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Ausgabe August 2015 Aus dem Inhalt Ich habe mein Bestes gegeben Ist das Ihr Traum? Jeder Mensch braucht seine Mitte Das lernende Team

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Page 1: Ausgabe August 2015 - gib-hannover.deElkin-Held und den Sänger Adrian M. Grandt begleiten die beiden Pia-nistinnen. Mit Johannes Berger tritt schließlich ein wahrer Wortakrobat auf

Ausgabe August 2015

Aus dem InhaltIch habe mein Bestes gegeben Ist das Ihr Traum? Jeder Mensch braucht seine MitteDas lernende Team

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Seite 2 • Ausgabe 2/2015

Vorwort 4

Hubbes Cartoon 5

Aktuelles

Hier wollen wir hin 6

Wir für unsere Kinder 6GiB veranstaltet Benefizkonzert für die geplante Kita „Am Forstkamp“

Der Ball muss rollen 7Spiel und Sport - ein gemeinsames Fest des SV Borussia und der Tafö

Der Ball muss rollen! 8

Das GiB-Abenteuer 9Tafö-Laufduo erfüllte sich beim HAJ Marathon seinen Traum

Er ist immer in Bewegung 10

Sie ist die Neue 12

Impressum

Herausgeber: GiB gemeinnützige Gesellschaft für integrative Behindertenarbeit mbH V.i.S.d.P.: Dipl.-Kfm. Markus Kriegel, Geschäftsführer

Redaktionelle Mitarbeit:Markus Kriegel (mk), Christine Voigt (cv), Anja Reuper (reu) Silke Jabusch (sj)Layout: Anja ReuperKorrektorat: Dörte Lebahn

Die namentlich gekennzeichneten Beiträge geben nicht in jedem Falle die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen und Manuskripte redaktionell zu bearbeiten.

Anschrift:GiB gemeinnützige Gesellschaft für integrative Behindertenarbeit mbH, Prinz-Albrecht-Ring 63, 30657 HannoverTel. (05 11) 67 67 59-0, Fax: ( 05 11) 67 67 59 59E-Mail: [email protected]: www.gib-hannover.de

Kontoverbindung: Evangelische Bank, IBAN DE98 5206 0410 0100 6015 00, BIC GENODEF1EK1

Druck: Druckhaus Göttingen, Dransfelder Straße 1, 37079 Göttingen

Inhalt

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Ausgabe 2/2015 • Seite 3

Das Thema: Wohn- und Lebens(t)räume

Ist das Ihr Traum? 13

Jeder Mensch braucht seine Mitte 14

Wie und wo will ich leben? 16

Respekt vor der Entscheidung 17 Neue Möglichkeiten eröffnen neue Wege

Das lernende Team 18

Ich habe mein Bestes gegeben 20 Seit zwei Jahren lebt Kai Oertelt wieder in einer eigenen Wohnung

Es ist mein Privatbereich 21

Rückzug und Gesellschaft 22

Es ist ihr Haus 23

Der Kampf war nötig 24

Absolute Freiheit 24

Ich, mein Rollstuhl und meine Musik 25

Jetzt geht es mir gut 27

Sie hat es geschafft 29 Silke Ditterts Weg in ein selbstbestimmtes Leben und Wohnen auf dem Petrushof

FSJ in der GiBMit Spaß dabei 30Die Erfahrung aus dieser Zeit kann Katharina Voronzov keiner nehmen

Kontakt 31

Inhalt

Die nächste Ausgabe der erscheint im Dezember 2015 mit dem Thema:

Glück - was macht mich glücklich?

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Liebe Leserinnen und Leser,

und schon befinden wir uns in der zweiten Jahreshälfte. Weiter-hin beschäftigt uns die „Kita für alle“! Raumpläne und Konzept sind inzwischen sehr weit fortgeschritten, demnächst müssen die Verträge verhandelt und geschlossen werden. Dann müssen Zuschüsse beantragt und intensiv um Spenden gebeten werden.

Unser Ziel bleibt, den Betrag von 300 000 Euro zusammenzu-bekommen! Deshalb werbe ich schon jetzt an dieser Stelle für unser Benefizkonzert am 11. September 2015 im Bürgerhaus Misburg! Mit tatkräftiger Unterstützung von Herrn Dr. med. Tho-mas Buck, dem bekannten Kinderarzt aus Misburg, ist es gelun-gen, ein ansprechendes und sehr unterhaltsames Programm auf die Beine zu stellen. Näheres dazu finden Sie in dieser Ausgabe. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir Sie dort begrüßen dürfen!

Das Schwerpunktthema dieser Ausgabe der GiB Zeit heißt „Wohn- und Lebens(t)räu-me“, ein sehr persönliches und bewegendes Thema. Ganz unterschiedliche Menschen mit Behinderungen erzählen, wie sie wohnen bzw. wie sie wohnen möchten. Da berich-ten Menschen, die es geschafft haben, in eine eigene Wohnung umzuziehen, aber auch Menschen, die das Leben in einer Wohngruppe nicht missen möchten. All diese Wünsche und auch Sehnsüchte haben ihre Berechtigung.

Wir möchten und müssen mit der Zeit und den Anforderungen, die sie an uns stellt, gehen. Aus diesem Grund beschäftigt sich die GiB damit, ihre Wohnangebote weiterzuentwickeln und sich auf zukünftige Entwicklungen in der Nachfrage gut vorzubereiten. Dabei wollen wir Flexibilität und die Fähigkeit, auf die individuellen Bedürfnisse und Bedarfe von Menschen mit Behinderun-gen eingehen zu können, weiter steigern. Wir werden in einer der nächsten Ausgaben darüber berichten.

Genießen Sie die Sommerzeit und nutzen Sie jeden Sonnenstrahl! Haben Sie viel Freude bei der Lektüre unserer neuen GiB Zeit!

Bitte bleiben Sie uns gewogen!

Herzlichst

Ihr Markus Kriegel

Vorwort

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Hubbes Cartoon

Phil Hubbe traut sich etwas und er weiß, worüber er zeich-net. Seit 1999/2000 zeichnet der Karikaturist mit spitzer Feder „Behinderten Cartoons“. Men-schen mit Behinderung oder Behinderte, die Bezeichnung ist ihm letztlich egal – der Umgang mit den Menschen nicht – und das ist das Thema des 45-Jäh-rigen, der selbst behindert ist.

Seit 1988 lebt er mit der Diagno-se Multiple Sklerose. Mit seinen Cartoons, Pressekarikaturen, Il-lustrationen und Zeichnungen zum Thema Behinderte und Behinderung hat er einen eige-nen scharfen Blick auf Krank-heit, Handicap und den Umgang der Umwelt mit diesem Thema. Damit verarbeitet er auch das eigene Handicap.

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Aktuelles

Hier wollen wir hin und hier ge-hen wir hin. Die Planungen für eine neue GiB-Kita „Am Forst-kamp“ schreiten stetig voran. Gemeinsam mit der Kreissied-lungsgesellschaft (KSG) plant die GiB die Einrichtung für alle Kinder, ob mit oder ohne Behin-derung. Die Grundsteinlegung ist für das Jahr 2016 vorgesehen, die Eröffnung der inklusiven Einrichtung im Frühjahr 2017.

Das Raumkonzept für den zwei-geschossigen Bau „Am Forstkamp“

steht. Unter dem neuen Dach fin-den insgesamt 88 Kinder in fünf Gruppen Platz – davon drei Krip-pen-, eine Regel- und eine integra-tive Gruppe. Nur ein paar hundert Meter weiter zieht die heilpädagogi-sche Gruppe aus der Kita Regenbo-gen in die bestehende Kita „Elfrie-de Westphal“. Unter diesem Dach findet noch eine weitere integrative Gruppe mit 15 Kindern ihren Platz. Durch die neue „Kita für ALLE“ bietet die GiB künftig 88 Plätze für Kinder mit und ohne Behinderung vom Krippen- bis zum Schulein-

trittsalter. Und das Besondere ist: Die gemeinnützige Gesellschaft schafft insgesamt 45 neue Krip-penplätze im Stadtteil, Krippenkin-der mit Behinderung sind hier sehr willkommen. Doch das Problem der vergangenen Monate ist immer noch dasselbe: Die finanzielle Lücke ist noch viel zu groß. Was immer noch fehlt, ist Geld. Rund 300 000 Euro fehlen, um eine kostendecken-de und finanzierbare Miete durch einen einmaligen Zuschuss heraus-zubekommen. Dafür sammeln wir jetzt Spenden. Text und Fotos: reu

Bunt soll es werden – Poetry- Slam, Jazz, Klassik und Klezmer-musik und das alles zum Mit-klatschen und Mittanzen – am 11. September 2015 ist so weit. Dann lädt die GiB zu ihrem Be-nefizkonzert zugunsten der neu-en Kita „Am Forstkamp“ ein.

Beginn ist um 19 Uhr im Bürgerhaus Misburg. Der Einlass ist um 18.30 Uhr. Sie sind herzlich eingeladen zu einem bunten Abend mit Musik und Comedy. Für ein buntes und unterhaltsames Pro-gramm sorgen die internationalen Künstler Svetlana Kuznetsova am

Klavier, Stella Perevalova, ebenfalls am Klavier. Die beiden hochklassi-gen Pianistinnen bilden das Klavier-duo Stellena Duo und spielen Mo-zarts „Zauberflöte“, „Eine kleine Nachmusik“, Stücke aus „Carmen“ und noch viel mehr Stimmungsvol-les. Gemeinsam mit der Violinistin

Wir für unsere KinderGiB veranstaltet Benefizkonzert für die geplante Kita „Am Forstkamp“

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Aktuelles

Elena Kondraschowa spielen sie Klezmer-Musik, die zum Klat-schen und Mittanzen anregt und keinen auf dem Stuhl halten soll. Die Mezzosopran-Sängerin Shauna Elkin-Held und den Sänger Adrian M. Grandt begleiten die beiden Pia-nistinnen. Mit Johannes Berger tritt schließlich ein wahrer Wortakrobat auf die Bühne im Bürgerhaus. Der Slam-Poet aus Hannover ist amtie-render U20-Meister im Poetry-Slam und macht das zweistündige kurz-weilige Programm rund. Moderiert wird die Veranstaltung gemeinsam von dem Vorstand der Kinder- und

Jugendärzte im Bezirk Hannover und dem Vorstand der Ärztekam-mer Niedersachsen, Dr. med. Tho-mas Buck, und GiB-Geschäftsfüh-rer Markus Kriegel.

Für schmackhafte Snacks und Ge-tränke ist an diesem Abend gesorgt. Karten für den bunten Abend mit Musik und Comedy kosten 15 Euro, erhältlich sind sie in Wege-ners Buchhandlung, Buchholzer Straße 4, in der Wald-Apotheke (Waldstraße 13), Burg-Apotheke (Waldstraße 1) sowie in den Kitas, „Elfriede Westphal“, Waldstraße

9, sowie in der Kita Regenbogen, Eisteichweg 7.

Das Konzert ist unser Spenden-auftakt. Wenn Sie uns helfen möch-ten, die Kita auf ihre Beine zu stel-len, unterstützen Sie uns bitte. Jede Spende ist hilfreich, und mag sie noch so klein sein. Wir freuen uns, wenn Sie mit uns in Kontakt kom-men und wir mit Ihnen in Kontakt treten dürfen, um unserem Ziel ein Stück näher zu kommen und die neue inklusive Einrichtung auf ein solides finanzielles Fundament zu stellen. reu

Der Ball muss rollenSpiel und Sport – ein gemeinsames Fest des SV Borussia und der TaföDie Tagesförderstätte (Tafö) der GiB und der Sportverein SV Borussia von 1895 e. V. Hannover laden ihre Mitglieder, Freunde und Bürger aus den Stadtteilen herzlich ein, mit ihnen am Sonn-abend, 12. September, von 14 bis 18 Uhr ein Sommerfest auf dem Gelände des Sportvereins im Großen Kolonnenweg zu feiern. Bürgermeister Thomas Herr-mann und Bezirksbürgermeis-ter Harry Grunenberg haben ihr Kommen bereits zugesagt.

