bil dungs kraft

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  • Bildungskraft und Bildungstrieb bei Kant

    Gian Franco Frigo

    Abstract : Starting with the Critique of the Power of Judgement, Kant does not onlydiscus the problem of understanding nature from within a mechanistic para-digm. Rather, he tries to develop a synthesis of determinism and finalism. Thisis because he realizes that, on one hand, some natural processes fall within therealm of matter and its laws. On the other hand, they apparently tend to realizea certain form or type, and can therefore be explained in terms of ideas ofreason. In other words, not only formative forces (Bildungskrfte), but alsoformative drives (Bildungstriebe) are at stake here. Certainly, purposivenesscannot determine phenomena, it is rather a sort of Gesetzlichkeit des Zufl-ligen which takes place at the level of the empirical laws of nature. Thusfinality can be regarded as a production-manifestation of a particular object,because finality enables us to discover the organization of the natural pheno-mena that mechanistic laws must explain.

    1. Die Grenzen der Autokratie der Materie und desNaturmechanismus1

    In der Kritik der Urteilskraft (1790) behandelt Kant das Problem desVerstndnisses der Natur nicht nur, indem er es in die mechanistischePerspektive einordnet, wie er es in der Kritik der reinen Vernunft (1781,1787), in den Prolegomena (1783) oder in den Metaphysischen Anfangs-grnden der Naturwissenschaft (1786) vorgenommen hat, sondern indemer eine mgliche Synthese zwischen Determinismus und Finalismussucht.2 Dieser Versuch beabsichtigt nicht, die Naturwissenschaft derPhnomene in eine Krise zu strzen, sondern sie in die Perspektiveeiner Produktivitt der Natur zu setzen, die die kausal-mechanistischenProzesse zur Verwirklichung (oder Wiederherstellung) einer schongegebenen Form zu fhren beabsichtigt. Das bezieht sich auf dieorganischen Produkte der Natur, die unserer Urteilskraft wie die Ver-wirklichung eines Zweckes erscheinen:

    1 Vgl. KdU 81, AA 5.421424.2 Vgl. Adickes 19241925; Schfer 1966; Butts 1986; Friedman 1992;

    Schwabe/Thom 1993; Bonsiepen 1997; Toepfer 2004 und Wahsner 2004.

  • die Natur zeigt in ihren freien Bildungen berall so viel mechanischenHang zu Erzeugung von Formen, die fr den sthetischen Gebrauch un-serer Urtheilskraft gleichsam gemacht zu sein scheinen, ohne den ge-ringsten Grund zur Vermuthung an die Hand zu geben, da es dazu nochetwas mehr als ihres Mechanisms, blo als Natur, bedrfe, wornach sieauch ohne alle ihnen zum Grunde liegende Idee fr unsere Beurtheilungzweckmig sein knnen. Ich verstehe aber unter einer freien Bildung derNatur diejenige, wodurch aus einem Flssigen in Ruhe durch Verflchtigungoder Absonderung eines Theils desselben (bisweilen blo der Wrmma-terie) das brige bei dem Festwerden eine bestimmte Gestalt oder Gewebe(Figur oder Textur) annimmt, die nach der specifischen Verschiedenheitder Materien verschieden, in eben derselben aber genau dieselbe ist.3

    Kant aber erkennt, da diese freien Bildungen, eben da sie frei sind,ihre Grundlage nicht einfach in den mechanischen Krften habenknnen, aus denen die Materie besteht, weil

    wenn [] die Ursache blo in der Materie, als einem Aggregat vielerSubstanzen auer einander, gesucht wird, die Einheit des Princips fr dieinnerlich zweckmige Form ihrer Bildung gnzlich ermangelt ; und dieAutokratie der Materie in Erzeugungen, welche von unserm Verstande nurals Zwecke begriffen werden knnen, ist ein Wort ohne Bedeutung.4

    In Wirklichkeit mu Kant hier erkennen, da die Mglichkeit zu ob-jektiv zweckmigen, die Materie betreffenden Formen absolut unls-bar fr unsere Intelligenz bleibt,

    wenn wir [d]en Urgrund der Dinge nicht als einfache Substanz und dieserihre Eigenschaft zu der specifischen Beschaffenheit der auf sie sich grn-denden Naturformen, nmlich der Zweckeinheit, nicht als die einer in-telligenten Substanz, das Verhltni aber derselben zu den letzteren (wegender Zuflligkeit, die wir an allem finden, was wir uns nur als Zweckmglich denken) nicht als das Verhltni einer Causalitt uns vorstellen.5

    Die Schwierigkeit entsteht darin, da, was ein organisiertes Produktbetrifft, einerseits der Mechanismus der Natur [] nicht zulangenkann, um sich die Mglichkeit eines organisirten Wesens darnach zudenken, sondern (wenigstens nach der Beschaffenheit unsers Erkennt-nivermgens) einer absichtlich wirkenden Ursache ursprnglich un-tergeordnet werden mu; andererseits ist es genauso wahr, da einerein finalistische Grundlage diesem Produkt ihre Natrlichkeit neh-men wrde, auf Grund wovon Mechanismus und Finalismus vereint

