demografie, medizinischer fortschritt und ausgabenentwicklung im gesundheitswesen

8
Urologe 2013 · 52:777–784 DOI 10.1007/s00120-013-3177-6 Online publiziert: 1. Mai 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 F. Breyer Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Universität Konstanz Demografie, medizinischer  Fortschritt und  Ausgabenentwicklung  im Gesundheitswesen Die deutsche Bevölkerung altert zu- sehends. Die ferne Lebenserwartung der >65-jährigen nimmt stetig jedes Jahrzehnt um 1,5–2,0 Jahre zu, und die Geburtenzahl liegt ca. ein Drittel niedriger, als es zur Bestandserhal- tung der Bevölkerung erforderlich wäre. Die Folge ist, dass der Alters- quotient, also die Anzahl der >65-jäh- rigen im Verhältnis zur Anzahl der Personen im Erwerbsalter (20–65 Jah- re), der im Jahre 2000 noch 27% be- tragen hat, bis zum Jahr 2050 auf 62% (also weit mehr als das doppelte) steigen wird (. Abb. 1). Für die Finanzierung der Gesundheitsaus- gaben ist der oben genannte Prozess aus zwei Gründen Besorgnis erregend: Zum einen steigen die Ausgaben für medizi- nische Behandlung im Laufe des Lebens typischer Weise an (. Abb. 2). Zum an- deren sind die Ausgaben in der Gesetzli- chen Krankenversicherung (GKV) durch Umlage finanziert. Das bedeutet, dass die GKV keine nennenswerte Kapitalreser- ve hat, sondern laufende Ausgaben im- mer durch laufende Beitragseinnahmen deckt. Wenn jedoch die Ausgaben primär für ältere Menschen getätigt werden, die Beitragseinnahmen jedoch auf Arbeits- einkommen (und Renten) erhoben wer- den und daher primär von den Erwerbstä- tigen aufgebracht werden, so muss man an der Finanzierbarkeit zweifeln, wenn sich die Größe der letztgenannten Gruppe re- lativ zur Zahl alter Menschen verringert. Hinzu kommt noch ein weiterer Fak- tor, der geeignet ist, die Gesundheitsaus- gaben in die Höhe zu treiben: der medizi- nische Fortschritt. In dieser Arbeit sollen die Effekte der Alterung und des medizinischen Fort- schritts auf die Gesundheitsausgaben zu- nächst theoretisch erörtert und anschlie- ßend der Stand der empirischen For- schung dargestellt werden, die letztlich in Prognosen über die Ausgabenentwick- lung in den kommenden Jahrzehnten mündet. Theorie Alterung und  Ausgabenentwicklung Die für die Prognose der Ausgabenent- wicklung entscheidende Frage lautet: Wie werden sich die in . Abb. 2 dargestellten Ausgabenprofile mit zunehmender Bevöl- kerungsalterung ändern? Hierzu sind zu- nächst zwei grundlegende Fragen zu be- antworten: F   1) Hängen die Gesundheitsausgaben primär von der Prävalenz von Krank- heit und Behandlungsbedürftigkeit in einer Bevölkerung ab, sind sie also von der individuellen Nachfrage deter- miniert oder spielen dafür politische Entscheidungen, also die Angebots- seite, eine entscheidende Rolle? Falls Frage 1 Teil 1 bejaht wird, ist weiter zu fragen: F   2) Ist das Lebensalter ein guter Prä- diktor für Krankheit und Behand- lungsbedürftigkeit oder hängen diese von anderen Determinanten ab? Auf die 2. Frage gibt es prinzipiell 3 Ant- worten: a) Ja, das Lebensalter ist ein guter Prä- diktor für die Behandlungsbedürftig- keit, und somit sollte das Profil der al- tersspezifischen Pro-Kopf-Ausgaben nur vom Stand der Medizintechnik abhängen und daher gleich bleiben, wenn man diesen gedanklich kons- tant hält (Status-quo-Hypothese). b) Nein, der beobachtbare Anstieg der Gesundheitsausgaben mit dem Le- bensalter zeigt primär an, dass die Sterberaten mit dem Alter ansteigen und die letzten Jahre vor dem Tod be- sonders hohe Gesundheitskosten ver- ursachen. 1 Entscheidend für die Aus- gaben eines Einzelnen sei also weni- ger der zeitliche Abstand von der Ge- burt als der zeitliche Abstand zum Tod. Diese Erkenntnis, auch Nähe- zum-Tod- (Time-to-death-)Hypothese genannt, verdanken wir Victor Fuchs [10]. c) Die Frage ist falsch gestellt. Der unterstellte positive Zusammenhang 1  Dies wurde etwa in [13] gezeigt: Unter den  >65-jährigen Versicherten in den USA waren  die Ausgaben im letzten Lebensjahr ca. 6-mal  so hoch wie durchschnittlich in einem anderen  Jahr. Leitthema 777 Der Urologe 6 · 2013|

Upload: prof-dr-f-breyer

Post on 09-Dec-2016

217 views

Category:

Documents


1 download

TRANSCRIPT

Page 1: Demografie, medizinischer Fortschritt und Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen

Urologe 2013 · 52:777–784DOI 10.1007/s00120-013-3177-6Online publiziert: 1. Mai 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

F. BreyerFachbereich Wirtschaftswissenschaften, Universität Konstanz

Demografie, medizinischer Fortschritt und Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen

Die deutsche Bevölkerung altert zu-sehends. Die ferne Lebenserwartung der >65-jährigen nimmt stetig jedes Jahrzehnt um 1,5–2,0 Jahre zu, und die Geburtenzahl liegt ca. ein Drittel niedriger, als es zur Bestandserhal-tung der Bevölkerung erforderlich wäre. Die Folge ist, dass der Alters-quotient, also die Anzahl der >65-jäh-rigen im Verhältnis zur Anzahl der Personen im Erwerbsalter (20–65 Jah-re), der im Jahre 2000 noch 27% be-tragen hat, bis zum Jahr 2050 auf 62% (also weit mehr als das doppelte) steigen wird (. Abb. 1).

