bestechung: wenn der zufall auf sich warten lässt

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Ein Artikel von Uli Reiter, der mit Hilfe der soziologischen Systemtheorie nach Niklas Luhmann Bestechung als funktionales Äquivalent für Zufall beschreibt.Der Artikel erschien erstmals in der Revue für postheroisches Management /Heft 6.Siehe auch das Buch des Autors Uli Reiter zum selben Thema: http://www.laermende-geschenke.de

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Page 1: Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

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http://slidepdf.com/reader/full/bestechung-wenn-der-zufall-auf-sich-warten-laesst 2Revue für postheroisches Management/ Heft 63Editorial

Zufälle

 Je planmäßiger das Vorgehen, desto wirksamer trifft der Zufall, heißt es.

Wenn wir diesem Spruch folgen, dann könnte eine Hinwendung zum Zu-

fall unsere Aufmerksamkeit auf mögliche Ereignisse richten, deren Auf-

treten wir allenfalls ahnen können, ohne dass wir wissen, was konkret

auf uns zukommen wird. Und wir hätten den Zufall sogleich mit Existenz-

fragen jeder Unternehmung verknüpft, denen sich Management und Be-

ratung nicht verschließen sollten. In der mehr oder weniger wissenschaft-

lichen Management- und Beratungsliteratur kommt der Zufall jedoch kaum

vor, was sicher kein Zufall ist, kratzt dieser doch allzu sehr an den unge-

schriebenen Gesetzen der Ratgeberliteratur (und der Wissenschaft). Eine

erwähnenswerte Stellung nimmt der Zufall allenfalls in unternehmerischen

Erfolgsberichten und Erzählungen ein, kaum eine Erfindung kommt (ex

post) ohne Zufälle zustande, kaum eine Unternehmenshistorie kommt (ex

post) ohne Zufälle aus. Man schmückt sich mit dem Zufall, mehr aber auch

nicht.

Wer Komplexität ernst nimmt (und dazu können wir nur anraten!),

wird Verhältnisse in den Blick bekommen, in denen nicht immerfort allesmit allem verknüpft werden kann. Wenn dem so ist, wird es notwendig

zu Ereignisverkopplungen, Gelegenheiten und Begebenheit kommen, die

bisher nicht beobachtet wurden, und die Marktchancen, Kooperationsmög-

lichkeiten oder auch Produktinnovationen versprechen. Vor diesem Hinter-

grund ist zu fragen: Wann sind Ereignisse Zufälle, wie ist deren produktive

oder unproduktive Wirkung, und vor allem, kann der Zufall besser genutzt

werden? Zu diesen Fragen haben wir in dieser Ausgabe ganz unterschied-

liche Beobachtungen vereint. Wir laden Sie ein, Spielarten des Zufalls zu

erkunden, ökonomischen, soziologischen, künstlerischen-philosophischen

Überlegungen zu folgen und sich an einer Vielzahl, teilweise absurder zu-

fälliger Ereignisse in Management und Beratung zu erfreuen.Dass künstlerische Perspektiven uns bei diesem Thema besonders weiter-

helfen werden, war schnell klar: Anders als in Unternehmen gibt es in der

Kunst von jeher eine größere Nähe zum Ungeplanten. Die Arbeit »Striptease

in the Morning« unseres Featured Artists Dorothea Goldschmidt zeigt uns,

wie im künstlerischen Schaffensprozess konzeptionelle Ansätze mit dem

situativen Umgang unkoordinierter Elemente in Einklang gebracht werden.

Goldschmidts mehrschichtig mit Filzstift auf Wände aufgetragenen Zeich-

nungen sind eine collagenhafte Mischung aus Text und Bildmotiven. Auch

die Beraterin Claudia Köhler arbeitet mit ihrem CollagenWerk an der Frage,

wie man das Experimentelle in der täglichen Beratungspraxis einführen

kann. Und die Schriftstellerin Tanja Dückers schildert, wie der Zufall uns

das Grauen lehren kann.

Selbstverständlich findet sich in diesem Band auch eine Fülle grundsätz-

licher Beiträge über die Entstehung des Begriffs des Zufalls und über die

Möglichkeiten, diesen für Management und Beratung nutzbar zu machen:

Thomas Stölzel untersucht den Begriff zunächst etymologisch und zeigt auf,

dass es um Wahrgebung des Zufalls geht. In welcher Form Individuen und

   T  o  r

  s   t  e  n    G

  r  o   t   h ,

   A  n

   d  r  e  a  s   S  z  a  n   k  a  y

   E   d   i   t  o  r   i  a   l

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5/16/2018 Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten l sst - slidepdf.com

http://slidepdf.com/reader/full/bestechung-wenn-der-zufall-auf-sich-warten-laesst 34Editorial Revue für postheroisches Management/ Heft 6

Organisationen auf Zufälle reagieren können, behandelt der Beitrag von

Barbara Heitger und Annika-Nora Serfass. Hier wird der Begriff der Resilienz

als Maß der Widerstandsfähigkeit und Offenheit gegenüber zufälligen Er-

eignissen eingeführt. Und während Maren Lehmann in einer historisch-

soziologischen Perspektive den Zufall als Ordnungsprinzip der Revolution

sieht, zeigt Gereon Uerz aus der Perspektive eines Zukunftsforschers, wie der

moderne Begriff der Zukunft eine Emanzipation erfahren hat, die der Begriff 

des Zufälligen noch nicht vollzogen hat.

Zufall, Spiel und Improvisation, da sollte es doch Zusammenhänge ge-

ben! – Fritz B. Simon weist auf die Ähnlichkeiten des Glücksspiel und des

Kapitalismus, vor allem des Finanzmarktes, hin, und Robert Vitek zeigt am

Beispiel des Pokerspiels, dass der Erfolg einiger Spieler mehr als nur Zufall

ist, insofern können Management und Beratung vom Pokern einiges lernen.

Mit dem Fokus auf Bestechungen und Korruption nimmt Uli Reiter funktio-

nale Äquivalente für den Umgang mit dem Zufall in den Blick. Auch dies sind

Mittel und Wege, Erwartungssicherheit herzustellen. Reinhard Tötschinger

fragt mit Weick, ob wir erst handeln oder erst denken sollten, und fordert

dazu auf, über Improvisationen dem Zufall zu begegnen. Ganz ähnlich argu-mentiert Gerhard P. Krejci, wenn er die Interaktion als Kommunikations-

form hervorhebt, in der Zufälle eher bearbeitbar sind. Welche Schwierigkei-

ten Organisationen mit dem Unerwarteten haben, zeigt Eva Ludwig-Glück

am Beispiel von Stiftungen.

