das zügelgurt-fachwerk über die mulde in wurzen – eine revision nach entwurf und ausführung

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Bei der Querung der Bundesstraße B 6 über die Mulde bei Wurzen wurde als Tragwerks- system eine Verbundbrücke mit Zügelgurt-Fachwerk gewählt. Dieser bekannte Fachwerk- typ wurde bei der Muldebrücke Wurzen in wesentlichen Richtungen weiterentwickelt. Zum einen wurde das Fachwerk mit einer Tragebene als Mittelträger ausgebildet, zum anderen wurde der Mittelträger mit der Krümmung der Trassierung ausgebildet. Diese Lösung wird in folgendem Bericht dargestellt. Die bei Entwurf und Ausführung gemach- ten Erfahrungen werden zusammengestellt und es werden alternativ mögliche Lösungs- wege, Konstruktionstypen und Verfahrensweisen diskutiert. The bridle-chord truss bridge across the river Mulde near Wurzen, Germany – a re- view after design and construction. At the crossing of the federal highway B 6 across the river Mulde near the town Wurzen, a composite bridge with a bridle-chord truss was adopted as design solution. With the Mulde Bridge, the in historic times often used structure type of the bridle-chord truss was developed farther in certain essential res- pects. The truss was designed as a one plane structure in the medial strip of the high- way and furthermore, the truss was designed strongly curved, following the curvature of the alignment. The experiences made during design and execution are presented and alternatively possible solutions, construction types and building procedures are discussed. Fluss liegende Brücke zu entwerfen, mit einer Hauptstützweite von ca. 100 m und einer geringen Konstruk- tionshöhe des Überbaus von 2,50 m unter der Fahrbahn. Außerdem war die große Breite der Brücke von 22,5 m von Bedeutung und ganz wesentlich die Trassenradien im Grundriss, die sich veränderlich bis zu einem Radius von 250 m verkleinern. Ergebnis des iterativen Entwurfs- prozesses zur Lösung der Aufgaben- stellung war eine Dreifeldbrücke mit den Stützweiten 70 m – 100 m – 45 m und der Einsatz eines über der Fahr- bahn liegenden Tragwerkes in der Form eines Zügelgurt – Fachwerkes über der Hauptstütze. Die Planungs- schritte und die Bauausführung sind an anderer Stelle [1], [2] ausführlich dargestellt. Im Folgenden wird kurz auf die Schritte zur Wahl des Trag- werks und die Entwicklung des De- signs eingegangen. Näher wird auf die Zweckmäßigkeit der Konstruktions- details eingegangen und es werden Be- trachtungen zu alternativ möglichen Bauweisen sowie zur Effektivität des Tragwerksystems angestellt. 2 Entwicklung des Tragwerksystems – Zügelgurtfachwerk als Mittelträger mit Krümmung im Grundriss Aufgrund der vollständig unterschied- lichen Bedingungen für die Brücke im Vorlandbereich und die Brücke im Flussbereich wurden für die beiden Brücken auch unterschiedliche Spann- weiten, Konstruktionen und Bau- höhen gewählt. Die Vorlandbrücke wurde als einfacher Spannbetonplat- tenbalken mit Spannweiten von ca. 25 m entworfen. Sie wurde von der Flussbrücke durch einen Trennpfeiler Karl-Heinz Reintjes Das Zügelgurt-Fachwerk über die Mulde in Wurzen – eine Revision nach Entwurf und Ausführung Herrn Prof. Dr.-Ing. habil. Wolfgang Graße zur Vollendung seines 70. Lebensjahres gewidmet DOI: 10.1002/stab.200910018 1 Einführung Das neue Querungsbauwerk über die Mulde im Zuge der Bundesstraße B 6 bei Wurzen hat eine Gesamtlänge von 523 m und unterteilt sich in die 210 m lange Flussbrücke und die 313 m lange Brücke über das Vorland. Gegenstand dieses Berichtes ist die Flussbrücke. Die Brücke mit der anschließenden Ortsumgehung wurde 2007 fertig ge- stellt. Aufgrund der starken Verkehrs- überlastung der Bundesstraße B 6 in diesem Abschnitt lagen Vorplanungen zu einer Ortsumgehung mit einer neuen Muldequerung bereits vor, als bei der Hochwasserkatastrophe im August 2002 Dammbrüche mit weit- räumigen Überflutungen eintraten. Außerdem wurde ein Pfeiler der alten Muldebrücke fortgerissen. Die fol- gende Planung und Ausführung der neuen Querung und der anschließen- den Ortsumgehung erfolgte in kürzes- ten Zeiträumen (Bild 1). Aufgrund besonderer Randbedin- gungen, die sich aus der Trassierung und dem Hochwasserschutz ergaben, wurde für die Flussbrücke eine Lö- sung entwickelt, die technisch außer- gewöhnlich ist und eine an dieser Stelle angebrachte, charakteristische Gestaltung ermöglichte. Zwei benach- bart liegende Anschlüsse der Bundes- straße B 6 mit einer anderen Bundes- straße und einer Staatsstraße führten dazu, im Aufriss eine relativ flach über dem Fluss liegende Gradiente und im Grundriss eine Linie mit klei- nen Radien anzuzielen. Andererseits ergaben sich aus dem Hochwasser- schutz die Forderungen, das Flussbett der Mulde von Stützen freizuhalten und mit der Unterkante der Brücke eine bestimmte Höhe nicht zu unter- schreiten. Damit ergab sich die Auf- gabenstellung, eine flach über dem 188 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 78 (2009), Heft 3 Fachthemen

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Bei der Querung der Bundesstraße B 6 über die Mulde bei Wurzen wurde als Tragwerks-system eine Verbundbrücke mit Zügelgurt-Fachwerk gewählt. Dieser bekannte Fachwerk-typ wurde bei der Muldebrücke Wurzen in wesentlichen Richtungen weiterentwickelt.Zum einen wurde das Fachwerk mit einer Tragebene als Mittelträger ausgebildet, zumanderen wurde der Mittelträger mit der Krümmung der Trassierung ausgebildet. DieseLösung wird in folgendem Bericht dargestellt. Die bei Entwurf und Ausführung gemach-ten Erfahrungen werden zusammengestellt und es werden alternativ mögliche Lösungs-wege, Konstruktionstypen und Verfahrensweisen diskutiert.