Mit dem Fußball hat es ange-fangen, und um den Ball dreht es sich an diesem Tag auf dem Ge-lände des SV Borussia. „Alles rund um den Ball“ ist das Motto dieses Nachmittags, der zu Begegnung und Austausch zwischen Menschen mit und ohne Behinderung einlädt. Die-se besondere Begegnung wünschen sich SV Borussia-Präsident Dieter Schwulera, die Einrichtungsleiterin der GiB-Tagesförderstätte, Andrea Sewing, sowie Kai Westerburg vom

therapeutischen Dienst der Tafö. Seit vergangenem Jahr begleitet er jeden Mittwoch gemeinsam mit den Therapeuten Benjamin Varwig und Heike Wömpner eine Gruppe von Menschen mit Behinderung aus der

Tagesförderstätte zum Fußballspie-len auf das Gelände des traditions-reichen Sportvereins im Norden Hannovers. Das gmeinsame Fest ist der erste Höhepunkt dieser inzwi-schen fast einjährigen Kooperati-on zwischen dem Sportverein und der Einrichtung für Menschen mit Komplexen Behinderungen. Auf

Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Menschen mit und ohne Behinde-rung wartet ein spannendes und vielseitiges Programm, Boule und Boccia werden auf der Boulebahn gespielt, Vereinsmitglieder bieten ein Schnupperangebot für Boule-Neulinge.

Wer möchte, kann ein kleines Fußballabzeichen machen. Jeder Teilnehmer erhält eine Urkunde, mitmachen ist hier alles. Das gilt auch für das geplante Mixturnier, bei dem Menschen mit und ohne Handicap gemeinsam ein kleines Turnier austragen. Natürlich fehlt nicht die Torwand, auf die geschos-sen werden darf. Spiele ohne Sieger wird es beim Wikingerschach, beim Rollstuhlparcours und Fallschirm-spiel geben, was auch den Men-schen Spaß bringt, die kein Interesse am Ballspiel haben. Sport und Spiel machen hungrig, ihren Hunger kön-nen Gäste beim Grillen stillen, die Tagesförderstätte veranstaltet ein Kuchenbüffet. reu

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Tagesförderstätte

Aktuelles

Spiel- und Sportfest des SV Borussia

und der Tagesförderstätten der GiB

12. September 2015 14:00 – 18:00

Programm 14:00–15:00 Fußballabzeichen, Boule für Neulinge 15:00–16:00 Mixturnier 16:00–17:00 Rolli-Parcours, Wikingerschach, Boule 16:30–17:30 Fußballabzeichen und Fallschirmspiele

Kuchenbüfett von 14:30–17:00 Uhr Leckeres vom Grill von Anfang bis Ende

Veranstaltungsort:

Vereinsgelände SV Borussia

Großer Kolonnenweg 31

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Aktuelles Tagesförderstätte

Ihr Traum hat sich mehr als erfüllt und alles übertroffen, was die beiden sich in ihren kühns-ten Vorstellungen erhofften. Am 19. April waren Willi Sawatzki und Thorsten Föllmer am Start und mittendrin beim HAJ Hannover Marathon. Der 44-jährige Heilpädagoge schob Thorsten Föllmer im Spezialrollstuhl 21 Kilometer quer durch die Innenstadt, vorbei an rund 220 000 jubelnden Menschen.

„Die Inklusion ist für uns an dieser Stelle und in diesem Moment gelungen“, sagt Willi Sawatzki, der mit Thorsten Föllmer monatelang für den gemein-samen Moment trainierte. „Wir haben die volle An-erkennung der anderen Läufer gespürt, hatten viel Spaß, ein starkes Team im Hintergrund und erreich-ten unsere Bestzeit mit einer Stunde und 57 Minuten. Und wir waren positiv überrascht, dass uns so viele Zuschauer kannten und uns persönlich mit Namen an-feuerten“, beschreibt Willi Sawatzki. „Das hat beson-ders Thorsten Föllmer sehr gut getan und uns Mut ge-macht, weil das Gedränge um uns herum schon sehr anstrengend war und unsere volle Aufmerksamkeit er-forderte. Wir waren auf der ganzen Strecke eine große Einheit mit allen Läufern, die sogar darauf achteten, dass wir gut durchkamen, und andere Läufer auffor-derten, für uns Platz zu machen. Das hat uns sehr be-

eindruckt. „Oh, wie toll ist das denn!“, das war der am meisten genannte Satz. Ganz besonderer Jubel schlug den beiden an der Ecke Geibelstraße/Hildesheimer Stra-ße entgegen. Dort sorgten die Mitarbeitenden der GiB- Tagesförderstätte und der Kitas „Elfriede Westphal“ und Regenbogen für die richtige Stimmung an der Strecke. Sie bespielten einen der 42 Aktionspunkte beim Jubiläumsmarathon. Mit bunten Schellen, Trommeln, Rasseln und Trillerpfeifen feuerten sie jeden der rund 20000 Läufer an. „Hier an der Geibelstraße haben alle Kolleginnen und Kollegen gemeinsam angepackt und hochmotiviert unsere GiB-Hefte, Luftballons, Kulis und Tafö-Kekse verteilt. Von den Zuschauern an der Strecke und den Läufer bekamen wir sehr viel gutes Feedback und wurden gefragt, ob wir nächstes Jahr wieder dabei sind“, erklärte Andrea Sewing, Einrichtungsleitung der GiB-Tagesförderstätten.

Noch einmal Jubel, Glückwünsche und ein gemein-sames Foto mit weiteren GiB-Läufern gab es am zwei-ten GiB-Stand im Business Village unweit des Neu-en Rathauses. Hier hatten engagierte GiB-Helfer für die aktiven Läufer Getränke und Snacks vorbereitet. So entwickelte sich im Anschluss ein intensiver Aus-tausch über die Erlebnisse und Eindrücke während des Laufes. Geschäftsführer Markus Kriegel zeigte sich

Das GiB-AbenteuerTafö-Laufduo erfüllte sich beim HAJ Hannover Marathon seinen Traum

Gut im Rennen: Willi Sawatzki und Thorsten Föllmer auf Höhe des GiB-Standes au an der Hildesheimer Straße. Fotos: Anja Reuper

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Tagesförderstätte

Aktuelles

Den Titel, „Dienstältester Tafö-Beschäftigter“ kann Andreas Grethe, genannt „Pitti“, un-eingeschränkt für sich in An-spruch nehmen. Jüngst feierte er sein „40. Dienstjubiläum“ und viele Menschen aus seinem Leben innerhalb und außerhalb der Tafö kamen, um ihm zu gratulieren.

Pitti ist eine Institution der Tagesförderstätte, er kennt die Grup-pen und ihre Beschäftigten und Pitti liebt seine Tafö. „Ohne euch könnte ich mir ein Leben nicht vorstellen, ich möchte so lange wie möglich bei euch bleiben“, sagte der 57-Jährige anlässlich seiner Jubiläumsfeier in der Tagesförderstätte Vahrenwald. „Das müsste man aufnehmen und

dem Landessozialamt vorspielen“, erklärte dazu Andrea Sewing, Ein-richtungsleiterin der Tagesförder-stätten in Bothfeld und Vahrenwald.

Das Gefühl basiert auf Gegen-seitigkeit. „Er ist unser Gedächt-nis, Pitti weiß, wer was hat, hat den Kalender im Kopf und rechnet für uns. Er kümmert sich um das Vor-

Er ist immer in Bewegung

begeistert vom Einsatz und dem Engagement, das die GiB- Mitarbeitenden bei der Vorbereitung dieses Tages und der Unterstützung der Teilnehmer an den Läufen zeigten. Er zollte insbesondere allen Läufern großen Respekt: „Jeder, der an den Start geht und die Heraus-forderung annimmt, ist schon ein Gewinner, egal, wie schnell er ist!“

Der erste Start des Duos Sawatzki/Föllmer soll nicht der letzte gewesen sein. „Super, ich komme wieder, das war der Hammer für mich“, signalisierte

Thorsten Föllmer mit unterstützter Kommunikati-on am PC bereit und auch Willi Sawatzki möchte mit seinem Laufpartner wieder an den Start. Neben dem Hannover Marathon 2016 haben die beiden bereits ein weiteres neues Ziel ins Auge gefasst. Wenn alles klappt, starten die beiden als Team beim Triathlon im Septem-ber am Maschsee gemeinsam mit drei Kollegen und drei Betreuten der Tafös. „Wir sind ein eingespieltes Team, und da wäre es schön, wenn wir die fünf Kilometer lau-fen und zwei weitere Teams den Schwimm- und Fahr-radpart übernehmen könnten“, sagte Willi Sawatzki. reu

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Aktuelles Tagesförderstätte

Ausgabe 2/2015 • Seite 11

lesen des Speiseplans, liest vor, wer welches Menü bekommt, hält gern ein Schwätzchen mit den Damen aus der Küche, erledigt Botengänge, holt in der Kassenstunde das Geld für die Gruppe. Pitti ist immer in Bewegung und hat eine gesunde Mischung aus Ausruhen, Arbeiten und In-Kontakt-Sein gefunden. Das Tätigsein ist ihm wichtig, ge-nauso wie die Kontaktpflege zu al-len Menschen in der Vahrenwalder Einrichtung“, sagt Barbara Schmidt, Leiterin der Luzi-Gruppe, in der Andreas Grethe seit 2012 beschäf-tigt ist.

Andreas Grethe kennt die Geschichte der Tafö wie kaum ein anderer. Angefangen hat er vor 40 Jahren in der beschützenden Werk-statt am Wedekindplatz, deren Träger die GiB-Vorgängergesell-schaft war. Lampen hätten sie damals produziert, jeder habe seinen Teil dazu beigetragen. „Wir wurden nach Leistung bezahlt, je mehr man machte, desto mehr Geld konn-te man verdienen. Bis zu 50 Mark bekam ich monatlich.“ Dieses Geld vermisst Andreas Grethe – für Leis-tung auch Geld zu bekommen, das wäre es.

Tätig war er auch in der Ein-richtung am Engelbosteler Damm, machte dann den Umzug in die Vahrenwalder Straße mit, wechselte von 2001 bis 2008 in die Tafö nach Bothfeld, kehrte dann wieder nach Vahrenwald zurück und ist nun in der Luzi-Gruppe fest angekommen. Arbeiten und zwischendurch aus-ruhen, diese Balance hält er, und er zieht sich manchmal dafür zurück, um für sich alleine etwas zu tun.

Die alten Sendungen haben es dem 57-Jährigen angetan. „Der große Preis“ mit Wim Thoelke, „Am laufenden Band“ mit Rudi

Carrell, dabei entspannt er. Den verstorbenen holländischen Quiz-master durfte er 1976 im Kuppel-saal live erleben und ihm später so-gar die Hand schütteln. Von solchen Erlebnissen erzählt Andre-as Grethe gern – genauso wie er gerne von seinem Stamm-tisch in der Nordstadt spricht.

Seit Jahrzehnten trifft er sich dort regelmäßig mit anderen Tafö-Beschäftigten. Er könne es sich nicht vorstellen, einfach nur zu Hause zu sein, nichts zu tun. Das bedeute keine Abwechslung, kei-ne Kontakte, davor graut dem Mann mit dem immer freundlichen Lächeln. reu

Einrichtungsleitung Andrea Sewing gratuliert Andreas Grethe zu seinem 40. Dienst-jubiläum in der Tagesförderstätte Vahrenwald. Fotos: Tagesförderstätte

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Aktuelles

Eine neue Stimme und ein neues Gesicht hat die Verwaltung der GiB bekommen. Nach fünf Jahren verließ Nadine König das Sekretariat der GiB, ihre Nachfolge als Assistentin der Geschäftsführung hat Silke Jabusch zum 1. Juli angetreten.

Die 52-Jährige sucht ganz bewusst einen freundli-chen und respektvollen Umgang mit Menschen. „Ich habe eine Aufgabe gesucht, wo der Mensch noch im Mittelpunkt steht, und wo es nicht nur um jeden Cent geht“, sagt die gelernte Grafikerin und Mutter zweier Töchter im Erwachsenenalter.

