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  • iiiineiser piDeutsdier

  • Geclmdt bei Em,l Herrmann seniorin Leipzig

  • gjiiiiiiliittmiiliilliHiiiliiiiNliMiiiimimmiituiiiimiiiiimiiiiiiimimmmiiu^^

    DASDEUTSCHEMUSEUMEINE REIHE BCHER BERN AT lONALE KUNST

    ALTMEISTERDEUTSCHER MALEREIQ ABBlUDtJNOEN

    ^iMiiiiiiiiriiiiiiimiiHiiiiiiiiiiiniiiumiiintiniMiiiuHmt/Hu^^^iiiiiiimiimtimiiiiiiiiimiH

  • Pliol. F. Hanl^laenol, .Wunihcn

    Hans Holbein d. J. Selbslbildnis.Basel. Kunstsammlung.

  • LOTHAR B RIEGERALTMEISTERDEUTSCHERMALEREI

    BERLINVERLAG FR KUNSTWISSENSCHAFT eif

  • Es konnte nicht in der Absicht des vorliegenden kleinen Werkchens begrndet sein,eine konzentrierte historische Darstellung der altdeutschen Malerei zu geben. Nirgendwre eine derartige Methode zweckloser fr einen mglichst weit gedachten Leserkreisals auf dem traglichen Gebiete. Nichts wird dadurch gewonnen, da man mit einerFlle unbekannter Namen und belangloser Zahlen von vornherein koptscheu macht. Soist auch keine Rechtterligung dalr ntig, da der Fachmann manche Namen vermissen,andere wieder berflssig finden, mit der einen oder anderen Zuschreibung und Grup-pierung nicht einverstanden sein mag. Ich brauche dies um so weniger rechtfertigen, als

    gerade der Fachmann das die scheinbar leichtere Darstellung sttzende Knochengerstlangjhriger selbstndiger Arbeit unmglich bersehen kann.

    Die Aufgabe war also vielmehr, gewisse Grundlagen erst zu schaffen, von denenaus dem Laien eine verstehende Beschftigung mit der altdeutschen Malerei mglichwerden kann. Es fehlt uns hieran durchaus. Eine Anleitung zur Einfhlung in das

    Wesen unserer nationalen Kunst ist notwendig und soll hier in bescheidenen Grenzengegeben werden, der Verfasser glaubt nicht zu irren in der Annahme, da er hiermit demerwachenden deutschen Selbstgefhle der Nation nach seinen Krften etwas Entbehrtes

    und Erwnschtes darbietet.Nur selbstverstndlich ist es, da hiermit weder ein trichter Chauvinismus noch

    gewisse archaistische Neigungen in der Kunst gefrdert werden sollen, sondern aus-schlielich die Sache selbst: unsere Selbsterkenntnis und unser Selbstbewutsein, dieWiedergewinnung des Zusammenhanggethls mit einer knstlerischen Vergangenheit,deren einzigartige Gre wir allzu lange verkannten.

    Berlin, im Februar 1913. LOTHAR BRIEGER

    Das vorliegende Buch dient nicht der Kunstwissenschaft sondern dem Kunstgenu.Llnter diesem Gesichtspunkt sind Zusammenfassung und Anordnung der Bildtafeln zuverstehen, bei welchen nicht immer die streng historische Folge innegehalten ist.

    DER VERLAG.

  • Whrend sich vor der Sixtina in Dresden Deutsche und Fremde drngen, steht dasihr in jeder Beziehuno unendliche berlegene Hauptwerk deutscher Kunst, GrnewaldsIsenheimer Altar im Colmarer Museum fast unbekannt, vereinsamt und wenig besucht.Basel, wo sich eine Anzahl der wunderbarsten und wichtigsten Werke unserer nationalenKunst befinden, ist dem Deutschen fast nur als Zollstation seiner Schweizer Reisebekannt. Ja, wir brauchen nur ein reichsdeutsches Museum zu durchschreiten, um uns,mit wenigen Ausnahmen, ber die unlustige und unbersic+itliche Anordnung seiner alt-deutsc+ien Abteilung zu rgern und ber das mangelnde Interesse der Besucher fr sie.

    Es steht auer Frage: wir sind unserer Vergangenheit entfremdet, haben gelernt sie ledig-

    lich als ein berwundenes Kuriosum zu betrachten. Sogar ihre uns noch vertrautestenKnstler, Drer und Holbein, sprechen nicht im gleichen Mae zu uns wie die groenMeister der italienischen Renaissance.

    Zur Erklrung dieser Fremdheit bringen wir leider bereits von der Sdiule eine

    Anzahl Phrasen mit, die viel schlimmer sind als die Fremdheit selber, wir arbeiten mit

    Begriffen wie Befangenheit, Enge, technische Beschrnktheit und Trockenheit der alt-deutschen Malerei, ohne uns doch darunter eigentlich etwas Rechtes vorstellen zu knnen.

    Denn sie rechtfertigen zwar vor uns unsere Fremdheit, aber sie erklren uns dieselbe

    nicht, machen sie nicht verstndlich. Von der italienisdien Renaissance nehmen wir eineAnzahl beraus farbiger, festumrissener Vorstellungen mit ins Leben hinaus, vom

    deutschen Mittelalter nur eine Menge Zahlen und ein dunkles Gefhl aberglubisdierRoheit. Dort soll alles groartig und prditig, hier soll alles eng und finster sein. ImAlter, wo wir die Reife haben, den knstlerischen Werken unserer Vergangenheit forschendund genieend gegenberzutreten, sind dieselben eigentlich innerlic^h schon von unsgeriditet.

    Wahr ist treilicb eines: Die Italiener besitzen in Vasari und Anderen lebensvollezeitgenssische Sc+\ilderungen ihrer grten Epoche, die Niederlnder ihren Karelvan Mander, wir hingegen haben nur die trockene und zusammengestoppelte Arbeit einesEpigonen, Sandrarts teutsche Akademie, die gar keine teutsche Akademie ist, und in demganz wenigen, was sie ber deutsche Kunst bringt, nchtern, zusammenhanglos und unver-llich. Die Werke der altdeutschen Malerei treten wie ebenso viele einzelne Personenberraschend, unvermittelt, anspruchsvoll vor uns hin und reden uns in lauten verschie-denen Mundarten an, die wir heute nicht mehr sprechen. Whrend alle Werke deritalienischen Kunst sich einer, der gleichen Sprache bedienen, die uns noch heute gelufigist. Liegt aber nicht vielleicht wenigstens ein Teil der Schuld auer an der nach einem

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  • Jahrhundert beispieosen Aufschwungs jh abgerissenen Tradion auch an uns, solltenwir nicht am Ende die griechische und die itahenische Sprache vor unserer eigenen altenbevorzugen? Vielleicht, wenn es uns gelingt, alle diese Mundarten als solche der unseigentmlichen, der deutschen Kunstsprache zu erkennen und dieser selbst zu ihrenWurzeln nachzugehen, da dann gerade aus diesen uns scheinbar entfremdeten Werkenetwas zu uns redet, das uns verwandter, eigentmlicher, in seiner Art zum mindesten nicfitweniger bedeutend und vollendet ist als die Antike und die italienische Renaissance.

    Es wird also darauf ankommen den Faden zu linden, der uns klassizistisch Gebildetedurch das zundist chaotisc+i auf uns einstrmende Labyrinth sich erdrckender, pathe-tisc+i rcksic+itslos bewegter, im Sinne unseres Schnheitsideals zweifellos meist hljlidierGestaltungen geleitet. Mglic4i, da wir so in die Lage kommen, an unserer jetzigen aufdie Sdinheit gerichteten aligemeinen Kunstanschauung selbst Kritik zu ben. DiesenFaden kann nur die historisc+ie Betraditung liefern oder vielmehr die aus ihn abgeleitetepsyc+iologische Erkenntnis.

    Wir erinnern uns noch aus der Schulzeit, da sicti uns das deutsc+ie Mittelalter alsdie Geschichte des gewaltigen Ringens zwisdien Papst und Kaiser darstellte, setzen wirstatt Formen das Formende selbst, also als der l\cim|it zwiscFien dem sdeuropaisdienund dem nordeuropischen Menschen. Mit dem .Augcnblici^e, wo die Rmerllut in diegermanisc+ien Wlder einbricht, um sc4ilielicfi in der Vlkerwanderung zurckgeworfenund gebrochen zu werden, berhren sidi zum erstenmal zwei einander durchaus fremde,durc4iaus feindlic^^e Prinzipien, deren Verhltnis zu einander von jetzt ab die menschlicheKultur bestimmt. Als die Viilkerwanderung verebbt, stehen sit+i die beiden Prinzipiennunmehr deutlicii gcsciiieden, jedes lr sich scharl umrissen, gegenber im Ringen umdie Herrschati. Auf der einen Seite die Vlker germani.schen Blutes, als deren Vormachtdie Deutschen in die Geschichte treten, auf der anderen Seite die Sdeuroper, Italienan der Spitze. In den geschichtlichen Formen ist ihre grundstzliche Verschiedenheitohne weiteres klar, schwieriger wird es sein, sie auch in den knstlerisdien ex funda-mentis nachzuweisen.

    Die Italiener reprsentieren hier den kla.ssisdien, die Deutschen den gotisdienMenschen, In Nordeuropa hat sidi das men,schlic+ie Geschlec4il in einem viel hrterenKampfe gegen die Natur entwickeln mssen als im Sden, kein Wunder daher, da sichvon vornherein eine Tendenz zur Liberwindung der Natur in leidensdiaftlidister Formbildete, whrend der Sden die Eintrac4it mit der Natur, die fiarmonie. die Idealisierungwill. Der Italiener hat vom Griedncntum her eine .seinem eigenen Wesen geme Tradition,die er nur fortzufhren, zu entwickeln, umzubilden brauc+it, der aus der Barbarei her-kommende Nordlnder ist gnzlidi traditionslos, er soll vielmehr eine Tradition erstsdiaffen. Die griechisdien Gtter sind berlebensgroe Men.schen, der nordisdne Gottkennt in den dster brausenden Eic4ienwldern das Lac-|ien und die Freude kaum. Man

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  • kann ihm nicht recht wie einem Freunde vertrauen. Im Sden ist das Leben ein lachendesFest, im Norden ein Kampf mit zusammengebissenen Zhnen. Darum wirtt der Italieneralle seine Wnscfie auf dieses irdische Leben, er abstrahiert alle seine Ideale aus ihmund sieht so seine hchste Leistung in der harmonischen Schnheit, der Deutsdie kennt

    den Begriff der Schnheit berhaupt nicht nur eine Verwirrung aller Begriffe vermag

    von einer Sdinheit der Gotik oder der altdeutschen Malerei reden , sondern er sucht

    in der Kunst etwas Unsinnliches, etwas bersinnliches, etwas gegen die Natur und berdie Natur, Erhabenheit. Die klassische Kunst Hellas und Italien will mit dem Lebeneinen, die gotische will ber das Leben erheben. Die sdliche Kunst findet ihre Wnscheim Leben selbst erfllt, der nrdlichen ist das Leben hf^lich, gemein und schwer, sie wirftihre Ziele ganz jenseits des Lebens. Italien will die Erscheinung, Deutschland will die

    Idee. Das sind die grundverschiedenen Ausgangspunkte der Kunst in den beiden

    Lndern.