The bridle-chord truss bridge across the river Mulde near Wurzen, Germany – a re-view after design and construction. At the crossing of the federal highway B 6 acrossthe river Mulde near the town Wurzen, a composite bridge with a bridle-chord trusswas adopted as design solution. With the Mulde Bridge, the in historic times often usedstructure type of the bridle-chord truss was developed farther in certain essential res-pects. The truss was designed as a one plane structure in the medial strip of the high-way and furthermore, the truss was designed strongly curved, following the curvatureof the alignment. The experiences made during design and execution are presentedand alternatively possible solutions, construction types and building procedures arediscussed.

Fluss liegende Brücke zu entwerfen,mit einer Hauptstützweite von ca.100 m und einer geringen Konstruk-tionshöhe des Überbaus von 2,50 munter der Fahrbahn. Außerdem war diegroße Breite der Brücke von 22,5 mvon Bedeutung und ganz wesentlichdie Trassenradien im Grundriss, diesich veränderlich bis zu einem Radiusvon 250 m verkleinern.

Ergebnis des iterativen Entwurfs-prozesses zur Lösung der Aufgaben-stellung war eine Dreifeldbrücke mitden Stützweiten 70 m – 100 m – 45 mund der Einsatz eines über der Fahr-bahn liegenden Tragwerkes in derForm eines Zügelgurt – Fachwerkesüber der Hauptstütze. Die Planungs-schritte und die Bauausführung sindan anderer Stelle [1], [2] ausführlichdargestellt. Im Folgenden wird kurzauf die Schritte zur Wahl des Trag-werks und die Entwicklung des De-signs eingegangen. Näher wird auf dieZweckmäßigkeit der Konstruktions-details eingegangen und es werden Be-trachtungen zu alternativ möglichenBauweisen sowie zur Effektivität desTragwerksystems angestellt.

2 Entwicklung des Tragwerksystems –Zügelgurtfachwerk als Mittelträgermit Krümmung im Grundriss

Aufgrund der vollständig unterschied-lichen Bedingungen für die Brückeim Vorlandbereich und die Brücke imFlussbereich wurden für die beidenBrücken auch unterschiedliche Spann-weiten, Konstruktionen und Bau-höhen gewählt. Die Vorlandbrückewurde als einfacher Spannbetonplat-tenbalken mit Spannweiten von ca.25 m entworfen. Sie wurde von derFlussbrücke durch einen Trennpfeiler

Karl-Heinz Reintjes

Das Zügelgurt-Fachwerk über die Mulde in Wurzen –eine Revision nach Entwurf und AusführungHerrn Prof. Dr.-Ing. habil. Wolfgang Graße zur Vollendung seines 70. Lebensjahres gewidmet

DOI: 10.1002/stab.200910018

1 Einführung

Das neue Querungsbauwerk über dieMulde im Zuge der Bundesstraße B 6bei Wurzen hat eine Gesamtlänge von523 m und unterteilt sich in die 210 mlange Flussbrücke und die 313 m langeBrücke über das Vorland. Gegenstanddieses Berichtes ist die Flussbrücke.Die Brücke mit der anschließendenOrtsumgehung wurde 2007 fertig ge-stellt.

Aufgrund der starken Verkehrs-überlastung der Bundesstraße B 6 indiesem Abschnitt lagen Vorplanungenzu einer Ortsumgehung mit einerneuen Muldequerung bereits vor, alsbei der Hochwasserkatastrophe imAugust 2002 Dammbrüche mit weit-räumigen Überflutungen eintraten.Außerdem wurde ein Pfeiler der altenMuldebrücke fortgerissen. Die fol-gende Planung und Ausführung derneuen Querung und der anschließen-

den Ortsumgehung erfolgte in kürzes-ten Zeiträumen (Bild 1).

Aufgrund besonderer Randbedin-gungen, die sich aus der Trassierungund dem Hochwasserschutz ergaben,wurde für die Flussbrücke eine Lö-sung entwickelt, die technisch außer-gewöhnlich ist und eine an dieserStelle angebrachte, charakteristischeGestaltung ermöglichte. Zwei benach-bart liegende Anschlüsse der Bundes-straße B 6 mit einer anderen Bundes-straße und einer Staatsstraße führtendazu, im Aufriss eine relativ flachüber dem Fluss liegende Gradienteund im Grundriss eine Linie mit klei-nen Radien anzuzielen. Andererseitsergaben sich aus dem Hochwasser-schutz die Forderungen, das Flussbettder Mulde von Stützen freizuhaltenund mit der Unterkante der Brückeeine bestimmte Höhe nicht zu unter-schreiten. Damit ergab sich die Auf-gabenstellung, eine flach über dem

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separiert. Auf die Vorlandbrücke wirdhier nicht näher eingegangen.

