das wissenschaftliche werk victor dieterichs

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Das wissenschaRliche Werk Victor Dieterichs Gedenkworte yon Professor JuLius SPEER Es ist mir die Aufgabe zugedacht worden, das wissenschafiliche Werk VICTOR DIE- T~RmHS in dieser Gedenkstunde zu wtirdigen. Als Nachfolger VICTORDIETERICHSauf dem Lehrstuhl ftir Forstliche Wirtschai~slehre der Universit~it Mtinchen hatte ich beson- deren Anlaf~, seine wissenschafilichen Ans~.tze und Thesen zu studieren, da seine Ge- danken und Erkennmisse der forstlichen Wirtschai~slehre in unserem Lande ein neues Fundament gegeben haben. Selbstverst~ndlich kann es sich in dieser Stunde nur darum handeln, den Rahmen des DIEweRmHschen Werkes aufzuzeigen und zu verdeutlichen, wie er sein Fachgebiet als Forscher zu einem Geb~iude des Seinsollens ausgebaut hat. Man hat DIETERmHgelegentlich als den wahrscheinlich letzten forstlichen Universa- listen unserer Zeit bezeichnet. Wtirde man fragen, ob VICTORDIETERICHmehr Natur- wissenschaf~ler oder Geisteswissenschal~ war - ich zweifle allerdings, ob bei der ver- [inderten wissenschaRlichen Landschaflc eine solche Gegentiberstellung tiberhaupt noch ang~ingig ist -, so wtirde ich antworten, daf~ seine Neigung zur empirischen Analyse ihn zum Naturwissenschafiler bef~ihigt h~itte, daf~ er abet sehr viel st~irker vom philo- sophischen Streben gepr~igt war, die Zusammenh~.nge und die giiltigen Werte seines Gegenstandsbereiches zu erkennen und in einem System zusammenzufassen. Wie dem auch sei: Sein bohrendes Denken, seine Ungeduld, den Dingen auf den Grund zu kommen, haben ihn, den Rastlosen, getrieben, iede Frage, die sich ihm in den Weg stellte, aufzugreifen. Es gibt in der Tat kaum ein Gebiet des Forstwesens, zu dem er sich nicht kritisch und mit mal~gebenden Gedanken ge~iuf~ert h~itte. Dabei waren die naturwissenschaiZtlichen Grundlagen der Waldwirtschafl: ebenso Gegenstand seiner Sachkenntnis und seines Interesses wie die Probleme der Wirtschafldichkeit und der auf die Gesellscha~ bezogenen politischen und sozialen Zusammenh~nge. Man kann nur staunen tiber die Vielseitigkeit der yon DIETERICH aufgegriffenen Fragen, fiber die scharfe Beobachtung und die umsichtige Analyse, die seine Ausftihrungen zu einer Fundgrube des Wissens und der Anregung machen. Vide seiner Darlegungen haben zeitlose Gtiltigkeit. Seine Mitteilungen tiber die missigen Best~inde des Schwarzwaldes aus dem Jahre 1924 zum Beispiel sind geradezu ein Kompendium der bei einer Stand- ortanalyse interdisziplin~ir anzustetlenden Erw~igungen. Seine Stellungnahme zum waldbaulichen Problem des Fichtenreihenbestandes aus dem Jahre 1926 ist mit das Beste, was jemals tiber diese immer neu sich stellende Streitfrage gesagt wurde. Seine zahlreichen Arbeiten tiber das und aus dem forstlichen Versuchswesen haben nicht nur die im Schematismus statischen Denkens erstarrte Ertragstafelforschung zu einer um- weltbezogenen Lebenswissenscha~ gemacht, sie haben auch gelehrt, den Mischbestand und die standortgem~ii~e Abwechslung yon Best~inden als das der Natur weithin ad~i- quate eigengesetzliche Prinzip zu verstehen und zu beurteilen. Seine Erhebungen tiber die Wechselbeziehungen yon Industrie und Forstwirtschai~ in Oberschlesien aus dem Anfang der vierziger Jahre sind ein Musterbeispiel moderner Raumplanung aus forst- wirtscha~licher Sicht. Er hat si& darin - methodisch eigene Wege gehend - nicht nur mit den Zusammenh~ingen zwischen Landschaflc und Waldpflege, sondern ebenso mit den sozialen Problemen der Arbeit und der Schaffung yon Siedlungsgelegenheiten im Industriebereich befaf~t. Forstw. Cbl. 91 (1972), 120-124 Q 1972 Vertag Paul Parey, Hamburg und Berlin