Ihren ursprünglichen Beruf hat Silke Jabusch schon früh an den Nagel hängen müssen – den Kindern zur Liebe. „Soweit ich konnte, habe ich selbstständig gear-beitet, aber mit einem Baby ist es schwierig, in Teilzeit zu arbeiten. Mir war es auch wichtig, die ersten drei Jah-re für meine Kinder da zu sein, bevor sie in den Kinder-garten kamen.“

Obwohl das Gestalten ihr Handwerk ist, musste sie neue berufliche Wege aufgrund der Arbeitsmarktsitua-tion suchen und fand sie in einem Messebüro. Dort organisierte sie Veranstaltungen und war für die Ver-mietung von Messezimmern verantwortlich war. „Das hat mir sehr viel Spaß gemacht, 6000 Menschen, Kun-

den und Mitarbeiter der Firma unterzubringen.“ Mit dem Wechsel in die Lebensmittelindustrie lernte Silke Jabusch ihre eigenen Grenzen kennen. Heute setzt sie die Prioritäten anders. Dazu gehört auch das nötige Maß Entspannung zu finden, das Walken im Georgengarten und das Lesen tragen ihren Teil dazu bei, dass Silke Jabusch jeden Menschen erst einmal mit einer natürlichen Freundlichkeit und einem offenen Lachen begrüßt.

„Der Umgang mit Menschen mit Behinderung ist ihr überhaupt nicht fremd – ganz im Gegenteil. Berührungsängste und Hemmungen kennt sie nicht und weiß auch, dass es manchmal Situ-ationen geben kann, die sich erst einmal nicht einschätzen lassen. Gegenüber von ihrem ehema-ligen Arbeitgeber liegt eine Einrichtung der Be-hindertenhilfe. Die dort arbeitenden Menschen kamen häufiger zu ihr und suchten immer wieder das Gespräch. „Wir hatten einen sehr netten, freundlichen Kontakt und gemeinsam ganz viel Spaß. Manchmal brauchte man sehr viel Geduld, weil manche sehr lang-sam sprechen, aber dafür war es sehr interessant und oft auch sehr beeindruckend.“ Die Vergangenheit ist heute für sie passé, die berufliche Zukunft ist die GiB. „Ich freue mich auf ein Umfeld, in dem ich das Gefühl habe, dass der Mensch wertgeschätzt wird.“ Text und Foto: reu

Sie ist die Neue

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Ausgabe 2/2015 • Seite 13

Wohn- und Lebens(t)räume

Ist das Ihr Traum?„Nicht mehr wegwollen. Nichts mehr, dass mich vertreiben könnte oder beunruhigt. Nicht mehr wegmüssen. Nie mehr. Da zu sein, die Schuhe abzustrei-fen und alles, was schwer war, fallen zu lassen. Sich zu setzen oder hinzulegen, ohne dass das irgendwen stören könnte.“ Die-se ersten Zeilen sind ein Auszug aus dem Artikel „Der Traum“ in der Zeitschrift „Orientierung“ (Ausgabe 2000/1). Geschrieben hat ihn die damalige General-sekretärin des Evangelischen Kirchentages, Friederike Woldt.

Die GiB möchte mit ihren Wohnangeboten seit zwei Jahrzehn-ten Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung die Chan-ce geben, diesen Traum zu leben, ihnen die Möglichkeit geben, in Wohngruppen ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und Individu-alität zu erleben. Friederike Woldt drückt dies so aus. „Nicht auf der Hut sein. Nichts, was lauert oder ungeduldig wartet. Keine Angst mehr haben, nie mehr Angst haben. Nicht allein sein, nicht einsam, und doch nicht gestört werden. Ande-re um sich sehen und hören, ohne sich gleich wieder darstellen zu müs-sen. Sich auch so gemeint fühlen.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.“

Im Jahr 1999 bezogen 41 Men-schen mit Körper- und Mehr-fachbehinderung hierzu das ehe-malige Kasernengebäude im Prinz-Albrecht-Ring 63. Das war seinerzeit eine umstrittene Ent-scheidung, alle unter ein Dach zu-sammenziehen, das erschien vielen nicht zeitgemäß, weil der Trend eher dahin ging, große Wohnheime in kleinere Wohngemeinschaften um-zuwandeln. GiB-Geschäftsführer Markus Kriegel erklärt: „Mit diesem Umzug war für alle Bewohnerinnen und Bewohner ausnahmslos eine deutliche Verbesserung der Wohn-qualität verbunden. Darüber hin-aus gab es erheblich bessere Mög-lichkeiten, den Personaleinsatz zu organisieren, was sich auch wieder auf die Betreuungsqualität auswirk-te.“ Der wenige Verkehr, die ruhige Lage parallel zur Hauptstraße, die Nähe zu den Arztpraxen und The-rapeuten machen es den Menschen im Prinz-Albrecht-Ring leicht, sich in ihrem Quartier zurechtzufin-den. Ein einziger, gewichtiger Wer-mutstropfen: die Schließung des Supermarkts und des Bäckers mit angeschlossenem Café im ver-gangenen Jahr. Die Gemeinschaft

(heute 45 Menschen) in den sechs Wohngruppen hat kurze Wege – Menschen, die Kontakt suchen, können ihn im Haus knüpfen. Sie können mit ihren Rollstühlen ein-fach den Stadtteil Bothfeld errei-chen, andere Menschen, denen es wichtig ist, Abstand zu halten, finden ihren Rückzugsort in ihren eigenen, großen Zimmern, die sie nach ihrem Geschmack individu-ell eingerichtet haben. Die Formel klingt simpel: Menschen mit Behin-derung erleben in dem ehemaligen Kasernengebäude Individualität in ihren Zimmern, haben Rückzugs-möglichkeiten nach Wunsch und so viel „Gruppe“ wie für sie nötig. Über allem steht Individualität und Selbstbestimmung, etwas, was viele Bewohner hier in den Jahren in zu-nehmendem Maße lernen.

Bewohner gestalten nicht nur ihre Räume individuell, sie gestalten auch ihr Leben so individuell wie möglich – Mitarbeitende der Wohngruppen unterstützen sie dabei. Und diese Unterstützung setzt bereits ganz früh an. Mitarbeitende begleiten sie bei der „Traumfindung“, finden gemeinsam mit dem Einzelnen heraus, wo er das verwirklichen, kann, was er möchte: Wo wird er sich so selbstständig fühlen, dass er

Christine Voigt, Pädagogische Leitung und stellvertretende Geschäftsführerin der GiB.

Der Traum: Ein eigener Klingelknopf. Foto: Silke Jabusch

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den Traum erleben kann? Ziel ist es, Mut zu machen, sich auszupro-bieren, auch mal Schritte zurückzu-gehen, alles ist erlaubt. Wer in eine eigene Wohnung zieht und wieder in eine Wohngruppe zurückziehen möchte, weil er spürt, dass dies nicht sein Traum ist, der kann dies tun das. Die Türen bleiben immer offen.

Mit der Erfahrung von 20 Jah-ren Begleitung von Menschen mit Körper- und Mehrfachbehin-derung hat die GiB ihr Angebot über den Verlauf der zwei Jahr-

zehnte immer wieder differenziert. Heute ebnet sie mit dem „Ambu-lant Betreuten Wohnen“ Menschen aus den Wohngruppen den Weg in die eigene Wohnung und unter-stützt sie dort in dem notwendigen Ausmaß.

Bei allem gilt: Niemand hat zu bewerten, ob eine Wohnform gut oder schlecht ist. Wichtig ist, dass jeder seinen Traum leben kann, wie auch immer er sich darstellt.Doch: Träume haben ihre Gren-zen und müssen den Realitäten oft angepasst werden. Hier heißt es für jeden Menschen: Seine

Wohnform entscheidet sich nach den Möglichkeiten und Fähigkeiten, die er selbst mitbringt. Die Pädagogen in der GiB sind gefordert, gemeinsam mit den Menschen mit Behinde-rungen eine individuelle Wohnper-spektive zu entwickeln. Die GiB als wirtschaftlich verantwortlich handelndes Unternehmen ist gefor-dert, den Menschen ein individuel-les Wohnangebot zu machen, das in die vorgegebenen Rahmenbedingun-gen der Behindertenhilfe in Nieder-sachsen passt, manchmal ist das die Suche nach dem karierten Mai- glöckchen. Christine Voigt

Wohn- und Lebens(t)räume

Was bedeutet Wohnen für Men-schen? Wie wollen Menschen mit Behinderung wohnen, wei-chen die Erwartungen von den Wünschen der Menschen ohne Behinderung ab? Ändern sich ihre Wünsche im Altersverlauf ? Gibt es unterschiedliche Wohn-wünsche von Menschen, die ihre Behinderung im Laufe des Lebens erworben haben, und Menschen, die von Geburt an Einschränkungen haben? Welche wissenschaftlichen Er-kenntnisse gibt es hinsichtlich der Frage: Was bedeutet es für Men-schen mit Behinderung, Assis-tenzpersonal 24 Stunden in ihrem privaten Bereich zu lassen? Was ist dann noch privat?

Diese Fragen haben wir versucht in einem Gespräch mit der han-noverschen Hochschuldozentin, Professorin Ulrike Mattke, Dozen-tin Hochschule Hannover (HsH), University of Applied Sciences and Arts, Fakultät V – Diakonie, Gesundheit und Soziales, nachzu-

gehen. Wohnen – das ist viel mehr als die eigenen Räume und ihre Einrichtung.

„Wohnen, das bedeutet die Grundexistenz des Menschen im Wechselspiel von drinnen und draußen“, erklärt Professorin Ulrike Mattke. „Das Haus ist ein Rückzugsort, in dem

ich bestimmen kann, wer hereingelassen wird, wo wir selbst-bestimmt sind, wo wir uns selbst finden, wenn wir draußen tätig waren.“

In dem Zusammenhang verweist die Hochschuldozentin auf das Buch von Otto F. Bollnow, „Mensch und Raum“, Stuttgart 1963. Dieser spricht von einem Innen- und Au-ßenraum; letzterer ist der Raum der Tätigkeit in der Welt, ein Raum der Ungeborgenheit, des sich Wehrens und des sich Preisgebens. Es ist der Raum, in dem der Mensch immer wieder Widerstände überwinden muss und in dem er ungeborgen ist.

Den Gegenpol dazu bildet der Innenraum – hier der Raum des Hauses, wobei mit dem Begriff Haus nicht zwangsläufig ein Ein-familienhaus gemeint ist. Vielmehr spiegelt der Begriff einen Ort des Geborgenseins, einen Bereich der Ruhe, des Friedens wider. Hier kann der Mensch abschalten, sich ent-spannen, sich zurückziehen, hier

Jeder Mensch braucht seine Mitte

Professsorin Dr. phil. Ulrike Mattke Foto: Anja Reuper

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Ausgabe 2/2015 Seite 15

Wohn- und Lebens(t)räume

muss er nicht ständig wachsam sein im Hinblick auf mögliche Bedro-hungen, die sich ergeben, wenn er im Außenraum tätig ist.

„Wesentlich ist“, so schreibt Otto Bollnow in „Mensch und Raum“, die Verfügung über einen dem Men-schen zugehörigen Eigenraum, der einen verlässlichen Schutz gegen die Unbilden der Witterung wie gegen die unerwünschte Annähe-rung fremder Menschen bietet.“ Den Wunsch nach diesem verläss-lichen Innenraum, der Geborgen-heit und Rückzug bietet, hat jeder Mensch, ob mit oder ohne Behin-derung. Wohnen, das bedeutet auch, privat sein zu können. Wohnen heißt Privatheit und privat heißt auch Schutz der Intimsphäre. Je schwer-wiegender die Behinderung, desto weniger werde im Alltag auf die Intimsphäre des Menschen ge-achtet, der Schutz von Privat- und Intimsphäre verliere sich mitunter in der Alltagspraxis.

