biomechanische grundlagen und indikationen bei der kniegelenknahen osteotomie

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Redaktion P. Lobenhoffer, Hannover Arthroskopie 2007 · 20:270–276 DOI 10.1007/s00142-007-0418-y Online publiziert: 21. September 2007 © Springer Medizin Verlag 2007 S. Hofmann · M. Pietsch Orthopädische Abteilung, Allgemeines und Orthopädisches LKH Stolzalpe Biomechanische Grundlagen und Indikationen bei der kniegelenknahen Osteotomie Leitthema Neben der exakten Planung und ope- rativen Technik sind grundlegende biomechanische Kenntnisse sowie die richtige Patientenauswahl eine Vor- aussetzung für eine erfolgreiche Um- stellungsosteotomie [22]. In dieser kurzen Übersicht sollen in allgemein verständlicher Form die biomecha- nischen Grundlagen kniegelenknaher Umstellungsosteotomien dargestellt werden. Nicht berücksichtigt werden hierbei jedoch komplexe dreidimen- sionale Fehlstellungen nach Traumen sowie Miss- oder Fehlbildungen. Dar- über hinaus sollen die allgemeinen Kriterien für die Patientenauswahl zur Umstellungsosteomie anhand von Empfehlungen einer internati- onalen Expertenkommission darge- stellt werden [28]. Weiter werden zu- sätzliche Risikofaktoren und Indika- tionen für eine Umstellungsosteoto- mie diskutiert. In ausgewählten Fäl- len ist eine biomechanische und ana- tomische Rekonstruktion des Knie- gelenks jedoch nur mit einer Doppel- osteotomie an Femur und Tibia mög- lich. Biomechanische Grundlagen Eine konsequente Umsetzung des seit lan- gem bekannten biomechanischen Wis- sens auf kniegelenknahe Osteotomien bei der Monokompartmentarthrose ist bis auf wenige Ausnahmen bis heute nicht erfolgt [8, 25]. Die Analyse kniegelenknaher Fehl- stellungen lässt sich didaktisch auf 5 Krite- rien aufteilen (Tab. 1). Kriterium 1 – Frontale Beinachse Zur Beurteilung der 7 Parameter (Tab. 2) ist ein spezielles Ganzbein- röntgen unter Belastung notwendig. Auch an langen Standardröntgenbildern des Kniegelenks können die mechanischen Achsen nicht beurteilt werden. Die Trag- linie des Beins (Mikulicz-Linie) geht nor- malerweise nicht durch das Zentrum des Kniegelenks, sondern etwas medial davon (8±7 mm) und verbindet das Zentrum des Hüftkopfes mit dem des Sprungge- lenks. Der Durchtrittspunkt der Traglinie am Tibiaplateau wird in Prozent der Tibia- plateaubreite (TPB) angegeben (medial 0° und lateral 100°; Abb. 1). Mit diesem Prozentwert kann der Tibiaplateaustress in Prozent des gesamten Körpergewichts für das mediale Tibiaplateau berechnet werden (Tab. 3; [17]). Neuere Erkenntnisse mit einem dy- namischen 3D-Computermodell haben die bisherigen statischen 2D-Daten für den Tibiaplateaustress bestätigt [13]. Die mechanische Achse von Femur und Ti- bia bilden den Varus- oder Valguswinkel der gesamten Beinachse. Die Kniebasisli- nien des Femurs und der Tibia stellen die jeweilige Tangente der beiden distalsten Punkte an den Femurkondylen und der beiden proximalsten Punkte am Tibiapla- teau dar (Abb. 2). Normalerweise steht die Kniebasislinie des distalen Femurs in 2° Valgus zur mechanischen Femurachse und bildet den lateralen distalen Femur- Tab. 1 Fünf Kriterien für die Analyse kniegelenknaher Fehlstellungen 1. Frontale Beinachse 2. Gelenklinie 3. Sagittales Alignment 4. Patellofemorales Gelenk 5. Rotationsfehlstellung Tab. 2 Biomechanische Parameter in der Frontalebene 1. Ganzbeinachse (Varus oder Valgus) 2. Traglinie (Mikulicz-Linie) 3. Durchtrittspunkt der Traglinie durch Tibiaplateaubreite (TPB) 4. Lateraler distaler Femurwinkel (LDFW) 88° (85–90°) 5. Medialer proximaler Tibiawinkel (MPTW) 87° (85–90°) 6. Kniespaltwinkel (KSW), 1–3° 7. Gelenklinie (GL) 87±3° Tab. 3 Tibiaplateaustress bei unter- schiedlichen Durchtrittspunkten der Traglinie. (Mod. nach Hsu et al. [17]) Varusfehlstellung 0° 75% Varusfehlstellung 5° 80% Varusfehlstellung 10° 90% Varusfehlstellung 15° 100% 270 |  Arthroskopie 4 · 2007

