Eine Schließung dieser Lücke wird angesichts des Meinungsbildes in der internati­onalen Gemeinschaft nur langfristig möglich sein. In der näheren Zukunft wird es vorrangig darum gehen, den Strategischen Ansatz zum Internationalen Chemi­kalienmanagement (SAICM) zu stärken (vergleiche Kapitel 4.4).

Für die meisten Systeme und Prozesse, für die die pla­netare Belastbarkeit als begrenzt angesehen werden muss (vergleiche Kapitel 1.3), sind somit bislang keine verbindlichen Ziele oder globalen Institutionen vor­handen. Ausnahmen stellen neben dem Klimawandel das Schwinden der biologischen Vielfalt und der Ozon­verlust in der Stratosphäre dar.

Auch im Umweltrecht der EU bestehen noch Lücken: Zum Beispiel sind einige Probleme, deren Ausmaß erst in jüngerer Zeit verstanden wurde, noch ungelöst oder noch nicht zufriedenstellend gelöst. Hierzu zählen zum Beispiel hormonähnlich wirkende Substanzen (endo­krine Disruptoren), der Schutz des Bodens sowie die Minderung der Stickstoffeinträge in die Umwelt.

Weltweit bestehende Regelungen und Standards zeigen Ambitionslücken, denn sie reichen meist nicht aus, um die Umweltprobleme zu lösen.

Wo es bereits Regelungen und Standards gibt, reichen diese oft nicht aus, um das jeweilige Umweltproblem zu lösen (Ambitionslücke). So sind die bisherigen inter­nationalen Regeln im Bereich des Schutzes der biologi­schen Vielfalt weit davon entfernt, den Biodiversitäts­verlust aufzuhalten oder wesentlich zu verlangsamen. Auch im Bereich des internationalen Klimaschutzes ist es zwar gelungen, die Vergleichbarkeit von nationalen Zielen durch das verbindliche Regelwerk des Pariser Abkommens zu stärken und Zahl und Ambition der Klimaschutzmaßnahmen zu steigern. Doch reichen die derzeit vorhandenen nationalen Minderungsziele der Staaten zusammengenommen noch nicht aus, um die

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maximale Obergrenze des globalen Temperaturanstiegs von zwei Grad Celsius einzuhalten – oder sich gar an 1,5 Grad Celsius zu orientieren. Es gilt, eine kontinu­ierliche Ambitionssteigerung zu erzielen, um im Laufe des Jahrhunderts eine treibhausgasneutrale globale Wirtschaft zu erreichen und die planetare Belastbarkeit nicht zu überschreiten.

Auch auf EU­Ebene sind trotz des ausgeprägten Fach­rechts viele Umweltprobleme ungelöst. In vielen Be­reichen sind wir – trotz kurzfristiger Erfolge – weit von den Entwicklungspfaden entfernt, die ein Erreichen der Vision für 2050 aus dem 7. EU­Umweltaktions­programm („Gut leben innerhalb der Belastbarkeits­grenzen unseres Planeten“) ermöglichen würden. Beispielsweise sind die EU­Ziele für 2020 und 2030 zur Minderung der Treibhausgasemissionen langfristig gesehen nicht anspruchsvoll genug, so dass zusätzliche Anstrengungen nötig werden. Um diese Ziele in einen langfristigen Kontext zu stellen, muss sich die EU auch formell zu einer Treibhausgasminderung um 80 bis 95 Prozent bis 2050 gegenüber 1990 bekennen.

In vielen Ländern fehlen finanzielle und Ver-waltungskapazitäten, um bestehende Ziele, EU-Recht, internationale Vereinbarungen und Regelungen um- oder durchzusetzen.

Bestehende Ziele und Regelungen werden oft nur un­zureichend um­ oder durchgesetzt (Implementierungs­lücke). In vielen Ländern fehlen die finanziellen, perso­nellen und institutionellen Kapazitäten zur Umsetzung international vereinbarter Ziele. Der aus der Nutzung der Instrumente des Protokolls von Kyoto entstandene Kohlenstoffmarkt funktioniert aufgrund des Mangels an Nachfrage nicht. Auch in anderen umweltpoliti­schen Handlungsfeldern, wie etwa dem Schutz der biologischen Vielfalt, bestehen in vielen Staaten gra­vierende Umsetzungsdefizite.

Insbesondere bei der Rechtsdurchsetzung steht die Staatengemeinschaft vor enormen Herausforderun­gen. Illegaler Fischfang, illegaler Wildtierhandel so­wie illegale Forstwirtschaft und illegaler Holzhandel konterkarieren erreichte Regelungserfolge. Insbeson­dere in Entwicklungsländern fehlen oft die nötigen Verwaltungskapazitäten, Technologien und Gelder, um die internationalen Ziele auch effektiv durchzu­setzen. Internationale Erfüllungshilfe­ und Kontroll­mechanismen („Compliance Mechanisms“) konnten oft selbst dann nicht verabschiedet werden, wenn ihre Errichtung vertraglich vorgesehen war (zum Bei­spiel Stockholmer Übereinkommen über persistente

organische Schadstoffe, Rotterdamer Übereinkom­men zum internationalen Handel mit bestimmten gefährlichen Chemikalien).

Generell verhindert eine doppelte Fragmentierung oft angemessene und effektive Problemlösungen: Erstens ist der Umweltsektor durch eine Vielzahl von Umweltverträgen und ­institutionen sowie singulären Zielen gekennzeichnet. Wegen ihrer Konzentration auf Teilprobleme ist dieses Vorgehen ganzheitlichen ökosystemaren Ansätzen nicht immer zuträglich (in­trasektorale Fragmentierung). Zweitens werden die für eine nachhaltige Entwicklung notwendigen um­weltpolitischen Erfordernisse oft nicht ausreichend in anderen Politikbereichen berücksichtigt (intersektorale Fragmentierung). Schließlich gibt es auch im Bereich der Finanzierung Defizite bei der Integration von Um­weltbelangen in andere Politikbereiche, zum Beispiel bei Investitionen für langfristig wirkende Infrastruk­turmaßnahmen (Kohärenz).

Implementierungslücken und Fragmentierung zeigen sich auch in der EU. In vielen Mitgliedstaaten bestehen bei der Umsetzung von Umweltrecht Kapazitätspro­bleme und mangelnde Kontrollmechanismen. Ein Beispiel für intersektorale Fragmentierung ist die euro­päische Landwirtschaft, die zu wenig an ökologischen Prinzipien ausgerichtet und nach wie vor für eine Reihe gravierender Umweltprobleme mitverantwort­lich ist (vergleiche Kapitel 2.2.3 und 4.2).

Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ist weltweit von allen Staaten umzusetzen.

Mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG) wurde durch die Vereinten Nationen ein integrativer Hand­lungsrahmen beschlossen, der auch auf EU­Ebene mit einer ambitionierten und schlagkräftigen Nach­haltigkeitsstrategie umzusetzen sein wird. Nur durch eine sektorenübergreifende und damit wirkungsvolle Umsetzung dieser Agenda in Industrie­ wie auch in Entwicklungsländern kann eine globale Entwicklung innerhalb der planetaren Grenzen erreicht werden.

Kern der Agenda sind die globalen Nachhaltigkeitsziele. Sie erfassen alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: Soziales, Umwelt und Wirtschaft.

Die Ziele gelten für alle Länder, gleich ob Industrie­, Schwellen­ oder Entwicklungsland. Mit einem Über­prüfungsmechanismus soll sichtbar gemacht wer­den, welche Fortschritte die Staatengemeinschaft

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bei der Zielerreichung macht. Die Überprüfung soll dabei transparent und regelmäßig im Rahmen des Hochrangigen Politischen Forums für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (HLPF) erfolgen. Die Nachhaltigkeitsziele werden bis 2030 nur erreicht werden, wenn dies von Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft weltweit als gemeinsame Aufgabe verstanden wird.

Abbildung 2: Die 17 Oberziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung

Quelle: Vereinte Nationen 2015, verwendet in der Übersetzung von Unicef Österreich

Umweltschutz muss als Priorität und Querschnitts­aufgabe der EU­Politik finanziell gesichert werden.

Der aktuelle mehrjährige Finanzrahmen der EU sieht den vermehrten Einsatz zahlreicher EU­Finanzins­trumente für den Umweltschutz vor. Der Europäische Rat hat im Februar 2013 entschieden: „Eine optimale Verwirklichung der Ziele in einigen Politikbereichen hängt davon ab, dass Prioritäten wie der Umweltschutz in eine Reihe von Instrumenten anderer Politikberei­che übernommen werden. Klimaschutzmaßnahmen werden im Zeitraum 2014­2020 mindestens 20 Prozent der EU­Ausgaben ausmachen und daher in die geeig­neten Instrumente einfließen […].“ In den Programmen der Mitgliedstaaten beziehungsweise Regionen für die Verwendung der EU­Mittel (zum Beispiel aus Struktur­fonds, Agrarförderung) werden aber letztlich vielfach andere Prioritäten gesetzt, so dass ein Erreichen der gesteckten Ziele fraglich erscheint.