    3 KdU 58, AA 5.348.4 KdU 81, AA 5.421.5 Ebd.

    Gian Franco Frigo10

  • handeln mssen, damit ein Produkt entstehen kann, das ein Produkt derNatur, aber gleichzeitig auch das Resultat einer Endursache ist.6

    Mechanische Kausalitt und freie Kausalitt scheinen entgegenge-setzt, aber die positive Bedeutung ihrer mglichen Einheit liegt darin,da die teleologische Betrachtung nicht die Universalgesetze der Naturals solche ausschliet, sondern gerade indem sie sich ihrer bedient, undso der freien Bildung eine Grenze auflegt.

    2. Die Erfahrung der Natur

    Wie ist die reine Naturwissenschaft mglich, fragt sich Kant in denProlegomena. Er erkennt, da die Natur verschiedene Bedeutungen an-nimmt: sie bezeichnet nmlich

    das Dasein der Dinge, so fern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist.Sollte Natur das Dasein der an sich selbst bedeuten, so wrden wir sieniemals, weder a priori noch a posteriori, erkennen knnen.7

    Ich kann die Natur nicht a priori kennen, denn

    Mein Verstand und die Bedingungen, unter denen er allein die Bestim-mungen der Dinge in ihrem Dasein verknpfen kann, schreibt den Dingenselbst keine Regel vor; diese richten sich nicht nach meinem Verstande,sondern mein Verstand mte sich nach ihnen richten [].8

    Aber auch kann ich sie nicht a posteriori kennen,

    Denn wenn mich Erfahrung Gesetze, unter denen das Dasein der Dingesteht, lehren soll, so mten diese, so fern sie Dinge an sich selbst betreffen,auch auer meiner Erfahrung ihnen nothwendig zukommen.9

    Die Gesetze, auf die hier Bezug genommen wird, sind die in derAnalytik der Grundstze der Kritik der reinen Vernunft angegebenen.Diese Auffassung der Materie stammt direkt von der kritischen Per-spektive, nach der wir von etwas Materiellem nur dann sprechenknnen, wenn unsere Sinne von einer Wirklichkeit, die auer uns ist,verndert werden.

    Demnach gestehe ich [], da es auer uns Krper gebe, d.i. Dinge, die,obzwar nach dem, was sie an sich selbst seien mgen, uns gnzlich unbe-

    6 Vgl. KdU 81, AA 5.421 f.7 Prol. 14, AA 4.294, vgl. dazu auch Plaass 1994.8 Ebd.9 Ebd.

    Bildungskraft und Bildungstrieb bei Kant 11

  • kannt, wir durch die Vorstellungen kennen, welche ihr Einflu auf unsreSinnlichkeit uns verschafft, und denen wir die Benennung eines Krpersgeben; welches Wort also blos die Erscheinung jenes uns unbekannten,aber nichts desto weniger wirklichen Gegenstandes bedeutet.10

    Die Natur, materialiter betrachtet, ist nach Kant der Inbegriff aller Ge-genstnde der Erfahrung, whrend sie, formaliter untersucht, die Ge-setzmigkeit aller Gegenstnde und, sofern sie a priori erkannt wird,die nothwendige Gesetzmigkeit derselben ist.11 Das bedeutet, da dieObjekte der Erfahrung notwendigen Gesetzen entsprechen, weil dieseauch die Gesetze aller unserer mglichen Erfahrungen sind: die sub-jectiven Gesetze, unter denen allein eine Erfahrungskenntni vonDingen mglich ist, gelten auch von diesen Dingen als Gegenstndeneiner mglichen Erfahrung.12 Die Natur erweist sich also bestimmt alsde[r] ganze(n) Gegenstand aller mglichen Erfahrung, wobei dieBedingungen a priori von der Mglichkeit der Erfahrung zugleich dieQuellen sind, aus denen alle allgemeine Naturgesetze hergeleitet wer-den mssen.13 Der Verweis ist also auf die

    Beschaffenheit unseres Verstandes, nach welcher alle jene Vorstellungender Sinnlichkeit auf ein Bewutsein nothwendig bezogen werden, undwodurch allererst die eigenthmliche Art unseres Denkens, nmlich durchRegeln, und vermittelst dieser die Erfahrung, welche von der Einsicht derObjecte an sich selbst ganz zu unterscheiden ist, mglich ist.14

    Die Eigenschaft15 unserer Erkennungsfhigkeit bleibt eine Tatsache,die nicht weiter untersucht werden kann, da sie jedem Denken be-zglich der Objekte und somit auch sich selbst zu Grunde liegt.

