bewertungsorientierte untersuchung von wasser – analytik der zukunft?

2
Forum Bewertungsorientierte Untersuchung von Wasser - Analytik der Zukunft? U. Obst" Die chemische Spurenanalytik zum Nachweis von Wasserin- haltsstoffen in niedrigen Konzentrationsbereichen erlebte in den letzten 20 Jahren einen ungeheuren Aufschwung. Die Festlegung immcr niedrigerer Grenzwerte und die gewachsenen Anforderun- gen an die Wasseruberwachung induzierten die Entwicklung und Etablierung einer Vielzahl entsprechender Verfahren, oft auf der Basis von Anreicherungen mit nachfolgender chromatographischer Trennung und abschlieBender Detektion der getrennten Verbindun- gen. Zu Recht konnen die Analytiker auf diesen, vor Jahren nicht in diesem Umfang erwarteten Erfolg stolz sein. Es erhebt sich allerdings die Frage, ob im Zuge immer neuer und sensitiverer Entwicklungen zum Nachweis von Einzelsubstan- zen nicht der eigentliche Sinn solcher Analysen verloren gegangen ist. Der Sinn und Zweck der Wasseranalytik besteht doch zweifels- ohne darin, Stoffe und Vorglnge zu entdecken, die der Umwelt rnit ihren lebenden Bestandteilen (inklusive des Menschen) kurz- oder (in zunehmendem MaBe) langfristig schaden konnen. Schaden oder Nutzen in diesem Zusammenhang laBt sich allerdings nur an den betroffenen Lebewesen herausfinden, muB also den biologischen Aspekt einbeziehen. 1st in diesem Sinn ein Fortschritt bei der Un- tersuchung von Wasser zu verzeichnen? Die Antwort lautet leider nein - von wenigen Ausnahmen abgesehen. Viele analytische Chemiker sind offensichtlich voilig damit be- schiftigt, immer neue Substanzen in immer niedrigeren Konzentrd- tionsbereichen aufzuspuren. Etliche Biologen dagegen versuchen hektisch. bereits bestehende biologische Verfahren durch verschie- dene. manchmal auch die naturwissenschaftlichen Grundlagen ignorierende Tricks zu optimieren und sensitivieren. Auch der Ruf nach Beendigung neuer Entwicklungen und nach einer Riickbesin- nung auf bereits etablierte und geregelte Methoden erschallt. In der Tat: eine ganze Reihe erprobter biologischer Methoden wie die sog. Biotests nach Abwasserabgabengesetz [I] existiert seit Jahren und wird vielfach angewandt. Allerdings haben sich in den letzten Jahren die Probleme verindert, die der Einfiihrung vieler Methoden fiir die Gewisseruntersuchung zugrunde lagen. Nur in Ausnahmefillen treten hierzulande noch akut toxische Wirkungen in Gewissern auf. Konnen wir also beruhigt die Hande in den SchoB legen? Si- cherlich nicht, denn es werden - wiederum dank der Spurenanaly- tik ~ inimer neue mogliche Probleme bekannt. So wurde eine Reihe bekannter pharmakologischer Wirkstoffe im Wasser gefun- den, jedoch in Konzentrdtionen, die nach der bisherigen humanto- xikologischen Kenntnis keine Wirkungen erwarten lassen [2,3]. Eine Aussage zum Umweltverhalten dieser Stoffe ist bislang nicht moglich. Sind beispielsweise bei Stoffgemischen oder bei langfristi- gen Expositionen biologische Effekte zu erwarten? Auch Argu- mente, daR bislang toxikologisch unverdichtige Konzentrationen oder Substanzen vielleicht doch langfristig Schaden anrichten kon- lien, warten noch darauf, untermauert oder entkraftet zu werden. * Dr. Ursula Obst, WFM Wasserforschung Mainz GmbH, Rhein- allee 41, D-551 18 Mainz, Germany E-Mail: 061 3 1 [email protected] Die Antworten auf diese Fragen lassen sich weder mit der Spuren- analytik noch rnit den gangigen ,,Biotests" gewinnen. Wo zeichnet sich eine Losung ab? Die Bewaltigung der heutigen Problemstellungen braucht neue Untersuchungskonzepte, bei de- nen sich Biologie und Chemie schrittweise annahern miissen. Ne- ben einem zumindest minimalen fachlichen Verstandnis fureinan- der, das bereits wahrend der Ausbildung gelegt werden sollte, mus- sen sich die Fachleute auf die gesamte Bandbreite ihres jeweiligen Fachs besinnen und gleichzeitig uber die fachlichen Grenzen (und Scheuklappen) hinausblicken. Was kann die Chemie hierzu leisten? Die theoretische Korrela- tion molekularer Strukturen rnit moglichen toxischen Wirkungen war bei der praktischen Anwendung in der Wasseranalytik bislang leider nicht sehr erfolgreich [4]. Erste gute Erfolge brachte jedoch die Speziation von umweltrelevanten Schwermetallen [S]. Wichtige Erkenntnisse fur die Beantwortung der zentralen Frage nach der Abbaubarkeit oder Schadlichkeit einer Substanz verspricht e k e bislang erstaunlicherweise vernachlassigte Variation der Einzel- stoffanalytik unter Einbeziehung chiralcr und anderer biologisch wichtiger stereochemischer Eigenschaften [6]. Was kann die Biologie beitragen? Die mit der Bestimmung der Wasserqualitat befaBten Biologen mussen sich auf stoff- oder wir- kungsspezifische Reaktionen in Organismen, Organen oder Zellen besinnen, wenn sie neben den biologischen oder gar okologischen Auswirkungen auch wirklich den verursachenden Agenzien auf die Spur kommen wollen [7]. Eine Erhebung sehr allgemeiner biologi- scher Parameter wie Wachstum, Tod oder Atmungsaktivitat reicht zur Beantwortung solcher Fragen nicht mehr aus. Daneben solltc die Fihigkeit zu spezifischen Kopplungsreaktionen rnit umweltrele- vanten Liganden von solchen biologischen Makromolekulen ausge- nutzt werden, die strategisch wichtige Positionen in biologischen Signalketten und damit Wirkungsablaufen innehaben. Erste An- sitze sind Rezeptortests [8], denen unbedingt weitere Entwicklun- gen folgen mussen. Kombinationen biologischer oder biochemi- scher Testverfahren mit chemischer Analytik, wie beispielsweise eine aflinititschromatographische Anreicherung unter Verwendung solcher Bindeproteine rnit anschlieRender strukturchemischer De- tektion oder wie eine intelligente chemisch-physikalische Fraktio- nierung von Umweltproben mit anschlieoenden Wirkungstests [9- I I] sind erfolgversprechende Perspektiven. Wenn diese ersten Schritte, die bereits in einzelnen Arbeitsgrup- pen entwickelt oder in Expertengremien beraten werden, nicht baldmoglichst von Gesetzgeber, Behorden und anderen Anwendern aufgegriffen werden, ist eine grundlegende Verbesserung und An- passung der analytischen Aussagekraft bezuglich der heutigen Fra- gestellungen nicht zu erwarten. Wenn nicht schnellstens eine Neu- orientierung - sowohl in den Kopfen als auch in der Praxis - erfolgt, verspielen und verschlafen wir die Moglichkeiten einer zu- kunftsorientierten Wasseranalytik. Literat u rverzeic h nis [l] Gesetz iiber Abgdben fur das Einleitcn von Abwasser in Gewisser (Abwasserabgabengesetz - AbwAG) vom 5. Marz 1987, BGBI. I, 880 (1987). Acta hydrochim. hydrobiol. 25 (1997) I m-m 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-69451 Weinheim. 1997 0323-4320/97/0101-0041 $ 10.00+.25/0 m