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RedaktionP. Lobenhoffer, Hannover

Arthroskopie 2007 · 20:270–276DOI 10.1007/s00142-007-0418-yOnline publiziert: 21. September 2007© Springer Medizin Verlag 2007

S. Hofmann · M. PietschOrthopädische Abteilung, Allgemeines und Orthopädisches LKH Stolzalpe

Biomechanische Grundlagen und Indikationen bei der kniegelenknahen Osteotomie

Leitthema

Neben der exakten Planung und ope-rativen Technik sind grundlegende biomechanische Kenntnisse sowie die richtige Patientenauswahl eine Vor-aussetzung für eine erfolgreiche Um-stellungsosteotomie [22]. In dieser kurzen Übersicht sollen in allgemein verständlicher Form die biomecha-nischen Grundlagen kniegelenknaher Umstellungsosteotomien dargestellt werden. Nicht berücksichtigt werden hierbei jedoch komplexe dreidimen-sionale Fehlstellungen nach Traumen sowie Miss- oder Fehlbildungen. Dar-über hinaus sollen die allgemeinen Kriterien für die Patientenauswahl zur Umstellungsosteomie anhand von Empfehlungen einer internati-onalen Expertenkommission darge-stellt werden [28]. Weiter werden zu-sätzliche Risikofaktoren und Indika-tionen für eine Umstellungsosteoto-mie diskutiert. In ausgewählten Fäl-len ist eine biomechanische und ana-tomische Rekonstruktion des Knie-gelenks jedoch nur mit einer Doppel-osteotomie an Femur und Tibia mög-lich.

Biomechanische Grundlagen

Eine konsequente Umsetzung des seit lan-gem bekannten biomechanischen Wis-sens auf kniegelenknahe Osteotomien bei der Monokompartmentarthrose ist bis auf

wenige Ausnahmen bis heute nicht erfolgt [8, 25]. Die Analyse kniegelenknaher Fehl-stellungen lässt sich didaktisch auf 5 Krite-rien aufteilen (. Tab. 1).

Kriterium 1 – Frontale Beinachse

Zur Beurteilung der 7 Parameter (. Tab. 2) ist ein spezielles Ganzbein-röntgen unter Belastung notwendig. Auch an langen Standardröntgenbildern des Kniegelenks können die mechanischen Achsen nicht beurteilt werden. Die Trag-linie des Beins (Mikulicz-Linie) geht nor-malerweise nicht durch das Zentrum des Kniegelenks, sondern etwas medial davon (8±7 mm) und verbindet das Zentrum des Hüftkopfes mit dem des Sprungge-lenks. Der Durchtrittspunkt der Traglinie am Tibiaplateau wird in Prozent der Tibia-plateaubreite (TPB) angegeben (medial 0° und lateral 100°; . Abb. 1). Mit diesem Prozentwert kann der Tibiaplateaustress in Prozent des gesamten Körpergewichts für das mediale Tibiaplateau berechnet werden (. Tab. 3; [17]).

Neuere Erkenntnisse mit einem dy-namischen 3D-Computermodell haben die bisherigen statischen 2D-Daten für den Tibiaplateaustress bestätigt [13]. Die mechanische Achse von Femur und Ti-bia bilden den Varus- oder Valguswinkel der gesamten Beinachse. Die Kniebasisli-nien des Femurs und der Tibia stellen die jeweilige Tangente der beiden distalsten

Punkte an den Femurkondylen und der beiden proximalsten Punkte am Tibiapla-teau dar (. Abb. 2). Normalerweise steht die Kniebasislinie des distalen Femurs in 2° Valgus zur mechanischen Femurachse und bildet den lateralen distalen Femur-