4.5.3 Leitziele und Maßnahmen

Leitziel I: Regelungslücken schließen, ein höheres Ambitionsniveau erreichen

1. Schutzgebiete auf Hoher See und in Polar gebieten einrichten und vernetzen

Das BMUB wird sich dafür einsetzen, in Gebieten au­ßerhalb nationaler Hoheitsgewalt die Ausweisung von global verbindlichen Meeresschutzgebieten zu ermög­lichen. Die Generalversammlung der Vereinten Natio­nen hat im Juni 2015 eine Resolution über die Ausar­beitung eines internationalen Instruments im Rahmen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen betreffend die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt der Meere außerhalb der nationa­len Hoheitsbereiche angenommen. Bis Ende 2017 sol­len Elemente für ein international rechtsverbindliches Instrument erarbeitet und dann über den weiteren Verhandlungsprozess entschieden werden. Das BMUB wird sich mit Nachdruck in diesen Prozess einbringen. In den Polarregionen Arktis und Antarktis wird sich das BMUB weiterhin für eine Ausweisung von Meeres­schutzgebieten einsetzen, insbesondere im Rahmen des Übereinkommens zum Schutz der Meeresumwelt des

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Nordostatlantiks (OSPAR) sowie des Übereinkommens über die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR).

2. Verbindliche internationale ökologische Standards für prioritäre Handlungsfelder

Aufgrund gravierender Umweltprobleme ist das weit­gehende Fehlen verbindlicher internationaler ökolo­gischer Standards in den Handlungsfeldern Bergbau einschließlich Tiefseebergbau, Bodenschutz, transna­tionale Unternehmen, Plastik­ und Textilherstellung sowie Plastikmüll besonders besorgniserregend. Das BMUB wird vor allem folgende Ansätze verfolgen:

→ Bergbau: Das BMUB wird darauf hinwirken, dass – aufbauend auf freiwilligen Ansätzen – global ver­bindliche Standards vereinbart werden, die die Ar­beits­ und Umweltbedingungen in Minen, Bergwer­ken sowie entlang der gesamten Förder­ und Liefer­kette verbessern. Unter deutscher Präsidentschaft haben die G7­Staaten vereinbart, die Internationale Meeresboden­Behörde aufzurufen, die Arbeiten an einem Kodex für einen nachhaltigen Tiefseeberg­bau unter Einbeziehung aller einschlägigen Akteure fortzusetzen. Das BMUB wird sich dafür einsetzen, dass Deutschland dieses Anliegen mit Nachdruck verfolgt.

→ Bodenschutz: Das BMUB unterstützt eine ver­bindliche europäische Regelung zum Bodenschutz im Sinne des 7. Europäischen Umweltaktionspro­gramms. Darüber hinaus wird es sich dafür einset­zen, dass internationale, verbindliche Regelungen zum Bodenschutz verabschiedet werden. Das Ziel einer „land degradation neutral world“ im Sinne der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung ist damit eng verbunden. In diesem Zusammenhang wird auch die Verantwortung Deutschlands und der In­dustrieländer für den internationalen Bodenschutz deutlicher angesprochen werden. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie sich unsere Lebensmittel­, Futtermittel­ und Rohstoffimporte auf Böden in anderen Teilen der Welt auswirken.

→ Transnationale Unternehmen: Das BMUB wird auf die Entwicklung beziehungsweise Stärkung einheitlicher und, wo nötig, verbindlicher Um­welt­ und Nachhaltigkeitsstandards für Aktivitäten transnationaler Unternehmen hinwirken. Hierbei sollen bestehende Ansätze, wie der Global Com­pact der Vereinten Nationen (UNGC), die Global

Reporting Initiative (GRI) oder die OECD­Leitsätze für multinationale Unternehmen, weiterentwickelt, zusammengeführt und, soweit sinnvoll, entweder durch Vertragsrecht oder durch auf internationalen Absprachen basierendes nationales Recht gestärkt werden. Unternehmen werden als Ko­Regulierer stärker in die Verantwortung genommen. Staaten richten hierzu nationale Kontaktstellen ein, welche die Umsetzung der Standards überwachen und im Konfliktfall eine Moderations­ und Vermittlerfunk­tion einnehmen können.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen mehr Recycling, Upcyc-ling und Vermeidung von Plastikmüll. //

→ Plastik- und Textilherstellung: Das BMUB wird einen internationalen Vertrag über Standards bei der Plastik­ und Textilherstellung anstreben. Dort sollen zum Beispiel der Ersatz von Kunstfaser und Plastik durch biologisch abbaubare Textilien und Verpackungen und zudem Standards für Recycling­verfahren festgelegt werden.

→ Plastikmüll: Die G7­Staaten haben 2015 einen G7­Aktionsplan zur Bekämpfung der Vermüllung der Meere beschlossen. Das BMUB wird die Ent­wicklung einer konkreten Roadmap initiieren und vorantreiben sowie dafür werben, dass über die G7­Staaten hinaus auch andere Staaten die Roadmap umsetzen.

3. Internationales Umweltrecht dynamisieren

Das BMUB wird sich dafür einsetzen, dass in multi­lateralen Umweltvertragsregimen verstärkt flexible Verfahren ohne Notwendigkeit erneuter Ratifikation etabliert werden, um Standards in kürzerer Zeit als bisher an neue wissenschaftliche Erkenntnisse von Expertengremien wie zum Beispiel IPCC und IPBES (Weltklima­ beziehungsweise Weltbiodiversitätsrat)

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anzupassen und gegebenenfalls das Ambitionsniveau zu erhöhen. Hinter bereits existierenden Standards darf nur in begründeten Notfällen zurückgeblieben werden. Ein flexibler Ambitionssteigerungsmechanismus, auf­bauend auf selbstgenerierten Beiträgen der Staaten und gekoppelt mit einem robusten Transparenzrahmen, wurde erstmals mit dem Klimavertrag 2015 etabliert. Mit seiner Hilfe passen die Staaten in regelmäßigen Ab­ständen ihre Minderungsbeiträge an die Erfordernisse der Zwei­Grad­Obergrenze an. So soll die Ambitions­lücke geschlossen und kontinuierlich das langfristige Ziel einer treibhausgasneutralen globalen Wirtschaft in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts vorangetrieben werden. Darüber hinaus wird das BMUB dafür werben, verstärkt Kompetenzen auf die Ebene der Vertragsstaa­tenkonferenzen zu verlagern, um über flexible Sekun­därrechtsetzung die Problemlösungskapazitäten der Konventionen zu steigern. Auch wird sich das BMUB für die verstärkte Nutzung von Mehrheitsbeschlüssen in internationalen Organisationen und, wo möglich, im Verfahrensrecht einsetzen.

4. Vorreiterallianzen von Staaten, Regionen und Kommunen

Initiativen von Nationalstaaten oder Allianzen, deren Mitglieder sich zum Beispiel als Klimapioniere zu einer ambitionierten Klimaschutzpolitik zusammen­finden, können die Transformation zu einer klimaver­träglichen, nachhaltigen Gesellschaft beschleunigen. Das BMUB engagiert sich für die Bildung solcher transformativen Vorreiterstaatenclubs und schließt sich Klimaschutzinitiativen an, die sich durch am­bitionierte Mitgliedschaftskriterien und Anreize für Klimaschutz auszeichnen, insbesondere im Bereich konkreter Maßnahmen zur Treibhausgasminderung, aber auch hinsichtlich gemeinsamer Forschung und Entwicklung, Kooperation zu Standards und besseren Zugangs zu Finanzierung. Bei der Klimakonferenz in Paris Ende 2015 haben die Initiativen zum Klima­schutz nicht nur für den Minderungsbereich, sondern auch für Anpassung und Finanzierung im Rahmen der Lima­Paris­Action­Agenda einen besonderen Auf­trieb bekommen. Deutschland hat sich an zahlreichen Initiativen beteiligt. Bei den folgenden Klimakonfe­renzen soll sich diese Bewegung fortsetzen; das BMUB wird sich auch hier weiter engagieren. Auch innerhalb der EU wird das BMUB die Zusammenarbeit mit an­deren Vorreiterstaaten forcieren.

Eine bessere Einbindung von subnationalen Akteuren wie Städten und Regionen kann zum Beispiel durch Anhörungsrechte dieser Akteure in internationalen Verhandlungen erreicht werden. Das BMUB wird daher im Rahmen der internationalen Stadtentwicklungs­politik (zum Beispiel Habitat­III­Prozess, Urbani­sierungspartnerschaften) verstärkt auf eine aktive Rolle von Städten im Klimaschutz hinwirken. Hierzu wird das BMUB unter anderem auch Städtenetz­werke – als weiteren Anreiz für die Umsetzung lokaler Klimaschutz aktivitäten und als Gegenleistung für Bei­träge zur nationalen Zielerfüllung – unterstützen.