    Beide Gefhle, das des Einessein mit der ganzen Natur ebenso wie das des dua-

    listisdien mit ihr im Kampfe Liegens, verlangen nach Ausdruck, wollen Form gewinnen,Erscheinung werden. Der sdeuropische Mensch schafft sich in dieser Erscheinung dasverbindende Band zwischen sich und der umgebenden Well. Die Wnsche des nordischenMensdien sind ganz andere. Er wird von einem dumpfen Angstgefhl vor der Viel-fltigkeit des allgemeinen Seins beherrscht, in dem eine feste harmonisc+ie Ordnung zusehen seine ganze Anlage nicht erlaubt Es steht auf der einen Seite, dann ein Abgrund,von dessen anderem Rande er erregt und abgeneigt herbersieht. Fr ihn handelt essich darum, vor ihm Schutz zu suchen, ein Formenprinzip zu finden, das ihm nicht eigen-

    tmlich ist, aus dem er gewissermaen eine neue Welt, eine Gegenwelt aufbauen kann,welche der Ausdruck der unsinnlichen Richtung seiner eigenen Seele ist, und vermittels

    deren er mglichst die umgebende Welt nicht etwa erklren, sondern entsinnlichen, sichunterwerfen kann. Dieses Formprinzip ist die abstrakte Linie, und wir finden den grund-

    stzlicfien Unterschied zwischen den beiden versdiiedenen Menschenarten Europas, demklassischen und dem nordischen, bereits schon in ihren Irhesten Kunstleistungen aus-geprgt, im Ornament Es mu hier ber diese Dinge so ausfhrlich abgehandelt werden,weil ohne weiteste Einsidit in sie die rechte Wrdigung der altdeutschen Malerei ber-haupt nidit mglich, jedenfalls nur unvollkommen mglich ist

    Der Sdeuroper leitet in seinem Bewutsein der Harmonie mit der Umwelt seineornamentalen Formeln ganz natrlic+i aus ihr ab. Blte, Blatt und Tier liefern ihm die

    Themen, in deren Umformung in anderes Material, dessen Art gem, er die Aufgabenseiner frhen Kunst sieht. Seine eigene Welt wcfist so im innigsten, ungestrten Ein-

    klnge mit der Umwelt empor, wie er sich selbst aus ihr gewachsen fhlt Ihm ist von

    vornherein klar, da alles, was er schafft in der Natur sein Vorbild haben mu, da ihm

    anderes zu sc+iafifen gar nicht mglich ist Dem nordisc+ien Menschen ist die Natur etwas

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  • Fremdes, durch Unruhe der Mannigfaltigkeit etwas Erschreckendes und Feindseliges, demgegenber er einen Halt und eine Sttze suc4if, mit deren Hilte er nicht in ihr aufzugehenbraucht, sondern sich ihr gegenber selbstndig behaupten kann. Das ist aber die geo-metrische Linie. Hier fand der Nordeuroper die einzige durchaus unsinnliche Form,etwas aus sich selbst scheinbar ganz Abstraktes und doch Formbares, das einzige ihmerreichbare Mittel zu einem Mutieren Ausdruc4(e seines erregten inneren Empfindungs-lebens. Alles Sinnliche hat Anfang und Ende, daher die den frhen nordischen Menschenbeunruhigende Flle der Ersc+ieinungswelt, die Linie hat es aber an sic+i nic4it, sie istzeitlos tmd raumlos, sinnlicb zundist unfabar, sie reprsentiert ihm zugleidi svmbolisc~liden Begriff des Unendlichen, der Ewigkeil, des ber die sinnliche Erscheinung Hinaus-langenden und ihr berlegenen. Alle nordische Ornamentik ist reine Linienornamentik,Linienornamentik als AusdrucH^ geheimer seelischer Beziehungen, Whrend im Sdeneine ppige und schne Flle ornamentaler Naturformen emporsprielM. entsinnlic-fit derNordlnder selbst da, wo er scfiliel^lich Pflanzen und Tiere, vor allem Tiere in seineOrnamentik mit einbezieht, diese vollstndig, es sind Fanlasietiere. rein lineare Ausdrcf^eseines seelischen Empfindens, durch die er ber die umgebende Natur Herr zu werdensucht. Dieses einmal gewonnene Grundprinzip geht durch alle nordiscfic, alle deutscheKunst weiter und entwid^elt sich von innen heraus immer vielfltiger zu einer ganz eigen-tmlichen Formenwelt, die vor der des Sdens ganz unbedingt die viel grf^ere Energie,Selbstndigkeit und Ausdrucksgewalt bis zum E.xplosiven voraus hat, aber sicher auchviel einsiedlerischer, dem Fremden unverstndlicher, lebensfremder bleiben muffte. ZurZeit, als in Italien und Deutschland mit reifgewordenen Mitteln an die Schaffung grol^erKunst gegangen wird, stehen die beiden Ziele bereits vollkommen feindlich fest: Im Sdender Wille zur Scfinheit als die vollkommenste Einbeziehung der Menschen in die Natur,im Norden der Wille zur monumentalen Erhabenheit als Ausdruck des mensc+ilicfienInnenlebens in bewufjlem Gegensatze zur Natur, Das Ringen zwischen der Kunst derRenaissance und der des deutschen Mittelalters beginnt, um schlielich mit dem Siegeder Renaissance zu enden und somit auch das klassische Ideal fr den nordisdien, ihmim Grunde der Seele aber fremden Menschen maf^geblith zu machen. Zweifellos, wirhaben keine Ursache, diesen Sieg zu bedauern. Er ist vielleic4it der wicfitigsfe Faktorunserer Entwicklung geworden, hat unseren innerlichen Dualismus aulgehoben, denDeutschen aus seiner Isoliertheit in die allgemeine Kultur hinausgerissen und an ihrTeilnehmen lassen, in der er nach den Jahrhunderten schweren Ringens nun wieder obenaufsein drfte. Wir sind keine altdeutschen Menschen, und wer die Entwickelung rckwrtszu schrauben versucht, kann sich nur lcherlich machen. Wohl ist aber jetzt die Zeit ge-kommen, da wir reif sind, uns zu erinnern, da das klassische Ideal nidnt unser eigenes,unser deutsches Ideal ist, da es nur eine fremde segensreiche Hille zu unserer Entwicke-lung war, da wir jetzt an dem Punkte angekommen sind, wo wir nidit mehr seine blin-

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  • den Sklaven sein wollen und drfen, sondern den Weg zurdi zu unserer eigenen Kultur,den Zusammenhang mit der uns leider Gottes ganz abhanden gekommenen Vergangen-heit unserer nationalen Kunst suchen mssen, um als neue, mit der Natur einige Menschennunmehr diesen eigenen Weg weiter zu finden. Nur .solchen Absichten kann diese Ab-handlung dienen, sie mchte das Verstndnis und die Freude fr unser eigenstes Eigen-

    tum wieder zu erwed^en. Wir mssen die einseitige Herrsdialt der sthetik als Lehre vonder Kunst berwinden und erkennen, da sie nur die Lehre von der klassischen und

    klassizistischen Kunst ist. Dalj aber unsere alte nationale Kunst ganz anderes Wollen,ganz andere Prinzipien hat, die eine eigene Kunstlehre fordern, deren Linien wir in diesen

    wenigen Seiten kurz zu umreien versuchen.

    Vielleicht ist an dieser Stelle der den eigentlidien Rahmen berschreitende Hinweisnicht ganz unsac+ilich, da wir in der Gegenwart freilich wieder mit Hilte einer tremden

    Kunst, der franzsischen praktisch bereits auf dem besten Wege sind, die einseitigeHerrschaft der sthetik, der Lehre vom klassischen Schnen, grndlich zu berwinden.

    Womit denn auch wichtige Vorbedingungen fr die Hoffnung gegeben sind, da wir schonoder doch bald die Kunst des deutschen Mittelalters mit anderen, richtiger eingestellten

    Augen ansehen drften, als soldies bisher der Fall war

    Die Antike und die Renaissance summieren die Natureindrcke und schaffen so einbersicfitlich gegliedertes Ganze, die nordeuropische Kunst setzt die abstrakte Linie fort,

    verschlingt sie in sich und gewinnt ihre EindrcH^e lediglich ganz und gar aus der Kon-struktion. Der Parallelismus der Linien und ihre vielen mathematischen Verhltnismglich-keiten zu einander erzeugen die Grundlagen eines neuen Kunstsystems, das auf einenaufwrts strebenden Rhythmus hinaus will und in diesem zugleich eben den Ausdruck derinneren gedrngten Leidenschaftlichkeit sucht. Eine gewisseVerwandtschaft derTnetolgen

    mit den nordischen Linienfolgen fllt auf, wenn ich nicht irre, ist es Ruskin gewesen, der

    als erster einmal gelegentlich der Architektur von der Gotik als gefrorener Musik sprach.Und in der Tat ist es die Architektur, angesichts deren auch fr das weniger geschulteAuge der prinzipielle Gegensatz zwischen dem klassischen und dem nordischen Menschenzum ersten Male ganz sinnfllig wird.

    in der antiken Basilika wchst der Tempel als ein organisches Gewchs inmitten derorganischen Natur aus dieser heraus. Ein Raum, der viele Menschen zu konzentrieren ver-mag, bleibt der einzige Grundgedanke, alles Darumherum ist sekundr, schlielich bloErzeugnis des sthetischen Spieltriebs, Augen- und Sinnebefriedigung. Die Renaissancesetzt das Beginnen fort, variiert es. Jed Ding soll organisch und im Mae seines Wertes,seiner Wrdigkeit Platz haben. Es ist dem klassischen Menschen nur selbstverstndlich,da er in der heiligen Architektur gerade so wie in jeder anderen vom Prinzipe derSchwerkraft ausgehen mu. Sie ist ihm das von vornherein unumstlich Gegebene.Die Sulen sind zum Sttzen da, sie betonen diesen Zweck offensichtlich, suchen ihn durch

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  • ihre Form besonders auffllig zu machen. Das heilige Haus soll feststehen und steht

    fest, es ist eine verlliche Zuflucht fr die Glubigen.

    Dem nordischen Menschen aber ist die Schwerkraft just gerade das Gemeine, Be-fremdende und Feindliche der Natur, durch das er seine eigene Seele gebunden, gehemmtfhlt, und das zu berwinden er eben zur abstrakten Linie geflc4itet isf Er steht vor derschweren, scheinbar unlslidien Aufgabe, nun in der Ardiiteklur in einem geradezu dieSc^iwerkraft klassisch reprsentierenden Material, dem Stein, diese durch die abstrakteLinie zu berwinden. In der romanischen Baukunst kmpfen die beiden Style noch mit-einander, der Wille des nordischen zeigt sich bereits, ist sich aber ber seine Wege nochnidit klar, bis er schlief31ich in der Gotik zu seiner hchsten Blte und restlosen Voll-endung gelangt. Da dieGotik auf deutschem Boden gipfelt und ausklingt, trotz franzsischenUrsprungs, isf es nicht unwissenschaftlich, von ihr als dem strksten und reinsten Aus-druck des deutschen Kunslwollens zu sprechen. Wir erleben es bei \ erfolg der Geschichtenordeuropischer Baukunst in bewunderndem Erstaunen mit, wie sich die Decken immerintensiver wlben, wie die Sulen in Form und Ausdrud^ immer mehr den Charakter desStutzens verlieren, wir sehen den Spitzbogen sich wlben und den Zweck der Sule ganzbeiseite setzen, bis schliel^lich die Golik die ganze Form im Turm als Gipfel und Ziel-punkt gewaltsam aufwrts reibt und fr den inneren Sinn die Schwerkraft eftekliv negiert.Die Musik der unendlichen Linie wird uns nirgends so eindringlich wie beim Betreteneines alten deutschen Domes, wo wir tatschlich das Gefhl haben, in den grenzenlosen

    Raum zu treten, und berall von den scheinbar von der Schwerkraft unabhngigen, auf-wrts strebenden Linien mit emporgerissen keinen anderen Weg linden als in die Un-endlichkeit Gottes zu flchten. Dieser gewaltige Eindruck dabei das Produkt einer ber-

    aus klaren mathematischen Konstruktion: Alles Sttzende ist an die Auenseite des Ge-budes gelegt, um lr die betende Seele nicht vorhanden zu sein.

    Es drfte ohne weiteres klar sein, da ein derart gerichtetes Wollen und Tempera-ment wie das nordische auch in der Malerei von den sdlichen Ausdrucksmitteln grundstz-lich verschiedene Ziele sich setzen mute. LJbertrgl der Hellene und nach ihm der Italienerdie Sprache der Natur in die Kunstsprache, fhlt er sich als deren Interpret, indem er ihrenallgemeinen Gesetzen sein besonderes Menschliches hinzufgt, so erzielt er damit eine groe

    .Allgemeingltigkeit, eine nicht nur auf sein augenblickliches V'orstellungsleben, auf seine

    Zeit just beschrnkte Typischkeit seiner Malerei. Als wertvollstes Ziel ist ihm darum vonvornherein das Streben nach Raumillusion gesetzt. Alle Dinge befinden sich im Raum frdas natrliche Sehen, ja. werden fr dasselbe durch ihn in ihren Beziehungen und \ er-hltni.ssen zueinander bestimmt. Nun ist fr das Gemlde als eine idealisierte, d. h. rhvth-misch gesteigerte, in Harmonie abgewogene Natur das Problem des Raumes das in ersterReihe zu lsende. Eine Geschichte der italienischen Malerei ist bis zu einem gewissen

    Grade geradezu eine des Raumproblems, der Weg bis zu Tizian und den venetianischen

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  • Monumenlalmalern ist gar kein anderer. Die Raumillusion im Gemlde aber verlangtals wesentlichstes Ausdrucksmittel die Farbe, da nur durch sie der Krper wirklich krper-

    lich steht. Der Italiener ist somit dem Deutschen an sich durch sein rein malerischesSehen voraus. Es entwickelt sich sicher und zielbewut die Lehre von der malerischen

    Perspektive, nichts anderes als ein bertragen der natrlichen Gesetze auf die malerisdien

    Mittel. Menschen und Dinge werden in ein Verhltnis zueinander gesetzt, das dem inder Natur gesehenen analog ist. Es handelt sich weniger darum, etwas auszudrcken, als

    alle Teile des Bildes in die vollkommenste Harmonie zueinander zu bringen.Die Lehre von diesen Dingen ist die sthetik, und wenn wir, die wir seit dem all-

    gemeinen Siege des klassischen Ideales vollkommen mit ihren Augen sehen, nun vor die

    deutsche Malerei treten, so erfassen uns zunchst verstndliches Befremden und Ent-setzen. An der Stelle der schnen Einheitlichkeit begegnet uns eine leidenschaftlich be-wegte Flle, die auseinander zu fallen droht, wenigstens solange wir das verknpfende

    Band nicht besitzen. Das fr unser Gefhl wichtigste, die Raumillusion, ist zunchst ein-mal so gut wie ganz ausgeschaltet, und die ganze Tafel scheint uns von einer Mengevon Fehlern und malerischen Unfhigkeiten geradezu zu wimmeln. Im Sinne der sthetik

    ist fast alles falsch". Erst wenn wir eine grere Anzahl altdeutscher Gemlde ver-gleichend betrachtet haben, beginnt sich in uns nicht ohne Zwang die berzeugung zuentwici^eln, da sich in ihnen allen eine gleiche, wenn auch von unseren Anschauungen

    sehr verschiedene Gesetzlichkeit bettigt, da diese Knstler bei ihrem berwltigenden

    Knnen sicher nicht andere Augen hatten als die Italiener und wir (tausend Einzelheitenbeweisen uns das bald), sondern da einfach ihr Wollen ein grundstzlich anderes warund sich grundstzlich andere Ausdrucksmittel schaffen mute und schuf. Die altdeutsche

    Malerei beginnt mit einem bewuten Gegensatze zur Raumillusion.