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Das wissenschaRliche Werk Victor Dieterichs

Gedenkworte yon Professor JuLius SPEER

Es ist mir die Aufgabe zugedacht worden, das wissenschafiliche Werk VICTOR DIE- T~RmHS in dieser Gedenkstunde zu wtirdigen. Als Nachfolger VICTOR DIETERICHS auf dem Lehrstuhl ftir Forstliche Wirtschai~slehre der Universit~it Mtinchen hatte ich beson- deren Anlaf~, seine wissenschafilichen Ans~.tze und Thesen zu studieren, da seine Ge- danken und Erkennmisse der forstlichen Wirtschai~slehre in unserem Lande ein neues Fundament gegeben haben. Selbstverst~ndlich kann es sich in dieser Stunde nur darum handeln, den Rahmen des DIEweRmHschen Werkes aufzuzeigen und zu verdeutlichen, wie er sein Fachgebiet als Forscher zu einem Geb~iude des Seinsollens ausgebaut hat.

Man hat DIETERmH gelegentlich als den wahrscheinlich letzten forstlichen Universa- listen unserer Zeit bezeichnet. Wtirde man fragen, ob VICTOR DIETERICH mehr Natur- wissenschaf~ler oder Geisteswissenschal~ war - ich zweifle allerdings, ob bei der ver- [inderten wissenschaRlichen Landschaflc eine solche Gegentiberstellung tiberhaupt noch ang~ingig ist -, so wtirde ich antworten, daf~ seine Neigung zur empirischen Analyse ihn zum Naturwissenschafiler bef~ihigt h~itte, daf~ er abet sehr viel st~irker vom philo- sophischen Streben gepr~igt war, die Zusammenh~.nge und die giiltigen Werte seines Gegenstandsbereiches zu erkennen und in einem System zusammenzufassen. Wie dem auch sei: Sein bohrendes Denken, seine Ungeduld, den Dingen auf den Grund zu kommen, haben ihn, den Rastlosen, getrieben, iede Frage, die sich ihm in den Weg stellte, aufzugreifen. Es gibt in der Tat kaum ein Gebiet des Forstwesens, zu dem er sich nicht kritisch und mit mal~gebenden Gedanken ge~iuf~ert h~itte. Dabei waren die naturwissenschaiZtlichen Grundlagen der Waldwirtschafl: ebenso Gegenstand seiner Sachkenntnis und seines Interesses wie die Probleme der Wirtschafldichkeit und der auf die Gesellscha~ bezogenen politischen und sozialen Zusammenh~nge. Man kann nur staunen tiber die Vielseitigkeit der yon DIETERICH aufgegriffenen Fragen, fiber die scharfe Beobachtung und die umsichtige Analyse, die seine Ausftihrungen zu einer Fundgrube des Wissens und der Anregung machen. Vide seiner Darlegungen haben zeitlose Gtiltigkeit. Seine Mitteilungen tiber die missigen Best~inde des Schwarzwaldes aus dem Jahre 1924 zum Beispiel sind geradezu ein Kompendium der bei einer Stand- ortanalyse interdisziplin~ir anzustetlenden Erw~igungen. Seine Stellungnahme zum waldbaulichen Problem des Fichtenreihenbestandes aus dem Jahre 1926 ist mit das Beste, was jemals tiber diese immer neu sich stellende Streitfrage gesagt wurde. Seine zahlreichen Arbeiten tiber das und aus dem forstlichen Versuchswesen haben nicht nur die im Schematismus statischen Denkens erstarrte Ertragstafelforschung zu einer um- weltbezogenen Lebenswissenscha~ gemacht, sie haben auch gelehrt, den Mischbestand und die standortgem~ii~e Abwechslung yon Best~inden als das der Natur weithin ad~i- quate eigengesetzliche Prinzip zu verstehen und zu beurteilen. Seine Erhebungen tiber die Wechselbeziehungen yon Industrie und Forstwirtschai~ in Oberschlesien aus dem Anfang der vierziger Jahre sind ein Musterbeispiel moderner Raumplanung aus forst- wirtscha~licher Sicht. Er hat si& darin - methodisch eigene Wege gehend - nicht nur mit den Zusammenh~ingen zwischen Landschaflc und Waldpflege, sondern ebenso mit den sozialen Problemen der Arbeit und der Schaffung yon Siedlungsgelegenheiten im Industriebereich befaf~t.