Upload: dr-u-obst

Post on 06-Jun-2016

217 views

Category:

Documents


3 download

TRANSCRIPT

Page 1: Bewertungsorientierte Untersuchung von Wasser – Analytik der Zukunft?

Forum

Bewertungsorientierte Untersuchung von Wasser - Analytik der Zukunft?

U. Obst"

Die chemische Spurenanalytik zum Nachweis von Wasserin- haltsstoffen in niedrigen Konzentrationsbereichen erlebte in den letzten 20 Jahren einen ungeheuren Aufschwung. Die Festlegung immcr niedrigerer Grenzwerte und die gewachsenen Anforderun- gen an die Wasseruberwachung induzierten die Entwicklung und Etablierung einer Vielzahl entsprechender Verfahren, oft auf der Basis von Anreicherungen mit nachfolgender chromatographischer Trennung und abschlieBender Detektion der getrennten Verbindun- gen. Zu Recht konnen die Analytiker auf diesen, vor Jahren nicht in diesem Umfang erwarteten Erfolg stolz sein.

Es erhebt sich allerdings die Frage, ob im Zuge immer neuer und sensitiverer Entwicklungen zum Nachweis von Einzelsubstan- zen nicht der eigentliche Sinn solcher Analysen verloren gegangen ist. Der Sinn und Zweck der Wasseranalytik besteht doch zweifels- ohne darin, Stoffe und Vorglnge zu entdecken, die der Umwelt rnit ihren lebenden Bestandteilen (inklusive des Menschen) kurz- oder (in zunehmendem MaBe) langfristig schaden konnen. Schaden oder Nutzen in diesem Zusammenhang laBt sich allerdings nur an den betroffenen Lebewesen herausfinden, muB also den biologischen Aspekt einbeziehen. 1st in diesem Sinn ein Fortschritt bei der Un- tersuchung von Wasser zu verzeichnen? Die Antwort lautet leider nein - von wenigen Ausnahmen abgesehen.