Sie merken, die Liste an Beiträgen zum Zufall ist lang, und sie wird noch

länger, denn ein wenig versteckt im Heft findet sich ein absoluter Klassiker

der Organisationstheorie. Angesichts der Themenstellung kamen wir einfach  

nicht umhin, Ihnen das Garbage Can Model von Cohen, March und Olsen in

Erinnerung zu rufen. Klassiker der Organisationstheorie sind die Kolumnen

der Professoren Baecker, Simon und Priddat noch nicht, wohl aber unver-

zichtbare, feste Beiträge in der Revue – insofern unsere internen Klassiker.Und zuletzt wollen wir noch auf unsere Rubrik »per Zufall« hinweisen. Wir

haben unsere Leser dazu aufgerufen, uns ihre Begegnungen mit dem Zufall

zu schildern, und haben die Einsendungen durch das Heft verteilt einge-

streut. An dieser Stelle noch einmal besten Dank für die rege Beteiligung.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und ein angeregtes Stolpern über

den Zufall, er kommt ganze 507 Mal auf den nächsten 130 Seiten vor.

Für die Herausgeber: Torsten Groth und Andreas Szankay

   R  e   d  a   k   t   i  o  n  s   t  e  a  m  :   (  v  o  n  o   b  e  n  n  a  c   h  u  n   t  e  n   )   T  o  r  s   t  e  n   G  r  o   t   h ,

   D   i  r   k   B  a  e  c   k  e  r ,   K  a   t  r   i  n   G   l  a   t  z  e   l ,   A  n   d  r  e  a  s   S  z  a  n   k  a  y ,

   F  r   i   t  z   B .

   S   i  m  o  n ,   R

  u   d  o   l   f   W   i  m  m  e  r .   I   l   l  u  s   t  r  a   t   i  o  n  :   C   l  e  m  e  n  s   H  a   b   i  c   h   t

 ,  w  w  w .  c

   l  e  m  e  n  s   h  a   b   i  c   h   t .  c  o  m

Page 4: Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

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   I  n   h  a   l   t

Inhalt Revue für postheroisches Management/ Heft 6

3 Editorial von Torsten Groth, Andreas Szankay

6 Thomas Stölzel

Der Zufall als Anwalt der Freiheit

12 Featured Artist

Dorothea Goldschmidt

20 Barbara Heitger, Annika-Nora SerfassDem Zufall ein Schnippchen schlagen – durch Resilienz

Unerwartetes meistern

28 Maren Lehmann

Zufällige Elemente. Die Organisation der Revolution

38 Claudia Köhler im Interview

Das CollagenWerk

40 Michael D. Cohen, James G. March, Johan P. Olsen

A Garbage Can Model of Organizational Choice

50 Gereon UerzDurchkreuzte Pläne – Zur sozialkonstruktivistischen Dimension

von Wild Cards

56 Fritz B. Simon

Zocken oder: Psychologische Erfolgsfaktoren des Kapitalismus

70 Caroline Rudzinski, Andreas Szankay

Learning Journeys

72 Tanja Dückers

Minnas Geheimnis

76  Reinhard Tötschinger

Zuerst handeln oder zuerst denken?

80 Gerhard P. Krejci

Weniger Organisation, mehr Interaktion

86 Robert Vitek

Management by Poker

90 Uli Reiter

Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

98   Julian Hagen, Felix Langenmayr

  Die Universität als Forschungsprojekt

102 Christian Strunden

Entwicklungshelfer, rauf aufs Fahrrad!

106 Hollywood Zufälle? von Fritz B. Simon

110 Wozu Wirtschaft? Zufällen als modus operandus von Birger P. Priddat

112 Management für Fortgeschrittene Krisen sind normal

von Dirk Baecker

116 Eva Ludwig-Glück

Über den Umgang mit unwahrscheinlicher Kommunikation –

Eine systemtheoretische Betrachtung des Stiftungswesens

124 Hören & Sehen

130 Überblick, Bestellservice, Impressum

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5/16/2018 Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten l sst - slidepdf.com

http://slidepdf.com/reader/full/bestechung-wenn-der-zufall-auf-sich-warten-laesst 5Revue für postheroisches Management/ Heft 690Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

»dann wird daz bley zu gold, dann fällt der zufall hin, wann ich mit

 gott durch gott in gott v erwandelt bin«. 1

Die Vollendung der göttlichen Schöpfung bringt es mit

sich, so der Theologe und Lyriker Silesius 1675, dass Blei

in Gold verwandelt wird und dass der Zufall hinfällt, was

soviel bedeutete wie vergeht oder verdirbt (corrumpere).

Er fiel dann als böser Widersacher der göttlichen Vor-

sehung nicht mehr zu, sondern war im Angesicht der

finalen Perfektion im doppelten Sinne des Wortes hin-

fällig.

In letzter Zeit taucht vermehrt der Ausdruck Zufalls-

management auf, der zum einen den Versuch meint,

durch planende Steuerung zu verhindern, dass Prozesse

zufällig verlaufen. Die Differenz von Zielen und Ergeb-

nissen soll minimiert werden, damit Erfolg nicht als

Zufallsprodukt, sondern als beabsichtigtes Resultat von

Entscheidungen erscheint. Die Studien des Sportwissen-schaftlers Martin Lames führen die andere Seite dieser

Sichtweise ein, nach der Zufall beim Fußballspiel nicht

verhindert, sondern durch die Produktion störender Un-

ruhe begünstigt werden soll, damit sich überraschende

Gelegenheiten für gewinnbringende Spielzüge ergeben.

Bei der Thematisierung von Bestechung und Korrup-

tion ist dagegen viel von böser Absicht und kaum von

Zufall die Rede und wenn, dann spielt er die Rolle des

Kommissars Zufall, der die Aufgabe hat, die niedrige Auf-

klärungsquote zu verbessern. Und sobald Ereignisse in

einem so eigenartigen Verhältnis stehen, dass sowohlFehlleistung als auch Zufall als Erklärung ausfallen,

dann kommt offensichtlich nur noch Bestechung als

Erfolgs- oder als Enttäuschungserklärung in Betracht:

»Einen Elfmeter zu übersehen okay, aber derer gleich 4 

ist ein Skandal. Das kann kein Zufall sein. Schiedsrichter

klar bestochen«.2

Der Vergleich von Zufall und Bestechung wird uns im

Folgenden beschäftigen, und wenn wir zunächst einmal

fragen, wovon sich Zufall unterscheidet, stoßen wir auf 

eine Leerstelle, die im Laufe der Evolution des Zufalls

unterschiedlich besetzt wird. Mal wird er vom Wesent-

lichen, mal von Wissen oder Kausalität, Zweck oder De-

terminiertheit oder auch von Notwendigkeit unterschie-

den3, und zwar derart, dass der Zufall seine andere Seite

als nicht zufällig markiert. Das Positive des Jokers Zu-

falls, so der erste Eindruck, ist sein Potenzial der Negation 

von Schemata, die Zusammenhänge erklären. Dadurch

   U

   l   i   R  e   i   t  e  r

   B  e  s   t  e  c   h  u  n  g  :