Für die Finanzierung der Gesundheitsaus-gaben ist der oben genannte Prozess aus zwei Gründen Besorgnis erregend: Zum einen steigen die Ausgaben für medizi-nische Behandlung im Laufe des Lebens typischer Weise an (. Abb. 2). Zum an-deren sind die Ausgaben in der Gesetzli-chen Krankenversicherung (GKV) durch Umlage finanziert. Das bedeutet, dass die GKV keine nennenswerte Kapitalreser-ve hat, sondern laufende Ausgaben im-mer durch laufende Beitragseinnahmen deckt. Wenn jedoch die Ausgaben primär für ältere Menschen getätigt werden, die Beitragseinnahmen jedoch auf Arbeits-einkommen (und Renten) erhoben wer-den und daher primär von den Erwerbstä-tigen aufgebracht werden, so muss man an der Finanzierbarkeit zweifeln, wenn sich die Größe der letztgenannten Gruppe re-lativ zur Zahl alter Menschen verringert.

Hinzu kommt noch ein weiterer Fak-tor, der geeignet ist, die Gesundheitsaus-gaben in die Höhe zu treiben: der medizi-nische Fortschritt.

In dieser Arbeit sollen die Effekte der Alterung und des medizinischen Fort-schritts auf die Gesundheitsausgaben zu-nächst theoretisch erörtert und anschlie-ßend der Stand der empirischen For-schung dargestellt werden, die letztlich in Prognosen über die Ausgabenentwick-lung in den kommenden Jahrzehnten mündet.

Theorie

Alterung und Ausgabenentwicklung

Die für die Prognose der Ausgabenent-wicklung entscheidende Frage lautet: Wie werden sich die in . Abb. 2 dargestellten Ausgabenprofile mit zunehmender Bevöl-kerungsalterung ändern? Hierzu sind zu-nächst zwei grundlegende Fragen zu be-antworten:F  1) Hängen die Gesundheitsausgaben

primär von der Prävalenz von Krank-heit und Behandlungsbedürftigkeit in einer Bevölkerung ab, sind sie also von der individuellen Nachfrage deter-miniert oder spielen dafür politische Entscheidungen, also die Angebots-seite, eine entscheidende Rolle? Falls Frage 1 Teil 1 bejaht wird, ist weiter zu fragen:

F  2) Ist das Lebensalter ein guter Prä-diktor für Krankheit und Behand-lungsbedürftigkeit oder hängen diese von anderen Determinanten ab?

Auf die 2. Frage gibt es prinzipiell 3 Ant-worten:a) Ja, das Lebensalter ist ein guter Prä-

diktor für die Behandlungsbedürftig-keit, und somit sollte das Profil der al-tersspezifischen Pro-Kopf-Ausgaben nur vom Stand der Medizintechnik abhängen und daher gleich bleiben, wenn man diesen gedanklich kons-tant hält (Status-quo-Hypothese).

b) Nein, der beobachtbare Anstieg der Gesundheitsausgaben mit dem Le-bensalter zeigt primär an, dass die Sterberaten mit dem Alter ansteigen und die letzten Jahre vor dem Tod be-sonders hohe Gesundheitskosten ver-ursachen.1 Entscheidend für die Aus-gaben eines Einzelnen sei also weni-ger der zeitliche Abstand von der Ge-burt als der zeitliche Abstand zum Tod. Diese Erkenntnis, auch Nähe-zum-Tod- (Time-to-death-)Hypothese genannt, verdanken wir Victor Fuchs [10].

c) Die Frage ist falsch gestellt. Der unterstellte positive Zusammenhang

1  Dies wurde etwa in [13] gezeigt: Unter den >65-jährigen Versicherten in den USA waren die Ausgaben im letzten Lebensjahr ca. 6-mal so hoch wie durchschnittlich in einem anderen Jahr.

Leitthema

777Der Urologe 6 · 2013  | 

Page 2: Demografie, medizinischer Fortschritt und Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen

zwischen Krankheit und Ausgaben gilt nicht uneingeschränkt, da Krank-heit keine eindimensionale Größe ist, sondern unterschiedliche Facet-ten hat. So werden bestimmte teure Behandlungen gerade an solchen Pa-tienten vorgenommen, die zwar an einer schweren Krankheit leiden (z. B. Nierenversagen oder Verschleiß des Hüftgelenks), sich aber in einem gu-ten Allgemeinzustand befinden, weil andernfalls das Operationsrisiko zu hoch wäre. Die teuersten Patienten wären danach nicht diejenigen mit dem „schlechtesten“ Gesundheitszu-stand.

Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus den verschiedenen Antworten für die weitergehende Frage, wie sich die Ge-sundheitsausgaben entwickeln, wenn die Lebenserwartung steigt?