Viele analytische Chemiker sind offensichtlich voilig damit be- schiftigt, immer neue Substanzen in immer niedrigeren Konzentrd- tionsbereichen aufzuspuren. Etliche Biologen dagegen versuchen hektisch. bereits bestehende biologische Verfahren durch verschie- dene. manchmal auch die naturwissenschaftlichen Grundlagen ignorierende Tricks zu optimieren und sensitivieren. Auch der Ruf nach Beendigung neuer Entwicklungen und nach einer Riickbesin- nung auf bereits etablierte und geregelte Methoden erschallt.

In der Tat: eine ganze Reihe erprobter biologischer Methoden wie die sog. Biotests nach Abwasserabgabengesetz [ I ] existiert seit Jahren und wird vielfach angewandt. Allerdings haben sich in den letzten Jahren die Probleme verindert, die der Einfiihrung vieler Methoden fiir die Gewisseruntersuchung zugrunde lagen. Nur in Ausnahmefillen treten hierzulande noch akut toxische Wirkungen in Gewissern auf.

Konnen wir also beruhigt die Hande in den SchoB legen? Si- cherlich nicht, denn es werden - wiederum dank der Spurenanaly- tik ~ inimer neue mogliche Probleme bekannt. So wurde eine Reihe bekannter pharmakologischer Wirkstoffe im Wasser gefun- den, jedoch in Konzentrdtionen, die nach der bisherigen humanto- xikologischen Kenntnis keine Wirkungen erwarten lassen [2,3]. Eine Aussage zum Umweltverhalten dieser Stoffe ist bislang nicht moglich. Sind beispielsweise bei Stoffgemischen oder bei langfristi- gen Expositionen biologische Effekte zu erwarten? Auch Argu- mente, daR bislang toxikologisch unverdichtige Konzentrationen oder Substanzen vielleicht doch langfristig Schaden anrichten kon- lien, warten noch darauf, untermauert oder entkraftet zu werden.

* Dr. Ursula Obst, WFM Wasserforschung Mainz GmbH, Rhein- allee 41, D-551 18 Mainz, Germany E-Mail: 061 3 1 [email protected]

Die Antworten auf diese Fragen lassen sich weder mit der Spuren- analytik noch rnit den gangigen ,,Biotests" gewinnen.

Wo zeichnet sich eine Losung ab? Die Bewaltigung der heutigen Problemstellungen braucht neue Untersuchungskonzepte, bei de- nen sich Biologie und Chemie schrittweise annahern miissen. Ne- ben einem zumindest minimalen fachlichen Verstandnis fureinan- der, das bereits wahrend der Ausbildung gelegt werden sollte, mus- sen sich die Fachleute auf die gesamte Bandbreite ihres jeweiligen Fachs besinnen und gleichzeitig uber die fachlichen Grenzen (und Scheuklappen) hinausblicken.

Was kann die Chemie hierzu leisten? Die theoretische Korrela- tion molekularer Strukturen rnit moglichen toxischen Wirkungen war bei der praktischen Anwendung in der Wasseranalytik bislang leider nicht sehr erfolgreich [4]. Erste gute Erfolge brachte jedoch die Speziation von umweltrelevanten Schwermetallen [ S ] . Wichtige Erkenntnisse fur die Beantwortung der zentralen Frage nach der Abbaubarkeit oder Schadlichkeit einer Substanz verspricht e k e bislang erstaunlicherweise vernachlassigte Variation der Einzel- stoffanalytik unter Einbeziehung chiralcr und anderer biologisch wichtiger stereochemischer Eigenschaften [6].

Was kann die Biologie beitragen? Die mit der Bestimmung der Wasserqualitat befaBten Biologen mussen sich auf stoff- oder wir- kungsspezifische Reaktionen in Organismen, Organen oder Zellen besinnen, wenn sie neben den biologischen oder gar okologischen Auswirkungen auch wirklich den verursachenden Agenzien auf die Spur kommen wollen [7]. Eine Erhebung sehr allgemeiner biologi- scher Parameter wie Wachstum, Tod oder Atmungsaktivitat reicht zur Beantwortung solcher Fragen nicht mehr aus. Daneben solltc die Fihigkeit zu spezifischen Kopplungsreaktionen rnit umweltrele- vanten Liganden von solchen biologischen Makromolekulen ausge- nutzt werden, die strategisch wichtige Positionen in biologischen Signalketten und damit Wirkungsablaufen innehaben. Erste An- sitze sind Rezeptortests [8], denen unbedingt weitere Entwicklun- gen folgen mussen. Kombinationen biologischer oder biochemi- scher Testverfahren mit chemischer Analytik, wie beispielsweise eine aflinititschromatographische Anreicherung unter Verwendung solcher Bindeproteine rnit anschlieRender strukturchemischer De- tektion oder wie eine intelligente chemisch-physikalische Fraktio- nierung von Umweltproben mit anschlieoenden Wirkungstests [9- I I ] sind erfolgversprechende Perspektiven.