    Es sind viele Gesetze der Natur, die wir nur vermittelst der Erfahrungwissen knnen; aber die Gesetzmigkeit in Verknpfung der Erschei-nungen, d.i. die Natur berhaupt, knnen wir durch keine Erfahrungkennen lernen, weil Erfahrung selbst solcher Gesetze bedarf, die ihrerMglichkeit a priori zum Grunde liegen.16

    Die Gesetze a priori sind aber nicht genug, um die Natur konkret zuerkennen, denn fr die empirische Bestimmtheit brauchen wir den

    10 Prol. , AA 4.289.11 Prol. 16, AA 4.295 f.12 Prol. 17, AA 4.296.13 Prol. 17, AA 4.297.14 Prol. 36, AA 4.318.15 Ebd.16 Ebd., 318 f.

    Gian Franco Frigo12

  • Beitrag der Erfahrung hic et nunc ; mit anderen Worten kann der Ver-stand die vielfltigen Gesetze der Natur nur erst a posteriori erkennen.

    Wir mssen [] empirische Gesetze der Natur, die jederzeit besondereWahrnehmungen voraussetzen, von den reinen oder allgemeinen Natur-gesetzen, welche, ohne da besondere Wahrnehmungen zum Grundeliegen, blos die Bedingungen ihrer nothwendigen Vereinigung in einerErfahrung enthalten, unterscheiden; und in Ansehung der letztern ist dieNatur und mgliche Erfahrung ganz und gar einerlei.17

    Wenn also das Kausalittsprinzip von der Beschaffenheit unseresVerstands und unserer Sinnlichkeit abhngt, dann sind die Gesetze, diedie verschiedenen besonderen kausalen Zusammenhnge beschreiben,auf Grund deren die konkreten natrlichen Prozesse erfolgen, nicht vonihr abzuleiten, sondern sind fr uns nur dank bestimmter Wahrneh-mungen erkennbar; richtig bleibt jedoch, da die Ordnung, mit der sieaufeinander folgen, auf die noumenale Ordnung verweist, die auf unswirkt. Diese noumenale Ordnung ist fr uns freilich unkennbar, siewird uns allerdings analog in der phnomenalen Ordnung offenbar.

    Kant fhrt den Verweis auf eine noumenale Natur ein, wenn er dasVerhltnis zwischen Mechanismus und Finalismus erklrt ; in der Kritikder Urteilskraft beruft er sich auf ein bersinnliche[s] Substrat derNatur oder auch auf ein intelligibles Substrat.18

    3. Materie als Bildungskraft

    In den Metaphysischen Anfangsgrnden ist die Materie nach Kant dasObjekt unserer ueren Sinne, und der Krper ist die Form, die sieannimmt, da sie innerhalb bestimmter Grenzen eingeschlossen ist. Diereine Naturwissenschaft hat ihre Grundlage in diesem empirischenBegriff von Materie, auch wenn sie dann erforscht, welche Kenntnisseder Verstand a priori von ihr erwerben kann.19 Nach rein metaphysischerBetrachtung ist Materie das Bewegliche im Raume20. Der Verweis aufden Raum ist in diesem Zusammenhang verstndlich, weil wir es hiermit einer sinnlichen Erfahrung zu tun haben, die unter die reine An-schauung des Raumes fllt. Es handelt sich um eine Charakterisierung

    17 Ebd., 32018 KdU 78, AA 5.416 und 81, 422.19 MAN, AA 4.469.20 Ebd., 480.

    Bildungskraft und Bildungstrieb bei Kant 13

  • der Materie, die sich nicht auf die Ausdehnung bezieht, sondern nur aufdie Bewegung, auf einen materiellen Punkt, der seine Position imRaum verndert und somit in den Bereich der Phoronomie fllt.

    In der auf die Phoronomie folgenden Dynamik wird die Materiezustzlich als das Bewegliche, sofern es einen Raum erfllt charakteri-siert.21 Dem fgt Kant hinzu: Einen Raum erfllen, heit allem Be-weglichen widerstehen, das durch seine Bewegung in einen gewissenRaum einzudringen bestrebt ist.22 Die Materie erfllt einen Raumund nimmt einen Raum ein, weil sie eine besondere bewegende Kraftbesitzt;23 diese Kraft offenbart sich als Widerstand gegenber einemanderen Beweglichen, das versucht, in den Raum des ersteren Be-weglichen einzudringen. Nur weil die Materie die raumdurchdringendeKraft ist, ist es fr uns mglich, uns in der Anschauung den Begriff einerMaterie darzustellen. Die Kraft, durch die die Materie den Raum er-fllt, dehnt sich in alle Richtungen aus. Aber eine bewegende Kraft, dieunendlich im Raum eine unendliche Gre htte, kann es nicht geben,weshalb die Ausdehnung von einer anderen Kraft entgegengewirktwird, die sie zurckdrckt.