Tab. 1  Fünf Kriterien für die Analyse kniegelenknaher Fehlstellungen

1. Frontale Beinachse

2. Gelenklinie

3. Sagittales Alignment

4. Patellofemorales Gelenk

5. Rotationsfehlstellung

Tab. 2  Biomechanische Parameter in der Frontalebene

1. Ganzbeinachse (Varus oder Valgus)

2. Traglinie (Mikulicz-Linie)

3. Durchtrittspunkt der Traglinie durch Tibiaplateaubreite (TPB)

4. Lateraler distaler Femurwinkel (LDFW) 88° (85–90°)

5. Medialer proximaler Tibiawinkel (MPTW) 87° (85–90°)

6. Kniespaltwinkel (KSW), 1–3°

7. Gelenklinie (GL) 87±3°

Tab. 3  Tibiaplateaustress bei unter-schiedlichen Durchtrittspunkten der Traglinie. (Mod. nach Hsu et al. [17])

Varusfehlstellung 0° 75%

Varusfehlstellung 5° 80%

Varusfehlstellung 10° 90%

Varusfehlstellung 15° 100%

270 |  Arthroskopie 4 · 2007

winkel (LDFW) von 88° (85–90°). Im Ge-gensatz dazu steht die Kniebasislinie der Tibia in 3° Varus zur mechanischen Ti-biaachse und bildet den medialen proxi-malen Tibiawinkel (MPTW) von 87° (85–90°). Der Kniespaltwinkel (KSW) bildet

den Winkel zwischen der Basislinie an Femur und Tibia. Bei vergrößerten Knie-spaltwinkeln auf Grund von Bandinsta-bilitäten muss dies bei der knöchernen Korrektur mit berücksichtig werden, da es ansonsten zu Überkorrekturen kom-men kann.

Beim Varusknie kann die angestrebte Achskorrektur in der Frontalebene von der neutralen Beinachse (0°) bis zur Über-korrektur (6° Valgus) betragen. Die jewei-lige Korrektur sollte nicht auf einen be-stimmten Punkt oder Bereich festgelegt werden (z. B. 62% der Tibiaplateaubrei-te; [26]), sondern vielmehr abhängig von der jeweiligen Begleitpathologie des Knie-gelenks geplant werden (. Tab. 4; [21]). Da schon beim normalen Kniegelenk nur 25% des Tibiaplateaustresses durch das la-terale Kompartment verlaufen, ist beim Valgusknie in den allermeisten Fällen ei-ne Korrektur bis zur neutralen 0°-Bein-achse ausreichend [2].

Kriterium 2 – Gelenklinie

Die Gelenklinie bildet die Mitte zwischen der Kniebasislinie an Femur und Tibia. Dadurch steht beim normalen Kniege-lenk die Gelenklinie zur mechanischen Gesamtbeinachse (Tragegelenklinie) in einer 3°-Varusstellung (Normwert 87±3°; . Abb. 2). Dies ist sehr sinnvoll, da beim Gehen durch die Adduktion in der Stand-beinphase die Gelenklinie parallel zum Boden verläuft.

Die Analyse der frontalen Beinach-se ist eine Voraussetzung, um den Ort der Deformität richtig zu erkennen [24] und um so eine pathologische Verschie-bung der Gelenklinie durch eine Um-stellungsosteotomie zu verhindern, die nicht am Ort der Deformität durchge-führt wurde [14, 25, 29]. Bei kniegelenk-nahen Umstellungsosteomien kann es sehr leicht zu einer pathologischen Ver-änderung der Gelenklinie und damit zu einem Gehen auf einer „schiefen Ebene“ kommen (. Abb. 3). Der Knorpel kann zwar Druckkräfte durch das „Wasserkis-senprinzip“ sehr gut ausgleichen, ist je-doch bei Scherkräften sehr schnell an der Grenze seiner Kompensationsmechanis-men angelangt [6, 32].