Wenn diese ersten Schritte, die bereits in einzelnen Arbeitsgrup- pen entwickelt oder in Expertengremien beraten werden, nicht baldmoglichst von Gesetzgeber, Behorden und anderen Anwendern aufgegriffen werden, ist eine grundlegende Verbesserung und An- passung der analytischen Aussagekraft bezuglich der heutigen Fra- gestellungen nicht zu erwarten. Wenn nicht schnellstens eine Neu- orientierung - sowohl in den Kopfen als auch in der Praxis - erfolgt, verspielen und verschlafen wir die Moglichkeiten einer zu- kunftsorientierten Wasseranalytik.

Literat u rverzeic h nis [l] Gesetz iiber Abgdben fur das Einleitcn von Abwasser in Gewisser

(Abwasserabgabengesetz - AbwAG) vom 5. Marz 1987, BGBI. I, 880 (1987).

Acta hydrochim. hydrobiol. 25 (1997) I m-m 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-69451 Weinheim. 1997 0323-4320/97/0101-0041 $ 10.00+.25/0 m

Page 2: Bewertungsorientierte Untersuchung von Wasser – Analytik der Zukunft?

[2] Stun, H.-J., Heberer; Z, Linkerhagner; M.: Vorkommen von Clofi- brinsaure im aquatischen System - Fuhrt die therapeutische An- wendung zu einer Belastung von Oberflachen-, Grund- und Trink- wasser? Vom Wasser 83, 57- 68 (1994).

[3] Hirsch, R., Ternes, T. A., Haberer, K. , Kratz, K.-L.: Nachweis von Betablockern und Bronchospasmolytika in der aquatischen Umwelt. Vom Wasser 87, 263-274 (1996).

[4] Schmidt, Ch., Schnubl, H.: Stoffbezogene Struktur-Wirkungsbe- ziehungen bei Biotesten. Vorn Wasser 70, 21-32 (1988).

[5] Jantzen, E., Kuballa, J., Wilken, R.-D.: Muster zinnorganischer Verbindungen in der Elbe. Vom Wasser 80, 245-252 (1993).

[6] Kohler, H.-R E., Zipper-Duss, Ch., Nickel, K.: Umweltdynamik chiraler Schadstoffe - die Notwendigkeit einer Stereoisomeren- spezifischen Betrachtung. Vortrag bei der GDCh-Tagung ,,Urn- welt und Chemie", Spezialsymposium B ,,Biochemische Analytik irn aquatischen Bereich", 7 . ~ 1 0 . Oktober 1996, Ulm.

[7] Arbeitskreis ,,Biochemische Arbeitsmethoden" im HauptausschuR I11 ,,Natunvissenschaftliche Grundlagen" der Fachgruppe Wasser-

1I

11

chemie in der GDCh (Hrsg.): Biochemische Verfahren fur die Be- urteilung des biologischen Gewasserzustands. Fachgruppe Was- serchemie, Karlsruhe, 1995.

[8] Hock, B., Obst, U., Weins, C.: Wirkungsbezogene Analytik. Vor- trag bei der GDCh-Tagung ,,Urnwelt und Chemie", Spezialsym- posium B ,,Biochernische Analytik im aquatischen Bereich", 7.- 10. Oktober 1996, Ulm.

[9] Weins, C., Jork, H.: Toxikologische Bewertung von Schadstoffen in der Trinkwasseranalytik durch enzymatische in-situ-Detektion in der Diinnschichtchromatographie. Vom Wasser 83, 279-288 (1994). Eberz, G., Rust, H.-G., Burger; K., Kreiss, W , Weisemann, C.: Bioactivity screening by chromatography-bioluminescence cou- pling. Chromatographia 43, 5-9 (1996). Klinkow, N., Jekel, M.: Untersuchung der Fraktionierung von Ger- bereiabwasser mittels Festphasen-Extraktion und Toxizitatsdetek- tion. Poster bei der GDCh-Tagung ,,Urnwelt und Chemie", 7.-10. Oktober 1Y96, Ulm.

m Acta hydrochim. hydrobiol. 2S (1997) I m -m