azb 3001 bern 4·06 · 2006-05-23 · andrej kurkov a m 26.april 1986, als in tscher-nobyl der...

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AZB 3001 Bern www.saemann.ch · Evangelisch-reformierte Monatszeitung · 122.Jahrgang 4 · 06 Ostern – das Fest der Auferstehung Jesu. Auferstehung? Was stellt man sich darunter vor? Ist Ostern ein historisches Ereignis oder bloss eine Metapher für die Hoffnung? Eine kleine Umfrage unter PfarrerInnen ................................. 5 Vier Menschen erinnern sich an den 26. April 1986 – unter anderem der renommierte ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkov. Und Axpo-Manager Manfred Thumann sagt, warum er weiterhin auf Kernenergie setzt ..................... 1–3 Informationen aus Ihrer Kirch- gemeinde und der grossen weiten Welt – zum Beispiel über das Ansinnen des Kantons Bern, den Kirchgemeinden die Pfarrhäuser zu verkaufen. Vorläufiges Fazit: Die Skepsis ist gross ....... Mittelteil ALLES IM GRIFF? – 20 JAHRE NACH TSCHERNOBYL WAS GESCHAH AM 3.TAG? LOKAL UND GLOBAL: KIRCHE HIER UND ANDERSWO Tschernobyl und seine Opfer Die grösste industrielle Katastrophe der Geschichte, die Reaktorexplosion in Tschernobyl vom 26. April 1986, führte ge- mäss Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu 4000 Todesfällen in der Ukraine und in Weissrussland. Von weit grösseren Opfer- zahlen gehen die ÄrztInnen für soziale Verantwortung aus: Allein 100 000 der 800 000 Aufräumarbeiter – damals junge, gesunde Männer – seien bereits verstor- ben. Diese so genannten Liquidatoren hatten die stark verstrahlte AKW-Ruine grösstenteils ungeschützt dekontaminie- ren müssen. Auch in der Schweiz wird nach Langzeitfolgen der Reaktorexplo- sion geforscht, insbesondere nach Schild- drüsenkrebs. Allerdings: Die zusätzliche Langzeitbelastung durch Tschernobyl ist in der Schweiz rund 240-mal kleiner als die natürliche radioaktive Belastung. Auf Grund dieser Messresultate schätzt das Bundesamt für Gesundheit (BAG), dass die Zunahme der Krebserkrankungen als Folge von Tschernobyl weniger als ein halbes Promille beträgt. sel Tschernobyl-Gedenkveranstaltungen: • 31. März, 20.15, Heiliggeistkirche Bern: Gedenkkonzert mit Basler Vokalensemble •25. April, 10–18 Uhr, Heiliggeistkirche Bern: Mahnwache • 26. April, 12.30, Heiliggeistkirche Bern: Mittagsgebet (mit Pfrn. Ursula Dini) • 26. April, 14.00, Waisenhausplatz Bern: Solidaritätskundgebung mit Schulkindern Die Frage nach Tschernobyl: Was ist machbar? Tanz auf dem Vulkan Kein Bergsturz, kein Erdbeben, keine grosse Flut: Die Katastrophe von Tschernobyl war durch und durch menschge- macht – und die Frage ist seit dem 26. 4. 1986 ge- blieben: Dürfen wir alles, was wir können? Es war einmal, da herrschte Gott über Him- mel und Erde und alles, was war und ist. Er sass dort oben irgendwo. Sah uns zu. Tag und Nacht. Hatte gute Augen und grosse Pläne. Verlangte viel, wurde meist ent- täuscht. Liess unsere Bitten vortreten, sor- tierte sie. Erhörte ein paar. Schickte Wasser, Feuer, Heuschrecken, Ausschlag, zu ver- nichten die einen und zu schützen die an- deren. «Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen», murmelten wir hienie- den. Ehrfürchtig, demütig, verständnislos. Das war einmal. Noch immer werden die Geschichten erzählt – von unserer Herkunft, unserem Geschick, vom Sinn des Ganzen –, aber die Erzählungen ver- blassen, ihre Deutungen halten nicht stand, nicht unserem Wissen, nicht unse- ren Zweifeln. Wir sind stolz. Mit gutem Grund! Auf allen vieren haben wir begonnen, bis ins Weltall sind wir gelangt. Durch alles sind wir gefahren, geflogen, getaucht. Wir ha- ben zerteilt, aufgebrochen, neu zusam- mengefügt. Hineingeschaut, verkleinert, vergrössert, neu gemischt. Wir schaffen Dinge, immerzu, unsere Neugier ist gross. Sie macht nirgends halt. «Wir sind so», sagen wir. Wir können nicht anders. Erfin- den etwas, machen Undenkbares mög- lich, schaffen Probleme aus der Welt. Und erfinden damit neue hinzu. Wir kommen an kein Ende. Bereiten es bloss vor. Tschernobyl ist nur ein Teil davon. Fast vergessen. Nur von den Opfern nicht und denen, die es nach wie vor krank macht. Zwanzig Jahre ists her, und wir ha- ben nicht viel gelernt. Nicht über uns, nicht über das, was wir tun. «Macht euch die Erde untertan», steht in unserem hei- ligen Buch. Die meisten von uns haben es weggelegt, aber die Botschaft haben wir begriffen: beherrschen, unterwerfen, aus- beuten. Und dann wegsehen, weghören, vergessen. Der Nutzen und sein Preis Dass die Erde ein Garten sei, zu bebauen und zu bepflanzen, auch das steht in die- sem Buch. Nach Freiheit hat uns verlangt, nicht nach Fürsorglichkeit. Wir schauen nach dem Nutzen und vergessen seinen Preis. Ab und zu schreckt uns etwas auf. Jetzt etwa: Die Vögel, unsere freieren Ge- fährten, werden unverhofft zu Todesboten. Sicherheit, durch Terror und Virus be- droht, bekommt einen neuen Klang. Wir sind weit gekommen, aber wir haben unterwegs einiges verloren. Wir sollten nicht wählen müssen, was schwe- rer wiegt, Gewinn oder Verlust. Dass wir Schönes schufen und Schmerz, verrückte, wunderbare Dinge und grauenhafte Übel, beides ist wahr. Und verlangt uns Denken ab: darüber, was ein gutes Leben ist, was es dazu braucht und wie wir es organisieren. Schauen wir in die Welt, schauen wir in unser Gesicht. Es ist schön und verun- staltet zugleich. In vielem unser Werk. Grund für Stolz und Scham. Wüssten wir bloss, was wir in all unserem Können tat- sächlich wollen – nicht nur für uns, son- dern tauglich für alle –, wir hätten es weit gebracht. Und die Früchte in unserem Gar- ten wären schön, und sie würden für alle von den Bäumen hängen. Silvia Strahm Die Autorin ist Theologin und Publizistin; sie lebt in Luzern EinSpruch! Tatort Hühnerhof B eruhigt es Sie zu wissen, dass die Tamifluvorräte in vielen Ländern Europas aufgestockt werden? Dass die Geflügelbestände in den von der Vogel- grippe betroffenen Regionen im grossen Stil «gekeult» (mit CO2 vergast) werden? Dass man mehrere tausend Stück Geflügel pro Stunde «eliminieren» kann? Dass auch in der Schweiz für den Ernstfall «mobile Tötungsstationen» bereitstehen? Ich frage mich: Handelt es sich hier eigentlich um Lebewesen oder um infi- zierte Stücke irgendeiner Massenware? Ist die Massenvernichtung von Vögeln ethisch zu rechtfertigen? Darf der Mensch alles, wenn es um ihn und den Schutz ei- ner Wirtschaftsbranche geht? Darf er sogar «vorsorglich» töten? Ich kriege seit Wochen Gänsehaut, wenn ich die Meldungen über die Vogel- grippe verfolge. Wie krankhaft ist unsere Beziehung zu den Mitgeschöpfen, dass solches Tun (und ein solcher Sprachge- brauch!) diskussionslos hingenommen werden? Einerseits ängstigt man mich syste- matisch mit apokalyptischen Szenarien einer Pandemie – andererseits beruhigt man mich mit generalstabsmässig insze- nierten Kriseninterventionen. Und signa- lisiert dadurch: alles unter Kontrolle, alles machbar! Aber niemand spricht darüber, dass die rapide Ausbreitung dieses Virus nur möglich ist, weil zu viele Tiere auf zu klei- nem Raum gehalten werden. Und dass unser übertriebener Fleischhunger nur durch solche Massentierhaltung gestillt werden kann, wollen wir uns schon gar nicht anhören. Europa reagiert mit kostspieligen Massnahmenplänen. Dass aber zum Beispiel im afrikanischen Niger mehrere Millionen Dollar nötig wären, um bei den Menschen eine allfällige Ausbreitung der Grippe zu verhindern, kümmert uns we- nig. Ist ja schliesslich weit weg. Blöd nur, dass sich die Zugvögel nicht an die Im- portverbote halten. Dass man da nichts machen kann…! Sandra Begré Die Autorin ist Pfarrerin in Thun-Strättligen Wie bebildert man ein Dossier, das sich – ausgehend von der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl – mit der Zukunft der Kernenergie befasst? – Man… Im Bild: Kirche Meikirch Alle Bilder dieser Ausgabe stammen vom Berner Fotografen Martin Guggisberg (www.martinguggisberg.ch)

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Page 1: AZB 3001 Bern 4·06 · 2006-05-23 · Andrej Kurkov A m 26.April 1986, als in Tscher-nobyl der Super-GAU passierte, war ich genau genommen noch gar nicht auf der Welt. Das Unglück

AZB3001 Bern

www.saemann.ch · Evangelisch-reformierte Monatszeitung · 122. Jahrgang4·0

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Ostern – das Fest der AuferstehungJesu. Auferstehung? Was stelltman sich darunter vor? Ist Osternein historisches Ereignis oder blosseine Metapher für die Hoffnung?Eine kleine Umfrage unterPfarrerInnen ................................. 5

Vier Menschen erinnern sich anden 26.April 1986 – unter anderemder renommierte ukrainischeSchriftsteller Andrej Kurkov. UndAxpo-Manager Manfred Thumannsagt, warum er weiterhin aufKernenergie setzt..................... 1–3

Informationen aus Ihrer Kirch-gemeinde und der grossen weitenWelt – zum Beispiel über dasAnsinnen des Kantons Bern, denKirchgemeinden die Pfarrhäuserzu verkaufen. Vorläufiges Fazit:Die Skepsis ist gross ....... Mittelteil

ALLES IM GRIFF? – 20 JAHRE NACH TSCHERNOBYL WAS GESCHAH AM 3. TAG? LOKAL UND GLOBAL: KIRCHE HIER UND ANDERSWO

Tschernobyl und seine OpferDie grösste industrielle Katastrophe derGeschichte, die Reaktorexplosion inTschernobyl vom 26. April 1986, führte ge-mäss Weltgesundheitsorganisation (WHO)zu 4000 Todesfällen in der Ukraine und inWeissrussland. Von weit grösseren Opfer-zahlen gehen die ÄrztInnen für sozialeVerantwortung aus: Allein 100 000 der800 000 Aufräumarbeiter – damals junge,gesunde Männer – seien bereits verstor-ben. Diese so genannten Liquidatorenhatten die stark verstrahlte AKW-Ruinegrösstenteils ungeschützt dekontaminie-ren müssen. Auch in der Schweiz wirdnach Langzeitfolgen der Reaktorexplo-sion geforscht, insbesondere nach Schild-drüsenkrebs. Allerdings: Die zusätzlicheLangzeitbelastung durch Tschernobyl istin der Schweiz rund 240-mal kleiner alsdie natürliche radioaktive Belastung. AufGrund dieser Messresultate schätzt dasBundesamt für Gesundheit (BAG), dassdie Zunahme der Krebserkrankungen alsFolge von Tschernobyl weniger als einhalbes Promille beträgt. sel

Tschernobyl-Gedenkveranstaltungen:

•31. März, 20.15, Heiliggeistkirche Bern:

Gedenkkonzert mit Basler Vokalensemble

•25. April, 10–18 Uhr, Heiliggeistkirche Bern:

Mahnwache

•26. April, 12.30, Heiliggeistkirche Bern:

Mittagsgebet (mit Pfrn. Ursula Dini)

• 26. April, 14.00, Waisenhausplatz Bern:

Solidaritätskundgebung mit Schulkindern

Die Frage nach Tschernobyl: Was ist machbar?

Tanz auf dem Vulkan

Kein Bergsturz, keinErdbeben, keine grosseFlut: Die Katastrophe vonTschernobyl war durchund durch menschge-macht – und die Frage istseit dem 26.4.1986 ge-blieben: Dürfen wir alles,was wir können?

Es war einmal, da herrschte Gott über Him-mel und Erde und alles, was war und ist. Ersass dort oben irgendwo. Sah uns zu. Tagund Nacht. Hatte gute Augen und grossePläne. Verlangte viel, wurde meist ent-täuscht. Liess unsere Bitten vortreten, sor-tierte sie. Erhörte ein paar. Schickte Wasser,Feuer, Heuschrecken, Ausschlag, zu ver-nichten die einen und zu schützen die an-deren. «Der Herr hats gegeben, der Herrhats genommen», murmelten wir hienie-den. Ehrfürchtig, demütig, verständnislos.

Das war einmal. Noch immer werdendie Geschichten erzählt – von unsererHerkunft, unserem Geschick, vom Sinndes Ganzen –, aber die Erzählungen ver-blassen, ihre Deutungen halten nichtstand, nicht unserem Wissen, nicht unse-ren Zweifeln.

Wir sind stolz. Mit gutem Grund! Aufallen vieren haben wir begonnen, bis insWeltall sind wir gelangt. Durch alles sindwir gefahren, geflogen, getaucht. Wir ha-ben zerteilt, aufgebrochen, neu zusam-mengefügt. Hineingeschaut, verkleinert,vergrössert, neu gemischt. Wir schaffenDinge, immerzu, unsere Neugier ist gross.Sie macht nirgends halt. «Wir sind so»,sagen wir. Wir können nicht anders. Erfin-den etwas, machen Undenkbares mög-lich, schaffen Probleme aus der Welt. Underfinden damit neue hinzu. Wir kommenan kein Ende. Bereiten es bloss vor.

Tschernobyl ist nur ein Teil davon.Fast vergessen. Nur von den Opfern nichtund denen, die es nach wie vor krankmacht. Zwanzig Jahre ists her, und wir ha-ben nicht viel gelernt. Nicht über uns,nicht über das, was wir tun. «Macht euchdie Erde untertan», steht in unserem hei-ligen Buch. Die meisten von uns haben esweggelegt, aber die Botschaft haben wirbegriffen: beherrschen, unterwerfen, aus-beuten. Und dann wegsehen, weghören,vergessen.

Der Nutzen und sein PreisDass die Erde ein Garten sei, zu bebauenund zu bepflanzen, auch das steht in die-

sem Buch. Nach Freiheit hat uns verlangt,nicht nach Fürsorglichkeit. Wir schauennach dem Nutzen und vergessen seinenPreis. Ab und zu schreckt uns etwas auf.Jetzt etwa: Die Vögel, unsere freieren Ge-fährten, werden unverhofft zu Todesboten.Sicherheit, durch Terror und Virus be-droht, bekommt einen neuen Klang.

Wir sind weit gekommen, aber wirhaben unterwegs einiges verloren. Wirsollten nicht wählen müssen, was schwe-rer wiegt, Gewinn oder Verlust. Dass wirSchönes schufen und Schmerz, verrückte,wunderbare Dinge und grauenhafte Übel,beides ist wahr. Und verlangt uns Denkenab: darüber, was ein gutes Leben ist, was esdazu braucht und wie wir es organisieren.

Schauen wir in die Welt, schauen wirin unser Gesicht. Es ist schön und verun-staltet zugleich. In vielem unser Werk.Grund für Stolz und Scham. Wüssten wirbloss, was wir in all unserem Können tat-sächlich wollen – nicht nur für uns, son-dern tauglich für alle –, wir hätten es weitgebracht. Und die Früchte in unserem Gar-ten wären schön, und sie würden für allevon den Bäumen hängen. Silvia Strahm

Die Autorin ist Theologin und Publizistin;

sie lebt in Luzern

EinSpruch!

TatortHühnerhof

Beruhigt es Sie zu wissen, dass dieTamifluvorräte in vielen LändernEuropas aufgestockt werden? Dass

die Geflügelbestände in den von der Vogel-grippe betroffenen Regionen im grossenStil «gekeult» (mit CO2 vergast) werden?Dass man mehrere tausend Stück Geflügelpro Stunde «eliminieren» kann? Dassauch in der Schweiz für den Ernstfall«mobile Tötungsstationen» bereitstehen?

Ich frage mich: Handelt es sich hiereigentlich um Lebewesen oder um infi-zierte Stücke irgendeiner Massenware?Ist die Massenvernichtung von Vögelnethisch zu rechtfertigen? Darf der Menschalles, wenn es um ihn und den Schutz ei-ner Wirtschaftsbranche geht? Darf er sogar«vorsorglich» töten?

Ich kriege seit Wochen Gänsehaut,wenn ich die Meldungen über die Vogel-grippe verfolge. Wie krankhaft ist unsereBeziehung zu den Mitgeschöpfen, dasssolches Tun (und ein solcher Sprachge-brauch!) diskussionslos hingenommenwerden?

Einerseits ängstigt man mich syste-matisch mit apokalyptischen Szenarieneiner Pandemie – andererseits beruhigtman mich mit generalstabsmässig insze-nierten Kriseninterventionen. Und signa-lisiert dadurch: alles unter Kontrolle, allesmachbar!

Aber niemand spricht darüber, dassdie rapide Ausbreitung dieses Virus nurmöglich ist, weil zu viele Tiere auf zu klei-nem Raum gehalten werden. Und dassunser übertriebener Fleischhunger nurdurch solche Massentierhaltung gestilltwerden kann, wollen wir uns schon garnicht anhören.

Europa reagiert mit kostspieligenMassnahmenplänen. Dass aber zumBeispiel im afrikanischen Niger mehrereMillionen Dollar nötig wären, um bei denMenschen eine allfällige Ausbreitung derGrippe zu verhindern, kümmert uns we-nig. Ist ja schliesslich weit weg. Blöd nur,dass sich die Zugvögel nicht an die Im-portverbote halten. Dass man da nichtsmachen kann…!