    Die Materie erfllt ihre Rume durch repulsive Krfte aller ihrerTheile, d.h. durch eine ihr eigene Ausdehnungskraft, die einen be-stimmten Grad hat, ber den kleinere oder grere ins Unendlicheknnen gedacht werden.24 Es handelt sich hier um die beiden Krfteder Attraktion und Repulsion. Beide gehren sie zur Materie und ga-rantieren ihr die Eigenschaften der Elastizitt (expansive Kraft), derUndurchdringlichkeit (Anziehungskraft) und der Teilbarkeit.

    Bese die Materie nur Attraktionskraft, wrden alle Theile derMaterie sich ohne Hinderni einander nhern und den Raum, den dieseeinnimmt, verringern.25 Wrden die Teile der Materie nicht in einergewissen Entfernung zueinander stehen, mte das zur Folge haben,da sich alle Materie in einem mathematischen Punkt konzentrierte undder Raum folglich leer sein wrde; deshalb gibt es keine positive Kraftim Raum ohne eine negative. Als Eigenschaften der Materie wirken dieKrfte auf jeden Teil der Materie. Sie wirken nicht nur auf die Teileeines einzelnen Krpers, indem sie sie zusammenhalten und von denen

    21 Ebd., 496.22 Ebd.23 Ebd., 497.24 Ebd., 499.25 Ebd., 511.

    Gian Franco Frigo14

  • anderer Krper trennen, sondern sie wirken auch aus der Entfernungauf andere Krper, mit denen es keine Berhrung gibt, d.h. sie wirkendurch den leeren Raum.26

    Die Schwierigkeit fr unseren Verstand, sich diese Krfte vorzu-stellen, kommt daher, da sie, eben als Grundkrfte, nicht von an-deren Krften abzuleiten sind; sie geben den einzelnen Krpern Formund bilden das ganze Universum:

    Da alle gegebene Materie mit einem bestimmten Grade der repulsivenKraft ihren Raum erfllen mu, um ein bestimmtes materielles Dingauszumachen, so kann nur eine ursprngliche Anziehung im Conflict mitder ursprnglichen Zurckstoung einen bestimmten Grad der Erfllungdes Raums, mithin Materie mglich machen; es mag nun sein, da dererstere von der eigenen Anziehung der Theile der zusammengedrcktenMaterie unter einander, oder von der Vereinigung derselben mit der An-ziehung aller Weltmaterie herrhre.27

    4. Materie als Bildungstrieb

    In seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (17841791)hatte Johann Gottfried Herder die Idee eingefhrt, da die gesamteNatur, auch die sogenannte tote Natur, von einer einzigen Kraft do-miniert und durchdrungen wird. Ursprnglich ist diese Kraft dunkelund unbestimmt, doch gliedert sie sich in der Natur in die unendlicheVielfltigkeit ihrer Produkte:

    In der toten Natur liegt alles noch in einem dunkeln, aber mchtigenTriebe. Die Teile dringen mit innigen Krften zusammen; jedes Geschpfsucht Gestalt zu gewinnen und formt sich. In diesem Trieb ist noch allesverschlossen; er durchdringt aber auch das ganze Wesen unzerstrbar. []Der Trieb des Ganzen modifiziert sich [], bleibt aber noch im Ganzeneins und dasselbe; denn die Fortpflanzung ist nur Efflorezens des Wachstums ;beide Triebe sind der Natur des Geschpfs nach unabtrennbar. [] [Der]Hauptzweck [der Natur] ist offenbar, sich der organischen Form zu nhern,in der die meiste Vereinigung klarer Begriffe, der vielartigste und freiesteGebrauch verschiedener Sinne und Glieder stattfnde [] Die Teile jedesTiers stehen auf seiner Stufe in der engsten Proportion untereinander; undich glaube, alle Formen sind erschpft, in denen nur ein lebendiges Ge-schpf auf unserer Erde fortkommen konnte.28

    26 Ebd., 512.27 Ebd., 518.28 Herder 6.105 und 107 f.

    Bildungskraft und Bildungstrieb bei Kant 15

  • Herders Deutung weist gewisse hnlichkeiten mit Kants vorkritischenberzeugungen auf, ihr gegenber nimmt der Philosoph der koper-nikanischen Revolution allerdings eine doppelte Haltung ein. Einer-seits anerkennt er die universelle Gltigkeit der Kategorien des Ver-stands im Bereich der phnomenalen Natur, andererseits geht er davonaus, da bestimmte natrliche Prozesse der Erklrung nach Ideen desVerstands unterworfen sind, die deren Besonderheit hervorheben.Ersteres war, wenn auch im Grunde genommen mechanistisch ausge-drckt, schon in der Behauptung der Allgemeinen Naturgeschichte undTheorie des Himmels (1755) enthalten, wonach nmlich die Materie, dieblo leidend und der Formen und Anstalten bedrftig zu sein scheint,[] in ihrem einfachsten Zustande eine Bestrebung [hat], sich durcheine natrliche Entwicklung zu einer vollkommenern Verfassung zubilden29. Das zweite erscheint schon 1775 hinsichtlich der Betrachtungder Bildung der verschiedenen Rassen, wo Kant den Begriff derKeime und der natrlichen Anlage einfhrt, um die Bildungs- undAnpassungsprozesse einiger Organismen zu erklren:

    Die in der Natur eines organischen Krpers (Gewchses oder Thieres)liegenden Grnde einer bestimmten Auswickelung heien, wenn dieseAuswickelung besondere Theile betrifft, Keime ; betrifft sie aber nur dieGre oder das Verhltni der Theile untereinander, so nenne ich sienatrliche Anlagen. [] Diese Frsorge der Natur, ihr Geschpf durchversteckte innere Vorkehrungen auf allerlei knftige Umstnde auszurs-ten, damit es sich erhalte und der Verschiedenheit des Klima oder desBodens angemessen sei, ist bewundernswrdig [] Der Zufall, oder all-gemeine mechanische Gesetze knnen solche Zusammenfassungen nichthervorbringen. Daher mssen wir dergleichen gelegentliche Auswicke-lungen als vorgebildet ansehn.30

    Kants Aufmerksamkeit fr natrliche Prozesse, die obwohl sie in-nerhalb des Bereiches der Materie und ihrer Gesetze bleiben daraufausgerichtet zu sein scheinen, eine bestimmte Form oder einen be-stimmten Typ zu verwirklichen, wird von der zeitgenssischen Debatteber Prformationismus und Epigenese immer weiter verschrft.31

    Jenseits der theologischen Probleme, die Kant als Philosoph beiseitelt, ist er daran interessiert, ein epistemologisches Modell zu entwi-ckeln, auf Grund dessen die in der Materie wirkenden Krfte unterbestimmten Umstnden auf eine und dieselbe Weise wirken und die

    29 Allg. Naturgesch. , AA 1.263.30 Von den verschiedenen Racen, AA 2.434 f.31 Vgl. dazu Lenoir 1980 und Zumbach 1984

    Gian Franco Frigo16

  • unserer Urteilskraft wie ein finalistisches Wirken erscheinen. In dieserDebatte kommt dem Buch von Friedrich Blumenbach, ber den Bil-dungstrieb (1781, 21789) eine groe Bedeutung zu. Er fat das Prinzipoder den Trieb, nach dem sich die Organismen entwickeln, weder alsetwas Hyperphysisches noch als eine vorangegangene und starre Po-tentialitt auf, die schon von der natrlichen Ordnung vorausgesetztwird und nichts anderes tut, als sich im richtigen Moment zu aktivieren;genausowenig fat Blumenbach jenes Prinzip als eine Kraft auf, die mitdem Leben des Individuums identisch ist, wie etwa die vis essentialis vonCaspar Friedrich Wolff. Dieser hatte nmlich in seiner Theoria genera-tionis (1759) behauptet:

    Wie nun auch diese Kraft beschaffen sein mag, sei es, dass sie eine anziehende,oder eine antreibende, sei es, dass sie der ausgedehnten Luft ihre Entste-hung verdanke, oder dass sie aus all diesen und noch anderen Factorenzusammengesetzt sei, jedenfalls leistet sie die angefhrten Wirkungen ( 1) undmuss angenommen werden, sobald man den Pflanzen ernhrende Sfte zuspricht,was ja durch die Erfahrung erwiesen wird ( 1). [] und ich werde diese Kraftals wesentliche Kraft (vis essentialis) der Pflanze bezeichnen.32

    Bei Blumenbachs Bildungstrieb handelt es sich dagegen um eineFunktion oder Kraft im Inneren des Organisierungsprozesses, welcheselbst im Werden begriffen ist und sich den verschiedenen Situationenanpat, obwohl sie auch stets danach strebt, den unternommenenProze nach einem bestimmten Modell zu vollenden, das nicht me-chanisch kopiert oder geprgt ist:

    Da keine prformirten Keime existieren: sondern da in dem vorherrohen ungebildeten Zeugungsstoff der organisierten Krper nachdem er zuseiner Reife und an den Ort seiner Bestimmung gelangt ist, ein besonderer,dann lebenslang thtiger Trieb rege wird, ihre bestimmte Gestalt anfangsanzunehmen, dann lebenslang zu erhalten, und wenn sie ja etwa ver-stmmelt worden, wo mglich wieder herzustellen. Ein Trieb, der folglichzu den Lebenskrften gehrt, der aber eben so deutlich von den brigenArten der Lebenskraft der organisirten Krper (der Contractilitt, Irrita-bilitt, Sensibilitt etc) als von den allgemeinen physischen Krften derKrper berhaupt, verschieden ist ; der die erste wichtigste Kraft zu allerZeugung, Ernhrung, und Reproduktion zu seyn scheint, und den manum ihn von anderen Lebenskrften zu unterscheiden, mit dem Nahmendes Bildungstrieb (nisus formativus) bezeichnen kann.33