Forstw. Cbl. 91 (1972), 120-124 Q 1972 Vertag Paul Parey, Hamburg und Berlin

]. Speer: Das wissenschafllic/~e V/erk Victor Dieterichs 121

Die Holzhandels- und Holzverkehrspolitik seines Vorg~ingers ENDP, ES, die dieser als Tell der Forstpolitik abhandelte, hat er weiterentwi&elt, indem ei" ein eigenst~ndi- ges Fach, die Holzmarktkunde, schuf. Auch hier ist seine Methode unverkennbar, n~im- lich die Ftille der stand6rtlichen Gegebenheiten zur Grundlage aller weiteren Uber- legungen zu machen. So sah er in der yon ihm entwi&elten Zustandsstatistik, die das Land unter Berti&sichtigung der zeitlichen Schwankungen und der regionalen Gegen- s~tze in Wirtschaflcsr~.ume einteilte, die einzig sachgem~ge M(Sglichkeit, das Holz- angebot zu beurteilen. ~_hnlich verfuhr er beim ausl~ndis&en Angebot, dessen ,,Wucht" er aus der Gesamtholzausfuhr des einzelnen Landes abzuleiten suchte. Bei der Nach- frageseite waren seine Gliederungsmat~sfiibe der Standort, die Gewerbegruppen, deren soziale Gliederung, die Gr~51~enverh~.Itnisse, Mengen und Sorten. Dazu kamen Speziai- untersuchungen, zum Beispiel tiber den Bedarf yon Grot~st~.dten. Ebenso hat er die Verkehrsnachweise holzsortenweise nach Verkehrsentfernungen und -ri&tungen und -wegen auszuwerten versucht, um die Binnengebiete marktgerecht abzugrenzen.

Seine Herausgeberschaflt der Wochenschri~ ,,Silva" yon 1913 his 1937 hat diese Zeitschrift ftir viele Jahre zum vielseitigsten und am besten tiber Wissenschaflc und Praxis orientierten Publikationsorgan der deuts&en Forstwirts&a~ gemacht.

Doch es soil genug sein mit diesen Beispielen der vielseitigen Fragestellungen, denen DrETEr~mH sich wissenscha~lich zugewandt hat. Seine bedeutendste Leistung war ohne Frage die wissenscha~liche Begrtindung der Forstpolitik als Funktionenlehre (erschienen 1953). Sein Credo war - ich zitiere -, ,,daf~ der Wald im Zuge der Kulturentwicklung und Zivilisation seiner einst patriarchalischen Wirtschai%ziele, der Befriedigung nut unmittelbaren Selbstbedarfs einzelner Besitzer und Nutzniel~er oder als Jagd- und Weidegel~inde mehr und mehr entkleidet werden muff, well allgemeine Volksbedtirf- nisse sowohl der Rohstoffversorgung wie insbesondere der Sicherung jener anderen Kulturbelange durch gute Waldbesfiinde neben 6rtlichen und eigenwirtscha~Iichen An- sprtichen den Ausschlag geben". LEm< und ENI)RES waren in ihrer in kompendien- artigen Werken zusammengefaf~ten Forstpolitik mehr oder weniger positivistisch yon der historischen Entwi&lung vor allem der Rechtsgrundlagen der Forstwirtschaf~ aus- gegangen. Im Geiste des ausgehenden 19. Jahrhunderts war ftir sie der aufgekl~.rte Obrigkeitsstaat der Rahmen, in den sie die Forstwirts&aflc und die Waldbesitzer im bunten Nebeneinander ihrer Erscheinungsformen unter manchen mit den Auflagen ihrer Werke zunehmenden liberalen Zugest~ndnissen einordneten.