Sandra Begré

Die Autorin ist Pfarrerin in Thun-Strättligen

Wie bebildert man ein Dossier, das sich – ausgehend von der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl – mit der Zukunft der Kernenergie befasst? – Man…

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Page 2: AZB 3001 Bern 4·06 · 2006-05-23 · Andrej Kurkov A m 26.April 1986, als in Tscher-nobyl der Super-GAU passierte, war ich genau genommen noch gar nicht auf der Welt. Das Unglück

2 DOSSIER: ALLES IM GRIFF? saemann 4 ·2006

Erinnern und vergessen

Am 26.April 1986…

…explodierte im Kernkraftwerk von Tschernobyl der Reaktor. Die Bise trieb die ausgetretene Radioaktivität über weite Teile Europas – undhatte auch auf viele Menschen 1500 Kilometer westlich des Unglücksorts nachhaltige Auswirkungen. Wie war das an diesem Samstag imApril? Was ist vom damaligen Schrecken geblieben? Und: Wie denken Menschen heute, zwanzig Jahre später, über die Kernenergie?

Am 26.April 1986 war ich im Ge-fängnis von Odessa, wo ich mei-nen Militärdienst als Gefängnis-

wärter leistete. Zwei Tage zuvor war ich25 Jahre alt geworden. Gegen Abend wurdeich ins Büro des Kompaniechefs gerufen.Er sagte mir, dass in der Nähe von Kiew ineinem Atomkraftwerk ein ernst zu neh-mender Unfall passiert sei. Und er erlaubtemir, von seinem Büro aus meine Eltern inKiew anzurufen. Als ich meine Mutter end-lich am Telefonapparat hatte, blieb sie dieRuhe selbst. Am nächsten Tag offenbartesich nach und nach das ganze Ausmass desUnfalls. Die Einheit, bei der ich diente, un-terstand dem Ministerium für Innere An-gelegenheiten. Das bedeutete, dass mandort die Informationen über die Katastro-phe aus erster Hand bekam. Ich erkundigtemich täglich per Telefon über die Lage inKiew. Die erste Nachricht war tragisch: AmAbend des 26. April war General S. gestor-ben, der mir geholfen hatte, den Truppendes KGB zu entkommen. Er hatte in seinemDienstwagen seine Familie aus Kiew he-rausbringen wollen. In seiner Panik hatteer sich in der Richtung geirrt und war in ei-nen Beleuchtungsmasten gerast. Er selbstwar sofort tot, seine Frau und das Kind ka-men ins Krankenhaus.

Am 1. Mai wurden im Fernsehen dieüblichen «Paraden der Werktätigen» aufdem Kreschtschatnik-Platz gezeigt. Aufder festlich geschmückten Tribüne stan-den die Parteileitung der Ukraine und dieStaatschefs der Republik. Alles war wie im-mer, man hätte meinen können, es sei garnichts vorgefallen. Zuvor hatte es prak-tisch keinerlei offizielle Information überdas Unglück gegeben. Es war, als ob dieRegierung die Ernsthaftigkeit der Kata-strophe absichtlich herunterspielte, umdie Feiertagsstimmung nicht zu stören.

Aber dann kam der Nach-Tscherno-byl-Alltag. Am Telefon erzählten mirmeine Mutter und meine Freunde, dassman inzwischen alle Frauen und Kinderaus Kiew evakuiert und allen Leuten emp-fohlen hatte, die Fenster und Lüftungs-

klappen zu schliessen und sich so wenigwie möglich im Freien aufzuhalten. In derKlinik gab man den Patienten Rotwein zutrinken. Er helfe angeblich dem Organis-mus beim Abbau der Strahlung. Das Wort«Strahlung» gehörte ab sofort zum All-tagsvokabular.

Nur die erwachsenen Männer bliebenin der Stadt Kiew. Mein Freund, ein Jour-nalist, der seine Frau und seine zwei Töch-ter zu Verwandten nach Odessa brachte,erzählte, dass in Kiew alle betrunken he-rumliefen, alle – auch die Milizionäre.

Meine Mutter berichtete, dass ihreKlinik inzwischen nur noch Soldaten undOffiziere aus Tschernobyl aufnähme. Manbrachte sie täglich autobusweise ins Kran-kenhaus. Erst dort erhielten sie eine Anti-strahlungsbehandlung. Nach ein paarTagen trug man alle Teppiche aus demKrankenhaus heraus – das Krankenhausselbst war zur Strahlenquelle geworden.In dieser Zeit lagen dort auf den Stationenjene Feuerwehrmänner, die als erste nachder Explosion den Reaktorbrand zu lö-schen versucht hatten. Die Ärzte, die siebehandelten, bekamen von ihren Patien-ten noch so viel Strahlung ab, dass bis aufden heutigen Tag die Hälfte von ihnen anKrebserkrankungen gestorben ist.

Meine Laufbahn bei der Armee been-dete ich als Militärbriefträger in Kiew.Manchmal schaffte ich es, für ein paarStunden in die Stadt zu gehen. Ich erinneremich, wie ich einmal zum Hydropark fuhr,eine Erholungsinsel auf dem Dnjepr. Ichsah die leeren Strände, die leeren Cafés –und einsame, betrunkene Männer. ImSommer 1986 badete niemand im Dnjepr,und niemand angelte. Andrej Kurkov

Am 26. April 1986, als in Tscher-nobyl der Super-GAU passierte,war ich genau genommen noch

gar nicht auf der Welt. Das Unglück ge-schah um 1.23 Uhr – meine Geburtsstundeist 2.41 Uhr. Ein seltsames Gefühl – und fürmein Leben auch prägend. So lange ichdenken kann, war an meinem Geburtstagdieses Tschernobyl immer ein Medienthe-ma. Man sah Bilder und Reportagen, er-fuhr von Geschädigten. Ich habe einigesdarüber gelesen, kürzlich auch eine aus-führliche Internetreportage, in der eineFrau aus der Gegend um Tschernobyl voneinem Gang über das Gelände berichtete.Ich habe mich sicher etwas mehr als ande-re Gleichaltrige für den Vorfall interessiert,aber ich bin deshalb kein genereller Atom-kraftgegner geworden. Ich sehe auch, dassdie meisten Alternativen teurer und weni-ger effizient sind und gerade für ärmereLänder deshalb nicht in Frage kommen.Das ist ein Problem.

Ich weiss natürlich auch, dass dasAbfallproblem nach wie vor ungelöst ist.Das macht auch mir Angst, aber ich sehehalt auch, dass Atomkraft – im Momentjedenfalls – sauberer und irgendwie unbe-denklicher ist als fossile Brennstoffe wieKohle, Erdöl und Erdgas. Ich denke auch,dass man heute modernere und sicherereAnlagen baut als jene von Tschernobyl.Zur Energie habe ich überhaupt ein eherunverkrampftes Verhältnis – wie die meis-ten in meinem Alter, denke ich. Strom istgrundsätzlich einmal da, und ich machemir nicht allzu viele Gedanken, woher erkommt und wie viel ich brauche. Ichschränke mich auch nicht speziell ein.

Dennis Briechle

Am 26.April 1986 wusste ich, wiealle anderen auch, vom Super-GAU in Tschernobyl noch gar

nichts. Als ich drei Tage später im Radioerstmals vom Reaktorunfall hörte, war ichauf dem Heimweg von der Arbeit. In denGärten blühten die Magnolien, und meinerster Gedanke war: «Mein Gott, hoffent-lich ist dieses Tschernobyl ganz weit weg!»Ich hatte zu Hause zwei kleine Kinder undspürte instinktiv: Was da passiert ist, be-droht ihr Leben, ich muss sie schützen.

Das versuchte man mir offiziell zwarauszureden, aber die Empfehlungen tön-ten ganz anders: keine Milch trinken, kei-nen Salat essen, nicht unnötig ins Freie ge-hen! Dabei lockten draussen der Frühling,der Sandkasten, der Rasenspielplatz – undich sollte meinen Buben erklären, warumplötzlich Legospielen im Kinderzimmerangesagt sei? Wörter wie «Halbwertszeit»,«Cäsium» und «Becquerel» zwängtensich in unseren Alltag. Später kamen dieBilder! Wir versteckten sie vor den Kindern.Sie entdeckten sie trotzdem, stellten Fra-gen, und irgendeinmal konnte man nichtmehr ausweichen. «Müssen wir jetzt ster-ben?», fragte mich mein Fünfjähriger.«Aber nein!», gab ich zur Antwort undhoffte, es möge sorglos klingen. Ich wussteja auch nicht viel mehr als er.

Vor drei Jahren habe ich in derUkraine eine Familie kennen gelernt, dieihr Kind an den Spätfolgen von Tscherno-byl verlor. Tschernobyl wird für mich im-mer Synonym bleiben für das Ende der«Die-werden-das-schon-im-Griff-haben»-Zeit. Jedes Mal, wenn die Magnolien blü-hen, wird es mir schmerzlich bewusst.

Rita Jost

Am 26.April 1986 war ich zuHause in Felsberg GR. Es warein Samstag, und ich wusste

nichts von Tschernobyl. Anfang Wocheüberraschten mich dann in Bern erste In-formationen aus Schweden, wo erhöhteRadioaktivität gemessen wurde. Nach-richten aus der Sowjetunion fehlten vor-erst, erst nach und nach wurde das Aus-mass der Katastrophe bekannt. Am 3. Maiorientierte ich die Öffentlichkeit in einemRadiointerview über das, was ich wusste.

Die Reaktorkatastrophe von Tscher-nobyl war in den folgenden Wochen Mit-telpunkt meiner Tätigkeit. Unsere Fach-leute informierten uns dabei auch überden technischen Zustand des dortigenKernkraftwerks – unter anderem darüber,dass dieses kein Containment, also keineSchützhülle, hatte. Die Radioaktivitäthatte ungehindert entweichen und Landund Menschen verstrahlen können. DieKernkraftwerke in unserem Land sindausgestattet mit einem Containment, daswirkungsvoll das Entweichen von Radio-aktivität verhindern würde.

Tschernobyl hat einmal mehr ge-zeigt, dass Leben und Handeln der Men-schen risikobehaftet sind. Wenn wir Risi-ken schaffen, müssen wir alles unterneh-men, Schäden für Mensch und Umwelt zuverhindern. Alle möglichen Sicherheits-und Vorsorgemassnahmen müssen getrof-fen werden – auch wenn sie aufwändigsind. Diesen unabdingbaren Geboten undPflichten ist in Tschernobyl nicht Genügegetan worden. Unzählige Menschen ha-ben deshalb schwere gesundheitlicheSchäden erlitten. Das hat mich tief betrof-fen gemacht. Leon Schlumpf

Rita Jost, 55

war 1986 Radiojour-

nalistin und Familien-

frau. Heute arbeitet

die Stadtbernerin als

Redaktorin beim

«saemann»

Dennis Briechle, 20

kam 78 Minuten

nach der Tscherno-

byl-Katastrophe zur

Welt. Derzeit steckt

der Nidauer in der

Rekrutenschule,

anschliessend be-

ginnt er ein Studium

Andrej Kurkov, 45

war 1986 in Odessa

im Militärdienst.

Heute lebt der inter-

national renommierte

ukrainische Schrift-

steller (u.a. «Picknick

auf dem Eis») in Kiew

und London

Leon Schlumpf, 81

war 1986 Bundesrat

(SVP) und stand dem

Verkehrs- und Ener-

giewirtschaftsdepar-

tement vor. Heute

lebt er im bündne-

rischen Felsberg

…besucht das Kernkraftwerk Mühleberg für eine Betriebsbesichtigung. 2005 produzierte das Werk vor den Toren Berns 42% der Elektrizität im ganzen BKW-Versorgungsgebiet (oder 425-mal…

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3 DOSSIER: ALLES IM GRIFF? saemann 4 ·2006

Mit Kernenergie gegen den Stromengpass? – Ein Streitgespräch

Strom sparen oder ein Kernkraftwerk bauen

Kommts zwanzig Jahre nach Tschernobyl zur Renais-sance der Kernkraft? Manfred Thumann, Mitglied derGeschäftsleitung des Stromkonzerns Axpo und Chefder KKW Leibstadt und Beznau, im Streitgespräch mitKurt Zaugg-Ott, Leiter der Oeku (Kirche und Umwelt) –über Energieengpässe, Atommüllendlager und dieEthik der Kernkraft.

Manfred Thumann, Kurt Zaugg:

Wie haben Sie den 26. April 1986,

den Tag der Reaktorkatastrophe von

Tschernobyl, erlebt?

Manfred Thumann: Ich war damals32-jährig und noch kein Fachmann fürKernenergie – und deshalb wie alle Laienden unterschiedlichsten Meinungen derExperten ausgesetzt. War nun der Salatkontaminiert oder nicht? Durfte man dieMilch noch trinken? Wie praktisch die ge-samte Studentenschaft der Ruhr-Universi-tät Bochum war ich zu jener Zeit kern-kraftskeptisch: Man hatte den Verdacht,hinter der Atomkraftallianz zwischen Po-litik und Industrie steckten auch militäri-sche Interessen.Kurt Zaugg: Ich war damals 26-jährigund ein AKW-Gegner. Der Super-GAU vonTschernobyl ängstigte mich: «Die kriegendas nicht in den Griff», dachte ich, alswährend Tagen Radioaktivität RichtungWesten wehte – wir hatten ja in jenenApriltagen im Bernbiet eine starke Bise.Tschernobyl hat gezeigt, welch riesigesZerstörungspotenzial in Kernkraftwerkensteckt, wenn es zur Explosion kommt –auch wenn ich weiss, dass der hiesige Re-aktortyp ein anderer ist als der sowjetische.

Ist Tschernobyl der Grund,

dass Sie heute den Ausstieg aus

der Kern-energie propagieren?

Kurt Zaugg: Ich will nicht einennächsten Unfall heraufbeschwören: Aberdie Kerntechnik ist und bleibt eine Risiko-technik. Kommt dazu: Wir haben den Nut-zen aus der Uranausbeutung, aber künf-tige Generationen nur das Problem mitdem Atommüll. Sie werden ihn noch inZehntausenden von Jahren hüten müssen.Das ist unethisch.Manfred Thumann: Unethisch istvielmehr der Verzicht auf die Kernenergie.Warum? Heute haben bloss eine Milliarde

Menschen so Zugang zu Strom wie wir –und damit zu Computer, Kühlschrankund DVD-Anlage. Wenn die fünf andernMilliarden nicht davon ausgeschlossensein wollen, müssen sie auf Kernenergiesetzen: Es gibt keine Alternativenergie, mitder sich die Menschen in Afrika, Asien undLateinamerika günstig mit Strom versor-gen könnten. Tun sie es mit Gas, Kohleund Öl, wächst das CO2-Problem und da-mit die globale Klimaerwärmung endgül-tig über ein kritisches Limit hinaus.

Sie propagieren also die Atomenergie

als umweltfreundliche Energie. Das ist

reichlich kühn, wird doch dabei radio-

aktiver Müll produziert , der noch

während Jahrtausenden strahlt…

Manfred Thumann: Die Kernener-gie hat nicht nur Vorteile, aber ich drückemich auch nicht um ihre Nachteile.Stimmt, der Abfall ist da. Aber er wird dä-monisiert. Im Zürcher Weinland beispiels-weise haben wir eine zirka hundert Meterdicke Schicht Opalinuston, die seit 180Millionen Jahren völlig stabil ist. Gefun-

dene Versteinerungen zeigen nach wie voreinen Opalinusglanz, was beweist, dasswährend diesen für uns unendlich langenZeiträumen ein luft- und wasserdichterEinschluss gegeben war. In solchenSchichten lassen sich abgebrannte Brenn-elemente daher sicher einlagern: DiesenNachweis können wir heute erbringen.

Kommt dazu: Der so genannte Atom-müll von heute ist der Brennstoff von mor-gen, denn er enthält nach wie vor 96 Pro-zent Uran, das als Brennstoff für zukünf-tige Reaktoren wiederverwendet werdenkann. Künftige Generationen werden ihndaher zurückholen und nutzen.Kurt Zaugg: Fakt ist: Weltweit ist nochkein Endlager in Betrieb. Und es gibt Geo-logen, die grundsätzlich bezweifeln, dassein Endlager in Opalinuston überhauptmöglich ist. Hochradioaktiver Abfall wirdsich kaum so brav verhalten wie ein einge-schlossenes Fossil. Er strahlt ja weiter.

Fakt ist auch: Die KonsumentInnen

brauchen immer mehr Strom,

sie stimmen sozusagen an der Steck-

dose über die Energiepolitik ab.

Strom sparen ist nicht in, Herr Zaugg,

der kirchliche Appell zu mehr

Zurückhaltung verhallt ungehört.

Kurt Zaugg: Keineswegs. Auch dasBundesamt für Energie ortet ein gewalti-ges Stromsparpotenzial. Stromsparen istaber, zugegeben, ein schwierige Sache.Das beginnt schon im Haushalt, wo heute

die meisten TV-Geräte, Kaffeemaschinenund Computer permanent auf Stand-bygestellt sind. Es braucht eine dezidiertePolitik, die auf Stromsparen und erneuer-bare Energien setzt – dazu fehlt aber derpolitische Wille. Wäre der Atomausstieg inder Schweiz erklärte Politik, würde auchhier massiv in Alternativenergie investiert.In Deutschland etwa gibt es Hunderte vonKirchendächern, auf denen die Solarener-gie genutzt wird. Zudem verlangt globaleGerechtigkeit von den reichen Länderneine Reduktion ihres Energieverbrauchs.Manfred Thumann: Wir fördern inder Schweiz seit mindestens fünfzehn Jah-ren erneuerbare Energien. Obwohl wirden Erzeugern pro Kilowattstunde fünf-zehn Rappen vergüten, haben wir es ge-rade mal auf 270 Gigawattstunden erneu-erbaren Strom gebracht. Allein im letztenJahr ist der Stromverbrauch jedoch um1100 Gigawattstunden gestiegen. Das sindgewaltige Diskrepanzen! Dazu kommt derfür die Alternativenergie ungünstige Ge-stehungskostenvergleich: Fünf Rappenfür eine Kilowattstunde aus dem Kern-oder Wasserkraftwerk, fast 85 Rappen fürdie Kilowattstunde aus Solarstrom.Kurt Zaugg: Trotzdem bin ich über-zeugt, dass sich die Wettbewerbsfähigkeitalternativer Energie mit Lenkungsmass-nahmen entscheidend verbessern liesse.

Warum ist der Ausstieg aus der

Atomenergie bei uns nicht machbar,

Herr Thumann? Andere europäische

Länder schaffens ja auch.

Manfred Thumann: Tatsache ist: Inden letzten Jahrzehnten ist in der Schweizder Strombedarf jährlich um zwei Prozentgestiegen. Fürs Jahr 2020 zeichnet sicheine klare Versorgungslücke ab. Stromkommt heute in der Schweiz zu sechzigProzent aus der Wasser- und zu vierzigProzent aus der Kernkraft. Heisst: Um ausder Kernenergie auszusteigen, müsstenSie künftig diese vierzig Prozent und denStromverbrauchszuwachs durch erneuer-bare Energien ersetzen. Wir haben das Po-tenzial ohne Scheuklappen untersucht.Resultat: Mit Windkraft, Fotovoltaik (So-larzellen), Kleinwasserkraftwerken, Bio-masse (Stromproduktion über organischeAbfälle oder nachwachsende Rohstoffe)und Geothermie (Erdwärme) können Sieim Jahr 2030 rund sechs Prozent des Be-darfs decken – aber niemals vierzig undmehr!