    32 Wolff 1759, 4, 12.33 Blumenbach 1789, 24 f.

    Bildungskraft und Bildungstrieb bei Kant 17

  • Die Anerkennung dafr, da Blumenbach das wesentliche Problem desVerhltnisses zwischen Mechanismus und Finalismus in der Natur be-rhrt, liefert Kant in der Kritik der Urteilskraft:

    Denn da rohe Materie sich nach mechanischen Gesetzen ursprnglichselbst gebildet habe, da aus der Natur des Leblosen Leben habe ent-springen und Materie in die Form einer sich selbst erhaltenden Zweck-migkeit sich von selbst habe fgen knnen, erklrt er [d. h. Blumenbach,GFF] mit Recht fr vernunftwidrig; lt aber zugleich dem Naturme-chanism unter diesem uns unerforschlichen Princip einer ursprnglichenOrganisation einen unbestimmbaren, zugleich doch auch unverkennbarenAntheil, wozu das Vermgen der Materie (zum Unterschiede von der ihrallgemein beiwohnenden blo mechanischen Bildungskraft) von ihm ineinem organisirten Krper ein (gleichsam unter der hheren Leitung undAnweisung der ersteren stehender) Bildungstrieb genannt wird.34

    Die Grenze der rein mechanistischen Auffassung der Natur wird vonKant in der Kritik der Urteilskraft anerkannt, indem er mit der Urteilskraftein Mittelglied zwischen Verstand und Vernunft angibt,35 auf dasunsere Urteile ber das Schne und das Erhabene, sowie unsere te-leologische Interpretation von bestimmten natrlichen Prozessen zu-rckzufhren sind.36 Kant anerkennt nmlich, da

    wir die organisirten Wesen und deren innere Mglichkeit nach blo me-chanischen Principien der Natur nicht einmal zureichend kennen lernen,viel weniger uns erklren knnen; und zwar so gewi, da man dreistsagen kann: es ist fr Menschen ungereimt, auch nur einen solchen An-schlag zu fassen, oder zu hoffen, dass noch etwa dereinst ein Newtonaufstehen knne, der auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach Na-turgesetzen, die keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde;sondern man mu diese Einsicht den Menschen schlechterdings abspre-chen.37

    Wenn ein organisiertes Naturprodukt dadurch gekennzeichnet ist, dain ihm alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist, dann ist offen-sichtlich, da es nicht nur unter einer Ursache effizienter Art, sondernauch unter einer Ursache teleologischer Art denkbar ist, so da einDing, welches als Naturproduct doch zugleich nur als Naturzweckmglich erkannt werden soll, sich zu sich selbst wechselseitig als Ur-sache und Wirkung verhlt.38 Nun unterscheidet Kant in der Analytik

    34 KdU 81, AA 5.424.35 Vgl. KdU 1. Vorrede, AA 5.168.36 Vgl. Rang 1993; Flach 1997 und Obermeier 1997.37 KdU 75, AA 5.400.38 KdU 65, AA 5.372.

    Gian Franco Frigo18

  • der Urteilskraft zwei Arten von Zwecken, d. h. einen ueren, der dasVerhltnis vom Mittel zum Zweck zwischen zwei uerlichen Entittenanzeigt, und einen inneren, der sich verwirklicht, wenn ein Ding vonsich selbst (obgleich in zweifachem Sinne) Ursache und Wirkung ist.39

    Zu einem Dinge als Naturzwecke wird nun erstlich erfordert, da die Theile(ihrem Dasein und der Form nach) nur durch ihre Beziehung auf das Ganzemglich sind. Denn das Ding selbst ist ein Zweck, folglich unter einemBegriff oder einer Idee befat, die alles, was in ihm enthalten sein soll, apriori bestimmen mu [] Soll aber ein Ding als Naturproduct in sich selbstund seiner innern Mglichkeit doch eine Beziehung auf Zwecke erhalten,d.i. nur als Naturzweck und ohne die Causalitt der Begriffe von ver-nnftigen Wesen auer ihm mglich sein: so wird zweitens dazu erfordert:da die Theile desselben sich dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden,da sie von einander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind.Denn auf solche Weise ist es allein mglich, da umgekehrt (wechselseitig)die Idee des Ganzen wiederum die Form und Verbindung aller Theilebestimme: nicht als Ursache denn da wre es ein Kunstproduct , son-dern als Erkenntnigrund der systematischen Einheit der Form und Ver-bindung alles Mannigfaltigen, was in der gegeben Materie enthalten ist, frden, der es beurtheilt.40