Leitziel II: Umsetzung und finanzielle Rahmenbedingungen verbessern

5. EU-Umweltpolitik stärken

Das BMUB wird zur Stärkung der EU­Umweltpolitik vor allem folgende Ansätze verfolgen:

→ Rechtsumsetzung: Das BMUB wird sich dafür ein­setzen, dass die Umsetzung europäischer Regelun­gen zum einen besser überprüft und zum anderen umfassender unterstützt wird. Der Fokus wird dabei auf die Stärkung der Umweltverwaltung sowie auf Programme zum Erfahrungsaustausch zwischen nationalen, regionalen und städtischen Verwaltun­gen gelegt. Das BMUB wird dafür werben, dass die EU­Kommission dies über ein spezielles Programm personell und finanziell fördert. Auch Deutschland muss bei der Umsetzung auf Bundes­ und Länder­ebene besser werden (vergleiche Kapitel 3.1).

→ 8. Umweltaktionsprogramm: Als Rahmen und strategische Grundlage für künftige Maßnahmen der europäischen Institutionen und der Mitglied­staaten und zur Festlegung der prioritären Ziele soll die EU ein ab 2021 geltendes ambitioniertes 8. Umweltaktionsprogramm (UAP) verabschieden. Hierfür wird sich das BMUB einsetzen. Das 8. UAP soll, unter anderem basierend auf der von der Eu­ropäischen Umweltagentur (EEA) im Umweltzu­standsbericht 2015 geforderten systemischen und transformativen Herangehensweise, klare Impulse für die Umgestaltung der wesentlichen Systeme in den Bereichen Verkehr, Energie, Wohnen,

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Nahrungsmittel, Finanzen, Steuern, Gesundheit, Recht und Bildung setzen und das langfristige Zu­kunftskonzept der EU, das bereits im 7. UAP formu­liert wurde, mit weiteren Zielen und Maßnahmen unterlegen.

→ Umwelt- und Klimaquote: Das BMUB wird for­dern, dass der EU­Haushalt zunehmend für Kli­maschutz­ und andere Umweltschutzmaßnahmen eingesetzt wird. Insbesondere für den Naturschutz sollen mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. In allen relevanten Programmen des EU­Haushalts sollen große Anteile der Mittel so eingesetzt wer­den, dass sie auch dem Umweltschutz zugutekom­men. Das BMUB wird entsprechende Nachhaltig­keitskriterien fordern.

→ Klimaabkommen von Paris: Um eine ambitionierte Umsetzung des im Dezember 2015 in Paris verab­schiedeten Klimaabkommens in der EU zu gewähr­leisten, setzt sich das BMUB für folgende Ziele und Maßnahmen ein:

→ Die EU und ihre Mitgliedstaaten senken bis 2030 unter Einbeziehung von globalen Markt­mechanismen ihre Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 – davon mindestens 40 Prozent innerhalb der EU.

→ Die EU und ihre Mitgliedstaaten steigern den Anteil der erneuerbaren Energien im Jahre 2030 auf mindestens 27 Prozent und die Energieeffi­zienz um 30 Prozent.

→ Die EU und ihre Mitgliedstaaten verabschie­den eine Mobilitätsstrategie, die den Verkehr bis 2050 auf einen umweltverträglichen und auch wirtschaftlich und sozial nachhaltigen Pfad bringt und die von der EU­Kommission als notwendig erachtete Reduktion der Treib­hausgasemissionen des Verkehrs (einschließlich des internationalen Luftverkehrs, aber ohne die internationale Seeschifffahrt) um mindestens 60 Prozent (gegenüber 1990) sicherstellt. Wich­tiger Teil der Strategie ist das Ziel der annähernd emissionsfreien Stadtlogistik bis 2030.

→ Stärkung der EU in internationalen Verhandlun-gen: Das BMUB wird Möglichkeiten sondieren,

die Einflussnahme der EU auf die internationale Recht­ und Standardsetzung zu verbessern. Ein zu prüfender Weg wäre eine weitere Kompetenzver­lagerung auf die EU­Kommission, welche die EU und die Mitgliedstaaten ausschließlich vertritt. Ein anderer Weg könnte darin bestehen, EU­Ver­handlungsteams, bestehend aus EU­Kommission sowie Expertinnen und Experten der Mitglied­staaten, mehr Spielraum für Verhandlungen als bisher zu ermöglichen. Ziel ist, die Entschei­dungsfindung effizienter zu gestalten, so dass die Union auch bei divergierenden Auffassungen der Mitgliedstaaten zügig zu Entscheidungen kom­men kann.

→ EU-Umwelt- und Klimakommission stärken: Das BMUB wird sich dafür einsetzen, die Position der Umwelt­ und der Klimakommission zu stärken und ihre Einbindung in allen umweltrelevanten Politik­bereichen sicherzustellen, indem ihre Beteiligungs­rechte gestärkt werden. Falls die EU­Kommission die gegenwärtige Struktur mit Vizepräsidenten beibehält, soll ein Vizepräsident für den Umwelt­schutz vorgesehen werden, zu dessen Zuständigkei­ten auch Klima und Energie gehören.

→ Umweltbelange integrieren: Das BMUB wird dafür werben, die gesamte EU­Rechtsetzung im Rahmen der Folgenabschätzung auf ihre Über­einstimmung mit den umweltpolitischen Zielen der Union hin zu untersuchen. Umwelt­ und Klimaschutz sowie Biodiversitätserhalt sollen in allen Politikfeldern als wichtige Belange in Investitions­ und Finanzierungsentscheidungen, unter anderem über strategische Umweltprü­fungen, integriert werden.

→ EU-Nachhaltigkeitsstrategie: Das BMUB wird sich auch weiterhin für eine ambitionierte Nachhaltig­keitsstrategie einsetzen, die eine anspruchsvolle politische Positionierung der EU zu jedem der 17 SDGs vornimmt. Umweltbelange müssen darin neben sozialen und wirtschaftlichen Belangen gleichberechtigt abgebildet sein. Zudem muss die Strategie mit durchsetzungsstarken Governance­Strukturen ausgestattet sein und Mechanismen für eine dauerhafte Kohärenz der EU­Politik mit den SDGs sowie konkrete Handlungsansätze zu deren Umsetzung aufzeigen.

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6. Agenda 2030: Bei der Umsetzung voran-gehen, Entwicklungsländer unterstützen

Im Juli 2016 hat die Bundesregierung als eines der ersten Länder dem Hochrangigen Politischen Forum für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (HLPF) über die nationale Umsetzung der Agenda 2030 Bericht erstattet. Die Umsetzung in Deutschland erfolgt vor allem durch die Neuauflage der nationalen Nach­haltigkeitsstrategie im Jahr 2016. Im September 2019 wird das HLPF das nächste Mal auf Staats­ und Regie­rungschefebene tagen. Dieses im vierjährigen Rhyth­mus stattfindende Gipfel­Format des HLPF soll eine umfängliche politische Bestandsaufnahme der globa­len Fortschritte bei der SDG­Umsetzung vornehmen. Damit diese Überprüfung wirkungsvoll erfolgen kann, wird das BMUB sich dafür einsetzen, dass Deutschland Entwicklungsländer bei der Datenaufnahme, ­verarbei­tung und ­analyse unterstützt.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen, dass Entwicklungszusam-menarbeit in respektvoller Haltung und vor allem als Hilfe zur Selbsthilfe geleis-tet wird. //

7. Bessere finanzielle Rahmenbedingungen für den internationalen Umweltschutz

Das BMUB wird dafür werben, für die Finanzierung internationaler Umweltschutzmaßnahmen zusätzliche Haushaltsmittel bereitzustellen, auch um private Inves­titionen noch stärker zu mobilisieren und innovative Finanzierungsquellen zu erschließen. Aus Sicht des BMUB muss zudem die internationale Klimafinanzie­rung auf mehr Schultern verteilt werden. Schwellen­länder sollen zunehmend dafür gewonnen werden, sich als Geber an der finanziellen Ausstattung des Grü­nen Klimafonds als Hauptinstrument der multilatera­len Klimafinanzierung zu beteiligen.

In Bereichen des Umweltschutzes, in denen weiter­hin Finanzierungslücken bestehen, wird das BMUB neue Finanzierungsmechanismen voranbringen,

insbesondere Instrumente und nachhaltige Geschäfts­modelle zur Mobilisierung zusätzlicher privater In­vestitionen. Das BMUB wird ferner Netzwerke mit bilateralen und multilateralen Geberinstitutionen, mit weiteren Ministerien in den Partnerländern sowie mit privaten Akteuren nutzen, um Fördermaßnahmen und Investitionen strategisch zu verzahnen und über die Entwicklungszusammenarbeit hinaus Innovationen zu fördern.