2.1 Grundlegende Entwurfsbedingungender Flussbrücke

Die geringe Höhenlage der Brücken-gradiente resultierte aus den benach-barten Knotenpunkten sowie aus an-grenzender Bebauung. Zusammen mitder freizuhaltenden Durchflusshöheim Hochwasserfall ergab sich für dieBrücke eine mögliche Bauhöhe unterder Fahrbahn von nur 2,5 m. Eineweitere Forderung des Hochwasser-schutzes war, dass im Flussbett keineStützen angeordnet werden sollten.Damit ergab sich hier eine Spann-weite von ca. 100 m. Die Bedingun-gen der Trassierung und des Hoch-wasserschutzes führten damit zu gro-ßen Stützweiten mit den daraus resul-tierenden entsprechenden Baukostensowie zu einem oben liegenden Trag-werk, das tendenziell ebenfalls höhereBaukosten aufweist als ein unter derFahrbahn liegendes Tragwerk. WeitereParameter, die gerade bei oben liegen-den Tragwerken zu einer ungünstigenBeanspruchungssituation der Kon-struktion und zu höheren Baukostenführen, waren die ebenfalls aufgrunddes benachbarten Knotenpunkts sichergebende Trassenkrümmung mitkleinem Radius, die aus Gründen des

Hochwasserschutzes gewünschten, zurFließrichtung parallelen, zur Brücken-achse schiefen Lagerachsen, der ein-seitig angeordnete Fuß- und Radwegsowie die relativ große Brückenbreitevon 22,5 m.

Die grundlegenden Bedingungenfür den Entwurf des Bauwerks warendamit: – große Stützweiten– niedrige Höhenlage der Brücke undoben liegendes Tragwerk– Krümmung der Trasse und Wahleiner dieser Linie folgenden Brücken-achse– große Brückenbreite mit Mittelstrei-fen und einseitig angeordneter Rad-und Gehweg– zur Überbauachse schiefe Lage-rungsachsen.

Die Brückenplanung sollte da-mit eine Kombination anspruchsvol-ler Bedingungen mit den zu erwarten-den hohen Aufwendungen berücksich-tigen. Nach Herausarbeitung dieserSituation wurde daher eine erneutePlanungsphase mit der Aufstellungund Gegenüberstellung einfacher Brü-ckenlösungen mit gerader Achsen-führung bzw. kleineren Stützweitendurchgeführt. Diese Lösungen, prin-zipiell ausführbar, wurden schließlichnicht weiter verfolgt, da sie die Aspektedes Hochwasserschutzes nicht voll-ständig zu befriedigen vermochten und

diese Aspekte nach der Flutkatastro-phe von 2002 an erster Stelle zu be-achten waren.

2.2 Länge der Flussbrücke und Lage des Widerlagers sowie des Trennpfeilers

Aufgrund der unterschiedlich gewähl-ten Konstruktionen von Flussbrückeund Vorlandbrücke und den unter-schiedlichen Bauhöhen wurde eineTrennung der Überbauten und dieAusbildung eines Trennpfeilers vorge-nommen. Die ungefähre Position desöstlichen Trennpfeilers ergab sich ausForderungen des Hochwasserschut-zes. Aus diesem Grund wäre aberauch eine etwas geringere Größe desRandfeldes der Flussbrücke möglichgewesen. Dies wurde aber nicht wei-ter verfolgt, da die gewählte Größedes Randfeldes von 45 m für die Be-anspruchung des Überbaus in demMittelfeld mit der 100 m Stützweitedas Optimum darstellte. Die Positiondes westlichen Widerlagers ergab sichaus der Forderung des Hochwasser-schutzes. Das Widerlager sollte hinterdem Hochwasserdeich, der von seineralten Lage aus um ca. 20 m nach Wes-ten verlegt wurde, angeordnet wer-den. Die zum Hochwasserdamm par-allele Stellung und zur Überbauachseschiefe Anordnung des Widerlagers

Bild 1. Lageplan. Die Ortsumgehung und die Brücke über die Mulde Fig. 1. Situation map. The bypass and the Mulde Bridge

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wurde gewählt, um die Brückenlängegering zu halten und da die Integra-tion des Widerlagers in den Dammgestalterische Vorteile versprach. Dergrößere Aufwand für das Widerlager,den Endquerträger und die Kompen-sation der auftretenden, abhebendenAuflagerkräfte durch umfangreicheBallastierung des Überbaus wurdenin Kauf genommen.

2.3 Fachwerk als Mittelträger mitKrümmung im Grundriss – Entwick-lung einer neuen Tragwerklösung

Die umfangreiche Studie möglicherTragwerksysteme [1] zeigte auf, dassStabbögen mit zwei oder einer Trag-ebene aufgrund der starken Trassen-krümmung zu keiner günstigen Lö-sung führen. Fachwerke oder Voll-wandträger (ggf. in aufgelöster Bau-weise) eignen sich eher für Tragwerkemit Trassenkrümmungen im Grund-riss. Bei dem Querschnitt der Mulde-brücke (Breite 22,5 m; mit Mittel-streifen) ist eine Mittelträgerbauweisedann nahe liegend. Das schließlichgewählte asymmetrische Zügelgurt-Fachwerk stellt eine statisch und kon-struktiv sinnvolle Möglichkeit dar,

dessen Gestaltung wesentlich aus dergeometrischen Situation und dem Um-feld resultierte (Bilder 2 bis 5).

Fachwerke sind als Fachwerkeim Feld oder über der Stütze mit denverschiedensten Geometrien in der

Ansicht möglich. Der Begriff Zügel-gurt-Fachwerk wird benutzt für Fach-werke, die über der Stütze angeordnetsind und dort entsprechend der Be-anspruchung ihre maximale Bauhöhehaben. Ähnlichkeiten mit den Zügel-

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Bild 4. Querschnitt Achse 20Fig. 4. Cross-section axis 20

Bild 2. Längsschnitt der Flussbrücke Fig. 2. Longitudinal section of the river bridge

Bild 3. GrundrissFig. 3. Plan view

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gurt-Tragwerken im engeren Sinn, denSchrägkabelbrücken mit einer Kabel-führung, sind in der Ansicht gegebenund darin, dass der Obergurt als Zug-glied wirkt. In statischer und kon-struktiver Hinsicht bestehen darüberhinaus keine Übereinstimmungen.