Ad a) Wenn das Lebensalter primär die Ausgaben determiniert und – z. B. durch medizinischen Fortschritt – mehr Men-schen höhere Altersstufen erreichen, so folgt das, was Walter Krämer [11] die Me-dikalisierung des Alterns und Olshansky et al. [14] „expansion of morbidity“ nen-nen: Da viele ältere Patienten multimor-bid sind, können neu gefundene Möglich-keiten der Bekämpfung einer Krankheits-art (z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankung)

das Leben des Patienten zwar verlängern, ihn aber nicht gesund machen. Vielmehr tritt schon bald ein anderes Leiden (z. B. Krebs) auf, das wieder neue Behandlun-gen erfordert. Die Phase erhöhter Be-handlungsbedürftigkeit vor dem Tod wird also länger und damit teurer. Im Ergebnis erhöht die Alterung die Gesundheitsaus-gaben pro Kopf.

Ad b) Wenn die Behandlungsbedürf-tigkeit primär mit dem zeitlichen Ab-stand zum Tod zusammenhängt und die Lebenserwartung (etwa durch eine ge-sündere Lebensweise) steigt, so wird die Phase der schweren und behandlungs-bedürftigen Krankheiten und der hohen Ausgaben einfach nach hinten verscho-ben, ändert sich aber nicht in ihrer Län-ge. Relativ zur gestiegenen Lebensdauer macht die Krankheitsphase somit einen geringeren Anteil aus, so dass die Pro-Kopf-Ausgaben durch die Alterung leicht sinken (schwache Kompressionshypothese).

Die starke Kompressionshypothese, die auf Fries [9] zurückgeht, besagt dem-gegenüber, dass durch gesündere Le-bensweise und Zurückdrängung akuter Erkrankungen zwar sowohl die gesunde Lebenszeit als auch die mittlere Lebens-dauer steigt, nicht jedoch die (maximale ) Lebensdauer – mit der Folge, dass die Phase hoher Ausgaben am Lebensende nicht nur relativ, sondern sogar absolut kürzer wird und sich die Alterung damit stark dämpfend auf die Pro-Kopf-Ausga-ben auswirkt.

Eine ähnliche Folgerung wie aus der starken Kompressionshypothese ergibt sich auch dann, wenn man die schwa-che Kompressionshypothese mit der Vermutung der Altersrationierung im Gesundheitswesen verbindet. Danach werden schwerkranke Patienten in sehr hohem Alter von den Ärzten nicht mehr so aggressiv behandelt wie etwas jüngere Patien ten.2 Falls sich die Phase der schwe-ren Krankheiten ins höhere Alter ver-schiebt, sinken durch diesen Effekt deren Kosten und wiederum nehmen die Pro-Kopf-Ausgaben ab.

2  Für eine ethische Rechtfertigung der Altersra-tionierung vgl. [5] und [6]. Die Praxis der Ratio-nierung in 6 Ländern einschließlich Deutschland beschreibt [23].

100

90

80

70

60

50

40

30

20

10

0

Gesamtquotient3

Altersquotient2

Jugendquotient1

1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 2060

51

16

67

47

19

66

46

27

73

29

39

68

31

34

65

34

27

61

31

62

93

67

98

98

31

Jahr1)Jugendquotient: unter 20-Jährige je 100 Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren;2) Altersquotient: 65-Jährige und Ältere je 100 Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren;3) Gesamtquotient: unter 20-Jährige und ab 65-Jährige je 100 Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren

Quo

tient

Abb. 1 8 Entwicklung des Altersquotienten bis 2060: Jugend-, Alten- und Gesamtquotient mit den Altersgrenzen 20 und 65 Jahren. Ab 2009: Ergebnisse der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausbe-rechnung (Variante: Untergrenze der „mittleren“ Bevölkerung). (Aus [20])

MännerFrauen

7000

6000

5000

4000

3000

2000

1000

00 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90

Alter (Jahre)

Aus

gabe

n pr

o Ja

hr (€

)

Abb. 2 8 Altersausgabenprofile für Frauen und Männer in der GKV 2009. (Quelle: mod. nach RSA-Daten des Bundesversicherungsamts)

778 |  Der Urologe 6 · 2013

Leitthema

Page 3: Demografie, medizinischer Fortschritt und Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen
Page 4: Demografie, medizinischer Fortschritt und Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen

Ad c) Wenn die höchsten Kosten auf Patienten mit einem guten Allgemeinzu-stand entfallen, so könnte eine gesündere Lebensweise und die damit verbundene höhere Lebenserwartung die Ausgaben für ältere Patienten sogar steigern, weil zum einen das Operationsrisiko zurück-geht und zum anderen die Patienten von einer Behandlung (etwa einem künstli-chen Hüftgelenk) aus der Sicht der Ärzte noch länger profitieren können als bei ge-ringerer Lebenserwartung. Mit anderen Worten würde ein 80-Jähriger im Jahr 2040 ähnlich intensiv behandelt werden wie ein 75-Jähriger heute, wenn beide et-wa die gleiche verbleibende Lebenserwar-tung haben. In Breyer et al. [3] wird dies der Eubie-Blake-Effekt des Arztverhaltens genannt.3 Die Lebenserwartung selbst ist dann ein Prädiktor für hohe Pro-Kopf-Ausgaben.