Ganz anders DIETEI',ICH. Mit unermtidlichem Eifer suchte er das Forstwesen als ein komplexes Beziehungsgeftige zu erfassen. Das Naturgebilde Wald und das Sozial- geftige Volk werden auf die sie verbindenden Elemente untersucht und die vielfiiltigen Verflechtungen in ihrem immer neuen Spannungsverh~iltnis aufgezeigt. Daraus leitet er seine Funktionenlehre ab. Sie beruht auf einer ins einzelne gehenden Zustands- diagnose. Aus ihr wird eine Seinsollens-Theorie abgeleitet. Sie gipfelt in dem Satz: ,,Forstpolitik ist Waldpflege". Um di~sen schlagwortartigen Imperativ zu verdeut- lichen, seien einige Leitgedanken herausgehoben:

Der Wald tibt mannigfaltige Nutzwirkungen nicht nut dem Waldbesitzer gegen- tiber, sondern auch zugunsten der Allgemeinheit und im besonderen seiner Umwohner aus. Sie sind zum Tell schwer erfat~bar und tiberstofflicher Art. Gegenleistungen aller seiner Nutznief~er mtissen dem Wald Na&haltigkeit sichern. Die Funktionen des Waldes sind deshalb nicht nut nach marktwirtschafldichen Gesichtspunkten, sondern auch im Gesichtskreis h~Sherer, d.h. ethischer, hygienischer, geistiger und seelischer Werte zu betrachten. Aufgabe der Forstpolitik ist es, den Einklang zwischen den ver- schiedenen Funktionen zu gew~.hrleisten.

An der Spitze steht die Fl~ichenfunktion und Raumgeltung der W~lder. Die Fl~.chen- funktion des Waldes ist nicht nut in seiner Landreserveeigenschafl: begrtindet, sie tritt iiberragend in den sogenannten Wohlfahrtswirkungen zutage. Diese umfassen die

122 Gedenkstunde der Universitiit Miinchen ]iir Professor Victor Dieterich

Schutzwehr, die der Wald als eigenartige Vegetationsform dem menschlichen Wohl- befinden und der umgebenden Landschafi, ja welt dar~iber hinaus der gesamten Landes- kultur zu bieten vermag. An zweiter Stelle steht die Rohstoff-Funktion, die die Ver- fie&tung der Forstwirtschafi mit der Volkswirtschai~ und mit der Weltwirtschafi be- dingt. Es folgt die Arbeitsfunktion, die den Wald als ein Bet~tigungsfeld f~ir Wald- besitzer, Waldarbeiter, Gewerbetreibende usw. begreiit. Die Einkommensfunktion be- zieht sich auf die vom Wald gew~ihrten Arbeits- und Besitzeinkommen und seine Rolle als Einkommensreserve. Als letzte Funktion wird die Verm~Sgensfunktion betrachtet, die den Wald als einen unantastbaren Grundstock von Sachgiitern zu verstehen h~itte.