Fazit: Auch bei Aufgabenstellun-gen mit zahlreichen und engen Rand-bedingungen ist eine Vielzahl vonkonstruktiven und gestalterischen Lö-sungsmöglichkeiten vorhanden. DerDiskussion und Gegenüberstellungalternativ möglicher Bauweisen mitBerücksichtigung der maßgebendenAspekte muss adäquater Raum gege-ben werden und den erforderlicheniterativen Prozessen die nötige Zeit.Wenn die Bedingungen der Situationzwingend sind, kann ein Tragsystemmit komplizierter Geometrie, großenStützweiten und oben liegendem Trag-werk die Lösung der Wahl sein, auchwenn die damit verbundenen größe-ren Aufwendungen beachtet werden.

3 Bemerkungen zum Brückendesign

Im Gegensatz zu den auch heute nochoft eingesetzten, parallelgurtigen Bal-ken-Fachwerken besitzen Zügelgurt-Fachwerke eine Vielzahl von gestalte-rischen Möglichkeiten, auf Besonder-heiten der Trassierung und der Topo-graphie einzugehen oder Antwortenauf Stadtbilder und Landschaften zufinden. Die beiden Gestaltungsprinzi-pien – zum einen die Einpassung indas Umfeld, zum anderen die Heraus-stellung des Bauwerks mit der Ent-wicklung einer Signaturwirkung –sind keine konträren Prinzipien.

Die Mittelträgerbauweise derMuldebrücke Wurzen dürfte in allerRegel der beidseitigen Anordnung vonFachwerken, wie sie bisher immer an-gewendet wurde, gestalterisch überle-gen sein. Die deutlich wahrnehmbareKrümmung des Fachwerks im Grund-riss ist eine weitere Besonderheit, diedazu führt, dass das Tragwerk für den

Fahrer auf der Straße aber auch fürden außen stehenden Betrachter eineräumliche Dimension gewinnt unddas Brückenbauwerk eine augenfälligeDynamik erhält. Das Fachwerk ist aufder topographisch niedrigen Seite derBrücke, der höher gelegenen StadtWurzen entgegengesetzt, angeordnet,so dass sich der Effekt eines Gegen-gewichts oder Kontrapunkts zu demStadtbild Wurzen ergibt. Ein Effekt,der sich in anderen Fällen bereits be-währt hat und hier durch die Asym-metrie der unterschiedlich lang ge-wählten Fachwerkarme noch ver-deutlicht wird. Länge und Höhe desFachwerks müssen dann so gewähltwerden, dass sich ein ausgewogenesGesamtbild einstellt.

Über diese konzeptionellen Prin-zipien hinaus, müssen bei Zügelgurt-Fachwerken weitere Parameter, wiedie Anordnung der Ausfachungsele-mente, die Abmessungen der Gurteund die der Diagonalen, aufeinanderabgestimmt werden (Bild 6). Auch dieGeometrie des Obergurts ist von we-sentlicher Bedeutung. Bei der Mulde-brücke Wurzen wurde der Verlauf desObergurts mit einer Krümmung ver-sehen, ein für die visuelle Wirkungentscheidendes Element, das auch aufdie historischen Vorbilder anspielt.Außerdem wurde ein für das Trag-werk und das Umfeld stimmiges Farb-konzept entwickelt und eine Belich-tung des Fachwerks vorgesehen.

Bei der Muldebrücke Wurzenwurde bei der schrittweisen Entwick-lung von Design und Technik der Zu-sammenhang mit dem Umfeld immerim Auge behalten. Varianten wurdenim Hinblick darauf weiter bearbeitet,andere Varianten wurden fallengelas-sen. Vorteil bei der Aufstellung des

Bild 5. Querschnitt im Feld 20 / 30 Fig. 5. Cross-section between axis 20 and 30

Bild 6. Geometrie des Zügelgurt-FachwerksFig. 6. Geometry of the bridle-chord truss

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Entwurfs war, dass alle Ebenen derDesignentwicklung von der Aufgaben-stellung über die Trassierung bis zurWahl des Tragwerks in wenigen Hän-den lag und das Prinzip „vom großenGanzen zum kleinsten seiner Teile“verfolgt werden konnte, aber auch derumgekehrte Weg gegangen wurde.Die erforderlichen Iterationsschleifenkonnten in kurzen Zeiträumen erfol-gen.

Fazit: Die Herausforderung imBrückenentwurf ist es, Lösungen zufinden, denen es gelingt, genius lociund ingenium structurae mit einervisuellen Idee und technischer Effi-zienz zu verbinden. Voraussetzunghierfür sind umfassende Kenntnissedes Brückenbaus, eine intuitive Be-rücksichtigung der Randbedingungenund kreative Findungsprozesse. Diegestalterische Bearbeitung des Trag-werks und der einzelnen Bauteile bishin zur Farbgebung oder Belichtungist kaum weniger wichtig. Zügelgurt-Fachwerke, insbesondere wenn sie mitnur einer Tragwerksebene entworfenwerden können, besitzen ein beson-deres gestalterisches Potential. MitSignaturwirkung kann auf örtlicheBesonderheiten eingegangen werden.

4 Zweckmäßigkeit der Konstruktionund der Ausführung des Überbaus

4.1 Zügelgurt-Fachwerk4.1.1 Konstruktion

Die Festlegung von Anzahl, Stellungund Neigung der Fachwerkelemente(Diagonalen, Pfosten) ist eine Aufgabe,die zusammen mit der Festlegung der

Ausbildung der übrigen Fachwerkele-mente (insbesondere Länge und Höhedes Fachwerks, Knotenbleche) erfol-gen muss. Die in diesem Fall gewählteAusbildung mit einem starken Pylonund einem gleichmäßigen Diagonalen-raster führt zu einer leicht verständ-lichen Ordnung des Fachwerks.

Die Breite des Fachwerks ist mit1 m gewählt. Die Querbeanspruchungdes Fachwerks durch die Krümmungder Überbauachse im Grundriss (vonR = 750 m bis 250 m variierend;Stichmaß des Fachwerks am Pylon =1,20 m) ist im Vergleich mit der Be-anspruchung aus den Normalkräftennicht erheblich. Die Trassenkrümmungführt nicht zu größeren Bemessungs-problemen. Bei der gewählten Fach-werkbreite war eine Verbreiterung desMittelstreifens nicht erforderlich.