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft:

Wie viele Kernkraftwerke hat

die Schweiz in fünfzig Jahren?

Kurt Zaugg: Meine Vision ist die 2000-Watt-Gesellschaft – heute verbrauchenwir pro Kopf noch 6000 Watt. Die Zukunftliegt im Stromsparen, in der Effizienz undden erneuerbaren Energien. Die Kern-energie wird an Bedeutung verlieren. DasArgument, Atomstrom trage wesentlichzur Reduktion des CO2-Ausstosses bei,sticht im Übrigen nicht: CO2 entsteht jazum grössten Teil nicht bei der Strompro-duktion, sondern im Verkehr und beimHeizen.Manfred Thumann: Ich will heutenicht darüber spekulieren, ob in derSchweiz neue Kernkraftwerke gebaut wer-den. Wir werden das bauen, was gesetzlichund gesellschaftlich verträglich ist undgebraucht wird. International hat dieKernenergie bestimmt Zukunft. Sie istumweltverträglich und bezahlbar. Ausser-dem steht sie erst am Anfang ihrer Ent-wicklung. Es wird neue, andere Kernreak-tortypen geben, und vielleicht kommt infünfzig Jahren die Kernfusion.

Gespräch: Samuel GeiserTilmann Zuber

Kurt Zaugg-Ott, Oeku(Kirche und Umwelt):«Meine Vision ist die

2000-Watt-Gesellschaft.»

Manfred Thumann,Stromkonzern Axpo (r.):

«Der Verzicht auf dieKernenergie ist unethisch.»

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…mehr als die Windturbinen auf dem Mont Crosin). 2012 läuft die Betriebsbewilligung des seit 1972 bestehenden KKW aus: Das Gesuch um eine unbefristete Verlängerung ist hängig.

Page 4: AZB 3001 Bern 4·06 · 2006-05-23 · Andrej Kurkov A m 26.April 1986, als in Tscher-nobyl der Super-GAU passierte, war ich genau genommen noch gar nicht auf der Welt. Das Unglück

4 ÖRK-VERSAMMLUNG PORTO ALEGRE saemann 4 ·2006

Schlussbericht zur Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Porto Alegre (14.–24.Februar)

«We can make it only together»

Der Schlussgottesdienst inPorto Alegre war einFeuerwerk: mitreissenderGesang, ein Bekenntniszum Aufbruch – insgesamtein pralles südamerikani-sches Kontrastprogrammzu den vielen nüchternenGottesdiensten in denKirchen Europas. Doch:Was verändert die 9. Voll-versammlung des Ökume-nischen Rats der Kirchenwirklich – an der Basis, in der Weltpolitik?

Zum ersten Mal traf sich die weltweiteÖkumene in Lateinamerika. Und das warzehn Tage lang hör- und spürbar. «Hierwurde die alte Ökumene endgültig begra-ben», bilanzierte ein Nordeuropäer in ei-ner Sendung von Radio Suisse Romandenüchtern. Und meinte damit die stark pro-testantisch geprägte Ökumene der Grün-derjahre. 58 Jahre nach der ersten Vollver-sammlung in Amsterdam hat die Öku-mene endgültig Südsicht.

Sie hat mit Walter Altmann neu ei-nen brasilianischen Befreiungstheologenzum Ratsvorsitzenden. Sie hat Kontaktaufgenommen mit den (vor allem im Sü-den) stark wachsenden Pfingstgemein-den. Und sie hat zehn Tage lang intensivden Opfern zugehört. Diese – die Behin-derten, die Ureinwohner, die Opfer derGlobalisierung, die HIV-Positiven und dieOpfer staatlicher Gewalt – prägten dieThemen in den rund 300 Mutiraos (Dis-kussionsrunden) und Bibelgesprächen.Ihre Appelle und Klagen waren vor allemfür die rund 3000 Besucherinnen und Be-sucher ohne Stimmrecht weit prägenderals die Versammlungen des Rats, der in ei-nem schwer durchschaubaren Prozessseine Geschäfte abwickelte.

Der Schrei der UnterdrücktenFünfzig Schweizer Basisleute aus Kirchge-meinden und ein jugendlicher Stewart wa-ren in Porto Alegre als BeobachterInnendabei. Sie hörten zu, diskutierten mit, lies-sen sich berühren von den Schilderungender Schwachen, der Rechtlosen, der Opfervon Gewalt, Globalisierung und Korrupti-

on. Diese Basisleute werden nun in ihrenKirchgemeinden von ihren Erfahrungenberichten und – im besten Fall – dafür sor-gen, dass den wohl ausgewogenen Proto-kollsätzen handfeste Taten folgen.

Vielleicht werden sie aber auch auftaube Ohren stossen oder Widerstand we-cken. Denn: Schweizer Kirchgemeindensind nicht südamerikanische Basisge-meinden, es sind Kirchen des Mittelstands,finanziert von Steuergeldern des Mittel-stands, getragen von Christen, die ihrenLohn – möglicherweise – in einem globaltätigen Grosskonzern verdienen. DieseMenschen werden die Südsicht nicht frag-los übernehmen. Wenn man auch sieüberzeugen will, braucht es Berichte vonfunktionierenden Alternativprojekten.

Porto Alegre blieb in dieser Hinsichtoft unscharf. Im geschützten Rahmen derWorkshops wurden Feindbilder zemen-tiert, und im grossen Plenum wurden dieheiklen Fragen ausgeklammert oder um-schifft. Zur Globalisierung gab es «nur»

RückblickeDrei der fünfzig Schweizer VertreterInnenhaben von der 9. ÖRK-Vollversammlungin Porto Alegre folgende Eindrücke undErinnerungen nach Hause gebracht (vgl.«saemann» 2/06):

Daniel Locher

Theologiestudent aus

Ittigen, Stewart in

Porto Alegre:

«Für mich war Porto

Alegre ein Stück ge-

lebter Ökumene: das

Zusammentreffen

von ChristInnen un-

terschiedlichster Herkunft, die gemeinsam

nach Einheit suchten. Als Stewart (Hilfs-

kraft) im Plenarsaal bekam ich etwas mit

von diesem Ringen im Rat. Aber Porto Ale-

gre ist mehr als eine Versammlung mit

Schlussprotokoll. Ich persönlich habe er-

lebt, wie wichtig Zuhören ist. Ich habe ge-

spürt, dass verschiedene Strömungen ne-

beneinander stehen können, ohne dass sie

sich ausschliessen müssen. Und ich habe

begriffen, dass das gemeinsam Diskutieren

und Streiten den Horizont weitet. Ich

komme aus Pfingstkreisen und hatte bisher

wahrscheinlich etwas einen Tunnelblick,

was das Christentum anbelangt. Mir sind

plötzlich Fenster aufgegangen. Ich habe

realisiert – vor allem in den Gottediensten

–, dass der ‹Leib Christi› grösser ist als mein

Verständnis der Konfession. Es tönt viel-

leicht paradox – aber durch die totale Öff-

nung habe ich erst erfahren, wer ich bin.»

Pia Grossholz

Synodalrätin der Re-

formierten Kirchen

Bern-Jura-Solothurn:

«‹Dass die Schweizer

Kirchen sich mit je-

nen Brasiliens zu-

sammen für Wasser

als öffentliches Gut

und für Zugang zu Wasser als Menschen-

recht einsetzen, finde ich grossartig!›: Sol-

che Sätze hörte ich oft, wenn ich am Stand

des Ecumenical Waternetworks die ge-

meinsame Erklärung unserer Kirchen erläu-

terte. So konnte sich die kleine Schweiz in

einer weltweiten Problematik mutig zu

Wort melden – und wurde gehört: Im

Schlussdokument des ÖRK wurde nämlich

die Erklärung als beispielhaftes gemeinsa-

mes Vorgehen von Kirchen im Norden und

im Süden genannt. Mit nach Hause ge-

nommen habe ich viel Energie und Zuver-

sicht aus dem Umgang der Südamerikaner-

Innen mit der Bibel. Ihr Handeln wird direkt

geprägt und beeinflusst von dem, was sie

in der Bibel lesen. Dieser Umgang mit den

biblischen Texten strahlt so viel Lebendig-

keit aus und ist voller Kraft, welche die Zu-

hörerInnen ansteckt und motiviert.»

Thomas Wipf

Ratspräsident Evan-

gelischer Kirchen-

bund (SEK):

«Porto Alegre hat

den ÖRK gestärkt.

Natürlich gibt es im-

mer noch viele tren-

nende theologische

Fragen, aber ich spürte doch bei vielen De-

legierten neuen Schwung, den starken Wil-

len auch, gemeinsam für das Leben einzu-

stehen. Wenn es dem ÖRK in den nächsten

Jahren gelingt, sich auf die gewählten The-

menfelder zu beschränken und in der Viel-

falt immer wieder das Gemeinsame zu su-

chen, können wir als Christen viel bewir-

ken. Nicht zufrieden bin ich mit der Art und

Weise, wie man die ‹Globalisierung› behan-

delt hat. Zum Gebet muss die sachgemässe

Auseinandersetzung kommen. Auch der

ÖRK muss sich kritisch fragen: Haben wir

erreicht, was wir erreichen wollten?»

Schweizer Kirch-

gemeinden sind nicht

südamerikanische

Basisgemeinden, es sind

Kirchen des Mittelstands,

finanziert von Steuer-

geldern des Mittelstands,

getragen von Christen,

die ihren Lohn –

möglicherweise – in

einem global tätigen

Grosskonzern verdienen.

«Der ÖRK sollte weniger tun. Dieses We-nige aber gut und mit einem Ansatz, derZusammenarbeit in den Vordergrundstellt»: So wurden in Porto Alegre dieneuen ÖRK-Programmrichtlinien vorge-stellt. Diese sehen für die nächsten siebenJahre vier Themenschwerpunkte vor:• Der Ökumenische Rat der Kirchen will

verstärkt als Einheit auftreten.• Der ÖRK will seine Leitungskräfte ver-

mehrt und intensiver ökumenisch aus-bilden.

• Der ÖRK intensiviert seinen Einsatz fürGerechtigkeit in der globalisierten Welt.

• Der ÖRK wird eine glaubhafte, prophe-tische Stimme in der Welt.

Und es braucht auch Resonanz inden Medien. Diesbezüglich konnte dieVollversammlung in Porto Alegre nichtauftrumpfen. Das World Economic Forum(WEF) drei Wochen zuvor in Davos hat dieWeltpresse jedenfalls weit mehr beschäf-tigt als das World Ecumenical Forum inPorto Alegre. Globalplayers sind offenbarfür die Medien attraktiver als Globalpray-ers. Erstere vertreten Milliarden von Fran-ken – letztere 550 Millionen Menschen…

«We can make it only together» (Wirkönnen es nur gemeinsam schaffen):Diese banale Weisheit rief Desmond Tutuder Vollversammlung zu. Der ehemaligeErzbischof und Friedensnobelpreisträgerkam als Hoffnungsträger nach Porto Ale-gre. Er, der in Südafrika jahrelangkämpfte und scheinbar unüberwindbareSchranken überwand, forderte den Dia-log. Und zwar mit allen: «Sanft im Ton,hart in der Forderung», wie er sagte. Tutu,der verschmitzte alte Mann mit dem ent-waffnenden Lachen, zementierte keineFeindbilder. Und er blieb auch die Antwortnicht schuldig, wie der Kampf zu gewin-nen sei: «Wenn du überzeugen willst,sprich nicht lauter – bring bessere Argu-mente!» Rita Jost

Ferner wurde beschlossen:• Die Dekade zur Überwindung der Ge-

walt wird weitergeführt.• Die Kontakte zur römisch-katholi-

schen Kirche (die nicht Mitglied desÖRK ist) und zur Pfingstbewegungwerden intensiviert.

• Die Jugend wird in den Ausschüssendes ÖRK vermehrt angehört.

• Der ÖRK braucht eine Kommunikati-onsstrategie.

Im 150-köpfigen Zentralausschuss, demhöchsten Gremium zwischen den Vollver-sammlungen, ist die Schweiz neu mitChristoph Stückelberger, Leiter Theologieund Ethik im SEK, vertreten. rj

Die Beschlüsse von Porto Alegre

ein Gebet – keine harten Forderungen andie Politiker und Wirtschaftskapitäne.

Bessere ArgumenteObs wirkt? Skepsis ist angebracht. DieFrage ist dabei nicht einmal so sehr, obes den Basisleuten gelingt, den Schrei derOpfer in die Kirchgemeinden zu tragen.Eher, ob es dem Ökumenischen Rat derKirchen gelingt, seine Themenschwer-punkte auch auf die Tagesordnung derWeltwirtschaft zu bringen. Mit den Mäch-tigen zu verhandeln, aber gleichzeitig dieKirchen des Südens im Boot zu behalten– für viele von ihnen ist ein öffentlichkontrollierter, demokratisch ausgehan-delter Service public im Moment keindenkbarer Weg: Ihre Erfahrungen – zu-

Verpasste Chance

Die Schweizer Delegation profilierte sich inPorto Alegre mit der «Erklärung zum Was-ser als öffentliches Gut und Menschen-recht»: Die Forderung wurde breit beachtetund fand sogar Aufnahme ins Schlussdo-kument. An der von der Weltbank organi-sierten internationalen Weltwasserkonfe-renz in Mexiko-City (14.–22. März) war dieSchweizer Kirche dann aber nicht vertre-ten. Christoph Stückelberger (SEK) weistauf Terminschwierigkeiten und die Tatsa-che hin, dass die brasilianischen Partner-kirchen und die Hilfswerke das Thema inMexiko vertreten. Der offizielle Delegierteder Deza, Remo Gautschi, hatte von der Er-klärung allerdings keine Kenntnis. rj

erst mit korrupten Diktaturen, danach mitrücksichtslosen privaten Ausbeutern – ha-ben sie zu kompromisslosen Anklägerngemacht.

Sicher ist: Für die Verwandlung derWelt braucht es mehr als Anklage, feurigeReden und mitreissenden Gesang. Mehrauch als ein Schlussprotokoll und Pro-grammschwerpunkte. Es braucht vor al-lem auch den Willen und das Umdenkender Besitzenden. Es braucht Menschen, diezuhören, Zusammenhänge erkennen,Verantwortung spüren und handeln.

Zuhören, diskutieren, debattierenam Rande der Vollversammlung inPorto Alegre (Brasilien)

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5 RELIGION • GESELLSCHAFT saemann 4 ·2006

Tack, tack, tack: Wenn ich unter-wegs dieses Geräusch höre, weissich genau, dass da jemand an

zwei Stöcken durch die Gegend mar-schiert. Nordicwalking heisst dieser Sport.Er ist heute Mode. Und so gehen immermehr Frauen und Männer, ganz gesundeMenschen, an zwei Stöcken.

Mich erinnert das an eine Geschichteaus dem Sufismus, der Mystik des Islam.Da wird von einem alten Mann erzählt,der sein Bein gebrochen hatte und an Krü-

cken gehen musste. Dabei entdeckte er,wie nützlich die beiden Stöcke waren. Siehalfen ihm beim Gehen, zudem konnte ermit ihnen kleine Hindernisse beiseite-schieben oder aufsässige Hunde verscheu-chen. Und wenn es niemand sah, holte ermit einem Stock eine Frucht vom Baumdes Nachbarn.

Der Alte war begeistert und behielt dieStöcke, als sein Bein geheilt war. Bald gin-gen auch seine Frau, Kinder und Enkel-kinder an Krücken. Die neue Art des Ge-

hens verbreitete sich im Dorf und schliess-lich im ganzen Land. Es gab Stöcke in al-len Farben und Formen, und es gab diplo-mierte Krückologen, welche lehrten, wieman mit den Dingern geht.

Eines Tages, nach vielen, vielen Jah-ren, legten ein paar Frauen und Männerihre Stöcke ab. Sie hatten entdeckt, dass esmöglich ist, ohne fremde Hilfsmittel zugehen. Doch niemand glaubte ihnen.Viele lachten die Krückenverweigerer aus,andere ärgerten sich über sie undschimpften. Schliesslich wurden die Ab-trünnigen wegen Unruhestiftung ins Ge-fängnis geworfen. Denn so viel stand fest:Krücken gehören zum Menschen.

Hier ist die Geschichte zu Ende. Eintrauriger Schluss. Ich glaube nicht, dass esmit dem Nordicwalking so weit kommt.Andere Krücken geben mir mehr zu den-ken: das Handy etwa, ohne das fast nie-

mand und fast nichts mehr geht. Das Auto,diese lärmende und stinkende Krücke aufvier Rädern. Das Internet (was, Sie sindnoch nicht online?). Oder all die Ideolo-gien, fixen Ansichten und Vorurteile, diedas freie, selbstständige Denken ersetzen.Die Liste liesse sich beliebig verlängern.

Die Sufis erzählten sich diese Ge-schichte, weil sie die Freiheit über allesliebten. Sie betrachteten Gegenstände undGewohnheiten, Lehren und Systeme alsKrücken. Diese mögen für eine gewisseZeit nützlich sein, müssen aber rechtzeitigwieder abgelegt werden. Denn frei ist nur,wer auf eigenen Füssen steht – und selbergehen kann.

Tack, tack, tack: Da kommt wiedereiner. Soll ich ihn nun bewundern, belä-cheln, bemitleiden? Nichts von alledem:Ich sage «Grüessech» und gehe weiter.Ohne Stöcke. Lorenz Marti

Spiritualität im Alltag

Kleine Krückologie

saefrau

An der Handgenommen

Jetzt, da es endlich Frühling wird,freue ich mich auf die nächste Etap-pe: Lucens–Lausanne. Bei der ersten

Etappe war es Herbst: von Freiburg bis Pay-erne und weiter der einsamen Broye ent-lang ins waadtländische Städtchen. DasAuf und Ab von Weg und Steg, Ausblicke,Ruheplätze, Begegnungen und die Farbender Empfindungen kann ich mir immernoch wie die Perlen eines Rosenkranzesdurchs Gedächtnis gleiten lassen. Viel-leicht, weil es keine blosse Wanderung war,ausgewählt nach den Kriterien besondererNaturschönheit? Obschon diese keines-wegs fehlten – und vielleicht prägten siesich gerade darum besonders leuchtendein, weil sie nicht das Ziel der Unterneh-mung waren. Was aber war das Ziel? Santi-ago di Compostela sicher nicht.

