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Themen und Materialien „Nicht durch formale Schranken gehemmt“ Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus Materialien für Unterricht und außerschulische politische Bildung

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Themen und Materialien

„Nicht durch formaleSchranken gehemmt“

Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus

Materialien für Unterricht und außerschulische politische Bildung

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3Themen und Materialien – „Nicht durch formale Schranken gehemmt“. Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus / bpb 2012

Seite

Vorwort I Harald Geiss und Hans-Georg Lambertz, Bundeszentrale für politische Bildung ......................................7

Die Polizei im NS-Staat: Ein dreijähriges Projekt der Deutschen Hochschule der Polizei zur Entgrenzung staatlicher Gewalt im Nationalsozialismus I Wolfgang Schulte, Deutsche Hochschule der Polizei ...................................................................................................................................................8

EinleitungVorbemerkungen zur Konzeption und zu didaktischen Zielen des Bandes I Wolf Kaiser/Thomas Köhler/Elke Gryglewski ..........................................................................................................................10Cop-Culture: Rahmenbedingungen historisch-politisches Lernen aus der Sichtder Polizeikulturforschung I Rafael Behr ...............................................................................................................................14

Kapitel 1Wandlungsprozesse eines staatlichen Exekutivorgans: Die deutsche Polizei im 20. Jahrhundert ..........21

In diesem Überblickskapitel wird die Geschichte der deutschen Polizei von der Weimarer Republik über den NS-Staat bis zu den beiden deutschen Staaten in den 1950er Jahren in einem historischen Längsschnitt vorgestellt. Der Aufbau orientiert sich an den tiefen histori-schen Zäsuren 1933 und 1945. Die ambivalente Entwicklung der Polizei in der ersten deut-schen Demokratie wird ebenso thematisiert wie die sehr unterschiedlichen Versuche in derNachkriegszeit, eine neue Polizei zu schaffen, doch liegt der Schwerpunkt auf der Entwick-lung während des Dritten Reichs. Es geht vor allem um strukturelle und personelle Verände-rungen, aber auch um den Wandel des Selbstverständnisses und der Leitbilder der Polizei alsExekutivorgan in verschiedenen Staatsformen während des 20. Jahrhunderts.Einführungstext ..................................................................................................................................................................22Ambivalente Polizeientwicklung in der Weimarer Republik ...................................................................................22Die Transformation der Polizei im NS-Staat ..................................................................................................................25Polizeientwicklungen in den beiden deutschen Staaten nach 1945 ....................................................................32Materialien und Arbeitsvorschläge .............................................................................................................................40

Kapitel 2Systemstabilisierung: Die Verfolgung innenpolitischer Gegner im Nationalsozialismus .............................75

In den ersten Jahren des Dritten Reichs gingen die nationalsozialistischen Machthaber mitgroßer Brutalität gegen Gegner unterschiedlicher Orientierung vor und terrorisierten siedurch Polizeiverhöre, Folter und Haft in Konzentrationslagern. Die Auflösung aller potenzielloder tatsächlich oppositionellen Parteien und Vereinigungen und die Verhinderung jederabweichenden Meinungsäußerung in der Öffentlichkeit schufen eine wesentliche Vorausset-zung dafür, dass die Nationalsozialisten ihre Politik immer weiter radikalisieren konnten, ohne dass ihre Herrschaft bis gegen Kriegsende von innen heraus ernsthaft gefährdet gewe-sen wäre. Während der Kriegszeit kannte die Gewalt des Regimes keine Grenzen mehr. DieStaatsmacht, deren wichtigstes Exekutivorgan die Polizei war, strebte selbst bei oppositio-nellen Handlungen von geringer Reichweite in aller Regel die physische Vernichtung der Beschuldigten an.Einführungstext ..................................................................................................................................................................76Entrechtung und Verfolgung politischer Gegner bis 1939 ......................................................................................76Verfolgung Oppositioneller im Deutschen Reich während des Zweiten Weltkriegs .......................................77Materialien und Arbeitsvorschläge .............................................................................................................................80

Inhalt

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4 Themen und Materialien – „Nicht durch formale Schranken gehemmt“. Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus / bpb 2012

Inhalt

Kapitel 3Die Ausweitung des Gegnerbegriffs: „Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ ..........................................91

Nachdem der politische Widerstand durch die Verfolgung der Gegner aus dem linken Milieuweitgehend gebrochen war, erweiterte sich die Ausrichtung der Gegnerverfolgung ab 1936grundlegend. Kriminalpolizei und Gestapo definierten die Gegner der „Volksgemeinschaft“nun auf einer rassenideologischen Grundlage. Durch die sog. rassische Generalpräventionund „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ sollten Personen und Gruppen, die nicht dennationalsozialistischen Vorstellungen eines „deutschen Volkskörpers“ entsprachen, aus derGesellschaft entfernt werden. Davon betroffen waren neben Juden, Sinti und Roma, Homo-sexuellen und Anhängern kleinerer Glaubensgemeinschaften vor allem Personen, die wegenihrer angeblichen Veranlagung oder Sozialisation als dauerhaft kriminell definiert wurden. ImNS-Jargon wurden diese Menschen „asoziale Elemente“, „Berufsverbrecher“ und „Arbeits-scheue“ genannt.

Einführungstext ...................................................................................................................................................................92Materialien und Arbeitsvorschläge ............................................................................................................................95

Kapitel 4Zur Rolle der Polizei beim Völkermord an den Sinti und Roma ..............................................................................103

Die in ganz Europa lebenden Gruppen der Sinti und Roma, die die Nationalsozialisten unterdem Begriff der „Zigeuner“ zusammenfassten, wurden im NS-Staat diskriminiert, ausge-grenzt, verfolgt und schließlich ermordet. Diesem Genozid fielen mehrere HunderttausendMenschen zum Opfer. Der Völkermord an den Sinti und Roma und die ihm vorangehendenVerfolgungsmaßnahmen sind in der Geschichte der deutschen Polizei ein besonders wichti-ges Thema, weil die Verfolgung nicht durch die Gestapo, also eine erst von den Nationalso -zialisten geschaffene Polizeiorganisation, sondern von der Kriminalpolizei mit Unterstützungder Ordnungspolizei organisiert und durchgeführt wurde. Die Ausgrenzung und Diskriminie-rung der Sinti und Roma begann nicht erst mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten,sondern hat in Deutschland und Europa eine Jahrhunderte lange negative Tradition undwird in vielen Ländern weiterhin praktiziert.