   W  e  n  n   d  e  r   Z  u   f  a

   l   l  a  u   f  s   i  c   h  w  a  r

   t  e  n   l   ä  s  s   t

   U   l   i   R  e   i   t  e   r   l  e   b   t  a   l  s   K   ü  n  s   t   l  e  r ,   A  u   t  o  r ,   B  e  r  a   t  e  r  u  n   d   M  a  r   k  e   t   i  n  g   d   i  e  n  s   t   l  e   i  s   t  e  r   i  n   L   i  e  n  z   i  n  g  a  m

    C   h   i  e  m  s  e  e .     2     0     0     9

  e  r  s  c   h   i  e  n

   b  e

   i   V  e   l   b  r   ü  c   k  s  e   i  n  e  r  s   t  e  s   B  u  c   h  »   L   ä  r  m  e  n   d  e   G  e  s

  c   h  e  n   k  e  –   D   i  e   d  r  o   h  e  n   d  e  n   V  e  r  s  p  r  e  c   h  e  n   d  e  r   K

  o  r  r  u  p   t   i  o  n  « .   E  s  u  n   t  e  r  s  u  c   h   t

   G  e  s  c   h   i  c   h   t  e  u  n   d   F  u  n   k   t   i  o  n  v  o  n   B  e  s   t  e  c   h  u  n  g

  u  n   d   K  o  r  r  u  p   t   i  o  n ,  e  n   t   h   ä   l   t  e   i  n   I  n   t  e  r  v   i  e  w

  m   i   t

   d  e  m   e   h  e  m  a   l   i  g  e  n   S   i  e  m  e  n  s  -

   M

  a  n  a  g  e  r   R  u   d  o   l   f   G .   V  o  g  e   l  u  n   d  w  u  r   d  e  v  o  n   P  r  o   f .   P  e   t  e  r   F  u  c   h  s  m   i   t  e   i  n  e  m    G  e   l  e   i   t  w  o  r   t  v  e  r  s  e

   h  e  n .   D  a  s  n  e  u  e   P  r  o   j  e   k   t   d  e  s

   A  u   t  o  r  s   b  e  s  c   h   ä   f   t   i  g   t  s   i  c   h  m   i   t   P   h   ä  n  o  m  e  n  u  n   d   F  u  n   k   t   i  o  n   d  e  r   I   l   l  e  g  a   l   i   t   ä   t .  w  w  w .   l  a  e  r  m  e  n   d  e  -  g

  e  s  c   h  e  n   k  e .   d  e  w  w  w .  u  n   d  o .   d  e

Page 6: Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

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http://slidepdf.com/reader/full/bestechung-wenn-der-zufall-auf-sich-warten-laesst 691 Revue für postheroisches Management/ Heft 6Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

entsteht ein Freiraum zur Beobachtung von Ereignissen,

deren Zusammenhang zum Beobachter nur darin be-

steht, dass sie nicht mit seinen Strukturen zusammen-

hängen – aber überraschenderweise zusammenhängen

könnten.

Bei der Erklärung von Ereignissen mithilfe von Beste-

chung wie im Falle des verdächtigten Schiedsrichters

ergibt sich ein ähnliches, aber doch anderes Bild. Auch

hier geht es um die Frage des Zusammenhangs von Er-eignissen, wobei der Fokus darauf liegt, dass eigentlich

kein Zusammenhang bestehen sollte und deshalb zufäl-

lige Fehlentscheidungen vermutet werden, wobei deren

Aneinanderreihung jedoch als nicht mehr zufällig er-

scheint. So entsteht der Verdacht, dass es sich bei dieser

Überraschung nicht um Zufall oder eine Fehlleistung,

sondern um Bestechung handeln könnte.

Zufall und Bestechung, das ist unsere These, kreisen

beide auf ähnliche Weise um die Paradoxie der Koordi-

nation unkoordinierter Ereignisse – so werden ja zufäl-

lige, günstige Gelegenheiten auch als bestechend be-schrieben, und Bestechung scheint sich andererseits am

Zufall zu nähren. Aber wie lassen sich diese Impressio-

nen erklären und von welchem Begriff des Zufalls wollen

wir dabei ausgehen?

Zufall

Es lassen sich drei Ordnungsgrade des Zufalls unter-

scheiden. Der Zufallsbeobachter erster Ordnung bezieht

sich auf die Welt als Faktum und richtet sein Verhalten

nach vorgefundenen Gegebenheiten aus, zu denen auch

gute und böse Überraschungen und Gelegenheiten ge-

hören. Zufall erster Ordnung ermöglicht zudem ein Aus-

blenden der Unterscheidbarkeit des Zufalls überhaupt,

sodass Zufall entweder alles sein kann oder auch nichts.

Nahezu jedes Ereignis kann oder konnte dann, wie im

Falle kultischer, schicksalsbestimmter oder religiöser

Beobachtungsweisen, als durch den unergründlichen

Ratschluss des Schicksals oder der Götter vorausbe-

stimmt erscheinen – so auch überraschende Ereignis-

se, die dann z.B. bei den Griechen als günstige oder un-

günstige Fügungen der launischen Göttin Tyche oder als

günstige Gelegenheiten des Gottes Kairos kommunikativ

weiterbearbeitbar waren.4

Der Zufallsbeobachter zweiter Ordnung vergleicht

Beobachter erster Ordnung und kann das, was diesen

 jeweils als Gegebenheit zufällt, ihrer eigenen Beobach-

tungsweise zurechnen. Er sieht auf diese Weise, dass ein

System den Zufall als fehlende Koordination von Um-

weltereignissen mit den eigenen Strukturen beschreibt.

Da die Komplexität der Systemumwelt für ein System

unvorhersehbar und unkontrollierbar bleibt, kann sie

nur in Form überraschender Störungen aufgegriffen und

im Rahmen der eigenen Beschränkungen als Gelegen-

heit genutzt, d.h. in Strukturänderungen transformiert

werden. Nach Niklas Luhmann ist dann Zufall die Fä-higkeit, »Ereignisse zu benutzen, die im System weder

vorhergesehen noch produziert werden können«.5 Doch

zufällige Ereignisse überraschen nicht schon deshalb, da

sie mit den Systemzuständen vor ihnen und nach ihnen

nicht koordiniert sind, sondern da sie zugleich so er-

scheinen, als ob sie koordiniert sein könnten.