Das Fachwerk reicht jeweils biszur Feldmitte. Bei dem Fachwerkarmim großen Feld (50 m Länge) ergibtsich im Einbindungsbereich des Fach-werkobergurts in den Trägerrost einestetige und zweckmäßige Beanspru-chung der Längsträger und des Zügel-gurts. Bei dem Fachwerkarm im klei-nen Feld (35 m Länge) ergeben sichim Einbindungsbereich Sprünge imMomentenbild und große Beanspru-chungen in den Längsträgern und imFachwerk. Dies wäre weniger der Fall,wenn eine systemgerechtere Ausbil-dung des statischen Systems an die-sem Punkt eingesetzt worden wäre (inder Ausführungsstatik wurden Verti-kalstäbe zwischen dem Obergurt unddem Untergurt angeordnet). Der Grö-ßenordnung nach würde hier aber ein

Problempunkt weiter bestehen. Außer-dem ist die Beanspruchung der Längs-träger in dem kleinen Feld wenig aus-gewogen. Für die Ausbildung diesesFachwerkarms müsste daher aus reinstatischer Hinsicht eine geänderte Lö-sung gefunden werden (länger und all-mählicher auslaufend). Dies könnteallerdings gestalterischen Gesichts-punkten widersprechen.

Die Höhe des Fachwerks beträgt11 m (über OK Fahrbahnplatte). DieHöhe des Obergurts nimmt von oben60 cm auf unten 30 cm ab. Die Zug-kräfte im Obergurt des Fachwerkssind sehr groß. Die Gurte des Fach-werks weisen jeweils doppelte Bleche(t = 80 mm bei S 355) auf. Die Stegeerreichen eine Dicke von 80 mm(Bild 7). Mit einem höheren Fach-werk hätten die großen Zugkräfte imObergurt reduziert werden können.Allerdings dürften den gesamten Pro-portionen des Fachwerks nach dieAbmessungen des Obergurts in derAnsicht visuell richtig gewählt sein.Auch die Abnahme der Höhe desObergurts nach unten, die im langenFachwerkarm dem Verlauf der Zug-kräfte entspricht, führt zu einer visuellstimmigen Wirkung.

Im Zuge der Ausführungspla-nung wurde für die auf eine Zugkraftvon 85 MN zu bemessene Spitze desFachwerks ein S 460 gewählt, da da-durch eine vereinfachte Konstruktionund Fertigung mit einlagigen Blechender Dicke 80 mm möglich wurde. Indem geometrisch komplizierten Kno-tenpunkt von Obergurt und Pylonwird damit eine einfachere Nahtfüh-

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Bild 7. Obergurt des FachwerksFig. 7. Upper chord of the truss

Bild 8. Montage des Stahlüberbaus in der VorschubstationFig. 8. Erection of the steel superstructure in the launchingsite

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rung, eine bessere Nahtqualität undeine bessere Prüfungsmöglichkeit derNähte erreicht. Es kann davon ausge-gangen werden, dass der Einsatz vonhochfestem Stahl in der Regel immerdann günstig ist, wenn dadurch an-stelle von zweilagigen Blechen ein-lagige Bleche eingesetzt werden kön-nen. Voraussetzung ist, dass für dasjeweilige Bauteil, wie in dem hier vor-liegenden Fall, der Nachweis der Be-triebsfestigkeit nicht maßgebend ist.

Wie im Obergurt des Fachwerkszeigt sich auch bei dem Untergurt desFachwerks im Verlauf der Schnitt-kräfte eine große Unstetigkeit im Ein-bindungsbereich des kurzen Fach-werkarms, was nahe legt, dass hierzum einen ein geändertes statischesModell angebracht gewesen wärebzw. auch eine andere Ausbildung deskurzen Fachwerkarms günstiger gewe-sen wäre. Die Ausbildung einer obe-ren Zelle des Mittelträgers wurde auskonstruktiven Gründen gewählt. DieBegründung ist, dass die einzelnenDiagonalen bei dieser Ausbildungnicht die Platte und die Abdichtungdurchbrechen und die obere Zelle di-rekt die Anprallkräfte aufnehmenkann. Bei einer stärkeren Ausbildungdes Mittelträgerobergurts und derDiagonalen könnte auf die obereZelle verzichtet werden.

In der Ansicht ist der Obergurtmit Bogenstich von 1,4 m bzw. 1,0 mausgebildet. Die Ausbildung dieserRadien erfolgte aus gestalterischerSicht und in Erinnerung an die stei-fen Hängetragwerke aus dem Anfangdes 20. Jahrhunderts. In der Statik ha-ben die Radien ungünstige Vergröße-rungen der Schnittkräfte in bemerk-barer Größe zur Folge.

Der Pylon weist bei den gewähl-ten Abmessungen 1,2 m ¥ 1,0 m einla-gige Bleche von 80 mm Dicke auf. Ernimmt die wesentliche Beanspruchungdes Fachwerks aus der Grundriss-krümmung auf. Die visuell dominie-rende Breite des Pylons passt in dasGesamtbild.

Die ersten Diagonalen neben demPylon sind nur gering belastet. Vondaher könnte eine entsprechend an-dere Anordnung der Diagonalen vonVorteil sein. Die Diagonalen weisenstark unterschiedliche Schnittkräfteauf. Eine andere Stellung der Diagona-len könnte in Betracht gezogen wer-den, um die Kräfte gleichmäßiger auf-zuteilen. Die Abstufung der Bauhöhe

der Diagonalen zwischen 300 mm und500 mm folgt nicht den Schnittkräf-ten, sondern ist in Anpassung an dieabnehmende Höhe des Fachwerk-obergurts gewählt. Die Diagonalen inder Nähe der Einbindungsbereichedes Fachwerkobergurts sind stark be-ansprucht. Durch eine geänderte Ord-nung der Diagonalen oder auch eineVollwandlösung nahe dem Einbin-dungsbereich könnten Vorteile erzieltwerden.