    Die abstrakte, die geometrische Linie, welche wir schon durch die Ornamentik unddurch die Architektur verfolgt haben, schwingt weiter, bleibt dem nordischen Menschenauch in der Malerei das ihm wesentliche knstlerische Ausdrucksmittel. Die Linie undihre Bewegungsbahn, die Flche. Sieht also der sdliche Mensch krperlich und raum-haft, so der nordische linear und flc+ienhaft. Es handelt sich fr ihn nicht darum, eineidealisierte Natur zu schaften, sondern er will vielmehr die Natur berwinden, fr sich

    berwinden, indem er trotz des sinnlichen Eindrud^s und gegen ihn dessen Formen mitseinen Kunstmitteln geschaffene hnliche gegenberstellt. Raumillusion und Perspektivewerden ausgeschaltet, daher uns denn diese alten Gemlde als falsdi anmuten, inner-halb der Flche entwickelt sich alles aus Gesetzen, die einzig und allein aus der Linieabgeleitet sind. Man braudit nunmehr nur einige Bilder hintereinander zu betrachten,um jetzt zu erkennen, um eine wie strenge und bewut weiter entwickelte Gesetzlichkeites sich in diesem nordischen Gegenspiel zur italienischen Renaissance handelt. Von reinflchenhaftem Hintergrunde lst sidi eine absolut lineare IVunstsprache, derjenigen der

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  • gotischen Architektur innerlich durchaus verwandt. Die Schwerkraft ist diesem Prinzip

    gem5 durchaus autgehoben, der Krper ist zunchst recht unwichtig geworden. Manhat die seltsamen Gewandfiguren der altdeutschen Malerei damit erklren wollen, dal)

    die Knstler Holzfiguren mit Seidenpapier drappierten und daraus ihren Faltenwurf ge-

    wannen. Das heit eine Folge als Ursache setzen. Unser erster Blick auf ein altdeutsc+ies

    Gemlde wird sofort durch das Mensc+ienhaupt und seinen Ausdruck gefesselt. TiefererForschuno ergibt dies sich als Absicht, das gotische Bauprinzip taucht im Gemlde wiederauf. die Gewandfalten streben und weisen alle bewufjt auf ein Ziel hin. auf das mensch-liclic Antlitz, den Sitz der menscfilidTen Seele, die dem alten Glauben eben das Unsinn-lichc, das bersinnliche ist. Das Wic4itige. Entscheidende des Bildes rckt mglichst in

    das Zentrum des Bildes, alles andere sind ebensoviele Linien, die darauf hinlhren, hin-

    zwingen. Die krperliche Bewegung, die Geste, soll keineswegs krperlich riditig sein, sie

    wird in der Bildfldie in eine scharfe, oft gewaltsame, oft auch gewallige Linie konzentriert,

    die ganz und gar bebender Ausdruck ist und die eigentliche Handlung betonen hilft, sie bis

    in die entfernteste Ecke der Tafel weiterscfiwingen lt. Verkrzungen und berschnei-dungen dienen ohne jede rumlidie Absicht genau dem gleic^lien Zwecl^e. Haben wir alsoauch den Mut, uns ber unsere sthetik hinwegzusetzen und die nordische Kunstlehre

    zu bekennen: alles, was im altdeutschen Gemlde diesen Zweck frdert und erreicht, istric+itig, alles andere falscfi. Sie kennt kein anderes Gesetz.

    Somit geht hier alles n\d\[ auf die Schnheit, sondern auf den Ausdruck, will der

    klassische Mensch in der Kunst eine idealisierte Natur, so will der nordische MenscTi

    Wirklidikeit als seelischen Ausdruck. Die bewuten Gegenstze ergeben sich aus diesem

    Satze von selbst: Natur ist alles Sein, wie die Sinne es rein aufnehmen, Wirklichkeit aber

    ist das menschlidie Erlebnis. Infolgedessen strebt die klassisc^le Kunst nac4i Ruhe, die

    nordisdic nach Bewegung oder nac^^ dem, worin diese am leichtesten labar wird, nadi

    Handlung. Die ganze altdeutsc4ie Kunst bevorzugt, wie ein Blick lehrt, die Themen, welche

    eine bewegte, eine soviel als mglic^li stark bewegte Handlung bedingen, in der eben ihr

    Ziel eingeschlossen ist, der Ausdruck. So wird das den Laien als erstes Befremdendeder altdeutschen Malerei wohl immer sein, da bei leidenschaftlic-her. mit den schrfsten

    und oft krassesten Gesten durc+isetzter Handlung das ganze Gemlde doch von einermerkwrdigen, unlebendigen (lies: nicht natrlichen) Erstarrfheit ist. Es ist. als wren

    erregteste Gefhle im Augenblicite der E.xplosion gewaltsam festgehalten worden. Dies

    ist eben die Eigenart, dies ist der bewute, einheitlich ausgeprgte Kunststil, der alle Ge-

    fhle in konzentrierenden Linien auf das seelische Zentrum hinleilet und damit den ganzen

    geistigen Gehalt des Bildes in einem Punkte teckniscli so maditvoll zusammenlat und

    ausstrahlen lt, da uns klassisdi Abgeklrte oft ein tiefes Grauen vor dieser altdeutschen

    Empfindungsgewalt und Leidenschaft berluft. Ein Grauen, das zur tiefsten Bewunde-

    rung wird, sobald wir uns einmal die mathematische Uberlegenheil dieser konstruktiven

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  • Technik klar gemacht haben, was uns dann wohl leicht dazu verfhren mag, eine RaffaelsdieMadonna neben einer altdeutschen als einen seelenlosen Kitsch zu emplinden. Und inder Tat ist hieran sicher soviel ric+itig, da keines Volkes Kunst der deutschen an seelischerAusdrucksfhigkeit auch nur annhernd gleichkommt, wenn uns das auch freilich nicht

    verleiten soll, in den umgekehrten Fehler zu verfallen, d. h. die Gesetze der alldeutschen

    Malerei immer mehr etwa unseren Urteilen ber die italienische Renaissance zu Grundezu legen.

    Da5 die Linie, nicht die Farbe, das Ausschlaggebende und Bestimmende in der alt-deutsdien Malerei ist, hat dazu gefhrt, mitunter von ihren Werken als eigentlich nurkolorierten Zeichnungen zu sprechen. Man mu mit solchen Schlagworten sehr vorsichtigsein, soviel Richtiges sie immer enthalten mgen. Raumperspektive und Krperlichkeit,ihre eigentliche Aufgaben, fand die Farbe in der altdeutschen Malerei nicht vor, ja geradezu

    negiert. Die Linie hatte die fhrende Rolle bereits bernommen und damit die zeich-nerisc+ien Probleme vor den koloristischen als primre festgelegt. Es war nur natrlich,

    da zunchst der Zusammenhang zwischen der ursprnglichen, der zeichnerischen Formund der sekundr hinzugekommenen Farbe ein loser und uerlicher sein mute. Daer dies nicht bleiben konnte, ergab schon die starke Schulung der Knstler, mit der sich

    auch der Sinn fr rein farbige Probleme immer bewuter entwickeln mute. Es konnteden deutschen Malern nicht verborgen bleiben, da wie soldies Fhlen schon in denVolksliedern auftaucht Rot, die Farbe des Blutes, ein Gefhl der Leidenschalt im Be-

    schauer weckt, Blau die Treue symbolisiert usw., mit anderen Worten, da auch die Farbennicht nur Trger der Raumillusion, sondern auch in strkster Weise solche der seelischenGefhle zu sein vermgen. In dieser Richtung entwickelt sic+i langsam und bewut diealtdeutsche Farbenlehre der Malerei, bis dann schlielich, gerade als Drer in der ita-lienischen Kunst die Farbe als Trger der Raumillusion entdeckt und so leider bereitsam Beginn des Verfalls deutscher Kunst steht, Mathias Grnewald die seelische Illusionder Farbe zum Hhenpunkt hebt und damit erst die eigentlich nationale Malerei als solchevollendet, eine Tal. die. einsam und zu spt geschehen, ohne Folgen bleibt.

    Die Tendenz zur Natur der sdeuropischen Kunst fhrte zum Idealismus, das dieWirklichkeit Wollen der nordischen zum Naturalismus. Die Linien, welche zur Herrlich-keit des ertrumten bersinnlichen hinfhren, entspringen aus einer kra naturalistischen,der ganzen nordischen Anlage nach pessimistischen Auffassung des rein tatschlichen

    Lebens. Aus der Welt, mannigfaltig, voll hlicher, wilder, sich widerstreitender Leiden-

    schaften erfllt, wie sie ist, strebte die gequlte Seele an der abstrakten geometrischen

    Linie zur reinen Heiterkeit des bersinnlichen empor.Das alles darf nicht dahin verstanden werden, als bemhe sicfi die alldeutsche Malerei

    um eine Erstarrung des Lebens in tote Formeln, es ist ihr vielmehr um denkbar krftig-sten, strksten Ausdruck des Lebens zu tun. Mag ihr Wunsch immerhin auf eine Ent-

    2 17

  • sinnlichun der Materie, ihre Unterwertuno unter das bersinnliche oeriditet sein, ihr

    Auge ist deswegen keineswegs der Mannigtaltigkeit des Lebendigen und ihren Reizungen

    verschlossen. Der krftige Daseinslrieb des deutschen Menschen, seine ursprnglic+ie.

    unbesiegbare Lebenskraft mildern zum wenigsten die Schwermut seiner Weltanschauung.

    Mit welcher unendlichen Liebe sind doc+i neben der brutalen Wahrheit der Wirkliciikeits-

    darstellung die Kinder und ihre himmlisc+ien Gesdiwister. die Engel gesehen! Wie be-sen etwa die klniscLen Meister die Flur verscLwenderisdi mit Blten und Grsern! In

    den Ateliers werden Ateliertiere gehalten eine Katze und ein Aff^e bei Drer - -. die

    wo nur irgend mglich mit Humor und gutem X'crstndnis tr ihre Eigenart angebracht

    werden. Es ist dieselbe naive, weil infolge des bersinnlichen Prinzips unzielbewute

    Lebenslust, die dann spter nach dem Siege der Renaissance etwa in Altdorler den Zu-sammenhang im Gemlde in berquellender Spicitreude berhaupt zerstrt.

    Freilicii ist audi hier keine Blume sieht in der Natur so aus wie bei einem rhci-nisc+ien Meister alles bewute Stilisierung. Der .Waler tolgt den .AusdrucH^slinien bis

    zum Antlitz, ja noch mehr, er vertolgt sie bis ins Antlitz hinein. Je weiter sich die alt-

    deutsche Malerei entwid^ell, desto deutlicher tritt dies hervor. Das ganze Mensc^ienantlitz

    ist nur imi einiger weniger Linien willen da. in denen die .Weister sdilieHlicIi alles mensdi-

    liche Leben, alle mglichen I'reuden und Leiden konzentrieren. Ein Mund Drers, Grne-walds oder Holbeins sagt doch wohl mit seiner einen so unglaublich variablen Linie

    mehr als dies irgend ein ganzes italienisdies Gcnuilde vermag. .'Xls Portrtist steht der

    Altdeutsche in jeder Beziehung in der Well voran Diese natrlic^ie Anlage zum rein

    Charakteristischen in der Malerei, bewut zum Kunststil ausgebildet, bewirkt die H-

    lichkeit" der Mensc+ien in den altdeutschen Gcsiditern. Ein ausdrud^.svolles Gesic4it ist

    nie schn im klassiscdien Sinne, heute, wo das sthetische Ideal wieder allmhlich zu ver-

    bleichen beginnt, aber lernen wir es nac+i seinem wahren \\ erte sditzen.