Schließlich muss noch der Fall betrach-tet werden, dass Frage 1, Teil 2 bejaht wird, die Gesundheitsausgaben eines Landes al-so nicht aus der Behandlungsbedürftig-keit der Bevölkerung durch Summation errechnet werden können, sondern poli-tisch steuerbar sind. Unter dieser Annah-me wurde in [26] die Hypothese vom Sisy-phus-Syndrom im Gesundheitswesen auf-gestellt, nach der hohe Gesundheitsausga-ben die Lebenserwartung steigern und da-mit den Anteil der Alten an der Bevölke-rung und der Wählerschaft erhöhen. Ein hoher Anteil alter Wähler wirkt sich je-doch im politischen Prozess dahingehend aus, dass die öffentlichen Gesundheitsaus-gaben steigen, weil alte Menschen davon besonders profitieren. Im Ergebnis sind Lebenserwartung und Gesundheitsaus-gaben positiv miteinander korreliert, aber die Kausalität ist nicht, wie in b) behaup-tet, einseitig, sondern die beiden Größen bedingen sich gegenseitig.

Medizinischer Fortschritt  und Ausgabenentwicklung

Allgemein unterscheiden Ökonomen zwei Arten technischen Fortschritts. Die

3  Eubie Blake war ein amerikanischer Jazz-Pianist, der an seinem (vermeintlichen) 100. Geburtstag sinngemäß sagte: „Wenn ich gewusst hätte, dass ich so lange lebe, hätte ich mich mehr um meine Gesundheit gekümmert.“

erste Art führt zu Prozessinnovationen und erlaubt es, bekannte Güter mit weni-ger Ressourcenaufwand herzustellen; die zweite Art führt zu Produktinnovatio-nen und erweitert damit das verfügbare Spektrum von Gütern. Während die ers-te Art prinzipiell die Produktionskosten senkt (man denke etwa an den Preis eines durchschnittlichen PCs in den 1980er Jah-ren und heute), führt sie nicht notwendi-gerweise zu geringeren Ausgaben für die-ses Gut, sofern die Nachfrage genügend stark auf die Preissenkung reagiert.Ein gutes Beispiel aus der Medizin sind die laparoskopischen Operationen, etwa am Meniskus: deren Kosten sind in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesun-ken, das Operationsrisiko aber auch, so dass das Volumen in die Höhe geschnellt

ist. Der Gesamteffekt auf die Ausgaben ist also ungewiss.

Klarer ist das Bild bei den Produkt-innovationen, sprich: bei prinzipiell neuen Diagnose- und Therapieformen wie etwa innovativen Arzneimitteln. Vie-le von ihnen erweitern das Therapiespek-trum auf Krankheiten, die zuvor über-haupt nicht oder nur symptomatisch be-handelt werden konnten. Damit sind sie eindeutig ausgabensteigernd. Das bes-te Beispiel hierfür liefert die Transplan-tationsmedizin, die vor 50 Jahren noch nicht existierte und für die heute Milliar-den ausgegeben werden.

Zusammenfassung · Abstract

Urologe 2013 · 52:777–784   DOI 10.1007/s00120-013-3177-6© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

F. BreyerDemografie, medizinischer Fortschritt und Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen

Zusammenfassung

Da die Ausgaben für medizinische Behand-lung typischerweise im Laufe des Lebens an-steigen, ist die Befürchtung weit verbreitet, dass die zunehmende Bevölkerungsalterung in Deutschland gemeinsam mit dem medizi-nischen Fortschritt eine ernste Gefahr für die zukünftige Finanzierung des Gesundheitswe-sens darstellt. Zu dem Zusammenhang zwi-schen Alterung und Entwicklung der Gesund-heitsausgaben hat sich in den letzten 15 Jah-ren eine reichhaltige theoretische und empi-rische Literatur entwickelt, die in diesem Arti-kel resümiert wird. Darin wurde zwar gezeigt, dass die höchsten Behandlungskosten we-

niger dem Alter per se als der Nähe zum Tod geschuldet sind. Dennoch zeigen selbst Si-mulationsrechnungen, die diesen Effekt be-rücksichtigen, dass der Anstieg der Lebens-erwartung – ebenso wie der medizinische Fortschritt – einen Beitrag zum Wachstum der Pro-Kopf-Ausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung leisten wird.

SchlüsselwörterLebenserwartung · Medikalisierung ·  Kompression der Morbidität ·  Nähe-zum-Tod-Hypothese ·  Red-Herring-Hypothese

Ageing, medical progress and the growth of healthcare expenditure

AbstractAs healthcare expenditure typically rises dur-ing a person’s lifetime, there are widespread fears that the ageing of the German popula-tion together with technical progress in med-icine will be a serious threat to future health-care financing. The relationship between age-ing and growth of healthcare expenditure has been intensively studied over the past 15 years both theoretically and empirical-ly. In this article it will be demonstrated that the highest expenditure is not due to age per 

se but rather to proximity to death. However, even taking this effect into account simula-tions show that the increase in life expectan-cy as well as medical progress will contribute to the growth of per capita expenditure in the German healthcare insurance system.