Fazit: Zur Ausschöpfung desPotentials von Zügelgurt-Fachwerkenist eine mit der Statik und Konstruk-tion abgestimmte Festlegung aller Ab-messungen der Fachwerkteile und derFormen nach gestalterischen Gesichts-punkten erforderlich. Ziel sollte essein, die Abmessungen derart zu wäh-len, dass die Bauteile mit einlagigenBlechen dimensioniert werden kön-nen. Der Einsatz von höher festemStahl ist immer dann zweckmäßig,wenn dadurch mit weniger Blechlagenkonstruiert werden kann. Der Über-bau aus dem Zügelgurt-Fachwerk, derBetonfahrbahn und der unter derFahrbahn liegenden Stahlkonstruk-tion ist ein kompliziert zusammen-wirkendes Tragsystem, dessen stati-sche Modellierung und Detailbemes-sung mit den daraus folgenden kon-struktiven Konsequenzen bereits inder Entwurfsphase als wesentlichesThema zu sehen ist. Die Aufstellungder Ausführungsplanung vor der Aus-

schreibung sollte in Betracht gezogenwerden, da damit die gerade bei an-spruchsvollen Tragwerken angebrachteÜbereinstimmung von Entwurf undAusführung im Detail sichergestelltwerden kann. Diese Vorgehensweisebesitzt zum anderen auch Vorteile inBezug auf eine kurze Bauzeit. Dar-über hinaus kann eher eine Bemessungnach für den Auftraggeber wirtschaft-lichen Prinzipien realisiert werden.

4.1.2 Bauausführung

Es wurden Bauteile von bis zu 25 mLänge, 4 m Breite und einem Maxi-malgewicht von 62 t gefertigt und perLKW-Transport zum Einbauort ge-fahren. Die Montage des Überbaueserfolgte an beiden Muldenufern. Aufder Ostseite wurde der ca. 81 m langeTrägerrost mit Unterstützung auf demTrennpfeiler 40 und auf drei Hilfs-stützen in Endlage montiert. Dazuwurde im Flussbereich eine temporäreVorschüttung hergestellt. Die Montageerfolgte über Autokrane.

Der Überbauteil West mit einerLänge von 130 m wurde vor und hin-ter dem Widerlager auf Hilfsstützenbzw. Stapelträgern montiert. Die Stütz-punkte waren alle 10 m im Bereichder Querträgerachsen angeordnet. Par-allel zum Trägerrost wurde das Fach-werk montiert (Bilder 8 und 9).

Der Längsverschub des Über-baues West erfolgte über stationäre

Bild 9. Montage des Stahlüberbaus in der VorschubstationFig. 9. Erection of the steel superstructure in the launching site

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Verschubstationen auf den Hilfsstüt-zen und mit Plattformwagen. Der Ver-schublagerung erfolgte unter den bei-den Stegen der äußeren Hauptträger.In Längsrichtung wurden pro Steg jedrei Verschublager eingesetzt. Die Ver-schublager hatten eine Länge von2,1 m. Der Vortrieb wurde durch diePlattformwagen und in den späterenVerschubphasen mittels einer Zug-stahlstange bewirkt (Bild 10). DerObergurt des Fachwerks erhielt beimEinschieben eine Druckbeanspru-chung, die allerdings für die Dimen-sionierung nicht maßgebend wurde.

Komplikationen traten in Zu-sammenhang mit der Geometrieein-haltung auf. Zum einen wurde bei derMontage und dem Verschweißen derFachwerkdiagonalen festgestellt, dassgrößere Abweichungen zwischen denGurten ein ordnungsgemäßes Ver-schweißen nicht zuließen. Der Fehler,derzu einerVerzögerung von ca. einemMonat führte, war auf dem Gebiet derWerkstattplanung aufgetreten. Zumanderen wurde nach Abschluss desVerschubs festgestellt, dass die Spitzedes Kragarms im Mittel ca. 15 cm überder für diesen Bauzustand geplantenHöhe lag. Zur Erklärung dieser Ab-weichung wurden Nachrechnungendes Tragwerks mit der Steifigkeit dertatsächlich eingebauten Bauteile undmit verschieden variierten Modellie-rungen des statischen Systems sowieein Belastungsversuch durchgeführt.Dadurch konnte ausgeschlossen werde,dass der Fehler auf diesem Gebiet lag.Durch Schweißnahtschrumpfungen

der Fachwerknähte war die Größen-ordnung der Abweichungen ebenfallsnicht zu erklären. Schließlich gingendie Erklärungen dahin, dass die Im-perfektionen durch ungünstige Über-lagerung von Abweichungen der Fer-tigungsschüsse oder bei dem Ver-schlossern und dem Verschweißen desTrägerrosts und des teilweise gleich-zeitig montierten Fachwerks einge-baut wurden, diese aber in der Mon-tagelagerung nicht erkennbar waren,da sie infolge der Wirkung des Eigen-gewichts nicht zu sichtbaren Verfor-mungen führten. Die Verzögerungenaufgrund dieses Fehlers betrugen ca.zwei Monate. Durch eine Kombina-tion von Lageänderungen an den tem-porären Stützungen, geänderten Ein-stellungen der Lager, Belagsdicken-änderungen etc. konnte eine denAnsprüchen genügende Gradienteund Fahrbahn eingestellt werden. DieGeometrie des Fachwerks und des fer-tigen Bauwerks (Bild 11) ist den Ver-messungen und dem visuellen Ein-druck nach fehlerfrei.