    Es ist zu alledem gut. einmal ber die ganze besondere Prgung nachzudenken,

    weldie das Christentum sehr bald auf deutschem Boden annahm. \n Italien war es eigent-lich recLt Iremd in die cuitikeWelt getreten, schlielich hatten sidi die verschiedenen Ele-

    mente gemischt, und es entstand eine .Art christlicher Klassizismus, der vom Wesen des

    Stifters weit entfernt war. Die deutsche religise .Autta.ssung ist dem Urchristentum vonvornherein wesentlich nher. Hier lindel der nordische Mensch ja ganz die abstrakteLinie, an der er seine durch die Mannigfaltigkeit der sinnlichen Welt beunruhigte Phan-

    tasie aulwrts ranken kann. Bald deuten ihm seine ganzen Ausdruckslinien aul den

    himmlischen Heiland hin. Christi Leben. Tod und Auferstehung sind ihm die Geschichteseiner eigenen Seele, eine leidenschaftlich persnliche Angelegenheit. Der sdliche Menschehrt seinen Heiland und de.s.sen Familie, indem er sie immer mehr verfeinert, bis sie

    schlielich bei Tizian zu vornehmsten Aristokraten geworden sind. Und die schne Mariasteht ihm nher wie der Heiland. Fr den nordischen ,\\aler spielt Christus von vorn-

    i

  • herein eine ganz andere Rolle, er ehrt ihn, indem er ihm und den Seinen alle Sorgen,

    Freuden und Kleinlichkeiten seiner eigenen brgerlichen, handwerksmigen Existenz

    verleiht, ihn so ganz zum Sprecher seiner Seele macht. Der Heiland ist im Norden zu

    einem Volke gekommen, dessen Mehrheit aus armen, unterdrckten, mit Grund ewig un-zufriedenen Menschen bestand, und er ist ihnen dadurch zum Erlser geworden, daI3 er

    in Wort und Kunst als ihresgleichen zu ihnen trat genau wie damals, als er seine wunder-

    vollen Reden zum ersten Male sprach.Entscheidend spricht hierbei auch die Stellung mit, welche der Maler im Gegen-

    satze zu Italien im altdeutschen Leben einnimmt. Er gehrt einer Zunft an, sein Gewerbe

    wird handwerksmig in Werksttten betrieben und entsprechend gewertet. Nicht, da er

    gering geschtzt wrde, aber es fehlt ihm ganz und gar jener aristokratische Zusammen-

    hang mit den Reichen und Vornehmen, der in Italien der Knstler Horizont erweitert. Er

    kommt aus dem Brgerstande und lebt, nach dem Mae seiner handwerklichen Voll-endung geachtet, in ihm, so ist auch seine Auffassung eine spezifische brgerliche. Meist

    bringt er keine weitere Bildung als seine handwerkliche mit, der eigentliche aristokratische

    Knstler des deutschen Mittelalters ist der Baumeister. Erst Drer tritt, als Gleich-

    berechtigter bewertet, in das adlige, reiche und internationale Leben hinaus, und es lt

    sich sogar gewi darber streiten, ob das der altdeutschen Kunst zum Vorteil gereicht

    hat. Sie verlor damit einen wesentlichen Zug ihrer Eigenart, so da Hans Holbein schlie-

    lich noch einmal all ihre technischen Mittel in einer glnzenden Weise vereinigte, sie

    aber damit auch, da er nicht mehr ihre Seele besa, beschlo.

    Die altdeutsche Dezentralisation war gleichfalls nicht wenig daran Schuld, da eine

    so starke, bodenwchsige, technisch so ihren Absichten gem vollkommene Malereischlielich demAnsturmederRenaissancederartunterliegenmute,da sie frJahrhunderte

    ohne Folgen sang- und klanglos bis zur Vergessenheit ihrer besten Namen vom Erd-

    boden verschwand. Gewi, auch Italien bestand aus einer zahlreichen Menge von Klein-

    staaten voller individueller Eigenart, die florentinische Malerei ist von der venetianischen

    recht wesentlich verschieden. Trotz allem bezog sich aber doch hier alles auf ein gemein-

    sames Zentrum: Rom. Dieses Zentrum fehlt dem deutschen Mittelalter zu seinem Schadenvllig. Jeder Landstrich hat seine eigene Schule, die trotz allen Wanderns gegen dieanderen Landstriche ziemlich abgeschlossen ist und last ganz ohne Hilte nur auf eigene

    Faust vorwrts zu kommen sucht. Solcher Mangel an Zusammenhang macht denn auchdie altdeutsche Malerei gegen fremdlndische Einflsse schwcher als dies in ihrer Flle

    von Talent und Knnen begrndet war. Wie die rheinlndischen Schulen schlielichganz und gar in die Niederlndische Kunst aufgehen, so vermag auch am Ende das

    brige Deutschland dem Drngen der Renaissance keine Einheit gegenberzustellen, ander sich dieses htte brechen knnen. Ein alter Nationallehler der Deutschen rcht sich

    hier an der Kunst.

    19

  • Wir beginnen heute erst langsam diese ganzen Einzelheiten aus dem Sdiutte derVergangenheit auszugraben, unter dem sie, hdistens von talsdien Anschauungen undMutmaungen einmal gestrt. Jahrhunderte sdilummerten. .Auer Sandrarts recht proble-

    matisdier Teutschen Akademie besitzen wir keinen Heller. Unser eigenes Gethl muuns ber mandie brdiige. zwcilelhalte Stellen hinweggeleiten, immer wieder sind Hypo-

    thesen notwendig, um vorwrts zu kommen. Das schadet nichts, wenn wir nur vorwrts

    kommen, wenn es uns nur gelingt, in der Flle des X'orhandenen die gemeinsamen, unsere

    eigenen Zge zu erkennen. Denn am Ende ist das V'olksgefhl ein besserer und ver-

    llicherer Fhrer als eine docdi mehr oder minder getrbte literarische Tradition.

    Die bersinnliche Neigung seines Wesens bestimmte den Deutschen dahin, auch in

    der Kunst lediglidi .Ausdrud

  • wurde durch eine Art schliebarer Tre auerhalb des Gottesdienstes vor dem profanenBlidt geschtzt. Warum sollten die Flgel der Tr nicht auch benutzt werden, die Lehrender heiligen Geschichte den Beschauern durch die Wiederholung, ja gewissermaendurch eine Multiplikation des Eindrucks noch strker einzuprgen? Zu der Darstellung

    des heiligen Schreins kommen also die Darstellungen auf den beiden Innenseiten derFlgel, ferner die Darstellung oder deren zwei auf den Auenseiten. Der eigentliche

    Schrein ruht aul einer ihn erhhenden Basis, der Predella, auch sie wird malerisch ge-

    schmckt, bei einem Passionsaltar liee sich kein geeigneterer Ort tr die Darstellung

    der Grablegung linden. Zum testen Schrein treten noch feste Seitenllgel, aus dem ein-fachen Flgelaltar wird ein Doppelflgelaltar, der die Andchtigen wie eine Predigt blo

    mit weit monumentalerer Erregtheit bis zu der letzten heiligen Enthllung vorbereitend

    zu geleiten hat. Auf dieser Stufe finden wir dann den Altar auf dem Gipfel der Ent-wickelung, bei Grnew'ald und Drer, unverndert vor. Neben die Passion Christi sinddie zahlreichen Heiligengeschichten getreten, neben den Passionsaltar der Heiligenaltar,

    der mitunter mit der Heiligen Geschichte gar nichts zu tun hat. Das ist nicht Schuld

    oder Wunsch der Knstler, deren reinste Kratt eigentlich immer wieder den gleichenThemen zudrngt, sondern der Besteller.

    Es war bereits mehrfach die Rede von der Dezentralisation der deutschen Malerei,von den Provinzialismen ihrer Mundarten, die oft streng genug gegeneinander geschieden

    sind, gar nicht von der Zeit beeinflut werden und uns, bei dem vlligen Mangel anbrauchbarer t^lbcrlieterung, die Formung historischer Stilgeschichte wesentlich erschweren.

    Wir werden das Wie noch kennen lernen. Das Fehlen eines geistigen und seelischenZentrums in der Art Roms gestattet dem Maler nicht die Ausbildung einer festen Tra-dition, welcher Mangel im Verein mit dem rein werkstattmigen Betriebe ein Schftennur aus den knstlerischen Impulsen heraus und ausschlielich um diesen zu gengenvon vornherein ausschliet. All diese groartigen Werke sind, man mu es gestehen,bei einem handwerklichen Meister bestellte Ware, und der Besteller hat an der Themen-wahl meist einen viel greren Anteil als der Meister selbsf Die bte der Klster,Stdtegemeinden, Znfte, reiche Privatleute treten als solche Besteller, sog. Stifter auf

    und bestimmen den Stoff. So entsteht das Stifterbild, zuerst klein und unscheinbarneben der eigentlichen Schilderung, allmhlich, mit wachsenden Wohlstand und Bildung,fast gleichberechtigt neben und in sie hineintretend. Damit wird ganz allgemein etwasgefrdert, dem schon der Wirklichkeitssinn der altdeutschen Maler an sich entgegenkam,die Fhigkeit und die Neigung zum Bildnis. Bald, sehr bald sondert sich dieses selb-stndig aus, der Altdeutsche wird zum bedeutendsten Bildnismaler der Weltkunst und

    spricht in dieser Richtung seines Wesens auch noch zu uns klassi.sch Gebildeten vonheute berzeugend und technisch vollkommen. Sehen wir von Knstlern, die uns sonstbeschrnkt und fehlerhaft erscheinen, derartig einwandfreie Meisterbildnisse ich denke

    21

  • da etwa an Strioel , so mag uns immerhin auch solche berraschuno nachdenklich

    stimmen, ob nicht das von uns als Falschheit und Enge Emplundene gerade ein bewul^ter

    und konsequenter Kunsistil ist. Natrlich wird dem Altarbild durch sein Zerlegen ineinzelne Tatein Bedeutendes von seiner Grundidee, dem allen Tafeln gemeinsamen Sym-bolum genommen, gewisse Linien\erhltnisse. vor dem geschlossenen Altar einsetzend,und bis zum eigentlichen Schrein mit der Steigerung der Handlung konstruktiv tort-

    schwingend, gehen mit der Zerlegung verloren. Auch da das Altarbild fr die spat-gotische Kirche erdacht wurde und in deren Linienspiel einklang, macht die Tatein in

    unseren Museen so merkwrdig fremd. Jeder empfindende Besdiauer hat wohl das

    Gefhl. daf5 sie sich hier nicht wohl fhfen. mit diesen Rumen und diesen Wnden garnichts gemein haben. Whrend das frei entworfene italienische Gemlde davon ineiner ganz anderen Weise unabhngig ist. Es will eben den sthetischen Eindruck ansich, whrend das altdeutsche Altarbild zielstrebig war, nur die uere X'ermittelungseeliscfier Erregungen.

    Bei der historischen Behandlung einzelner Lokalschulen wird uns der groe histo-riscTie Faden mitunter scheinbar verloren gehen, das liegt im mehrfach errterten Wesender Sacfie und bringt \ielleieht eine hhere Tatschlidikeit als die rein zufllige zu Wege.

    Was im ersten Teil dieser Einfhrung gesagt wurde, darf mit mancher Einsc+irnkung imeinzefnen als ber die altdeutscfie Malerei so allgemein gesagt gelten w^ie sicfi die italie-

    nische Renaissancekunst affgemein charakterisieren fat. Die Lage der einzefnen Pro-

    vinzen ist fr ihre maferistbe Entwitf^efung natrficfi nicfit gfcidigftig. Man kann vonvornherein annehmen, cfa am Rhein eine weidierc, ideafere. freundfichere Auffassung

    herrscTien wird afs etwa in den Hansastdten des Nordens, dafr auch grere Wehr-fosigkeit gegenber fremden Einfl.sscn, da der Franke herber, der Schwabe breitergestatten mu. Die Eigenart der deutschen Stmme, audi fieute notfi unverndert, ver-

    feugnet sich nic-fil in ihrer Kunst. Eine weitere Frage ist dann, wie weit sie untereinander

    zusammenhngen oder etwa einem fremdvfkischen Einffu strker ausgesetzt sind alseinem stammverwandten.

    Afs im ersten Viertef des \origen Jahrhunderts die romantisJie Bewegung in cfei-

    fjieratur das Interesse fr die deutsche Vergangenheit wiecfer wecfde, kamen aucfi cfieNamen Drer. Hofbein

    .Cranacfi und andere neu zu Ansehen und Klang. Es war

    freificfi eine frisierte und parfmierte Vergangenheit, ein kokett treuherziges, minniges,singendes und khngendesAftdeutschfand, das eine ein wenig aft uncf unnatrfich gewordenesthetisc+ie Ridilung da afs echt darbot. Der deut.sdie Strom war der Rhein, die Ge-

    Ijrder Boisseree. wefdie sogar den aften Goethe wieder fr deutsche Kunst zu inter-essieren \ermochten. stammten \'on ihm. und nach dieser Anschauung besa die deutsdieIxunst zwei Zentren. I\fn und Nrnberg. Schfiefich wurde die rheinisch-westffisdie.Wdlerei immer entschiedener als die eigentlich deutsdieste empfunden, um den .Weister

    22

  • Wilhelm von Kln, einen historisch nicht sehr oeklrten Anreger, gruppierte sich mitdichterischer Sicherheit ein ganzer Mytenkreis, der ihn als groljen Dritten neben Drerund Holbein set3te, und der Domaltar zu Kln galt Jahrzehnten als das" altdeutscheMeisterwerk. Noch Heinrich Heine singt: Zu Kln, da steht ein Bildnis", und berallin seiner Prosa begegnen wir der klnischen Schule als der eigentlichen Reprsentantin

    der altdeutschen Malerei.