„Ein Raum, eine Nische reicht aus, um diesem Bedürfnis gerecht zu werden“, sagt Professorin Ulri-ke Mattke. In dem Zusammenhang erinnert sie an die Verhältnisse der Einrichtungen der Behindertenhil-fe in den Siebzigerjahren. Noch bis Mitte der Siebzigerjahre teilten sich acht bis 16 Menschen mit Behinde-rung einen Schlafsaal, der Nacht- tisch sei oft der einzige einiger- maßen private Rückzugsort ge-wesen. „Bis heute sind Einzel-zimmer weder in Senioren- noch Einrichtungen der Behindertenhilfe ein Standard“, beklagt sie die aktuel-le Situation vielerorts.

Interessant sei dies vor dem Hin-tergrund zu beobachten, dass eine Wohn- und Lebensform tenden-ziell steige, die unter der Formel „Living Apart Together“ – „ge-

trennt zusammen leben“ definiert werde. Hier leben Paare bewusst in getrennten Wohnungen, weil das für sie die ideale Lebensform ist, und nicht, weil ihre Jobs oder die Kin-der das erfordern. „Living Together Apart“ – „zusammen, aber doch ge-trennt leben“, ist der Gegenpol, der Menschen beschreibt, die zwar zusammenleben, aber inner-lich getrennt sind. Das trifft im übertragenen Sinne auf die Situation von Menschen mit Behinderung in Einrichtungen der Behindertenhilfe zu. Sie tei-len sich den Raum, aber gehören nicht zusammen.

Seit 2009 regelt die UN-Behin-dertenrechtskonvention auch die Frage des Wohnens für Menschen mit Behinderung. Gemäß Paragraf 19 der UN-Behindertenrechtskon-vention heißt es: Jeder Mensch kann selbst bestimmen, wie er leben will. Menschen mit Behinderung müssen wählen können, wie sie leben wol-len, wie sie wohnen wollen, ob sie mit jemandem zusammenwohnen wollen, oder ob sie allein wohnen wollen. Niemand darf bestimmen, dass Menschen mit Behinderung in einem Wohnheim leben oder in einer Wohngruppe wohnen müs-sen. In zunehmendem Maße möch-ten Menschen mit Behinderung so unabhängig leben, wie andere Menschen ohne Behinderung dies praktizieren.

In der Praxis sieht dies nach Aus-kunft von Professorin Ulrike Mattke vielfach noch anders aus. Ein Grund sei zum einen der massive Mangel an barrierefreien Wohnungen, „der Wohnungsmarkt ist dicht“, beklagt die Professorin und fordert gleich-zeitig wohnungspolitische Maßnah-men, die sozialen Wohnraum schaf-fen. Menschen mit Behinderung, die gern allein mit Unterstützung

leben würden, könnten dies oft nicht, weil sie nicht die passende und auch bezahlbare Wohnung fänden. Daher bleibe vielen nur noch der Einzug in größere Einrichtungen der Behindertenhilfe. Noch etwas steht der freien Wahl der Wohnform entgegen. Ist es unverhältnismäßig teurer allein zu leben als in einer Einrichtung der Behindertenhilfe, gibt es seitens des Kostenträgers ei-nen Mehrkostenvorbehalt, der nur die günstigere Lösung gemäß dem SGB XII finanziert. Dies stehe der freien Wahl des Aufenthaltsortes entgegen, so die Dozentin. Dieser Mehrkostenvorbehalt verletzt so das Recht auf eine freie Wohnform und verstößt damit gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.

Das hat Konsequenzen. Fragt man Menschen mit Behinderung, ob sie sich vorstellen können, in den nächsten fünf oder zehn Jahren ihre Wohnform zu ändern, dann kön-nen viele gar nichts anderes, als das Gelebte zu benennen. Professorin Ulrike Mattke erklärt dies so: „Ver-änderungen zu erreichen bedeutet, Wünsche zu äußern, Zukunftsvi-sionen zu entwickeln, die konkret werden könnten. Die Entwicklung von Vorstellungen ist eine komplexe kognitive Tätigkeit. Und: Wer es nie gewohnt war, Wünsche zu äußern, der macht es nicht.“

Dazu kommt: Mangelnde Information, Beratung und Unter-stützung und die daraus resultie-renden Ängste vor unzureichender Versorgung außerhalb der aktuel-len Einrichtung führen dazu, dass Menschen mit Behinderung oft in stationäre Einrichtungen gedrängt werden. Unterstützt wird dieser Effekt von der fehlenden Kraft der Betroffenen und der Scheu vor langjährigen gerichtlichen Ausein-andersetzungen.

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Wohn- und Lebens(t)räume

Wie und wo will ich leben?Wie kann ich leben, wo kann ich leben? Die passende Wohnung in Hannover zu finden ist ganz besonders für Menschen, die barrierefrei-en Wohnraum suchen, ein Problem. Hier gibt es nach Angaben von Andrea Hammann, Beauftragte für Menschen mit Behinderung der Landeshaupt-stadt Hannover, wenig geeigneten Wohnraum. Ein weiteres Problem sind die oftmals hohen Mietkos-ten und dass der geeignete, vorhandene Wohnraum schon vergeben ist.

Gerade für Menschen mit Mobilitätseinschränkun-gen gehört zur barrierefreien Wohnung auch das bar-rierefreie Wohnumfeld, dazu gehören Hochbahnsteige, Geschäfte, Arztpraxen usw.

Noch eine Schwierigkeit kommt dazu, wenn ein Mensch mit Behinderung geeigneten Wohnraum sucht: „Es gibt in Hannover keine Stelle, die ihm dabei zur Seite steht, er muss sich selbstständig darum kümmern“, erklärt die Beauftrage für Menschen mit Behinderung der Landeshauptstadt.

Patentlösungen gibt es nicht, die persönlichen Situa-tionen sind immer ganz unterschiedlich. „Jeder Mensch, egal ob mit oder ohne Behinderung, hat andere Vor-

stellungen von seinem Leben. Fest steht: Immer mehr Menschen mit Behinderung möchten selbstständig leben. Durch das Thema Inklusion hat sich das Bewusst-sein von Menschen mit Behinderung weiterentwickelt bzw. geändert. Es entstehen ganz andere Wünsche und Vorstellungen als von Planern erwartet und umgesetzt. „Jede und jeder soll selbstständig entscheiden können, wie sie/er leben und wohnen möchte. Auch hier ist ein vielfältiges Angebot wünschenswert.“, so fährt Andrea Hammann fort.

Doch das bedeutet auch: Man muss sich kümmern, man muss selbst entscheiden, wie und man leben will. Unter Umständen bedeutet das, Arbeitgeber zu sein, sich um nötige Unterstützung /Assistenz zu kümmern und eigenverantwortlich zu sein. Ob man das möchte, sollte selbstständig entschieden werden können. Jede/jeder hat andere Grundvoraussetzungen und andere Wünsche.“

Eigenständiges Wohnen ist ein Gewöhnungsprozess und er ist schwieriger, wenn ich über Jahre oder Jahrzehn-te in Einrichtungen gelebt habe. Damit Menschen mit Behinderung so leben können, wie sie möchten und wo sie möchten, wünscht sich Andrea Hammann, dass die Einrichtungen der Behindertenhilfe sich auf den Weg machen, das selbstständige Wohnen mit den Betroffe-nen zu trainieren. Hierfür muss Selbstvertrauen aufge-baut werden. Schließlich ist es für Menschen mit und ohne Behinderung die gleiche Frage: Wie gestaltet sich mein Leben, wenn ich diesen Schritt tue?

Für den Menschen mit Behinderung und für die Einrichtung, in der vorher gelebt wurde, gilt folgender Appell: Einrichtungen sollen das gewünschte, selbst-ständige Leben positiv begleiten. „Man kann / muss sich gemeinsam weiterentwickeln“, betont Andrea Hammann. reu/ah

Die Beuaftragte für Menschen mit Behinderung der Landes-hauptstadt Hannover: Andrea Hammann. Foto: Landeshauptstadt Hannover

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Wohngruppen für Menschen Wohn- und Lebens(t)räume mit Körper- und Mehrfachbehinderung

Wie ist das eigentlich, wenn ich Hilfe brauche? Wenn ich Unterstützung möchte, zeige ich diesen Bereich meines Lebens einem anderen Menschen, der diese Hilfe ausführt. Ich kann zum Beispiel eine Haushaltshilfe beschäftigen. Dann lasse ich diese Person in mein „persönliches Reich“ und sage ihr, welche Hilfe ich genau möchte. Wenn sie damit einverstanden ist, gilt die Verabredung, und wir können einen Vertrag machen. Wenn die Arbeit fertig ist, sollen alle Dinge so sein, wie wir es verabredet haben. Jemand tut die Arbeit für mich und ich bezahle. Das geht allerdings nur, wenn ich genug Geld habe und mir das leisten kann. Sonst muss ich die Arbeit selbst machen.

Durch eine Behinderung erfahren Menschen oft Einschränkungen, ihr Leben nach ihren Vorstellun-gen selbst zu gestalten. Das betrifft die eigene Woh-nung, das Umfeld, die Arbeit und Kontakte zu anderen Menschen. Vieles braucht mehr Zeit und für manche Dinge braucht man einfach Hilfe.

Bei einer schweren Behinderung benötigen Menschen für viele Aufgaben Unterstützung. Meistens sind die täglichen Wege nicht leicht zu bewältigen. Manche Verkehrsmittel sind für Rollstühle nicht geeig-net. Auch beim Kontakt mit anderen Menschen oder für Besuche beim Arzt wird oft Hilfe gebraucht. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Das kommt ganz auf die Person an.

Menschen mit Behinderung können Hilfe erhal-ten, damit sie selbstbestimmt und selbstständig leben können und an der Gemeinschaft teilhaben. Das ist Eingliederungshilfe. Ein Mensch mit Behinderung kann diese beim Sozialamt beantragen. Hierfür muss er seine persönliche Lage offenlegen. Es ist eine medizinische Diagnose der Behinderung nötig. Und es wird geprüft, ob die Person die Hilfe selbst bezahlen kann, oder ob die Kosten übernommen werden.

Wenn das geklärt ist, wird ein Hilfeplan gemacht. Dafür wird zusammengetragen, was der Mensch im Alltag braucht. Es wird mit der Person selbst bespro-chen, welche Hilfe sie genau benötigt und wünscht. Und es wird vereinbart, welche Ziele sie damit errei-

chen möchte. Heute können Menschen mit schweren Behinderungen entscheiden, ob sie in einer Wohngruppe leben und dort Unterstützung bekommen möchten oder ob sie Assistenz in einer eigenen Wohnung wünschen. Hier kann auch zusätzlich Hilfe zur Pflege nötig sein. Welche Hilfe vom Kostenträger übernommen wird, ist eine Einzelfallentscheidung. Dabei kommt es auf den Bedarf der Person an.

Die GiB bietet Menschen mit Körper- und Mehr-fachbehinderung zwei Möglichkeiten für ein selbstbe-stimmtes Wohnen an:

• Begleitung in einer Wohngruppe • ambulante Hilfe in einer eigenen Wohnung

Mit den Möglichkeiten entstehen neue Wege. Das macht manchmal Angst, berichten Betroffene und Angehörige. In den Wohngruppen bieten wir deshalb Beratungsgespräche für die Zukunftsplanung an. Wenn ich die Möglichkeiten kenne und weiß, was ich dafür tun muss, gewinne ich Sicherheit für meine Entscheidung. Das hilft vielen.

Menschen mit Behinderung sprechen an verschie-denen Stellen über ihre persönlichen Bedürfnisse und Wünsche, damit sie Unterstützung bekommen: beim Antrag auf Kostenübernahme, wenn der Hilfeplan gemacht wird, und im Alltag mit den Mitarbeiten-den, die sie unterstützen. Alle haben Schweigepflicht. Sie dürfen die Dinge nicht an Außenstehende weiter- geben.

Wenn wir Menschen bei der Lebensgestaltung begleiten, betreten wir nicht nur die persönlichen Räume eines Menschen. Wir erfahren von dieser Person was sie bewegt, was sie denkt und fühlt und wie sie handelt. Wir begleiten Menschen durch Krisen und Erfolge. Das macht Unterstützung aus.