Einführungstext .................................................................................................................................................................104Materialien und Arbeitsvorschläge ..........................................................................................................................108

Kapitel 5Die deutsche Polizei und der Holocaust ............................................................................................................................117

Die Nationalsozialisten betrachteten die Entfernung der Juden aus ihrem Herrschaftsgebietals zentrales Ziel ihrer Politik. Zwischen 1933 und 1945 radikalisierte das nationalsozialisti-sche Deutschland schrittweise seine „Judenpolitik“. Die deutsche Polizei übernahm dabeimehr und mehr eine Schlüsselfunktion als ausführende staatliche Instanz. Zunächst wurdenJuden sozial ausgegrenzt, isoliert und systematisch entrechtet. Während des Novemberpo-groms 1938, bei dem die Polizei etwa dreißigtausend Juden in Konzentrationslager ver-schleppte, wurden Juden im ganzen Reich Opfer systematisch angewandter Gewalt. Wäh-rend des Krieges ging das NS-Regime von der Vertreibung zur Deportation und Ghettoisie-rung der Juden über. Unmittelbar nach dem Überfall auf die Sowjetunion begann mitUnterstützung der Wehrmacht der systematische Massenmord durch die Einsatzgruppen derSicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes unter Beteiligung der Ordnungspolizei.

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5Themen und Materialien – „Nicht durch formale Schranken gehemmt“. Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus / bpb 2012

Einführungstext ................................................................................................................................................................118Soziale Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung 1933–1938 ........................................................................118Eskalation der Gewalt: Der Novemberpogrom 1938 ...............................................................................................121Wegbegleiter in den Tod: Die Deportation aus dem Deutschen Reich ............................................................124Vorstufe zur Vernichtung: Die deutsche Polizei im Ghetto Litzmannstadt ......................................................127Der Massenmord im ostpolnischen Bialystok durch das Polizeibataillon 309 ................................................129Entgrenzung der Gewalt: Ordnungspolizei und Massenerschießungen in der Sowjetunion ....................131Materialien und Arbeitsvorschläge ..........................................................................................................................133

Kapitel 6Verbrechen an der nichtjüdischen Zivilbevölkerung in den besetzten Ländern Europas ..........................173

Während des Zweiten Weltkriegs hat auch die nichtjüdische Bevölkerung durch die deutscheBesatzungsherrschaft enorme Verluste erlitten. Das mörderische Vorgehen der deutschenPolizei bei der Umsetzung der Vertreibungspolitik, der Ausbeutung der besetzten Gebieteund der brutalen Reaktion auf Widerstand, die die Vernichtung tausender Dörfer und dieZerstörung der polnischen Hauptstadt einschloss, kostete Millionen Menschen im östlichenEuropa das Leben. Auch in Mittel- und Westeuropa übten die deutschen Besatzer durch ihrePolizei extreme Gewalt gegen die Zivilbevölkerung aus, wie an der Vernichtung des Ortes Lidice und an der Zerstörung des Hafenviertels von Marseille beispielhaft dokumentiert wird.

Einführungstext ................................................................................................................................................................174Besatzungsherrschaft und Vertreibungspolitik in Polen 1939–1941 ..................................................................174Erschießungen unter dem Deckmantel des „Bandenkampfes“ in Weißrussland ...........................................176Die Vernichtung von Lidice ..............................................................................................................................................179Die Sprengung des Hafenviertels von Marseille .......................................................................................................181Die Niederschlagung des Warschauer Aufstands .....................................................................................................183Materialien und Arbeitsvorschläge .........................................................................................................................185

Kapitel 7Verfolgung und Verbrechen nach der Kriegswende ....................................................................................................217

Schon nach dem Scheitern des „Blitzkriegskonzepts“ gegen die Sowjetunion, vor allem abernach der Wende des Kriegs u.a. durch die deutsche Niederlage in Stalingrad, galten dieRaubzüge im besetzten Europa nicht nur der Beschaffung materieller Ressourcen, sondernzielten auch auf die Verbringung von Millionen Menschen als Zwangsarbeiter nach Deutsch-land. Im ersten Teil dieses Kapitels werden die Beteiligung von Polizisten an dieser Men-schenjagd an einem Beispiel aus der Ukraine und die Rolle der Polizei bei der Kontrolle undDisziplinierung von Zwangsarbeitern im Deutschen Reich thematisiert. Im zweiten Teil gehtes um die Verbrechen innerhalb des Deutschen Reichs in der Endphase des Kriegs. Sie richte-ten sich ebenfalls gegen Zwangsarbeiter, aber auch gegen deutsche Bürger, die dem Regimedie Loyalität aufkündigten. Der „Radikalisierung in Ruinen“ fielen Tausende von Menschendurch eine entgrenzte Polizeigewalt zum Opfer.

Einführungstext .................................................................................................................................................................218Polizeiliche Verschleppung und Überwachung von Fremd- und Zwangsarbeitern .....................................218Kriegsendverbrechen an der sogenannten Heimatfront 1944/45 .....................................................................220Materialien und Arbeitsvorschläge .........................................................................................................................222

Inhalt

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6 Themen und Materialien – „Nicht durch formale Schranken gehemmt“. Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus / bpb 2012

Inhalt

Kapitel 8Handlungsspielräume von Polizisten im Nationalsozialismus – biografische Zugänge .............................233

An zwei sehr unterschiedlichen biografischen Beispielen von uniformierten Polizisten kannerörtert werden, inwieweit sich ihre Einstellungen und Entscheidungen in kritischen Situatio-nen aus ihrer jeweiligen Lebensgeschichte erklären lassen. An der Biografie von Julius Wohl-auf, der sich an der Durchführung des Judenmords beteiligte, lassen sich Charakteristika her-ausarbeiten, die auch an anderen Täterbiografien nachweisbar sind. Der Fall von Jupp Hen-neböhl hingegen ist im besten Sinne einzigartig. Nur ein Bruchteil der Polizisten desNS-Staats wagte es, innerhalb des Dienstes widerständig zu werden. Henneböhls Biografiewirft Fragen nach Motiven und Möglichkeiten der Verweigerung und der Resistenz auf.Wohlauf und Henneböhl wurden nicht zuletzt deshalb als Beispiele gewählt, weil beide Biografien auch wichtige Erkenntnisse über Nachkriegs-„Karrieren“ und den persönlichenund gesellschaftlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit vermitteln können.