Fazit: Das Zügelgurt-Fachwerkeignet sich in besonderem Maße für dasEinschieben über große Stützweiten.Bei einer komplizierten Geometriedes Tragwerks kann die Fertigungs-planung und -technik an Grenzenstoßen, wenn nur die standardmäßi-gen Vorgehensweisen eingesetzt wer-den. Für die Qualitätssicherung soll-ten zusätzliche Prozesse eingeführtwerden. Der Überprüfung der zulässi-gen Toleranzen der Fertigungsschüsseund der Überprüfung der montierten

Geometrie kommt besondere Bedeu-tung zu. In Betracht gezogen werdenkann auch eine Änderung der Lage-rung im Montagebett, um aus Abwei-chungen gegenüber dem planerischenVerformungsverhalten auf eingebautegeometrische Fehler schließen zu kön-nen.

4.2 Trägerrost

Untersucht wurden zum einen Träger-roste mit drei Längsträgern als dichteKleinkästen und Querträgern in en-gem Abstand und zum anderen Mit-telkästen mit Schrägstreben. Infolgeder kleinen möglichen Bauhöhe un-ter der Fahrbahn von 2,5 m hätte beider Schrägstrebenbauweise der Mittel-kasten eine Dreiteilung und eine großeBreite aufweisen müssen. Für dieseBauweise wurde trotzdem ein ver-gleichsweise geringes Flächengewichtfür den Stahl ermittelt. Diese Bau-weise hätte auch eine kleinere Längeder Pfeiler ermöglicht. Die Bauweiseals Trägerrost mit drei Längsträgernwurde gewählt, da die Bauweise derLängsträger als dichte KleinkästenVorteile in Bezug auf die Plattenbe-messung, in Bezug auf eine geringeStahloberfläche und Einfachheit derFertigung versprach [1].

Die gegenläufige Querneigung desObergurts des Mittelträgers und dieexzentrischen Anschlüsse der Quer-träger an den Mittelträger von ca.8 grad (aus visuellen Gründen ge-wählt, um die Ansicht der Brücke mitkleiner und einheitlicher Höhe zu ge-

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Bild 10. Vorschub des StahlüberbausFig. 10. Launching of the steel superstructure

Bild 11. Die fertiggestellte BrückeFig. 11. The completed bridge

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stalten) führt in der Bemessung nurzu geringfügigen Auswirkungen. In derFertigung ergeben sich ebenfalls keinewesentlichen Erschwernisse (Bild 5).

Der Südträger weist größereSchnittkräfte (im Mittel 20 %) auf alsder Nordträger. Dies weist daraufhin,dass die Anordnung der Längsträgerim Grundriss verbessert werdenkönnte. Die Bauhöhe und Breite derLängsträger ist passend gewählt fürdie Beanspruchung an der Achse 30.Hier ist die Blechdicke der Ober- undUntergurte 80 mm. In den übrigenBereichen sind die max. Blechdickenbei 50 mm und meist deutlich dar-unter. Dies weist daraufhin, dass eineandere Konstruktion der Längsträgergegebenenfalls günstiger sein könnte.Beim Verschub wurden allerdingsbeide Stege der äußeren Längsträgerbelastet und damit eine günstige Aus-nutzung erreicht.

Die Querträger sind als I-Trägerausgebildet. Sie sind mit Trapezpro-filen ausgesteift. Der über die Brückekonstante Abstand ist ca. 10 m. DieObergurte stehen in Verbund mit derPlatte, um die Plattendicke gering zuhalten und eine günstige Dimensio-nierung des Obergurts der Querträgerzu erreichen. Im Fachwerkbereich sinddie Querträger hoch beansprucht (mitGurtbreiten bis 1000 mm, Blechdickenbis 45 mm). Die Endquerträger undStützquerträger sind als Kästen aus-gebildet.

Fazit: Die Konstruktion des Trag-werks unter der Fahrbahn als Träger-rost mit den drei Längsträgern alsdichte Kleinkästen hat sich als zweck-mäßige Lösung erwiesen. Bei anderengeometrischen Verhältnissen kann einzentrischer breiter Kasten mit Schräg-streben eine günstige Lösung sein, ins-besondere wenn man infolgedessenkleinere Längen der Pfeiler realisierenkann.

4.3 Fahrbahnplatte4.3.1 Konstruktion

Um eine möglichst geringe Platten-dicke (= 32 cm) ausführen zu können,wurde die Fahrbahnplatte im Verbundmit den Querträgern konzipiert. Eswurde die abschnittsweise Herstellungder Platte in Ortbeton vorgesehen. ZurReduzierung der Zugspannungen inder Platte über der Achse 30 wurdeeine besondere Abfolge für die Her-stellung der Plattenabschnitte vorge-

sehen. Infolge der Wirkung des Fach-werks traten an der Achse 20 in derPlatte keine Zugspannungen aus Plat-teneigengewicht auf.

4.3.2 Bauausführung

Die Herstellung der Fahrbahnplatteerfolgte, wie in der Ausschreibungvorgesehen, abschnittsweise in Ort-beton mit konventionellen Schalge-rüsten, die keine Abhängungen durchdie Fahrbahnplatte aufweisen sollten.Aufgrund der mit den Längsträger-obergurten bündigen Querträgerober-gurte war ein einfaches Vorschiebender Schalung nicht möglich. Als Hilfs-mittel wurde eine in Längsrichtungverfahrbare und in der Höhe variableArbeitsbühne zwischen den Haupt-trägern konzipiert, die auch im Be-reich der Pfeiler zwischen den Lagernverfahren werden konnte.

Der Betonierfortschritt erfolgtemit Abschnittslängen von ca. 20 mvom Widerlager Achse 10 ausgehendbis kurz über die vorhandene Hilfs-stütze am Mittelstoß. Anschließendwurde die Schalung zum Trennpfeilerin Achse 40 umgesetzt. Von hier auserfolgte die Betonage des ersten Ab-schnitts (ca. 40 %) im Feld 40-30.Dann wurde die Hilfsstütze zur Er-zielung eines Eigengewichtsverbundesausgebaut und es wurden die beidenletzten Fahrbahnabschnitte so herge-stellt, dass sich diese über der Stüt-zenachse 30 trafen. Diese Vorgehens-weise wurde gewählt, um die Zug-spannungen in der Platte bei derAchse 30 gering zu halten.

