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ALGEBRA Notizen zu einer Vorlesung im SoSe 2017 * –Version 23. Juli 2017– Benjamin Klopsch * Dieses Skriptum unterliegt dem Urheberrecht. Es ist f¨ ur den pers¨ onlichen Gebrauch der an der Vorlesung teilnehmenden Studierenden gedacht. Anderweitige Nutzung und Vervielf¨ altigungen jeder Art, auch nur auszugsweise, sind nur mit Erlaubnis des Autors gestattet.

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ALGEBRA

Notizen zu einer Vorlesung im SoSe 2017 ∗

–Version 23. Juli 2017–

Benjamin Klopsch

∗Dieses Skriptum unterliegt dem Urheberrecht. Es ist fur den personlichen Gebrauch der ander Vorlesung teilnehmenden Studierenden gedacht. Anderweitige Nutzung und Vervielfaltigungenjeder Art, auch nur auszugsweise, sind nur mit Erlaubnis des Autors gestattet.

Nutzungshinweise. Dieses Skript befindet sich noch in der”Wachstumsphase“,

sprich es wird fortlaufend erganzt, korrigiert und aktualisiert. Nutzen Sie es daher

mit der notigen Vorsicht.

Die Ausarbeitung in ihrer jeweils aktuellen Form wird derzeit ausschließlich

fur den unmittelbaren erganzenden Gebrauch zur Vorlesung bereitgestellt. Es

ist nicht fur die weitere Verbreitung außerhalb des konkreten Kreises

der Vorlesungsteilnehmer(innen), Korrektor(inn)en und Ubungsgrup-

penleiter(innen) im SoSe 2017 gedacht. Bitte respektieren Sie dies.

Das Skript basiert auf meinen eigenen handschriftlichen Notizen sowie einer

von Herrn Sebastian Sura erstellten Version meiner gleichnamigen Vorlesung aus

dem SoSe 2015. Die in der Vorlesung behandelten Inhalte finden sich – in allerlei

Variationen – in den zahlreich zur Verfugung stehenden Lehrbuchern zur Algebra.

Es lohnt sich, parallel zum Besuch der Vorlesung den Stoff auch an anderer Stelle

nachzulesen und zu vertiefen.

Kurze Namensliste von Mathematikerinnen und Mathematikern

Die folgenden Mathematikerinnen und Mathematiker werden implizit oder explizitim Rahmen der Vorlesung genannt.

Abel, Niels Henrik (1802–1829)Artin, Emil (1898–1962)d’Alembert, Jean Le Rond (1717–1783)Bernstein, Felix (1878–1956)Cardano, Girolamo (1501–1576)Cayley, Arthur (1821–1895)Dedekind, Julius Wilhelm Richard (1831–1916)Eisenstein, Ferdinand Gotthold Max (1823–1852)Euklides (um −300)Euler, Leonhard (1707–1783)de Fermat, Pierre (1601–1665)del Ferro, Scipione (1465–1526)Fontana (Tartaglia), Niccolo (1500–1557)Fraenkel, Adolf Abraham Halevi (1891–1965)

Galois, Evariste (1811–1832)Gauß, Carl Friedrich (1777–1855)Hamilton, William Rowan (1805–1865)Hasse, Helmut (1898–1979)Hermite, Charles (1822–1901)Hilbert, David (1862–1943)Klein, Felix Christian (1849–1925)Kronecker, Leopold (1823–1891)Krull, Wolfgang (1899–1971)Kummer, Ernst Eduard (1810–1893)Lagrange, Joseph Louis (1736–1813)Lindemann, Carl Louis Ferdinand von (1852–1939)Liouville, Joseph (1809–1882)Noether, Emmy Amalie (1882–1935)Russell, Bertrand Arthur William (1872–1970)Schroder, Friedrich Wilhelm Karl Ernst (1841–1902)Steinitz, Ernst (1871–1928)Sylow, Ludwig (1832–1918)Wantzel, Pierre Laurent (1814–1848)Zermelo, Ernst Friedrich Ferdinand (1871–1953)Zorn, Max August (1906–1993)

Kurzbiografien und weitere Informationen finden sich unterhttp://www-groups.dcs.st-and.ac.uk/~history/.

i –Version 23. Juli 2017–

Inhaltsverzeichnis

Namensliste von Mathematikerinnen und Mathematikern i

Inhaltsverzeichnis iii

Kapitel 1. Algebraische Strukturen 11. Mengentheoretische Grundlagen 12. Gruppen, Ringe, Korper 43. Homomorphismen und Isomorphiesatze fur Gruppen 114. Homomorphismen und Isomorphiesatze fur Ringe 19