Einführungstext .................................................................................................................................................................234Julius Wohlauf – eine Karriere im NS-Staat und in der Bundesrepublik ...........................................................235Josef (Jupp) Henneböhl – ein Helfer zwischen Widerständigkeit und Selbstbehauptung .........................237Materialien und Arbeitsvorschläge ..........................................................................................................................240

Kapitel 9Die deutsche Polizei und der Umgang mit ihrer Vergangenheit ............................................................................253

In der Kriminal- und uniformierten Polizei hat anscheinend gerade das hohe Maß direkter Beteiligung an den nationalsozialistischen Verbrechen zu einer weitgehenden Leugnung derbegangenen Taten und zur Bildung von Legenden nach 1945 geführt. Bis in die 1990er Jahrehinein hielt sich der Mythos einer „sauberen“ Kriminal- und Ordnungspolizei im Nationalsozi-alismus. Angestoßen durch strafrechtliche Prozesse gegen einzelne Beamte oder ganze Poli-zeieinheiten und gefördert durch Ereignisse, die den gesamtgesellschaftlichen Diskurs beein-flussten, entwickelte sich eine zunächst im Wesentlichen persönliche Auseinandersetzungmit der Vergangenheit, die jedoch zunehmend Folgen für den Umgang der Institution mitihrer Geschichte hatte. Das Kapitel zeigt, wie die Bildung von Legenden, die Prozesse gegenAngehörige der Polizei in West- und Ostdeutschland und die gesellschaftliche Auseinander-setzung mit der NS-Vergangenheit sich wechselseitig beeinflussten.

Einführungstext .................................................................................................................................................................254Die Legende der „sauberen Ordnungspolizei“ und ihre Folgen ..........................................................................254Ermittlungen und Prozesse gegen Polizisten in der Bundesrepublik und in der DDR .................................254Gesellschaftliche und persönliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit der Polizei .............258Materialien und Arbeitsvorschläge ..........................................................................................................................260

AnhangLiteraturhinweise .........................................................................................................................................................................273Hinweise zur Personen- und Ortsrecherche sowie zur Nutzung von Textdokumenten (M), Video- (V) und Audiodateien (A) auf der beigefügten DVD .......................................277Verzeichnis der Video- und Audio-Dokumente auf der DVD ....................................................................................278Autoren .............................................................................................................................................................................................280

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7Themen und Materialien – „Nicht durch formale Schranken gehemmt“. Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus / bpb 2012

Vorwort

Vorwort

Wie wir heute wissen, konnte sich das NS-Regimevon seinen Anfängen bis zu seinem Untergang aufdie Polizei stützen. Nicht nur die Gestapo, wie immerwieder gerne behauptet wurde, sondern alle Spar-ten der deutschen Polizei waren am Terror gegendie politischen und weltanschaulichen Gegner desNS-Staats beteiligt. In Osteuropa beging die deut-sche Polizei massenhaft Verbrechen gegen die Zivil-bevölkerung, sie war maßgeblich am Mord an deneuropäischen Juden beteiligt, aber auch an der Ver-folgung von Widerstandsgruppen gegen das natio-nalsozialistische Besatzungsregime und der Ver-schleppung von Zivilisten zur Zwangsarbeit für diedeutsche Kriegswirtschaft. Die Verbrechen verübtenPolizisten, die mehrheitlich in der Weimarer Repu-blik, einem demokratischen Rechtsstaat, sozialisiertund ausgebildet wurden. Auf die Frage, warum undunter welchen Bedingungen Menschen zu Massen-mördern werden, gibt es verschiedene Antworten.Die neuen sozialpsychologischen Erklärungsmodellebetonen die allgemeinen gesellschaftlichen Werteund die jeweiligen situativen Aspekte des Mordens.Die Konstellationen, in denen Menschen zu Massen-mördern werden, sind – das zeigen vielfältige Bei-spiele aus der jüngsten Vergangenheit – durchauswiederholbar.

Die Materialien sollen die Polizeibeamten überdie Geschichte ihres Berufsstands informieren. An den Schattenseiten der deutschen Polizei im 20. Jahrhundert soll gezeigt werden, dass Macht -apparate ohne die strikte Verpflichtung auf denRechtsstaat unkontrollierbar sein können undmanchmal aus dem „Freund und Helfer“ ein Massen-mörder werden kann. Vermittelt werden soll, dassPolizisten grundsätzlich für ihr Handeln persönlichverantwortlich sind und waren und sich im Falle von

strafbaren Anordnungen nicht auf Befehl und Ge-horsam berufen können.

Diese Fragen sind jedoch nicht nur für die Aus-und Fortbildung von Polizeibeamten relevant. Diehistorischen Fallbeispiele sollen für die politische Bil-dung innerhalb und außerhalb der Schule genutztwerden, um damit zum einen die organisatorischenStrukturen eines komplexen und unübersichtlichenApparats im NS-Staat zu verdeutlichen und zugleichgrundsätzliche Fragen nach dem Verhalten vonMenschen in einer Diktatur zu stellen, was auch einepraktische Hilfe im Umgang mit dem gegenwärtigenRechtsextremismus sein kann.

Mit der vorliegenden Publikation in der Reihe„Themen und Materialien“ der Bundeszentrale fürpolitische Bildung stellen wir eine Materialsamm-lung zur Verfügung, die Lehrenden Anregungen undHilfen für den Unterricht bietet und es ihnen erlaubt, fächerübergreifend und unter verschiedenen Blick-winkeln Zugänge zum Thema zu schaffen und Ler-nende unterschiedlichster Art dazu animiert, sich in-tensiv mit dem Nationalsozialismus auseinanderzu-setzen.