KeywordsLife expectancy · Medicalization ·  Compression of morbidity · Time-to-death hypothesis · Red herring hypothesis

780 |  Der Urologe 6 · 2013

Page 5: Demografie, medizinischer Fortschritt und Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen

Empirie

Will man den Einfluss der Alterung und des medizinischen Fortschritts auf die Ge-sundheitsausgaben empirisch ermitteln, bieten sich dazu prinzipiell zwei Wege an:F  Individualdaten: Kennt man von einer

großen Zahl von Individuen (Ver-sicherten) das Alter, die Ausgaben in einem Zeitraum und das Sterbe-datum, so kann man daraus den Zu-sammenhang zwischen Alter, Nä-he zum Tod und Ausgaben ermitteln. Meist handelt es sich dabei allerdings um Daten eines Jahres, so dass der Einfluss medizinischen Fortschritts nicht Gegenstand der Untersuchung ist.

F  Bevölkerungsdaten: Hier beziehen sich die Daten auf die Ausgaben einer oder mehrerer Bevölkerungsgruppen (z. B. Länder), möglicherweise zu ver-schiedenen Zeitpunkten. Die Alters-zusammensetzung der Bevölkerung kann man bisweilen nur grob messen, etwa durch den Anteil der >65-Jäh-rigen, und der Einfluss des medizini-schen Fortschritts wird in der Regel am Zeittrend in den Ausgaben abge-lesen.

Alter und Gesundheitsausgaben: Individualdaten

P. Zweifel et al. [24] untersuchten in ihrer berühmt gewordenen Arbeit die Ausga-ben von ca. 1000 Schweizer Versicherten, die im Zeitraum zwischen 1983 und 1992 im Alter von >65 Jahren gestorben waren, jeweils in den letzten 8 Quartalen vor de-ren Tod. Sie fanden, dass die Ausgaben in diesen 8 Quartalen signifikant anstiegen,

dass jedoch das Alter des Patienten keine Rolle spielte, auch dann nicht, wenn man den Zeitraum auf die letzten 5 Jahre vor dem Tod ausdehnte. Sie schlossen daraus: „Exclusive emphasis on population ageing as a cause of growth in per capita health care expenditure runs the risk of crea-ting a red herring by distracting from the choices that ought to be made …“ [24].

Dies war nicht nur eine überzeugende Bestätigung der Time-to-death-Hypothese , sondern die Geburtsstunde der hernach viel zitierten Red-herring-Hypothese, die einem ganzen Literaturzweig den Na-men gab. Leser englischer Krimis wis-sen, dass ein „red herring“ eine falsche Fährte ist, die ein Missetäter bewusst legt, um seine Verfolger in die Irre zu führen. Die Autoren suggerieren damit, dass der Zusammenhang zwischen Alterung und Gesundheitsausgaben von Leuten in die Welt gesetzt worden sei, die von den wah-ren Gründen für den Ausgabenanstieg im Gesundheitswesen (nämlich Ineffizienz und Überversorgung) ablenken wollten.

Die Arbeit [24] wurde in der Fol-ge mit verschiedenen Argumenten kriti-siert. So wurde schon von den Autoren eingeräumt, dass sie lediglich für Patien-ten, die wenige Jahre vor dem Tod stan-den, gezeigt habe, dass das Lebensalter keine Rolle spielt. Darüber hinaus wur-de auch die ökonometrische Vorgehens-weise bemängelt. Salas u. Raftery [16] und Seshamani u. Gray [17] wiesen darauf hin, dass die Variable „Nähe zum Tod“ nicht unbedingt exogen sein muss, sondern die Überlebensdauer auch von den Behand-lungsausgaben abhängen könne. Auch der Umgang mit Beobachtungen, in denen die Ausgaben in einem Quartal Null waren, wurde kritisiert.

Nachfolgende Arbeiten haben diese Män-gel jedoch behoben und führten zu ähn-lichen Resultaten. In Felder et al. [8] wur-de eine Teilmenge der Daten aus Zweifel et al. [24] betrachtet und gezeigt, dass für >65-Jährige (bei gleicher Zeitspanne bis zum Tod) die Ausgaben mit höherem Al-ter sogar abnahmen. In Seshamani u. Gray [18] wurde gezeigt, dass die Ausgaben für Krankenhausbehandlung in Großbritan-nien bereits 15 Jahre vor dem Tod zu stei-gen beginnen und mit dem Lebensalter nur bis 80 Jahren steigen, danach jedoch abfallen. In Zweifel et al. [25] wurden wie-derum Schweizer Ausgabendaten für (in-nerhalb der nächsten 4 Jahre) Gestorbene und Überlebende untersucht und gezeigt, dass der Anstieg der Ausgaben mit dem Alter jenseits des 50. Lebensjahrs in jeder dieser beiden Gruppen für sich genom-men erheblich geringer ausfällt, als wenn man beide Gruppen gemeinsam betrach-tet (. Abb. 3).

»  Für >65-Jährige nahmen die Ausgaben im letzten Lebensjahr sogar ab

Auch dies bestätigt die Time-to-death- Hypothese (die Red-herring-Hypothe-se wird allerdings nicht gestützt, da sich insbesondere bei den Überlebenden eine Verdreifachung der jährlichen Ausga-ben zwischen dem 50. und 90. Lebens-jahr feststellen lässt). In Felder et al. [7] wurde dann die Endogenität der Über-lebenszeit hinsichtlich der Gesundheits-ausgaben berücksichtigt und gezeigt, dass dies an der zentralen Aussage (die Zeit-spanne bis zum Tod und nicht das Alter ist die zentrale Determinante der Ausga-ben) nichts ändert.