Das Heilmittel Pilgern nehme ichnur in homöopathischer Dosis ein. Abergewünscht habe ich mir schon, dass ichvom Weg, den Ahnen vorgespurt haben,an der Hand genommen werde und dassdas, was mir auf dem Herzen liegt, hinab-sinkt unter die Füsse und dort im GehenSchritt für Schritt sanft zerrieben wird, bises keine Last mehr ist, sondern als Wölk-lein aufsteigt und mich schützend um-hüllt wie eine unsichtbare Pelerine.

Unterwegs hatte mich der Augen-schein überwältigt, dass ich ja der Sonnehinterherlief, ihrem pompösen Untergangentgegen, fast wie ein Westernheld. DieTürme von Payerne standen als Schatten-riss vor der Glut, ebenso am nächstenAbend die Türme von Lucens. Da wurdemir bewusst, dass meine Orientierung ei-gentlich eine Okzidentierung ist, ein Ge-hen nach Westen. In Richtung Ende derWelt? In Richtung Tod? Stimmt, mit je-dem Schritt verkleinere ich den Abstand,der mich von ihm trennt – aber genau sostimmt, dass mit jedem Schritt die Füllegrösser wird, der Reichtum des erlebtenWegs. Bin ich am Ende rund und strah-lend wie die Sonne, wenn sie in den Atlan-tik sinkt? Schön wäre das. Aber vorerstspürte ich, dass die Pilgertasche schwerwurde, weil ich so viele Walnüsse vor demÜberfahrenwerden gerettet hatte, und dassdas Gehen Mühe machte, wenn ich einembraunen Acker entlangging, den ich gera-dezu schreien hörte angesichts der heran-rückenden Einfamilienhäuschenfront.

Diese und andere Eindrücke trug ichjeweils hinein in die Kirchen und Kapellenam Weg. Erst jetzt, Monate später, geht mirauf, dass ich dabei kleine Wendeschlaufenvollzog. Durchs Westportal eintretend,blickt man ja zum Chor, nach Osten: AusOkzidentierung wird wahre Orientierung!Vom Untergang drehte es mich weg zumAufgang der Sonne. Zum ewigen Ur-sprung, zur Sonne der Auferstehung unddes Lebens!

Bei der nächsten Etappe werde ichdiese Richtungsspiele meditieren. Zu sel-ten hört man etwas vom Heimpilgern ausCompostela. Ich nehme mir vor, von Lau-sanne aus den Rückweg nach Osten be-wusst unter die Füsse zu nehmen – in dasMorgenrot hinein. Das müsste ja dannwohl eine Nachtwanderung sein…

Anna Stüssi

Anna Stüssi ist Psychotherapeutin und

Redaktorin der Zeitschrift «reformatio»

Kleine Umfrage zu Ostern

Wie halten Sies mit der Auferstehung?

Ostern ist die Feier der Auferstehung Jesu. Auferstehung? Was stellen sich Pfarrerinnen und Pfarrer darunter vor?Worüber predigen sie am Ostermorgen? Ist Auferstehung Realität oder Metapher? – Eine kleine Umfrage zumhöchsten christlichen Feiertag.

«Hier ist Gott bei uns, dort sind wir beiihm. – Ich lobe meinen Gott von ganzemHerzen, dass die ersten Jüngerinnen undJünger Jesus wieder gesehen haben. Amtiefsten berührt mich im Evangelium derkurze Satz: ‹Da wurden die Jünger froh,als sie den Herrn sahen.› Auch ich binüberaus dankbar dafür, dass ich an Chris-tus glauben und mit der Kirche sagenkann: gekreuzigt, gestorben und begra-ben, am dritten Tag wieder auferstandenvon den Toten. Ich bete das Bekenntnismit, weil über allem Erdendasein, überLeben und Sterben Gottes Gnade und Er-barmen walten. Ich glaube an Jesus Chris-tus, der über uns lebt, in uns wohnt undbei uns ist alle Tage bis ans Ende der Welt.

Was darüber hinaus der Apostel Pau-lus und andere an theologischen und grie-chisch-philosophischen Gedanken undVorstellungen entwickelt haben, das lassich ihre Weisheit sein. Vieles davon schautmich an in rätselhafter Gestalt als wie imSpiegel, von dem Paulus selber schreibt.

Dass Gott freilich auch zu mir wie zuAdam spricht: Erde bist du und zur Erdemusst du zurück, so soll mir dies keinMüssen sein. Denn des Herrn ist die Erdeund was sie erfüllt.» Samuel Lutz

Samuel Lutz, Dr. theol., Synodal-

ratspräsident der Reformierten

Kirchen Bern-Jura-Solothurn

«Waren Sie schon einmal ein wenigschwanger? Oder ein bisschen tot? BlödeFrage, man ist doch entweder oder, mitallen Konsequenzen.

Ebenso die Auferweckung Jesu. Ent-weder war er der Erste, den Gott aufer-weckt hat, sodass wir getrost an unser ei-genes Sterben und Auferwecktwerden den-ken können, oder er blieb tot. Mit allenKonsequenzen. Wenn Jesus nicht aufer-standen ist, dann ist unsere Glaubens-basis nichtig. Pfingsten und die ganzeWirkungsgeschichte wären samt und son-ders der grösste Betrug seit Menschen-gedenken.

Glauben Sie schon, oder zweifeln Sienoch? Jesu Tod und Auferweckung habenzutiefst mit uns zu tun. Gott zeigt, was unserwartet, nämlich: wie eine Pflanze aus ei-nem genetisch identischen Samenkorn zuwachsen und das Alte hinter uns zu lassen.Wie sollten wir dies nachvollziehen kön-nen, wenn Gott es nicht an Jesus exempla-risch vollzogen hätte? Freiwillig. Uns zu-gute. Damit die Geschichte Gott-Menschseine Fortsetzung finden kann – garan-tiert durch Jesus Christus.»

Marianne Hächler

Marianne Hächler, Pfarrerin in

Meikirch

«Immer wieder begegne ich Menschen,die felsenfest davon überzeugt sind, dassJesus ‹leiblich auferstanden› sei und seinGrab am Ostermorgen ‹wirklich leer› war.Dieses naive und unkritische Denkenkann ich heute nicht mehr teilen.

Trotzdem: Ich glaube an die Kraftder Auferstehung – allerdings brauche ichdazu kein leeres Grab und kein Mirakelmehr. Überhaupt: Was kümmerts mich,was damals passiert ist, vor bald 2000 Jah-ren? Ich glaube an jenen Christus, der inunserem Leben auferstehen will, heuteund jetzt. Was brächte uns eine Auferste-hung, die einmal irgendwo und irgend-wann geschehen ist, wenn sie nicht biszu uns heute dringt, mitten in unser Le-ben hinein, das so oft wenig genug vombiblischen Glanz der Auferstehung wider-spiegelt?

Ja, ich glaube an eine Auferstehungaus jenem Tode, der uns manchmal mit-ten im Leben ereilt, wenn es dunkel wirdum uns, wenn wir nicht mehr weiterwis-sen. An eine Auferstehung, die uns eineneue Zukunft eröffnet und eine Hoffnunggegen den täglichen Tod.»

Daniel Kallen

Daniel Kallen, Pfarrer in

Sutz-Lattrigen (bis Ende August,

anschliessend freiberuflich tätig)

«Was mag die Auferstehung in der Früh-zeit des Christentums bedeutet haben?Und was bedeutet sie für heute lebendeChristinnen?

Zum einen wissen wir, dass die Erzäh-lungen vom leeren Grab erst dreissig Jahrenach den Ereignissen aufgeschriebenworden sind. Zum anderen haben religi-onsgeschichtliche Studien zur Jesuszeitergeben, dass Auferstehungsvorstellungendamals gut bekannt waren, sei es aus demÄgyptischen oder aus den Mysterienreli-gionen im Römischen Reich. Sie sind ver-gleichbar mit dem heute gängigeren Bildvom Samen, der in die Erde gelegt wirdund stirbt, um neue Frucht zu bringen.

Eine gute Hilfe ist es deshalb zu sa-gen: Die Botschaft des Mythos des auferste-henden Jesus ist ein Auf(er)stehen gegendie Macht der Gewalt, des Todes, der Hoff-nungslosigkeit! Und das konnten die Men-schen damals eben nur beschreiben mitErzählungen vom leeren Grab.

Ich selbst verstehe die Auferstehungals Sinnbild: als Befähigung für mein ei-genes Leben, es zuversichtlich auch indunklen Zeiten anzugehen und mich vonaugenscheinlich Unmöglichem nichtbremsen zu lassen.» Barbara Schmutz

Barbara Schmutz, Pfarrerin in

Muri-Gümligen

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Aufgaben:Mitwirkung bei der Kinderwoche für die 1. bis 3. KlässlerErteilen der kirchlichen Unterweisung an den 4. bis 9. Klassen, jeweils am Dienstagnachmittag 15.30 bis 18.00 Uhr im TeamLeitung von Konfi rmandenlager und VorbereitungswochenendeDurchführung der Konfi rmation im TeamMitwirkung bei KUW-GottesdienstenElterninformation und Erstellung des StundenplansZusätzliches Angebot für auswärtige SchülerInnen

Wir erwarten:Freude am Umgang mit Kindern und JugendlichenBernisches Katecheten-Diplom oder gleichwertige Ausbildung Religionspädagogische FachkompetenzTeamfähigkeitSelbständigkeit und Flexibilität

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11.5.+17.+29.6.

Zeit der Stille im Chor der Französischen KircheMeditieren im Sitzen, im Gehen und im Teilen von Brot und TeeOrt Chor der Französischen Kirche, Bern Zeit 10.15 bis 12.00 Uhr

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BEA-Fachseminar 2006 Ort Kongresszentrum BEA, Bern Zeit 9.30 bis 13.00 Uhr

Zusammenarbeit mit Freiwilligen –spannend und herausfordernd

3 Module um die Zusammenarbeit von Freiwilligen, Ehrenamtlichen und bezahlten Mit-arbeitenden zu stärken Kursort Schwarztorstr. 20, Bern Zeit jeweils 18.00 bis 21.30 Uhr

Unsere Kirchgemeinde – ein Fenster zur WeltInformationsabende zu den Ressorts Migration und OeMEKursort Kirchgemeindehaus Le Cap, Franz. Kirche, Bern Zeit 18.00 bis 21.30 Uhr

Neu im KirchgemeinderatRegion Oberland Einführungskurs für Personen, die mit den Aufgaben und Verantwortungen im Kirchgemeinderat besser vertraut werden möchten.Kursort Kirchgemeindehaus Spiez Zeit 18.15 bis 21.15 Uhr

Wie protokollieren und archivieren wir richtig?Die Protokollführung und Aktenablage ist anspruchsvoll und muss den gesetzlichen Vor-schriften entsprechen Kursort Kirchgemeindehaus Calvin, Bern Zeit 13.30 bis 17.00 Uhr

woher – wohinMit Frauen unterwegs, nach innen und nach aussenWir sortieren das Erbe unserer Mütter, loten unsere eigenen Handlungsspielräume aus, gehen ein paar Schritte weiter… Einen Tag sind wir draussen unterwegsKursort Wyttenbachhaus, Biel Zeit Donnerstage, 19.30 bis 22.00 Uhr und Samstag, 9.00 bis 18.00 Uhr

Zeit der Stilleim Chor der Französischen Kirche

Meditieren im Sitzen, im Gehen und im Teilen von Brot und TeeOrt Chor der Französischen Kirche, Bern Zeit 10.15 bis 12.00 Uhr

Zäme Ferie macheKurs für Mitarbeitende von SeniorenferienKursort Gwatt-Zentrum, Gwatt Zeit 9.15 bis 16.30 Uhr

Nähere Angaben erhalten Sie im Halbjahresprogramm 1/2006 oder im Internet www.refbejuso.ch unter Service, Veranstaltungen, Erwachsenenbildung, Kurse nach Fachbereich

Programme und Anmeldung:Reformierte Kirchen Bern-Jura-SolothurnGemeindedienste und BildungSchwarztorstrasse 20, Postfach 6051, 3001 BernTelefon 031 385 16 16, Fax 031 385 16 20E-mail [email protected]

Aufl age: 300 862 Exemplare

Bilder: Martin Guggisberg

(www.martinguggisberg.ch)

Redaktion: Samuel Geiser (sel), Rita Jost (rj),

Martin Lehmann (mlk)

Agenda/Zuschriften:Verena Flückiger ([email protected])

Redaktion/Zuschriften:Redaktion «saemann», Postfach 7822, 3001 Bern

Tel. 031 398 18 20; Fax 031 398 18 23

E-Mail: [email protected]

Internet: www.saemann.ch

Geschäftsstelle:Christian Lehmann, Jungfraustr. 10, 3600 Thun

Tel. 033 223 35 85, Fax 033 223 35 90

E-Mail: [email protected]

Inserate- und Redaktionsschluss 05/06:10. April 2006

Adressänderungen / Einzelabonnemente:Länggass Druck AG, Postfach 7062, 3001 Bern

Tel. 031 307 75 75, Fax 031 307 75 80

E-Mail: [email protected]; Internet: www.ldb.ch

Einzelabonnemente: Fr. 20.– (inkl. MWSt)

Evang.-reformierte Kirchgemeinde Ins

Günstig zu verkaufen

meisterlicher, moderner Holzschnitt des bekannten Künstlers Heinz Keller. Bildinhalt: zwischen zwei Häusern und Bäumen eine Gruppe jüngerer Menschen, einer (neben sich ein Velo) zeigt auf einen bedeutenden Stern am Himmel.Grösse: Breitformat, 120x80cm

Das Bild wäre sehr geeig-net für Kirchgemeindehaus, Jugendhaus, Schulhaus.Anfragen, Besichtigung: M. Rüetschi, Signalstr. 23, 5000 Aarau

R U T H Das faszinierende Buch aus der Bibel

Referat über die Vielschichtigkeit dieses Buches unter Einbezug der hebräischen Sprache.

Folgenden Fragen wollen wir nachspüren:

• Um welche Beziehungen geht es?• Machen Frauen Geschichte?• Wo fi nden wir das Buch Ruth in der Bibel?• Gibt es eine besonders wichtige Aussage?• Welche Bedeutung hat das Buch Ruth noch heute für die Juden?• Welche Bedeutung haben die Namen?• Was können wir über die einzelnen Personen sagen?• Welche Besonderheiten sind zu erwähnen?

Mittwoch 3. Mai 2006, 20 Uhr, Kirchgemeindehaus Schosshalde (Kirchgemeinde Nydegg Bern). Referentin: Barbara Henne, Klaraweg 39, 3006 Bern

Rhythmus und BewegungUnterricht und Werkgruppe afro-kubanische Rhythmen und GesangEin Weg zur inneren Klarheit

Freie Bewegung zur CongatrommelEin Weg zur inneren Heilkraft

Kontakt: Ruth Krähenbühlruth. [email protected]. 031 372 64 33

Kleininserate

CHF 244.10Aufl age 300‘000 Expl.

Eine erlebnispädagogische Herausforderung auf dem Jugendschiff!Wir suchen für unsere Jugendschiffe «Ruach» und «Salomon» auf dem Atlantik:

LehrerInnenSozialpädagogenHandwerker (Schreiner /Zimmerleute /Maler / Elektriker /Allrounder…)

Weitere Infos www.jugendheimsternen.ch

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7 AUSGÄNGE UND EINGÄNGE saemann 4 ·2006

saeTipps Zuschriften

«saemann» 3/06: Dossier«Liberté, Égalité, Portemonnaie»

AngriffigIch gratuliere zur neusten Ausgabe des«saemann». Ich habe mich über die an-griffigen und zugleich humorvollen Textesehr gefreut. Magdalena Rausser, Bern

StörendMutige Worte zur «Aldisierung»! Doch et-was stört mich: Sie werfen Aldi, Dennerund Migros in einen Topf, obwohl Migroseine Genossenschaft ist und zudem keinenAlkohol und Zigaretten verkauft. Und unsBernern hat die Migros das Paradies aufdem Gurten geschenkt.

Susanne Bonanomi, Zollikofen

«Das jüngste Gerücht»

SelbstgerechtDas Bedenkliche an dieser süffigen «Pfaf-fengeschichte» ist, dass sie wahr seinkönnte: der Pfarr-Herr, der den Leuten zu-erst einmal beibringen will, was «gut refor-mierte Tradition» ist und dem darüber dieNöte und Anliegen der Menschen entge-hen; der kein Quäntchen Anteilnahme fürMenschen in Trauer aufbringen kann undder grossherzig verzeihend oder peinlichberührt oder vielleicht gar seines schlech-ten Gewissens wegen die Leute noch bloss-stellen und sie auf seinen ach so wichtigenHochzeitstag hinweisen muss. Da kann ichnur sagen: typisch Pfaff!

Was ich darüber hinaus schon langeeinmal sagen wollte: Bravo «saemann»!Du bist für mich ein wunderbares Gegen-programm zu dieser «Pfaffenmentalität»,ganz nah bei den Menschen: zuhörend,beobachtend, wahrnehmend, suchend,(selbst)kritisch und bei alldem wohltuendwarmherzig. Marilene Hess, Teufen AR

«Karikaturenstreit»

BegrüssenswertDer «saemann» mahnt die historisch-kri-tische Betrachtungsweise der HeiligenSchrift als menschliches Machwerk an.Das begrüsse ich. Eine Schrift ist wohldann heilig, wenn ihre ganze Unheiligkeitaufgedeckt werden darf, wenn sie das er-laubt. Michael Vogt, Münchenbuchsee

UnangebrachtDas Brennen und Morden aufgehetzter is-lamischer Horden hat mit verletzten reli-giösen Gefühlen nicht im Geringsten et-was zu tun. Reuebezeugungen von Seitender christlichen Welt sind darum unange-bracht. Uns Christinnen und Christenwürde es weit besser anstehen – und eswürde wohl eher zur Versöhnung beitra-gen –, wenn wir unsere eigene Religionauch ein wenig mit satirischem Blick be-trachten würden. Wir könnten etwa un-sern Herrn Jesus darstellen, wie er mit hä-mischem Lächeln die Scheiterhaufen auf-richtet, auf denen Millionen harmloser,unschuldiger Menschen den schreckli-chen Feuertod erleiden mussten.

Viktor Schnyder, Jegenstorf

«Haus der Religionen»

GegensätzlichDen 330 000 Muslimen in der Schweizgeht es gut – ganz im Gegensatz zu denChristinnen und Christen in den meistenmuslimischen Ländern. Sie werden vier-lerorts verfolgt und getötet, weil sie als Un-gläubige gelten.

Wie lange es wohl noch geht, bis ineiner muslimischen Hauptstadt – nachdem Vorbild Berns – ein Haus der Religio-nen gegründet wird?