Ohne die Zusammenführung der jeweils beson-deren inhaltlichen, fachlichen, didaktischen und me-thodischen Kompetenzen, wie sie in der Villa tenHompel (Münster), dem Deutschen Historischen Mu-seum und dem Haus der Wannseekonferenz (beideBerlin) versammelt sind, wäre das Werk so nichtmöglich gewesen. Nicht zuletzt deshalb gebührtdiesen drei Institutionen sowie ihren Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern besonderer Dank.

Dr. Harald Geiss und Hans-Georg Lambertz, Bundeszentrale für politische Bildung

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8 Themen und Materialien – „Nicht durch formale Schranken gehemmt“. Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus / bpb 2012

Die Polizei im NS-Staat: Ein dreijähriges Projekt der Deutschen Hochschule der Polizei zur Entgrenzung staatlicher Gewalt im Nationalsozialismus

Die hier vorliegende Publikation ist Teil eines größe-ren Projekts, das im April 2008 von der Innenminis-terkonferenz des Bundes und der Länder initiiertworden ist. Unter dem Arbeitstitel „Die Polizei imNS-Staat“ wird seit 2008 die Geschichte der Polizeiwährend der NS-Zeit intensiv erforscht und für dieAus- und Fortbildung der Polizei besser zugänglichgemacht. Mit der Durchführung des Projekts, dasaus drei Bestandteilen besteht, wurde die DeutscheHochschule der Polizei in Münster beauftragt: - Erstellung einer temporären Ausstellung „Ord-

nung und Vernichtung – Die Polizei im NS-Staat“,die im Deutschen Historischen Museum (DHM) inBerlin vom 1. April bis zum 28. August 2011 ge-zeigt worden ist. Mehr als 50000 Besucher habendie Ausstellung im Pei-Bau des DHM gesehen,die im Jahr 2012 dann noch einmal für vier Mo-nate von Juni bis Oktober im Bayerischen Armee-museum in Ingolstadt gezeigt worden ist. Parallelzur Ausstellung hat der Rundfunk Berlin-Bran-denburg (rbb) in Kooperation mit dem Projekt ei-ne zweiteilige Fernsehdokumentation unter demTitel „Hitlers Polizei“ erstellt, die zeitgleich mitder Ausstellungseröffnung im März/April 2011 inder ARD und in ARTE gezeigt worden ist.

- Entwicklung eines (Kern-)Ausstellungsmoduls,das durch regionale Aspekte angereichert an denStandorten der Fachhochschulen für öffentlicheVerwaltung des Bundes und der Länder dauer-haft die Geschichte der Polizei im NS-Staat dar-stellen soll. Die digitalen Vorlagen zur Produktiondes Ausstellungsmoduls sind im Dezember 2011an die Aus- und Fortbildungsbeauftragten derPolizei in den jeweiligen Polizeiabteilungen derInnenministerien versandt worden. In einer gan-zen Reihe von Bundesländern ist das Modul mitt-lerweile produziert worden und wird dort an ver-schiedenen Standtorten gezeigt.

- Entwicklung der hier vorliegenden Unterrichts-materialien zur Polizei im Nationalsozialismus fürdie Aus- und Fortbildung der Polizei, die in Ko-operation mit der Bundeszentrale für politischeBildung in Bonn erstellt worden sind.

Zur Vorbereitung der Ausstellung, der weiterenProjektbestandteile und um den aktuellen For-schungsstand zum Thema aufnehmen zu können, istim Mai 2009 an der Deutschen Hochschule der Poli-zei in Münster ein dreitägiges internationales Sym-posium durchgeführt worden. Die Beiträge des Sym-posiums sind im Herbst 2009 in einem Sammelbandveröffentlicht worden. Damit wurde der aktuelleForschungsstand zur Polizei im NS-Staat dokumen-tiert und ein erstes wichtiges Zwischenergebnis desGesamtprojekts vorgelegt.

Die Polizeien des Bundes und der Länder arbei-ten mit diesem Projekt die Geschichte ihres eigenenBerufsstands für die Zeit des Nationalsozialismusund deren Folgen für die Nachkriegszeit auf. Sie ge-hen damit über die bisherigen und mit viel Engage-ment durchgeführten regionalen, lokalen oder auchorganisationsbezogenen Ansätze hinaus. FolgendeFragen sollen durch das Projekt und damit auchdurch die vorliegende Publikation beantwortet wer-den:- An welchen nationalsozialistischen Verbrechen

waren Polizisten maßgeblich beteiligt? - Wer waren die Männer (und wenigen Frauen) in

der deutschen Polizei, die politische und weltan-schauliche Gegner des Nationalsozialismus ver-folgten und schließlich ermordeten?

- Welche mentalen Voraussetzungen und struktu-rellen Bedingungen prägten das Verhalten derPolizeiangehörigen, dass sie das NS-Regime hin-nahmen, sich daran beteiligten und schließlichvielfach sogar zu Mördern wurden?

- Gab es für die Polizisten Handlungsspielräumeund wer verweigerte sich den verbrecherischenBefehlen?

- Welche Motive waren für ihr Verhalten aus-schlaggebend?

Auf diese grundlegenden Fragen versuchen dievorliegenden Unterrichtsmaterialien zur Polizei desNS-Staats Antworten zu geben, indem die Ergeb-nisse der Forschung gebündelt, eine umfangreicheDokumentensammlung erstellt und beide mittels di-

Die Polizei im NS-Staat: Ein dreijähriges Projekt der Deutschen Hochschule derPolizei zur Entgrenzung staatlicher Gewalt im Nationalsozialismus

Wolfgang Schulte

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9Themen und Materialien – „Nicht durch formale Schranken gehemmt“. Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus / bpb 2012

daktischer Fragen und entsprechender Materialienin einen Lernprozess überführt werden.

In der Öffentlichkeit werden die Verbrechen derPolizei im NS-Staat noch immer weitgehend der Ge-stapo zugeschrieben. Dabei konnten wissenschaftli-che Forschungen der letzten 15 Jahre eindrucksvollbestätigten, dass auch die reguläre Kriminal- undOrdnungspolizei maßgeblich in die NS-Verbrecheninvolviert waren. Am Beispiel der Ordnungspolizei,dem „Fußvolk der ‚Endlösung‘“ (Klaus-Michael Mall-mann), lässt sich nachweisen, in welchem Umfang„ganz normale Männer“ (Christopher Browning) ander Ermordung der europäischen Juden und weite-rer Opfergruppen beteiligt waren. In der Mehrheitwaren die Polizisten weder überzeugte Weltan-schauungskrieger noch bloße Befehlsempfänger. Siebesaßen durchaus Handlungsoptionen. Dennochentzogen sich nur wenige von ihnen den verbreche-rischen Befehlen.