    Wir mssen mit solchen poetischen, aber unrichtigen Vorstellungen von vornhereinbrechen, um die Stellung der Klnischen, richtiger der Rheinisch-Westflischen Schule in

    der altdeutschen Kunst wirklich zu erfassen. Das Sc+iafifen des Meisters Wilhelm sei3tsehr frh, mit dem 15. Jahrhundert ein, die rheinisch-westflische Malerei erstreckt sichvon ihm aus ber das ganze Jahrhundert hinweg bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts.

    Der Meister des Bartholomusaltar ist ein Zeitgenosse von Grnewald und Drer, derWeseler Bartholomus Bruyn stirbt gar ber ein Jahrzehnt nach Hans Holbein, demIet3ten groljen Meister der altdeutschen Malerei. Die klnische Richtung verlangt in derGeschichte der altdeutschen Malerei ihre besondere Behandlung, bei allem, was an ihr

    spezitisch deutsch ist, hat sie nie einen bestimmenden Einflu ausgebt, noch einen solchenvon den anderen deutschen Provinzen her erlahren. Am nchsten den Niederlandengelegen, formt sie die Kunstgeschichte immer ausgesprochener der des Nachbarstaatesanalog, um schlielic+i in einem auf alle eigene EntwicH^elung verzichtenden Eklekticismus

    zu endigen.

    Dennoch reprsentiert sie in ihren Anfngen bis zu Lochner ganz zweifelsohne einbestimmtes Stc^^ der malerischen deutschen Entwic+^elung. Fruchtbarkeit und Schnheitdes Landes, frher lebhafter Handelsverkehr, damit eine grere Regsamkeit des Lebens

    und Flssigkeit der materiellen Mittel lassen in diesen Gegenden von vornherein alseinzigen in Deutschland die Malerei zum Ausdrucke eines ruhigen, stilltreudigen Opti-

    mismus, einer zum Italienischen neigenden Weltansc+\auung werden. Damit ist der auer-ordentliche, feine und leuchtende Reiz dieser Kunst charakterisiert, zugleidi aber auch derGrund lr ihre Abgeschlossenheit gegen die brigen deutschen Lande, wo alles nur imschwierigen Kampfe emporkommt. Das Grundprinzip der altdeutschen Kunst, dasArbeiten mit rein linearischen Werten innerhalb der Flche unter Ausscheidung derkrperlichen Werte und der Raumillusion, spricht sich auch in den rheinischen Werkenvon Anbeginn entscdiieden aus. Das Gemlde entwchst dem lieblich leuchtenden Gold-grnde als einer gegebenen ungestrten Einheit, die irgendwelche Raumwirkung aus-schliet. Der menschliche Krper ist nur der Trger des Gewandes, dessen Falten bewutauf das Antlit3 stylisiert werden. Aber die Gesichter verblffen uns vom Meister Wilhelmbis zu Lochner, sie wollen nmlich keineswegs Wirklichkeit, wie sonst berall in der alt-

    deutschen Kunst, sondern last wie die italienisc+ie harmonische Schnheit. Daher dasLiedhafte, das Lyrisc+ie ihrer Wirkung, die Malerei steht noc+i am Scheidewege vor der

    23

  • Frae. ob sie sich in der Richtung eines sthetischen Ideals, auf die Harmonie zu ent-

    wicHieln soll, oder aul den bewegten AusdrucS^ hin. Ganz zur Beantwortung dieser allein

    fr sie giltigen Frage ist die rheinisch-westflische Malerei nie gelangt, am enlsdieidenden

    Punkte nahmen die Niederlande die Fhrung in die Hand und macfiten sie unselbstndig.Die frhen Werke, um den Meister Wilhelm gruppiert, schlagen bereits das Leit-

    motiv der ganzen Schule an. Das mnnliche Element ist von geringer Bedeutung, die

    Anbetung gipfelt hnlich wie in Italien im Weiblichen, der Minne, der Frau. Der Krper,

    soweit man angesichtes dieser linearen Spradie vom Kcirper reden kann, ist zierlidi und

    gebrechlich. Die Hnde und Finger sind ungewhnlidi lang und schmal, die uerst ver-haltenen und sparsamen, intolgedessen etwas prezis wirkenden Bewegungen laulen in

    graden und steifen Linien aus. Eine ganz ausgesprochene Sinnentreudigkeit ist vor demAusbruch aufgefangen und zu einer lediglicfi andeutenden Ruhe gebracht. Aber eben

    im Antlitz fllt, am strksten bei Lochner. der Versuch aul. zu einer Art ideal durchzu-

    bredien, ohne Rtf

  • lndischen Vorbilder leidit nachweisen lassen. Die Farbe wird variabler und nicht mehr

    so unbedingt zufllig. In Lochner erscheint bei aller Neigung zum klnisdien Ideale diedeutsc+ie Monumentallinie den Lyrismus doch innerlich bereits besiegt zu haben und denWeg zu bezeichnen, in welchen die Entwickelung nunmehr einzubiegen hat.

    Da sie ihn nicht geht, veranlat der niederlndische Einflu. In Holland hatte sichinzwischen durch die Gebrder van Eyck ein neuer malerischer Realismus ausgebildetneben einer gefhlsmigen Stilisierung durch den Meister von Flemalle, dieses Neue

    dringt nun in die benachbarte klnische Malerei ein. Die Eycks predigten einen Realismus

    unter Ausschaltung des Gefhlslebens. Es sollte alles so wirklich, so naturgetreu wie

    mglich sein, das Bild eine malerische Abschritt des tatschlichen Lebens. Vielleicht

    wirken heute auf uns ihre Gemlde trotz ihrer glnzenden Technik in Zeichnung undFarbe darum ein wenig leer und tot mit ihrer gnzlichen Ausschaltung des Innenlebens.Denn die eigentliche Bildkomposition blieb dabei sehr im Argen, auf der Tatel drngtesich oft eine Flle im einzelnen meisterhafter Gestalten, die dennoch jede fr sich standen,gar keinen oder doch nur einen ganz uerlichen Zusammenhang unter einander hatten.Nimmt man eine Figur heraus, so hat man ein Wunderwerk vor sidi, betrachtet man dasGanze, so wird man nicht warm. Dieser groen Kunst fehlen die eigentlich urschlichen

    Werte, und sie gibt Unbertreffliches nur, wo das kleine Format bei einer Hutungtechnischer Qualitten keine Leere aut kommen lt, oder wo, wie beim Portrt, das Modelljust das fehlende Innenleben aus sich hergibt und so gerade den Realisten zu einemscharfsinnigsten Schildrer des Innenlebens macht. Die ganz anders gerichtete Kunst desMeislers von Flemalle baut in gegenstzlicher Betonnung auf dem Gefhlsleben auf undbenutzt die neu gewonnenen sinnlichen Erkenntnisse ohne welche sicher die Steigerungber Breughel zu Rembrandt unmglich gewesen wre als neue Ausdrud^smittel,gelangt aber damit zu einer Uberbrdung der Talel, die dekomponierend wiikt und beialler Groartigkeit zur Linienverzerrung fhrt. Es ist hier nicht zu sdiildern, wie sich von

    den Eycks aut der einen Seite jener der hollndisc+ien Seele geme Naturalismus ab-leitet, der ihre Kunst zu den grten Leistungen befhigen sollte, whrend andererseitsaus der Ehe zwischen Eyckschem Realismus und Gefhlsstilisierung des Meisters vonFlemalle der hollndische Manierismus mit seiner groartigen aber leeren Gebrden-sprache ber die Bouts und von der Weyden zu Mabuse und Skorel fhrt. Die rheinisch-westflischen Maler nach Loc+iner machen gelreu die ganze Entwicklung dieser manieriertenRichtung mit, um am Ende jede individuelle Selbstndigkeit ihr gegenber zu verlieren.Wir fhlen beim Meister des Marienfebens diesen Manierismus trotz allen deutschenEmpfindens emporgekommen. Entschieden ist die Wandlung bereits beim Meisler desBarlholomusallers. Das altdeutsche Liniengefhl ist ganz und gar aufgegeben, jedeFigur fr sich gesehen und gegeben ohne innerliche Beziehung zu den anderen, einknstlich geschaffener Hintergrund im Bilde selbst hebt wie eine Art Theatervorhang den

    25

  • rein reprsentali\en Charakter dieser Malerei her\or. Kein inneres Erlebnis wird mehr

    gestaltet, ein ungewhnlicher Geschmack in Zeichnung und Farbe schwelgt, ebenso reiz-

    voll wie steril, in Gewand und Nebenwerk, eigentlich ist alles nur eine \ortreffliche Kulisseoeworden. Das Bild will gar nichts mehr ausdrd^en und das genau zu der gleicbien

    Zeit, da Grnewald. Drer, Grien sc+iafFen! Bis zu welciier absoluten Lehre des Bildes

    diese Richtung fhrte, zeigen dann die Gebrder Dnweoge mit ihrer Hutuno \onpompsen Gesten oline innere Notw'endigkeit und ohne jeden Zusammenhang im Ge-mlde. Bis dann in dem heute vielfach sehr berschtzten Bruyn die rheinisch-west-fliscbe Malerei gnzlich authrt deutsche .Walcrci zu sein und zu einem minderwertigen

    Anhngsel der niederlndisc+ien Kunst wird. Man darf bei dieser verurteilenden Be-trachtung nicht auer .Acht lassen, da inzwischen gerade die niederlndische Kunst der

    altdeutsclien .V\alerei anderer Landstric+ie die wichtigste Frderung bedeutet hat, ja da

    der erste grodeutsc+ie Maler wirklichen Ranges. Konrad W']. ohne die Evc4(s und den

    Meister von Flemalle gar nicht denkbar ist!

    Wir haben un-^. um die klnische Malerei lr unsere weitere Betrachtung au.s-schalten zu kcWmen. \om f\inkte. wo sie ihre deutsche Tendenz autzugeben beginnt, ent-fernen mssen und kehren nun zu ihm zurc4

  • sollen. Das wird bei Moser deutlicher als bei dem Meister Francke, der noch lockererarbeitel, nicht immer der Neigung zur Typisierung entgeht und keineswegs bereits einenso testen BegrilT von der Komposition hat wie Moser. Weniger drngend spricht aberimmerhin inmitten der rein schematischen Gesten des Hamburgers doch schon deutlichder eigentmliche deutsche Formwille mit, vor allem in der Gewandstylisierung, und einestrkere, wenn auch vielfach noch recht gewaltsam verlegene Bewegung der Gestaltenwei um die Notwendigkeit, zu einer gesteigerten Ausdrucksweise zu gelangen.

    Diese gesteigerte Ausdrucksweise bricht bei dem in Ulm lebenden Hans Multscherin die deutsche Malerei mit der Macht eines langen gefesselten Elementes ein, das ge-waltsam die hemmenden Schranken gesprengt hat. Was ist das alles, Tradition, Ideal,kirciiliche Auttassung! Nur ebenso viele Fesseln, die bislang die Individualitt nieder-hielten. In Hans Multschers Malerei berschlgt sic+i das neu gefundene Selbstbewut-

    sein des deutschen Menschen, es ist trunken von Icherkenntnis, berscfireil sich, tobt, hat

    die ganze Gewaltsamkeit eines befreiten Sklaven. Von einer Kunstform im hheren Sinneist gar nicht die Rede, die Farbe wird ganz gleichgltig genommen, ist hlich, monoton,trbe. In die Kunst tritt plt3lich ein derb und roh zulassender Plebejer ein, der sich inleidenschaftlich erregter Hlichkeit gar nicht genug tun kann, vom Leben vor allem seineGemeinheiten sieht. Aber das Groartige ist nun, da er diesen Gemeinheiten ein Reditin der Malerei schafft. Entsteht durch sie und nur durch sie keine groe Kunst, so istdoch mit einem Schlage die altdeutsche Malerei von ihren letzten Befangenheiten frei

    geworden und fest auf ihre eigenen Fe gestellt. Besitzt Multsc4ier keine groe Fantasie,kehren seine wenigen charakteristischen Gesichtsausdrcke und Gesten auch ermdendimmer und immer wieder, so sind sie doch berhaupt vorhanden. Was der altdeutschenMalerei ihren Charakter gibt.das persnliche innere Erlebnis, ist hier, wenn immer mit grobenFusten, angepackt und gestallet. Christus ist wirklich ein Verlolgter, und die Menschen,die ihn verlolgen, tun das mit der schadenfrohen Leidensdiaft, welche in solchen Fllendes wirklic+ien Lebens die gewhnliclie ist. Sie sehen aus. wie gemeines Volk aussieht,nie kommt es Multscher in den Sinn, aus seinen Bauern und I\.riegern etwas anderes zumacdien als Bauern und Krieger. Es ist kein reidier, aber ein starker Geist, der sichhier in einer kargen, aber ehrlichen und krftigen Kunst uert.

