casimir_vdi-reifenfahrwerkfahrbahn-2005.pdf
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Numerische Simulation von Sitz-Schwingungen in Oberklasse-Pkw: Einsatz des Finite-Elemente-Mensch-Modells CASIMIR Numerical Simulation of Seat Vibrations in Luxury-Class Automobiles: Application of the Finite-Element-Man-Model CASIMIR Dr.-Ing. Steffen Pankoke, M.Sc. Dipl.-Ing. Alexander Siefert, WÖLFEL Beratende Ingenieure GmbH u. Co. KG, Höchberg Dr.-Ing. Thorsten Breitfeld, DaimlerChrysler AG, Sindelfingen Zusammenfassung Die effektive Berücksichtigung des Sitz-Schwingungskomforts bereits in der digitalen Phase der Fahrzeugentwicklung erfordert den Einsatz eines mit dem Menschen belegten Sitzmodells in der NVH-Simulation. Dieses besteht einerseits aus einem durch Formpolster und Anbauteile ergänzten FE-Modell der Sitzstruktur sowie andererseits aus dem FE-Mensch-Modell CASIMIR und ermöglicht die frühzeitige Berechnung von Sitz-Übertragungsfunktionen und Schwingpegeln. Dies stellt die Grundlage für die digitale Erprobung und Optimierung von Pkw-Sitzen dar.
Summary For an effective consideration of dynamic seating comfort in the digital phase of vehicle development, a dynamic NVH-model of the man-occupied passenger seat is needed. Such a model consists of a finite-element model of the seat structure, expanded by models of the foam cushions and attached components, as well as of the dynamic FE-man-model CASIMIR. An early-stage simulation of seat-transfer-functions and vibration levels is made possible, which is a prerequisite of digital testing and optimisation of car seats.
1 Einleitung
Vor dem Hintergrund der aktuellen Geschäftsstrategie der Automobilhersteller, alle
Segmente des sich zunehmend diversifizierenden Marktes mit hochwertigen Fahrzeugen zu
bedienen, steigt der von den OEMs zu leistende Entwicklungsaufwand für Strukturdynamik
und NVH dramatisch an. So bietet beispielsweise die Marke Mercedes-Benz weit über 120
Motor- und Karosserievarianten an [1]. Diese Tendenz wird begleitet von sich ständig
verkürzenden Entwicklungsprozessen. In Summe steht also für massiv ansteigende
Entwicklungsumfänge deutlich weniger Zeit zur Verfügung.
Die Hersteller begegnen diesen Herausforderungen durch den konsequenten Einsatz der
numerischen Simulation im Entwicklungsprozess. Hierbei wird eine hohe Prognosegüte der
Schwingungssimulationen erforderlich, da die Anzahl der Hardwarezyklen, also die Anzahl
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der je Bauteil gefertigten Muster, reduziert wird. Der Kern der Produktentwicklung verlagert
sich also zunehmend von experimentellen Erprobungen hin zu digitalen Prototypen.
Die Steigerung der Fähigkeiten moderner Simulationssoftware begleitet diesen Trend und
ermöglicht die Anwendung der Simulation auch in Gebieten, die sich wegen der hohen
Komplexität der strukturmechanischen Zusammenhänge, vorzugsweise bedingt durch
Nichtlinearitäten, bisher der Simulation verschlossen. Erfolgreiche Simulation insbesondere
in solchen Gebieten erfordert spezifisch-methodisches Simulations-Know-how, und dies
zieht für die OEMs die Notwendigkeit nach sich, mit entsprechend qualifizierten und
spezialisierten Engineering-Service-Providern zusammen zu arbeiten.
Unbelegte Sitze
Typisch für ein solches Anwendungsgebiet, auf dem besonderes Know-how erforderlich ist,
ist die Simulation von Pkw-Sitzen, insbesondere in Verbindung mit der Simulation des
Insassen. Derartige Simulationen zielen darauf ab, den vom Insassen empfundenen
Schwingungskomfort des Sitzes, also desjenigen Bauteils mit der größten physikalischen
Nähe zum Insassen und als solches unmittelbar verkaufsrelevant, zu optimieren. Die
fachlichen Herausforderungen bei der Simulation des Sitzes als solches, also zunächst noch
ohne Insassen („unbelegt“), sind dabei schon groß, sie bestehen insbesondere in folgenden
Punkten:
• Sitzstruktur: Nichtlineares Verhalten der Sitzstruktur in Gelenken,
Verstellmechanismen, Dämpfung, etc.;
• Anbauteile und Ausstattung: Verstellmotoren, Airbagmodule, Entertainment-
Systeme, Komfortsysteme (z.B. fahrdynamischer Sitz, Massagefunktionen), etc.;
• Schaumstoff-Formpolster: Nichtlineare, frequenzabhängige und viskoelastische
Materialeigenschaften;
Belegte Sitze
Selbst bei einer bestmöglichen Modellabbildung aller Sitzkomponenten, die dadurch
gekennzeichnet ist, dass alle per Modell vorausgesagten Sitzeigenschaften (z.B. lokale
Steifigkeiten, Eigenfrequenzen und -formen) nach Fertigung des entsprechenden
Baumusters bestätigt würden, ist die Aussagekraft eines solchen Modells des unbelegten
Sitzes stark eingeschränkt, da die Eigenschaften des Sitzes durch den Insassen dominant
beeinflusst werden. So können beispielsweise die mit unbelegtem Sitz berechneten
vertikalen Schwingungen auf der Sitzfläche überhaupt nicht verwendet werden, die
Längsschwingungen der Lehne sind mit größeren Unsicherheiten behaftet, da das sich
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anlehnende dynamische System „Mensch“ auf die Lehne rückwirkt. Einzig die
Querschwingungen der Lehne sind vergleichsweise stabil, da die zugehörige Schwingform
im Allgemeinen weniger stark vom Menschen beeinflusst wird.