Darüber hinaus gilt es, Finanzflüsse in nachhaltige Bahnen zu lenken und Barrieren für umweltfreund­liche Investitionen abzubauen. Das BMUB wird nicht nur beim Abbau umweltschädlicher Subventionen neben der nationalen Ebene auch die europäische und die internationale Ebene in den Blick nehmen (verglei­che Kapitel 3), sondern auch im Hinblick auf die Aus­richtung öffentlicher Investitionen an Nachhaltigkeits­kriterien und hinsichtlich der umweltverträglichen Anlage öffentlicher Gelder.

Leitziel III: Umweltbelange in allen Politikbereichen stärken

8. Hohe Umwelt- und Nachhaltigkeits-standards für Wirtschaftsabkommen

Das BMUB wird sich dafür einsetzen, Umwelt­ und Nachhaltigkeitsstandards in bi­ und multilateralen Investitionsschutz­, Freihandels­ und sonstigen wirt­schaftlich motivierten Abkommen angemessen zu integrieren und zu berücksichtigen. Umweltressorts müssen in den Verhandlungen gleichberechtigt ein­bezogen werden. Die Verhandlungen zu multinati­onalen Abkommen werden als Instrument genutzt,

110

Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen eine Reform der Handels-bedingungen und mehr Transparenz bei internationalen Vereinbarungen. //(Online-Dialog klar gegen TTIP und CETA)

um Umwelt- und Sozialstandards zu etablieren bezie-hungsweise zu stärken.

111

Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

9. UNEP stärken, multilaterale Umwelt­abkommen institutionell vernetzen

Das BMUB wird sich für eine wesentliche Stärkung internationaler Umweltinstitutionen einsetzen, um die Berücksichtigung von Umweltbelangen in allen relevanten Planungs- und Entscheidungsprozessen auf allen administrativen Ebenen sicherzustellen. Auch wenn andere Institutionen Umweltaspekte in ihrer Arbeit zunehmend aufgreifen und damit grundsätzlich der Integration der verschiedenen Dimensionen von nachhaltiger Entwicklung dienen, bedarf es weiterhin einflussreicher Umweltinstitu-tionen, die die angemessene Integration des Um-weltinteresses einfordern und überwachen können. Eine weitere institutionelle Stärkung von UNEP als globaler Umweltautorität, unter anderem auch durch eine verbesserte Finanzierung, dient diesem Ziel. Das BMUB wird auch dafür werben, dass internationale Umweltorganisationen und MEA-Sekretariate pro-grammatisch und, wo sinnvoll, administrativ enger zusammenarbeiten.

10. Internationale Standards zur Korruptions­bekämpfung und ihre Umsetzung stärken

Die Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips, Zugang zu Gerichten und die Bekämpfung von Korruption und organisierter Umweltkriminalität sind essenzielle Voraussetzungen für die Umsetzung von Umwelt-recht. Illegale Aktivitäten in den Bereichen Fischerei und Forstwirtschaft sowie die global zunehmende Wilderei machen in diesen Regelungsbereichen jeden Fortschritt zunichte. Das BMUB wird für die Verschärfung und bessere Umsetzung interna-tionaler Standards zur Korruptionsbekämpfung (zum Beispiel Extractive Industries Transparency Initiative EITI, Rohstoffvertragsinitiative CONNEX) und für eine intensivere zwischenstaatliche und multinationale Zusammenarbeit bei der Ermittlung und Verfolgung transnationaler Umweltkrimina-lität eintreten. Zudem wird das BMUB verstärkt auf Erfüllungshilfe- und Kontrollmechanismen für Staaten, transnationale Unternehmen und inter-nationale Institutionen hinwirken, um so Verant-wortlichkeitsstrukturen für Staaten, transnationale Unternehmen und internationale Institutionen und damit die Implementierung von Umweltstandards zu verbessern.

11. Klimaaußenpolitik der Bundesregierung

Das BMUB wird auf ein gemeinsames Konzept der Bundesregierung für eine „Klimaaußenpolitik“ zu Kli-maschutz und Klimaanpassung hinwirken und hiermit Projekte über gemeinsam abgestimmte Vorhaben för-dern. Neben der Sicherung von Allianzen innerhalb Eu-ropas, mit den USA sowie den BRICS-Staaten soll ins-besondere der Dialog mit weiteren „Schlüsselstaaten“ fortgeführt beziehungsweise noch weiter vertieft und diese bei ihren Klimaschutzbemühungen unterstützt werden. Das Konzept soll auch dazu dienen, Möglich-keiten zur Verbreitung klimafreundlicher Technologien besser zu nutzen. Zusätzlich soll Klimapolitik noch stärker als Bestandteil einer präventiven Politik gese-hen werden, die unter anderem klimabedingte Gründe für Flüchtlingsbewegungen erkennt und versucht, diese zu unterbinden.

12. Energiewende in Entwicklungs­ und Schwellenländern fördern

Das BMUB wird seine Aktivitäten verstärken, Ent-wicklungs- und Schwellenländer beim Umbau ihrer Energiesysteme zu unterstützen. Auf Grundlage der Erfahrungen aus der Umsetzung der deutschen Ener-giewende, ihren Chancen und Herausforderungen, Erfolgsbedingungen und Hemmnissen, wird das BMUB mehr Beraterinnen und Berater, politisches, organisa-torisches und technisches Knowhow bereitstellen. Je mehr Länder eine Energiewende einleiten beziehungs-weise forcieren, desto stärker kann voneinander gelernt werden – und hiervon wird auch die weitere Umset-zung der deutschen Energiewende profitieren.

Hauptbotschaft des Bürgerdialogs:

// Wir wollen einen Ausbau von Entwicklungszusammenarbeit und Technologietransfer. //

5 Zukunft gestalten: Die Ergebnisse des Bürgerdialogs

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Parallel zur Erarbeitung des Integrierten Umweltprogramms 2030 wurde ein Bürgerdialog durchgeführt. Ziel war es, die lebensweltliche Perspektive der Bürgerinnen und Bürger zu relevanten Umweltfragen einzuholen, um diese in Form von Vorschlägen in das Programm einfließen zu lassen. Im Folgen-den werden die Vor gehensweise und die Bürgerbotschaften in Kurzform wiedergegeben. Das vollständige Bürgergutachten ist im Internet unter www.bmub.bund.de/N53494/ abrufbar.

5.1 Vorgehensweise

Was wurde gemacht?

A) In sechs Städten (Leipzig, Düsseldorf, Freiburg, München, Hannover und Berlin) wurden soge-nannte „Bürgerräte“ durchgeführt. Dieses Be-teiligungsformat umfasste jeweils zwei Teile:

→ Bürgerrat: An dieser 1,5-tägigen nicht öffent-lichen Veranstaltung nahmen 12 bis 16 zufällig ausgewählte Personen teil, die intensiv folgende Frage diskutierten: „Ökologisch zukunftsfähig: Wie wollen wir 2030 leben, wirtschaften und arbeiten? Wie gelingt uns gemeinsam der Weg dorthin?“ Die Veranstaltung in Berlin wurde ausschließlich mit Jugendlichen durchgeführt („Jugendrat“).

→ Bürgerumweltforum: An die jeweilige Sitzung des Bürgerrats schloss sich zeitnah eine drei-stündige Veranstaltung an, zu der breit eingela-den wurde und an der jeweils circa 80 Personen teilnahmen. Hier wurden die von den Bürger-räten selbst präsentierten Ergebnisse diskutiert.

Bei der Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilneh-mer an den Sitzungen der Bürgerräte ging es nicht darum, eine statistisch abgesicherte Aussagefähig-keit zu erlangen. Ziel war es, durch eine zufällige Repräsentanz möglichst heterogene Gruppen zu-sammenzustellen, unter anderem mit Personen, die sich bisher noch nicht mit dem Thema beschäftigt

hatten. Eine überschaubare Gruppengröße (circa 14 Personen) ist notwendig, um bei komplexen The-men eine intensive Diskussion und eine Konsens-findung zu ermöglichen. Für die breite Diskussion wurden jeweils wenige Tage nach der Sitzung eines Bürgerrats Bürgerumweltforen veranstaltet.

B) Neben den sechs Bürgerräten und -foren wurde ein zweiteiliger Online-Dialog durchgeführt. Dieser bestand aus einem geschlossenen Online-Rat mit 25 zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern und einem anschließenden öffentlichen Online-Forum mit über 1.000 Beiträgen.

Wer hat teilgenommen?