Kapitel 2. Struktur- und Teilbarkeitstheorie fur Ringe 275. Teilbarkeitstheorie in Halbgruppen 276. Grundlegende Strukturtheorie fur (kommutative) Ringe (mit 1) 347. Teilbarkeitstheorie in Ringen 45

Kapitel 3. Korpererweiterungen und Galoissche Theorie 538. Korper: Grundbegriffe und erste Resultate 539. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal 6210. Zerfallungskorper, normale und separable Erweiterungen 7011. Gruppenoperationen und die Sylowschen Satze 7712. Hauptsatz der Galoisschen Theorie 8313. Auflosbarkeit von Polynomgleichungen durch Radikale 89

Literaturverzeichnis 97

iii –Version 23. Juli 2017–

KAPITEL 1

Algebraische Strukturen

1. Mengentheoretische Grundlagen

Wie schon in den Vorlesungen zur Linearen Algebra verwenden wir die ubli-Vorl. 1

che mengentheoretische Sprech- und Schreibweise. Diese stutzt sich letztendlich aufdas klassische, inzwischen empirisch bewahrte Zermelo-Fraenkelsche Axiomensy-stem, welches 1907–1930 in verschiedenen Stufen entwickelt wurde. Eine geeigne-te einfuhrende Darstellung findet sich z. B. in Halmos’ Buchlein [2], das mit demschonen einleitenden Satz

”Every mathematician agrees that every mathematician must know

some set theory; the disagreement begins in trying to decide howmuch is some.“

beginnt. Ebenso zuganglich sind die Ausfuhrungen von Friedrichsdorf und Prestelin [3], die durchaus vorteilhaft schon von Beginn an den Klassenbegriff einfuhrenund nutzen. Daß ein gewisses Maß an Umsichtigkeit geboten ist, verdeutlicht diefolgende

”Spaßaufgabe“ (Berrysches Paradox): Welches ist die kleinste naturliche

[Ub] Zahl, die sich nicht mittels weniger als sechzehn deutschen Worten definieren laßt?Im Rahmen der Algebra-Vorlesung konnen wir die grundlegende Axiomatik der

Mengentheorie nicht im Detail durchdringen, aber wir wollen sie fur handwerkli-che Zwecke zumindest in groben Zugen zur Kenntnis nehmen. Dazu benennen undkommentieren wir knapp die einzelnen Axiome.

Die Grundobjekte unserer Anschauung sind”Mengen“, die durch das

”Element-

sein“ bzw.”Nicht-Element-sein“, in Zeichen ∈ bzw. 6∈, miteinander in Beziehung

stehen. Dabei werden die folgenden Gesetzmaßigkeiten axiomatisch vorausgesetzt.

(A1) Es gibt wenigstens eine Menge.

(A2) Extensionalitatsaxiom. Je zwei Mengen A,B sind genau dann gleich, wennsie dieselben Elemente besitzen; kurz: A = B ↔ (∀x : x ∈ A↔ x ∈ B).

Sofern einem nichts Besseres einfallt, wird die Gleichheit A = B also durchden Nachweis der Inklusionen A ⊆ B und A ⊇ B bewerkstelligt.

(A3) Aussonderungsaxiom (genauer ein Axiomenschema). Zu jeder Menge A undjeder Bedingung (auch: Pradikat) P(x) an eine Menge x gibt es eine Menge B,deren Elemente genau diejenigen Elemente x von A sind, welche P(x) erfullen;die ubliche Schreibweise ist dann B = x ∈ A | P(x).

1 –Version 23. Juli 2017–

2 KAPITEL 1. ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

Bei der Formulierung geeigneter Bedingungen P(x) beschrankt man sichstrengenommen auf eine geeignete formale Sprache, in der ausschließlich

(i) Variablennamen fur Mengen, z. B. A,B,C . . .,(ii) die Symbole fur Identitat und Element-sein, = und ∈,(iii) die ublichen logischen Verkunpfungszeichen, etwa ¬, ∧, ∨, → und ↔,(iv) die Quantorenzeichen ∀ und ∃ sowie(v) Klammerzeichen

syntaktisch korrekt und in ihrer naheliegenden Bedeutung verwendet werden.In der Praxis benutzen wir die mathematische Umgangssprache, die einer sol-chen formalen Sprache zumindest sehr ahnlich ist.

Insbesondere gibt es nach (A1), (A2), (A3) eine eindeutige Menge ∅, diegar keine Elemente besitzt, die sogenannte leere Menge. Weiter gibt es zu jederMenge M eine Menge, die nicht Element von M ist, z. B. die Russellsche Menge

R(M) = x ∈M | x 6∈ x.