    Das gestattet ihn im Zusammenhange mit Konrad Wit3 zu nennen, dem erstengroen, viel zu wenig bekannten Meister der altdeutschen Malerei. In Wit^ tritt zu demNaturalismus Multschers ein ec+it knstlerisch bewuter Formwille. In der persnlichenVeranlagung haben beide Maler viel Gemeinsamkeit, ihr Verhltnis zueinander aber ist dasder Kultur zur Barbarei. Der Vater von Wit3 war malerisch am burgundischen Hofetatig. stand also in direkten Beziehungen zu der groen niederlndischen Kunst, derenRealismus somit durch die vterliche Vermittelung der Lehrer Konrads wurde. Nie aberdenkt der Schweizer wie etwa die Rheinlnder daran, ein Epigone der Niederlnder zu

    27

  • werden. Er isl ausyesprochen deutsch, gleich Multschcr ohne sonderhche seelische Fein-

    heit und Bildung, aber als der grere Knstler von vornherein aut die Gestallung ge-richtet. So wird seine Kunst nicht nur zu einem flammenden Protest des Lebens gegendie erstarrte Form, sondern sie findet zugleich auch diesem Leben die neue Form. Die

    Flle der anstrmenden Kraft berflutet niciil regellos das Gemlde, sie unterwirft sic+ihheren Gesetzen und wirkt so nur um so strker durcli die Gewalt der Konzentration.Die lineare Sprache mit ihrer aufwrts strebenden Kraft ist im vollen Besitze des Malers,

    an die Stelle sich gegenseitig zerstrender Gesten treten wenige, aber um so leidenschaft-

    lichere, bewut auf ein Ziel gerichtet. Die Bewegung ist reiner .Ausdruck geworden. DieLandschaft wurde zur wirklichen Landschaft, die Architektur zur wirklichen Architektur. DieKunst desWit? kennt keine Kulissen mehr. Sie arbeitet mit Licht und Schatten, mit absolutrichtigen ber.schneidungen, ja mitunter taucht sogar ganz berraschend ein X'erstndnis

    fr Raumillusion, fr Perspektive spielerisch neben ihr aut, A\il alledem geht ihr das

    letzte Scfipferische ab. aus einer innerlichen Gre und Tide stieg sie nicht empor,Trot3 des blendenden Glanzes ihrer Farbengebung.

    .Alles in allem aber ist \\'it3 der erste rein nordiscfie .Weister groen Stiles in der

    .Walerei, seine tundamentale Bedeutuno und sein .Anredit auf Lhisterblichkeit liegen hierin.

    Ein Mann, dessen W'irklichkeitssinn zum ersten ,\\ale in einer kulissenhalt wirtschaltenden

    Zeit die Landschaft in Petri Fischzug als ein getreues Abbild einer wirklich ge-

    schauten gibt, der nie, auch nicht der hchsten Wirkung zu Liebe, eine bedeutungslose,sinnlose, rein phrascnhatte Geste zulassen wrde, kommt doc+i niemals auch nur in dieVersuchung, der menschliclie Krper als solciicr knne irgendweldie Bedeutung haben,

    seine statischen Probleme, die Ausdruclvsrhythmen seines Gliederspiels knnten die

    Grundlagen fr eine knstlerisc+ie Gestaltung lielcrn! In Wit3 zeigt der deutsclie Geist

    deutliclT. da er gar nidit jemals scliwankend an einem Scheidewege stand, da die Eigen-art seines knstlerisclicn .Ausdruckes weder Besciirnktheit noch Unvermgen, sondern

    ein \on .Anbeginn sicher fortschreitender und selbstgewisser Kunstwille war. Die Wahr-heit der Landschalt und des menschlidien .Antlitzes ist nicht wahr, weil sie der Natur nach-

    eilert. sondern sie ist konstruktiv wahr, sie ist wahr als .Ausdruck, als knsilerist+ie \\ irk-

    lichkeil. Die Flle der Gestallen, welche in den Werken der trberen Meister und dann

    \or allem bei Mullsdier die Tafel schier zersprengte, ist wieder weise aut wenige Haupt-

    handelnde reduziert, die sicli nicht erdrc4;en. sondern klug verteilt die ganze Tafel aut

    den Punkt des hcxfisten Ausdruc-kes hinthren. So ist es etwa im gekreuzigten Christusdes Berliner Museums lehrreich zu beobachten, wie in der knieenden Figur der linken

    Ecke die Linie vom Gewnde durch die Hnde nach reclits in die Figuren des Hinter-grundes und durch diese bis zum Kruzilixe lortsdiwingt. whrend dieser leidensc^^aft-

    lichen Linienlhruno rechts nur eine flchige, rein in sich bewegte Figur und die Land-

    schaft gegenber gesetzt sind, so da jede Zerstreuung des Gesamteindrucf^s. jede Stc)rung

    2

  • der zentralen Einheit von vornherein ausgeschlossen ist. Solcher hchsten Weisheit sind

    alle Gemlde des Wit^ voll, der erregte Ausdruck des Gefhls wird durch eine reinmathematische Konstruktivitt zur hchsten Intensivitt gesteigert. Es ist einfach die Kunst

    der groen deutschen Meister, und das, worin Wi^ etwa Drer unterlegen ist, ist diegeringere Tiefe und Weite einer Seele, seine grl^ere geistige Unbedeutendheit. Sein alt-testamentarischer Priester und Drers Apostel sind aber nahe Verwandte und dabei dochan geistiger und Charaktergre so verschieden, wie das eben die nchsten Verwandten

    sein knnen.

    Wir befinden uns in den Jahrzehnten, da in Deutschland nach den langen Zeitender Lebensverneinung sich eine immer strkere Lebensbejahung vernehmen lt. EineAnzahl blhender Handelszentren hat in das vorher so arme Land einen wachsendenWohlstand gebracht, mit dem Vermgen, sie zu belriedigen, sind tausend neue Bedrf-nisse entstanden. Aus dem Handwerker entwickelte sich deutlich und deutlicher derstdtische Brger, dessen Vermgen neben dem Adel des Rittertums eine ganz besondere,nicht minder mchtige Erblichkeit darstellt. Man beginnt Tafelfreuden und Lustbarkeitenzu schtzen, Freude an schnen Rumen und schnem Gert zu haben, aus den fremdenLndern, mit denen man in Handelsverbindung trat, kostbare Stoffe und allen mglichenLuxus zu importieren. Schon in der Vorliebe des Wit} fr kostbare Stoffe klang dieneue deutsche Prunkliebe deutlich an. Die Freude am Gert, an den Kleinigkeiten des

    tglichen Lebens, die geradezu fanatische Vorliebe fr diese Kleinigkeiten wird immeroffener zu einem charakteristischen Bestandteile der altdeutschen Malerei. Der jetzt

    ganz Deutschland allgemein beherrschende Einflu der so wesensverwandten nieder-

    lndischen Malerei tritt hinzu. Die Werksttten der einzelnen reichsstdtischen Malerhaben eine gewaltig wachsende Flle von Arbeit zu bewltigen, sie arbeiten mit einerimmer greren Schlerzahl, so da heutigen Tages zwischen dem eigentlichen Meister-bild und dem Werkstattbild olt die Unterscheidung nicht leicht ist. Die groe Zahl derBesteller aber ist rein brgerlich, hat wie der Maler selbst rein brgerliche Anschauungenund Wnsche, und wenn auch das Protanbild noch ganz vereinzelt aultritt, so sind dochdiese gestifteten Altre bis zu einem gewissen Grade Profanbilder, indem sie das brger-liche Leben der Zeit in seiner Devotion des christlichen Gedankens darstellen mssen.Dieses brgerliche, dem Christentum huldigende Leben in seiner realen Wirklichkeit zugeben, steht als wesentliche Aufgabe vor den auf Witj folgenden Malern.

    Sie werden ihr nach bestem Vermgen und mit berzeugender Sachlichkeit gerecht,aber die groe konstruktive Betonung beginnt nebenschlichen Details und einerschildnerischen Nchternheit Plat3 zu machen. Auch das alles war notwendig, ein unber-sehbarer Reichtum des Gegenstndlichen wurde so gewonnen, aus dem die neueretiefere und umfassende Monumentalitt erstehen sollte. Herlin in Nrdlingen, Schchlinin Tiefenbronn, Zeitblom in Ulm, Strigel in Memmingen, Pleydenwurf und Wolgemut in

    29

  • Nrnbero, um nur einige aus einer sich drnoenden Flle von Namen zu nennen, sindsolche knstlerische Reprsentanten einer Zwischenepoche, einer bergangszeit. die nochnicht den Bau selbst zu vollenden, sondern erst die Steine fr ihn zusammenzutragen

    hat. Originale Frische weisen diese Meister, wenn wir Strigel ausnehmen, wohl nirgends

    aut. ihre Ausdrucksmittel, soweit es sich um eine Erweiterung der berkommenen handelt,gehen aut Rogier von der Weyden zurck. Laf^t sich damit Ireilich eine gewisse Be-reicherung des Formalen durch sie nicht leugnen, so liegt doch nicht hier ihr Haupt-gewicht, sondern darin, dab sie die letzte Fremdheit den heiligen Temen gegenber, denletzten Dualismus zwischen dem StoB und den handelnden Personen berwinden, undjene groe Intimitt zwischen dem Gttlichen und dem Menschlichen li.xieren, die derdeutschen Malerei aul ihrer Hhe die seelische Wrme gibt. Das BewulMscin. das christ-liche Erlebnis auch in der Schale des alttglichen Ereignisses als slk'n Kern nunmehrzu besitzen, macht die altdeutsche Kunst freier in der Behandlung ihres StotTes und durch-dringt die Starre ihrer Formen mit der Glut wenn auch immerhin bescheidenen Erlebens.

    Dabei zeigt sich deutlich, wie che mathematisch konsirukti\e .Wanier des Wit?. welchebei dem Meister nur die gebundene Form tr eine ueniiik' Glut war. bei diesen Malernin eine rgerlich nostliche V'ernnttelei ausartet. Der grlielnde deutsche Verstandlastet erdrckend aul der Intuition.

    Alles im Liemlde wird berechnet und auskiilkulieit. die ErHndung. das impeluosewerden als peinlich emplunden und ausgeschaltet. Kunstwerk wird mit einem Male zumVerstande.swerk. bocken, hirchtbar trocken hngen die Taleln nebeneinander, aut denenman ordentlich noch den Zirkel hantieren sieht, und berbieten sich in fantasieloserNchternheit.

    Das gilt vor tillem \-on den drei Ncirdlingern. Herlin. Schchlin und Zeitblom, vondenen Zeiti:)lom llerlins Schler und Schc hlins Schwieoersohn wai". Eine reife Durch-komposition des Bildes, die diesem eine dramatische Steic^erung und damit die Formtr einen positiven Gehalt gecgeben htte, wird nirgends auch nur angestrebt, sie liegt

    aulk'rhalb der Kratt der Ncirdlinger. ihre .Aufgabe ist. die W'irkliclikeit tr das Gemldeeinzufangen und in der Bildlorm ohne hhere Idee zunchst einmal den Zulall auszu-schalten.