Hilfe im persönlichen Zuhause eines Menschen bewirkt eine besondere Nähe, weil sie die Bedürf-nisse, Ziele und Träume der Person berührt. Respekt vor dem Menschen und vor seinen Entscheidungen bilden die Grundlage für Vertrauen. Jutta Blume

Respekt vor der EntscheidungNeue Möglichkeiten eröffnen neue Wege

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Wohngruppen für Menschenmit Körper- und Mehrfachbehinderung Wohn- und Lebens(t)räume

Die GiB und ihre Vorgänger-gesellschaft verfügen über eine fast vierzigjährige Tradition der Wohngruppenarbeit für Men-schen mit Behinderung, in der jeder seine vier Wände frei ge-stalten kann und sein eigenes, persönliches Reich mit geschütz-ter Privatsphäre gestalten kann.„Wir stehen dafür, Menschen mit Behinderung zu begleiten, ihr Leben zu verwirklichen, so wie sie sich das wünschen“, erklärt Einrichtungsleiterin Jutta Blu-me. Hierzu gibt es inzwischen neben dem stationären Angebot ein ambulantes – das Ambulant Betreute Wohnen (ABW).

„Ja, geht das denn?“ Immer öfter tragen Bewohner der Wohngrup-pen für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung diese Frage nach dem selbstbestimmten Leben in einer eigenen Wohnung an Ein-richtungsleitung Jutta Blume heran. Die Diplom-Pädagogin antwortet dann: „Ja, das geht.“ Menschen mit Behinderung haben die Chance, ihr Wunsch- und Wahlrecht nach einer von ihnen gewünschten Wohnform

umzusetzen. Hierzu bietet die GiB seit drei Jahren mit dem Ambulant Betreuten Wohnen (ABW) ein spezi-elles Angebot an, dass sich zunächst an die Menschen in den Wohn-gruppen für Körper- und Mehr-fachbehinderung richtet. Gemein-sam mit den beiden Sozialarbeitern Katharina Schwarzkopf und Johannes Brase begleitet Jutta Blu-me Menschen mit Behinderung von der Idee bis zur Umsetzung eines selbstbestimmten Lebens in einer eigenen Wohnung.

Das Team setzt hier ganz früh an. Jeden Menschen begleiten sie dahingehend, dass dieser Wünsche für sein Leben erkennt und ihre Verwirklichung mit den zur Verfü-gung stehenden Möglichkeiten er-leben kann. Die Botschaft ist: „Ich darf wählen und ich darf mich darin unterstützen lassen herauszufinden, was für mich richtig ist.“

„Wir unterstützen die Bewoh-ner dabei, ihre Ressourcen und Fähigkeiten zu entdecken. Manch-mal werden dabei Möglichkeiten sichtbar, derer sie sich selbst noch

nicht bewusst waren. Menschen haben die Möglichkeit, ihr Leben nach ihren Wünschen und Vorstel-lungen zu gestalten und zu verwirkli-chen, sie haben die Möglichkeit, auch Risiken einzugehen, sie dürfen Fehler machen. Es gibt kein Schei-tern, es gibt vielleicht Folgen, mit denen man lernen muss umzuge-hen. Hier gilt: Ich habe die Wahl. Und wir begleiten das nach einem guten Konzept und in immer wie-derkehrenden Gesprächen“, sagt die Diplom-Pädagogin.

„Wir fragen uns in der Be-gleitung immer: Was braucht der Mensch in seiner Lebenssituation, was bringt er für Fähigkeiten mit, auf denen wir aufbauen können, auch wenn es mal nicht so läuft wie gewünscht? Es gibt auch keine Erwar-tungen an jemanden, er muss keine bestimmten Fähigkeiten mitbrin-gen, wir haben keine Grundsatz-Erwartungshaltung an denjenigen, der das ABW in Anspruch nehmen möchte, sondern nehmen ihn so, wie er zu diesem Zeitpunkt ist, und bauen darauf auf“, erklärt Kathari-na Schwarzkopf.

Das lernende Team

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Wir zeigen diesem Menschen aber auch, was es bedeutet, wenn er diesen oder jenen Schritt geht, konfrontieren ihn mit den mög-lichen Konsequenzen. Er muss wissen, was dabei für ihn heraus-kommen kann“, ergänzt Johannes Brase. Bei allem gilt der Grundsatz: „Diese Entscheidung triffst du.“ Wichtig ist es dem Team, dass es bei dem anderen keine Angst aus-löst, sondern immer Lösungen findet – auch wenn es manchmal nur Zwischenlösungen sind, die es unterstützt.

Dazu wird gemeinsam bespro-chen, welches Ziel der Mensch selbst hat und welche Hilfe er oder sie dazu benötigt. So kann die Unterstützung auf dem Weg zum Ziel dem je-weiligen Bedarf entspre-chend gegeben werden. Ziele und Wünsche ge-ben die Richtung an. Der Lebensalltag in der eigenen Wohnung bringt dazu manchmal uner-wartete Herausforderun-gen oder Veränderun-gen mit sich. Mit diesen müssen die Menschen umge-hen können. Im Assistenz-Alltag bedeutet dies, für die drei Mitarbei-ter des ABW-Teams, sich flexibel auf die Situation des Betroffenen „hier und heute“ einzustellen. Das heißt, die vereinbarten Schwerpunk-te müssen sehr flexibel gestaltet werden, wenn die Alltagssituation ihres Klienten dies verlangt.

Zur Verfügung steht ein begrenz-tes Zeitkontingent, das im Zuge der individuellen Hilfeplanung mit dem Kostenträger vereinbart wurde. Die Vereinbarung orientiert sich an den individuellen Zielen des Klienten und dem persönlichen Hilfebedarf,

wobei der Kostenträger in regelmä-ßigen Abständen fragt und über-prüft, was im Zuge dieser Vereinba-rung und ihrer Umsetzung erreicht worden ist. Für die Begleitpraxis heißt das, immer wieder Lösungen dafür zu finden, wie in der Unter-stützung die aktuell erforderliche Hilfe und die Vereinbarung länger-fristiger Ziele in der Zeit zusam-mengeführt werden können. Es ist das pure Leben, dem sie täglich be-gegnen. „Man weiß nicht, was einen erwartet, muss sofort in die Situ-ation, ohne jede Möglichkeit der Vorbereitung“, sagt Kathari-na Schwarzkopf. Besonders in Krisensituationen ist es wichtig,

einen Menschen so zu begleiten, dass er Sicherheit und Stabilität für sein Alltagsleben erhält. Hier ist eine Unterstützung erforderlich, die es ihm möglich macht, den Alltag auch in der Zeit, wo er auf sich selbst gestellt ist, zu bewältigen. Zusätz-lich kann es nötig sein, medizini-sche Hilfe oder eine entsprechende fachliche Krisenhilfe anzubahnen“, erklärt Einrichtungsleitung Jutta Blume. „Hier muss ich umgehend entscheiden, ob ich gegebenenfalls Unterstützung hole, ob ich mich so-fort mit unserem Team berate oder ob ich die Situation für den Men-schen zufriedenstellend allein lösen kann.“ berichtet Johannes Brase aus

der Begleitpraxis im ABW. Kathari-na Schwarzkopf ergänzt dazu aus ihrer Erfahrung: „Ich muss die Situ-ation so gestalten, dass der Mensch bis zu unserem nächsten gemeinsa-men Termin damit zurechtkommt, oder einen Weg kennt, den er gehen kann und auf dem er die nötige Unterstützung für seine Probleme bekommt.“ Allein leben bedeutet auch, die Erfahrung zu machen, nicht jederzeit einen Ansprech-partner zu haben. Daran können Menschen wachsen und ein eigenes Gefühl dafür bekommen, dass es nicht für alle Schwierigkeiten eine schnelle Antwort geben kann. „Mit-unter gibt es auch Probleme, die

nicht jetzt oder auch mög-licherweise generell nicht gelöst werden können.

Der Mensch mit Behin-derung muss in so einer Situation lernen, dies aus-zuhalten“, erklären Jutta Blume und Johannes Brase gemeinsam. Gerade dieser Schritt ist oft mit großer Unsicherheit verbunden und benötigt deshalb eine verlässliche Begleitung auf der Grundlage einer

vertrauensvollen Zusammenarbeit.

Die persönliche Zufriedenheit der Menschen, „wenn sie ihren eige-nen, vielleicht auch schwierigen Weg gehen ist es, was das Team immer wieder bewegt. Katharina Schwarz-kopf beschreibt es so: „Wenn ich als Ergebnis sehe, dass jemand mit seinem Begleitwunsch, den er an uns gerichtet hat, für sich zufrie-den ist.“ „Was uns im ABW-Team motiviert, sind die Erfolge unserer fachlichen Mitgestaltung auf dem selbst gewählten Entwicklungsweg jedes Einzelnen“, sagt Jutta Blume. Fotos: reu/Text: Jutta Blume, Katharina Schwarz-kopf, Johannes Brase

Wohngruppen für Menschen Wohn- und Lebens(t)räume mit Körper- und Mehrfachbehinderung

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Wohngruppen für Menschenmit Körper- und Mehrfachbehinderung Wohn- und Lebens(t)räume

Alles hat seinen Platz in der kleinen Ein-Zimmer-Wohnung im dritten Stock eines Hochhauses in Bothfeld. Seit zwei Jahren lebt Kai Oertelt, ehe-maliger Bewohner der Wohngruppe für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung, hier, und er ist sichtlich stolz darauf, was er aus seiner Woh-nung gezaubert hat. „Ich habe mein Bestes gege-ben“, erklärt er während des Besuchs. Für diese Wohnform und Wohnung hat er sich ganz bewusst entschieden. „Ich wollte in GiB-Nähe bleiben, die Kontakte zur Wohngruppe sind mir ganz wichtig.“

Immerhin prägte die Wohngruppe einen großen Teil seines Lebens. 1997 verunfallte der damals 27-Jährige mit dem Auto. Gerade hatte er eine eigene Wohnung bezogen und stand mitten in einem selbstbestimmten Leben. Nach der Reha zog er zunächst in die Wohn-gruppen der GiB, die damals in der Buchnerstraße an-gesiedelt waren. Später dann war der Prinz-Albrecht-Ring 63 für viele Jahre sein Zuhause. Für Kai Oertelt war der Sprung aus der WG in die eigene Wohnung ein langer Prozess. In den Anfangsjahren seines WG-Le-bens glaubte er nicht, noch einmal in den eigenen vier Wänden wohnen zu können. „Zu viele Dinge konnte ich damals nicht selbst bewältigen“, erinnert er sich.

Unterstützung in der neuen Selbstständigkeit bekommt der 44-Jährige zweimal in der Woche durch das Team Ambulant Betreutes Wohnen der GiB. Anfangs war alles noch ungewohnt für ihn, langsam hat sich alles eingespielt. „Ich wusste nicht, was alles auf

mich zukommt, aber ich habe es nicht bereut, dass ich ausgezogen bin. Außerdem ist es gut, dass die GiB ihre Ambulanz hat, man kann sich von Menschen unterstüt-zen lassen, die man kennt. Mit einer fremden Person wäre das schwierig gewesen, zu einer fremden Person hat man nicht das volle Vertrauen.“ Zusätzliche Sicher-heit in der eigenen Wohnung gibt ihm die Verbindung zum Johanniter-Hausnotruf. Dafür trägt er eigens einen Notrufsender am Hals. Ein Knopfdruck genügt, und er stellt sofort den Telefonkontakt mit den Johanni-tern her, wenn er Hilfe braucht, oder wenn er sich nicht meldet. Kai Oertelt beruhigt es, diese Notfallhilfe im Hintergrund zu haben. Es sind nicht nur die prakti-schen Umstände, die ihn noch die Nähe zur GiB suchen lassen. Der Kontakt zu Bewohnern der Wohngruppen ist geblieben. Bewohner besuchen ihn oder umgekehrt, um etwas gemeinsam zu unternehmen, sei es, dass

Ich habe mein Bestes gegebenSeit zwei Jahren lebt Kai Oertelt wieder in einer eigenen Wohnung

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sie gemeinsam ein Heimspiel von Hannover 96 besuchen oder, dass sie sich Bollywood-Filme ansehen. Seinen Schritt in die neue, etwas an-dere Selbststständigkeit bereut Kai Oertelt nicht.