Der Zufallsbeobachter dritter Ordnung beobachtet

den Zufall schließlich als selbstbezügliche Perspektive

der Evolution. Es sind dann nicht mehr nur die Struk-

turen, die dem Zufall Raum lassen und ein System zu

Entscheidungen zwingen, sondern der Zufall erzeugt dieSystemstrukturen, die dann wiederum die Bedingung

dafür sind, dass von einem beobachtenden System Er-

eignisse im Nachhinein als zufällig beobachtet werden

können.6 Der Zufallsbeobachter dritter Ordnung beob-

achtet die Rolle des Zufalls bei der Systementstehung

und -auflösung, und dann hängt der Fortbestand eines

Systems nicht mehr nur davon ab, den Zufall zu vermei-

den oder auf ihn zu warten und ihn zu nutzen, sondern

1 Silesius, Angelus: Cherubinischer Wandersmann. Ca. 1675. Buch 1.

Reim: 102. Die geistliche Goldmachung

2 Internet-Blog. http://de.woobby.com/result/show/42694 

(02.01.10)

3 Hoffmann, Arnd: Zufall und Kontingenz in der Geschichtstheorie:

mit zwei Studien zu Theorie und Praxis der Sozialgeschichte.

Bd. 184 Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Frankfurt

a.M. 2005

4 Hoffmann: Zufall a.a.O.

5 Luhmann, Niklas: Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt

1992. S. 564

6 Esposito, Elena: Soziales Vergessen. Frankfurt 2002. S. 327

Zufall und Bestechung, das istunsere These, kreisen beide

auf ähnliche Weise um die Para-

doxie der Koordination unkoor-

dinierter Ereignisse …

  .

  .

  .

  .

  .

  .

  .

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http://slidepdf.com/reader/full/bestechung-wenn-der-zufall-auf-sich-warten-laesst 792 Revue für postheroisches Management/ Heft 6Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

zunehmend vom Potenzial, den Zufall, also das Unpro-

duzierbare, selbst zu produzieren. Infolgedessen müssen

auch die steigenden Anforderungen an die Transformation

dieser Gelegenheiten in Strukturen und die nachhal-

tigen Legitimationskosten für nicht genutzte Gelegen-

heiten bewältigt werden. Der Zufall bleibt bei dieser

Beobachtung dritter Ordnung zwar auch unvorherseh-

bar, aber das Unvorhersehbare und Unkoordinierte wird

mit zunehmender Komplexität der Gesellschaft immer

wahrscheinlicher – wobei zugleich auch immer unwahr-

scheinlicher wird, dass sich der Zufall genau dann ein-

stellt, wenn er benötigt wird.

Zufall unterscheidet in Bezug auf die eigenen Struk-

turen eines Systems koordinierte von unkoordinierten

Ereignissen7, wobei die Seite koordiniert als Platzhalter

für Wissen, Wesentlichkeit, Kausalität, Zweck, Determi-

niertheit oder Notwendigkeit etc. dienen kann. Und je

nachdem, welchen Wert ein System dieser Seite zuweistund dann als nicht zufällig markiert, lassen sich andere

Systemereignisse als koordiniert (als nicht zufällig) und

andere Umweltereignisse als unkoordiniert und damit

als zufällig beobachten. Zufall ist folglich nicht nur und

ausschließlich beobachteter Zufall, sondern seine Be-

stimmung hängt außerdem negativ davon ab, wie das

beobachtende System seine eigene Reproduktion erklärt,

d.h., welche Ereignisse es als koordiniert und damit als

nicht zufällig behandelt. Daraus resultiert, dass immer

zwei oder mehr Systeme als Koproduzenten an der

Produktion von Zufall beteiligt sind. Denn damit für einSystem die eigenen Operationen überhaupt als nicht

zufällig und koordiniert beobachtbar sind, müssen sie

von denen anderer Systeme unterscheidbar sein, die

dann in Relation zu den eigenen Strukturen als unkoor-

diniert bzw. als Störungen erscheinen und nur so als

zufällige Gelegenheiten genutzt werden können.

Auch Bestechung und Korruption nutzen und produ-

zieren überraschende Störungen und Gelegenheiten und

ermöglichen deren Transformation in Strukturen, aber

niemand käme auf die Idee, sie mit Zufall gleichzu-

setzen. Denn sie gelten als Inbegriff absichtsvoller, dem

Eigennutz verpflichteter Planungsvorhaben, welche die

Welt und damit auch Gesellschaft nicht als schicksal-

haft, gottgegeben oder zufällig hinnehmen, sondern

versuchen, unangenehme Überraschungen per Eigen-

initiative und mit verschwörerischer Entschiedenheit

auszuschließen.

Zufall und Evolution

Wir nähern uns der Frage nach dem Zusammenhang

von Bestechung und Zufall, indem wir zunächst die

evolutionäre Rolle des Zufalls beleuchten. Evolution, ver-

standen als beobachtete Änderung, unterscheidet Va-

riation, Selektion und Restabilisierung. Unter Variation

verstehen wir negierende Mitteilungen, unter Selektion

die positive oder negative Auswahl einer Variation in

Bezug auf bestehende Strukturen und unter Restabi-

lisierung den Einbau einer geänderten Struktur in ein

sich reproduzierendes System.8 Selektion kann also

Vorhandenes ändern, aber genauso gegen Variation

schützen, die zunächst lediglich das Vorkommen eines

bestimmten Neins meint. Dieses erzwingt eine Auswahl-

entscheidung und wird zum Anlass einer Strukturände-

rung, wobei zu bedenken ist, dass jede Änderung einem

System nicht einfach etwas hinzufügt oder vorenthält,

sondern den bisherigen Zusammenhang irreversibel ver-ändert und die Komplexität eines Systems erhöht, was

dann durch Restabilisierung ausgeglichen werden muss.

Als evolutionär erfolgreich gelten nicht nur angenom-

mene, sondern auch abgelehnte Variationen, da beide

Selektionsweisen die Strukturen ändern. Ablehnungen

erfordern sogar oft einen höheren Aufwand, denn die

beibehaltenen Strukturen können gegenüber den negier-

ten Alternativen unter Legitimationsdruck geraten.9

Zufall beziehen wir im Gegensatz zur klassischen

Evolutionstheorie nicht auf das Vorkommen von Varia-

tionen, sondern darauf, ob Variationen positiv oder ne-gativ selektiert werden, und auch auf die an jede Aus-

wahlentscheidung anschließende Restabilisierung. Das

heißt, dass die Bestimmtheit eines Neins noch nichts

darüber aussagt, ob es angenommen oder abgelehnt

wird, und dass die Bestimmtheit einer Annahme oder

Ablehnung offen lässt, welche strukturellen Restabilisie-

rungen daraus resultieren. Dieses unkoordinierte Zusam-

menspiel von Auswahlentscheidungen und Restabilisie-

rungen führt dazu, dass evolvierende Systeme an ihren

inneren Grenzen unkontrolliert resonanzfähig sind und

auftretende Störungen jederzeit und nicht planbar dazu

führen können, dass ein System diese Anlässe als zufäl-

lige Gelegenheiten zur Strukturtransformation nutzt.

Doch wo kommt Zufall zum Einsatz, wenn wir den

Blick auf die großen Funktionssysteme wie Wirtschaft,

Recht, Wissenschaft und deren Organisationen richten?