Die große Bedeutung des Insassen für das Schwingungsverhalten des Sitzes wird allein
durch eine Betrachtung der beteiligten Massen deutlich: Ein typischer Fahrzeugsitz wiegt je
nach Ausstattung etwa 25 kg, der durchschnittliche männliche Insasse bringt das dreifache,
also 75 kg auf die Waage und stellt zudem ein schwingungsfähiges System mit
Eigenfrequenzen im sitzkomfortrelevanten Frequenzbereich (bis ca. 30 Hz) dar. Eine vom
Insassen entkoppelte Simulation der Sitzschwingungen kann somit keinesfalls zielführend
sein.
Demzufolge ist für eine erfolgversprechende Simulation von komfortrelevanten
Sitzschwingungen ein dynamisches Finite-Elemente-Modell des Menschen erforderlich. Ein
solches Modell, das den für diese Applikation zu stellenden Anforderungen genügt, ist das
Finite-Elemente-Mensch-Modell CASIMIR. Sein Einsatz für die NVH-Simulationen von Pkw-
Sitzen bei DaimlerChrysler ist in den nachfolgenden Abschnitten beschrieben.
2 Modellabbildung des Fahrzeugsitzes
2.1 Sitzstruktur
Ausgangspunkt der Arbeiten ist stets eine FE-Modellabbildung der Sitzstruktur, hier am
Beispiel des Sitzes einer Oberklasse-Limousine. Das Strukturmodell wurde im Rahmen des
üblichen Entwicklungsprozesses erstellt und validiert. Das reine Strukturmodell, d.h. das
Modell des Sitzes ohne Bepolsterung (siehe Bild 1), lässt sich in folgende Teile gliedern:
• Tragende Bauteile der Sitzstruktur;
• Kopplungselemente zwischen Strukturteilen (z.B. Gelenke);
• Bedienungselemente und Anbauteile (z.B. Verstellmotoren);
• Interfaces zur Bepolsterung (Hinter-, Unterfederung und Lordosenstütze);
Die tragenden Bauteile sowie die Ergänzungen wurden auf Basis von CAD-Daten mit
Schalenelementen modelliert.
Die Ankopplung der Anbauteile sowie die Gelenke zwischen tragenden Bauteilen wurden
über kinematische Kopplungen definiert, hier spielt die korrekte Wiedergabe der Kinematik
eine wichtige Rolle. In Abgleich mit den per Experimenteller Modalanalyse (EMA)
identifizierten Eigenfrequenzen und –formen wurden freie Modellparameter, insbesondere
die Formulierung von kinematischen Kopplungen, abgestimmt. In einer abschließenden
Eigenfrequenzberechnung waren die Frequenzabweichungen zwischen Modell und EMA-
Resultaten für gleichwertige Eigenformen geringer als 1 %.
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Bild 1: Modell der Sitzstruktur
Fig. 1: Model of the seat structure
Interface zu Bepolsterung:
Hinterfederung Lehne
Kopplungselement:
Gelenk Lehnenneigung
Anbauteil:
Motor Höhenverstellung
2.2 Modellabbildung der Formpolster
Die Modellierung der Schaumstoff-Formpolster erfolgte anhand der CAD-Geometrie der
werkzeugfallenden Teile. Für die Formpolster ist mit Volumenelementen zu arbeiten.
Untersuchungen bzgl. des Einflusses des Elementtyps ergaben, dass eine halbautomatische
und damit sehr aufwändige und kostenintensive Vernetzung mit Hexaeder-Elementen erster
Ordnung nicht unbedingt erforderlich ist. Vielmehr ist eine vollautomatisierte und damit
preiswerte Vernetzung mit Tetraeder-Elementen (Bild 2) möglich, sofern die Diskretisierung
angemessen gewählt wird und Elemente zweiter Ordnung gewählt werden. Hier ist jedoch
darauf zu achten, dass in denjenigen Bereichen der Formpolster, die im Laufe der
Berechnung an Kontaktformulierungen teilnehmen, mit einem speziell für Kontaktprobleme
modifizierten Elementansatz gearbeitet wird, um durchgängig vorzeichenrichtige
Kontaktknotenkräfte zu gewährleisten.
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Bild 2: Tetraeder-Modell der Formpolster für Kissen (links) und Lehne (rechts)
Fig. 2: Tetmesh-models of seat cushion (left) and backrest cushion (right)
Der Steifigkeits-Einfluss des Bezuges selbst sowie die Einflüsse des Bespannungsvorgangs
wurden bei der Simulation vernachlässigt, da begleitende Messungen die Zulässigkeit dieser
Vereinfachung bestätigten. Die Modellierung des Bezugstoffes erfolgte daher nur über eine
zusätzliche Massenbelegung an der Formpolsteroberfläche.
2.3 Materialeigenschaften und Materialgesetze der Formpolster
Üblicherweise kommen in einem modernen Pkw-Sitz mehrere verschiedene
Schaumstoffmaterialien zum Einsatz. So wird im Bereich der Kissen- und Lehnenwangen
gerne eine härtere Mischung eingesetzt, um höheren Seitenhalt bei Kurvenfahrt
sicherzustellen. Im vorliegenden Beispiel sind folgende Zonen zu unterscheiden:
• Kissenspiegel, PU-Schaum Härtegrad 1;
• Kissenwange, PU-Schaum Härtegrad 2;
• Lehne, geschichtetes Mischmaterial aus Gummihaar und Schaumkaschierung;
Da eine genaue Modellierung des Lehnenmaterials mit dem unterschiedlichen
Schichtaufbau zu aufwändig wäre, wurde für diesen Bereich ein homogener Ansatz über die
gesamte Materialstärke verwendet.