Die Methode, die DirvrRmH bei seiner Forschung angewandt hat, wurde schon 1911 in seiner mit summa cure laude beurteilten Tiibinger Dissertation tiber die Ele- mente der Wertsmehrung in der Waldwirtschafi in den Grundziigen sichtbar. Die forst- liche Welt stand damats in heftiger titerarischer Fehde um den Antrag des Grafen TOEF, RING an das bayerische Parlament, um die Erneuerung des Forstreservefonds- gesetzes in W/.irttemberg, um die Modernisierung der badischen Dom~inen- und Ge- meinde-Waldwirtscha~. In allen diesbez~iglichen Er6rterungen ging es im Kern um die These, daf~ sich im 19. Jahrhundert eine Wertsmehrung in der Waldwirtschat~ abge- spielt habe. Man k~Snne also die stehenden Holzvorr~te herabsetzen und eine h/Shere Nutzung erheben. Voraussetzung fiir eine wissenschai~lich einwandfreie Beurteilung dieser Frage war die L~Ssung des infolge der extremen Langfristigkeit der forstlichen Produktion h~Schst spekulativen Problems der Trennung von Kapital und Rente im Forstbetrieb. Die herrschende Meinung, wie man dieser Forderung gerecht werden kiSnne, basierte auf den im 19. Jahrhundert entwickelten Normalwaldvorstellungen. Ihre dogmatische Verabsolutierung liefere, so argumentierte man, zugleich den Mat~- stab fiir eine Wertkalkulation wie auch fiir eine verbindliche Zielsetzung. I)IETE~mH nahm sich in instinktivem Forscherspiirsinn dieser Frage durch Untersuchung der Ele- mente der Wertsmehrung ats einem Problem der Verbesserung oder Verschlechterung der nachhaltigen Ertragsf~ihigkeit des Waldes an. Um den vollen Einblick in das feine R~iderwerk der Kausalbeziehungen zu gewinnen, w~ihlte er im Gegensatz zum Normal- waldschematismus den induktiven Weg der empirischen Sammlung aller erreichbaren, m~Sglichst stand~Srtlich abgegrenzten Informationen und der Analyse der Wechsel- wirkungen faktischer Gegebenheiten. Dies f/.ihrte ihn dazu, einen Ausbau der wirt- schattlichen Buchfiihrung, eine Weiterbildung der Statistik und eine Erg~inzung der Waldinventarisierung mit Bezug auf die Wertigkeit des Holzvorrates zu fordern und entsprechende Vorschl;,ige zu machen. Dabei kam es ihm besonders darauf an, die im einzelnen Betriebsverband differenziert wirkenden vielartigen Elemente der Werts- mehrung zuverl~issig zu erfassen. Damit war der Grund gelegt zu seiner dreib~indigen Betriebswirtschafislehre. Der erste Band, der 1939 in dritter Auflage erscheinen konnte, war nichts anderes als eine detaillierte Darstellung der forstlichen Betriebszusammen- h~inge und ihrer Wirtscha~sergebn~sse. Im zweken Band hat Dt~TERtCH die Rechen- technik der Wertsermitdung bzw. der von ihm begrifflich bevorzugten Wertsch~.tzung behandelt und dabei auch eigene Vorschl~ge unterbreitet, die zum Tell in der Praxis bis heute Anwendung finden. Der dritte Band, in zweiter Auflage erschienen 1948, befaf~t sich mit der Erfolgsrechnung und Zielsetzung. Hier f~illt auf, dat~ DIE~rERmH es abgelehnt hat, die Verfahren der allgemeinen Betriebswirtscha~slehre auf die Forst- wirtschafi zu tibertragen. Mit Riicksicht auf die grol~en Unsicherheiten der Geldbewer- tung verzichtet er auf eine Waldverm/Sgensgeldbilanz und begniigt sich mit einer er- weiterten Massenrechnung der Forsteinrichtung.

Ebenso lehnt er die Anwendung quantitativer mathematischer Methoden etwa der Entscheidungstheorie fiir den Forstbetrieb ab. Die uns heute schwerverst~,indliche syste- matische Negierung mathematischer Berechnungen als Entscheidungshilfen d urch DI~- WR1CH hat eine sachlich begriindete Wurzel. Das sind spezifisch forstliche Gegeben-

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heiten, die man auch als die forstlichen Randbedingungen bezeichnen kann: zum Bei- spiel die lange Umtriebszeit; die Schwierigkeit der Trennung yon stehender Holzmasse als Produktionsmittel und deren Zuwachs als Produkt; die Problematik pr~iziser Er- fassung der nachhaltigen Ertragsf~ihigkeit eines Standortes und ihrer Ver~inderungen; nicht zuletzt die in der Regel nut mit Hilfe spekulativer Annahmen und Sch~itzungen oder schematischer Normen zu realisierende Geldwerteberechenbarkeit der einschl~igi- gen Parameter. Die andere Wurzel ist in der allgemeinen damaligen Unerfahrenheit mit solchen Kalkulationsmethoden zu suchen. Sie ist insoweit nur eine Generationenfrage.

DIET~RICH beschr~/nkt sich auf eine gelehrte Auseinandersetzung mit den verschie- denen Zielsetzungen und Lehrmeinungen, die sich aus der bodenreinertr~iglerischen Statik, den waldbaulichen Betriebssystemen, den Holzmarktbedingungen, der Betriebs- rationalisierung usw. ableiten. Er riiumt der gutachtlichen Beurteilung einen weiten Spielraum ein.