Die Ausstellungen und die darauf aufbauendenBildungsmaterialien wollen diese Erkenntnisse erst-mals sowohl einer breiten Öffentlichkeit als auch derPolizei und Bildungseinrichtungen vermitteln. Dabeisollen die organisatorischen Strukturen des komple-xen Polizeiapparats im NS-Staat verdeutlicht, aberauch das Verhalten und die Handlungsoptionen ein-zelner Polizisten thematisiert werden. Damit werdenzugleich grundsätzliche Fragen nach dem Verhaltenvon Menschen in einer Diktatur angesprochen. DasLernen am historischen Beispiel soll Polizeibeamtefür die problematischen Aspekte ihres Berufs in derGegenwart aufmerksam machen. Die Polizeibeam-ten sollen daran erinnert werden, wie leicht legitimeMachtausübung in Machtmissbrauch umschlagenkann.

Ein derartiges Projekt ist nicht denkbar ohne dieUnterstützung und das Engagement von Personenund Organisationen. Danken möchte ich an ersterStelle ausdrücklich Dr. Detlef von Schwerin, der alsLeiter des Zentrums für Zeitgeschichte der Polizei ander Fachhochschule der Polizei des Landes Branden-burg den Anstoß für dieses Projekt gegeben hat.Seinem unermüdlichen Engagement auch nach sei-ner zwischenzeitlichen Pensionierung ist es letztlichzu danken, dass die drei Projektbestandteile in derheutigen Form umgesetzt werden können. Dankenmöchte ich den drei Autoren Thomas Köhler (Ge-schichtsort Villa ten Hompel, Münster), Dr. Wolf Kai-ser und Elke Gryglewski (Haus der Wannsee-Konfe-renz, Berlin), die mit viel Sachverstand und Einsatzdie komplexe Materie der Geschichte der Polizei imNationalsozialismus in eine methodisch-didaktischeForm gebracht haben, die einen erfolgreichen Ein-satz der Unterrichtsmaterialien im Unterricht ge-währleistet. Ebenfalls gilt mein Dank Frau BrigitteVogel, Leiterin der museumsdidaktischen Abteilungdes Deutschen Historischen Museums in Berlin, diemit ihrem Sachverstand hilfreiche didaktische Anre-gungen bei der Erstellung der vorliegenden Materia-lien gegeben hat. Und last but not least sei an dieserStelle Dr. Harald Geiss und Hans-Georg Lambertzvon der Bundeszentrale für politische Bildung inBonn gedankt, die wichtige inhaltliche Impulse ge-geben und für die effektive organisatorische Infra-struktur bei der Erstellung der Materialien gesorgthaben.

Dr. Wolfgang SchulteProjektleiter an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster

Die Polizei im NS-Staat: Ein dreijähriges Projekt der Deutschen Hochschule der Polizei zur Entgrenzung staatlicher Gewalt im Nationalsozialismus

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10 Themen und Materialien – „Nicht durch formale Schranken gehemmt“. Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus / bpb 2012

Einleitung

In den letzten Jahrzehnten haben sich immer mehröffentliche Institutionen und Berufsgruppen mit ihrerRolle im Nationalsozialismus auseinandergesetztoder Forschungen dazu in Auftrag gegeben. So gibtes inzwischen breite Kenntnisse beispielsweise zurJustiz, zum medizinischen Sektor wie auch zur Fi-nanz- und Kommunalverwaltung oder zum Auswärti-gen Amt. Ziel der Beschäftigung war und ist es,durch das Wissen um die eigene Geschichte einenBeitrag zur gesamtgesellschaftlichen Auseinander-setzung mit dem Nationalsozialismus zu leisten. Die-ser dient vielfach als Negativfolie, von der sich dieBundesrepublik in ihrer demokratischen Verfasstheitabheben sollte, aber auch zur Warnung vor der Ge-fahr, dass es auch in einer sich als zivilisiert verste-henden Gesellschaft zu einem zuvor unvorstellbarenAusmaß an Unmenschlichkeit kommen kann, wennrechtsstaatliche Grundsätze und demokratische Prin-zipien aufgegeben werden und die humane Orientie-rung verlorengeht. Darüber hinaus werden die spezi-fischen Kontinuitäten und Brüche in der Berufs- undInstitutionengeschichte im 20. Jahrhundert heraus-gearbeitet, um die mit den jeweiligen Berufen ver-bundene besondere Verantwortung und die Risikendes Missbrauchs von Kompetenzen und Machtposi-tionen zu identifizieren und Rückschlüsse im Hinblickauf Strukturen und Verhaltensweisen ziehen zu kön-nen, die vergleichbaren Entwicklungen zu staatlichorganisierten Massenverbrechen wie im Nationalso-zialismus entgegenstehen sollten.

Auch innerhalb der Polizei, in der jahrzehntelangdie Legende verbreitet worden war, Verbrechenseien allein von der Gestapo begangen worden, istseit den 1990er Jahren die Bereitschaft gewachsen,sich mit der eigenen Geschichte kritisch ausein-anderzusetzen. Davon zeugen in mehreren Bundes-ländern zahlreiche Projekte zur Polizeigeschichte,Ausstellungen, Publikationen und Fortbildungsver-anstaltungen und nicht zuletzt auch die vorliegen-den Unterrichtsmaterialien, deren Ursprünge auf einProjekt der Innenminister und -senatoren des Bun-des und der Länder zur Polizei im NS-Staat zurück-gehen. Sie sind der dritte und nachhaltigste Teil ei-nes bundesweiten Projekts, mit dem die Geschichte

der Polizei in der NS-Zeit in den vergangenen Jahrenaufgearbeitet worden ist und das in der nationalenund internationalen Öffentlichkeit viel Beachtunggefunden hat.