Die Ermittlung der statischen Materialeigenschaften unter der im realen Belastungsfall
dominierenden Druckbelastung erfolgte in Anlehnung an die einschlägige Prüfnorm [8]. Die
Versuche wurden als uniaxiale Kompressionsversuche auf einer hydraulischen Prüfanlage
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durchgeführt. Gemessen wurde die Zylinderkraft über dem Verformungsweg (Hub). Um den
Einfluss von Serienstreuungen abschätzen zu können, wurden jeweils drei Einzelproben
untersucht. In Bild 3 ist der Versuchsaufbau dargestellt.
Bild 3: Uniaxialer Kompressionsversuch
Fig. 3: Uniaxial compression test
Als Materialansatz für die Beschreibung von Schaumstoffen wird unter dem verwendeten
FE-Solver Abaqus ein hyperelastisches Materialgesetz gewählt. Dabei wird die
Materialelastizität über die Potentialfunktion der Verzerrungsenergie beschrieben. Die
verwendete Potentialfunktion für Schäume (Formel 1) ist eine Abwandlung des Ansatzes
nach Ogden, welche die nahezu vollständige Kompressibilität von PU-Schäumen
berücksichtigt. Die zu bestimmenden freien Materialparameter sind innerhalb einer iterativen
Identifikation an die Messdaten anzupassen.
( )( )∑=
βα−ααα⎥⎦
⎤⎢⎣
⎡−
β+−λ+λ+λ
αμ
=N
1i
el
i3212
i
i 1J13ˆˆˆ2U iiiii Formel 1
Die folgende Abbildung zeigt eine Gegenüberstellung der Resultate aus Versuchen und
entsprechender Simulation im Spannungs-Dehnungs-Diagramm. Es konnte bei allen
Materialien eine sehr gute Übereinstimmung erzielt werden.
Die dynamischen Kennwerte der Materialien werden durch deren komplexe Steifigkeiten
wiedergegeben. Diese sind in Abhängigkeit von Belastungsfrequenz und statischer
Vordeformation zu definieren. Die dazu durchgeführten dynamischen Versuche wurden
somit auf unterschiedlichem statischem Vordehnungsniveau unter harmonischer Erregung
im Bereich von 1 bis 30 Hz durchgeführt.
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Bild 4: Statisches Materialgesetz Schaumstoff: Messung, Identifikation, Simulation
Fig. 4: Static material properties of foam: measured data, identified data, simulation results
Die Definition des dynamischen Verhaltens der Schäume bei der Linearisierung um den
jeweiligen Arbeitspunkt (statische Vordehnung) erfolgt für die Berechnungen im
Frequenzbereich durch Angabe frequenzabhängiger Terme für Speicher- und Verlustmodul.
Bei der Überprüfung der Simulationsresultate für die dynamische Steifigkeit konnte eine sehr
gute Übereinstimmung zu den durchgeführten Versuchen erzielt werden.
2.4 Anbindung der Formpolster an die Struktur
Nach der Erstellung des Volumenmodells der Formpolster sowie der Definition
entsprechender Materialgesetze erfolgt nun die Ankopplung an das Strukturmodell. Hier
besteht zunächst die Schwierigkeit, dass Formpolster und Strukturteile unterschiedliche
Netzfeinheiten aufweisen, was aus Gründen von Modellgröße einerseits (Formpolster) und
Simulationsgüte andererseits (Struktur) unvermeidbar ist. Es liegen also keine sog. matched
meshes vor, die es ermöglichen würden, eine Verbindung zweier Bauteilmodelle einfach
über gemeinsame Knoten darzustellen.
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Unter Ausnutzung der Kontaktfunktionalitäten der Simulationssoftware ABAQUS gelingt die
Ankopplung jedoch höchst einfach durch den oberflächenbasierten Aufbau folgender
Interaktionspaare:
• Sitzkissen unten (3D) - Unterfederung Sitzspiegel (1D);
• Sitzkissen unten (3D) - Bodenwanne (2D);
• Lehnenkissen hinten (3D) - Hinterfederung (1D);
• Lehnenkissen hinten (3D) - Lordosenstütze (2D);
• Lehnenkissen hinten (3D) - Struktur (2D);
Da nun davon ausgegangen werden kann, dass keine großen Relativverschiebungen
zwischen den jeweiligen Interaktionspartnern auftreten, wurde der Kontakt als sog. tied
contact definiert. Bei dieser Formulierung werden die Kontaktbedingungen beim
Preprocessing in kinematische Kopplungen aufgelöst, die während allen nachfolgenden
Simulationsschritten aufrechterhalten werden. Gegenüber einer herkömmlichen „echten“
Kontaktformulierung hat dies den Vorteil, dass die Kontaktbedingungen im Rahmen der
Berechnungsiterationen nicht ausgewertet werden müssen, was die Berechnung vereinfacht
und die Berechnungszeit vermindert.
3 Das Mensch-Modell CASIMIR
3.1 Anforderungen an Menschmodelle
Der Einsatz von Menschmodellen in der virtuellen Phase der Pkw-Entwicklung ist heute
üblich. Einen Überblick über die Bandbreite der verschiedenen Einsatzszenarien gibt [2]. Am
häufigsten werden CAD-Menschmodelle wie z.B. RAMSIS oder UGS Classical Jack
verwendet, um das Innenraum-Package auszulegen. Solche Menschmodelle beinhalten
keine Beschreibungen strukturmechanischer Eigenschaften des Menschen und sind daher
zur Simulation von statischem Sitzkomfort kaum und zur Beurteilung von dynamischem
Sitzkomfort überhaupt nicht geeignet.
