auch danach gibt es für den hausarzt manches zu tun

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26 MMW-Fortschr. Med. Nr. 8 / 2013 (155. Jg.) AKTUELLE MEDIZIN KONGRESSBERICHTE ne möglichst rasche bariat- rische Operation empfehlenswert, und zwar ohne vor- herige Durchführung eines sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen Thera- piekonzepts“, so Bender. Wie Sie postoperative Komplikationen erkennen Auch wenn ein bariatrischer Eingriff bei Beachten von Kontraindikationen heute in Kliniken mit großer Erfahrung nur mit einem geringen Komplikationsri- siko einhergeht, können postoperativ doch eine Reihe von Beschwerden bzw. Problemen auftreten. Dazu gehören Übelkeit und Erbrechen, beispielsweise bei zu hoher oder zu schneller Nah- rungsaufnahme. Bei diesen Symptomen muss auch an eine Anastomosenstriktur gedacht und eine solche ausgeschlossen werden. Nicht selten kommt es auch, insbe- sondere nach einer Magenbypass-Ope- ration zu einem Dumping-Syndrom mit Flush, Palpitationen, Diarrhöen, Müdig- keit und Hypoglykämien. In den meis- ten Fällen lassen sich diese Beschwerden durch Änderungen der Ernährungsge- wohnheiten, d. h. durch das Vermeiden rasch resorbierbarer Kohlenhydrate und die Einnahme kleinerer Mahlzeiten ab- stellen. „Ein häufiges postoperatives Symp- tom sind auch Diarrhöen“, sagte Bender. Sie seien nicht immer nur die Folge der _ Unbestritten ist die bariatrische Chi- rurgie deutlich wirksamer als die kon- servative Behandlung der Adipositas; denn sie führt zu einem stärkeren und anhaltenden Gewichtsverlust. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die günstigen Auswirkungen auf den Koh- lenhydratstoffwechsel bzw. auf die Dia- beteseinstellung noch stärker sind als es durch den Gewichtsverlust allein erklärt werden kann. Folge ist, dass weltweit und auch in Deutschland die Anzahl der Patienten, die sich einem adipositas-chi- rurgischen Eingriff unterziehen, immer größer wird. Kontraindikationen und Indikationen „Bevor ein solcher Eingriff diskutiert wird, müssen Kontraindikationen aus- geschlossen sein“, betonte Dr. Gwendo- lyn Bender von der Medizinischen Uni- versitätsklinik in Würzburg. Dazu gehö- ren eine Leberzirrhose, konsumierende, insbesondere maligne Erkrankungen, Drogenabhängigkeit, malresorptive Er- krankungen und eine fehlende Compli- ance. Andererseits können schwere inter- nistische Begleit- und Folgeerkran- kungen der Adipositas eine Indikation für eine zügige bariatrische Operation darstellen. Dazu gehören ein trotz dia- betologischer Maximaltherapie nicht ausreichend einstellbarer Diabetes mel- litus Typ 2, eine drohende Immobilität und ein BMI > 60 ohne realistische Chance auf eine konservative Gewichts- reduktion. „Bei solchen Patienten ist ei- Darmverkürzung, sondern könnten auch Ausdruck einer bakteriellen Fehl- besiedlung des Dünndarms sein. Kommt es nach dem bariatrischen Eingriff zu einer unzureichenden Ge- wichtsreduktion bzw. sogar zu einer er- neuten Gewichtszunahme, können nicht nur Lifestylefehler, sondern auch eine gastro-gastrale Fistel ursächlich vorlie- gen. Ernährungsdefizite nach dem Eingriff Postoperativ kommt es bei einigen Pati- enten zu einem Proteinkatabolismus mit Verlust an Muskelmasse, Leistungsab- nahme und gelegentlich auch stärkerem Haarausfall. „Um dies zu vermeiden, empfiehlt sich eine proteinreiche Ernäh- rung“, so Bender. Ernährungsdefizite können auch die Mikronährstoffe betreffen. So kann sich ein Mangel an Eisen (52% der Fälle), Vi- tamin B 12 (33%), Folsäure (38%) und Kalzium bzw. Vitamin D (bis 80%) ma- nifestieren. Solche Defizite äußern sich klinisch in Schwindel, Sehstörungen, neurologischen Auffälligkeiten, Öde- men, Knochenschmerzen und Erbre- chen. Um ausgeprägte Ernährungsdefizite nicht zu übersehen, empfiehlt sich eine regelmäßige Kontrolle entsprechender Laborparameter wie Albumin, Vitamin Wird der Gür- tel chirurgisch „enger geschnallt“, pro- fitiert besonders der Kohlen- hydratstoffwechsel. Die bariatrische Chirurgie boomt Auch danach gibt es für den Hausarzt manches zu tun Die bariatrischen Eingriffe haben in den letzten Jahren welt- weit und auch in Deutschland dramatisch zugenommen. Voraussetzung für ein optimales Ergebnis ist neben der guten präoperativen Vorbereitung des Patienten und der Wahl des geeigneten OP-Verfahrens auch die inten- sive peri- und postoperative Nachbetreuung. © istockphoto/thinkstock