1 Ziele und Adressaten Die vorliegende Publikation soll für Lehrende undLernende nicht nur an Ausbildungsstätten der Län-derpolizeien Materialien und Anregungen bereitstel-len, die es ihnen ermöglichen, sich mit der Teilnah-me der deutschen Polizei an zahlreichen Massenver-brechen des Nationalsozialismus differenziert undintensiv auseinanderzusetzen und dabei zentrale ak-tuelle Fragen der Organisationsentwicklung und derBerufsethik zu besprechen, die durch diese Vorgän-ge aufgeworfen werden.

Die im Titel zitierte Auffassung des einflussrei-chen nationalsozialistischen Theoretikers und Orga-nisators der Sicherheitspolizei Werner Best, polizeili-ches Handeln solle „nicht durch formale Schrankengehemmt“ sein, bringt die Intention zum Ausdruck,die Polizei ohne jede rechtliche und moralische Bin-dung für die Realisierung ideologisch begründeterpolitischer Ziele einzusetzen. Diese Absicht wurdeim Verlauf der NS-Herrschaft mit Hilfe der Umstruk-turierung der Polizei, der Einschüchterung oder Ent-lassung politischer Gegner und ideologischer Beein-flussung ihres Personals immer radikaler realisiert.Eine solche Entwicklung, die in der Teilnahme amMassenmord gipfelte, war nur möglich durch die Be-reitschaft vieler, bei der Verwirklichung der national-sozialistischen Politik mitzuwirken. Die Beschäfti-gung mit der Geschichte der nationalsozialistischenPolizei in der heutigen Polizeiausbildung soll dieEinsicht in die Notwendigkeit gesetzlicher Grundla-gen jedes staatlichen Handelns und dessen strikteBindung an die Respektierung von Grund- und Men-schenrechten insbesondere bei der Ausübung desstaatlichen Gewaltmonopols stärken und zugleichdie persönliche Reflexion über die von jedem Einzel-nen bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeitwahrzunehmende Verantwortung fördern, von dersich niemand durch die Berufung auf ihm gegebeneAnordnungen oder Befehle befreien kann.

Vorbemerkungen zur Konzeption und zu didaktischen Zielen des Bandes

Wolf Kaiser, Thomas Köhler und Elke Gryglewski

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11Themen und Materialien – „Nicht durch formale Schranken gehemmt“. Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus / bpb 2012

Die Publikation soll zugleich Schülerinnen undSchülern der Sekundarstufe II ermöglichen, durchdie Beschäftigung mit der Polizei im Nationalsozia-lismus anhand einer zentralen Institution des Herr-schaftsapparats exemplarisch zu erkunden, wie eineBerufsgruppe in den Radikalisierungsprozess derVerfolgungspolitik eingebunden war und auf welcheWeise viele ihrer Mitglieder ihn selbst vorantrieben.Es kann für Schülerinnen und Schüler von Regel-schulen attraktiv sein, sich der Geschichte der natio-nalsozialistischen Verbrechen auf eine ungewöhnli-che Weise zu nähern. Dabei lernen sie Textquellen,historische Fotos und andere Dokumente kennen,die in keinem schulischen Lehrbuch zu finden sind,und befassen sich mit Vorgängen, die das im Ge-schichtsunterricht häufig nur allgemein benannteGeschehen konkret vorstellbar werden lassen. Zu-gleich können an den hier für den Unterricht er-schlossenen Materialien Grundzüge der nationalso-zialistischen Ideologie und Praxis thematisiert wer-den: Antisemitismus und Rassismus, extremeIntoleranz, Demokratiefeindlichkeit und Führerprin-zip, entgrenzte Gewalt nach innen und außen.

Die Auswirkungen dieser Einstellungen undHandlungen manifestierten sich bei der Polizei be-sonders deutlich. Doch selbst die Angehörigen die-ser streng hierarchisch strukturierten, nach demPrinzip von Befehl und Gehorsam funktionierendenInstitution zeigten sehr unterschiedliche Verhaltens-weisen. Neben fanatischer Gefolgschaft und exzessi-ver Gewalt gab es mehr oder weniger willige Anpas-sung und Mitläufertum, aber auch einzelne Fälle vonVerweigerung und couragiertem Verhalten. Wer sichmit der Geschichte der Polizei und den Taten vonPolizisten näher beschäftigt, kann lernen, dass esauch im Rahmen einer solchen Institution Hand-lungsspielräume gab und sich kein Täter mit der Be-hauptung herausreden kann, er habe keine alterna-tive Verhaltensoption gehabt.

2 Aufbau der PublikationDen thematischen Kapiteln mit Arbeitsmaterialienist ein Aufsatz von Rafael Behr von der Hochschuleder Polizei Hamburg vorangestellt, der auf möglicheSchwierigkeiten und Widerstände aufmerksammacht, auf die der Versuch stoßen kann, Polizistenzu vermitteln, dass und wie eine Auseinanderset-zung mit historischen Erfahrungen für ihre heutige

Praxis relevant sein kann. Behrs kritische Analyse der„Cop-Culture“ will keineswegs nahelegen, Polizistenseien aufgrund der im Polizei-Milieu ausgebildetenKultur anfälliger für antidemokratische Einstellun-gen oder gar nationalsozialistisches Gedankengutals andere. Vielmehr arbeitet er funktionale Merkma-le einer Kultur heraus, die von Polizisten geschaffenist und sie zugleich prägt, um darauf aufmerksam zumachen, dass solche Prägungen sich im Prozess deshistorisch-politischen Lernens als Hindernisse er -weisen können, die nicht unüberwindbar sind, aberbesondere Herausforderungen für Unterrichtendedarstellen. Hier kann nur durch einige Fragen bei-spielhaft angedeutet werden, wie sich derartige Bar-rieren bemerkbar machen können. Behr betont, dassunter den Polizisten im Außeneinsatz grundsätzlicheSkepsis gegenüber theoretischem Wissen bestehe,dem die eigene Erfahrung in der oft harten Alltags -praxis mit Nachdruck entgegengesetzt werde. Wiegroß wird die Bereitschaft zum Perspektivwechselsein, wenn die eigene Erfahrung Angelpunkt desWeltverständnisses ist? Werden Teilnehmerinnenund Teilnehmer von Seminaren, die sich mit demnationalsozialistischen Vorgehen gegen sog. Asozia-le und Kriminelle befassen, hinter einer durch sozialerwünschte Antworten errichteten Fassade mit Ver-ständnis für die rücksichtslosen Maßnahmen odergar mit Einverständnis reagieren, weil sie diese alseffektiv und ihren sozialrassistischen Charakter alsbloßes Beiwerk betrachten? Wie werden Angehörigeder Polizei, die durch die Cop-Culture geprägt sind,der Behr einen autoritären Grundzug zuschreibt, dieMaßnahmen zur Entgrenzung polizeilicher Machtund zur Zentralisierung von Entscheidungsstruktu-ren bewerten? Wie wird sich die normative Orientie-rung, dass im Dienst unbedingte Solidarität zu prak-tizieren sei, auf die Einschätzung von abweichen-dem Verhalten im Kriegseinsatz, aber auch auf dieBewertung polizeilicher Ermittlungen gegen mut-maßliche NS-Täter aus den Reihen der Polizei aus-wirken? Hier können keine Antworten gegeben wer-den. Es dürfte aber für Unterrichtende nützlich sein,solche Fragen im Kopf zu haben, um möglicher-weise überraschende Reaktionen verstehen und ih-nen angemessen, d.h. ohne Abwertung und Bevor-mundung der Lernenden, begegnen zu können.