Benötigt für Komfortsimulationen werden also Modelle, die das mechanische Verhalten des
Menschen wiedergeben. Innerhalb dieser Gruppe von Modellen ist zu unterscheiden
zwischen phänomenologischen und anatomischen Modellen. Phänomenologische Modelle
haben die Aufgabe, eine einzelne, genau beschriebene Eigenschaft (ein „Phänomen“) des
Menschen wiederzugeben. Sie sind aufgrund ihrer Konzeption nicht dafür geeignet,
Eigenschaften jenseits dieses Phänomens zu simulieren und sind als beschreibende oder
deskriptive Modelle zu betrachten. Eine Übersicht über phänomenologische Modelle findet
sich in [3]. Anatomische Modelle hingegen beschreiben den Menschen auf Basis von
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dessen physiologischen Eigenschaften. Bei geeigneter Modellabbildung und Validierung
besitzen diese Modelle eine prädiktive Kraft, d.h. sie sind in der Lage, physikalische Größen
zu simulieren, die nicht als Information bei der Modellerstellung eingeflossen sind.
Anatomische Modelle eröffnen völlig neue Möglichkeiten bei der Komfortbeurteilung, da sie
direkten Zugriff auf vom Menschen sensierbare und in das Subjektivurteil einfließende
Schwingungsgrößen eröffnen (z.B. Kräfte in der Lendenwirbelsäule, Beschleunigungen des
Magens und des Gleichgewichtsorgans, etc.).
Zur numerischen Komfortbewertung sind demnach anatomische Menschmodelle
heranzuziehen, die zudem folgende Eigenschaften aufweisen müssen:
• Modellgeometrie abgeleitet aus der menschlichen Anatomie;
• Massen, Steifigkeiten und Dämpfungseigenschaften abgeleitet aus physiologischen
Daten des Menschen;
• Detailliertes Teilmodell der Lendenwirbelsäule, da diese eine zentrale Rolle für die
Ganzkörperschwingungen des Menschen spielt;
• Berücksichtigung der statischen Muskelwirkung: Einstellung des statischen
Gleichgewichts des Oberkörpers unter Wirkung von Gravitation und Muskelkräften;
• Berücksichtigung der dynamischen Muskelwirkung: Wiedergabe der aktivierungs-
und frequenzabhängigen Steifigkeits- und Dämpfungseigenschaften der Muskulatur;
Bei geeigneter Modellabbildung werden sich sodann dynamische Eigenschaften des Modells
einstellen, die eine Validierung an Probandenmessungen erlauben. Die wichtigsten Größen,
an denen Menschmodelle validiert sein müssen, sind:
• Dynamische Masse bei der Anregung des sitzenden Menschen am Gesäß;
• Übertragungsfunktionen von der Anregung am Gesäß zum Kopf;
• Übertragungsfunktionen von der Anregung am Gesäß zu weiteren Körperteilen,
insbesondere zu Messstellen an der Schulter und an der Lendenwirbelsäule;
3.2 Eigenschaften von CASIMIR
CASIMIR ist ein dynamisches, anatomisches Finite-Elemente-Modell des sitzenden
Menschen. Es liegt gegenwärtig für die FE-Solver ABAQUS und NASTRAN vor.
Hauptbestandteile der jüngsten Entwicklungsstufe sind:
• Dynamisches Detailmodell der Lendenwirbelsäule (LWS), unter Berücksichtigung der
frequenzabhängigen Dämpfungseigenschaften der Bandscheiben;
• Detailliertes Modell der relevanten Rückenmuskulatur;
• Dynamisches Modell des Bauchraums;
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• Dynamisches Teilmodell des oberen Torsos und der Arme;
• Geometrisch detailliertes Modell der Skelettstrukturen von Becken und Beinen;
• Statisches und dynamisches Modell des Körpergewebes in den potentiellen
Kontaktbereichen zum Sitz, d.h. Gesäß, Beine und Rücken;
Einzelheiten zu Modellerstellung und Validierung finden sich in [4] und [5]. Die
nachfolgenden Abbildungen zeigen CASIMIR als Gesamtmodell und einige Detailansichten.
Bild 5: CASIMIR, Gesamtansicht
Fig. 5: CASIMIR, general perspective view
Bild 6: CASIMIR, LWS und Rückenmuskeln
Fig. 6: CASIMIR, lumbar spine and muscles
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Bild 7: CASIMIR, Becken und Beine
Fig. 7: CASIMIR, pelvis and legs
3.3 Adaptierbarkeit bzgl. Perzentil und Haltung
Aus umfangreichen experimentellen Untersuchungen an Probanden ist bekannt, dass das
dynamische Ganzkörperschwingungs-Verhalten des Menschen maßgeblich von seiner
Sitzhaltung beeinflusst wird. Weiterhin haben Körpergröße und Körpermasse, statistisch
ausgedrückt durch das sog. Perzentil, bedeutenden Einfluss [6], [7].
Für Schwingungskomfortanalysen von Pkw ist angesichts der Klientel selbstverständlich die
gesamte Perzentilbandbreite, beginnend bei der 5-%-Frau (Perzentil f05) über den 50-%-
Mann (m50) bis hin zum 95-%-Mann (m95), von Bedeutung. Gemäß dieser Anforderung ist
CASIMIR über einen Individualisierungs-Algorithmus, der in [5] beschrieben ist und 7
anthropometrische Werte gemäß Tabelle 1 umfasst, an die Wertekombinationen von
Perzentilen oder sogar Individuen adaptierbar.
Nr. Anthropometrische Kenngröße
1 Körperhöhe im Stehen
2 Körpersitzhöhe
3 Brustkorbbreite
4 Brustkorbtiefe
5 Beckenbreite
6 Taillenumfang
7 Körpermasse
Tabelle 1: Anthropometrische Kenngrößen CASIMIR
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Die Anwendung des Individualisierungsalgorithmus’ auf die Wertekombinationen für f05,
m50 und m95 erzeugt eine CASIMIR-Modellfamilie für die entsprechenden Perzentile, die in
Bild 8 dargestellt ist.
Bild 8: CASIMIR: Modellfamilie f05 (links), m50 (Mitte), m95 (rechts)
Fig. 8: CASIMIR: model family f05 (left), m50 (centre), m95 (right)
Die Adaption der Haltung geschieht über die Definition von relativen Gelenkwinkeln und eine
zugehörige Anpassung der Modellparameter [5]. Somit lassen sich Haltungen erzeugen, die
für die Anwendung in Pkw das Spektrum vom Roadster bis zum SUV abdecken.