Das bedeutet:”Es gibt keine Menge, die alle Mengen enthalt.“

(A4) Paarmengenaxiom. Zu je zwei Mengen A,B existiert stets eine Menge C,die A und B als Elemente enthalt.

Mit (A3) erhalten wir dann die Menge A,B, deren Elemente genau Aund B sind; im Spezialfall A = B also auch die einelementige Menge A.

(A5) Vereinigungsmengenaxiom. Zu jeder Menge A (von Mengen) gibt es eineMenge B, die als Elemente alle x ∈ A fur alle A ∈ A enthalt.

Mit (A3) konnen wir wieder erreichen, daß keine”uberflussigen“ Elemente

in der neuen Menge liegen; wir erhalten so die Vereinigungsmenge⋃A =

⋃A∈A

A = x | ∃A ∈ A : x ∈ A.

Bemerkung: Die Schnittmenge einer nicht-leeren Menge A (von Mengen)⋂A =

⋂A∈A

A = x | ∀A ∈ A : x ∈ A

ist direkt uber das Aussonderungsaxiom gesichert. (Die Definition hangt nurscheinbar von der willkurlichen Wahl eines Elements aus A ab.)

[Ub](A6) Potenzmengenaxiom. Zu jeder Menge A gibt es eine Menge B, die jede

Teilmenge T ⊆ A als Element enthalt.

Mit (A3) erhalten wir die Potenzmenge Pot(A) = T | T ⊆ A.

Seien A,B Mengen. Wie in der Vorlesung zur Linearen Algebra bereits gesehen,fuhrt man uber geordnete Paare (a, b) = a, b, a das cartesische Produkt

A×B = (a, b) | a ∈ A, b ∈ B–Version 23. Juli 2017–

1. MENGENTHEORETISCHE GRUNDLAGEN 3

sowie Relationen R auf A und Abbildungen f : A → B als geeignete TeilmengenR ⊆ A × A bzw. f ⊆ A × B ein. Von besonderem Interesse sind beispielsweiseAquivalenzrelationen und Ordnungsrelationen.

Familien (Ai)i∈I , insbesondere Tupel (A1, . . . , An) endlicher Lange n, sind Ab-bildungen von einer

”Indexmenge“ I in eine geeignete Menge A, die alle Mengen

Ai als Elemente enthalt. Was genau meinen wir hier mit Lange n? Das gewohnlicheAbzahlen fuhrt formal zu dem Nachfolger x+ = x ∪ x einer Menge x. Mit

0 := ∅, 1 := 0+ = 0 = ∅,2 := 1+ = 0, 1 = ∅, ∅, 3 := 2+ = 0, 1, 2 = ∅, ∅, ∅, ∅,

usw. erhalten wir die paarweise verschiedenen naturlichen Zahlen (inklusive Null)[Ub] 0, 1, 2, . . ., und konnen wie versprochen endliche Tupel bilden. Jedoch konnen wir

noch nicht schließen, daß die naturlichen Zahlen insgesamt eine Menge bilden. Dazubenotigen wir ein weiteres Axiom.

(A7) Unendlichkeitsaxiom. Es gibt eine Menge, die die leere Menge ∅ und mitjedem Element x auch dessen Nachfolger x ∪ x enthlt.

Mit (A3) zeigt man, daß es eine eindeutig bestimmte kleinste solche Menge[Ub] gibt, namlich N0 = 0, 1, 2, . . .. Man leitet nun das Prinzip der vollstandigen

Induktion her und etabliert die Definition per Rekursion von Abbildungenf : N0 → X, mittels f(0) = x0 ∈ X und f(n+) = g(f(n)) fur gegebenesg : X → X. Damit konnen dann die elementaren Rechenoperationen +, · aufN0 als Verknupfungen eingefuhrt werden.

(A8) Auswahlaxiom. Zu jeder Familie (Ai)i∈I nicht-leerer Mengen gibt es eine

”Auswahlfunktion“, d. h. eine Abbildung f : I →

⋃Ai | i ∈ I mit f(i) ∈ Ai

fur alle i ∈ I.

Bemerkung: Die Aussage ist aquivalent zu dem Wohlordnungssatz, der biswei-len in der Vorlesung zur Linearen Algebra benutzt wird, und zum sogenanntenZornschen Lemma, das in der Algebra haufig verwendet wird; in Abschnitt 6behandeln wir diese Zusammenhange genauer.

Fraenkel bemerkte, daß das bis hierhin vorgestellte Zermelosche Axiomensystemfur gewisse Mengenkonstruktionen nicht ausreicht.

(A9) Ersetzungsaxiom (auch: Fraenkelsches Ersetzungsschema). Ist S(a, b) eineBedingung dergestalt, daß sich fur jedes Element a in einer Menge A die Mengeb | S(a, b) bilden laßt, so existiert eine Funktion f auf A mit

f(a) = b | S(a, b) fur alle a ∈ A.