Paul Zürcher, Herzogenbuchsee

«EinSpruch: Lehrstelle gesucht»

ErfolgreichHeute kam Tania S. zu uns zum Schnup-pertag. Tania hatte im «EinSpruch!» der«saemann»-Märzausgabe von ihrer bis-lang erfolglosen Lehrstellensuche erzählt.Tania hat uns gut gefallen. Sie wird abAugust 2006 bei uns eine Praktikums-stelle antreten. Wir hoffen, dass sie wäh-rend dieser Zeit ihr Deutsch noch perfek-tionieren kann, damit sie nachher eineBerufsausbildung als Pflegeassistentinoder Fachangestellte Gesundheit in An-griff nehmen kann.

Auf Tanias Beitrag im «saemann»aufmerksam gemacht hatte uns übrigensihr Lehrer – ich bin beeindruckt, wie sichdie Lehrerschaft der BFF für junge Auslän-derInnen einsetzt…

Katrin Gerber, PflegedienstleiterinKrankenheim Elfenau

VERANSTALTUNGEN

Billig! Billig?Unter dem Druck von Aldi bieten auch Mi-

gros, Coop und Denner immer mehr Billig-

produkte an. Reagieren die Grossverteiler

auf die neue Armut? Heisst Billigpreis auch

Billiglohn – etwa an den Kassen der Dis-

counter? Ein Podium über die Aldisierung

der Schweiz, veranstaltet vom Evangeli-

schen Frauenbund der Schweiz (EFS): mit

Martin Schläpfer (Migros-Genossenschafts-

bund), Monika Stocker (Sozialvorsteherin

Stadt Zürich), Christoph Stückelberger

(Schweizerischer Evangelischer Kirchen-

bund) und Erika Trepp (Gewerkschaft Unia).

� 29. April, 13.30, Kirchgemeindehaus

Lukas, Morgartenstrasse 16, Luzern

Info: Tel. 044 363 06 08

E-Mail: [email protected]

(Kein) Land in SichtDer ländliche Raum ist in der Krise: Bevölke-

rungszahlen, Wirtschaftskraft und Touris-

mus sind rückläufig. Die Landwirtschaft bie-

tet jungen Menschen keine sichere Zukunft

mehr. Was geht das die Kirchen an? Fachse-

minar der reformierten Kirche an der BEA.

�2.Mai, 9.30, Kongresszentrum BEA, Bern

Info/Anmeldung: Tel. 031 385 16 16

[email protected]

Für den BEA-Auftritt werden Freiwillige für

die Mithilfe am Kirchenstand gesucht:

Tel. 031 370 28 28

E-Mail: [email protected]

«Die Gier begrenzen…»Kann man mit der Bibel in der Hand Wirt-

schaftsethik treiben? Kann man das Deute-

ronomium im Alten Testament als Theologie

des Wohlstands und Segens lesen? Und wie

viel Glaubensbekenntnis steckt eigentlich in

moderner Wirtschaftstheorie? – Ein Semi-

nar im Spannungsfeld von Bibel und Öko-

nomie – mit der Theologin Meehyun Chung

(Mission 21), Frank Crüsemann (emer. Prof.

für Altes Testament) und dem Theologen

und Wirtschaftsethiker Ulrich Duchrow.

� 6.–8. Juni, Reformiertes Kirchgemeinde-

haus Johannes, Wylerstrasse 5, Bern

Info: Susanne Schneeberger, Fachstelle

OeME, Tel. 031 313 10 15

E-Mail: [email protected]

Passionsmusik: «Kar I–VII»In der Kirche Ligerz wird in den Jahren 2005

bis 2011 jeweils am Karfreitag um 14.30 Uhr

eine kurze liturgische Feier durchgeführt: Im

Zentrum steht eines der sieben traditionellen

Worte Jesu am Kreuz. Der Bieler Komponist

Urs Peter Schneider hat dafür eine siebentei-

lige Komposition unter dem Titel «Kar I–VII»

geschaffen. Mit Christine Lüthi (Oboe) und

Marc van Wijnkoop (Liturgie).

� 14. April, 14.30, Kirche Ligerz

Beat Sterchi auf der KanzelDer Berner Schriftsteller und «saemann»-

Autor Beat Sterchi predigt in der Thomaskir-

che Liebefeld über ein ureigenes Thema der

Dichter- und Dichterinnenzunft: «Das Wort

ward Fleisch und zeltete mitten unter uns.»

Umrahmt wird Sterchis «gottesdienstliches

Spiel mit der Macht der Wörter» von Erica

Zimmermann (Orgel) und Pfarrer Hansueli

Ryser (Liturgie).

� 23.April, 9.30, Thomaskirche Liebefeld

(Buslinie 17 bis Station Neuhausplatz)

Westpost (II)

Ein «revolutionäres Preisbewusstsein»wird im März-«saemann» gefordert, eins,«das stutzig macht, wenn der Flug vonFrankfurt nach Zürich weniger kostet alsdas Taxi vom Airport in die Stadt». Ich ha-be tatsächlich gestutzt, als ich bei meinemBern-Besuch ein Taxi benutzte! Am erstenTag wurde ich sowieso dauernd stutzig, obam SBB-Schalter, im Café oder an der Mi-gros-Kasse: Wahnsinn! Die Schweiz ist ein-fach unmässig wahnsinnig extrem teuer!

Also, sehr weit ist sie noch nicht ge-kommen, die «Aldisierung», und falls

sich nun Billigpreis tatsächlich zuneh-mend auf Billiglohn reimen sollte, fändeich das eigentlich gerechter als Hochpreisauf Hochlohn. Das ist wahrscheinlichkonterrevolutionär gedacht und Wasserauf die falschen Mühlen, aber was einPreisbewusstsein für Frieden, Gerechtig-keit und Bewahrung der Schöpfung seinsoll, ist mir nach wiederholter Lektürenicht deutlicher geworden. Max Havelaarstatt Dole Bananen, O.k., aber sonst? Luft-hansa statt Easy Jet? Migros statt Aldi? AberMigros will auch keinen Gesamtarbeits-vertrag und steht auf dem Nachhaltig-keitsrating doch weit oben. Importierte

Billigkleider werden unter höllischen Ar-beitsbedingungen gefertigt, aber wenn wirsie nicht kauften, führte das kaum zu pa-radiesischeren Arbeitslosenbedingungen.Deutlich wird nur, dass die Parole für Frie-den, Gerechtigkeit und Bewahrung derSchöpfung angesichts der Komplexitätleider ziemlich… billig klingt.

Mats Staub

Der Berner Dramaturg Mats Staub liest den

«saemann» in St.Petersburg – und kom-

mentiert in der Rubrik «Westpost» während

einem halben Jahr, was ihm von ferne

näher geht und was befremdlich wirkt

Machtpoker in NahostIsrael und Palästina nach den Wahlen: Zu-

kunftsszenarien zwischen Krieg und Frie-

den. Der Islamwissenschaftler Dr. Edward

Badeen und Philippe Lévy, Präsident von

New Israel Fund Schweiz, diskutieren unter

der Leitung von Barbara Müller (Christlicher

Friedensdienst cfd).

�3. April, 19.30, Politforum Käfigturm, Bern

Ostermarsch – FriedensmarschEntlang der Aare vom Eichholz zum Marzili

führt heuer der bereits zur Tradition gewor-

dene Marsch am Ostermontag – unter dem

Motto «Frieden heisst genug für alle». Ge-

tragen wird der Ostermarsch von kirchlich

und/oder politisch engagierten Menschen

und Gruppen, darunter die Fachstelle OeME

(ref.), Kirche im Dialog (röm.-kath.), die

Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) und

Amnesty International (ai).

�17. April, 13.00: Auftakt im Eichholz an

der Aare in Bern (Tram 9 bis Wabern);

Schlusskundgebung auf dem Münsterplatz

Info: Tel. 031 313 10 10 (OeME)

Bauernsterben heuteUnser täglich Brot gibt uns die Landwirt-

schaft. Doch wie viele Bauern brauchts dazu?

Erfüllt die Landwirtschaft die hohen Ansprü-

che der KonsumentInnen bezüglich Qualität

und Ökologie, Tierschutz und gerechten

Lohns? Podium mit Jean Daniel Gerber (Di-

rektor Staatssekretariat für Wirtschaft, seco),

Ivo Muri (Ökonom/Unternehmer), Pfr. Ueli

Tobler (Sorgentelefon für Landwirte) und

Hans Luder (alt Präsident IP Schweiz). – Eine

Veranstaltung im Rahmen des 500-Jahr-Jubi-

läums der Kirche Kirchberg.

�22. April, 9.00, Kirchgemeindesaal

Kirchberg (Info: www.kirche-kirchberg.ch)

LESE- UND HÖRTIPPS

Schriftsteller predigenSchriftstellerInnen ergreifen in der Kirche

das Wort – fernab jeden theologischen Jar-

gons. Mit Poesie, Meditation oder Perfor-

mance wagen sie sich frohgemut an altbe-

kannte religiöse Fragen. Die Texte von Lukas

Hartmann, Klaus Merz, Beat Sterchi, Ra-

phael Urweider, Katharina Zimmermann

u.a. gehen zurück auf eine Gottesdienst-

reihe in der reformierten Kirche Erlach.

�Matthias Zeindler (Hrsg): «Schriftstel-

ler predigen», 176 Seiten, Theologischer

Verlag Zürich, Fr.28.–

�Buchvernissage: 3. Mai, 19.00 Uhr,

Offene Heiliggeistkirche Bern.

Mit Beat Sterchi, Trio No Square, Matthias

Zeindler

Religion auf dem PrüfstandFördern oder behindern Religion und Spiri-

tualität die Entwicklungszusammenarbeit?

Welche entwicklungspolitische Position ver-

treten die Evangelikalen? – Mit dem Thema

«Religion und Entwicklung» befasst sich die

Aprilausgabe der Zeitschrift «eins», zu de-

ren Herausgebern auch die Hilfswerke Brot

für alle und Fastenopfer gehören. Die Num-

mer kostet Fr. 6.50 (plus Porto und Verpa-

ckung), das Jahresabonnement Fr. 107.–

(für Schüler, Lehrlinge, Studentinnen und

EntwicklungshelferInnen: Fr. 85.–)

�Bestellung:

Tel. 033 251 16 62; Fax: 033 251 16 52

E-Mail [email protected]

PassionsspieleDie «ferment»-Ausgabe zur Fasten- und

Osterzeit befasst sich mit menschlichen und

göttlichen Passionen. Gedichte von Almut

Haneberg, Pierre Stutz und Vreni Merz so-

wie die Tanzbilder von Mike Kleinhenz er-

zählen, wie Menschen in Liebe zueinander

entbrennen. Aber dem Glücksgefühl des

Verliebtseins folgen Momente der Distanz

und Einsamkeit. Kann da der Kreuz- und

Auferstehungsweg Jesu Lebenshilfe bieten?

�Bestellung: Pallottiner Verlag, Postfach,

9201 Gossau; Tel. 071 388 53 30

E-Mail: [email protected]

Tod und Trauer in TrapaniAm Karfreitag setzt sich in Trapani (Sizilien)

eine Prozession in Bewegung, die während

24 Stunden von zwanzig Blasmusikgruppen

begleitet wird. Schwerfällig wie Elefanten

tuten die Tuben, herzzerreissend schmet-

tern die Trompeten, und dazwischen kra-

chen die grossen Pauken: eine Trauer-

marschmusik, die einem eine Gänsehaut

über den Rücken laufen lässt. Auf der CD

«Tod Trauer Trapani» geben der Filmer Cle-

mens Klopfenstein und der Musiker Ben Je-

ger einen Tonbericht dieser Karfreitagspro-

zession, der 63 Minuten währt.

�Bezug: edition Grumbach, Thomas

Pfister, Bantigerstrasse 32, 3006 Bern

E-Mail: [email protected]

(Preis der CD: Fr. 24.– plus Versandkosten)

Das Imperium der Schande«Ziegler hat ein wütendes Buch geschrie-

ben, unversöhnlich im Tonfall…»: So heisst

es in einer Besprechung dieses bereits zum

Bestseller gewordenen neuesten Werks des

Genfers Jean Ziegler. Seine Gegner haben

ihm schon öfters Hass gegen die Reichen

vorgeworfen. Wer sein Buch vorurteilslos

liest, spürt Seite für Seite: Seine Wut über

die Zustände wird nicht von Hass, sondern

von Mitgefühl gegenüber den Elenden die-

ser Welt genährt. Und wie steht es um seine

These, wonach die heutigen «Kosmokra-

ten» und ihre multinationalen Firmen nur

die Profitmaximierung zum Ziel haben? Zur

Zeit des Kalten Krieges hätten dem Autor

noch viele vehement widersprochen. Heute

aber sind auch in den bürgerlichen Medien

einleuchtende Beispiele dafür zu finden.

Trotzdem ist Zieglers Buch keineswegs über-

flüssig. Die geballte Ladung von Fakten und

die beeindruckenden Schilderungen von Si-

tuationen äussersten Elends motivieren, für

eine gerechtere Welt zu kämpfen.

Walter Ludin

� Jean Ziegler: Das Imperium der

Schande. Der Kampf gegen Armut und

Unterdrückung; Bertelsmann Verlag, 2005.

316 Seiten, Fr.34.90

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8 DIE LETZTE saemann 4 ·2006

Swissmetal in Reconvilier

«Die ganze Region ist tief verletzt»

Im Arbeitskonflikt um dieSwissmetal in Reconvilierhaben sich Kirchenleutedezidiert auf die Seite derStreikenden gestellt.Dafür gab es Lob, aberauch Kritik. Vier Fragenan den reformiertenDorfpfarrer Marc Balz.

Ein Gottesdienst in der Fabrikhalle,

Kirchenleute, die in schier allen

Schweizer Medien zitiert werden – das

ist ungewohnt und umstritten. Warum

haben Sie so einseitig für die

Arbeitnehmer Stellung bezogen?

Die Werte der Streikenden sind auch dieWerte der Kirche. Es geht um Arbeitsplätze,sicher – aber es geht noch um mehr: Esgeht um die Würde der Menschen, um ih-ren Glauben, ihr Vertrauen in die Zukunft.Die Boillat-Arbeiter und ihre Angehörigensind Mitglieder meiner Kirchgemeinde.Als ihre Anfrage für den Gottesdienst in derFabrikhalle kam, stellten wir nur eine Be-dingung: Der Gottesdienst musste ökume-nisch sein.

Kirchliches Engagement könnte ja

auch heissen, sich für den Arbeitsfrie-

den einzusetzen und also zwischen

den Parteien zu vermitteln?

Die Kirche hat auch die Mediationsbemü-hungen von Rolf Bloch unterstützt. Aber

in erster Linie geht es um die Arbeiter, dieleiden. Was da passiert ist, hat ihren Glau-ben erschüttert und ihr Leben für immerverändert. Viele sind heute krankgeschrie-ben. Es gibt bei allen ein grosses Bedürf-nis, mit jemandem zu sprechen, sich zutreffen. Das hat die Kirche unterstützt.

Und zu den Kritiken: Ich nehme siezur Kenntnis, aber ich ändere meine Mei-

nung deshalb nicht. Gerade aus der West-schweiz haben wir für unsere klare Stel-lungnahme hauptsächlich positive Reak-tionen bekommen: «Endlich nimmt dieKirche Stellung!», war hier die vorherr-schende Meinung.

Hat der Streik das Leben in der

Gemeinde verändert?

Wenn man mit den Leuten im Dorfspricht, dann hat man das Gefühl: ja! Dieganze Region ist tief verletzt und hat Angstvor der Zukunft. In dieser Situation istman dankbar für unser Engagement.

Wir führen dieses Gespräch am

20. März. In den nächsten Tagen wird

entschieden, wie es mit dem Werk in

Reconvilier weitergeht…

Wie auch immer die Verhandlungen aus-gehen: Uns ist klar, dass der Konflikt un-sere Region noch lange beschäftigen wird.

Die Kirche wird sich weiterhin für dieBelegschaft engagieren – aber nicht imAlleingang, sondern in Zusammenarbeitmit den Ärzten und Sozialarbeiterinnender Region. So können wir am meistenhelfen.

Interview: Rita Jost

Studie

Je religiöser, desto menschenfeindlicher?

Religiöse Menschen sind intoleranter, antisemitischer,fremden- und menschenfeindlicher als nichtreligiöse:Diesen frappanten Befund liefert ein nationales For-schungsprojekt. Was heisst das für die Landeskirchen?

3000 Interviews sind geführt, je 90 Fragengestellt worden: Im Rahmen eines Pro-jekts des Schweizer Nationalfonds habenSoziologinnen und Soziologen der UniGenf von den Menschen in der Schweizwissen wollen, wie tolerant sie gegenüberAndersgläubigen, Andersdenkenden, An-dersfarbigen sind. Das Resultat der Um-frage stellt gerade auch den Christinnenund Christen kein gutes Zeugnis aus.

Besonders alarmierend ist dabei deruntergründige Antisemitismus: 26 Pro-zent aller KatholikInnen und 24 Prozentaller Reformierten geben den Juden sel-ber die Schuld am Holocaust. Auch einanderes antisemitisches Vorurteil schwirrtimmer noch in vielen Köpfen herum: Ju-den – in der Schweiz gerade mal 0,25Prozent der Bevölkerung – besässen inWirtschaft und Politik zu viel Macht.

Projektleiter Sandro Cattacin, Direk-tor des soziologischen Instituts der Univer-sität Genf, vermutet einen inneren Zu-sammenhang zwischen Religion und derEinstellung gegenüber Minderheiten.Denn nicht nur gegenüber Juden, sondernauch gegenüber Muslimen oder Homose-

xuellen sind die Negativeinstellungen beireligiösen Menschen wesentlich ausge-prägter als bei Menschen ohne Konfes-sionszugehörigkeit. «Die Nichtreligiösenkönnen so in einer pluralistischen Religi-onslandschaft eher Brücken zu den ver-schiedenen Minderheiten schlagen.»

Cattacins Optimismus ist allerdingsrelativ: Denn auch unter den Nichtreligiö-sen finden sich 18 Prozent, die den Völker-mord an den Juden den Opfern selbst in dieSchuhe schieben. Vor allem relativiert sichder in der Umfrage ausgemachte Unter-schied, wenn man die Gruppe der Nichtre-ligiösen – mittlerweile elf Prozent der Be-völkerung – genau analysiert. Immerhinfinden sich unter ihnen mehrheitlich Men-schen mit besseren Bildungsabschlüssen.

«Dialogmüde Kirchen»Hanspeter Ernst, katholischer Theologeund Koleiter des interreligiösen Lehrhau-ses in Zürich, kommt angesichts dieser Re-sultate ins Grübeln und warnt davor, dieFakten schönzureden. «Die Ergebnissesind eine Gewissensprüfung. Die Volkskir-chen stehen in der Pflicht und müssen sich

jetzt fragen lassen: Leisten sie wirklich ge-nug, um dem Antisemitismus entschiedenentgegenzutreten?» Ernst stellt in jüngsterZeit eine gewisse «Dialogmüdigkeit» dergrossen Volkskirchen gegenüber dem Ju-dentum fest. – Bei der Präsentation derStudie an der ETH Zürich hatte Cattacinunter anderem darauf aufmerksam ge-macht, dass die Diskussion um Raubgoldund nachrichtenlose Vermögen in denNeunzigern die Atmosphäre in der Schweizwieder antisemitisch aufgeladen habe.