4 Gekoppelte Simulation: Insasse CASIMIR und Sitz
4.1 Zur Bedeutung der Sitz-Übertragungsfunktion
Die Bewertung des Schwingungskomforts von Pkw-Sitzen findet heute neben subjektiven
Beurteilungen überwiegend durch die Analyse der Sitz-Übertragungsfunktion statt. Die Sitz-
Übertragungsfunktion gibt dabei die Schwingungsantwort auf der Sitzoberfläche bezogen
auf die Schwingungsanregung an der Sitzschiene an und ist somit eine frequenzabhängige,
komplexe Größe, d.h. sie hat Betrag und Phase. Je nach betrachteter Anregungs- und
Antwortrichtung unterscheidet man Sitz-Übertragungsfunktion (z) und Lehnen-
Übertragungsfunktionen (x und y), vgl. Bild 9.
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Bild 9: Sitz-Übertragungsfunktion: Anregung und Antworten
Fig. 9: Seat-transfer-function: Excitation and response
Nun ist die Sitz-Übertragungsfunktion an sich nicht zur direkten Komfortbeurteilung geeignet,
da der Insasse über keinerlei Sensor verfügt, mit dem er die Sitz-Übertragungsfunktion
empfinden könnte. Ihre Werthaltigkeit für die Komfortbeurteilung entsteht erst in Verbindung
mit beim OEM aufgebauten Erfahrungswissen darüber, wie die Übertragungsfunktion eines
Sitzes für ein bestimmtes Fahrzeug auszusehen hat, damit dieser Sitz subjektiv als
komfortabel bewertet wird. Neben Erfahrungswerten mit vorangegangenen Baureihen kann
ferner das Ergebnis einer Benchmark-Analyse Quelle für die Zielvorgabe der Sitz-
Übertragungsfunktion im Lastenheft sein.
Vor diesem Hintergrund muss es auch das Ziel der numerischen Simulation von
Sitzschwingungen sein, die Sitz-Übertragungsfunktion zu errechnen, um frühzeitig
Vergleiche zu den Zielvorgaben ziehen zu können.
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4.2 Kontakt zwischen Mensch und Sitz
Für eine realistische Wiedergabe des statischen Einsitzens unter Gravitation ist die
realitätsgetreue Modellierung der mechanischen Interaktion zwischen Sitz und Mensch
Voraussetzung. Vor diesem Hintergrund ist die Formulierung eines reibungsbehafteten
Kontaktproblems zwischen Mensch und Sitz unerlässlich. Im Rahmen der nachfolgend
erörterten Simulationen wurde zunächst ein Kontaktproblem aufgebaut, das mit einer als
starr angenäherten, geeignet konturierten menschlichen Körperoberfläche arbeitet. Dies
stellt eine Vereinfachung gegenüber der in Kap. 3 beschriebenen nachgiebigen
Körperoberfläche dar.
Die Geometrie der starren Kontaktoberflächen an Gesäß und Rücken entsprechen den
verformten Körperoberflächen eines mittleren Menschen auf einem durchschnittlichen Pkw-
Sitz [9]. Die Nachgiebigkeiten der menschlichen Körperoberfläche sind bei dieser Art der
Modellabbildung in Feder- und Dämpfereigenschaften an Gesäß und Rücken
zusammengeführt.
Polsterseitig wurde aus den potentiell am Kontakt beteiligten Elementen eine Oberfläche
definiert. Die Kontakte zwischen Lehne und Rücken einerseits und Kissen und Gesäß
andererseits wurden in zwei voneinander unabhängigen Kontaktpaaren definiert. Bezüglich
der Interaktionsparameter wurde für die Kontakteigenschaften normal zur Oberfläche ein
sog. „harter“ Kontakt gewählt, was bedeutet, dass der Verlauf der intern erzeugten
Kontaktvariable, des Lagrangeschen Multiplikators, an jedem Knoten beim Übergang von
offenem zu geschlossenem Zustand diskontinuierlich ist. Die Kontakteigenschaft in
Oberflächenrichtung wurde als reibungsbehaftet mit einem Reibbeiwert von 0,3 angesetzt.
Die Positionierung von CASIMIR vor Beginn der Berechnung, also im Präprozessor, erfolgt
zweistufig: Zunächst wird die Haltung von CASIMIR auf die Sitzeinstellung abgestimmt,
welche durch den Öffnungswinkel zwischen Lehnen- und Sitzkissen definiert ist
(Zusammenhang Kissenwinkel / Lehnenneigungswinkel). Der zweite Schritt positioniert das
CASIMIR-Modell schwebend über dem Sitz mit verschwindenden Abständen zu Kissen bzw.
Lehne, allerdings ohne Anfangsdurchdringungen. Diese Position ist in Bild 10 dargestellt.
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Bild 10: CASIMIR mit starren Kontaktflächen, vor Berechnung optimal zum Sitz positioniert
Fig. 10: CASIMIR with rigid contact surfaces, pre-analysis positioning
4.3 Statischer Einsitzvorgang
Die statische Berechnung des Einsitzvorgangs erfolgt geometrisch nichtlinear unter
Belastung durch die Gravitation in negativer z-Richtung. Die Randbedingungen bestehen
einerseits aus den Lagerpunkten des Menschmodells sowie aus den Aufspannpunkten der
Sitzstruktur. Durch die Lagerpunkte des Menschmodells werden Bewegungsmöglichkeiten
von Füßen und Händen wiedergegeben, d.h. eine Translation der Füße in x-Richtung
(Bewegungen Fußraum) sowie eine Drehung der Hände um die y-Achse (Lenkradhaltung)
sind möglich. Die Simulation liefert u.a. folgende Ergebnisgrößen, die eine
Plausibilitätsprüfung zulassen:
• Verschiebung in z-Richtung auf dem Sitzkissen;
• Verschiebung in x-Richtung auf der Lehne;
• H-Punkt-Lage;
• Kontaktdruck auf dem Sitzkissen;
• Kontaktdruck auf der Lehne;
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Es konnte bei allen Größen eine gute Übereinstimmung zu Erfahrungswerten aus
Messungen erzielt werden. Besonders ist für den errechneten Kontaktdruck zu erwähnen,
dass neben den Maximalwerten auch eine Überstimmung in den typischen Charakteristika
der Druckverteilung erzielt wurde, siehe hierzu Bild 11. So konnte z.B. im Sitzkissen bei der
Quernaht ein erhöhter Druck festgestellt werden, der die fehlende Möglichkeit zur
Kraftumlagerung in diesem Bereich wiedergibt.