Die Materialien beginnen mit einem Kapitel zuden strukturellen Veränderungen innerhalb der Poli-

EinleitungVorbemerkungen zur Konzeption und zu didaktischen Zielen des Bandes

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12 Themen und Materialien – „Nicht durch formale Schranken gehemmt“. Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus / bpb 2012

EinleitungVorbemerkungen zur Konzeption und zu didaktischen Zielen des Bandes

zei von der Weimarer Republik bis in die Nachkriegs-zeit in den beiden deutschen Staaten. Darin wird er-läutert und durch ausgewählte Dokumente belegt,wie die Polizei in der Weimarer Republik und unternationalsozialistischer Herrschaft organisiert und inden Staatsapparat eingebunden war und wie in denBesatzungszonen und nach der Gründung der bei-den deutschen Staaten mit der Vergangenheit um-gegangen und ein Neuanfang versucht wurde. Da-durch werden die politischen und weltanschau-lichen Rahmenbedingungen verdeutlicht, unterdenen sich polizeiliches Handeln im 20. Jahrhundertvollzog.

Dieses Kapitel bildet die Basis, wenn sich ein Kursan einer Ausbildungsstätte für Polizisten eingehendmit der Polizei im Nationalsozialismus unter Ein-schluss der Vorgeschichte und der Nachwirkungenbefassen will. Aber auch, wenn man sich mit Schüle-rinnen und Schülern einer allgemeinbildendenSchule Aspekten der Polizeigeschichte zuwendenwill, ist es ratsam, mit den Materialien dieses Kapi-tels in das Thema einzusteigen. An solchen Schulenwird nicht ausreichend Unterrichtszeit zur Verfü-gung stehen, um alle in den folgenden Kapiteln dar-gestellten Themen zu behandeln. Sie können unab-hängig voneinander zum Gegenstand gemacht wer-den. Bei der Auswahl sollten die Wünsche undInteressen der Lernenden berücksichtigt werden.Schülerinnen und Schüler könnten das Materialauch als Ausgangspunkt für Präsentationen oderFacharbeiten verwenden. Es ist wünschenswert, dassalle Kapitel im Unterricht an Ausbildungsstätten derPolizei berücksichtigt werden. Wenn eine Auswahlaus Zeitgründen unerlässlich ist, bleibt es den Unter-richtenden überlassen, sie in Absprache mit denAuszubildenden und unter Berücksichtigung aktuel-ler Diskussionen zu treffen.

Der vorliegende Band versucht, die Beteiligungder Polizei an der Ausübung diktatorischer Herr-schaft und an den nationalsozialistischen Verbrechenmöglichst differenziert darzustellen. Es konnten aberweder alle Gruppen von Opfern polizeilichen Han-delns noch alle besetzten Länder berücksichtigt wer-den, in denen Polizisten an Unterdrückungsmaßnah-men und Morden beteiligt waren. Es war notwendig,eine Auswahl und Gewichtung vorzunehmen. Dieunterschiedliche Länge der Kapitel erklärt sich ausder unterschiedlichen historischen Bedeutsamkeit

der Vorgänge und Verbrechenskomplexe sowie ausder Materiallage.

Während die Kapitel 2 bis 7 verschiedene Tat-komplexe zum Thema haben, werden im 8. Kapitelzwei Biografien vorgestellt: die eines Offiziers derSchutzpolizei, der im „Osteinsatz“ zum Täter wurde,und die eines gelernten Krankenpflegers, der als An-gehöriger der Ordnungspolizei in den besetztenNiederlanden in einzelnen Fällen Verfolgte schützenkonnte. Die Biografien ermöglichen, Sozialisations-prozesse und Berufskarrieren exemplarisch nachzu-verfolgen und die Frage zu diskutieren, inwieweitsich unterschiedliche Entscheidungen in kritischenSituationen aus den Biografien erklären lassen.

Das 9. Kapitel zum Umgang mit der Geschichtenach 1945 ist trotz des langen Zeitraums, den es the-matisiert, bewusst relativ kurz gehalten. Hier geht esneben der knappen Thematisierung symptomati-scher Phänomene des Umgangs der Polizei mit ihrerGeschichte und der strafrechtlichen Aufarbeitungund der Widerstände dagegen wesentlich darum,Angehörigen der nach 1945 geborenen Generatio-nen einen eigenen Zugang zum Umgang mit derVergangenheit zu ermöglichen. Um dies zu errei-chen, ist als Material ein vielschichtiger Text gewähltworden, der zahlreiche Gesprächsanlässe zum indivi-duellen Umgang mit Schuld und Schuldgefühlen so-wie zum familiären und gesellschaftlichen Umgangmit den von der deutschen Polizei im Nationalsozia-lismus begangenen Verbrechen nach 1945 bietet.