Diese Konzeption entsprang der Absicht, die umstandsbezogene Flexibilit~t der Zielsetzung in jedem Einzelfalle zu legitimieren. Sie begiinstigte andererseits latent die Gefahr, daft der subjektiven Spekulation und der freiz~igigen Relativierung das Feld iiberlassen werden kiSnnte. Die Alternative ausschlief~lich waldbezogener gutacht- licher Mef~- und Vergleichsmethodik unter Verzicht auf Rechenhaitigkeit oder aber der Heranziehung der sich rasch entwickelnden modernen Methoden zu quantitativer Er- fassung komplizierter Vorg~inge hat DIETERlCH nicht gelten lassen. Die darin liegende Ambivalenz hat fiir ihn nicht bestanden, weil er im tetzten Grund auch in seiner Betriebswirtschaf~slehre jede Entscheidung dem forstpolitischen Oberziet der Wald- pflege untergeordnet wissen wollte, und dabei spielten die kalkulatorischen Fakten nur eine sehr sekundiire Rolle. Insofern ist seine Betriebswirtschai%lehre nicht nut eine Grundlegung dieses Faches, sondern recht eigentlich eine Interpretation seiner forst- poltischen Funktionentheorie in Beziehung auf den forstlichen Einzelbetrieb oder - umgekehrt ausgedriickt - eine den Einzelbetrieb auf forstpolitische Oberziele hin- lenkende Seinsollens-Lehre.

Man kann DIETERICHS wissenschafflichem Werk sicher nicht gerecht werden, wenn man nicht den grol~en sittlichen Ernst zu wiirdigen versucht, der der tragende Grund seiner unerm~idlichen Forscherarbeit war. Gewit~ war er ein scharfer Beobachter, immer bemiiht, die empirische Analyse alter Faktoren eines komplexen Zusammenhanges an den Anfang zu stellen und daraus seine Schl[isse zu ziehen. Aber dieser Bereich des rationalen Urteilens hat ihm nicht geniigt. In ihm war das intuitive Urwissen oder Gewissen iebendig, das ihn den Wald als ein eigenartiges Wesen achten lief~, dessen Zwecksetzung sich aus seinen mannigfaltigen Beziehungen zur Menschheit herleitet und aus dieser Sicht zu respektieren ist. So k/Snnte man viele seiner theoretischen Thesen auch als eine Ethik des Forstwesens zusammenfassen.

Die in dieser Denkweise begriindete Hattung DIETrRICHS machte ihn zu einem K~impfer fiir die Freiheit des Geistes in seinem Berufsbereich. Er war jederzeit ein tapferer Streiter um der Sache willen. So war er der unerschrockene Rufer nach Unab- h~ingigkeit in dem Streit um die zwingende Einfiihrung yon Betriebssystemen, insbe- sondere des Blendersaumschlages in Wiirttemberg in der Mitte der zwanziger Jahre. Er wandte sich mit Schiirfe und Leidenschaf~ dagegen, daft - wie er selbst sagte - ,,geist- reiche Vertreter der Wissenschaff auf Grund ~Srtlicher Beobachtungen oder mit Hilfe theoretischer (deduktiver) Schluf~folgerungen darangegangen sind, Systeme als Normal- verfahren f~r die Praxis vorzuschlagen". Es war eine in beiden PersSnlichkeiten zu suchende Tragik, daft der vielseitige Empiriker DirxrRicH mit seinem Landsmann, dem ganz der Abstraktion zugewandten Systematiker CHRISXOPH WACNrR, in unver- s~Shnlichen Widerstreit geriet und daft keine Briicke zwischen diesen beiden hervor- ragenden Forstm~innern und Gelehrten zu einer Synthese ihrer sich im Ansatz er- g~inzenden Ideen fiihrte.