Bild 11: Kontaktdruckverteilung nach statischem Einsitzen
Fig. 11: Seat pressure distribution of static seating
4.4 Dynamische Anregungen über die Karosserie
Die Schwingungssimulation schließt an den statischen Einsitzvorgang an. Dieser ist als
vorgeschalteter Rechenlauf unbedingt erforderlich, da sowohl Sitz als auch Mensch
nichtlinear sind und somit der sich einstellende Arbeitspunkt von entscheidender Bedeutung
ist. Als Rechenverfahren für die Schwingungssimulation wird die direkte Lösung im
Frequenzbereich verwendet. Die zu lösende Matrixgleichung lautet
( ) ( )[ ] FQDiMK 2 =ΩΩ+Ω−Ω Formel 2
Dieses Rechenverfahren ist linear, es wird also um den sich per Einsitzvorgang
einstellenden Arbeitspunkt linearisiert. Dies ist zulässig, da sich unter Schwingungsanregung
nur vergleichsweise kleine Amplituden ergeben, die einen Ersatz der nichtlinearen
Eigenschaften durch eine geeignete Linearisierung zulassen. Gegenüber modalen
Berechnungsverfahren bietet die direkte Lösung hier den Vorteil, dass zum einen
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frequenzabhängiges Verhalten und zum anderen diskrete Dämpferelemente berücksichtigt
werden können, was für die Modellierung von Schaum und Mensch bedeutsam ist.
Da das dynamische Verhalten des Schaums von seiner statischen Vordehnung abhängig ist,
wird bei der durchzuführenden Auswahl des Materialansatzes der Dehnungszustand der
Elemente nach dem Einsitzen berücksichtigt. Weil eine einzelne oder partielle Zuweisung
des Materialgesetzes für unterschiedlich vorgedehnte Bereiche innerhalb der Berechnung
nicht möglich ist, erfolgt ein gemittelter Ansatz. Bei diesem werden die stark gedehnten
Bereiche stärker gewichtet, da höher belastete Bereiche für die dynamische Berechnung
einen größeren Beitrag zum Modellverhalten leisten als gering belastete Bereiche.
Die Erregung wird als Fußpunkterregung über inhomogene Randbedingungen an den 4
Montagepunkten der Sitzschiene an der Karosserie aufgebracht. Zunächst wird nur vertikale
Anregung untersucht. Der berücksichtigte Frequenzbereich reicht von 1 bis 30 Hz.
Bilder 12 und 13 zeigen die Simulationsergebnisse für die Sitz-Übertragungsfunktion z-z,
d.h. z-Anregung an der Sitzschiene und z-Antwort auf der Kissenpolster-Oberfläche sowie
die Sitz-Übertragungsfunktion x-z, d.h. z-Anregung an der Sitzschiene und x-Antwort auf der
Lehnenpolster-Oberfläche, die das Koppelverhalten wiedergibt. Gegenübergestellt sind
entsprechende Messergebnisse für einen individuellen Testfahrer sowie weiter für den
physikalischen Schwingungsdummy MEMOSIK®.
Bild 12: Sitz-Übertragungsfunktion z-z, Vergleich Simulation mit Messungen
Fig. 12: Seat-transfer-function z-z, simulation vs. measured data
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Bild 13: Sitz-Übertragungsfunktion x-z, Vergleich Simulation mit Messung
Fig. 13: Seat-transfer-function x-z, simulation vs. measured data
Der Schwingungsdummy MEMOSIK® ist in seiner dynamischen Masse bis 20 Hz identisch
zum CASIMIR: Beide geben das Perzentil m50 wieder. Entsprechend gut sind die
Übereinstimmungen bis 20 Hz. Bzgl. des individuellen Testfahrers ist anzumerken, dass
dieser insbesondere im Bereich der ersten Hauptresonanz ein von der in CASIMIR m50
realisierten dynamischen Masse abweichendes Verhalten hat, weshalb die Ergebnisse hier
bzgl. der Amplitudenhöhe Abweichungen zeigen.
Generell werden die Charakteristika der Übertragungsfunktionen sehr gut wiedergegeben,
insbesondere was die Frequenzlagen auftretender Resonanzerscheinungen angeht. Dies ist
Voraussetzung für eine zielführende Interpretation der Simulationsergebnisse.
Untersuchungen bzgl. horizontaler Anregungsrichtungen und der zugehörigen
Übertragungsfunktionen sind zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels noch in
Bearbeitung.
5 Einbindung der Simulationsmethode in den Entwicklungsprozess
Zur Absicherung der Komforteigenschaften (Schwingungen / NVH) sind im Pkw-
Entwicklungsprozess in der Regel zwei relevante Prototypen-Phasen vorgesehen. Werden
erst in diesen Phasen Probleme im Schwingungssystem Mensch-Sitz-Fahrzeug durch
Messungen identifiziert, sind Änderungen am Fahrzeug und / oder am Sitz schwierig
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umsetzbar und ausgesprochen kostenintensiv. Daher muss das gekoppelte
Schwingungssystem Mensch-Sitz-Fahrzeug bereits in der digitalen Entwicklungsphase
analysiert und optimiert werden, wobei unter Optimierung hier das sorgfältige Abstimmen
der beteiligten Systeme Fahrzeug und Sitz unter Berücksichtigung des Menschen zu
verstehen ist.