Bürgerräte und Online­Rat

Insgesamt haben 79 Bürgerinnen und Bürger an sechs Bürgerräten vor Ort teilgenommen. Es wurden pro Standort circa 1.300 zufällig ausgewählte Personen angeschrieben, von denen sich jeweils durchschnitt-lich 47 zurückmeldeten. Unter den Bürgerinnen und Bürgern, die sich für eine Teilnahme am Bürgerrat interessierten, wurden 16 Personen wiederum zufällig ausgewählt, wobei Kriterien wie Alter, Geschlecht und soziokulturelle Faktoren berücksichtigt wurden. Beim Jugendrat wurde analog vorgegangen. Hier meldeten sich 250 Interessierte zurück. Die Jugendlichen waren zwischen 14 und 18 Jahren alt.

Abbildung 3: Geschlechtsverteilung und Altersstruktur der Bürgerräte

51 %

weiblich

Geschlechterverteilung Alter der Teilnehmerinnen und Teilnehmer

männlich

60+ 14 bis 18

19 bis 30

31 bis 40

51 bis 60 41 bis 50

49 %

16 %

15 %

22 %

23 %

19 % 5 %

Quelle: Schäfer & Breuss GbR

113

Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Abbildung 4: Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Bürgerumweltforen

> 15 %

Freiburg

Düsseldorf

Hannover

Leipzig

München

Berlin

58

82

75

94

52

128

Quelle: Schäfer & Breuss GbR

Bürgerumweltforen

Insgesamt haben 489 Bürgerinnen und Bürger an den sechs Bürgerumweltforen teilgenommen.

Während in den nicht öffentlichen Bürgerräten zufällig ausgewählte Personen – die nicht nur durch ihre unter-schiedlichen Altersklassen die Vielfalt der Bevölkerung deutlich machten – zusammenkamen, setzte sich der Teilnehmerkreis der öffentlichen Bürgerumweltforen meist aus umweltaffineren Menschen zusammen (un-ter anderem aus Umweltinitiativen und Verbänden). Daher gehen die Ideen und Empfehlungen aus den Bürgerumweltforen zum Teil über das hinaus, was in den Bürgerräten angesprochen wurde.

Online­Dialog

Von den 30 im Online-Rat registrierten Personen (15 Männer und 15 Frauen), brachten sich 25 Teilneh-mende über den festgelegten Zeitraum von zwei Wo-chen aktiv in die Diskussion ein. Die Teilnehmenden hatten online die Gelegenheit, sich gegenseitig vorzu-stellen und innerhalb von Telefonkonferenzen, auch während des Prozesses, persönlich ins Gespräch zu kommen. Die Beteiligung im darauffolgenden Online-Umweltforum war als Gast oder als regis trierte Person möglich.

Tabelle 1: Online-Umweltforum: Teilnehmer/-innen und Beiträge

114

Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Registrierte Eindeutige Besucher/ innen­

Besuche auf Plattform vom 24. Februar

bis 21. April

Beiträge gesamt

Beiträge registrierter

Personen

Beiträge von Gästen

324 3.169 4.792 1.019 464 555

Quelle: Schäfer & Breuss GbR

5.2 Bürgerbotschaften

5.2.1 Bürgerbotschaften zu übergreifenden Maßnahmen des Wandels

Breit getragene3 Botschaften mit hoher Priorität:

1. Transparenz erhöhen

Die Bürgerinnen und Bürger fordern vollständige Transparenz bei allen umweltpolitischen Themen, Transparenz über Lobbyarbeit, ehrliche und verständ-liche Studien über die Auswirkungen alternativer Energien und praktikable Ökobilanzen. Sie betonen, dass Transparenz eine Bring- und Holschuld sei und sehen es als konkrete Herausforderung, dass durch Transparenz auch die Komplexität steigt. Praxisnahe Aufbereitung bedeutet für sie zum Beispiel konkret: Ausweisung der CO2-Bilanz auf jedem Kassenzettel.

2. Bürgerbeteiligung stärken

Wichtig ist den Bürgerinnen und Bürgern, dass sie in wesentlichen Fragestellungen aktiv und im Vorfeld beteiligt werden. Dazu braucht es von Politik und Ver-waltung vorab ungefilterte Informationen und For-schungsergebnisse bereitstellen, neue Wege beschrei-ten und Rückmeldung zu den Ergebnissen geben. Sie stellten fest, dass der Bürgerrat es insbesondere ermög-licht, in die Tiefe zu gehen und dass die Zufallsauswahl eine vielfältige Beteiligung sichert.

3. Umfassendere Bildung und Information

Damit der ökologische Wertewandel gelingen kann, ist den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur wichtig, umweltbewusstes Verhalten im Rahmenlehrplan zu integrieren, sondern Bildung generell umfassender zu begreifen. Dies bedeutet weniger Leistungsdruck, mehr Zeit, lobby-unabhängigen Infos und neuen Lern­formen, welche alle Sinne einbeziehen (Erfahrungen statt nur Fakten). Das Konzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ist weiterzuverfolgen.

4. Ins Handeln kommen

Die Bürgerinnen und Bürger empfehlen, bei der intrinsischen Motivation anzusetzen und Umwelt­unternehmertum zu fördern (zum Beispiel Finanzie-rung erleichtern). Lernprozesse würden durch eine Kul-tur des Scheiterns gefördert. Hilfreich wäre auch, viele verschiedene Ansätze zu verfolgen und über Vorbilder und Positivbeispiele zu arbeiten. Durch sich selbster­neuernde Standards könne (wie in Japan; „Top-Runner-Ansatz“) die jeweils umweltverträglichste Technologie automatisch nach einer Übergangsfrist als verbindlicher Mindeststandard festgeschrieben werden.

5. Weitere wichtige Themen

Unabhängige Ethik-Kommissionen einrichten und Grundrechte ausdehnen (kontrovers), Politikerinnen und Politiker als positive Vorbilder (Verknüpfung Pension und Auswirkung politischen Handelns), Langfristplan für sozialverträglichen Strukturwandel, Gleichberechti-gung und Chancengleichheit, selbst Eigenverantwortung übernehmen, das Gemeinsame stärken, mehr Zeit für Entwicklung der Persönlichkeit und der Gesellschaft, angstfreies Leben als Schlüssel, Schaffung von Räumen für Austausch und neue Formen des Zusammenlebens.

5.2.2 Bürgerbotschaften zu umwelt­ und klimaverträglich wirtschaften, Energie­ und Ressourcenwende

Breit getragene Botschaften mit hoher Priorität:

1. Kostenwahrheit und Verursacherprinzip durchsetzen

Dies fordern zwei Drittel aller Bürgerräte sowie die Teilnehmenden des Online-Dialogs nachdrücklich. Dies gelte auch für die Kosten der Abschaltung von Atomkraftwerken (AKWs) sowie für den Flugverkehr. Es sei ebenfalls wichtig, die EEG(Erneuerbare-Ener-gien-Gesetz)-Steuerausnahmen zu reduzieren.

115

Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

3 Aufgenommen wurden nur Botschaften, die unabhängig voneinander in mindestens drei Bürgerräten formuliert wurden oder

welche auf den Bürgerumweltforen nachweislich stark bekräftigt wurden. Details können auch jeweils nur aus einem Bürgerrat

oder aus dem Online-Rat und Onlineforum stammen.

2. Energieeinsparung forcieren

Als konkrete Beispiele nannten die Teilnehmenden unter anderem: das Wissen über den Energieverbrauch in eigener Wohnung erleichtern, Heiz- und Mietkosten trennen, unnötige Elektrogeräte besteuern, Kosten für Energierenovierung bei Vermieterinnen und Vermie-tern sowie Energiebilanzstandards für Produktzulas-sungen.

3. Lebensdauer der Produkte verlängern

Konkrete Ansatzpunkte sehen die Bürgerinnen und Bürger bei der Ausdehnung der Gewährleistungs­dauer, der Nachhaltigkeit von Produktdesigns, einer Kontrolle hinsichtlich geplanter Obsoleszenz und der Idee, Mindesthaltbarkeitsgrenzen einzuführen. Dabei gelte es immer, den gesamten Stoffkreislauf bezie-hungsweise die Produktionskette zu betrachten.

4. Recycling, Upcycling verstärken und Plastikmüll vermeiden

Als eines der meistdiskutierten Themen fordern Bür-gerinnen und Bürger mehr Recycling, Upcycling und die Vermeidung von Plastikmüll. Neben einer Preis­erhöhung bei Plastiktüten schlagen die Bürgerinnen und Bürger unter anderem die Förderung innovativer Recyclingtechnologien, Bilder drastischer Auswirkun-gen des Plastiks auf Tüten, Vermeidung unnötiger Ver-packungen, Supermärkte ganz ohne Plastikverpackun-gen, recyclingfähige Produktion sowie mehr zentrale Abgabestationen vor und appellieren daran, bei sich selbst anzufangen.