Die tagespolitische Aktualität fälltnoch stärker ins Gewicht, wenn SchweizerMuslime nach ihrer Haltung gegenüberden Juden befragt werden. Unter dem Ein-druck des Israel-Konflikts bejaht einegrosse Mehrheit von ihnen die Aussage,die Juden hätten in der Schweiz zu vielMacht. Auch favorisieren 55 Prozent derMuslime (Reformierte und Katholische: je43%; Nichreligiöse: 29%) eine traditio-nelle Frauenrolle («zurück zum Herd»)und zeigen sich gegenüber Homosexuel-len besonders ablehnend. «Der Moderni-tätsrückstand ist für viele muslimischeEinwanderer enorm. Die Muslime sinddeshalb in kulturellen Belangen konser-vativer», sagt Cattacin dazu.

Interreligiöses NetzwerkDie Studie hält aber auch eine positiveBotschaft bereit: In der kleinen Schweiz

sind die Netzwerke so eng geknüpft, dassMuslime wesentlich bessere Chancen ha-ben, sich zu integrieren, als in Frankreichund Deutschland. Denn 55 Prozent aller

Das jüngste Gerücht

«So gehtdas nicht!»

Bereits während des Orgeleingangs-spiels sah Annemarie Haueter ih-ren Mann von der Seite her an. Die

Organisitin spielte meisterhaft, leichtfüs-sig und doch eloquent. Ein bisschen langvielleicht, zugegeben. Sieben Minuten.Bruno Haueter lächelte seine Frau unbe-fangen an.

Als Zwischenspiel erfreute die Orga-nistin die Gemeinde mit einer viersätzigen«Groteske» eines unbekannten deutschenKomponisten aus dem 18. Jahrhundert.Der Pfarrer kannte das Werk offensichtlichnicht. Er stand nämlich in jeder der dreikurzen Pausen auf und wollte weiterfah-ren – um sich sofort wieder hinzusetzen,wenn die Organistin ihr Spiel wieder neuansetzte. Das sah, ehrlich gesagt, ziemlichdumm aus. Haueter bedauerte seinen Kol-legen aufrichtig. Das hätte ihm auch pas-sieren können, dauerte doch das Zwi-schenspiel satte neun Minuten. Er spürteden bohrenden Blick von Annemarie.

Bruno Haueter war neun Jahre langPfarrer in einer Landgemeinde gewesen.Dann, für viele überraschend, hatte er an-gekündigt, er suche «eine neue Herausfor-derung». Das war eine Ausrede. Der wahreGrund war die Organistin: Sie hatte ihmdas Leben zur Hölle gemacht. Die Zahl derZankereien mit ihr waren Legion. Dass siedie Frau des Kirchgemeindepräsidentenwar, hatte die Sache nicht gerade erleich-tert. Als die Organistin sich schliesslichweigerte, ein modernes Lied zu begleiten,hatte Haueter die Schnauze voll.

Hier, in Kleindottingen, hatte er beiden Bewerbungsgesprächen einen gutenEindruck gehabt. Man hatte sich schnellverstanden, und die Arbeit mit der Orga-nistin wurde ihm als unproblematisch ge-schildert. Der Kirchgemeinderat hatte ihnzu Handen der Kirchgemeindeversamm-lung einstimmig für die Wahl nominiert.Haueter war sehr zufrieden.

Und nun sass er also mit seiner FrauAnnemarie im Weihnachtsgottesdienst,der von seinem Vorgänger geleitet wurde.«Etwas die Gemeinde spüren» wolle er,hatte er gesagt. Mit voller Kehle sang ermit beim Weihnachtslied «Kommet, ihrHirten». Doch plötzlich unterbrach dieOrganistin ihre Begleitung und rief vonder Empore herunter: «So geht das nicht.Sie können nicht einfach singen, wie siewollen! Sie müssen auf die Orgel hören!Ich fange nochmal an.» In der Kircheherrschte ratlose Stille. Der Pfarrer vorneschaute verdattert drein und nickte nurzögernd. Dann erklang wieder die Orgel.

Annemarie lehnte sich zu BrunoHaueter hinüber. «Hast du die Bestätigung,dass du die Nomination annimmst, schonabgeschickt?» – «Nein», sagte Haueter,«ich wollte es in den nächsten Tagen erle-digen.» Annemarie seufzte erleichtert.«Gut», flüsterte sie leise, «sehr gut.»

Haueter lebt heute in Duala, Kame-run, und unterrichtet an einer Bibelschule.Er soll sehr glücklich sein. Seine Frauauch. In der Kirche dort steht, wie manhört, keine Orgel. Huldrych Barth-Ab

In der satirischen Rubrik «Das jüngste

Gerücht» offenbart ein Berner Pfarrer,

wies hinter Kanzeln, neben Pfarrhäusern

und nach Kirchgemeinderatssitzungen

gelegentlich so zu und her geht

Nicht nur gegenüber

Juden, sondern auch

gegenüber Muslimen oder

Homosexuellen sind die

Negativeinstellungen bei

religiösen Menschen

wesentlich ausgeprägter

als bei Menschen ohne

Konfessionszugehörigkeit.

Befragten – auch der Muslime – gebenan, freundschaftliche Kontakte zu Men-schen einer anderen Religionszugehörig-keit zu pflegen. «Im Moment sind die Tü-ren der islamischen Gemeinschaft in derSchweiz offen», bilanziert Cattacin: «Eshängt nun auch von der Schweizer Gesell-schaft ab: Je mehr die Muslime vor ver-schlossenen Türen stehen, desto mehr ver-stärkt sich die Neigung, getrennte Wege zugehen.» Delf Bucher

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«Die Werte der Streikenden sindauch die Werte der Kirche»:Marc Balz, reformierter Pfarrer,Reconvilier

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Der farbige Kirchenbogen4·0

6

In dieser Ausgabe befindet sich in einem Teil der Auflage ein Einzah-

lungsschein Ihrer Kirchgemeinde: Sie bittet um einen freiwilligen

Beitrag an die Kosten für die Verteilung des «saemann» – auf dass sie

Ihnen weiterhin bedenkenswerten Lesestoff zukommen lassen kann!

God happens

Auferstehungdes Leibes

Nun könnte einer fragen: Wie wer-den die Toten auferweckt, was füreinen Leib werden sie haben?»

(1. Kor. 15, 35). So bringt Paulus die Frage-stellung bereits im Jahr 55 n. Chr. auf denPunkt. In der Tat, wie soll das geschehen:Auferstehung des Leibes? – Paulus nimmtden österlichen Christus zum Ausgangs-punkt. Er spricht von über 500 verlässli-chen Zeugen, denen der Auferstandeneleibhaftig begegnet sei. Auch sich selbstreiht er mit seiner sehr überirdischen Er-fahrung in die Liste ein: Ihn warf ein gleis-sendes Licht zu Boden (Apg. 9, 3 ff.).

Die Totenerweckung war nichts bei-spiellos Neues. Die jüdische Apokalyptikverwendete das Bild schon 200 Jahre vor-her. «Von denen, die im Land des Staubesschlafen, werden viele erwachen», heisstes im Danielbuch. Die Apokalyptik wareine geistige Strömung im nachexilischenJudentum, die sich auf Grund der leidvol-len politischen Zustände stark mit demEnde der Welt auseinander setzte. Als Ge-genentwurf zum erfahrenen Unrecht ent-wickelte sie die kosmische Vision einer«neuen Welt Gottes». Die Unterdrücktenwehrten sich mit Hoffnungsbildern.

Diese Denkweise prägte auch dieEvangelien. Jesus war zu Unrecht ermor-det worden, doch er kam lebendig wiederaus dem Grab hervor. Das bedeutete ausapokalyptischer Sicht: Er ist der Retter.Gott löst mit ihm das Versprechen ein.Dem «Erstgeborenen der Toten» würdenalle anderen folgen, seine leibhaftige Auf-erstehung ist der Anbruch der erwartetenZeitenwende. Das griechische Wort fürauferstehen heisst auch: aufwachen, auf-stehen, aufständisch handeln! Genau be-trachtet, verband die apokalyptische Strö-mung das Politische mit dem Spirituellen:Sie bejahte erfinderisch und dynamischdas Leben gegen alles Unrecht.

Aber wie ist es nun mit dem Leib, dertot war und wieder lebendig wird? Hier stos-sen wir an die Grenzen der Vorstellungs-kraft. Paulus zieht zum Vergleich Bilderaus der Natur bei: Wer stirbt, wird wie dasSamenkorn in die Erde gelegt. Darauswächst neues Leben; aus verweslich wirdunverweslich, aus armselig unvergäng-lich. Verwandlung geschieht wie durch ei-nen Geburtsakt der Erde. Sie bewahrt dieToten in ihrem Schoss, bis Gott sie auffor-dert, ihnen neu das Leben zu schenken.

Fazit: Die christliche Hoffnung derAuferstehung des Leibes zielt auf die Ver-leiblichung des Glaubens, nicht auf seineVergeistigung. Sie ist keine Weltflucht. DerKörper ist wichtig – später einmal in sei-ner verwandelten Gestalt, aber auch schonjetzt und hier. Es geht um den Aufstand ge-gen die Not aller beschädigten, geschun-denen, unterdrückten Menschenkörper.Leibhaftige Auferstehung drängt ins Lebenvor dem Tod. Marianne Vogel Kopp

Mit einer günstigerenOfferte versucht derKanton weiterhin, denKirchgemeinden diePfarrhäuser zu verkaufen.Mit mässigem Erfolg:Die Skepsis ist gross.

Im letzten Herbst hat der Kanton Bern ei-nen neuen Anlauf genommen, die 104Pfarrhäuser, die er noch besitzt, an dieKirchgemeinden zu verkaufen. Den aktu-ellen Stand fasst Doris Haldner, LeiterinPortfoliomanagement des kantonalenAmts für Grundstücke und Gebäude, wiefolgt zusammen: «26 Kirchgemeindenhaben auf die neue Offerte noch nicht ge-antwortet; 45 prüfen das Angebot zurzeit;zehn Pfarrhäuser sind verkauft, und zwarin den Gemeinden Biel, Boltigen, Corgé-mont, Gsteig bei Gstaad, Kappelen, Kirch-lindach, Lauperswil, Münsingen, Ober-balm und Wattenwil. Die restlichen Kirch-gemeinden haben definitiv abgesagt.»

Das neue AngebotDie Initiative zum Verkauf der Pfarrhäu-ser geht zurück auf eine Motion der SVP-Grossräte Hans Bichsel und Rudolf Bieri,die in der Sommersession 2003 überwie-sen worden war – trotz den schon damalsgeäusserten Bedenken von FinanzdirektorUrs Gasche: «Wir würden diese Häusernoch so gerne loswerden. Die Bereitschaft,sie zu übernehmen, ist jedoch nicht über-trieben gross.» Gasche sollte Recht behal-ten – umso mehr, als der Kanton sie vor-erst zum Verkehrswert anbot: zu einemPreis also, der die häufig sanierungsbe-dürftigen, denkmalgeschützten und mitder Wohnpflicht der PfarrerInnen («Resi-denzpflicht») belasteten Liegenschaftenmeistens von vornherein zum untragba-ren Risiko werden liess.

Im Oktober 2005 unterbreitete derKanton deshalb den Kirchgemeinden einneues Abgebot, in dem der Verkaufspreisneu auf Grund des Ertragswerts der Pfarr-häuser errechnet worden war. Unterschie-den wird jetzt zudem der Ertragswert 1vom Ertragswert 2 – je nachdem, ob dasPfarrhaus als Dienstwohnung genutztwird oder nicht. Eine Nachschusspflichtan den Kanton soll dann gelten, wenn dieResidenzpflicht nach dem Kauf aufge-hoben wird; wird die Liegenschaft innert25 Jahren weiterverkauft, soll der Kantonam Gewinn zur Hälfte beteiligt sein.

Für Hansruedi Spichiger, den kanto-nalen Beauftragten für kirchliche Angele-genheiten, ist das «ein faires Angebot»:«Wenn man die Dienstwohnungsmietedes Pfarrers berücksichtigt und den Be-trag, den die Kirchgemeinde bisher für dieMiete der Diensträume im Pfarrhaus demKanton entrichten musste, kommt sie

nach dem Kauf sofort auf eine Bruttoren-dite von acht bis neun Prozent.» Deswe-gen, sagt er, «sollte das Risiko des Kaufsnicht überschätzt werden».

Die Skepsis bleibtZu den Kirchgemeinden, die auch auf dasneue, attraktivere Kaufangebot nicht ein-getreten sind, gehört Meikirch. Hier bildetdas Pfarrhaus (das als Dienstwohnung ge-nutzt wird) zusammen mit der Kirche,dem Kirchgemeindehaus, einem Bauern-haus und einem Nebengebäude eine histo-risch gewachsene Einheit. Präsident dieserKirchgemeinde ist Willy Oppliger – von Be-ruf Leiter der Fachstelle Finanzen der Re-formierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn.

Man habe im Kirchgemeinderat aus-führlich diskutiert, was der Besitz desPfarrhauses bringen würde, erzählt er. DieAntwort sei klar: «Weil die Residenzpflichtbesteht, ändert sich in der Nutzungsmög-lichkeit des Gebäudes nichts.» Auch einKauf im Blick auf die Sicherung der bau-lichen Einheit mache keinen Sinn: weilnämlich der Kanton zur Umsetzung desDenkmalschutzes mehr Mittel habe als dieKirchgemeinde. Die unvermeidliche fi-nanzielle Mehrbelastung habe eindeutiggegen Kaufverhandlungen gesprochen.

Für diese Mehrbelastung bietet dieLandkirchgemeinde Meikirch mit 1850Mitgliedern und Gesamteinnahmen von

425 000 Franken im Jahr wohl ein typi-sches Beispiel: Im aktuellen Budget sindgut 27 Prozent des Ertrags an den Liegen-schaftsaufwand gebunden (Zinsen, Ab-schreibungen und Unterhalt vorab fürKirche und Kirchgemeindehaus). «Kauf-ten wir das Pfarrhaus», sagt Oppliger,«würde sich dieser Anteil auf knapp vier-zig Prozent erhöhen.» Bei den anderenPosten müssten nach einem Kauf dem-nach gut zwölf Budgetprozente eingespartwerden. Sparmöglichkeiten bestündenaber, so Oppliger, nur bei den kirchlichenAufgaben und beim Verwaltungsaufwand,also bei Jugendarbeit, kirchlichem Unter-richt, Sonntagsschule, Altersarbeit, Veran-staltungen, beim Organisten oder beimSekretariat. Ein Abbau dieser kirchlichenAufgaben zu Gunsten der Liegenschaftenkomme für Meikirch nicht in Frage.

Das Kaufangebot als DilemmaDass sich gerade die kleineren Kirchge-meinden auch mit dem neuen Kaufange-bot schwer tun, hat also den Grund in derAlternative, sich entweder weiterhin aufdie bisherigen, als nötig erachteten Aufga-ben zu konzentrieren oder vermehrt zurVerwaltung des gewachsenen Liegenschaf-tenbesitzes überzugehen. In Meikirch hatman sich entschieden.

Auf die (hypothetische) Frage, ob dieKirchgemeinde das Pfarrhaus übernähme,wenn es ihr vom Kanton geschenkt würde,sagt Oppliger nach einigem Nachdenken:«Wenn es nach mir ginge: nein. Das Pfarr-haus würde auch so zur finanziellen Be-lastung.» Fredi Lerch

Pfarrhäuser: Die neue Verkaufsrunde

Faires Angebot oder Klotz am Bein?

Dem Kanton das Pfarrhaus abkau-fen? Die Kirchgemeinden bleibenskeptisch – auch jene von Meikirch

Kurznews

Herbert-Haag-StiftungFreiheitspreis für Röschenz

Die katholische Kirchgemeinde Röschenzist von der Herbert-Haag-Stiftung für Frei-heit in der Kirche ausgezeichnet worden.Die Baselbieter Kirchgemeinde unter-nehme alles, um im Konflikt mit dem Bis-tum rund um Pfarradministrator FranzSabo «die Grundrechte der öffentlichenOrdnung zu gewährleisten», heisst es inder Laudatio. Zudem zeichnete die Stif-tung vier Medienschaffende für ihre kriti-sche Berichterstattung zu Kirchenthemenaus: Michael Meier («Tages-Anzeiger»),Hansjörg Schultz (Radio DRS), MatthiasDrobinski («Süddeutsche Zeitung») unddie Buchautorin Dolores Bauer. pd/sae

FreiburgKirchensteuer für alle

Im Kanton Freiburg bleiben die Unterneh-mungen wie bisher kirchensteuerpflich-tig. Der Grosse Rat lehnte eine Motion mit82 zu 33 Stimmen ab, welche den Firmenermöglichen wollte, sich von dieser Steuerbefreien zu lassen. Die Motionäre hattenargumentiert, es gehe um Gleichheit zwi-schen natürlichen und juristischen Perso-nen: Einzelpersonen könnten aus der Kir-che austreten, Betriebe nicht. Im Ratwurde die wichtige soziale Funktion derkatholischen und reformierten Kirche un-terstrichen. Es liege im Interesse aller, dassInstitutionen, die für Solidarität und denRespekt vor dem Mitmenschen einstün-den, nicht geschwächt würden. kipa/sae

Universität ZürichWirtschaft&Religion

An der Universität Zürich ist in Zusam-menarbeit mit der Universität Luzern einZentrum gegründet worden, das die Be-deutung der «Religion als Faktor in Wirt-schaft und Politik» erforschen soll. «DieReligion als Kraft der Gesellschaft wirdimmer wichtiger», erklärte Zentrumslei-ter Reiner Anselm: «Es braucht eine ver-tiefte, interdisziplinäre Auseinanderset-zung mit religiösen Phänomenen.» pd

SwissegliseFeuerprobe bestanden

Von Kirchenglocken über Ikonenbilder biszur Internetseelsorge: Gegen hundert Aus-steller präsentierten Mitte März an derSwisseglise, der ersten Schweizer Kirchen-messe im thurgauischen Weinfelden, einebreite Palette kirchlicher Produkte undDienstleistungen. Rund 7000 Personenbesuchten den von den Messen Weinfeldengemeinsam mit der Evangelischen undder Katholischen Landeskirche des Kan-tons Thurgau organisierten Anlass. DieVeranstalter zeigten sich erfreut über denPublikumsaufmarsch und kündigten be-reits eine zweite Auflage an. pd/sae

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II KIRCHE UND WELT saemann 4 ·2006

Zum Tod von Hilde Domin

Aber die Hoffnung…

«Ich setzte den Fuss in die Luft, und sie trug.»