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26 MMW-Fortschr. Med. Nr. 8 / 2013 (155. Jg.)

AKTUELLE MEDIZIN–KONGRESSBERICHTE

ne möglichst rasche bariat-rische Operation empfehlenswert, und zwar ohne vor-herige Durchführung eines sechs- bis zwölfmonatigen multimodalen Thera-piekonzepts“, so Bender.

Wie Sie postoperative Komplikationen erkennenAuch wenn ein bariatrischer Eingriff bei Beachten von Kontraindikationen heute in Kliniken mit großer Erfahrung nur mit einem geringen Komplikationsri-siko einhergeht, können postoperativ doch eine Reihe von Beschwerden bzw. Problemen auftreten. Dazu gehören Übelkeit und Erbrechen, beispielsweise bei zu hoher oder zu schneller Nah-rungsaufnahme. Bei diesen Symptomen muss auch an eine Anastomosenstriktur gedacht und eine solche ausgeschlossen werden.

Nicht selten kommt es auch, insbe-sondere nach einer Magenbypass-Ope-ration zu einem Dumping-Syndrom mit Flush, Palpitationen, Diarrhöen, Müdig-keit und Hypoglykämien. In den meis-ten Fällen lassen sich diese Beschwerden durch Änderungen der Ernährungsge-wohnheiten, d. h. durch das Vermeiden rasch resorbierbarer Kohlenhydrate und die Einnahme kleinerer Mahlzeiten ab-stellen.

„Ein häufiges postoperatives Symp-tom sind auch Diarrhöen“, sagte Bender. Sie seien nicht immer nur die Folge der

AKTUELLE MEDIZIN–KONGRESSBERICHTE

_ Unbestritten ist die bariatrische Chi-rurgie deutlich wirksamer als die kon-servative Behandlung der Adipositas; denn sie führt zu einem stärkeren und anhaltenden Gewichtsverlust. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass die günstigen Auswirkungen auf den Koh-lenhydratstoffwechsel bzw. auf die Dia-beteseinstellung noch stärker sind als es durch den Gewichtsverlust allein erklärt werden kann. Folge ist, dass weltweit und auch in Deutschland die Anzahl der Patienten, die sich einem adipositas-chi-rurgischen Eingriff unterziehen, immer größer wird.

Kontraindikationen und Indikationen„Bevor ein solcher Eingriff diskutiert wird, müssen Kontraindikationen aus-geschlossen sein“, betonte Dr. Gwendo-lyn Bender von der Medizinischen Uni-versitätsklinik in Würzburg. Dazu gehö-ren eine Leberzirrhose, konsumierende, insbesondere maligne Erkrankungen, Drogenabhängigkeit, malresorptive Er-krankungen und eine fehlende Compli-ance.

Andererseits können schwere inter-nistische Begleit- und Folgeerkran-kungen der Adipositas eine Indikation für eine zügige bariatrische Operation darstellen. Dazu gehören ein trotz dia-betologischer Maximaltherapie nicht ausreichend einstellbarer Diabetes mel-litus Typ 2, eine drohende Immobilität und ein BMI > 60 ohne realistische Chance auf eine konservative Gewichts-reduktion. „Bei solchen Patienten ist ei-

Darmverkürzung, sondern könnten auch Ausdruck einer bakteriellen Fehl-besiedlung des Dünndarms sein.

Kommt es nach dem bariatrischen Eingriff zu einer unzureichenden Ge-wichtsreduktion bzw. sogar zu einer er-neuten Gewichtszunahme, können nicht nur Lifestylefehler, sondern auch eine gastro-gastrale Fistel ursächlich vorlie-gen.