Er sagt nachträglich, dass er durch das Leben in der GiB-Wohn-gruppe gut auf das selbstständi-ge Leben vorbereitet wurde. Dort wurde er schon gefordert, eigen-ständig zu entscheiden, mit wem er seine Freizeit verbringen und wie er seinen Alltag gestalten wollte.

An seiner Flurwand hängt ein gerahmtes Poster mit dem Satz: „Ein Vorsprung im Leben hat, wer da anpackt, wo andere erst einmal reden.“ Kai Oertelt möchte noch viel anpacken. Ei-nen Weg zurück in die Wohn-gruppe oder die Gründung ei-ner eigenen sieht er nicht. „Ich glaube, das möchte ich nicht.“ Es klingt sehr überzeugt, wie er das sagt. Vielmehr wünscht er sich eine neue Wohnung mit ei-nem zweiten Zimmer und einer Badewanne. Text und Fotos: reu

Für seine Wohngruppe tut Mike Gatzke jede Menge. „Sie ist mein Zuhause, und ich helfe, wo ich kann“, erklärt der 36-Jäh-rige. Tisch decken, abräumen, mal einkaufen gehen oder am Sonnabend die Brötchen für das gemein-same Früh-stück holen. Mike Gatzke packt an, wo es nur geht. „Es ist ja mein Zuhause.“

Das war nicht immer so, erst in den letzten drei Jahren hat er das Gefühl entwickelt, im Prinz-Albrecht-Ring sein erstes Zuhause zu haben. Frü-her war er jedes Wochenende unter-wegs, heute fährt er nur noch alle fünf bis sechs Wochen zu seinen Eltern. Die Schwerpunkte in seinem Leben haben sich inzwischen ver-lagert. Mit sieben Jahren verließ er

sein Elternhaus Richtung Internat, lebte zwölf Jahre in einer Einrich-tung für Kinder- und Jugendliche. Seit 1998 wohnt Mike Gatzke unter den Dächern der GiB. Sein erstes Zuhause, damals noch Zweit- zuhause, hatte er in den Wohngrup-

pen im Hirtenweg, mit dem Umzug der Wohngruppen zog er in den Prinz-Albrecht-Ring.

Die WG 1 ist eins, das eige-ne Zimmer ist noch einmal etwas anderes. Hier zieht Mike Gatzke scharfe Grenzen, achtet darauf, dass niemand seine privaten Räume

betritt, ohne vorher anzuklopfen. „Ich bitte darum, dass bei mir ange-klopft wird. Mein Zimmer ist mein Privatbereich. Sie lassen ja auch nicht jeden in ihre Wohnung rein“, erklärt Mike Gatzke. Ein Auszug aus der Wohngruppe kommt für ihn

nicht infrage. Die Unterstützung, die er hier be-kommt für die Bedarfe, die er hat, ist ihm wich-tig. Er weiß um die Notwendigkeit.

Es ist aber noch etwas an-deres, was ihn

zufrieden macht: Abends genießt er die Gesellschaft, sitzt gerne mit den anderen Bewohnern in der Wohn-küche und sieht gemeinsam mit ih-nen fern. Es pricht noch etwas für ihn gegen das Alleinleben. „In der eigenen Wohnung hätte ich nieman-den zum Quatschen.“

Text und Foto: reu

Es ist mein Privatbereich

Wohngruppen für Menschen Wohn- und Lebens(t)räume mit Körper- und Mehrfachbehinderung

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Wohngruppen für Menschenmit Körper- und Mehrfachbehinderung Wohn- und Lebens(t)räume

Abends um sieben Uhr ist seine Zimmertür in der Wohngruppe 1 zu – dann komme, was wolle, dann möchte Uwe Liedke seine Ruhe haben und einfach nur fern-sehen. Die Sendung „Galileo“ ist für ihn ein Pflichtprogramm. „Ich mag beides – Ruhe haben und entspannen, aber auch die Gruppensachen erleben. Wie jeder andere Mensch brauche ich meine Ruhephasen. Das Wich-tigste ist für mich ein eigener Rückzugsraum. Ich ziehe mich gerne zurück, aber manchmal brauche ich auch ein bisschen Gesellschaft.“

Gesellschaft erfährt er unter an-derem beim täglichen Abendessen, wenn alle acht Bewohner an dem großen Küchentisch Platz nehmen. „Das Schöne ist das nette Abend-brot, wir schwätzen über den Tag, erzählen, was war, wie der Tag war, das ist gemütlich.“ Die Grup-pe gibt ihm viel, und er hofft, der

Gruppe auch etwas zu geben. „Ich hoffe schon, ein Gewinn für die anderen Bewohner zu sein. Ich bin Teil der Gemeinschaft und möch-te noch mehr sein. Vielleicht kann ich noch etwas verbessern, aber ich habe noch nichts Passendes gefun-den, ich arbeite daran.“ Im Moment sei dies ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen sei, betont er.

Seit eineinhalb Jahren lebt der 44-Jährige in der Wohngruppe für Menschen mit Körper- und Mehr-fachbehinderung. Wenn man die Tür zuhat, ist das wie ein eigener Bereich, antwortet der Bewohner auf die Frage, wie privat ein Leben in der Wohngruppe eigentlich ist. Manches könne er einfach nicht ändern, weil die Gegebenheiten so seien, so zum Beispiel, wenn Menschen über den Gruppenflur laufen und gerade seine Tür offen stehe. Sie bekommen dann Einblick in sein Reich, wenn sie zur Seite schauen.

Diese Einblicke möchte Uwe Liedke nicht jedem gewähren, genauso wie er nicht jeden in sein WG-Zimmer bittet.

An das Alleinleben hat Uwe Liedke auch schon gedacht, aber den Gedanken schnell verworfen. Zu anstrengend sei dies für ihn, sein ganzes Leben allein zu organi-sieren und umzusetzen. „Man muss sich um jede Menge Sachen selber kümmern, zum Beispiel Lebensmit-tel einkaufen, das ist dann zu viel für mich. Außerdem ist das eine Kostenfrage, weil man dann wesent-lich mehr Leute braucht, die sich um die Dinge kümmern, die ich nicht kann, und so ganz ohne Gesell-schaft macht es auch keinen Spaß.“

Sein ganzes Leben wohnte Uwe Liedke in Einrichtungen, und früher hatte er zu Hause kein eigenes Zim-mer. Heute bekennt er ganz offen: „Ich möchte nicht mehr auf einen eigenen Raum verzichten.“ reu

Rückzug und Gesellschaft

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Ausgabe 2/2015 • Seite 23

Es ist ihr HausEs ist ein altes, zweistöckiges Haus, welches Ute ihr Eigen nennt. Es ist ihr ganzer Stolz, und in dieses Haus lässt sie nicht jeden rein, auch mich nicht. Ein Foto an der Pforte, aber so, dass man nicht sieht, wo sie lebt. Dieser Vorschlag gefällt ihr. Es ist ja ihr Zuhause. „Bei ihnen wird das doch bestimmt genau-so so sein?“ Die Frage hat mehr Feststellungscharakter für die Beschäftigte der Tagesförder-stätte Vahrenwald, die allein lebt.

Schon ihr ganzes Leben lebt Ute in dem alten Haus, das ihre Groß-eltern bauten. Zunächst wohnte sie im Erdgeschoss mit der Mut-ter, und seit 1998 lebt sie ganz allein hier. „Oben, unter dem Dach leben Leute“, erzählt sie stolz. Ute hat Mieter.

Morgens und abends kommt der Pflegedienst. Mitarbeiter eines Ver-eins für betreutes Wohnen erschei-nen in regelmäßigen Abständen bei ihr und gucken, ob alles in Ordnung ist, unterstützen sie bei den Arbei-ten, die sie nicht alleine bewältigen kann, oder unterhalten sich einfach nur mit ihr. Eine Betreuerin regelt ihre behördlichen Angelegenhei-ten. Das Mittagessen wird ihr am Wochenende gebracht. Für alles ist gesorgt. „Ich fühle mich ganz wohl“, sagt die 56-Jährige.

Eine andere Wohnform kann sich Ute zurzeit nicht vorstellen. „Im Moment möchte ich noch allein wohnen, weil es mir nichts ausmacht, allein zu sein. Ich bin es von klein auf gewohnt, ich bin

Einzelkind.“ Außerdem habe sie viele Kontakte und Freunde durch ihre Arbeit in der Tagesförderstätte Vahrenwald. „Wenn ich nach Hause komme, möchte ich nur noch alle viere von mir strecken“, erklärt sie.

Wie ihr Leben aussehen könnte, wenn sie ein paar Jahre älter ist, und ob sie sich eine andere Wohnform

überhaupt vorstellen könne, darauf antwortet sie: „Wenn ich nicht mehr kann, muss ich woanders wohnen. Solange es mir gut geht, möchte ich in meinem Häuschen wohnen bleiben. Dieser letzte Satz fiel am Anfang des Gesprächs, in der Mit-te immer wieder und schließlich am Ende.

Text und Fotos: reu

Wohn- und Lebenst(r)äume Tagesförderstätte

Bis hierher und nicht weiter. An der Pforte möchte Ute entscheiden, wer weitergehen darf und wer nicht.

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Seite 24 • Ausgabe 2/2015

Absolute Freiheit

Seit 1992 lebt Olaf allein, erst in Wettbergen, jetzt in einem an-deren hannoverschen Stadtteil. Ein Team mit rund 20 verschie-denen Menschen geht in Olafs Wohnung ein- und aus. Stän-dig wechseln die Gesichter, im-mer neue kommen hinzu. Olaf gibt dafür oft dem Auftraggeber Rückmeldung: Der darf gerne wiederkommen. Oder: Der bes-ser nicht.

Dennoch: Die 24-Stunden-Assis-tenz in seiner Wohnung ist für Olaf ein Segen. Und für diesen Segen hat er über ein halbes Jahr gekämpft, hat sich mit Behörden auseinanderge-setzt, schriftlich und mündlich. Und wer mit Olaf spricht, spürt sofort, wie schwer es dem Mann im Roll-

stuhl fällt, die eigenen, wohlüberleg-ten Gedanken zu formulieren, weil eine Sprachbehinderung vorliegt.

Trotzdem: Er hat gekämpft und lebt nun in einer eigenen Wohnung mit Garten und Terrasse, der eigene Garten hat es ihm ganz besonders angetan. Die Blumen wachsen zu sehen, das ist einfach nur wunder-bar für ihn. „In einem Jahr hatte ich 20 Margeriten auf der Wiese und wusste nicht, wo die herkommen“, schwärmt er.

Für seine Assistenz gibt es in der Wohnung einen eigenen Raum und klare Regeln. Olaf sieht diese permanente Gesellschaft weniger als Belastung. Ohnehin findet er den Begriff Assistenz bezogen auf

seinen Bedarf abgehoben und de-platziert. Betreuung ist für ihn der passende Begriff. Ich bin ja darauf angewiesen, ich kann ja nicht viel selbstständig machen.“ Und noch etwas kommt dazu: „Es ist wun-derbar, denn ich bin nicht einsam und habe meine Unterstützung, wenn ich sie brauche. Alles, was ich machen möchte, muss ich machen lassen.“ Das hat mitunter auch Nachteile. „Ich habe mir ange-wöhnt, alles ganz genau zu erklären, selbst Selbstverständliches“, erklärt der 45-Jährige seine Situation und erzählt als Beispiel die Geschichte von dem Zivildienstleistenden, der ihn fragte: Wo ist der Hammer? Olaf hatte ihn nur gebeten, eine Reißzwecke an die Wand zu pinnen. Text und Foto: reu

Der Kampf war nötig

Jeden Umzugskarton schleppte Karin eigenhändig vor drei Jahren aus dem Wohnheim in ihre erste eigene Wohnung. Oder genauer, jeden Karton hat sie sich auf den Schoß gelegt und mit dem Kinn

festgehalten, und damit ist sie in Richtung neue Wohnung gerollt. Seit drei Jahren lebt die Frau im Rollstuhl in der barrierefreien Wohnung in Klee-feld und genießt es, allein zu leben.