Es ist fast zwanzig Jahre her, dass ich dieseWorte zum ersten Mal las. Seither hat michHilde Domin nicht mehr losgelassen. Nunist Hilde Domin – fast 97-jährig – in Hei-delberg gestorben. Das Verlieren, das Lebenin der luftigen Zerbrechlichkeit, und docheinen Halt finden: Das sind Grundthemenim Werk der grossen Lyrikerin.

1932 musste die 23-jährige jüdischeStudentin – damals noch Hilde Löwen-stein – ihre Heimatstadt Köln verlassen. Sieemigrierte mit ihrem späteren Mann, demArchäologen und Philologen Erwin WalterPalm, zuerst nach Florenz, wo sie in Philo-sophie und Politikwissenschaft promovier-te. Als auch Italien zu unsicher wurde, be-gann ein Leben auf der Flucht, das sie umden halben Erdball und schliesslich in dieDominikanische Republik führte. Hier ver-öffentlichte sie 1951 als über 50-Jährige(sie nennt es ihre «zweite Geburt») ihrenersten Gedichtband unter dem PseudonymHilde Domin: eine Hommage an ihre Exil-heimat Santo Domingo.

Während ihres mehr als 22-jährigenLebens ausserhalb von Deutschland (1961kehrt sie nach Heidelberg zurück, wo siebis zu ihrem Tod lebte) war ihr die deut-sche Sprache eine Heimat, die ihr zu über-leben half. Nie gab sie auch als Vertriebeneden «Wohnsitz im deutschen Wort» auf.

Ein «Sonderfall»Was fasziniert mich und auch viele Zeitge-nossinnen und Zeitgenossen (das zeigteetwa der enorme Publikumsandrang beiihrer Lesung vor einem Jahr in Bern) andieser jüdischen Dichterin? Wenn ich Do-mins Texte lese, durchlebe ich urmensch-liche Grenzerfahrungen, hautnah erlebeich vor allem zwei Grunderfahrungenmenschlichen Lebens: die existenzielle Er-fahrung des Vertriebenwerdens, von Hei-matlosigkeit, das Durchleiden von tiefs-tem Schmerz und Verlassenheit – undaber immer wieder von Neuem auch dasAufblitzen von Hoffnung, von Furchtlosig-keit, eines kräftigen, ja trotzigen Den-noch. Nicht Verbitterung hinterlässt dasLeben bei ihr, sondern die Urkraft des Hof-fens, die sie all die Jahre hindurch getra-gen hat. «Aber die Hoffnung» heisst es ineinem ihrer Gedichte…

Hilde Domin sagte von sich stets, siesei ein «Sonderfall». Wenn es heute allemit Kafka halten, der sagt, die Taube seiheimgekehrt und habe nichts Grünes ge-funden, dann lässt Hilde Domin ihre Tau-ben – wenn sie sehen, «wie leer und abge-fressen und hohl» alles ist – immer weiterund höher fliegen, bis sie «irgendwo dochnoch ein Blau oder Grün erwischen».

Es gibt Worte und Bilder von HildeDomin, die bereits Teil der Literatur unddes Zitatenschatzes geworden sind, gewis-sermassen programmatische Botschaften:

«Nur eine Rose als Stütze» – «Man mussweggehen können und doch sein wie einBaum» – «Nicht müde werden, sonderndem Wunder leise wie einem Vogel dieHand hinhalten» – «In mir ist immer Ab-schied, in mir ist immer Glaube».

Wenn ich an die kleine, zerbrechlicheGestalt von Hilde Domin denke, hat siedieses Nebeneinander von Fragilität undVergänglichkeit einerseits, von Stärke undBeharrlichkeit andererseits selbst verkör-pert: So weigerte sie sich bei ihrem Auftritt

in Bern vehement, eine Sprecherin odereine Musikerin in ihr Programm zu inte-grieren; nur ihre Worte sollten den Raumfüllen und die Atmosphäre bestimmen.

…dass ich mich anlehne«Es ist eine Freude», sagte Hilde Domineinmal, «dass die Gedichte so viel jüngerbleiben als man selbst. Und dass Genera-tion nach Generation sich in ihnen wiedererkennt.» Was Hilde Domin vom Baumsagt («…er atmet Vertrauen und will,dass ich mich anlehne…»), das möchteich auch von ihren Texten sagen: Sie at-men Vertrauen und wollen, dass ich michanlehne… In diesem Sinn lebt Hilde Do-min weiter. Christine Nöthiger-Strahm

Ihre Texte atmen Vertrauen undwollen, «dass ich mich anlehne»:Hilde Domin, Lyrikerin (1909–2006)

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Adventistische Barfussmedizin in Afghanistan

Ohne Dorfsamariter geht gar nichts

Was braucht es, um für 250000 Menschenim zentralafghanischen Hochland einbescheidenes Gesundheitswesen aufzu-bauen? Zum Beispiel im Süden der Pro-vinz Bamyan (deren Name nach derSprengung der Buddhastatuen um dieWelt ging), wo jede dreizehnte Mutter undjedes vierte Kind bei der Geburt stirbt –und jedes vierte lebend geborene dasfünfte Lebensjahr nicht erreicht, weil es ei-ner Durchfallkrankheit zum Opfer fällt.Was brauchts in dieser von der Welt verlas-senen Gegend, wo die Menschen auf 2500Metern über Meer Getreideanbau undSchafzucht betreiben und im Winterschier im Schnee versinken, wo die Stras-sen häufig durchs Flussbett führen unddie Bewohner allem Fremden misstrauen?

«Medizin und Medikamente alleingenügen da nicht», sagt der aus Zürichstammende Internist und Kardiologe Pe-ter Jaggi, Landeskoordinator von Adra Af-ghanistan, dem Hilfswerk der Siebenten-Tags-Adventisten*. «Nötig ist vor allem

das Vertrauen der Einheimischen», so Pe-ter Jaggi. Vertrauen etwa, dass eine Teta-nusimpfung vor Krankheit schützt – undnicht, wie etliche Eltern argwöhnten, eineSchwangerschaft auslösen kann.

Peter Jaggi (65) und seine Frau Vere-na Jaggi (63), Englischlehrerin und medi-zinische Laborantin, haben zwischen 2002und 2006 von Kabul aus diverse Adra-Ent-wicklungsprojekte koordiniert – nebendem Gesundheitsprojekt in Bamyan auchBildungsprogramme für analphabetischeFrauen und ehemalige Kindersoldaten.Jetzt, nach ihrer Pensionierung, sind sie indie Schweiz zurückgekehrt.

Dorfmedizin«Es braucht viel, um die Menschen imHochland zu überzeugen, dass Impfpro-gramme, Schwangerschaftsuntersuchun-gen und Hygienevorkehrungen im Inte-resse aller sind», sagen Jaggis unisono.Und niemand mache diese Überzeu-gungsarbeit besser als Leute aus der Dorf-

gemeinschaft, die zu Samaritern ausge-bildet werden. Das kann die traditionelleHebamme sein, eine angesehene Frau, diebei den dort üblichen Hausgeburten assis-tiert: Sie erfährt in einer Weiterbildung,dass ein sauberes Instrument für den Na-belschnurschnitt ein Beitrag gegen dieKindersterblichkeit ist.

Je ein Mann und eine Frau werden proDorfgemeinschaft als SamariterIn ge-schult. «Zwingend müssen es Bruder und

Schwester, Ehemann und Ehefrau oder Va-ter und Tochter sein. Alles andere gälte alsunmoralisch», erklärt Verena Jaggi. DasDorfsamariterpaar soll Komplikationenbei einer Schwangerschaft oder eineschwere Kinderkrankheit möglichst früherkennen – und gegebenenfalls einenEhemann oder Vater überzeugen, seineFrau oder sein Kind zur Untersuchung ineines der elf Gesundheitszentren zu beglei-ten. «Mindestens zwei Stunden Gebirgs-fussmarsch sind das, die schwangere Frauoder das kranke Kind auf dem Eselsrü-cken», sagt Peter Jaggi. Dort entscheideneine Hebamme und ein Krankenpflegerdarüber, ob sie die Patienten behandeln

Zurück aus Afghanistan, wo das Gesundheitswesen an der Basis verankert werden muss: Dr.Peter und Verena Jaggi

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In Afghanistan ist die Kindersterblichkeitsrate sehrhoch: Bis zum Sturz der Taliban war das Gesundheits-wesen praktisch auf die Städte beschränkt. Wie bautman eine Basismedizin im afghanischen Hochland auf?Der Mediziner Peter Jaggi und seine Frau Verena Jaggiüber die Arbeit des adventistischen Hilfswerks Adra inden Tälern hinter dem Hindukusch.

können oder an eines der beiden Distrikt-spitäler weiterreichen und über Satelliten-telefon eine Ambulanz ordern müssen.

MissionsverbotEin halbes Arbeitsleben hat das EhepaarJaggi medizinische Aufbauhilfe geleistet,vor Afghanistan drei Jahre in Nepal undzwölf Jahre in Malawi in Missionsspitälern.Doch das adventistische Hilfswerk Adraverzichtet bewusst auf Missionierung – zu-mal in Afghanistan, «wo sie ein absolutesTabu ist», so Peter Jaggi: «Daran haben wiruns strikt gehalten, um nicht das Projekt,einheimische Mitarbeiter oder uns selbstzu gefährden.»

In der Tat: Gegenwärtig steht ein 41-jähriger Mann in Kabul vor Gericht, weiler zum christlichen Glauben übergetretenist. Ihm droht die Todesstrafe. Kommtdazu, dass die wieder erstarkenden Tali-ban auch Lynchjustiz an angeblichenChristensympathisanten üben.

Samuel Geiser

Info: www.adra.ch

*Die Siebenten-Tags-Adventisten sind eine

protestantische, von einem starken

Endzeitbewusstsein geprägte Freikirche,

die den Samstag heiligt, die Erwachsenen-

taufe praktiziert, auf Alkohol und Schwei-

nefleisch verzichtet und sich im humani-

tären Bereich weltweit stark engagiert

Kurznews

AsylgesetzHirtenbrief

Die Interkonfessionelle Konferenz (IKK)der Berner reformierten, römisch-katholi-schen und christlichen Landeskirchenund der jüdischen Gemeinden kritisiert ineinem Brief an die Gemeinden das ver-schärfte Asylgesetz. Zwar gebe es Fälle vonAsylmissbrauch, die bekämpft werdenmüssten. Aber das neue Gesetz führe dazu,dass Menschen in Not allein gelassen wür-den. Die IKK beteiligt sich nicht aktiv amReferendum gegen das revidierte Gesetz,ruft aber dazu auf, die Haltung der Hilfs-werke zu unterstützen. pd/sae

KirchenrödelPrivates Sponsoring

Unerwarteter Beitrag zum Schutz der Kir-chenbücher: Der pensionierte Lehrer undGeschichtsforscher Adrian Kurzen aus Hü-nibach schenkt dem Staatsarchiv des Kan-tons Bern 100 000 Franken für die sachge-rechte Restaurierung der Tauf-, Ehe- undTotenrödel. Diese wurden seit der Refor-mation bis zur Einführung des modernenZivilstandsregisters 1875 im Auftrag desStaates von den Pfarrern geführt. Dasgrosszügige Geschenk gebe dem Staatsar-chiv die Möglichkeit, die aus Kostengrün-den für später geplante Restaurierung deshistorischen «Gesamtverzeichnisses allerBernerinnen und Berner» vorzuziehen,erklärte Staatsarchivar Peter Martig.

aid/sae

Page 11: AZB 3001 Bern 4·06 · 2006-05-23 · Andrej Kurkov A m 26.April 1986, als in Tscher-nobyl der Super-GAU passierte, war ich genau genommen noch gar nicht auf der Welt. Das Unglück

III VERANSTALTUNGS-, MEDIEN- UND BUCHTIPPS saemann 4 ·2006

Herr Schmid, Sie sind ja Sektenspezia-

list – wie kommen Sie dazu, Jesus

selbst unter die Lupe zu nehmen?

Lange habe ich mich dagegen gesträubt,Jesus und seine Jünger unter der Sekten-perspektive zu analysieren. Jetzt bin ichfroh, meine abwehrende Haltung aufge-geben zu haben. Denn die Sektenoptikgibt den Blick auf die Einmaligkeit desChristentums und seinen entscheidendenUnterschied zu den anderen Sekten frei.

Sie nehmen also den Begriff Sekte, der

Ihrem Buch den provokativen Titel

verleiht, auch im Blick auf die Jesus-

bewegung nicht zurück?

Hinter Ihrer Frage verbirgt sich die Vorstel-lung, Sekten seien etwas grundsätzlichNegatives. Alle Religionen mit Gründer-gestalt haben sich aber aus einer Sekte he-raus entwickelt. Am Anfang steht die Er-leuchtung des Meisters. Begegnet derMeister dann ratsuchenden Menschen,entwickelt sich eine richtige Nachfolge-dynamik. Später – wenn die Sekte zur Kir-che wird – wird Nachfolge dann oft weitgemächlicher praktiziert. So gesehen,

sind die grossen Volkskirchen alt gewor-dene Sekten – gewissermassen Sekten mitHaarausfall.

Wo ist aber nun der Unterschied

zwischen der Jesusbewegung und

anderen religiösen Bewegungen?

Oft beobachten wir bei Sekten das traurigeSpiel von Allmacht und Ohnmacht. DerMeister ist alles, der Schüler ist nichts. Hiersetzt dann meist der wahnhafte Realitäts-verlust ein. Einerseits kommt der Verfol-gungswahn auf: «Alle auf dieser Welt sindgegen uns.» Andererseits grassiert der All-machtswahn, die Meinung, Wunder aufBestellung liefern zu können: «Wir kön-nen alles heilen.» Die dritte Stufe ist dannoft die völlige Verblendung.

Diese Entwicklung erkennen wir imNeuen Testament nicht. Die Jünger sindnicht verblendet, sie gewinnen eine ganzneue Wahrnehmung der Wirklichkeit.

Wirklichkeit, Konkretes, Gegenwart:

Warum kommen diese Wörter in

Ihrem Buch im Zusammenhang mit

Jesus so oft vor?

Vielleicht kann das ein Vergleich zwischenJohannes dem Täufer und Jesus veran-schaulichen. Johannes hat das Reich Got-tes als Eremit in der Wüste erwartet. Jesuserlebt das nahe herbeigekommene Reichmitten unter Menschen. Zwar geht er erstvierzig Tage in die Wüste – dann aberkommt er zurück in die Dörfer und lebtdie Reich-Gottes-Erfahrung zusammenmit Fischern, Bauern und Händlern.

Die Konkretheit von Jesus bewahrt

ihn auch vor jenem Wahnpotenzial,

das schwärmerische Bewegungen oft

begleitet?

Genau. Während bei allen Sekten die Er-leuchtung des Meisters schnell in Verblen-dung umschlagen kann, läuft dies bei derJesusbewegung umgekehrt: Hier landendie Nachfolger in der konkreten Gegen-wart.

Ist das aber nun nicht etwas zu

positiv dargestellt? Denken Sie doch

an den durch den Kreuzestod Jesu

vorgezeichneten Märtyrerkult.

Im zweiten Jahrhundert n. Chr. gab estatsächlich solche Märtyrerexzesse. DieChristen drängten sich geradezu lustvollin die Arena, um vom Löwen zerrissen zuwerden. Wo das Christentum sehr intensivgelebt worden ist, begegnet man natürlichauch einem ungeheuren Wahnpotenzial.

Auch für die Urchristen konnte also

der Glaube zum Spiel mit dem Feuer

werden?

Sekten sind, auch wenn sie von den bestenMeistern wie Jesus oder Buddha geleitetwerden, ein psychisches Abenteuer. Immerwieder können Menschen durch die Inten-sität ihrer Glaubensbegegnung ins Wahn-hafte abgleiten. Bei Kirchen passiert dieskaum, weil grosse Kirchen die Intensitätder Nachfolge scheuen. Die in den grossenreligiösen Gemeinschaften zusammen-geschlossenen Menschen – ob Hindus,Buddhisten oder Christen – glauben zu-meist mässig, vernünftig, temperiert.

Ein Appell an die Kirche von heute,

etwas sektiererischer zu sein?

Ich finde unbedingt, dass das Christentumwieder zu seinen Wurzeln zurückfindensollte. Wir würden eine ganz andere Dyna-mik freisetzen, wenn wir wieder unseresektenhafte Jugend entdecken könnten.Denn das Berührtwerden von Gott ist inder Bibel etwas ungeheuer Persönliches.Und diese Unmittelbarkeit ist den Kirchenverloren gegangen. Rituell wurde alles sokorrekt institutionalisiert, dass wirklichnichts mehr danebengeht. Die Kirchenleben mehrheitsfähiges Christentum inmöglichst harmloser Dosierung.Gespräch: Delf Bucher, Tilmann Zuber

Georg Schmid: Die Sekte des Jesus von

Nazaret – Neue Aspekte einer Betrachtung

des Christentums, Kreuzverlag, Fr. 29.–

«Die Sekte des Jesus von Nazaret»: Interview mit dem Autor, Georg Schmid

Neuer Blick auf Jesus

War Jesus ein Sektenguru? In seinem neuen Buch («DieSekte des Jesus von Nazaret») stellt der Zürcher Theo-loge und Sektenfachmann Georg Schmid den Gründerdes Christentums auf den Prüfstand. – Ein Gespräch.

Sehnt sich nach der «sektenhaftenJugend» des Christentums:Georg Schmid, Sektenkenner

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RADIOTIPPS

Vergelts Gott!Sonntags singen sie im Chor. Werktags be-

suchen sie Betagte und Kranke. Samstags

aktivieren sie Teenies und Kids. Und abends

managen sie die Finanz- und Baugeschäfte

der Kirchgemeinde: Was wäre die Kirche

ohne ihre Freiwilligen? Eine Sendung über

die grosse Vergangenheit kirchlicher Freiwil-

ligenarbeit – und ihre unsichere Zukunft.

• 2. April, 8.30, Radio DRS 2

Das letzte «Tschüss»Der Philosoph Wilhelm Schmid hat die

krebskranke Patientin Kathrin G. bis zu ih-

rem Tod begleitet. Er hat mit ihr unzählige

Gespräche geführt – und entdeckt, wie ihn

ihr Sterben verändert hat. In Erinnerung sind

ihm besonders das letzte Gespräch und das

bewusst ausgesprochene letzte «Tschüss».