Kriterium 3 – Sagittales Alignement

Zur Beurteilung der sagittalen Achsen am Kniegelenk genügt in den allermeis-ten Fällen eine kurze, streng seitliche Standardröntgenaufnahme. Nur bei ex-traartikulären Deformitäten sollte auch ein sagittales Ganzbeinröntgenbild an-gefertigt werden. An der Tibia wird der dorsale Abfall („slope“) beurteilt und be-trägt als anatomischer proximaler poste-riorer Tibiawinkel (aPPTW) 81° (77–84°; [25]). Da die beiden Tibiaplateaus in der sagittalen Ebene verschieden geformt sind, ist die Ausmessung des knöcher-nen slopes am Röntgenbild nicht sehr ex-akt. Aus neueren biomechanischen Un-tersuchungen wissen wir jedoch, dass ei-

Tab. 4  Korrekturausmaß bei Varusfehl-stellungen. (Mod. nach Müller [21])

Postraumatische Fehlstellung ohne OA

0–2°

VK-Bandläsion 0–2°

HK-Bandläsion (und laterale Instabilität)

2–4 (5)°

Knorpelchirurgie bei Knorpel-schaden

3–5°

Osteoarthrose Grad I und II 2–4°

Osteoarthrose Grad III und (IV) 4–6°

Abb. 1 8 Mechanische Femur- und Tibiaachsen in der Frontalebene, Mikulicz-Linie und Tibiapla-teaubreite (TPB)

Abb. 2 8 Beispiel mit 7° Varus. Ort der Defor-mität (LDFW und MPTW), Gelenklinie (GL) und Kniespaltwinkel (KSW); Deformität ist am Femur, GL an der oberen Grenze und KSW ist normal

272 |  Arthroskopie 4 · 2007

Leitthema

ne Veränderung des slopes das Rollgleit-verhalten und die Kraftverteilung des ti-biofemoralen Gelenks massiv beeinflusst [1].

Bis auf Ausnahmefälle sollte daher bei einer Umstellungsosteotomie ein physi-ologischer slope nicht verändert werden. Am Femur beträgt der anatomische pos-teriore distale Femurwinkel (aPDFW) 83° (79–87°) und gibt Auskunft über die Flexi-ons-Extensions-Stellung des distalen Fe-murs zur anatomischen Femurachse [25]. Eine Veränderung des aPDFW kann zu Beugekontrakturen oder zu einem Ge-nu recurvatum führen. Eine Beurteilung des aPDFW und aPPTW ist die Voraus-setzung, um zu erkennen, ob bei einer Beugekontraktur oder Überstreckung im Kniegelenk als Ursache nur eine Weich-teilkontraktur oder -überdehnung oder eine knöcherne Deformität oder beides vorliegen [25].

Kriterium 4 – Patellofemorales Gelenk

Das komplexe Patellofemoralgelenk stellt einen weiteren wichtigen Entscheidungs-faktor für Umstellungsosteomien dar [5]. Biomechanisch stellen das Patellagleitver-halten in der Trochlea und der Patellaan-pressdruck die entscheidenden Faktoren für das Patellofemoralgelenk dar. Der Q-Winkel als ein klinischer Parameter der

Patellagleitrichtung in der Frontalebene sollte heute durch die besser reproduzier-bare Tibia-tubercle-trochlea-groove- (TT-TG-)Distanz ersetzt werden [9, 27]. Durch die Achskorrektur kommt es immer auch zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Änderung der TT-TG-Distanz und damit zu Veränderungen der Biomechanik des Patellofemoralgelenks [31]. In Fällen mit Patellafehlgleiten auf Grund einer patho-logischen TT-TG-Distanz sollte eine Um-stellung an Femur und/oder Tibia mit ei-ner Tuberositas-tibiae-Versetzung kom-biniert in Erwägung gezogen werden [14, 19].

In der sagittalen Ebene ist die Patella-höhe ein wichtiger Faktor für die Biome-chanik des Kniegelenks [5, 33]. Hinsicht-lich der Patellahöhe sollte berücksichtigt werden, dass bei einer medial öffnenden Tibiaosteotomie proximal der Tuberosi-tas es zu einem relativen Tiefertreten der Patella kommt und eine evtl. schon vor-handene Patella baja dadurch verschlech-tert wird [30]. Dieser negative Effekt kann durch eine inverse Osteotomie an der Tu-berositas tibiae verhindert werden [12]. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass ne-ben den beschriebenen Ursachen des Pa-tellafehlgleitens in der frontalen und sa-gittalen Ebene eine Rotationsfehlstellung des Beins am Femur und/oder Tibia eine häufige Ursache für Patellaprobleme dar-stellt [31].