124 Gedenkstunde der Universit~it M~nchen fiir Professor Victor Dieterich

Zu der Haltung D:ETERICHS gehSrte es auch, daf~ er sich als Wissenscha~ler streng neutral gegen:iber Auftraggebern yon Fachgutachten, Verb~nden u-sw. verhielt. So war er nicht bereit, bei Organisationen in der Tagesauseinandersetzung mitzuwirken. Er hatte die Vorstellung, dab ein Eintreten in die Arena politischer Auseinandersetzung sein unbefangenes wissenscha~liches Urteil triiben m/.isse, da er immer mit W(inschen yon Interessenten konfrontiert wiirde und gezwungen w:ire, Kompromisse zu akzep- tieren, die ihn hinderten, seine wissenscha~liche Erkenntnis kompromi!31os zu vertreten, und er halite jeden KompromifL D:I~TER:CH war der unerbittliche Verfechter einer Gesamtordnung des Forstwesens, deren ordnungspolitische Konsequenzen allein aus dem Dienst des Waldes fiir das gesamte Volkswohl in seiner vielf~.ltigen Differenzie- rung abgeleitet werden sollten. Er wollte keine sozialistische Forstwirtscha~, wohl aber eine dutch die soziale Verpflichtung und die gemeinwirtschai~liche Ni:tzlichkeit ge- b~indigte und gel~.uterte, im/.ibrigen freiheitliche Gesamtordnung. Ihre Leistungsf:ihig- keit sollte durch ein der singul:iren Eigenart des Forstwesens angepaf~tes Lenkungs- system des Staates gesichert werden. So hat er in seinem letzten Aufsatz vom April vorigen Jahres davon gesprochen, dai~ dem Wald als einem wichtigen St~ick der Urn- welt ein zunehmendes Gewicht beizumessen sei. Mit Bezug hierauf fordert er deshalb ohne R~icksicht auf die Finanzlage h~Sheren Aufwand fiir Waldbodenpflege und wesent- liche Umstetlungen der Bestockungsziele. Er w i ~ Finanzministern und fCihrenden Forstwirten vor, die aus heutiger Sicht bedeutsamere Funktion des Waldes f/.ir Gesund- erhaltung der Landschai~ und Wohlbefinden der Menschen preiszugeben. Auch scheut er sich nicht, angesichts der Verlagerung des Schwergewichtes der Waldfunktionen und der damit verbundenen Abwertung des unmittelbaren finanziellen Gewinns durch- greifende Besitzreformen des Waldbesitzes zugunsten der /3ffentlichen Hand vorzu- schlagen. Zumindest will er ihn einer weitergehenden Einfluf~nahme der Allgemeinheit zum Beispiel dutch gesetzliche Festlegung kurz- und langfristiger Zielsetzungen unter- stellen. Auch machte er Vorschliige, welche Gegenleistungen dem Waldbesitzer fCir die Dienste zum Wohle der Allgemeinheit etwa durch steuerrechtliche Schonbestimmungen zu gew:ihren seien.

Wenn es zutrit~, dai~ eine Wissenschaflc dutch die Einheit ihrer Idee gekennzeichnet ist, so ist das in dem Werk D:::ER:CHS voll verwirklicht. Darin werden in scharf profilierter Form die Grundgesetze sichtbar, die die Forstpolitik an allen Orten und zu allen Zeiten bestimmen m:issen. Es mut~ als befreiend empfunden werden, dat~ in DIETERICHS Werk in unserem Zeitalter der Bi~rokratie, des Interessententums, des Spezialistentums und des drohenden Verfalls unserer Lebensgemeinschat~en das zen- trale Objekt selbst hervortritt und die synoptische Betrachtungsweise die einzelnen Teile zu einem in sieh geschlossenen Ganzen zusammenf~igt. D:ETER:CH hat in seinem langen, schwerste Zeiten unseres Landes umspannenden Leben als treuer Sohn seines Volkes ein Beispiel tapferer und nobler Gesinnung gegeben. Er hat als Forscher der Forstwissenscha~sgeschichte ein unverkennbares neues Kapitel hinzugef:.igt. Er war eine k~,impferische Natur, manchmal fast ein Rebell. Aber nicht einer yon der lauten Art, sondern einer, der in verhaltener Leidenschat~ seine sachlichen Positionen bezog und verteidigte. Im Bezirk der Wissenschait war ihm die Grundhaltung der freien Wahr- heit unabdingbar. Er war komnpromit~los in dem Sinne, daf~ er immer die saubere ~3bereinstimmung von Lehre und Gewissen wahrte. Er lebte under wirkte als unbeirr- barer Sachwalter des yon ihm erw~hlten Berufes.