Jedes Kapitel beginnt mit einem einführendenText, der die folgenden Materialien erläutert undkontextualisiert. Diese Einführung kann sowohl vonden Lehrenden als auch von den Lernenden genutztwerden. Im Anschluss daran finden sich die Arbeits-materialien. Dazu gehören sowohl grundlegendeTexte wie Gesetze und Verordnungen als auch Text-quellen und Fotos, die exemplarische Vorgänge zumGegenstand haben. Die Materialen zu den jeweili-gen Kapiteln ermöglichen, die Sicht der Täter zuanalysieren, aber auch die Erfahrungen der Opferaus deren Perspektive kennenzulernen. Gelegentlichkann auch die Wahrnehmung des Geschehens durchZuschauer thematisiert werden.

Den Materialien ist jeweils ein didaktischer Kom-mentar hinzugefügt, der Arbeitsvorschläge und Fra-gestellungen enthält. Sie beziehen sich vorwiegendauf die angebotenen Quellen, erfordern in einigen

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13Themen und Materialien – „Nicht durch formale Schranken gehemmt“. Die deutsche Polizei im Nationalsozialismus / bpb 2012

Fällen aber zusätzliche Recherchen der Lernendenim Internet oder in Bibliotheken.

Fotos sowie Faksimiles von Dokumenten sind imRegelfall im Materialteil des Buches selbst in origina-ler, lesbarer Größe abgedruckt. Texttranskripte vonGesetzen, Anordnungen, Zeitungartikeln oder Brie-fen sind auf der dem Buch beigelegten DVD gespei-chert und abrufbar, ebenso das audiovisuelle Mate-rial wie Filmausschnitte, Interviews mit Zeitzeugenoder Hörstationen. Im Materialteil des Buches befin-den sich gut sichtbare optische Verweise auf dieTranskripte und das audiovisuelle Material auf derDVD. Leider war es aus rechtlichen Gründen nichtmöglich, auf dieser DVD auch die im Buch abge-druckten Fotos und Faksimiles für Projektionen zurVerfügung zu stellen. Für die akustischen und filmi-schen Dokumente sind die Rechte für den Gebrauchim Unterricht eingeholt worden. Die Transkriptekönnen ebenfalls in digitaler Form genutzt werden.

3 Zum Umgang mit den ArbeitsaufträgenDie Arbeitsaufträge sind in Skizzen eines möglichenUnterrichts- und Seminarverlaufs eingebunden.Selbstverständlich kann man den Unterricht auchanders organisieren. Die Dozenten und Lehrer müs-sen ihre Impulse und Anforderungen ja ohnehin denin ihrer Gruppe gegebenen Voraussetzungen anpas-sen. Das Anforderungsniveau der Aufgaben istunterschiedlich, orientiert sich im Ganzen aber anden Möglichkeiten von Erwachsenen und älterenSchülern. In der Sekundarstufe I steht ja in der Regelkaum genügend Zeit zur Verfügung, um über dieVermittlung historischen Grundlagenwissens hinaus-zugehen. Doch für bestimmte Aufgaben, z.B. für dieVorbereitung auf Präsentationen (etwa zum mittle-ren Schulabschluss), können sich hier angeboteneMaterialien auch auf dieser Altersstufe als brauchbarerweisen.

Einige Aufgaben sind so konzipiert, dass sie dieLernenden zu bestimmten Handlungen auffordern,z.B. innere Monologe von Anhängern unterschied-licher politischer Orientierung zu entwerfen, die1933 mit dem gemeinsamen Auftreten von Schutz-polizisten mit SA-Männern konfrontiert waren, odereinen Beitrag für eine Lokalzeitung zu den Aussageneines ehemaligen Polizisten über seine Teilnahmean der Durchführung der Deportation der Juden auseiner deutschen Kleinstadt zu schreiben. Solche Auf-

gaben zielen nicht darauf ab, die Distanz zu den his-torischen Ereignissen und handelnden Personen zuüberspringen, sondern sie sollen die Lernenden da-zu veranlassen, sich in bestimmte Situationen aufder Grundlage ihnen vorliegender Informationenhineinzudenken, die damaligen Denkmöglichkeitenund Handlungsoptionen sich zu vergegenwärtigenund vor allem eine eigene Position zu den histori-schen Ereignissen zu entwickeln und darzulegen.Auch wenn immer nur eine Annäherung erreichtwerden kann, gelingt es durch solche Aufgabenhäufig besser, das historische Vorstellungsvermögenanzuregen und Polizei-Studenten wie Schüler zu Re-flexionen und Diskussionen zu motivieren als durchausschließlich auf Quellenkritik und Analyse gerich-tete Fragestellungen.

Auf Aufgaben, die fordern, Parallelen zwischenVergangenheit und Gegenwart zu konstruieren oderunmittelbar bestimmte Lehren aus der Vergangen-heit für gegenwärtige Einstellungen und Verhaltens-weisen zu ziehen, ist dagegen bewusst verzichtetworden. Solche Aktualisierungen werden häufig we-der der Geschichte noch der Gegenwart gerecht,und die Aufforderung, Lehren zu ziehen, wird nichtzu Unrecht als Moralisieren wahrgenommen undverleitet dazu, Lippenbekenntnisse abzugeben, odersie ruft mehr oder weniger verdeckten Widerstandhervor. Die im Beutelsbacher Konsens für den Poli-tikunterricht mit Schülerinnen und Schülern formu-lierten Prinzipien – Überwältigungsverbot, Kontro-versitätsgebot und Adressatenbezogenheit – solltenebenfalls für Erwachsene und auch im Geschichts-unterricht gelten, insbesondere bei einem so sensi-blen Thema wie dem hier verhandelten.

Im Verzicht auf kurzschlüssige Aktualisierungensetzt die dem hier vorgeschlagenen Vorgehen zu-grunde liegende Konzeption historischen Lernensdarauf, dass die am historischen Gegenstand ge-schulte Fähigkeit zur Reflexion und Meinungsbil-dung nachhaltige Folgen in der Gegenwart habenkann. Historisches Lernen kann also dazu beitragen,den eigenen „inneren Kompass“ zu stärken, um soauch in kritischen Situationen angemessene und vorsich selbst vertretbare Entscheidungen zu treffen.

Berlin und Münster im September 2012Wolf Kaiser, Thomas Köhler und Elke Gryglewski

EinleitungVorbemerkungen zur Konzeption und zu didaktischen Zielen des Bandes