Zusammenfassung · Abstract

Arthroskopie 2007 · 20:270–276DOI 10.1007/s00142-007-0418-y© Springer Medizin Verlag 2007

S. Hofmann · M. Pietsch

Biomechanische Grundlagen und Indikationen bei der kniegelenknahen Osteotomie

ZusammenfassungDie Kenntnis der Biomechanik sowie die rich-tige Patientenauswahl stellen ganz entschei-dende Faktoren für den Erfolg einer Umstel-lungsosteotomie dar. Ein besseres Verständ-nis der Biomechanik unter Berücksichtung von 5 grundlegenden biomechanischen Fak-toren kann die Ergebnisse der Umstellungs-osteomien deutlich verbessern. Bei der Indi-kationsstellung ist ein standardisiertes Vor-gehen hilfreich. Neuere Erkenntnisse über Prognosefaktoren bei der Gonarthrose er-leichtern die Entscheidungsfindung. Das an-gestrebte Ziel einer kniegelenknahen Um-stellungsosteotomie bei Varus- oder Valgus-fehlstellungen sollte eine individuelle Entlas-tung des betroffenen Kompartments unter Berücksichtigung der biomechanischen Prin-zipien sein. In 10–15% der Fälle ist dieses Ziel jedoch nur mit einer Doppelosteotomie an Femur und Tibia möglich.

SchlüsselwörterKniegelenk · Umstellungsosteotomie · Patientenauswahl · Biomechanik · Doppel-osteotomien

General patient selection criteria and indications for osteotomies around the knee

AbstractBasic biomechanical principals and patient selection represent key factors for the suc-cess of osteotomies around the knee. A bet-ter understanding of biomechanics based on five basic factors may help to improve the re-sults significantly. Patient selection should be done by a standardized procedure. New findings on prognostic factors for gonarthro-sis may be helpful for decision making. The goal of osteotomies in varus or valgus de-formities is an individual decompression of the involved compartment, taking into con-sideration the basic biomechanical princi-pals. In 10–15% of the cases this goal can be achieved only by a combined double osteo-tomy of the femur and tibia.

KeywordsKnee joint · Osteotomy · Patient selection · Biomechanics · Double osteotomies

Abb. 3 8 Planung für den Patienten aus . Abb. 2 mit einer (a) schließenden und (b) öffnenden Osteotomie an der Tibia (beachte die pathologische Gelenklinie). c Lateral schließende Osteotomie am Femur mit einer physiologischen Gelenklinie (postoperatives Röntgen)

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Kriterium 5 – Rotations-fehlstellung des Beins

Beim klinischen Verdacht einer Rotati-onsfehlstellung des Beins muss dieser wei-ter abgeklärt und bei der Planung einer kniegelenknahen Umstellungsosteotomie mit berücksichtig werden [31]. Eine ent-sprechende CT-Vermessung des gesamten Beins inklusive Hüft-, Knie- und Sprung-gelenk ist dafür jedoch erforderlich [27]. Da die Kniescheibe dabei nicht in der Sa-gittallebene gleitet, kann eine Rotations-fehlstellung des Beins häufig zu einem kli-nisch relevanten Patellafehlgleiten führen. Dieses so genannte „Torsions-Malaligne-ment-Syndrom“ kann Gangstörungen und Probleme im patellofemuralen Ge-lenk erzeugen [10, 31].

Die 5 beschriebenen biomechanischen Kriterien sollten in eine Analyse bei der Planung einer Umstellungsosteotomie mit einbezogen werden. In diesem Ka-pitel werden nur kniegelenknahe Defor-mitäten und Korrekturen, die meist auf Grund einer Gonarthrose erfolgen, be-schrieben. Bei diesen Deformitäten liegt das „Center of RotationAngulation“ (CO-RA) der Deformität nahe der Gelenklinie. Korrekturen können deshalb unter Be-rücksichtigung des Orts der Deformität an den klassischen Stellen der kniegelenk-nahen Umstellungsosteotomien durch-geführt werden. Wenn jedoch die Ana-lyse der Achsfehlstellung eine Deformi-tät ergibt, die in der Diaphyse liegt, soll-te die Korrekturebene auf Höhe der CO-RA erfolgen, damit keine klinisch re-levanten Translationen entstehen [25]. Weiter müssen bei der Planung kniege-lenknaher Umstellungsosteotomien im-mer auch pathologische Veränderungen am Hüft- und/oder Sprunggelenk ausge-schlossen werden.