 Jedes System verfügt über Codewerte und Programme,

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http://slidepdf.com/reader/full/bestechung-wenn-der-zufall-auf-sich-warten-laesst 8/Revue für postheroisches Management/ Heft 693Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

welche die Bedingungen für die richtige und falsche

Zuweisung der Codewerte festlegen. Rechtliche Opera-

tionen orientieren sich beispielsweise ausschließlich an

der Codierung Recht/Unrecht und an Gesetzen als recht-

lichen Programmen. Das Recht muss verhindern, dass

systemfremde Kriterien wie Zahlungsfähigkeit oder wis-

senschaftlicher Erfolg darüber entscheiden, was als

Recht und was als Unrecht gilt, aber andererseits er-

möglicht die Programmierung jedes Systems die Berück-

sichtigung und den Wiedereinschluss systemfremder

Aspekte. Der zufallsabhängige, umweltoffene Resonanz-

bereich ansonsten geschlossener Systeme findet sich

also im Bereich ihrer Programme, der Umprogrammie-

rung dieser Programme und der damit verbundenen

Veränderung ihrer Selektionskriterien.

Die Verknappung des Zufalls

Damit das Potenzial des Zufalls nutzbar wird, muss erschnell erkannt werden. Das Bezugsereignis kann eine

Wahrnehmung, ein Einfall oder eine andere ereignisför-

mige Gelegenheit sein, die zunächst einmal nur darin

besteht, dass sie als momentan gegebene Möglichkeit

beobachtet wird, die plötzlich vorkommt und wieder

verschwindet, wenn sie nicht genutzt wird.10 Sie wird,

so sagt ein römisches Sprichwort, »schwer erlangt, aber

leicht verloren«. Und wenn eine solche Gelegenheit un-

genutzt verstrichen ist – dann ist (kommunikativ) auch

nichts gewesen. Es sei denn, dass sie als verpasste Ge-

legenheit thematisiert wird, auf deren Wiederholungdann gewartet werden muss. Aber was tun, wenn der

Zufall auf sich warten lässt oder wenn sich die sich bie-

tenden Gelegenheiten als ungelegen oder unbrauchbar

erweisen? Sind überhaupt gleichwertige Alternativen

verfügbar, wenn mehr, weniger oder andere Überra-

schungen benötigt werden, als sich zufällig ergeben?

Und was, wenn auch die erwartbaren Routinen der gän-

gigen Verfahrensweisen der Gesellschaft unerwünschte

oder unbrauchbare Resultate liefern?

Für Individuen und Organisationen sind diejeni-

gen Verfahrensweisen von besonderem Interesse, welche

über ihre Teilnahmemöglichkeiten an der Gesellschaft,

also über Inklusion und Exklusion entscheiden. Die Pro-

gramme dieser formalen Auswahlverfahren sind durch

Moral geschützt und rechtlich normiert und schließen

informale Verhandlungen über ihre Veränderung aus.

Dadurch werden auch zufällige Störungsmöglichkeiten

verknappt, denn die ausgeschlossenen, informalen Ver-

handlungen sind als vertrauliche oder heimliche Inter-

aktionen Zufallsbegünstiger par excellence.11 Normierte

Auswahlverfahren nehmen jedoch mit dem Übergang

zur Moderne sprunghaft zu und die Verlagerung der

Veränderung ihrer Selektionskriterien in andere Verfah-ren verknappt den Zufall im Rahmen der Verfahren

selbst oder schließt ihn sogar aus. So kann z.B. die

Verfahrensweise eines Vergabeverfahrens für staatliche

Bauaufträge nicht im Rahmen desselben Verfahrens ge-

ändert werden, sondern es bedarf eines separaten Verfah-

rens zur Veränderung der entsprechenden Vorschrift.

Diese Verlagerung der Veränderung von Selektionskri-

terien bzw. Entscheidungsprämissen in andere Verfah-

renssysteme desselben Systems kann auch als Trennung

von Selektion und Restabilisierung bezeichnet werden,

die mit der Moderne an Bedeutung gewinnt, da sie eineBedingung dafür ist, dass die Verfahrensweisen von

Systemen überhaupt ungestört und unabhängig von un-

erwünschten Umweltpressionen funktionieren können.

Das führt jedoch andererseits dazu, dass die betroffenen

Verfahren die Umweltadäquatheit ihrer Leistungen

nicht selbst überprüfen und korrigieren können. Sie sind

deshalb von einer ständigen Knappheit an Zufalls- und

7 Luhmann, Niklas: Weltkunst. In: Gerhards, Jürgen: Soziologie

der Kunst: Produzenten, Vermittler und Rezipienten.

Opladen 1997. S. 84

8 Baecker, Dirk: Management im System. In: Organisation und

Management. Frankfurt 2003. S. 274 ff.

9 Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt

a.M. 1997. S. 428

10 Luhmann, Niklas: Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt

a.M. 1992. S. 465 ff.

11 Fuchs, Peter: Autopoiesis, Mikrodiversität, Interaktion.

In: Jahraus, Oliver/Ort, Nina (Hrsg.): Bewußtsein – Kommuni-

kation – Zeichen, Wechselwirkungen zwischen Luhmannscher

Systemtheorie und Peircescher Zeichentheorie. Tübingen 2001

Für Individuen und Organisa-

tionen sind diejenigen Verfah-

rensweisen von besonderem

Interesse, welche über ihre Teil-

nahmemöglichkeiten an derGesellschaft, also über Inklusion

und Exklusion entscheiden.

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http://slidepdf.com/reader/full/bestechung-wenn-der-zufall-auf-sich-warten-laesst 9/

Resonanzfähigkeit geprägt, was zugleich zu einer enor-

men Steigerung des Variationsdrucks im Umfeld dieser

Verfahren führt.

Die bestechende Evolution der Miete

Bestechung entzündet sich an Knappheitsproblemen,

bearbeitet jedoch im Unterschied zu Wirtschaft eine

besondere Form der Knappheit, nämlich die Knappheit

der Übertragbarkeit von Knappheiten, und lässt sich

nicht auf ökonomische Sachverhalte beschränken.12 Ob

es um Knappheiten an Aufträgen, an Zahlungsfähigkeit,

an Liebe, an Seelenheil, an Aufmerksamkeit, an Zuge-

hörigkeit bzw. Mitgliedschaft in Haushalten und Orga-

nisationen, an sportlicher Leistungsfähigkeit oder um

Knappheiten an Wählerstimmen, Machterhalt, Kontak-

ten oder an Konkurrenz- oder Kooperationsmöglichkei-

ten geht, spielt für Bestechung keine Rolle – sie ist in

dieser Hinsicht universell und generell verfügbar. Wirkönnen Bestechung deshalb allgemein auf die Frage der