5. Produktkennzeichnung verbessern

Eine der am stärksten bekräftigten Forderungen. Wich-tig sind aus Bürgersicht eine ehrliche und umfassendere Produktinfo (zum Beispiel Angabe zu Herkunft, Herstel-ler, CO2-Verbrauch, Düngungsmitteleinsatz, Inhaltsstoffe prozentual, Haltbarkeit, Recyclingfähigkeit gegebenen-falls über QR-Code), ein einfaches Ampelsystem und die ökologische Zertifizierung von Rohstoffen.

6. Dezentrale Energieerzeugung, Ausbau erneuer barer Energien (kontrovers)

Das Thema wurde kontrovers diskutiert. Haupt-argu men te der Dezentralisierung sind die Nutzung regionaler Kapazitäten sowie die Verminderung von überregionalen Transporten, Speicherbedarf und

Importabhängigkeit. Während im Online-Rat die Forderung nach dem Ausbau erneuerbarer Energien geäußert wurde, sprach sich das Online-Umweltforum gegen den Ausbau von Windkraftanlagen (WKAs) aus. Hauptargumente waren dabei der Tier-, Natur- bezie-hungsweise Kulturlandschaftsschutz, gesundheitliche Risiken, fehlende Speicherkapazitäten sowie Zweifel an der Effizienz von WKA.

7. Weitere wichtige Themen

Im Vergleich zu den per Zufallsauswahl rekrutier-ten Bürgerräten wurde im Rahmen der öffentlichen Bürgerumweltforen häufiger die Gesamtreform des Wirtschaftssystems thematisiert: konkret der Konflikt Kapitalismus/Wachstum und Ökologie, Postwachstum und Pflichten von Großkonzernen. Zum Bereich Ener-gie fordern die Bürgerinnen und Bürger hier weniger Ausnahmen für Industrie bei EEG-Umlage und CO2-Zertifikaten sowie ein Fracking-Verbot.

5.2.3 Bürgerbotschaften zu zukunfts fähiger Landwirtschaft, intakter Natur

Breit getragene Botschaften mit hoher Priorität:

1. Artgerechte Tierhaltung und Ausstieg aus der Massentierhaltung (online sehr kontrovers)

Mit einer Ausnahme fordern alle Bürgerräte sowie der Online-Rat eine couragierte Durchsetzung von artgerechter Tierhaltung und einen Ausstieg aus der Massentierhaltung. Diese Forderung wurde in den Bürger umweltforen mit Abstand am stärksten bekräf­tigt. Als Lösungsschritte möchten die Bürgerinnen und Bürger, dass die Subventionen für Massentierhaltung reduziert, systematische Medikamenteneinsätze als Masthilfe verboten, gesetzliche Vorschriften zum Beispiel zum Platzangebot pro Tier verschärft, die Kon­trolle verbessert und eine kleinteilige Landwirtschaft gefördert wird. Die EU­Tabakkampagne wurde hier als Vorbild genannt. Hauptargumente sind die Reduk-tion der Tierqual, Vorteile für Gesundheit, weniger Rückstände, geringerer Verbrauch von Futtermitteln, Energie und Wasser sowie die Schaffung beziehungs-weise der Erhalt von Arbeitsplätzen. Als Herausforde-rung wurde identifiziert, dass es wichtig sei, dass sich auch einkommensschwache Menschen hochwertige Lebens mittel leisten könnten. Diese Forderungen wur-den im Online-Umweltforum deutlich kritisiert. Ein-fluss auf die Diskussion hatte, dass viele Teilnehmende

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

aus dem landwirtschaftlichen Bereich stammten, ei-nerseits Fachwissen einbrachten und sich andererseits auch emotional betroffen zeigten. Kritisiert wurde feh-lende Fachkenntnis zur tiergerechten Haltung. Massen-tierhaltung sei kein definierter Begriff. Das Tierwohl sei in modernen Stallungen meist besser als in alten. Antibiotika resistenzen gingen in erster Linie auf die Humanmedizin zurück. Eine Ausweitung von Auflagen würde dazu führen, dass weitere Kleinbetriebe schlie-ßen müssten und die Produktion ins Ausland verlagert würde, wo es geringere Standards gäbe. Kundinnen und Kunden hätten durch ihre Kaufentscheidung die Möglichkeit, den Markt zu beeinflussen – die wenigsten würden jedoch teures Fleisch kaufen. Die Landwirtin-nen und Landwirte wünschen sich mehr Wertschät­zung für die Arbeit und faire Preise für ihre Produkte.

2. Transparenz und unabhängige Aufklärung zur konventionellen Landwirtschaft

Auch um den Wert von Nahrungsmitteln zu vermitteln und über gesundheitliche Auswirkungen aufzuklären, schlagen die Bürgerinnen und Bürger Plakatkampag­nen und eine bessere Aufklärung in Schulen über die konventionelle Landwirtschaft vor. Im Online-Um-weltforum wurde eine lobby-unabhängige Aufklärung der Öffentlichkeit über die Landwirtschaft gefordert.

3. Regionalität fördern

Hierzu formulierten die Bürgerinnen und Bürger klare Maßnahmenvorschläge: Stopp EU­weiter Transporte zur Subventionsgewinnung, Stärkung regionaler Pro­dukte und Nutzergemeinschaften, regionales Obst und Gemüse, keine importierten Futtermittel, Produktion an inländischen Bedarf anpassen (Überproduktion reduzieren), Exportverbot von Überschüssen.

Im Online-Umweltforum wurde darauf hingewiesen, dass kleine Schlachthöfe aufgrund höherer Hygiene-standards geschlossen werden mussten, was zu einer Erhöhung der Transportdistanzen geführt habe. Eine Überregulierung ginge zu Lasten der kleinräumigen Landwirtschaft.

4. Produktkennzeichnungen von Lebensmitteln erweitern

Mehrere Bürgerräte und -umweltforen fordern unabhängig voneinander, Kennzeichnungen mit Fotos zur Haltungsform (inklusive Bilder von

Massentierhaltung) auf Verpackungen aufzubrin-gen, eine CO2­Ampel einzuführen und die Herkunft der Inhaltsstoffe sowie Genmanipulation zu kenn-zeichnen.

5. Bio­Label: Glaubwürdigkeit sichern und vereinheitlichen

Bürgerinnen und Bürger wollen Vertrauen in gesunde Lebensmittel haben. Dieses Anliegen wurde vielfach formuliert. Es ist den Bürgerinnen und Bürgern wichtig, die Zahl der Labels zu reduzieren, Zertifikate zu verein­heitlichen, bei der Ökobilanz auch Herkunft, Transport und Verpackung zu berücksichtigen, durch strenge Kontrollen die Eigenschaften zu 100 Prozent zuzusi-chern und bei Verstößen Zertifikate zu entziehen.

6. Kontrollinstanzen stärken (bei Landwirtschaft online kontrovers)

Als Beispiele bestehender Mängel nannten die Bür-gerinnen und Bürger Gammelfleisch, Fischerei praxis sowie Abwässer von Zahnärzten. Gefordert wird bei der Kontrolle auch eine grenzüberschreitende Zusammen arbeit. Der Jugendrat fordert zudem Kont-rollen bei der Großwildjagd.

Im Online-Umweltforum wurde darauf hingewiesen, dass die Kontrollen in Deutschland bereits sehr streng seien. Im Online-Umweltforum wurde ebenfalls ange-merkt, dass viele Lebensmittelskandale nicht auf die landwirtschaftlichen Erzeuger, sondern auf die weiter­verarbeitenden Betriebe zurückgingen (Gammel fleisch).

7. Artenvielfalt/Schutz von Insekten (insbesondere Bienen)

Der Schutz von Insekten (insbesondere Bienen) hatte im Online-Dialog eine hohe Priorität. Es wurden unter-schiedliche Meinungen geäußert, ob Insektizide und/oder die Varroa-Milbe für das Bienensterben verant-wortlich sind. Empfehlung für Insektenschutz: mehr heimische Pflanzen auf öffentlichen Flächen und als Angebot in Baumärkten. Die Bürgerräte sprechen sich für mehr Grünflächen und Bienenstöcke auf den Dä-chern der Stadt aus.