    Mag man vor den .Arbeiten Friedrich Herlins besondereGelhlserregungen auch nichterfahren, so wird man sich doch der anstndigen und sauberen .Arl)eit treuen, der Reinlichkeitin den Verhltnissen, der Przision, mit der ein Zimmer oanz im Geiste einer ordentlichenHausfrau eingerichtet ist. Ja, sogar der Tisch wird mit cben.so viel Naturtreue wie

    Mathematik cjedecki, damit nur auch jedes Brtchen seinen errechneten Plat} habe. Dasgleiche il^t sich von Schchlin sagen, cfer wiederum mehr Sinn tr den Prunk einergesteigerten Lebensfhrung hat als der schlichte Herlin. Man freut sich berall an demehrlichen Wohlbehagen, mit dem Gerte und Stoffe breit und behaglich gegeben werden,

    30

  • es is( eben eine Zeit des wachsenden Lebensbehagens, wie solche der schaffenden Fantasieeines Volkes nie sehr gnstig ist. Die Steigerung, welche unter niederlndischem Einflu

    diese mathematische Nchternheit in der betonten eckigen Hlichkeit der berlangen

    Gestalten Zeitbloms erfhrt, ist heute fr uns nur noch historisch bedeutungsvoll: sie

    zeigt, da der Wille zur Monumentalitt selbst in jener Epoche lebt, wenn er auch ohneKraft ist.

    ober die drei Nrdlmger hinaus in das Gebiet schpferischer Kunst reicht aber derihnen in den formalen Tendenzen gleiche Bernhard Strigel dadurch, da bei ihm tat-schlich die let3te Schranke zwischen Christentum und Alltag bricht, das ChristentumAlltag und damit die Stimmung geschaffen wird, aus der dann die Drersche Welt ent-steht. Die gemtvolle Intimitt seiner Sippenbilder kann auch durch die Nchternheit derKonstruktion nicht mehr beeintrchtigt werden, er ist ein Charakteristiker groen Stilsmit recht starken malerischen Qualitten und so eigentlich verdammt, in einem bergangs-zeitalter nie zum vollen, erschpfenden Ausdrucke seiner keineswegs unbedeutenden Persn-lichkeit zu gelangen. Man braucht blo mit seinen Werken die des vielbesc4iftigtenNrnberger Meisters Mic+iel Wolgemut zu vergleichen, um das vollkommene Durch-dringen von Religion und Alltagleben miteinander in Strigels Schaffen nach Gebhr zubewundern. In der biederen aber beschrnkten Arbeit Wolgemuts ist die Wirklichkeitvon der ngstlichen Schwere der Konstruktion noch ganz zu Tode gedrckt, die Gestaltensind hlzern und gewaltsam verrenkt, die Landschaft ist monoton und gleichgltig, demWillen zum linearen Ausdruc^< steht keine ebenbrtige Kraft des Erlebnisses zur Seite. Wieimmer, wenn die Absicht in der Kunst gar zu deutlich bemerkbar wird, ist der Beschauerverstimmt. Erst recht spt gewinnen des fleiigen Nrnbergers Bilder an innerem Lebenund farbiger Brillanz. Da ist es wohl der Hauch vom Sden her, der selbst in dietrockene Atelierlutt Wolgemuts etwas Bewegung trgt. Der Nrnberger Hans Pleyden-wurl kommt dem Wesen Strigels schon bedeutend nher, er bildet zu dessen etwas aus-gesprochen derb volkstmlicher Art mit seinen feineren Gesichtern und seinen prunk-vollen Stoffen eine Art aristokratische Ergnzung. In jedem Falle sehen wir sich lang-sam die Vorbedingungen erfllen, aus denen ein Drer entsteht. Aus der Schule Wol-gemuts, in die er kam, bringt Drer das Schematische mit, die Linienkonstruktivitt, anStrigel knpft er zweifellos in der Selbstverstndlichkeit an, mit der bei ihm das religiseProblem zu einem zeitgenssischen tglichen Erleben wurde. Von den zahlreichenzwischen Witz und ihm liegenden kleinen Meistern ist die Flle der Formen gebildetworden, deren er sich nun als eines ererbten Gutes frei bedienen kann. Und nur zudem einen und grten der Vorgnger scheint er nur geringe Beziehungen zu haben, zuWi^ selbst.

    Es kommt aber noch etwas hinzu, da erst all diese Vorarbeit in ihm zur Monu-mentalitt zu steigern vermag: Das Werk Michael Pachers. Dieser Tiroler, der ganz

    31

  • Fr sich, ohne sichtbaren Zusammenhano mit der anderen zeitgenssischen Kunst, jen-seits des Brenners schafft, lst als Erster, wohl unter dem Einflue der oberitalienischenKunst aber auf ganz anderen Wegen als sie, das Problem der einheitlichen Monumen-talitt im deutschen Gemlde. Er wird so gewissermalkn tr sie dasselbe was der erste

    deutsche Gotiker tr die Architektur wurde. Sein kluges und scharfes, von keinerlei

    Romantik beirrtes Auoe hat richtig gesehen, da die altdeutschen Gemlde bisher ziem-lich un\ermittelt in zwei Teile auseinandertielen. in das Milieu und die Handlung, und

    dal3 aus diesem Dualismus keine hhere Einheit sich gestalten wollte. .Wit nichts ber-sehender konstruktiver Gewalt behandelt nun Pacher Architektur und in ihr bewegte

    Menschen als ein unter ganz dem gleichen Geset3e stehendes Eines, die konstruktiveLinie offenbart sich im Einen genau wie im Anderen, sie ist das Eigentliche, alles

    erst ber das rein Zutallige Hinaushebende. Es kommt Pacher nicht wie dem ihnanregenden Manlegna darauf an, die statischen Probleme des menschlichen Krpers inmglichst sinnflliger Art aulzuhellen und das im Zusammenhange mit den Raumtragen,Vergleichen, idealisieren konnten seinem rein deutschen Formenwillen niemals vorschweben.

    Der sah vielmehr hier die Mittel zur Iel3ten und strksten Eindruckssteigerung, die sach-

    lichen Verhltnisse der .Architektur wie des Krpers waren ihm vollkommen gleichgltig,

    ja direkt im Widerspruche zu ihnen wird im Altar der Sankt Wolfgangkirche alles nurtechnische, in starken, brutal zielsicheren Linien aut das Erlebnis selbst hinweisende

    .Arbeit. Es ist ein Multiplizieren von Linien um der letzten die ganze Spannung zusammen-

    tassenden Linie willen. Ein streng geset3miges, in .seiner Leidenschaft doch starres

    System von berschneidungen wird ganz abseits von aller Natrlichkeit, ja in vollendeterRcksichtslosigkeit ihr gegenber geschaffen und erzeugt eine bis dahin unerhcirle Hettig-

    keit und .Ausdrucksgewalt der Bildbewegung. Es ist der Stil, von dem Drer ausgeht,und dem im Grunde auch schlielich seine Apostelbildcr trol^ aller anderen .Wittel ihremonumentale Wirkung vor allem verdanken.

    In Pac4iers Werk begegnen wir bereits, treilicli vcillig umgebogen und in das Gegen-teil seiner eigentlidien .Absichten verwandelt, dem italienisdien Einilu. Solt+icr Einiludringt im Gefolge der Priester und Kaufleute ber die Alpen, der klassische Geist be-

    dient sich dieser im Mittelalter wichitigsten Trger und Verbreiter der Bildung, um seinen

    Sieg ber den nordiscfien Geist vorzubereiten. Den reidi gewordenen Deutschen friert

    in der abstrakten Primitivitt ihres heimischen Daseins, italienisdie Baumeister und Maler

    werden herbeigerufen, es mit der sdlidien Sinnenglut erwrmen zu hellen. Die Ireiere

    religise Auffassung Italiens, .so unheilig scHin mit dem wild erwachten Heidentum ver-mischt, gelangt durdi die Literatur nach Deutschland und erschttert immer strker zwarnicht die ganz innerlicii verwurzelte Religiositt, wohl aber die rein demokratisc^^e .Auf-

    fassung des Christentums. Eine Erhhung des menschlichen Selbstgelhls ist die natur-geme Reaktion hieraul. man sieht sich selbst mit ganz anderen Augen an, erblic^^t nidit

    32

  • mehr im Gott ausschliet^lich den Menschen, sondern nunmehr auch sehr intensiv im

    Mensdien den Gott. Damit ist der Augenblick gekommen, wo sich die allgemeine Kulturund die spezifisch deutsche mischen und das humanistische mit klassischer Bildung durch-

    trnkte Zeitalter erzeugen.

    Ein Sohn dieses Zeitalters, ein im Kern durdiaus deutsch-nationaler Sohn ist AlbrechtDrer, und er reprsentiert darum die tragische Katastrophe der altdeutschen Malereiso vollkommen, weil in ihm der Streit zwischen dem alten deutschen Formgefhl und derneuen klassischen Bildung knstlerisch zum Ausdruck kommt. Es ist in den Iet3ten hundert

    Jahren ber keinen deutsciien Maler so viel geschrieben worden wie ber Drer, hier

    kann es sich daher nur darum handeln, seine Stellung in der deutschen Kunstgeschichtekurz festzulegen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er noch lange der uns liebste und

    vertrauteste unserer Vorfahren sein, eben weil wir in Wahrheit selbst mit einem

    strkeren berwiegen des klassischen Ideals noch im Kampfe zwischen dem klas-sischen Ideal und dem nordischen stehen. Wir sehen in ihm daher unwillkrlich unserenAhn, empfinden ihm gegenber wrmer als dem unvergleich greren Grnewald gegen-ber, der diesen unseren Kampf nie gekannt hat, sondern der schlichtweg vollendeteAusdruck des deutschen Geistes ist wie etwa Phidias der des Griechischen. Solche

    let3te Vollendung erschrecket aber und lt lange kalt wie ein Gtterbild; um dem Grf^tenund Let3ten nahezukommen, dazu gehrt auch in der Kunst ein religises Gefhl.

    Mit der Absicht sind in den vorhergehenden Blttern hufig die Quellen betontworden, die den Strom Albrecht Drer speisten. Ein knstlerisches Genie von aller-

    erstem Range fand eine fr die hchsten Aufgaben befhigte bis in die legten Feinheitenentwickelte lineare Technik vor, er fand das Leben bereits nach allen Seiten fr die bild-

    nerische Darstellung gewonnen und umgebildet, den Kampf zwischen Leben und Kunstentschieden, ihm aber war die let3te und hchste Aufgabe vorbehalten, das alles einheit-lich zusammenfassen und zu einem AusdrucHte seiner berlegenen Persnlichkeit zumachen. Drer ist sich dessen wohl bewut. Will er die typische Gestaltung ganz aus

    seiner Zeit gewinnen, so ist ihm der einzige technische Weg hierzu die konstruktive Linie.Licht und Schatten bedeuten dem jungen Drer nichts, die Farbe bleibt auch noch inseinen unter italienischem Einflu stehenden Sptwerken hart und trodeen. Er will nie-mals etwas anderes als die hchste zusammenfassende Kraft des AusdrucSes bei derdenkbar grten sachlichen Vollendung im Einzelnen, sein knstlerisches Vermgenkennt gar keine andere Darstellungsmglichkeit als die Linie, und sein Klassizismusbesteht eben nur darin, da er ihm aus der italienischen Kunst gewordene Erkenntnissein die deutsche Formensprache zu bertragen und zu deren Erweiterung auszubauenbestrebt ist. In der Tat ist in Drers Werk Deutschland so umfassend lckenlos wie imWerke keines anderen Mannes. Das groe ethische Pathos und die Lieblichkeiten, dieGemtlichkeiten des alltglichen Lebens wohnten in der Seele dieses Knstlers ein-

    3 33

  • irchlig nebeneinander und durchdrangen sich in einem ebenmigen Ausdrucke. Mansehe seine Zeichnungen an, wie da die Linie und nur die Linie in einer wundervollstenWeise das Einfachste wie das Tiefste gleich vollkommen ausdrckt. Es gibt eine altedumme Frage, die meint, was wohl aus Drer alles geworden wre, wenn seine Wiegein Italien gestanden htte. Eine unverstndliche Frage gegenber der Wahrheit, daseine Gre ganz in seinem Deutschtum grndet, man braucht neben seinen W^erkenetwa blo die des ungewhnlich malerisch intensiven Hans Burgkmair aus Augsburg zusehen, in denen mit herrlicher, dem Drerschen Malen unendlich berlegener Farben-pracht bereits ganz das italienische Ideal, die Schnheit" erstrebt und gepredigt wird,um die tiefe deutsche Gre Drers voll zu lieben.

    Um so tragischer wirkt dann seine Stellung am Scheidewege der deutsdien Kunst,den Blic-k bereits auf Italien gewendet. Die ganzen Nachfahren folgten diesem Blicke,und so hat Drer, als er mit den Erkenntnissen des italienischen die deutsche Kunstbereichern und erweitern wollte, in Wahrheit die Katastrophe herbeigefhrt und be-schleunigt. Denn der in Italien lrstiich aufgenommene Drer entdeckt angesichts deritalienischen Kunst die Falsdiheit im deutsc+ien Gemlde". Er erkennt, da der deutschenMalerei der Raumbegriff fehlt, das perspektivische Sehen, und sucht es mit linearenMitteln fr sie zu gewinnen. Er entdeckt den BegrifiF der Schnheit", der Harmonie"und damit kommt in sein Schlaffen etwas, das es immerhin zu seinen hchsten Leistungenerst befhigen mag, aber doch zugleidi das eigentlich Deutsche in der Kunst zerstrendangreift, die testen Grundlagen, auf denen sich bislang die deutsche Kunst autl^aute, insSchwanken bringt und mit seinem Ende ein Gefhl der llnsidierheit hinter sich lt,weldies sich blindlings hilflos in die Arme der Renaissance flchtet und damit den wesent-lichen inneren Halt verliert. Drer ist der Hauptsc4iuldige daran, da die malerisc+ieTechnik seinen Nachfolgern nicht mehr der AusdrucS^ des inneren Erlebnisses sondernrein uerliche Arbeitsmethode wird, an der die Freude ins Spielerische und in die Manierausartet. Um blo ein Werk zu nennen, kann man diese Gefahr gegenber .seinemSelbstbildnis von 1506 unmglich verkennen, wo noch immer mit den Mitteln einertypisch deutschen Konstruktivitt durchaus im italienischen Sinne ein

    ,.Ideal " angestrebt

    wird, ein Streben, das in .Adam und Eva" von 1507, der Gewinnung des nackten Krpersfr die deutsche Kunst, bereits bis dicht an die Grenze der rein technischen Wertung geht.Schon in seinen oft so bedeutenden Schlern ist kein berwltigendes Gefhl des eigent-lich deutschen Formwillens mehr lebendig, die Linie ist kein Ausdruckswert mehr, sondernreines Mittel der Technik. Damit schwindet der Ausdruck, die innerliche Belebtheit,schon in Hans von Culmbachs Bildern hat der erzhlende Inhalt olt mit den Mittelnseiner Darstellung gar nichts mehr gemein. Technische Probleme der italienischenRenaissance, etwa ein von Engeln emporgetragener Krper werden mit erstaun-lichem Knnen gelst, man fhlt ordentlich, wie solches Problem den Knstlern wichtiger

    34

  • wird als der Ausdruck. Der deutsche Stillrieb, immer nebenherlaufend, wendet sich je^tins Tedinische und droht von dorther den eigentlichen Sinn der altdeutschen Malerei

    zu verdrngen.