Übertragbarkeit von Knappheiten im Hinblick auf die

Teilnahmemöglichkeiten von Individuen und Organi-

sationen und auf das Leistungsverhältnis von Systemen

beziehen. Solange Bestechung nicht verboten ist, prüft

und vollzieht sie vertraulich Formen der Übertragbar-

keit von Knappheiten und entfaltet ihr Potenzial in

den dadurch entstehenden Grauzonen der Evolution. Sie

stellt den zur jeweiligen Zeit üblichen, aber knappen

Übertragbarkeitsformen nicht übliche gegenüber, die

nicht verboten sind, aber auch nicht ausdrücklicherlaubt, und unterscheidet dabei Übertragbarkeiten, die

nicht mehr üblich (und deshalb anrüchig) sind, von sol-

chen, die noch nicht üblich (und deshalb verdächtig)

sind. Soweit schriftliche Aufzeichnungen dies erschlie-

ßen lassen, finden sich außerdem zu allen Zeiten Be-

stechungsformen, die erlaubt oder als solche nicht zur

Kenntnis genommen werden, und Formen, die politisch

bekämpft und rechtlich verboten werden.

Das Verhältnis von Bestechung und Zufall wollen

wir am Beispiel der Entstehung der Miete etwas näher

beleuchten und gehen dafür ca. 500 Jahre in die frühe

Neuzeit zurück. Die zeitliche Distanz verleiht uns

Abstand zu den aktuellen, moralischen Verstrickungen

des Themas Bestechung und wir haben einen längeren

Zeitraum zur Beobachtung evolutionärer Effekte zur

Verfügung. Am Übergang zur Moderne, und damit zur

funktional differenzierten Gesellschaft, haben wir es mit

Auflösungserscheinungen der Schichtordnung des Mit-

telalters zu tun, deren multifunktionale Einrichtungen

den Sinnüberschüssen, der zunehmenden Komplexität

und Mobilität nicht mehr gewachsen waren. Eine der

damit im Zusammenhang stehenden Innovationen war

die Miete, ohne deren für uns selbstverständliche

Leistungen die heutige Gesellschaft nicht vorstellbar

wäre, und wir nehmen an, dass unsere positive Be-

wertung der Miete der von damals entspricht – doch

weit gefehlt. Noch das Deutsche Rechtswörterbuch von

1896 verzeichnet unter Miete nicht nur uns vertraute

Bedeutungsvarianten, sondern auch eine in diesem

Kontext unvertraute: »Leistung zur Erlangung eines

unlauteren (Vermögens-)Vorteils, oft in formelhaften

Wendungen mit Bitte, Freundschaft, Gabe, Geschenk,

Gift, Leid, Lieb, Liebtat oder Liebung«.13 Dem entsprach

die Unterscheidung von »schenck« (gute Geschenke)

und »miet« (böse Geschenke) ab dem Ende des 14. Jhd.im Zusammenhang mit den damals noch obligatori-

schen »schenckpractiken« der entstehenden Stadträte 14 

und entsprechend wurde der »mietling« anfangs als

(miete=) Made im Speck des Haushalts verachtet. Mieter

und Vermieter als wechselseitig Bestechende und Be-

stochene und die Miete als Form der Bestechung, als

eine vorteilsorientierte, unlautere »Liebtat«?

Der Haushalt der Schichtgesellschaft des Mittelalters

war eine multifunktionale Einrichtung, die Stabilität

garantierte und in nahezu jeder sozialen Hinsicht für

ihre Angehörigen zuständig war. Die Leute wurden in

ihre Schicht und ihren Haushalt hineingeboren und

verbrachten in diesem Status in der Regel ihr ganzes

Leben. Der Haushalt war durch den Treuebegriff mo-

ralisch und rechtlich geschützt und schloss Familien-

mitglieder und dauerhaft oder vorübergehend asso-

Solange Bestechung nicht

verboten ist, prüft und vollziehtsie vertraulich Formen der

Übertragbarkeit von Knapphei-

ten und entfaltet ihr Potenzial

in den dadurch entstehenden

Grauzonen der Evolution.

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94 Revue für postheroisches Management/ Heft 6Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

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ziierte Personen ein – und alle anderen als Fremde aus.

Dauerhafte Zugehörigkeit wurde durch die Selektions-

kriterien Verwandtschaft und Geburt bestimmt und

temporäre Zugehörigkeit durch die beginnende Lohn-

arbeit, durch Patronage und durch den rechtlichen

Status des Gastes, der den Fremden (als Gast) wieder

einschloss und zugleich einen bezahlenden Gast als

Möglichkeit ausschloss. Die erforderlichen Entscheidun-

gen über die Haushaltszugehörigkeit ergaben sich aus

diesen vorgegebenen und zu entscheidenden Kriterien,

wobei die Entscheidungen dem Haushaltsvorstand

zugerechnet wurden, dem auch die Ausübung des allge-

meinen Rechts übertragen war.

Die zunehmende Mobilität im Rahmen der Stadt-

bildung und der Ausdifferenzierung von Wirtschaft, Po-

litik und Religion erzeugte einen Überschuss an Varia-

tionen, z.B. einen Übernachtungs- und Wohnbedarf,

dem eine Knappheit an dafür geeigneten Selektions-möglichkeiten gegenüberstand. Doch nicht nur das,

sondern auch die zufälligen Gelegenheiten waren knapp,

aus denen sich die erforderlichen strukturellen Än-

derungen hätten ergeben können. Nehmen wir also

einmal an, dass einer der vielen durchreisenden Ge-

schäftsleute keinen Platz in der Herberge fand, dass ein

ehemals Unfreier sich die Freiheit durch das Leben in der

Stadt erwerben wollte, einer der vielen Pilger nicht als

Gast aufgenommen wurde, weil er als Scheinheiliger

verdächtigt wurde, oder dass ein wohlhabender Gast sei-

nen Gaststatus verlängern musste, weil sich überra-schenderweise die Geschäfte verzögerten, dann ging er

vielleicht ein Risiko ein und fragte beim Hausherrn ver-

traulich nach, ob er ihm etwas anbieten könne und ob er

bei dieser Gelegenheit auch etwas nachfragen dürfe.

Eventuell fühlte sich der Hausherr gestört oder er sah in

der Störung eine günstige Gelegenheit – auf jeden Fall

kam das Angebot überraschend, da es normalerweise an

ihm war, sich um den anklopfenden Fremden oder den

(immer länger bleibenden) Gast zu kümmern. Aber mög-

licherweise ging die Initiative auch vom Hausherrn aus,

der einen gewissen Unmut über die zu niedere Höhe

eines Gastgeschenks in Anbetracht der zunehmenden

Verweildauer erkennen ließ. Das Vorhaben war so oder

so verwerflich und deshalb riskant, jedoch andererseits

auch eine günstige Gelegenheit im Hinblick auf neue

Kontakte oder auf die Knappheiten oder Überschüsse

seiner Haushaltung. Aber würden die zum Vorschein

gekommenen Knappheitsdifferenzen überhaupt zuein-

ander passen, waren sie übertragbar oder nicht und

würden die Übertragungen ihre bestechenden Ver-

sprechungen halten?