Die im Rahmen der digitalen Entwicklung zu beantwortenden Fragestellungen können zu
einem gewissen Teil bereits mit der Analyse eines Modells des belegten Sitzes ohne
Beteiligung des Gesamtfahrzeugs, also von diesem entkoppelt, bearbeitet werden. Ab einem
bestimmten Zeitpunkt ist jedoch auch die Interaktion des vom Menschen belegten Sitzes,
der dann eine Teilmasse in der Größenordnung von 100 kg darstellt, mit dem
Schwingungsverhalten des Gesamtfahrzeugs zu untersuchen.
5.1 Vom Gesamtfahrzeug entkoppelte Simulation des belegten Sitzes
Der Aufbau eines Berechnungsmodells für die Simulation des mit dem Menschen belegten
Sitzes erfolgt gemäß der in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen
Vorgehensweise. Die nachstehende Tabelle gibt hierzu einen zusammenfassenden
Überblick, benennt die für die Modellierung benötigten Daten und weist auf
Validierungsmöglichkeiten hin.
Nr. Modellierungsaufgabe Benötige Daten Verifikationsmöglichkeit (bei vorh. Hardware)
1 Strukturmodell erstellen 3D-CAD Sitzstruktur, Materialdaten, Massen
per EMA an Struktur ohne Ausstattung
2 Modelle für Anbauteile und Ausstattung erstellen und einbinden
3D-CAD Anbauteile, Materialdaten, Massen
per EMA an Struktur mit Ausstattung und Anbau-teilen
3 Formpolstermodell erstellen und an Strukturmodell koppeln
3D-CAD Formpolster, Materialdaten (hyper-elastisch, viskoelastisch)
per EMA an aufgepolstertem Sitz
4 Sitzbezug per Massenbelegung modellieren
Masse
5 Menschmodell CASIMIR in Designhaltung bereitstellen
Torsowinkel und Kissenwinkel in Designhaltung
6 CASIMIR durch Definition des Kontaktproblems an Sitzmodell koppeln
Vergleich gemessener und berechneter Sitz-Übertragungsfunktionen
Tabelle 2: Vorgehen zur Modellierung des aufgepolsterten, belegten Sitzes
Mit dem derart aufgebauten Simulationsmodell ist es nun möglich, sowohl Eigenfrequenzen
und –formen des belegten Sitzes zu bestimmen als auch erzwungene Schwingungen, d.h.
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hier Übertragungsfunktionen, zu berechnen. Mit den Simulationsergebnissen lassen sich u.a
folgende Fragen beantworten:
1. Passt der (belegte) Sitz in seinen Resonanzen zu den erwarteten
Anregungsspektren, die vom Gesamtfahrzeug (d.h. aufsatzfertige Karosserie mit
Triebstrang und Achsen) kommen oder gibt es ungewollte Überdeckungen von
Anregungen und Resonanzen?
2. Welche Verstimmungs- oder Tuningmaßnahmen sind sitzseitig vorzuhalten, um den
Sitz ggf. in seinen Grundresonanzen abzustimmen?
3. Wie verhalten sich die berechneten Schwingungspegel zu gemessenen und
berechneten Vorgänger- und Bench-Fahrzeugen?
5.2 Berücksichtigung des belegten Sitzes im Ganzfahrzeugmodell
Anschließend an die vom Gesamtfahrzeug entkoppelte Analyse erfolgt die Berücksichtigung
des belegten Sitzes im Gesamtfahrzeug. Hier ist das Ziel, aufbauend auf einem sehr großen
und auf allen Ebenen hochdetaillierten Gesamtmodell des Fahrzeuges die
Schwingungsausbreitung von der Fahrbahn über Reifen, Fahrwerk und Karosserie in den
Sitz und damit letztlich in den Menschen zu berechnen. Die Aussagefähigkeit des
Gesamtfahrzeugmodells (d.h. hier das Modell der aufsatzfertigen Karosserie mit Triebstrang
und Achsen) ist durch ein geeignetes Ersatzmodell des belegten Sitzes, der ja ein ca. 100
kg schweres Schwingungssystem mit ausgeprägter dynamischer Charakteristik im fraglichen
Frequenzbereich darstellt, zu erweitern.
Hier können nun zwei Ansätze verfolgt werden:
• Linearisierung des Modells Mensch / Sitz und direkte Einbindung in das lineare
Gesamtfahrzeugmodell oder
• Kondensation des Modells Mensch / Sitz und Einbindung in das
Gesamtfahrzeugmodell als kondensiertes Modell.
Die Kondensation hat den Vorteil, dass das Gesamtfahrzeugmodell nicht mit einer großen
Anzahl zusätzlicher Freiheitsgrade belastet wird, zusätzlich ist das kondensierte Modell
leichter zu pflegen. Nachteil ist eine fehlende Visualisierung der Schwingformen des
Ersatzmodells.
Für die Kondensation hält die Strukturdynamik bewährte Methoden bereit, bei denen die zu
kondensierende Struktur, die üblicherweise eine hohe Anzahl von Freiheitsgraden aufweist,
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durch Matrizen weit geringerer Dimension ersetzt wird. Bekannte Verfahren sind die
statische, die modale und die gemischt statisch-modale Kondensation [10].
Generell bedeutet die Anwendung von Kondensationsverfahren eine Linearisierung der zu
kondensierenden Teilstruktur, hier also des belegten Sitzes. Daraus kann direkt die
Forderung abgeleitet werden, dass die Kondensation des belegten Sitzes erst nach der
Simulation des statischen Einsitzvorgangs stattfinden darf, da dieser bedeutenden Einfluss
auf den Arbeitspunkt hat, um den die Linearisierung stattfindet.
Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung treten im vorliegenden Fall dadurch auf,
dass sowohl Sitz als auch Mensch frequenzabhängige Eigenschaften aufweisen, eine
frequenzabhängige Einbindung kondensierter Matrizen in aktueller Simulationssoftware
jedoch nicht vorgesehen ist. Eine gute Möglichkeit, die praktischen Einschränkungen zu
umgehen, stellt die folgende Vorgehensweise dar:
Mathematisch exakt wäre es, das Modell des belegten Sitzes durch dessen auf die vier
Ankopplungspunkte des Sitzes an die Karosserie kondensierte dynamische
Steifigkeitsmatrix ( )ΩdynK gemäß Formel 3 zu ersetzen. Beschränkt man sich auf die
Berücksichtigung der 3 translatorischen Freiheitsgrade, so hätte diese Matrix die Dimension
12 x 12, ist also hoch kompakt. Die Auswahl weiterer Freiheitsgrade, an denen Ergebnisse
ausgewertet werden sollen, vergrößert die Matrix entsprechend.
( ) ( ) ( )ΩΩ+Ω−Ω=Ω DiMKK 2dyn Formel 3
Die Bestimmung der komplexen dynamischen Steifigkeitsmatrix ( )ΩdynK ist mit dem Modell
des belegten Sitzes ohne weiteres durch dynamische Einheitsverformungszustände an den
Koppelfreiheitsgraden möglich.
Die (reelle) statische Steifigkeitsmatrix Kst des belegten Sitzes, bezogen auf die
Koppelfreiheitsgrade, ist dabei der Wert von ( )ΩdynK bei der Frequenz Ω = 0, s. Formel 4.
( 0KKdynst =Ω= ) Formel 4
Dieser statische Anteil von ( )ΩdynK ist ohne weitere Schwierigkeiten in aktuelle
Simulationssoftware zu integrieren (z.B. NASTRAN: Elementtyp DMIG, ABAQUS:
Elementtyp USER), die Berücksichtigung des statischen Verhaltens auf diese Weise stellt
keine Näherung dar, sondern ist mathematisch exakt. Der zu ( )ΩdynK verbleibende Rest
stellt die Matrix ( )Ω∗,dynK dar, die sich gemäß Formel 5 bestimmt:
( ) ( ) ( )( ) ( )ΩΩ+Ω−−Ω=−Ω=Ω∗
DiMKKKKK 2ststdyn,dyn Formel 5
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( )Ω∗,dynK ist im Allgemeinen voll besetzt, ist jedoch für die Frequenz Ω = 0 identisch mit der
Nullmatrix. Sie beinhaltet Trägheitskräfte, (frequenzabhängige) Dämpfungskräfte und Kräfte
aus frequenzabhängigen Steifigkeiten, die über die statischen Steifigkeiten hinausgehen.
Vernachlässigt man nun die Terme dieser Matrix, die außerhalb ihrer Hauptdiagonale
stehen, so verbleiben 12 Hauptdiagonalterme mit frequenzabhängigen dynamischen
Steifigkeiten, deren statischer Wert Null beträgt. Derartige Terme können auf sehr einfache
Weise in dynamische Massen umgerechnet und ggf. mit Hilfe einer modalen Aufspaltung in
Form einfacher Einmassen-Schwinger direkt an den Koppelfreiheitsgraden in das
Gesamtfahrzeugmodell integriert werden.
5.3 Strategische Bedeutung der Simulation des belegten Sitzes
Eine konsequente Integration der Simulation des Schwingungssystems Mensch-Sitz-
Fahrzeug in den digitalen Entwicklungsprozess eröffnet insbesondere folgende Vorteile für
den entwickelnden OEM:
• Vermeidung kostspieliger später Änderungen an der Sitz- oder Fahrzeugstruktur;
• Eröffnung von Möglichkeiten einer Gewichtsoptimierung der Sitzstruktur und der
Sitzanbindung;
• Zielgerichtete Vorbereitung von Versuchsfahrten
• Deutliche Reduzierung des Versuchsaufwands beim Auftreten unerwünschter
Schwingungsphänomene, da die Versuche berechnungsseitig begleitet werden
können;
6 Literatur
[1] http://www.mercedes-benz.de
[2] Digital Human Modeling Conference - Digitale Mensch-Modellierung , VDI-Berichte
1675, VDI Verlag 2002
[3] Wölfel, Rützel, Mischke: Biodynamische Modelle des Menschen, Vortrag auf der VDI-
Tagung Humanschwingungen, Darmstadt, 17./18.4.2004
[4] Buck: Ein Modell für das Schwingungsverhalten des Menschen mit detaillierter
Abbildung der Wirbelsäule und Muskulatur im Lendenbereich, Shaker Verlag, Aachen
1997
[5] Pankoke: Numerische Simulation des räumlichen Ganzkörperschwingungsverhaltens
des sitzenden Menschen unter Berücksichtigung der individuellen Anthropometrie und
Haltung, Fortschritt-Berichte VDI, Nr. 522, VDI-Verlag, Düsseldorf 2003
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[6] Seidel, Blüthner, Hinz, Schust: Belastung der Lendenwirbelsäule durch stoßhaltige
Ganzkörperschwingungen, Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin, Berlin 1995
[7] Griffin: Handbook of human Vibration, Academic Press, 1990
[8] DIN EN ISO 3386-1: Bestimmung der Druckspannungs-Verformungs-Eigenschaften,
Teil 1: Materialien mit niedriger Dichte, 1998
[9] Pankoke: Determination of the Deflected Contact Surface between Human Body and
Seat under Realistic Individual Sitting Conditions – a mixed Experimental and
Numerical Approach, SAE Digital Human Modeling Conference, Montreal 2003
[10] Gasch, Knothe: Strukturdynamik, Band 2: Kontinua und ihre Diskretisierung, Springer
Verlag, Berlin 1989