Patientenauswahl und Indikationsstellung

In einer aktuellen longitudinalen Stu-die über den Spontanverlauf einer Gon-arthrose bei Patienten über 45 Jahren konnte gezeigt werden, dass die Beinach-se ein wesentlicher prognostischer Faktor für den Spontanverlauf einer bereits ma-nifesten Gonarthrose darstellt [11]. Bei ei-ner Varusachse von >3° besteht ein 1,5-

mal höheres und bei einer Varusachse von >6° ein 2-mal höheres Risiko für eine Pro-gression im Vergleich zu einer normalen Beinachse mit 0–2°. Ähnliches, aber nicht so ausgeprägt, gilt für die Valgusfehlstel-lung bei der Gonarthrose.

Neben der Beinachse spielt das Alter des Patienten eine wesentliche Rolle für den Erfolg einer Umstellungsosteotomie [22]. Patienten über 60 Jahre sollte ein mi-nimalinvasiver unikondylärer Schlitten oder eine Knietototalendoprothese ange-boten werden [14]. Das heißt aber nicht, dass Patienten oberhalb dieser Altersgren-ze in Ausnahmefällen nicht doch noch ei-ne Umstellungsosteotomie bekommen können. Es sollte dafür nur eine Begrün-dung möglich sein. Umgekehrt kann bei Patienten unterhalb dieser Altersgrenze bei Vorliegen einer ausgeprägten Mono-kompartmentarthrose mit völlig aufge-brauchtem Gelenkspalt und wenig An-spruch an das Kniegelenk bereits ein mi-nimalinvasiver unikondylärer Schlitten erwogen werden.

Die richtige Auswahl der Patienten mit Achsfehlstellungen, die für eine knie-gelenknahe Umstellungsosteotomie ge-eignet sind, sollte standardisiert erfolgen [15]. Im März 2004 wurde eine Konsen-suskonferenz über die Behandlungsmög-lichkeiten der Osteoarthrose des Knie-gelenks vor der Knieendoprothese von der International Society of Arthroscopy, Knee Surgery and Orthopedic Sports Me-dicine (ISAKOS) abgehalten [28]. Basie-rend auf der Meinung führender Exper-ten enthält dieses Dokument klare Infor-mationen für die Indikationsstellung zur kniegelenknahen Umstellungsosteotomie von Patienten mit Achsenfehlstellungen (. Tab. 5).

Diese Empfehlungen der Experten-gruppe sollten bei der Patientenauswahl befolgt werden. Trotzdem kommt es vor, dass Patienten nur teilweise diese Krite-rien erfüllen und trotzdem eine Umstel-lung diskutiert werden kann. Mögliche Kandidaten sind PatientenF  jünger als 40 oder älter als 60 Jahre,F  mit einer Beugekontraktur bis 15°,F  mit Infektion in der Anamnese,F  mit ligamentärer Instabilität,F  mit patellofemoralen Schmerzen so-

wieF  extremer sportlicher Aktivität.

Schlechte Kandidaten sind Patienten mitF  einer schweren Adipositas,F  fixierter Beugekontraktur >25°,F  Arthrose sowieF  einem Zustand nach Meniskusentfer-

nung des anderen Kompartments.

Darüber hinaus ist die Identifizierung zusätzlicher Risikofaktoren bei allen Pa-tienten mit länger bestehenden Kniege-lenkschmerzen sinnvoll [15].

Zusätzliche Risikofaktoren

Neben der Achsfehlstellung stellte in der Studie von Felson et al. [11] das subchon-drale Knochenmarködem (KMÖ) in der MRT einen weiteren wesentlichen Risi-kofaktor für eine Progression der Gon-arthrose dar (. Abb. 4). Die Patienten mit einem medialen KMÖ bei Varusgon-arthrose zeigten ein 4,5-mal höheres Risi-ko für eine Progression als Patienten ohne KMÖ. Das KMÖ in der MRT beim Knie-gelenk ist jedoch prinzipiell unspezifisch, und ein Stress- oder Begleit-KMÖ bei Gonarthrose sollte differenzialdiagnos-tisch immer von einer Knochenmarkkon-tusion, Mikro- oder Stressfraktur, Früh-form einer Osteonekrose oder Begleit-KMÖ bei einer Arthritis oder einem Tu-mor unterschieden werden [16].