Flächenversiegelung sollte reduziert werden, zum Beispiel durch weniger neue Straßen und Baugebiete außerhalb von Ortschaften, stattdessen Verdichtung in Städten und mehrstöckige Gebäude.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

5.2.4 Bürgerbotschaften zu nachhaltiger Mobilität, lebenswerten Städten

Breit getragene Forderungen mit hoher Priorität:

1. Weniger Individualverkehr mit Verbrennungs­motoren – abgasfreie Großstädte bis 2030

Beginnend in Innenstädten gilt es, Raum für Stra­ßenverkehr sinnvoll zu reduzieren und dabei durch Zeitzonen für Lieferverkehr Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Um die Verkehrswende zu schaffen, for-dern die Bürgerinnen und Bürger neben dem Ausbau von Carsharing konkrete positive Anreize (Steuern/ Prämien) sowie die Verteuerung des Straßengüterver­kehrs im Vergleich zur Schiene. Für Mietwohnungen sollen Parkplätze nicht mehr obligatorisch sein. Die Forderungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Bürgerrates gehen noch weiter: Sie sprechen sich bereits für 2025 oder spätestens 2035 gegen Verbren­nungsmotoren auf der Straße aus. Das erste Auto solle freie Wahl sein, das zweite verpflichtend ein Elektro­auto; gefordert wird Tempolimit 130 auf den Auto-bahnen und Tempo 30 in sensiblen Wohngebieten. Kontrovers diskutiert wurde eine Obergrenze für den Autobesitz je Familie.

2. ÖPNV und Fahrradverkehr stärken

Kaum ein zweites Thema wurde so intensiv diskutiert, und in kaum einem Anliegen sind sich alle Bürgerin-nen und Bürger so einig. Der öffentliche Personen-nahverkehr (ÖPNV) soll zuverlässig, flächendeckend, in hoher Frequenz und preiswert (günstig oder kos-tenlos) angeboten werden. Dafür halten Bürgerinnen und Bürger eine deutliche Budgetumschichtung von Autoinfrastruktur auf ÖPNV und die konsequente Förderung des Radverkehrs (Fahrbahnen, Leihsysteme und anderes) für wesentlich. Als Vorbilder wurden zum Beispiel der Schwarzwald und München genannt.

Neben diesem breiten Konsens wurden auch unkon­ventionellere Ideen, kontroverse Vorschläge und Visionen diskutiert, zum Beispiel der Vorschlag zum

verpflichtenden Kauf eines ÖPNV­Jahrestickets mit sozialverträglicher Staffelung und die Einfüh-rung eines autofreien Sonntages bei gleichzeitiger Freifahrt mit ÖPNV. Die Teilnehmerinnen und Teil-nehmer eines Bürgerrates blickten bewusst in die Zukunft und schlugen eine Machbarkeitsstudie zu Innenstädten ohne Privatautos vor, dafür mit klei-neren, flexibleren ÖPNV-Einheiten (zum Beispiel als Kabinenrollsystem).

3. Kostenwahrheit im Verkehr (einschließlich Flugverkehr)

Mit breitem Konsens fordern die Bürgerinnen und Bürger, versteckte Subventionen auf die Preise um­zulegen (ökologische Kosten, Unfallkosten, Luftver-schmutzung, Infrastruktur) und damit zum Beispiel Flüge zu verteuern. Die Einnahmen sollen für den Auf­bau alternativer Infrastrukturen genutzt werden.

4. Elektromobilität

Um Elektromobilität für die breite Masse attraktiver zu gestalten, wurde eine stärkere Förderung vorge-schlagen, zum Beispiel durch mehr E­Tankstellen an Laternen und konkrete Infrastrukturvorteile wie gesonderte Fahrspuren und Gratis-Parkplätze. Einig sind sich die Bürgerinnen und Bürger darüber, dass die Energie aus Erneuerbaren stammen muss. Um Black-outs zu vermeiden, wird ein schrittweiser Über­gang empfohlen. Im Online-Dialog wurde kontrovers über Subventionen beim Kauf von Elektrofahrzeugen diskutiert. Gegner wiesen darauf hin, dass die E-Fahr-zeuge aufgrund der Speicher sehr ressourcenintensiv und deshalb nicht umweltfreundlich seien. Geregelt werden muss das Recycling der Akkus.

5. Leerstand für bezahlbaren Wohnraum nutzen

Vor allem dem Jugendrat ist es ein Anliegen, leerste-hende Grundstücke und Gebäude stärker für bezahl-bare Wohnungen zu nutzen. Ein weiterer Bürgerrat fordert, konkrete Wiedernutzungsfristen für unge-nutzte Privatimmobilien zu setzen.

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

5.2.5 Bürgerbotschaften zu gesunden Lebensbedingungen

Breit getragene Forderungen mit hoher Priorität:

1. Sauberes Wasser

Bürgerinnen und Bürger wünschen sich für 2030 sauberes Wasser: qualitativ hochwertiges Trinkwas-ser, saubere Flüsse und Seen, sauberes Grundwasser. Um dies sicherzustellen, fordern die Bürgerinnen und Bürger größere Transparenz (ob zum Beispiel auch Medikamentenrückstände gemessen werden), gesetzliche Bestimmungen zur Nutzung von Grund-wasser, Reduzierung von Spritzmitteln wie Glypho-sat und von Güllemitteln, ein Verbot von giftigen und verdächtigen Pestiziden, Einsparungen in der Industrie, den Einsatz wassersparender Technologie sowie wissenschaftliche Forschung zur „Wasser­energetisierung“.

2. Fracking verbieten

Die Bürgerinnen und Bürger sprachen sich im On-line-Dialog klar gegen Fracking aus, da diese Tech-nologie nur kurzfristige Energieengpässe beseitige, aber zu langfristigen Umwelt­ und Gesundheits­schäden führe.

Anmerkung: Die in Expertendiskursen häufiger the-matisierten Problemfelder Lärm, radonsicheres Bauen, nichtionisierende Strahlen wurden von den Bürge-rinnen und Bürgern nicht thematisiert. Auch die ge-sundheitlichen Folgen der Verunreinigung der Luft mit Feinstaub, Ozon und Stickstoffverbindungen, vielfach als Hauptursache für Gesundheits- und Umweltschä-den ausgewiesen, stand für die Teilnehmenden nicht im Vordergrund. Forderungen im Mobilitätsbereich wurden eher im Kontext der CO2-Reduktion diskutiert.

5.2.6 Bürgerbotschaften zur internationalen Dimension der Umweltpolitik

Die Bürgerinnen und Bürger sprachen sich dafür aus, dass Deutschland andere Staaten dabei unterstützt, hohe Umweltstandards zu erreichen und nicht die niedrigeren Umweltstandards in anderen Ländern dafür nutzt, um sich ökonomische Vorteile zu verschaffen.

Als Herausforderung hielten die Bürgerinnen und Bürger fest: Medien verzerren unser Bild von Ent-wicklungsländern und der Klimawandel trifft diese stärker. Entwicklungsländer befinden sich in einer

schwachen Verhandlungsposition gegenüber Kon-zernen/Industrieländern, und häufig stehen andere Probleme im Vordergrund. Dennoch werden die folgenden Maßnahmen auch zur Stabilisierung von Entwicklungsländern als hilfreich erachtet.

Breit getragene Forderungen mit hoher Priorität:

1. Handelsbedingungen reformieren/Transparenz bei internationalen Vereinbarungen

Als wesentlich erachten die Bürgerinnen und Bürger, Subventionen von Lebensmittelexporten stufen-weise abzubauen, Einfuhrverbote zu verhängen, wenn Produkte nachweislich gesundheitsschädlich, umweltschädlich oder in Zusammenhang mit Kin-derarbeit hergestellt worden sind, die Anpassung von Handelsabkommen, den Fairen Handel auszubauen sowie kein Papier und keine Möbel aus Tropenholz herzustellen. In einem Bürgerrat wurde diskutiert, dass Entwicklungsländer die Wahl haben sollten, in welcher Währung Rohstoff-Exporte bezahlt werden. Auch die Zertifizierung für umweltverträgliche Import-Rohstoffe sowie die höhere Besteuerung nicht umweltverträglicher Importe wurde gefordert. Der Online-Dialog sprach sich gegen TTIP und CETA aus. Die Politik müsse der Wirtschaft klare Vorgaben machen. In Sachen Umwelt- und Verbraucherschutz müsse Deutschland weltweit eine Vorbildfunktion einnehmen.

2. Entwicklungszusammenarbeit/Technologie­transfer ausbauen

Es gilt, Herkunftsländer bei Umstellung der Produk-tionsmethoden zu unterstützen. Ziel ist neben öko-logischen Kriterien auch die Erhöhung regionaler Wertschöpfung. Wo durch die oben beschriebenen Maßnahmen bezahlte Kinderarbeit wegfällt, sollen Familien in ihrer Existenzsicherung unterstützt werden. Zentral für Bürgerinnen und Bürger ist auch Umweltbildung zu Best Practice, Unterstützung bei der Bewältigung von Folgen des Klimawandels, Tech-nologietransfer und eine intensivere Kooperation bei der Ausbildung (zum Beispiel Studentenaus-tausch mit afrikanischen Universitäten), die Stärkung von Kontrollen und höhere Preise für faire Produkte.