Tagesförderstätte

Wohn- und Lebens(t)räume

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Ausgabe 2/2015 • Seite 25

Endlich allein mit 32 Jahren. Rückzug und Freiheit, steht unsichtbar über ihrer Wohnungstür, denn das bedeuten die eigenen vier Wände für die 35-Jährige. „Ich habe nicht mehr die Dauerbeschallung und endlich die Freiheit, das machen zu können, was ich möchte, die Freiheit, meinem Hobby nachzugehen, ohne umräu-men zu müssen.“ Das war früher anders. Das Zimmer zu klein und die Geräuschkulisse zu laut, so beschreibt Karin ihr früheres Leben in einem Wohnheim. Sie hatte Kontakte, die sie als Einzelgängerin nicht wollte.

Nichts hat gepasst in ihrem Raum. Alles konzentrier-te sich auf einem Tisch – egal, ob sie malen, handarbei-ten, am PC schreiben, basteln oder lesen wollte. Karin war immer am Räumen. In ihrer eigenen Wohnung hat Karin zwei Schreibtische – einen für den Computer und einen zum Basteln und Malen. Nichts muss mehr geräumt werden. Sie kann selbst kochen, ohne dass ihr Kinn auf der Herdplatte liegt, weil die Küchenplatte zu hoch ist für die Rollifahrerin.

Alles ist barrierefrei, das heißt fast alles. Um an die Fensterhebel zu kommen, muss sich die Frau im Roll-stuhl bis zum Äußersten strecken. Bis zum Äußersten strecken möchte sich die Frau auch im Alltag. Hin-ter der Wohnungstür möchte sie so viel wie möglich selbst erledigen. Sie wäscht selbst, kauft ein, kocht, und nur einmal im Monat kommt eine Haushaltshilfe, die für Karin die Arbeiten erledigt, die sie partout nicht bewältigen kann. „Alles, was ich kann, will ich auch selbst machen.“

Ihre Wohnung ist der absolute Rückzugsort, sie bestimmt, wer über die Schwelle der Wohnungstür treten darf und wer draußen bleibt. Auch deshalb stimmt sie keinem Foto für diesen Beitrag zu – weder vor noch hinter der Wohnungstür. Tabu ist auch ein Foto nur von ihren Händen, wenn diese handarbeiten. Karin möchte das nicht, und sie nutzt ihre Freiheit, selbstbestimmt entscheiden zu können, was vor und hinter ihrer Wohnungstür passiert. reu

Ich, mein Rollstuhl und meine MusikEigentlich möchten sie vollkommen selbstständig leben. Einfach mal die Tür hinter sich schließen, zur Straßenbahn gehen, einsteigen, in die Stadt fahren und dann Spaß haben. Klingt schön und einfach, und das sollte es auch sein.

Daniel und Doris erleben es immer wieder an-ders. Die beiden Tafö-Beschäftigten sitzen im Roll-stuhl. Hochbahnsteige sind für sie per se gut, die passenden Bahnen dazu wären noch besser. Immer noch stellen die grünen Stadtbahnen für die beiden E-Rolli-Fahrer im Zeitalter abnehmender Barrieren ein unüberwindbares Hindernis dar. Kommt eine grüne Bahn, bleiben sie außen vor, weil die Stufe zwischen Bahn und Bahnsteig zu hoch ist. Die Tücke liegt hier im Detail. Zwar weist der Fahrplan aus, welche Bahn behindertengerecht ist und welche nicht, doch die Praxis lehrt die beiden Rollstuhlfahrer etwas anderes. Nicht selten kommt eine grüne, nicht rollstuhlgerech-te Bahn statt einer silbernen. Dann heißt es: draußen bleiben und abwarten.

Auch das Schreiben einer SMS an die im Fahr-plan aufgeführte Nummer hilft Daniel und Do-ris nicht weiter, sie erfahren nicht, wann die

An der Infosäule fragt Daniel nach, wann die nächste Bahn kommt, die er mit seinem Rollstuhl nutzen kann.

Wohn- und Lebenst(r)äume Tagesförderstätte

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nächste geeignete Bahn um die Ecke rollt. Nur der Anruf über die Infosäule gibt Aufschluss über die nächste mögliche Stadtbahn. Der Mitarbeiter am anderen Ende recherchiert dann im aktuellen Plan, wann welche Bahn fährt. Im schlimmsten Fall warten er und Doris bis zu zwei Stunden – sommers wie win-ters. Das frustriert, gerade wenn jemand, wie die beiden, so viel wie möglich eigenständig erledigen möchte.

So viel Selbstständigkeit wie möglich und so viel Unterstützung wie nötig, nach dieser Devise leben die beiden und jeder für sich in einer eigenen Wohnung. Auf seine Wohnung ist der 30-Jährige richtig stolz. Vier Jahre brauchte er, bis er die passende Bleibe gefun-den hatte und endlich ein selbstständiges Leben ohne Wohngruppe führen konnte. Eine Rund-um-die-Uhr-Assistenz gibt ihm ganzjährig die nötige Unterstützung. Ein Team von sechs Leuten geht bei Daniel ein und aus.

Bei Doris ist das ähnlich. Was Vorteile hat, hat auch Nachteile. Beide sind nie wirklich allein in ihren vier Wänden. Daniel spürt und sagt das sehr deutlich: „Wir gehen uns gegenseitig auf die Nerven.“ Immer ist jemand zugegen, auch wenn er nur im Nebenzimmer sitzt. Weil Daniel nicht selbstständig essen und trinken kann, hier Unterstützung benötigt und auch das Auszie-hen der Jacke nicht allein gelingt, ist er auf die Dauer-gesellschaft angewiesen.

Wenn Freunde ihn nicht begleiten können, dann muss es sein Assistent machen, und das nervt ihn. Manchmal, wenn er es doch schafft, allein in die Stadt zu kommen, dann spricht er auch schon einmal fremde Menschen an, ob sie ihm das Essen oder Trinken anrei-chen können.

Ähnlich geht es Doris, die manchmal die Assistenz ein paar Minuten früher nach Hau-se schicken möchte, um einfach nur ein biss-chen alleine zu sein. Ansonsten macht sie sich alleine mit dem Rolli auf den Weg, um sich ohne Assistenz bewegen zu können. Nicht selten packt Daniel dieselbe Lust, einfach alles hinter sich zu lassen. „Ich, mein Rollstuhl, und meine Musik“, erklärt er. Dann wäre es schön, wenn er an die Stra-ßenbahnhaltestelle käme und auch einsteigen könn-te oder wenigstes wüsste, wann eine Bahn verlässlich fährt, in die er auch einsteigen kann. Im Moment bleibt es bei dem Wunsch nach einem rein selbstbestimmten Lebens, das zurzeit keines ist.

Text und Fotos: reu

Das X hinter der Uhrzeit bedeutet: Dies ist kein behinderten-gerechtes Fahrzeug.

Es ist kurz davor, dass ein behindertengerechtes Fahrzeug kommen könnte.

Es ist 16.31 Uhr und es kommt keine behindertengerechte Bahn für Daniel.

Tagesförderstätte

Wohn- und Lebens(t)räume

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Ausgabe 2/2015 • Seite 27

Wohn- und Lebens(t)räume

Jetzt geht es mir gutHurraaaa, ich habe es geschafft. Ich wohne seit dem 1. September 2014 auf dem Petrushof, ei-nem Wohnheim für 23 Menschen mit psychischen Erkrankungen in Barsinghausen. Wie es dazu kam? Das ist eine etwas längere Geschichte.

Als ich bei meiner letzten Krise Anfang 2012 im Klinikum Wunstorf war, habe ich eines Tages vom Petrushof gehört, wo ich mit jemandem darüber gesprochen habe. Sie gab mir die Adresse und nach dem Klinikaufenthalt gab ich diese der damaligen Lei-terin der Autisten-WG. Sie rief dort an und bekam einen Sicht- und Gesprächstermin für den 28. August 2012. Ich und meine Psychologin und Betreuerin waren zutiefst beeindruckt, höchst überrascht und zutiefst erfreut. Wir hatten ein Kennenlerngespräch mit Petrushof-Leiterin und alles hat mir auf den ersten Blick vom Hören her gut gefallen und gutgetan und ich war euphorisch. Es liefen hinterher viele, viele Gespräche mit den verschiedensten Leuten wie Eltern, Betreuerin-nen der Autisten-WG und der Psychologin.

So kam dann vom Petrushof am 18. September 2012 die Zusage, mit mir also näher zu tun zu haben. Ich war vollster Freude. Und dann kam vom Sozialamt Diepholz die Zusage für die ganzen Kosten für den Busunterneh-mer Pro Senis, die mich zum Petrushof hinfuhren und wieder abholten. Das war im Dezember 2012. Meine Eltern, die damalige Leiterin der Autisten-WG und die Psychologin waren nämlich beim Landessozialamt in Diepholz und haben das geregelt. Und am selben Tag – ich konnte es kaum abwarten – habe ich von der frohen Botschaft gehört und ich schrie: Juhuuuuuuuuuuuuuuu! Und sprang in meinem damaligen Zimmer vor Freu-de herum. Kurz vor Weihnachten hat sich dann noch geklärt, ab wann ich hier auf dem Petrushof in der Tagesstruktur arbeiten kann/darf.

Und so fing ich am 2. Januar 2013 an, in der Tagesstätte mitzuwirken. Ich habe alles genau angeguckt und gehört. Es ist und war hier sehr ruhig, die Klienten sind und waren so nett, voller Liebe und Freundlichkeit. Ich wurde nett empfangen. Gegen Sommer 2013 kam ich von der direkten Ta-gesstätte raus in die Wohnheimstruktur. Ich machte alles mit an Ergotherapien und Gruppenangebote, vie-le Spaziergänge, Kochen, Ausflüge usw. Ich war und wurde hier sehr beliebt und bekam von Zeit zu Zeit

ein positives Feedback. Februar und März 2014 war ich mit tätig in der Wohnheimkochgruppe. Ich machte Positiv- und Negativlisten von der Autisten-WG und dem Petrushof.

Ja, und am 26. Juni 2014 hatte die Leiterin vom Petrushof und die damalige Bezugstherapeutin eine Frage an mich: könnten Sie sich vorstellen, vielleicht doch hier schon jetzt zu wohnen?“ Ich war baff und alle Nöte und Enttäuschungen fielen wie ein Fels-brocken vom Herzen und Verstand. Ich war aus al-len Wolken gerissen und hatte aus dem Herzen, so wie ich wirklich dachte, gesprochen und geantwortet: „70 bis 75 Prozent für Ja und 25 bis 30 Prozent für Nein.“ Und daraufhin folgten wieder viele, viele Ge-spräche, auch noch einmal mit dem Kostenträger für eine Extrabetreuung für mich. Die Eltern, Psycholo-gin und Betreuerin und Heimleitung machten einen Termin für eine Probewoche vom 1. bis 8. August 2014.

Der große Moment für Silke Dittert: Die Nachricht, dass sie von der Grünaustraße auf den Petrushof wechseln darf. Foto: Yvonne Racek

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Wohn- und Lebens(t)räume

Das lief und klappte alles einigermaßen bis super gut. Jetzt lag die Entscheidung, in den Petrushof zu ziehen, an mir. Ich habe mich für den Petrushof entschieden und meine Psychologin auch. Es wurden die Eltern und Wohnheimleiterin mit der frohen Botschaft benach-richtigt. In der Autisten-WG feierte ich den offiziellen Abschied mit Nachbarn, WG, Betreuern und Freunden

am 23. August 2014. Und es wurden von mir, meiner Mutter und meiner Schwester große, volle Umzugskar-tons gepackt. Mein ehemaliges Zimmer sah verrückt aus. Ja, und als ich Ende August 2014 zu den Eltern fuhr – sie haben mich abgeholt – kamen die Hausmei-ster und Möbelpacker, um alle Kartons und die meisten Möbel abzuholen, rüber zu fahren und wieder auszupak-ken und wieder an der richtigen Stelle aufzubauen. Und am 30. und 31. August war der große Umzug. Meine Eltern und ich fuhren mit den vielen Sachen mit Anhän-ger hier hin und räumten alles auf und ein in die neuen und alten Schränke. Es dauerte zwei ganze Tage, dann hatte ich mit das schönste Appartement. Ich habe mich so gut und wunderbar eingerichtet.