Die kontroverse Diskussion über den Stellenwert des patellofemoralen Gelenks für die Indikationsstellung einer Umstel-lungsosteotomie reicht von „überhaupt keine Bedeutung“ bis zu „Kontraindikati-on“. Prinzipiell sollte die Behandlung der

Tab. 5  Idealer Kandidat für Osteotomie

Isolierter medialer oder lateraler Schmerz auf Gelenkhöhe

Alter 40–60 Jahre

BMI <30

Aktiver Patient, aber kein Lauf- oder Springsport

Achsfehlstellung <15°

Metaphysärer Varus an der Tibia oder Valgus am Femur

Voller Bewegungsumfang

Normales kontralaterales und femuro-patellares Kompartment

Arthrosegrad 1–3 nach Ahlbäck

Stabiles Gelenk ohne Bandprobleme

Kein Raucher

274 |  Arthroskopie 4 · 2007

Leitthema

Patella bei der Umstellungsosteomie nach biomechanischen und klinischen Krite-rien erfolgen (s. oben).

Meniskusschäden, Bandrupturen und posttraumatische Knorpelschäden stellen eine präarthrotische Deformität dar, und eine Umstellungsosteotomie sollte bereits vor dem Auftreten einer ausgeprägten Ar-throse als präventive Maßnahme disku-tiert werden [15]. Bei diesen artikulären Pathologien sollte deshalb immer auch die mechanische Gesamtbeinachse beurteilt werden [27]. Bei einem knorpelchirur-gischen Eingriff ist die gleichzeitige Kor-rektur einer Achsfehlstellung eine wesent-liche Voraussetzung für einen längerfris-tigen Erfolg [3, 20]. In der Bandchirurgie gibt es für diese kombinierte Vorgangs-weise zwar bis heute noch nicht ausrei-chende klinische Daten, ein kombiniertes Vorgehen entspricht jedoch dem biome-chanischen Gesamtkonzept [4, 18, 23].

Insgesamt ist die Indikationsstel-lung zu einer Umstellungsosteotomie ei-ne Kombination aus morphologischen, funktionellen und bildgebenden Befun-den sowie weniger gut fassbaren persön-lichen Kriterien des Patienten (Erwar-tungshaltung, Compliance, berufliche Si-tuation und sportliche Ansprüche). Auch die Dauer der notwendigen Rehabilitation spielt hierbei als sozialer Faktor eine Rol-le. In einem ausführlichen Aufklärungsge-spräch sollte der Patient in der Lage sein, das Behandlungsprinzip und die alterna-tiven Behandlungsmethoden zu verstehen

und somit die Entscheidung zur Umstel-lungsosteotomie aktiv mit zu bestimmen.

Indikationen zur Doppelosteotomie

Um einerseits eine biomechanisch kor-rekte Achskorrektur erreichen zu kön-nen und andererseits die Gelenklinie im Normbereich zu halten, ist es in etwa 10–15% der kniegelenknahen Osteotomien notwendig, eine kombinierte femorale und tibiale Doppelosteotomie durchzu-führen [6, 7, 15, 32]. Doppelosteotomien sollten eher dem jüngeren Patienten bis etwa 50 Jahren angeboten werden. Da-nach ist eher eine Einzelosteotomie mit einem Kompromiss bei der Gelenklinie anzustreben [15]. Bei allen Patienten mit geplanten Einzelosteotomien sollte aber immer auch die Veränderung der Gelen-klinie beachtet werden. Eine Einzelosteo-tomie, die nicht am Ort der Deformität vorgenommen wird, führt immer zu einer pathologischen Gelenklinie [15, 25, 32].

Fazit für die Praxis

Die biomechanischen Grundlagen für die Umstellungsosteotomie am Kniegelenk lassen sich didaktisch mit 5 Kriterien be-schreiben. Neben der Analyse der me-chanischen Achsen in der Frontalebene müssen auch der Ort der Deformität, die Gelenklinie, die sagittale Ebene, das pa-tellofemorale Gelenk und eventuelle Ro-tationsfehlstellungen des Beins berück-sichtigt werden. Die Patientenauswahl sollte standardisiert erfolgen. Entspre-chende Richtlinien für den idealen, mög-lichen und schlechten Kandidaten kön-nen festgelegt werden. Zusätzliche pati-entenbezogene Faktoren sind bei der In-dikationsstellung ebenfalls zu berück-sichtigen.

KorrespondenzadresseDr. S. HofmannOrthopädische AbteilungAllgemeines und Orthopädisches LKH StolzalpeA-8852 StolzalpeÖ[email protected]

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