Interessanterweise konnte in Shang u. Goldman [19] gezeigt werden, dass selbst der zeitliche Abstand zum Tod in seiner Bedeutung zur Erklärung der Gesund-heitsausgaben abnimmt, wenn man Ma-ße für den Gesundheitszustand der Pa-tienten [wie „Body Mass Index“ (BMI), Raucher und das Vorliegen bestimmter Erkrankungen wie Diabetes, Krebs oder Schlaganfall] in das Erklärungsmodell aufnimmt.

tatsächliche Ausgabenerwartete Ausgaben für Überlebendeerwartete Ausgaben für Verstorbene

14,000

12,000

10,000

8,000

6,000

4,000

2,000

030 40 50 60 70 80 90 100

Alter (Jahre)

Pro-

Kopf

-Aus

gabe

n (S

chw

eize

r Fra

nken

)

Abb. 3 9 Geschätzte Ausgabenprofile für Überlebende und Ster-bende, Schweiz 1999. (Quelle: [25])

781Der Urologe 6 · 2013  | 

Page 6: Demografie, medizinischer Fortschritt und Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen

Alter, Zeittrend und Gesundheits-ausgaben: Bevölkerungsdaten

Eine entscheidende Schwäche aller im vorangegangenen Abschnitt dargestell-ten empirischen Analysen besteht darin, dass sie auf Querschnittsdaten beruhen, also die Auswirkungen der demographi-schen Alterung (v. a. in Form steigender Lebenserwartung) im Zeitverlauf nicht abbilden können. Aufschluss über diesen Zusammenhang können nur Zeitreihen-daten oder kombinierte Querschnitt-Zeit-reihen-Daten (sog. Panel-Studien) geben, deren Beobachtungseinheiten nicht Indi-viduen, sondern Bevölkerungen (z. B. je-weils eines Landes) sind.

In Breyer u. Ulrich [4] wurde erstmals versucht, anhand einer Zeitreihe von Pro-Kopf-Ausgabendaten für die gesetzliche Krankenversicherung (1970–1995) ins-gesamt den Einfluss von Alterung, Ein-kommenswachstum und medizinischem Fortschritt zu isolieren. Die Altersstruk-tur, allerdings nur grob gemessen anhand des Anteils der >65-jährigen Versicherten, erwies sich ebenso als signifikanter Erklä-rungsfaktor wie die Höhe des Sozialpro-dukts. Schließlich deutete der Zeittrend auf ein jährliches Wachstum der Gesund-heitsausgaben hin, das um 1 Prozentpunkt über dem Wachstum des Sozialprodukts liegt. Studien für andere Länder fanden dagegen keinen signifikanten Einfluss des Anteils alter Menschen auf die Gesund-heitsausgaben eines Landes [1].

In Zweifel et al. [27], einer Arbeit zum Sisyphus-Syndrom, bei dem es um die wechselseitige Beeinflussung der Lebens-erwartung und der Gesundheitsausgaben ging, ergab sich hingegen für eine Stich-probe von 30 OECD-Ländern über den Zeitraum von 1970–2000, dass die Variab-le, die zugleich die Lebenserwartung und den Anteil der >65-Jährigen misst, in der Tat einen signifikant positiven Einfluss auf die Gesundheitsausgaben hatte.

Schließlich wurde in Breyer et al. [3] die Hypothese des Vorliegens eines Eubie-Blake-Effekts anhand von Daten aus dem GKV-Risikostrukturausgleich überprüft, die für jede Ein-Jahres-Altersgruppe über einen Zeitraum von 1997–2009 die Pro-Kopf-Ausgaben für Behandlung (Kran-kenhaus, Arzneimittel sowie Heil- und Hilfsmittel), getrennt nach Geschlechtern,

ausweisen. Für diese Gruppendaten tritt der Anteil Verstorbener („Sterberate“) an die Stelle des Zeitabstands zum Tod und die Lebenserwartung wird durch die 5-Jahres-Überlebensrate approximiert, die wiederum anhand der Sterberaten der 5 nächstälteren Altersgruppen berechnet werden kann. Es zeigt sich, dass sowohl – und dies im Einklang mit der Time-to-death-Hypothese – die Sterberate als auch – im Einklang mit dem Vorliegen eines Eubie-Blake-Effekts – die 5-Jahres-Über-lebensrate einen signifikanten Einfluss auf die Pro-Kopf-Ausgaben einer Alters-gruppe haben, dass aber (wenn man bei-des konstant hält) immer noch ein deut-licher Anstieg der Ausgaben mit dem Al-ter sowie ein positiver Zeittrend zu erken-nen sind.

Simulation der zukünftigen Ausgabenentwicklung

Alle oben dargestellten Arbeiten versu-chen, den Zusammenhang zwischen Al-ter(ung) und Gesundheitsausgaben in der Vergangenheit zu ermitteln. Der eigent-liche Zweck der Übung besteht jedoch darin, empirisch fundierte Voraussagen zur wahrscheinlichen zukünftigen Ent-wicklung der Gesundheitsausgaben zu treffen. Derartige Voraussagen sind al-lerdings insofern problematisch, als sie politische Entscheidungen, die angesichts von Knappheit öffentlicher Mittel getrof-fen werden, naturgemäß nicht berück-sichtigen können. Der Sinn solcher Simu-lationsrechnungen kann also nur darin bestehen, den „Bedarf “ an Gesundheits-ausgaben in der Zukunft zu ermitteln und somit möglicherweise bestehende Lücken zwischen diesem Bedarf und den Finan-zierungsmöglichkeiten frühzeitig zu er-kennen.