• 14. April, 8.30, Radio DRS 2

Wenn ich Himmel wärDie neuste Produktion der Poetryperforme-

rin Eveline Blum handelt von der Hingabe an

den Himmel, den wir in uns tragen, von der

Befreiung, die möglich ist, sobald wir sie er-

lauben. In die Stimme der Autorin mischen

sich die Klänge von Heidi Moll auf ihrem E-

Bass – ein wunderliches Osterei!

• 16. April, 9.00, Radio RaBe

Kirche und CouchFür Sigmund Freud, den Begründer der Psy-

choanalyse, war der Mensch nur dann reif,

wenn er seine Religiosität überwunden

hatte. Wegen dieser kompromisslosen Reli-

gionskritik war Freud unter Theologen

lange Zeit ein rotes Tuch. Doch die Religi-

onspsychologie befasst sich seit Jahrzehn-

ten mit Freuds Seelenlehre. – Gespräch mit

der Berner Theologin und Freud-Forscherin

Isabelle Noth über den Nutzen des Men-

schenbilds Freuds für die heutige Seelsorge.

• 30. April, 8.30, Radio DRS 2

Gottesdienste

Ökumenische GottesdiensteMittwoch, 18.30, Dreifaltigkeitskirche, Bern

• 19. April, mit Harald Möhle

• 26. April, mit Eduard Wildbolz

Hörbehinderten-Gottesdienst• 9. April, 17.00, Gutenbergstr. 33, Bern

• 14. April, 9.30, KGH Thun

• 16. April, 14.00, Markuskirche Bern

• 30. April, 14.00, KGH Burgdorf

Taizé-AbendgebetStille – meditative Gesänge – Bibelworte

• 2. April, 20.00, Nydeggkirche Bern

HandauflegenStärkung an Körper und Seele suchen

• 2. und 23. April, zwischen 16.00 und

19.00, Kirche Thun-Allmendingen

Info: 033 251 02 90 (Pfr. Jan Veenhof)

Veranstaltungen

Mahnwache in Bern Für gerechten Frieden in Israel/Palästina

• 14. April, 12.30, Heiliggeistkirche

Frauenrituale im JahreszyklusFür Frauen, die den Jahreskreis bewusst mit-

erleben wollen; mit Pfrn. Renate von Ball-

moos und Pfrn. Andrea Kindler Broder

• 30. April, 20.00, Offene Heiliggeistkirche

Bern

Seminare, Tagungen

OrgelkurseDie Kirchenmusikschule Bern bietet ab Au-

gust 4-semestrige Orgelkurse an mit Ab-

schluss für Ausweis I und II. Kurstag: Mitt-

wochnachmittag; Kursprogramm: Orgel-

spiel, Musiklehre, kirchenmusikalische Spe-

zialfächer. Aufnahmeprüfung: 13. Mai

• Anmeldefrist: 31. März

Info: 031 971 72 15

E-Mail: [email protected]

www.hkb.bfh.ch/kirchenmusik.html

Ferien, Exkursionen

Spirituelle SchweizAndere Religionen kennen lernen? Die in-

terreligiöse Arbeitsgemeinschaft Iras Cotis

organisiert unter dem Titel «Judendörfer»

eine Exkursion in Zürich.

• Donnerstag, 27. April, Treffpunkt in der

Jüdischen Liberalen Gemeinde, Hallwyl-

strasse 78, 8003 Zürich. Referat von Rabbi-

ner Ben Chorin und der Historikerin Annette

Brunschvig («Das jüdische Zürich des Mittel-

alters»). Fahrt nach Lengnau und Endingen,

Führung durch diese ehemaligen «Juden-

dörfer», Besuch der Synagogen und des

Friedhofs. Fahrten: mit Privatautos (Mitfahr-

gelegenheiten werden angeboten)

Kosten: Fr. 50.– (ohne Mittagessen)

Info/Anmeldung: Iras Cotis, Pf, 4002 Basel

E-Mail: [email protected]

Wochenende für VerwitweteThema: «An Gottes Segen ist alles gelegen»

• 1./2. und 22./23. April, Gwatt-Zentrum

Info: 031 721 34 86

KunstwanderwochenDie Kunstlandschaft Graubündens erwan-

dern; mit Pfr. Dieter Matti (Pfarrer für Kunst

und Religion)

• 23.–30. April: «Burgundreise» – Sternför-

mige Erkundungen romanischer Kunst

Info: 081 420 56 57

Ausstellungen

Weltreligionen – WeltfriedenDie Ausstellung umfasst zwölf Tafeln zu den

grossen Weltreligionen mit Schlüsseltexten

von Hans Küng, zu Grundprinzipien der

Menschlichkeit und zu den ethischen Prinzi-

pien «Gewaltlosigkeit», «Gerechtigkeit»,

«Wahrhaftigkeit» und «Partnerschaftlich-

keit». Begegnungsanlässe begleiten diese

Ausstellung

• 25. März bis 9. April, Zentralplatz Biel

Info: 032 322 36 91

Glasbilder von Walter LoosliWerke von Walter Loosli in der Bieler Pas-

quart-Kirche: Ausstellung mit Entwürfen,

grösseren Glasbildern und Glasinstallationen

• bis 17. April, Mittwoch, Samstag, Sonn-

tag, Karfreitag und Ostermontag (jeweils

14–18 Uhr), Eglise du Pasquart, Faubourg

du Lac 99 A, Biel

TV-TIPPS

Hospiz des Lebens«Kloster zum Mitleben»: Immer mehr Men-

schen leben für ein paar Wochen bei den

Kapuzinern von Rapperswil. Was zieht ei-

nen EDV-Mann, einen Bäcker, eine Heim-

erzieherin, eine Studentin und eine kauf-

männische Angestellte ins Kloster?

• 4. April, 14.30, 3sat

Die Taube aus TschetschenienSeit 1994 dokumentiert Sainap Gaschai-

ewa, genannt die Taube («Coca»), was in ih-

rer Heimat Tschetschenien Tag für Tag ge-

schieht: Verschleppung, Folter, Mord. Zu-

sammen mit anderen Frauen hat sie hun-

derte Videokassetten versteckt. Jetzt will sie

diese nach Westeuropa schaffen – in der

Hoffnung, dass es zu einem Tribunal kommt

und die Schuldigen bestraft werden.

• 5. April, 00.00, SF 1

Wo Gott hocktPorträts von Menschen, die ein Stück Hei-

mat in Gott gefunden haben. Zu Wort kom-

men keine Berufsgläubigen, sondern Men-

schen, die ihren Glauben still und unmis-

sionarisch leben. Entstanden ist ein ein-

drücklicher Film aus einem wenig beachte-

ten Teil des Schweizer Alltags

• 14. April, 21.00, 3sat

Gott segne unsern RaubüberfallAls Hitlers Truppen im Mai 1940 die Nieder-

lande besetzten und die ersten Juden de-

portiert wurden, nahm ein Liebespaar den

gefährlichen Kampf gegen die Nazis auf. Sie

überfielen deutsche Behörden, raubten, um

andere Menschen zu retten. Er bezahlte da-

für mit dem Leben, sie entkam mit knapper

Not und lebt heute in den USA. Für den Film

kehrt die 82-Jährige noch einmal nach Hol-

land zurück, trifft Freunde und Zeitzeugen

von damals und erzählt ihre Geschichte

• 17. April, 23.55, 3sat

Agenda

Page 12: AZB 3001 Bern 4·06 · 2006-05-23 · Andrej Kurkov A m 26.April 1986, als in Tscher-nobyl der Super-GAU passierte, war ich genau genommen noch gar nicht auf der Welt. Das Unglück

IV FAITS DIVERS saemann 4 ·2006

Knapp ein Jahr nachdem ihr Erst-ling («Fremde Hände») erschie-nen ist (und es gleich auf die Best-

sellerliste geschafft hat; vgl. «saemann»5/05), legt Petra Ivanov, Journalistin beimHilfswerk der Evangelischen KirchenSchweiz (Heks), ihren zweiten Kriminalro-man vor. «Tote Träume» erzählt die Ge-schichte des sudanesischen FlüchtlingsThok, dessen Leiche beim Brand einer Asyl-unterkunft gefunden wird. Die ersten Un-tersuchungen ergeben, dass der Junge be-reits vor Brandausbruch tot war. Bezirks-anwältin Regina Flint wird in ihrer ent-spannenden Malerei gestört und eilt an denTatort. Noch ahnt sie nicht, dass sie gleichzwei Fälle zu lösen hat.

Erfreulicherweise gelingt es PetraIvanov mühelos, das hohe Niveau ihresDebütromans zu halten: «Tote Träume»fügt sich punkto Intensität nahtlos an dieerste Erzählung an. Es macht Spass, denHauptfiguren wieder zu begegnen. So ste-hen die latente Liebesbeziehung zwischenFlint und dem leitenden Polizisten Cavallisowie dessen undurchsichtige Vergangen-heit, die weitere spannende Facetten er-hält, erneut im Mittelpunkt.

Die Autorin hat dabei auch neue Stil-mittel gewählt – etwa, wenn sie die ver-zweifelten Gefühle und Gedanken der un-bekannten Täterschaft in Tagebuchformin die Erzählung einflicht und damit für

zusätzliche Spannung sorgt. Wobei zu be-merken ist, dass es ihr nicht ganz gelingt,die Ahnungslosigkeit der LeserInnen biszum Schluss zu erhalten. Des Rätsels Lö-sung deutet sich bereits in der Mitte desRomans an.

Rechtsradikales MilieuDem Lesevergnügen tut dies keinen Ab-bruch. Ohnehin liegen die Stärken der Au-torin eher in der sensiblen Ausarbeitungder Charaktere und im Gespür für ent-täuschte und hoffnungsvolle Beziehun-gen als im klassischen Handwerk. Willheissen: Wäre kein Fall zu lösen, müssteman das Buch trotzdem lesen.

Erneut beeindruckt Petra Ivanovnämlich durch sorgfältige Recherchenund detailgetreue Beschreibungen. Sie hatsich sorgfältig in die afrikanische Kultureingearbeitet und gibt unter anderem Ein-blick in die Geschichte der Nuer, eines süd-sudanesischen Bauernvolkes. Mit starkerErzählkraft inszeniert sie parallel dazueine tief berührende und bisweilen be-ängstigende Begegnung mit einer Cliqueambitionsloser Jugendlicher am Randedes rechtsradikalen Milieus. – Man liestdas Buch mit Faszination und Begeiste-rung. André Kesper

Petra Ivanov: Tote Träume. Roman;

Appenzeller Verlag, 2006; 398 S., Fr.39.80

So stellt man sich einen Kreationistennicht vor. Vor sich eine Stange Bier, erwar-tet ein gut aussehender Endvierziger mitGelfrisur den Journalisten. Der selbststän-dige Unternehmensberater Gian Luca Ca-rigiet lässt sich schwer einordnen: Gottes-dienste besucht er selten, einer Glaubens-gemeinschaft gehört er nicht an, auchkeiner Freikirche. Klar aber ist seine Über-zeugung: Die Berichte in der Bibel erzäh-len alle von historischen Ereignissen.Auch die Schöpfungsgeschichte. In sechsTagen à 24 Stunden habe Gott Himmelund Erde erschaffen. «Wenn Gott all-mächtig ist, ist das möglich», stellt derGründer und Präsident des Vereins Pro Ge-nesis klar. Aber auch sonst sei der biblischeBericht viel plausibler als die Evolutions-theorie. Diese gehe von einem naivenGlauben aus, dass aus Materie Leben ent-stehen könne: «Unmöglich!»

Projekt der SuperlativeUnd darum hat Carigiet Grosses vor, Ver-rücktes. Sein Projekt ist ein «besinnlicherFreizeitpark», am liebsten im Dreilän-dereck Schweiz-Österreich-Deutschland.

Genesis-Land soll eine Fläche von insge-samt 36 Fussballfeldern haben (ca.250 000 Quadratmeter). Und das Ziel desParks – der Öffentlichkeit biblisch-christ-liches Gedankengut näher zu bringen –will er mit modernsten Mitteln erreichen.

Zentrum von Carigiets Genesis-Landsoll eine Arche Noah im Massstab 1:1 wer-den: 138 Meter lang, knapp 14 Meter hoch,präzis nach den Angaben von 1. Mose 6.Das Gelände überragen wird der Turm zuBabel, eventuell mit einer Rutschbahnzum Runtersausen: Die Turmspitze wirdzwar nicht ganz «bis in den Himmel» rei-chen (1. Mose 11, 4), aber mit 90 Metern inansehnlich luftigen Höhen schweben.

Weiter veranschaulichen vier Pavil-lons biblische Themen von der Schöpfungbis zum Endgericht. Ein Restaurant wirdin einem Wüstenzelt untergebracht – alsVorbild dient die Stiftshütte, die dem VolkIsrael während der Wüstenwanderung alsmobiles Heiligtum zur Verfügung stand.Schliesslich sorgen einige Vergnügungs-bahnen für das nötige Chilbigefühl.

Ist das Projekt nicht ein paar Schuh-nummern zu gross? Ein biblischer Frei-

zeitpark, der weit über 100 Millionen Fran-ken kostet und jährlich 1,5 Millionen Be-sucherInnen braucht, um existieren zukönnen? Carigiet: «Ich setze mir kein gros-ses Ziel, sondern mehrere kleine.» Zu-nächst habe er einen Grafiker für die Ge-staltung der Informationsbroschüre ge-funden. Dann das Projekt einer Schar inte-ressierter Leute präsentiert – darunter He-rald Janssen, Vertreter einer liechtensteini-schen Fondsfirma, die als Investorin inFrage komme. Womit auch das dritte Zielerreicht sei: die Erstellung einer Vorstudiebis Sommer 2006, mit Businessplan.

Kein MissionsprojektBleibt die Frage: Wieso tut er das? Warumengagiert sich ein Unternehmensberatermit Haut und Haar für ein solches Projekt?«Mit dreissig Jahren hatte ich eine Lebens-krise», erzählt Carigiet. Er habe nach demSinn des Lebens gesucht – «gefundenhabe ich ihn in der Bibel». Nun wolle er«ein Denkmal für Gott» setzen.

Ein Missionsprojekt werde der Frei-zeitpark deswegen noch lange nicht,wehrt sich Carigiet gegen Fanatismusvor-würfe. Die Menschen sollen sich eine ei-gene Meinung bilden können. In Genesis-Land werde auch auf die Evolutionstheo-rie hingewiesen – wenn auch «vor allemauf deren Unglaubwürdigkeit», wie Cari-giet betont. Matthias Herren

Buchtipp: «Tote Träume» von Petra Ivanov

Mit starker ErzählkraftKreationismus

«Ein Denkmal für Gott»

Der Unternehmensberater Gian Luca Carigiet glaubt,dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen hat. Um diese Botschaft zu verbreiten, plant er in der Ost-schweiz einen besinnlichen Freizeitpark.

Herr von Rohr, lieben Sie sich selbst?

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, dassteht doch schon in der Bibel. Nur wennman sich selbst achtet und liebt, ist manim Stande, andere zu lieben. Natürlichgibt es Momente, in denen das nicht ge-lingt und man ins Negative driftet. Da hilftein kleines Gebet, ein Mantra, ein Songoder eine Meditation.

Und wo hört die Selbstliebe auf und

beginnt der Narzissmus?

Darüber mache ich mir keine Gedanken.Was ich tue, tue ich aus vollem Herzen.Ich will damit niemanden verletzen, undich will mich auch nicht besser erschei-nen lassen, als ich bin. Aber Spass musssein, und ein bisschen Glamour ist auchokay: Das gehört zum Rock’n’Roll.

Aber Sie sind nicht der selbstverliebte

Narzisst, der sich selber über alles

verehrt? – Immerhin haben Sie als

Musiker mit «Krokus» international

Karriere gemacht, und heute sind Sie

dank «MusicStar» ein Fernsehstar…

Nein, in dieser Beschreibung erkenne ichmich nicht. Ich erschrecke eher, wenn ichin den Spiegel schaue. Kennen Sie «Nar-ziss und Goldmund» von Hermann Hesse?Ich bin eher Goldmund: ein Mann mit ei-nem goldenen Herzen und einer goldigenNase. Das allein gilt für viele Schweizerbereits als Narzissmus oder gar Arroganz.Aber wissen Sie was? Ich fühle mich danicht angesprochen, und es geht mir, ge-linde gesagt, am Adamsapfel vorbei.

Natürlich geniesse ich den Ruhmund die Beachtung, die mir zuteil werden:Manchmal ists, als hätte man jeden TagGeburtstag. Aber es gibt auch hier die an-dere Seite der Medaille: An dünnen, eherschwachen, introvertierten Tagen bleibtman dann lieber zu Hause.

Die meisten Schweizerinnen

und Schweizer sind bescheiden und

unauffällig – Sie aber sind ein

Paradiesvogel. Wie halten Sie dieses

kleinbürgerliche Land aus?

Gute Frage. Indem ich fast immer zuHause bleibe. Mein Jugendstilhaus dient

mir als stiller Zufluchtsort. Hier tanke ichauf, spiele mit meiner Tochter, verfolgeMelodien am Klavier oder schreibe. Wennich ausgehe, dann nach Zürich oder Bern.Natürlich herrscht auch da der Kleinbür-gerblues – aber der gibt mir gute Ideen, isteine Triebfeder für mich. So muss ichnämlich einen Gegenentwurf zum allge-meinen Katzenjammer bringen. Das for-dert mich, hält mich wach und auf demBoden. In diesem Land kann man defini-tiv nicht abheben. Da werden einem dieFlügel von Anfang an gestutzt.

Und wie halten Sies mit der Religion?

Ich habe gerade heute eine Bibel mit einerpersönlichen Widmung von Pfarrer Siebergeschenkt bekommen. Darin werde ichjetzt wieder vermehrt lesen. Den Kirchen-betrieb hingegen habe ich schon vorzwanzig Jahren hinter mir gelassen. Er-sparen Sie mir die Begründung. Nur soviel: Wenn ich das Wort Jesu lese, merkeund erkenne ich vieles – aber all das hatnichts mit der heutigen Kirche zu tun.

Wenn Sie Pfarrer wären, was würden

Sie der Gemeinde predigen?

Gott ist nichts anderes als gelebte Liebe –also gehet dahin und lebt es im Alltag.Amen. Gespräch: Magnus Leibundgut

www.chrisvonrohr.ch

Ein Kopftuch und saloppe Sprüche – das ist Chris vonRohr: Gründer der Rockband «Krokus», Musikprodu-zent, Buchautor und seit «MusicStar» nationale Kult-figur. Ein Gespräch über Glanz und Gloria, Prominenzund Dekadenz, Narzissmus und die Gretchenfrage.

Interview mit Chris von Rohr

«…als hätte man jeden Tag Geburtstag»

«Gott ist nichts anderes als gelebte Liebe»:

Auch zur Gretchenfrage fällt ihm etwas ein – Chris von Rohr, 54,

Songwriter, Musikproduzent, Buchautor

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