Ernährungsdefizite nach dem EingriffPostoperativ kommt es bei einigen Pati-enten zu einem Proteinkatabolismus mit Verlust an Muskelmasse, Leistungsab-nahme und gelegentlich auch stärkerem Haarausfall. „Um dies zu vermeiden, empfiehlt sich eine proteinreiche Ernäh-rung“, so Bender.

Ernährungsdefizite können auch die Mikronährstoffe betreffen. So kann sich ein Mangel an Eisen (52% der Fälle), Vi-tamin B12 (33%), Folsäure (38%) und Kalzium bzw. Vitamin D (bis 80%) ma-nifestieren. Solche Defizite äußern sich klinisch in Schwindel, Sehstörungen, neurologischen Auffälligkeiten, Öde-men, Knochenschmerzen und Erbre-chen.

Um ausgeprägte Ernährungsdefizite nicht zu übersehen, empfiehlt sich eine regelmäßige Kontrolle entsprechender Laborparameter wie Albumin, Vitamin

Wird der Gür-tel chirurgisch „enger geschnallt“, pro-fitiert besonders der Kohlen-hydratstoffwechsel.

Die bariatrische Chirurgie boomt

Auch danach gibt es für den Hausarzt manches zu tun

Die bariatrischen Eingriffe haben in den letzten Jahren welt-weit und auch in Deutschland dramatisch zugenommen. Voraussetzung für ein optimales Ergebnis ist neben der guten präoperativen Vorbereitung des Patienten und der Wahl des geeigneten OP-Verfahrens auch die inten-sive peri- und postoperative Nachbetreuung.

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B12, Ferritin, Blutbild, Parathormon und 25 (OH)-Vita-min D. Diese Parameter sollten nach der Operation im ersten Jahr alle drei bis sechs Monate, danach bei Schlauchmagen oder Magenbypass jährlich und nach Resektionsverfahren wenigstens halbjährlich durchge-führt werden.

Wie supplementieren?Wird ein Mangel an Mikronährstoffen nachgewiesen, ist eine Supplementierung unumgänglich. Dazu empfiehlt sich die Gabe eines Multivitaminpräparates mit Thiamin und Folsäure ein- bis zweimal täglich. Bezüglich des Ei-sens empfiehlt sich eine Dosierung von 40–65 mg/Tag. Vitamin B12 sollte in einer Dosierung von 1 mg/Monat oder 3 mg alle drei bis sechs Monate i. m. gegeben wer-den. Im Hinblick auf den Knochenstoffwechsel beträgt die empfohlene Dosis für Kalziumcitrat 1200 mg täglich und von Vitamin D 1000 IE/Tag.

Optimierung der DiabetestherapieSinn und Zweck der bariatrischen Operation ist neben der Gewichtsreduktion die günstige Beeinflussung des Kohlenhydratstoffwechsels. So kommt es bereits inner-halb weniger Tage bis Wochen nach dem Eingriff schon vor Eintreten eines relevanten Gewichtsverlusts zu einer verbesserten Insulinsensitivität. „Die Ursache hierfür ist noch nicht endgültig geklärt, es werden jedoch Ände-rungen der Sekretion gastrointestinaler Hormone und eine erhöhte Nahrungsaufnahme im distalen Dünndarm vermutet“, so Bender.

Deshalb könne nicht selten bereits sechs Wochen nach der Operation bei vielen Patienten die Insulindosis drastisch reduziert oder die Insulintherapie sogar ganz beendet werden. Dies muss unbedingt bedacht werden, um Hypoglykämien zu vermeiden. „Insgesamt kann in Abhängigkeit von der bariatrischen Operation in 50–80% der Fälle eine vollständige Remission des Diabetes mellitus erreicht werden, und bei allen Patienten kommt es zu einer deutlichen Verbesserung der Stoffwechsel-lage“, erklärte Bender.

Welche oralen Antidiabetika sind nach einer bariat-rischen Operation sinnvoll? Wegen der katabolen Situa-tion sollte, so Bender, Metformin postoperativ nicht mehr eingesetzt werden und Inkretin-basierte Therapie-strategien wie DPP4-Hemmer und GLP-1-Analoga sind aufgrund der postoperativ erhöhten GLP-1-Spiegel nicht sinnvoll, sodass für diese Patienten, falls überhaupt er-forderlich, Sulfonylharnstoffe, Glinide oder Glitazone um Einsatz kommen sollten.

DR. MED. PETER STIEFELHAGEN ■

■ Quelle: 51. Bayrischer Internistenkongress 2012 in München