Die wichtigste Erkenntnis aus den ent-sprechenden Arbeiten aus verschiedenen Ländern lautet: Wenn man die Simula-tionen auf empirischen Schätzungen der Gesundheitsausgaben aufbaut, bei denen die Variable „Zeit bis zum Tod“ einbezo-gen war, dann ist der resultierende An-stieg der Ausgaben in der Zukunft weni-ger dramatisch als bei Schätzungen ohne Berücksichtigung dieses Effekts. Als ers-te wurde dies in Stearns u. Norton [21] für die USA gezeigt. Die Autoren verglichen

Hochrechnungen für die Medicare-Aus-gaben des Jahres 2020 aus Ausgabendaten für den Zeitraum 1992–1998 und fanden, dass die Nichtberücksichtigung des Time-to-death-Effekts zu einer Überschätzung der Gesamtausgaben eines durchschnittli-chen Medicare-Versicherten (vom 65. Le-bensjahr an) um bis zu 15% (nämlich auf 117.000 statt 102.000 US$) führt. Will man diese Überschätzung zum tatsächlichen Anstieg über diesen Zeitraum in Bezie-hung setzen, so muss man die Ausgaben-höhe in den 1990er Jahren kennen. Laut Lubitz et al. [12] betrug sie im Jahr 1990 ca. 53.000 US$. Der „korrekt“ geschätzte An-stieg über diesen Zeitraum beträgt daher ca. 92%, der „überschätzte“ 121%, d. h. das Ausmaß der Überschätzung beträgt ein knappes Drittel des „tatsächlichen“ An-stiegs. In Polder et al. [15] wurde für die Niederlande lediglich eine Überschätzung der Wachstumsrate der Gesundheitsaus-gaben durch das „falsche“ Modell um 10% gefunden.

»  Die Nichtberücksichtigung des Time-to-death-Effekts führt zu einer Überschätzung der Gesamtausgaben

In Breyer u. Felder [2] wurde das auf Schweizer Daten beruhende Schätzmodell aus Zweifel et al. [25] für eine Simulation der Ausgabenentwicklung im Zeitraum von 2002–2050 für Deutschland auf der Basis der Bevölkerungsprognosen des Sta-tistischen Bundesamts verwendet. Gegen-über einer Status-quo-Projektion auf der Grundlage des Altersausgabenprofils von 2002, die einen rein demographisch be-dingten Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben bis 2050 um 24% ergibt, reduziert sich dieser Anstieg durch explizite Unterschei-dung der Ausgaben für Überlebende und Sterbende auf 19,5% sowie durch die An-nahme der Gültigkeit der schwachen Kom-pressionshypothese auf 14%.

Die überraschende Erkenntnis aus die-sen Simulationen ist also, dass auch bei Berücksichtigung aller dämpfenden Fak-toren immer noch ein positiver demogra-phischer Effekt auf die Gesundheitsaus-gaben verbleibt, was auch von Steinmann et al. [22] für die Schweiz bestätigt wird.

782 |  Der Urologe 6 · 2013

Leitthema

Page 7: Demografie, medizinischer Fortschritt und Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen
Page 8: Demografie, medizinischer Fortschritt und Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen

Auf der anderen Seite verblasst die Hö-he des demographischen Effekts gegen-über den Auswirkungen des medizini-schen Fortschritts. Setzt man diese gemäß der Schätzergebnisse aus Breyer u. Ulrich [4] mit 1% Wachstumsrate pro Jahr (über das Sozialproduktswachstum hinaus) an, so steigen die Pro-Kopf-Ausgaben in Deutschland zwischen 2002 und 2050 in-flationsbereinigt um 101%, wovon der de-mographisch bedingte Anstieg nur einen kleinen Teil ausmacht.

Schließlich findet sich auch in Breyer et al. [3] eine Simulation der Pro-Kopf-Ausgaben für GKV-Mitglieder für den Zeitraum 2009–2060 auf der Basis der vorliegenden Bevölkerungsprognosen. Je nach verwendetem Schätzmodell ergibt sich daraus eine rein demographisch be-dingte Entwicklung der Pro-Kopf-Ausga-ben mit einer jährlichen Wachstumsra-te von 0,5–1,0% zuzüglich eines (als me-dizinischer Fortschritt interpretierbaren) Zeittrends von jährlich 1,0–1,5% bei den Ausgaben für Frauen und 2% für Männer. Auch hier zeigt sich also, dass der demo-graphische Effekt auf die Ausgabenent-wicklung keineswegs Null (oder gar ne-gativ) ist, jedoch deutlich geringer ist als der Einfluss medizinischen Fortschritts.

Fazit für die Praxis

F  Die Zusammenhänge zwischen Be-völkerungsalterung, medizinischem Fortschritt und Gesundheitsausgaben sind verständlicherweise eines der am intensivsten erforschten Gebiete der Gesundheitsökonomik in den letz-ten 15 Jahren. Die Hypothese, dass nicht das Alter per se, sondern die Nä-he zum Tod für die stark steigenden Gesundheitsausgaben im hohen Al-ter ursächlich ist, war dabei eine der zentralen Erkenntnisse. Jedoch fällt immer noch der größere Teil der Ge-sundheitsausgaben in einer Lebens-phase an, in der der Tod noch fern ist, und für diese Ausgaben scheint nach den vorliegenden Analysen das Le-bensalter durchaus eine Rolle zu spie-len.