Es ist eine Ein-Zimmer-Wohnung mit Küchenzei-le, kleinem Flur, Bad und WC und Terrasse. Seitdem erlebe und erlebte ich die schönsten Sachen, die mir kleine und große Freuden bereiten, es ist jetzt ein ganz anderes, größeres Freiheits- und Selbstbewusstsein und Freiheitsgefühl, als ich noch in der Autisten-WG lebte. Und seitdem geht es mir super gut und bestens. Es freut mich und alle Beteiligten unendlich. Wir sind alle so des Lebens unendlich froh, zufrieden und glücklich, dass es doch die richtige Entscheidung ist. Schließlich habe ich seit der letzten Krise eine so super, sagenhafte reiche Selbstentwicklung durchgemacht.

Viele liebe Grüße von Silke Dittert

Silke Dittert (links) und Yvonne Racek bei einer kleinen Feier, anlässlich des ersten Besuchs bei der Selbsthilfegruppe für Asperger-Autisten in Hannover. Foto: Privat

Ihr ganzes Glück: Endlich eine eigene Wohnungstür mit einer eigenen Klingel und einem eigenen Schlüssel. Foto: Anja Reuper

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Silke Ditterts Weg aus der Wohngruppe für Menschen mit Autismus in der Grünaustraße auf den Petrushof in Barsing-hausen war ein langer, mehrjäh-riger Prozess, den die Psycho-login der GiB, Yvonne Racek, gemeinsam mit dem Mitarbei-terteam der Grünaustraße, den Eltern und der Einrichtungslei-tung des Petrushof, Siggi Lott, begleitete.

„Ich wusste, dass sie das schafft.“ Das war der Moment, von dem an Silke Dittert ganz viel lernen musste, nämlich selbstbestimmt zu leben, autonom zu sein und das auch orga-nisieren zu können – das sollte ihre Aufgabe für die kommenden drei Jahre sein. „Silke braucht das Feuer-werk im Kopf, sie möchte jeden Tag ganz viel tun. Anfangs wollte sie viel zu viel erreichen, dadurch hat sie sich überfordert. Daran haben wir gearbeitet, und es war ein Prozess, der nicht von heute auf morgen abgeschlossen war“, erinnert sich die Diplom-Psychologin an diesen Teil des Weges.

Intensive Arbeit war es auch, Silkes Weg in die Alltagsnormalität zu ebnen und ihre Sozialkompeten-zen zu stärken. Dazu gehörte bei-spielsweise ein Straßenbahntraining und dabei die Fähigkeit zu erken-nen, dass ihr eine Situation zu viel wird, und dann die Konsequenzen zu ziehen. In diesem Fall heißt das: die Bahn bei der nächsten Station zu verlassen“, beschreibt Yvonne Racek ein Trainingsziel vergange-ner Jahre. 2012 geriet die Autistin in eine schwere Krise, die sie in das Klinikum Wunstorf führte. Aus Sil-

kes Sicht ein Glücksfall: Sie verließ das Klinikum mit der Erkenntnis: Ich möchte jetzt selbstbestimmter leben. Damit war der Startschuss für eine adäquate Wohnform gegeben. Das neue Zuhause musste einfach passen, der richtige Raum, die richtige Lage und die richtige Hausgemeinschaft mussten gefun-den werden.

Die Wahl fiel auf den Petrus-hof, eine diakonische Einrichtung der Eingliederungshilfe, die seiner-zeit noch im Aufbau war, sehr fle-xibel ist und manches versucht, was nicht ins Schema passt. So auch mit Silke Dittert. „Autisten hatten wir eher nicht auf dem Belegungsplan. Die Betreuungsanforderungen sind kaum kompatibel mit denen der übrigen Bewohner. Eine Überfor-derung für das gesamte therapeu-tische Team. Das war damals un-ser Gedanke“, erzählt Siggi Lott, Einrichtungsleitung im Petrushof Barsinghausen. Frau Dittert wollte vom ersten Tag an zu uns, doch ih-ren Plan konnten wir zunächst nicht umsetzen. Zu vieles musste sie noch lernen, damit sie umziehen konnte. Verantwortung in der Hausgemein-schaft war zu lernen, das „ganz normale“ Leben stellte eine enor-me Herausforderung für die heute 46-Jährige dar. „Silke hat die Rück-meldungen immer bearbeitet, hat Biss und Kampfgeist gezeigt und war bereit, Opfer zu bringen“, er-läutert Siggi Lott.

Gezielte Trainings in wech-selnden Hausgemeinschaften auf dem Petrushof brachten sie dem Ziel schrittweise näher. Doch der erste Schritt führte sie in Hanno-

ver in eine Selbsthilfegruppe für Asperger-Autisten. Für Silke Dittert war dies eine Riesenaufgabe, mit der Gruppe selbstständig Kontakt auf-zunehmen. Bereits das Telefonieren war eine große Herausforderung, die es zu lösen galt, erinnert sich Yvon-ne Racek. Entdecken musste Silke Dittert auch hauswirtschaftliche Fähigkeiten, bis dato waren diese in der Wohngruppe der Grünaustraße nur in begrenztem Maße bei ihr abge-fragt worden. Für ein eigenständiges Leben genügte das zu diesem Zeit-punkt noch nicht. „Hauswirtschaft war für sie ein rotes Tuch. Mitarbei-tende der Wohngruppe unterstütz-ten sie in der täglichen Begleitung bei diesem Förderziel“, sagt die Diplom-Psychologin der GiB.

Doch es waren nicht nur die lebenspraktischen Lernziele, auch das soziale Miteinander musste Silke Dittert lernen, um Akzeptanz in einer Gemeinschaft zu erfahren. „Die Frage war: Was kannst du ma-chen, wenn es dir zu eng wird? Im Laufe der Zeit hat sie eine Empa-thiefähigkeit entwickelt, es gelingt Silke immer besser, sich in die Sicht des Einzelnen hineinzufühlen“, beschreibt Yvonne Racek einen weiteren erfolgreichen Schritt die-ser Entwicklung. „Inzwischen ist sie eine Bereicherung für die Gruppe auf dem Petrushof, wird wertge-schätzt und sie wird gemocht“, sagt Yvonne Racek. Siggi Lott unter-streicht das: „Wir haben das nicht bereut. Wir haben sie direkt ins Herz geschlossen, jeder hat erkannt, sie hat andere Fähigkeiten, die andere nicht haben, und davon kann man ja auch profitieren.“

reu

Sie hat es geschafftSilke Ditterts Weg in ein selbstbestimmtes Leben und Wohnen im Petrushof

Wohn- und Lebens(t)räume

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FSJ in der GiB

Sie wird Polizistin. Das stand fest und das steht fest und wird sich auch nicht mehr ändern. Nur noch wo sie die Ausbildung für den ge-hobenen Dienst antritt, das ist die Frage – in Hamburg oder in Niedersachsen, das Ticket dafür hat sie in der Tasche und das wird sie ein-lösen, denn Polizistin zu werden, das ist ihr Kind-heitstraum, und die Prüfungen dafür hat sie alle bestanden. In Hamburg und in Niedersachsen.

Doch jetzt macht sie ein Freiwilliges Soziales Jahr, und das in der Kita „Elfriede Westphal“, um die Zeit zwischen Abitur und dualem Studium sinnvoll zu fül-len. Geplant war ursprünglich ein halbes Jahr, doch das wäre bald zu Ende. Aber weil es inzwischen so schön ist, hat die junge Frau, die mit sieben Jahren aus Kasachstan nach Deutschland kam, ihr FSJ um ein paar Monate verlängert und verzichtet damit auf einen län-geren Auslandsaufenthalt. Der war ebenfalls geplant für die Zeit zwischen Abitur und Ausbildung.

Stattdessen steht nun ein gemeinsamer Urlaub mit einer FSJ-Kollegin – ebenfalls aus der Kin-

dertagesstätte „Elfriede Westphal“ – auf dem Programm.

Dabei sah es am Anfang gar nicht nach Verlängerung aus. Vieles musste sich erst einspielen, Zweifel kamen bei Katharina Voronzov auf, ob es wirklich die richti-ge Entscheidung war, ein FSJ zu machen. Doch das ist Geschichte. Gegenwart ist das Gefühl: Ich gehe heute wirklich gerne zur Arbeit. Die Abiturientin aus Han-nover saugt die Erfahrungen und Möglichkeiten in der Arbeit mit Kindern mit und ohne Behinderung Tag für Tag auf, denn sie weiß: „Ich werde später nie wieder mit diesem Thema in Berührung kommen, und ich nehme hier viel für mein Leben mit.“

Auch ihre Eltern seien wirklich überrascht, wie sie im FSJ aufblühe, sie hätten vor Monaten geraten, sich nach dem Abistress erst einmal auszuruhen. Doch bei der Vorstellung, ein ganzes Jahr zu Hause sitzen zu müssen, gruselt es die Abiturientin. „Ich würde verrückt.“ Sie spürt schon jetzt, dass das FSJ ihre Persönlichkeit ver-ändert hat. „Ich bin viel geduldiger geworden, früher war ich wesentlich hibbeliger.“ reu

Mit Spaß dabeiDie Erfahrung aus dieser Zeit kann Katharina Voronzov keiner nehmen

Die Erfahrungen in der Kita „Elfriede Westphal“ möchte Katharina Voronzov nicht mis-sen. Foto: Anja Reuper

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Geschäftsführer: Markus KriegelPädagogische Leitung: Christine VoigtPrinz-Albrecht-Ring 63, 30657 Hannover, Tel. (05 11) 67 67 59 0, Fax: (05 11) 67 67 59 59E-Mail: [email protected] Web: www.gib-hannover.de

Kindertagesstätte„Elfriede Westphal“

Wohngruppen für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung

HeilpädagogischeFrühförderung

Wohngruppen für Menschen mit Autismus

Kindertagesstätte Spunk

TagesförderstätteVahrenwald und Bothfeld

KindertagesstätteRegenbogen

Ansprechpartnerin: Saskia de KockKleine Redder 8, 29227 CelleTel. (0 51 41) 88 16 52, Fax (0 51 41) 88 03 08E-Mail: [email protected]

Ansprechpartnerin: Heike Plinke Eisteichweg 7, 30559 Hannover Tel. (05 11) 51 31 66, Fax: (05 11) 5 17 90 76E-Mail: [email protected]

Ansprechpartnerin: Barbara FoxAlte Döhrener Straße 51, 30173 HannoverTel. (05 11) 3 37 77 02, Fax: (05 11) 2 03 08 54E-Mail: [email protected]

Ansprechpartnerin: Christine SchaafGrünaustraße 15 und 15a, 30455 HannoverTel. (01 63) 67 67 59 5 Fax: (05 11) 67 67 59 59E-Mail: [email protected]

Ansprechpartnerin: Jutta BlumePrinz-Albrecht-Ring 63, 30657 HannoverTel. (05 11) 67 67 59 38, Fax: (05 11) 67 67 59 59E-Mail: [email protected]

Ansprechpartnerin: Andrea SewingVahrenwald Vahrenwalder Straße 190-192, 30165 HannoverTel. (05 11) 20 30 89 70, Fax: (05 11) 203 08 97 49E-Mail: [email protected]

BothfeldPrinz-Albrecht-Ring 63, 30657 HannoverTel. (05 11) 90 88 06 10, Fax: (05 11) 90 88 06 23E-Mail: [email protected]

Ansprechpartnerin: Heike PlinkeWaldstraße 9, 30629 HannoverTel. (05 11) 58 40 12, Fax: (05 11) 5 86 69 21E-Mail: [email protected]

Geschäftsstelle und Verwaltung

Kontakt

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„Wir wollen, dass unsere Privatsphäre geschützt ist.“ (Beirat der Menschen mit Behinderung im Diakonischen Werk evangelischer Kirchen in Niedersachsen e.V.)