Fazit: Der Verbund der Quer-träger mit der Fahrbahnplatte führtezum einen zu einer relativ geringenPlattendicke, zum anderen aber in-folge der vorgegebenen Ortbetonbau-weise für die Platte zu kompliziertenSchalgerüsten und langwierigemBauen der Plattenabschnitte. Bei derhier vorliegenden Konstruktion desTrägerrostes, aber auch in anderenFällen des Verbundbaus, kann eineBauweise der Fahrbahnplatte mit ver-lorener Schalung, mit Halbfertigtei-len oder auch mit Vollfertigteilen diebessere Lösung sein. In dem hier be-trachteten Fall hätte mit einer Voll-fertigteilbauweise eine sehr gute Qua-lität der Betonfahrbahnplatte und einewesentliche Verkürzung der Bauzeiterreicht werden können. Das hier aus-geführte, nicht kontinuierliche Beto-

nieren der Plattenabschnitte soll dieZugspannungen in der Fahrbahnplatteaus Platteneigengewicht reduzieren.Bei sehr großen Stützweiten, bei de-nen die Plattenbeanspruchung an ihrezulässigen Grenzen stößt, kann dieseine zweckmäßige Verfahrensweisesein. In anderen Fällen kann aller-dings hinterfragt werden, ob der zu-sätzliche Aufwand beim Bauen durchmehr als nur vermutete Qualitätsstei-gerungen gerechtfertigt wird. Im Üb-rigen sollte die Zweckmäßigkeit derOrtbetonbauweise für die Platte über-haupt auf den Prüfstand gestellt wer-den.

5 Schlussbemerkung

Die Konstruktion der MuldebrückeWurzen ist eine Antwort auf die vor-handene anspruchsvolle Aufgaben-stellung, die Überquerung eines land-schaftlich reizvollen Flusstals zwischenzwei Städten, wobei komplizierteRandbedingungen aus der Trassie-rung und aus dem Hochwasserschutzzu beachten waren. Aus der Aufgaben-stellung heraus wurde ein neuartigesSystem von besonderem visuellen Reizentwickelt: das Zügelgurt-Fachwerk alsein im Grundriss gekrümmter Mittel-träger.

Zügelgurt-Fachwerke besitzen einbesonderes gestalterisches Potential.Sie sind dazu geeignet, eigene Schwer-punkte zu bilden oder auch Gegen-gewichte zu örtlich vorhandenen Be-dingungen zu geben. Mit dem Fach-werk kann eine Wirkung als Kenn-zeichen für eine ganze Region aberauch eine Integration in topographi-sche oder städtebauliche Verhältnisseangezielt werden. Die Ausbildung alsMittelträger ist einer Ausbildung mitzwei Tragebenen gestalterisch deut-lich überlegen (Bild 12). Das Zügel-gurt-Fachwerk der Brücke Wurzenweist das besondere Charakteristikumauf, dass die Brückenachse und dasFachwerk dem Schwung der starkgekrümmten Trassierung folgen. DieBrücke erhält damit eine eigene, deut-lich wahrnehmbare Dynamik.

Zügelgurt-Fachwerke in Stahl-bauweise waren im 19. Jahrhundertund noch am Anfang des 20. Jahr-hunderts ein gebräuchliches Tragsys-tem, das aber dann aufgrund der auf-wendigen Fertigungs- und Montage-prozesse nicht mehr zum Einsatz kam.Es kann hinterfragt werden, ob diese

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seinerzeitige Entwicklung in Anbe-tracht der modernen Techniken heutenoch Gültigkeit hat. Die Weiterent-wicklung der historischen Vorbilderund die technischen Innovationen,die bei der Muldebrücke Wurzen ver-folgt wurden, der Einsatz des Zügel-gurt-Fachwerks als Mittelträger unddie der Trassierung folgende Krüm-mung des Mittelträgers konnten nurin Anwendung der heutigen Metho-

den der statischen Analysis und dermodernen Fertigungstechniken reali-siert werden. Heute kann sich dasZügelgurt-Fachwerk wieder als tech-nisch effizientes Tragwerk erweisen.

Am Bau Beteiligte (Flussbrückenteilder Muldebrücke):Bauherr:Bundesrepublik Deutschland, vertre-ten durch Freistaat Sachsen und

DEGES Deutsche Einheit Fernstra-ßenplanungs- und -bau GesellschaftmbHEntwurfsplanung:Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft,BerlinGestalterische Hinweise:Arand Architekten BerlinBauunternehmen: ArbeitsgemeinschaftPorr Technobau und Umwelt GmbHZNL BerlinKrupp Stahlbau Hannover GmbH(jetzt: Eiffel Deutschland Stahltech-nologie GmbH)Ausführungsplanung:Weyer Beratende Ingenieure im Bau-wesen, DortmundPrüfingenieur:Prof. Dr.-Ing. W. Graße, GMG Inge-nieurgesellschaft mbH, Dresden

Literatur

[1] Reintjes, K.-H., Gebert, G.: Das Zü-gelgurt-Fachwerk der MuldebrückeWurzen. Stahlbau 75 (2006), H. 8,S. 613–623.

[2] Rings, R., Kaßelmann, M., Stötzel, H.:Neubau der Muldebrücke Wurzen. Bau-ingenieur 82 (2007), H. 1, S. 33–38.

[3] Brücken und Tunnel der Bundesfern-strassen 2008. Bundesministerium fürVerkehr, Bau und Stadtentwicklung.Deutscher Bundesverlag.

Autor dieses Beitrages:Dipl.-Ing. Karl-Heinz Reintjes, DEGES,Zimmerstraße 54, 10117 Berlin

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Bild 12. Die Brücke mit Beleuchtung bei NachtFig. 12. The bridge by night with illumination

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