Doch derartige Fragen sind immer erst im Nachhinein

thematisierbar, denn die evolutionäre Erprobung einer

anrüchig-verdächtigen, riskanten Übertragungsweise ist

nicht kommunikabel und erfolgt deshalb vertraulich,

schnell, irreversibel und mit stark bindenden Konse-

quenzen. Es gibt sie nicht auf Probe, und sobald die Ver-

handlung des Verfahrens beginnt, ist es zum Aufhören

bereits zu spät. Die verschwörerische Vertraulichkeit der

Bestechung vollzieht sich, vor allem sobald sie Routinen

entwickelt, durch die Verschränkung unverdächtiger

Symbole, schnell und ohne viele Worte: Wie geht es – ein

Geschenk für die Kinder? Sie dockt an fehlende und

unbrauchbare Gelegenheiten an, ist also auf Knappheit,

auch auf die des Zufalls, angewiesen und konstruiert dieunkoordinierten Ereignisse, die sie für ihren Tausch

zusätzlich benötigt, durch schnell spekulierendes An-

bieten und Nachfragen. Bestechung zieht dabei Va-

riation und Selektion in einer Sequenz zusammen und

erhöht gleichzeitig durch ihre hohe Bindewirkung die

Chancen auf Wiederholung und Restabilisierung. Aber

was wird durch nicht verbotene Bestechung variiert und

wie erreicht sie die sofortige Selektion?

Während der Zufall ganz allgemein unkoordinierte

Ereignisse durch systeminterne Nutzung beobachtbar

macht und dadurch koordiniert, zentriert sich Beste-chung um einen modalen Aspekt, also um die Frage der

Koordinierbarkeit ansonsten unkoordinierbarer Ereignis-

se. Und da sich Bestechung nicht auf Knappheit gene-

rell, sondern auf die Knappheit an Übertragbarkeit von

Knappheiten bezieht, ist auch ihr evolutionärer Fokus

nicht auf Variation oder Selektion generell, sondern auf 

die Variation und Selektion von Selektionskriterien

gerichtet, denn nur deren Veränderung ermöglicht eine

Modifizierung von Übertragbarkeiten. Beim Entstehen

der Miete durch Bestechung ging es um die Variation der

bisher üblichen Selektionskriterien zur richtigen Bestim-

mung der Haushaltszugehörigkeit. Dieses Nein zum bis-

95 Revue für postheroisches Management/ Heft 6Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

 12 Reiter, Uli: Lärmende Geschenke. Die drohenden Versprechen

der Korruption. Weilerswist 2009

13 Deutsches Rechtswörterbuch, Stichwort »miete«.

http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/ (12.12.09)

14 Groebner, Valentin: Gefährliche Geschenke. Konstanz 2000

Page 11: Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

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her Üblichen war jedoch hinter einem attraktiven  Ja zu

einem wechselseitigen, positiven Selektionsangebot ver-

borgen, einer sogenannten Win-win-Situation unter

Ausschluss von Publikum, die zudem durch eine zusätz-

liche Gabe unterfüttert werden konnte. Diese symbo-

lisierte vorauseilenden Dank für eine nicht zufällige

und riskante Normabwei-

chung und trug dadurch

dazu bei, eine zufällige

negative Selektion zu ver-

meiden.

Diese verflochtenen

Vorder- und Hintergrün-

digkeiten, die Ja-nein-Os-

zillation des Bestechenden,

die Attraktivität von Spie-

len und Gewinnen und die

sich daraus ergebendeParalysierung der derart

verschränkten Psychen

tragen im Rahmen der

bestechenden Verhand-

lung eines Verfahrens

dazu bei, einen moralisie-

renden Konflikt zu vermei-

den. Denn dieser hätte

eine Thematisierung zur

Folge, was in der Regel zur

Ablehnung von Neuem,Riskantem und Ungewissem führt. Welche kollektiv ver-

bindlichen Resultate sich langfristig und mithilfe vieler

Zufälle aus dem situativen und partikularen Leistungs-

tausch ergeben würden, konnte sowieso niemand abse-

hen, da sich evolutionäre Neuerungen, insbesondere

solche, die sich in der Grauzone der Evolution vollziehen,

erst dann einschätzen lassen, wenn sie sich bewährt

haben und erste Probleme erzeugen. Bestechung dockt

also an die Verknappung des Zufalls und das daraus

resultierende Fehlen von Gelegenheiten zur Verände-

rung von Selektionskriterien an und ersetzt dann dessen

Überraschungseffekt durch ihre bestechenden Ver-

schränkungen. Während der Zufall überraschende Ge-

legenheiten beobachtbar macht, indem er sie nutzt,

dockt Bestechung an der Zufallsverknappung und am

Ausbleiben von Veränderungsmöglichkeiten an: Sie

nutzt das Fehlen von Gelegenheiten als heimliche Gele-

genheit zur Strukturveränderung und lässt sich darum

als funktionales Äquivalent des Zufalls bezeichnen, d.h.,

sie ermöglicht die Lösung desselben Problems – auf an-

dere Art und Weise.

So entstand, mit weitreichenden Folgen und von nie-

mandem beabsichtigt, durch Bestechung die Miete, eine

neue Form des Eigentums, die es ermöglichte, gegen

Bezahlung vorübergehend Wohnraum zu besitzen und

zu nutzen, ohne der Eigentümer zu sein – aber »miet«,

das Wort für die bösen Geschenke, war noch bis zum

Beginn der Moderne ein Synonym für Bestechung und

Korruption.

Restabilisierung und Korruption

Doch wie restabilisierte sich diese bestechende Selektion

einer Variation von Selektionskriterien, wie differen-

zierten sich Miete und Bestechung und welche Unter-

schiede ergeben sich, wenn Bestechung geduldet bzw.

erlaubt oder geächtet bzw. verboten wird? Den ersten

Hinweis gibt uns das Auftauchen des Wortes »mietherr«,

das jedoch nicht nur den Vermieter, sondern zugleich

auch den zahlungskräftigen Mieter im Unterschied zum

»mietling«, dem nicht so zahlungskräftigen Mieter be-

96Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

Tr pleflat und L ebl ngse s

»Das würde ich auf keinen Fall machen …« – »… und dann hat er gesagt, ich soll das noch

kopieren, obwohl …« – »… das liegt an der dänischen Ostsee, ganz schön …« – »… kerzengerade

in die Luft …« – »… glaub ich nicht …« – »Wie lange stehen die hier eigentlich schon vor der

amerikanischen Botschaft? Seit dem elften …« – »Hab ich neulich irgendwo gelesen, ich glaub

in der Brigitte.« – »Vorsicht, da liegt wieder so einer von den Haufen!« – »… darüber denk ich

chon seit einiger Zeit nach, ob ich mal wieder was …« – »Nee, ne …« – »Das hat er so entschie-

den, und ich hab dann …« – »Im Cliff war ich schon seit Jahren nicht mehr, die Bedienung

ist einfach miserabel.« – »… süß, eben, oder?« – »Hast Du 'n Tipp?« – »… gruselig, sag ich dir,