    Nun ist das Naturprodukt in jeder Hinsicht Naturzweck, da es, wieKant anhand des Beispiels des Baumes zeigt,41 Ursache und Wirkungseiner selbst ist. Naturzweck ist das Naturprodukt in erster Linie hin-sichtlich der Gattung, d. h. das Individuum ist nicht nur ihre Wirkung,sondern zugleich ihre Ursache, weil sich im Individuum die Gattungverewigt; in zweiter Linie als Individuum durch das Wachstum, durchdas die Materie zuerst verwandelt wird, um dann vom Individuumangeeignet werden zu knnen; in dritter Linie, da sich im Organismusder Teil des Ganzen entwickelt und die Selbsterhaltung des Organismusseinerseits von diesem Ganzen abhngt und dieses wiederum vomTeil.42 Whrend nmlich in einer Maschine Kant gibt in diesemZusammenhang das Beispiel einer Uhr ein Teil nicht das Ganzeproduziert, sondern nur ein Werkzeug der Bewegung der anderen Teileist, weshalb die hervorbringende Ursache des Produktes der Maschineselbst uerlich ist, ist das organische Produkt umgekehrt organisiertesund sich selbst organisierendes Wesen.43

    39 KdU 64, AA 5.370.40 KdU 65, AA 5.373.41 Vgl. dazu den Beitrag von Tobias Cheung in diesem Band.42 Vgl. KdU 64, AA 5.371.43 KdU 65, AA 5.374.

    Bildungskraft und Bildungstrieb bei Kant 19

  • In den nachgelassenen Papieren des Opus postumum wird Kant dannnoch klarer herausstellen, da ein ein organischer Krper ist, an demdie Idee des Ganzen vor der Mglichkeit seiner Theile in Ansehungihrer bewegenden Krfte vorhergeht44, oder mit anderen Worten, einorganischer Krper ist der, dessen jeder Theil absolute Einheit desPrincips der Existenz und Bewegung aller brigen seines Ganzen ist45.

    Der Kantische Begriff der Zweckmigkeit stellt, da er kein be-stimmendes Prinzip des Verstands ist, er ist ja keine Kategorie, eineForm der Gesetzlichkeit des Zuflligen46 dar, die sich auf die Ord-nung der empirischen Gesetze der Natur bezieht; vor allem aber beziehtsie sich auf die besondere Ordnung der kausalen Prozesse in einemOrganismus als einzelnem Objekt der Natur. In einem Organismuswerden nmlich die einzelnen kausalen Ketten auf eine ganz bestimmteWeise als miteinander verbunden gedacht, d. h. auf eine Weise, die sichim Gegensatz zu vielen anderen zuflligen Kombinationen zu behaup-ten wei. Nach Kant ist nun die Koordinierung von kausalen Ketten ineiner ordentlichen Einheit fr uns denkbar, indem man sich einer Ideebedient, die eine gegenseitige Verbindung der einzelnen Faktorenherstellt. Tatschlich kann nur eine solche Idee von einem Ganzen dieVerknpfung der Teile begrnden.47 Nun lt sich aber diese Ver-knpfung der Teile nur mechanisch denken. Es entsteht damit konkretdas Beispiel des einheitlichen Wirkens zweier ganz verschiedenerArten von Causalitt:

    Die Mglichkeit einer solchen Vereinigung zweier ganz verschiedenerArten von Causalitt, der Natur in ihren allgemeinen Gesetzmigkeit miteiner Idee, welche jene auf eine besondere Form einschrnkt, wozu sie frsich gar keinen Grund enthlt, begreift unsere Vernunft nicht; sie liegt imbersinnlichen Substrat der Natur, wovon wir nichts bejahend bestimmenknnen, als da es das Wesen an sich sei, von welchem wir blo dieErscheinung kennen. Aber das Princip: alles, was wir als zu dieser Natur(Phaenomenon) gehrig und als Product derselben annehmen, auch nachmechanischen Gesetzen mit ihr verknpft denken zu mssen, bleibt nichtdesto weniger in seiner Kraft : weil ohne diese Art von Causalitt orga-nisirte Wesen, als Zwecke der Natur, doch keine Naturproducte seinwrden.48

    44 OP, AA 21.569.45 Ebd., 210.46 KdU 76, AA 5.404.47 KdU 77, AA 5.408.48 KdU 81, AA 5.422.

    Gian Franco Frigo20

  • Die Zweckmigkeit lt sich als eine irgendwie offenbar gewordeneErzeugung eines besonderen Objektes betrachten, sofern sie es nmlichmglich macht, die Organisation der natrlichen Prozesse zu erken-nen, wobei die mechanistischen Bestimmungen erklren. Das fina-listische und das mechanistische Modell konkurrieren somit nicht mit-einander, sofern das erstere Modell nicht nur auf bestimmte Perspek-tiven der Naturforschung bezogen werden kann. Vielmehr ist diesesModell wegen der Erkenntnis des Organismus, das ein Produkt natr-licher Krfte ist, wesentlich unverzichtbar.49 Die Teleologie luft alsokeineswegs auf eine Ablehnung von Kausalitt und anderen Erkenntniskonstituierenden Prinzipien hinaus, sondern sie fhrt zu einem erwei-terten Verstndnis einer besonderen Struktur von kausalen Prozessen.Ihr Wert wird indirekt dadurch besttigt, da sie in bezug auf dieStruktur unseres Verstands lediglich ein reflektierender Begriff ist ; mitanderen Worten, fr eine Intelligenz, die nicht mit der Sinnlichkeitverbunden ist, htte die Teleologie gar keine entscheidende Funktion.Dies erlutert Kant folgendermaen:

    Es ist daher vernnftig, ja verdienstlich, dem Naturmechanism zum Behufeiner Erklrung der Naturproducte soweit nachzugehen, als es mitWahrscheinlichkeit geschehen kann, ja diesen Versuch nicht darum auf-zugeben, weil es an sich unmglich sei auf seinem Wege mit der Zweck-migkeit der Natur zusammenzutreffen, sondern nur darum, weil es fruns als Menschen unmglich ist ; indem dazu eine andere als sinnlicheAnschauung und ein bestimmtes Erkenntni des intelligibelen Substrats derNatur, woraus selbst von dem Mechanism der Erscheinungen nach be-sonderen Gesetzen Grund angegeben werden knne, erforderlich seinwrde, welches alles unser Vermgen gnzlich bersteigt.50

    5. Schlubemerkung

    Dieser kurze Exkurs hat versucht zu zeigen, da die Kantische Auffas-sung der Materie eine Erweiterung der rein mechanistischen Erklrungder natrlichen Prozesse mit sich bringt. Wenn nmlich nur dort ma-terielle Krper empirisch gegeben sind, wo es eine bestimmte Erfllungdes Raumes gibt, dann ist das nur mglich, wenn man die Handlungvon einander entgegenwirkenden bewegenden Krften (Anziehungs-und Zurckstoungskraft) voraussetzt. Diese knnen jedoch als Grund-

    49 KdU 64, AA 5.370.50 KdU 80, AA 5.418.

    Bildungskraft und Bildungstrieb bei Kant 21

  • krfte, die die Mglichkeit unserer sinnlichen Intuitionen selbst be-grnden, nicht empirisch erkannt werden. Das bedeutet, da die ph-nomenale Welt auf einem bersinnlichen Substrat ruht, das nicht ge-leugnet werden kann, obwohl es sich unserem mit der Sinnlichkeitverbundenen Erkennungsvermgen entzieht.

    Eine weitere Besttigung fr dieses ungleiche Verhltnis zwischenSinnlichem und bersinnlichem wird von der Beschaffenheit unseresVerstandes geliefert: dieser sichert nmlich der Vielfltigkeit der empi-rischen Welt Einheit, grndet aber nicht die Ordnung, der der Verstanddie konkreten natrlichen Prozesse unterordnet, denn das verwiese aufeine Ordnung, die nicht nur phnomenal sein kann, sondern die wirauch als noumenal voraussetzen mssen.

    Auerdem erkennt Kant unter dem Einflu der epistemologischenDebatte ber den Ursprung und die Entwicklung der lebendigen Or-ganismen, da es fr unser Erkenntnisvermgen vernunftwidrig ist, dieLebewesen von toter Materie abzuleiten, da sie sich nicht nur als Pro-dukte der Naturgesetze uern, sondern auch, auf Grund der Gestallt,die sie annehmen und weitergeben knnen, als Naturzwecke, also alsResultate von Naturkrften, die nach unserem Verstand mit Absichthandeln. So versucht Kant, in der Kritik der Urteilskraft ein epistemo-logisches Modell zu erstellen, das es ermglicht, ein Naturprodukt auchals Naturzweck zu denken, ohne den unersetzlichen Erkenntniswert desMechanismus aufzugeben und ohne die lebenden Organismen aufKunstprodukte herunterstufen zu mssen. Die Freiheit, die ihnen eineteleologische Betrachtung zuerkennt, unterdrckt nach Kant nicht dieNotwendigkeit der mechanischen Gesetze, denn nur dank dieser blei-ben sie natrlich und gehen nicht zur Knstlichkeit oder zum Chaosber. Die Zweckmigkeit ist also jene Form, die dem ZuflligenGesetzmigkeit verleiht, whrend der Mechanismus der freien Bil-dung der Naturkrfte eine Grenze stellt. Wie man sieht, begreift Kantdie Zweckmigkeit nicht als Ursache sondern als Erkenntnigrundder natrlichen Wesen. Das bedeutet, da sich Mechanismus und Fi-nalismus absolut nicht in der Interpretation der natrlichen Prozesseausschlieen, sondern da sie zwei Perspektiven von verschiedenemepistemologischem Wert darstellen, beide garantiert von jenem intel-ligible[n] Substrat der Natur,51 das nicht aufhrt zu handeln, wenn essich auch nicht von unserem Verstand einfangen lt.

    51 KdU 78, AA 5.416.

    Gian Franco Frigo22

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