3. In respektvoller Haltung

Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich, dass diese Maßnahmen vom Respekt vor lokalen Gegebenhei-ten sowie von der Akzeptanz für Entscheidungen von

119

Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

regionalen Handelspartnern und dem Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe getragen werden. Sie appellieren dafür, den Begriff „Entwicklungsland“ zu überdenken und stattdessen eine Partnerschaft auf Augenhöhe an-zustreben.

Ergänzende Übersicht: Rückmeldungen bei den Bürgerumweltforen

Im Rahmen öffentlicher Bürgerumweltforen wur-den die Ergebnisse vorgestellt und mit einer breiten

Öffentlichkeit diskutiert. An den sechs Veranstaltungen nahmen rund 500 Personen teil.

In Kleingruppendiskussionen wurden insgesamt 296 Bekräftigungen zu den Forderungen aus den Bürgerräten formuliert.

Folgende Themen wurden nach der Vorstellung der Ergebnisse der Bürgerräte bei den öffentlichen Bürger-umweltforen hauptsächlich aufgegriffen (je größer, desto häufiger):

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Abbildung 5: Welche Themen wurden am meisten diskutiert?

Daten: Thematische Gliederung der rund 296 Bekräftigungen. Textgröße spiegelt Häufigkeit der Nennung wider. Detaildaten in der Langfassung des Bürgergutachtens.

Ressourcenverbrauch/Verpackung/Abfall

Ernährung, Landwirtschaft und Tierschutz

Ins Handeln kommen

Internationale Verantwortung

Bürgerbeteiligung und Transparenz

Mobilität(Produkt)Information

verbessern

Energie/Klima

Reform Wirtschaftssystem

Bildung und Forschung

Vermögen gerechter verteilen/sozialer Ausgleich

Bezahlbarer Wohnraum/Grüne Stadt

Kostenwahrheit und Verursacherprinzip

Quelle: Schäfer & Breuss GbR

Abbildung 6: Welche inhaltlichen Botschaften wurden am stärksten bekräftigt?

Daten: Antworten auf die Frage: „Was spricht Sie besonders an, was soll bekräftigt werden?“ Nur Botschaften mit mindestens sieben Bekräftigungen werden dargestellt. Textgröße spiegelt Häufigkeit der Nennung wider. Detaildaten in der Langfassung des Bürgergutachtens.

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Kostenwahrheit und Verursacherprinzip stärken

Stärkung ÖPNVRecycling/Upcycling

Vermögen gerechter verteilen/sozialer Ausgleich

Anreize und Steuern Transparenz ausbauen

Bürgerbeteiligung stärken und Bürgerrat nutzen

Plastiktüten verteuern/verbieten Lobbyismus bekämpfen

Glaubwürdige und vereinheitlichte (Bio)Label

Politischer Mut zur Umsetzung Bezahlbarer Wohnraum/Grüne Stadt

Mehr Umweltbildung in Schulen Internationale Partnerarbeit/Zusammenarbeit

Massentierhaltung einschränken/verbieten

Quelle: Schäfer & Breuss GbR

Abbildung 7: Häufigste Antworten auf die Frage: „Wo hemmen wir uns bei der Umsetzung des ökologischen Wandels?“

Daten: Auswertung aus 397 Nennungen. Textgröße spiegelt Häufigkeit der Nennung wider. Detaildaten in der Langfassung des Bürgergutachtens.

Bequemlichkeit

Quelle: Schäfer & Breuss GbR

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Daten: Auswertung aus 444 Nennungen. Textgröße spiegelt Häufigkeit der Nennung wider. Detaildaten in der Langfassung des Bürgergutachtens.

Häufigste Antworten auf die Frage: „Wie können wir uns gegenseitig beflügeln?“Abbildung 8:

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Gemeinschaft

Bildung

Beispiele

Vorbilder

Kommunikation

Erfolge

Austausch

fördern MutLeben

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Positivbeispiele

Quelle: Schäfer & Breuss GbR

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6 Verzeichnisse

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

6.1 Abkürzungsverzeichnis

AKW Atomkraftwerk

AWZ Ausschließliche Wirtschaftszone

BauGB Baugesetzbuch

BIP Bruttoinlandsprodukt

BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung

BMU Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

BMUB Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

BRICS Vereinigung aufstrebender Volkswirtschaften („BRICS“ steht für die Anfangsbuch staben der fünf Staa-ten: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.)

CBD Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity)

CCAMLR Commission for the Conservation of Antarctic Marine Living Resources

CETA Umfassendes Wirtschafts- und Handels abkommen (Comprehensive Economic and Trade Agreement)

CITES Washingtoner Artenschutzabkommen (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora)

CO2 Kohlendioxid

CONNEX Rohstoffvertragsinitiative (Complex Contract Negotiations)

DAS Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel

DIN Deutsches Institut für Normung

Eco-AP Eco-Innovation Action Plan

EEA Europäische Umweltagentur

EEG Erneuerbare-Energien-Gesetz

EITI Extractive Industries Transparency Initiative

EMAS Eco-Management and Audit Scheme

EMFF Europäischer Meeres- und Fischereifonds

EU Europäische Union

FCKW Fluorchlorkohlenwasserstoff

FFH Fauna-Flora-Habitat

G7 Gruppe der Sieben

GAK Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes

GAP Gemeinsame Agrarpolitik der EU

GerES Deutsche Umweltstudie zur Gesundheit

GFP Gemeinsame Fischereipolitik der EU

GHD Gewerbe, Handel, Dienstleistungen

GRI Global Reporting Initiative

HBM Human-Biomonitoring

HELCOM Meeresschutzkooperationen Ostsee

HLPF Hochrangiges Politisches Forum (High-level Political Forum)

IKI Internationale Klimaschutzinitiative

IKT Informations- und Kommunikations technologie

IPBES Intergovernmental Panel on Climate Change

IPCC Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services

ISO International Organization for Standardization

IWF Internationaler Währungsfonds

KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau

KMU kleine und mittlere Unternehmen

KrWG Kreislaufwirtschaftsgesetz

MARPOL Internationales Übereinkommen zur Verhütung der Meeres verschmutzung durch Schiffe (Marine pollution)

MEA Multilateral Environmental Agreement

MSRL EU- Meeresstrategie- Rahmenrichtlinie

NAPE Nationaler Aktionsplan Energieeffizienz

NBS Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt

NERC National Emission Reduction Commitments

NH3 Ammoniak

NKI Nationale Klimaschutzinitiative

NMVOC Flüchtige organische Verbindungen ohne Methan

NOX Stickoxide

NRVP Nationaler Radverkehrsplan

NWI Nationaler Wohlfahrtsindex

OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

ÖPNV Öffentlicher Personennahverkehr

OSPAR Meeresschutzkooperationen Nordsee/Nordostatlantik

Pkw Personenkraftwagen

PM Feinstaub (Particulate Matter)

POP Persistente organische Schadstoffe

ProgRess Ressourceneffizienzprogramm

QR-Code Quick Response Code

REACH Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien

RMC Inländische Primärrohstoffverwendung (Raw Material Consumption)

SAICM Strategischer Ansatz für ein Internatio nales Chemikalienmanagement

SDGs Globale Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals)

SO2 Schwefeldioxid

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

Abbildung 1: Die planetaren Belastbarkeitsgrenzen 24Abbildung 2: Die 17 Oberziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung 106Abbildung 3: Geschlechtsverteilung und Altersstruktur der Bürgerräte 113Abbildung 4: Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Bürgerumweltforen 114Abbildung 5: Welche Themen wurden am meisten diskutiert? 120Abbildung 6: Welche inhaltlichen Botschaften wurden am stärksten bekräftigt? 121Abbildung 7: Häufigste Antworten auf die Frage: „Wo hemmen wir uns bei der Umsetzung des

ökologischen Wandels?“ 122Abbildung 8: Häufigste Antworten auf die Frage: „Wie können wir uns gegenseitig beflügeln?“ 123

6.2 Abbildungsverzeichnis

6.3 Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Online-Umweltforum: Teilnehmer/-innen und Beiträge 114

SRU Sachverständigenrat für Umweltfragen

SRÜ Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen

TEEB The Economics of Ecosystems and Biodiversity

TTIP Transatlantisches Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership)

UAP EU-Umweltaktions programm

UNEA Umweltversammlung der Vereinten Nationen

UNECE United Nations Economic Commission for Europe (Wirtschaftskommission für Europa)

UNEP Umweltprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme)

UNGC Globaler Pakt der Vereinten Nationen (United Nations Global Compact)

VCI Verband der chemischen Industrie

VSK Vertragsstaatenkonferenzen

WHO Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization)

WKA Windkraftanlagen

WRRL Wasserrahmenrichtlinie

WTO Welthandelsorganisation

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

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Den ökologischen Wandel gestalten Y Integriertes Umweltprogramm 2030

www.bmub.bund.de