öllig abgedreht …« – »… ja, genau, Zahnersatz-Versicherung …« – »Lass uns mal ein bisschen

auf der Brücke stehen bleiben!« – »… abzugsfähig als Werbekosten, ja …« – »… das Neueste ist

 ja jetzt Tripleflat ...« – »... darüber mach ich mir Sorgen, muss ich ehrlich sagen …« – »… ichlaub, das war Gandhi …« – »… irgendwas muss ich da anders machen …« – »Lieblingseis …« –

»… lebenslanges Lernen, sagt mein Chef immer, na super!«

nd dann sagt meine Frau zu mir: »Man müsste das mal aufschreiben, was man alles auf 

einem Spaziergang rund um die Alster an Gesprächsfetzen mit anhört …« – »Genau, das hab

ich gerade auch gedacht!« Und wir lachen uns an.

artw g Hansen, Ham urg, geb. 1957, Diplompsychologe, lebt in Hamburg und arbeitet

dort als Autor, Herausgeber, Fachlektor und Paar- und Familientherapeut. Zahlreiche Veröf-

fentlichungen, u a. »Respekt – Der Schlüssel zur Partnerschaft«. www.hartwighansen.de

 

Page 12: Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

5/16/2018 Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten l sst - slidepdf.com

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zeichnete. Das Wort »mietling« hatte allerdings neben

Mieter ebenfalls eine zweite Bedeutung und meinte die

ehemaligen Mägde bzw. Knechte, die ihre Arbeitskraft

vermieteten und sich dadurch von ihrem Ursprungs-

haushalt lösen mussten oder konnten. An der teilweise

katastrophalen Unterbringung der als treulos, feige und

geldgierig geltenden »mietlinge« bzw. »miethleute« ent-

zündete sich dann offensichtlich das formale Recht, was

letztendlich zu einer Legalisierung des Mietrechts und zu

einer Subversion des alten Hausherren- und Gastrechts

führte. Die beginnende Umwertung und Legalisierungder Miete lässt sich sehr gut an einer Anordnung der

Stadt Leipzig von 1701 ablesen, die Strafen androhte,

wenn »befunden würde, dasz in einem hausz so viel

miethleute eingenommen, welche wegen des engen

raums und der geringen feuerstädte ... nicht wohl darin-

nen wohnen könten«15. Auch die ersten »mieht-contrac-

ta« sind aus dieser Zeit bekannt.

Die bestechenden Mietzahlungen wiederholten sich

vermutlich flächendeckend, begleitet von vielen Varia-

tionen und Zufällen, und schon darin bestand die erste

Welle der Bewährung und Restabilisierung. Die Mietewurde schließlich nicht verboten, sondern rechtlich nor-

miert, und hinter den Kulissen der bestechenden Ver-

handlungen nahm der ehemals stabile, mittelalterliche

Haushalt seine neue Form an. An ihm differenzierte sich

die Miete als eine spezifische ökonomische Funktion

aus, die sich um Geld, Zahlungen, Eigentum, Besitz und

das neue, destabilisierende Selektionskriterium des Pro-

fits und dessen Rentabilitätsrechnungen zentrierte, von

da an die Ökonomie der Haushalte mitbestimmte und

schließlich in Form des Leasings generell für die Wirt-

schaft verfügbar wurde. Wir haben es folglich bei der

Miete mit der Variation der Programmierung eines Pro-

gramms durch Bestechung zu tun, welche die Selek-

tionskriterien für die Zugehörigkeit zu einem Haushalt

erweiterte und dadurch diesen, aber auch das Hausher-

ren- und Gastrecht und die Patronage irreversibel verän-

derte. Außerdem entstand mit der Miete auch ein neues

Medium der Kommunikation, neue Rollen, Berufe und

strukturelle Kopplungen wie Mietvertrag oder Melde-

pflicht und eine an das Mieten und Vermieten anschlie-

ßende Kaskade von Variationen und zufälliger und

durch Bestechung ermöglichter Selektionen und Resta-

bilisierungen.

Doch was wäre geschehen, wenn die Miete nicht le-

galisiert und moralisch umgewertet, sondern als Form

der Bestechung verboten worden wäre – wenn also nicht

nur der Zufall, sondern auch der zweite Evolutio-

när, die nicht verbotene Bestechung, durch ein Verbot

verknappt worden wäre? Vielleicht wäre ja dann der

Zufall wieder zu Hilfe gekommen, und es hätte sich eine

andere äquivalente Lösung für das Problem ergeben, an

dem sich die bestechende Miete entzündet hatte. Doch

wenn nicht, dann hätten sich zur Restabilisierung

unvermeidlich korrupte, destabilisierende Strukturen

von hoher Stabilität gebildet, bei denen es dann um einaus der Zufallsknappheit und dem Bestechungsverbot

resultierendes Unvereinbarkeitsproblem gegangen wäre,

als dessen Lösung das heimliche Verfahrenssystem der

Korruption gesehen werden kann. Die Verknappung von

Zufall befördert Bestechung, das Verbot von Bestechung

schafft die Bedingungen für Erpressbarkeit und Korrup-

tion, koppelt die Leistungspotenziale von Bestechung

und Erpressung. Sie verschränkt mit deren medialer Hil-

fe systematisch die Unvereinbarkeiten und Unkoordi-

nierbarkeiten rechtmäßiger Verfahrensentscheidungen

und unrechtmäßiger Verhandlungsergebnisse zu beste-chend erpresserischen Vereinbarkeiten und eröffnet da-

durch Anschlussmöglichkeiten für ein weiteres Medium,

nämlich das der Illegalität. Dieses ermöglicht ebenfalls

und auf ganz eigene Art und Weise die Koordination

unkoordinierbarer Ereignisse und damit eine äquiva-

lente Lösung für das Problem, das sich daraus ergibt,

dass sich der Zufall immer seltener zur richtigen Zeit an

der richtigen Stelle ereignet und mehr und mehr auf 

sich warten lässt – die Gesellschaft jedoch nicht über die

dafür erforderliche Wartezeit verfügt.

97Bestechung: Wenn der Zufall auf sich warten lässt

15 Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm.

Leipzig: S. Hirzel 1854-1960. Bd. 12, Spalte 2180

»miet«, das Wort für die bösen

Geschenke, war noch bis zum

Beginn der Moderne ein Synonym

für Bestechung und Korruption.

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