    Doch ehe es so weit kommt, spielt sich erst die zweite und groartigere Tragdieder altdeutschen Kunst ab, die Tragdie Grnewald. Zur selben Zeit, da vor aller Augender reprsentative deutsche Knstler, Drer, dem sdlichen Formenwillen unterliegt, ge-langt, abseits und fast gnzlich unbeachtet, ohne breitere Wirkung in jedem Falle, dernordische Formenwille zur hchsten Vollendung seines Ausdrucks. Es ist tragisch, dadiese beiden Ereignisse so zusammenfallen muten und persnlich tragisch fr MatthiasGrnewald, den grten deutsdien Maler, selbst, der ein verbittertes, wenig beachtetesWanderleben fhrt und in seinen Tod nur die Gewiheit mit hinbernehmen kann, dasein Schaffen ohne Nachklang bleibt.

    Matthias Grnewald gehrt zu jenen Wundern, welche die Kunst eines Volkes aufihrer Hhe in immer nur einem Exemplar hervorbringt, und fast immer ohne Schler undFolge lt, gleichsam als ob sie sich in ihnen erschpft habe. Er steigt keineswegs etwaunvermittelt aus dem Nichts, die Quellen seines Schaffens liegen vor allem rckwrts indem vergessenen Meister Konrad Witz, von dem er kompositionell und sogar fr dieFarbe vieles lernte. Pachers einheitliche Behandlung von Mensch und Architektur wirktbestimmend auf seinen Monumentalstil, und schlielich hat nicht zum wenigsten Drer

    selbst, in dessen Werkstatt er gemeinsam mit Hans von Culmbach und Baidung Grienarbeitete, seine Anschauungen des tglichen Daseins formen helfen. Aber es gibt keinengreren Gegensatz als Grnewald und Drer bei aller Gemeinsamkeit ihrer Basis.

    Steht man vor dem Isenheimer Altar, dem Hauptwerke der altdeutschen Malereiund einem ganz unvergleichbaren Werke berhaupt, so fhlt man zunchst nur eine ber-wltigende Flle von Kraft und Leidenschaft, ein ins berlebensgroe gesteigertes Chaosunserer innersten Gefhle geradezu zermalmend auf sich einstrmen. Erst langsam ge-

    winnt man jene Selbstbeherrschung wieder, die sich ber die Grnde eines einzigartigenEindrud^s Rechenschaft abzulegen vermag. Dann beginnt das zweite, tiefere Erstaunen:

    diesem Altdeutschen gebiert sich als Einzigem das malerische Erleben ganz aus der Farbe!

    Er arbeitet mit einem Helldunkel wie Rembrandt schon seine Zeichnungen ergebenda im Vergleidi einen interessanten Kontrast zu Drer , er hat den Farbenfuror aller

    groen Maler, ihre Leidenschaft fr Rot. Lidit und Schatten spielen bei ihm eine ganz

    gewaltige Rolle, denn er wei, da sie es sind, die eigentlich den Ausdruck der Land-

    schaft, des Menschen, die erscheinende Seele einer Handlung formen. Alles, was in deraltdeutschen Kunst irgendwie Enge genannt werden kann, ist mit einem Schlage wie durch

    Zauber verschwunden. Der Mensch ist ganz krperlich, richtig gesehen in allem Statischen,aber auch in allen Vernderungen desselben. Die Landschaft rauscht und bebt und

    schlgt sich wirklich wie ein Mantel um die in ihr Handelnden, die Architektur gewinnt

    3- 35

  • festen Boden. Jetzt erst kommt in der altdeutschen Malerei das eigentliche Malerische

    zu seinem vollen Recht.

    Man hat von Grunewald als von einem Schwrmer und Fanatiker gesprochen undseiner inneren Haltlosigkeit" gegenber die ruhige Gemessenheit Drers ausgespielt.

    Nur ein vlliges Verkennen des eigentlich deutschen Formenwillens vermag die hohe

    Ordnung in Grnewald zu verkennen. Das Wunder, welches hier geschah, indem daskonkreteste, sinnlichste Kunslmittel, die Farbe, tatschlidi zur letzten Vollendung des ab-

    strakten Ausdrucks gezwungen wurde, steht in der Kunstgeschichte einzig da und bietet

    keine Handhabe zu irgend welchen unpassenden Vergleichen. Die Taleln stehen, wie nurje ein altdeutsches Gemlde, unter dem strengen Geset3 der Linien, die man berallsdiwingen thlt, deren Kurven die Handlung sicher umschreiben und bestimmen. Ein

    konstruktiver Verstand im Dienste einer leidensc+iaftlic+icn Genialitt ersten Ranges steigert

    die unsinnliche, die bersinnliche Wirkung. Gerade durch die Sinnlichkeit der Farbe ins

    schier Grenzenlose, wobei auch nicht zu vergessen ist. da diese Farbengewalt nicht im

    Dienste eines idealisierenden Willens steht, sondern eines rcksichtslosen Naturalismus,

    dessen echt nordisc+ier Wirklichkeitssinn keinen Halt und keine Grenze kennt. Eine

    eigentlic+i nordische, von der italienischen grundst3lich verschiedene Kunst der Malerei

    war vollendet, aber diese Vollendung fiel in eine Zeit, fr die sie von keinem Nutzen

    mehr zu sein vermodile. Whrend Grnewald seine Jahre als Hofmaler von Mainzdurc4iaus abseits besciilielit. ist ringsum schon der Sieg der italienischen .Walerei ent-

    schieden, von der er selbst nie den geringsten Einflu erfuhr, obgleich er Sandrart

    konnte in Rom ein Bild als von ihm stammend feststellen in dem Lande des Klassi-zismus gereist sein drfte.

    Die Lage der Zeit verrt sich deutlidi in dem einzigen Maler, den man einen SciilerGrnewalds nennen knnte, in Hans Baidung Grien. Von Straburg gebrtig, malte er

    gleichzeitig mit Grnewald in Drers Werkstatt, und man stellt sich gerne vor, da hier

    ihre ersten Beziehungen zueinander entstanden sein mgen. Aber erst der Isenheimer

    .Altar bte solche Gewalt aul Grien aus, da er sich im Wesen wandelte und sidi in

    seinem Freiburger Hochaltar ganz offen als unbedingter Anhnger der neuen Malerei

    enthllte. Auch der ltere Holbein hatte den Isenheimer Altar gesehen, ohne da hiervon

    brigens in seinem Werke irgendwelche Spuren zu verlolgen wren. Grien aber, der inseinen Frhwerken ganz und gar von Drer abhngig erscheint, ist malerisches Ingenium

    genug, der neuen farbigen Monumentalitt zu unterliegen. Seine Sc+ipfungen sind in

    der Freiheit der krperlichen Autfassung, in der Selbstndigkeit und Sicherheit, mit der

    sie selbst dem Problem des Nackten nachgehen, in der Gre und den richtigen Ver-hltnissen der Gesten wie in der Kraft der Koloristik der Drersdiule unendlich ber-

    legen. Er besitjt die echt deutsdie Neigung zur Konzentralion der Gcfhlsrcihe in einemmonumental gesdiauten Symbol. Aber dieses Symbol regt sidi bei ihm nicfit wie bei

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  • Grnewald aus einer innerlichen Leidenschatt der stark gespannten Seele, sondern mehr

    aus einer verstandesmigen Grbelei, welche in allen Dingen die vernnftige Essenzsucht. Selbst noch so innerlich starke Werke, wie die beiden Frauen mit den Toden imBasler Museum, zeigen schon dieses berwiegen des Denkens ber das impulsive Fhlenund weisen so geradezu als direkte Ahnen auf Hans Holbein hin. Es liegt in der Naturdieses SdiafiPens, da Grien sehr bald die intensive Fhlung mit den Zielen einer starkenZeit verliert, in den allgemeinen Klassizismus ausluft und schlielich nur noch gro-gedachte, aber ganz leer gewordene Gesten in hlich verschwommenen Farben zu gebenvermag. Vielleicht knnte man auch dem Schweizer Nikolaus Manuel Deutsch, mit denblutvoll belebten Gebrden seiner antikischen und biblischen Handlungen, einen gewissenZusammenhang mit Grnewald einrumen. Jedenfalls verebben aber hier die Wellen,die von dem grten deutschen Meister ausgehen und in der besonderen Liebe, mitwelcher Deutsch gerade spielerisches Nebenwerk an Mensch und Architektur bevorzugt,ja die ihm geradezu Sonne und Regenbogen etwa als rein ornamentale Werte behandelnlt, kndigt sich bereits der Verfall an.

    Dieser Verfall der deutschen Kunst findet seinen reichsten, reizvollsten und in-teressantesten Meister in Albrecht Altdorter aus Regensburg, an den sich die sogenannte

    Donauschule anschliet. Ein heiterer, freudiger, ja bersprudelnder Kolorismus, der

    geradezu modern impressionistisch arbeitet und die Welt in eine lebenslustig, lebenskrftigangeschaute ppige Flle farbiger Einzelheiten zerlegt, nimmt von vornherein fr ihn ein.Man knnte beinahe im ersten Augenblick an eine Weiterfhrung Grnewalds denken.Aber davon kann gar nicht die Rede sein. Hinter der ganzen sinnlichen Farbenprachtsteht absolut keine innerliche Notwendigkeit mehr, sie ist das ausschlielidie Produkteiner rein uerlichen Phantasie. Grnewalds Farbe konzentrierte und baute aufAltdorlers Farbe zerlegte das Ganze in lauter Einzelheiten und dekonzentriert. Es istaudi nicht wahr, da diese Farben der Gewinn einer gesteigerten Naturanschauung sind,der einfache Vergleich einer Altdorferschen Landschaft mit einer wirklichen beweist sie

    als die ganz willkrlichen uerungen einer sehr starken sinnlichen Lebensfreude. DerErnst der konstruktiven Grundgedanken ist nun vllig verloren gegangen, nur die technischkonstruktiven Errungenschaften werden nach allen Seiten hin freigebig ausgestreut. MitVorliebe whlt der Maler Handlungen, die ihm in besonders raffinierten bersdineidungenGelegenheit geben, zu zeigen, wie erschrecklich viel er kann. Es kommt dabei viel Heiteres,Lustiges, ja sogar noch Bedeutendes zustande, aber es ist nicht mehr aus dem innerenGemte als eine einheitliche Pflanze emporgeschossen. Des Malers ganzes Herz gehrtden Details, ihre Hufung mit allen Schwierigkeiten ist die Freude seines knstlerisch :nTriebs. Die vielen intimen und warmen Reize dieser freundlichen Kunst sollen r:.;inicht verkannt werden, aber ebensowenig darf man sich darber tuschen, ('a hierschlielich alles leicht spielendes Ornament geworden ist, da von lebendigen Mc.ischen,

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  • lebendiger Architektur nicht mehr die Rede sein kann, vielmehr der Weg beschrittenwurde, der in das Leere, in die ausdruckslose Manier fhren mute.

    Diesen Weg in die vllig ausdruckslose Manier beschritt allen voran Lucas Cranachaus Franken, dessen Hauptltigkeit mit all ihren Folgen indessen nach Sachsen, wo er

    Hofmaler wurde, zu verlegen ist. Man hat in bereditigtem Zorne ber den endlosenSchaden, den dieser etwa ziemlich gleichzeitig mit Drer lebende und ihm an Einflunicht unebenbrtige Mann anstiftete, ganz vergessen, da er eigentlich nur der Reprsentanteiner Vernichtung ist, die niemand mehr aufzuhalten vermochte. In der Tat bedeutetCranach recht die Vernichtung der altdeutschen Malerei. Es gibt wohl kaum etwas Trau-rigeres, als dieses groe Talent, das von freien und sehr bedeutenden Anfngen her-kommt, dessen malerische Qualitten zu den allerersten der deutschen Kunst berhaupt