F  Insgesamt kann für den mögli-chen Einfluss der Bevölkerungsalte-rung auf die Pro-Kopf-Ausgaben in 

Deutschland keine vollkommene Ent-warnung gegeben werden. Auch dass der durch medizinischen Fortschritt bedingte Anstieg vermutlich stärker ausfallen wird, ist nicht wirklich beru-higend, denn die steigenden Gesund-heitskosten müssen in jedem Fall fi-nanziert werden – egal wodurch der Anstieg verursacht wird.

F  Ein weiterer Faktor, der in dieser Übersicht nicht behandelt wurde, ist der Effekt des sinkenden Anteils jun-ger Menschen auf die Einnahmesei-te der GKV. Auch der wird dazu bei-tragen, dass die zukünftige Tragbar-keit der Gesundheitsausgaben in Deutschland keineswegs selbstver-ständlich ist.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. F. BreyerFachbereich Wirtschaftswissenschaften,  Universität Konstanz,Postfach 143, 78457 [email protected]

Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Literatur

  1.  Barros PP (1998) The black box of health care ex-penditure growth determinants. Health Econ 7:533–544

  2.  Breyer F, Felder S (2006) Life expectancy and he-alth care expenditures: a new calculation for Ger-many using the costs of dying. Health Policy 75:178–186

  3.  Breyer F, Lorenz N, Niebel T (2012) Population ageing and health care expenditures: is there a Eu-bie Blake effect? DIW, Berlin, Discussion Paper No. 1226

  4.  Breyer F, Ulrich V (2000) Gesundheitsausgaben, Alter und medizinischer Fortschritt: eine Regres-sionsanalyse. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 220:1–17

  5.  Callahan D (1987) Setting limits. Medical Goals in an Aging Society, New York

  6.  Daniels N (1985) Just health care. Cambridge Uni-versity Press, Cambridge

  7.  Felder S, Werblow A, Zweifel P (2010) Do red her-rings swim in circles? Controlling for the endoge-neity of time to death. J Health Econ 29:205–212

  8.  Felder S, Meier M, Schmitt H (2000) Health care ex-penditure in the last months of life. J Health Econ 19:679–695

  9.  Fries JF (1980) Ageing, natural death, and the com-pression of morbidity. N Engl J Med 303:130–136

10.  Fuchs VR (1984) Though much is taken: reflections on aging, health and medical care. Milbank Mem Fund Q Health Soc 62:143–166

11.  Krämer W (1993) Wir kurieren uns zu Tode. Die Zu-kunft der modernen Medizin. Campus, Frankfurt

12.  Lubitz JD, Beebe J, Baker C (1995) Longevity and medicare expenditure. N Engl J Med 332:999–1003

13.  Lubitz JD, Riley GF (1993) Trends in Medicare payments in the last year of life. N Engl J Med 328:1092–1096

14.  Olshansky SJ, Rudberg MA, Carnes BA et al (1991) Trading off longer life for worsening health: the ex-pansion of morbidity hypothesis. J Aging Health 3:194–216

15.  Polder JJ, Barendregt JJ, Oers H van (2006) Health care costs in the last year of life–the Dutch expe-rience. Soc Sci Med 63:1720–1731

16.  Salas C, Raftery JP (2001) Econometric issues in testing the age neutrality of health care expendi-ture. Health Econ 10:669–671

17.  Seshamani M, Gray A (2004) Ageing and health ca-re expenditure: the red herring argument revisi-ted. Health Econ 13:303–314

18.  Seshamani M, Gray A (2004) A longitudinal study of the effects of age and time to death on hospital costs. J Health Econ 23:217–235

19.  Shang B, Goldman D (2008) Does age or life ex-pectancy better predict health care expenditures? Health Econ 17:487–501

20.  Statistisches Bundesamt (2009) Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 12. koordinierte Bevölke-rungsvorausberechnung. Statistisches Bundesamt, Berlin

21.  Stearns SC, Norton EC (2004) Time to include ti-me to death? The future of health care expenditu-re predictions. Health Econ 13:315–327

22.  Steinmann L, Telser H, Zweifel P (2007) Aging and future healthcare expenditure: a consistent appro-ach. Forum for Health Economics and Policy 10/2

23.  Strech D, Synofzik M, Marckmann G (2008) How physicians allocate scarce resources at the bed-side: a systematic review of qualitative studies. J Med Philos 33:80–99

24.  Zweifel P, Felder S, Meier M (1999) Ageing of popu-lation and health care expenditure: a red herring? Health Econ 8:485–496

25.  Zweifel P, Felder S, Werblow A (2004) Population ageing and health care expenditure: new evidence on the „Red Herrings“. The Geneva Papers on Risk and Insurance 29:652–666

26.  Zweifel P, Ferrari M (1992) Is there a sisyphus syn-drome in health care? In: Zweifel P, Frech HE (eds) Health economics worldwide. Kluwer, Boston Dor-drecht, pp 311–330

27.  Zweifel P, Steinmann L, Eugster P (2005) The si-syphus syndrome in health revisited. Int J Health Care Econ Financ 5:127–145

Kommentieren Sie diesen Beitrag auf springermedizin.de

7 Geben Sie hierzu den Bei-tragstitel in die Suche ein und nutzen Sie anschließend die Kommentarfunktion am Bei-tragsende.

784 |  Der Urologe 6 · 2013

Leitthema