Halmos [2] schreibt hierzu:”The new principle says, roughly speaking, that

anything intelligent that one can do to the elements of a set yields a set.“

–Version 23. Juli 2017–

4 KAPITEL 1. ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

Es ist mehr als bemerkenswert, daß sich ein Großteil der uns bekannten Mathe-matik allein mit der dazu notigen Phantasie vollig systematisch aus den neun vorge-stellten Axiomen herleiten laßt. Oftmals wird noch ein weiteres Axiom postuliert, furdas wir jedoch keine direkte Verwendung haben werden. Dieses Fundierungsaxiombesagt, daß jede nicht-leere Menge A ein Element B mit A ∩B = ∅ enthalt.

Abschließend erinnern wir an den folgenden mengentheoretischen Sachverhalt,mit dessen Hilfe wir spater oftmals stillschweigend verschiedene Mengen

”identifizie-

ren“ werden, ohne uns Sorgen um die genauen Tragermengen zu machen.

1.1. Lemma (”Transplantationslemma“). Sei ϕ : X → X ′ bijektiv und X ′ ⊆ Z ′.

Dann existiert eine Bijektion Φ: Z → Z ′ mit X ⊆ Z und Φ|X = ϕ.

bij.// Z ′

bij.//

X ′

Beweis. Setze Y ′ = Z ′ r X ′, so daß Z ′ = X ′ t Y ′ gilt. Wir konstruieren eineMenge Y mit X ∩Y = ∅ und eine Bijektion ψ : Y → Y ′. Dann liefert Φ = ϕ∪ψ diegewunschte Bijektion von Z = X t Y auf Z ′.

Setze r = R(⋃⋃

X), die Russelsche Menge von⋃⋃

X. Dann gilt r 6∈⋃⋃

X.Setze weiter Y = (y′, r) | y′ ∈ Y ′ und ψ : Y → Y ′, (y′, r) → y′. Offenkundig ist ψeine Bijektion von Y auf Y ′. Zu zeigen bleibt: X ∩ Y = ∅.

Widerspruchsannahme: X∩Y 6= ∅, also (y′, r) ∈ X fur ein y′ ∈ Y ′. Per Definitionist (y′, r) = y′, r, y′. Also liefert (y′, r) ∈ X zunachst y′, r ∈

⋃X und dann

den Widerspruch r ∈⋃⋃

X.

2. Gruppen, Ringe, Korper

2.1. Gruppen. Wir fuhren den Begriff der Gruppe ein und behandeln grund-Vorl. 2

legende Eigenschaften. Erste komplexere Beispiele erhalten wir in Form von Matri-zengruppen und Permutationsgruppen.

2.1. Definition. Eine Gruppe G = (G, ) besteht aus einer Tragermenge G undeiner Verknupfung : G×G→ G, fur die gelten:

(G1) Fur alle g, h, k ∈ G ist g (h k) = (g h) k. (Assoziativitat)(G2) Es existiert ein e ∈ G mit ∀g ∈ G : g e = g = e g. (neutrales Element)(G3) Zu jedem g ∈ G existiert ein h ∈ G mit g h = h g = e. (inverse Elemente)

Die Gruppe G heißt abelsch (bisweilen auch: kommutativ), falls zusatzlich gilt

(G4) Fur alle g, h ∈ G ist g h = h g. (abelsch)

2.2. Bemerkungen.

–Version 23. Juli 2017–

2. GRUPPEN, RINGE, KORPER 5

(a) Das neutrale Element einer Gruppe ist eindeutig [e = e e′ = e′]. Ebenso istdas jeweils zu einem Gruppenelement g inverse Element eindeutig [h = h e =h (g h′) = (h g) h′ = e h′ = h′].

Ublicherweise wird die Verknupfung multiplikativ geschrieben; in diesem Fallbezeichnet 1 das neutrale Element und g−1 das zu g inverse Element. Bei addi-tiver Schreibweise, die bisweilen fur abelsche Gruppen nutzlich ist, finden ent-sprechend 0 bzw. −g Verwendung.

(b) Ein Verknupfungsgebilde (H, ), bei dem lediglich die Assoziativitat von ver-langt wird, heißt Halbgruppe. Besitzt eine Halbgruppe ein neutrales Element, sospricht man von einer Halbgruppe mit Eins (auch: Monoid).

2.3. Beispiele.

(1) Grundlegende Beispiele von Gruppen sind:

(Z,+), (Q,+), (R,+), (Qr 0, ·), (R>0, ·), (klassische Zahlbereiche)

GLn(R) = A ∈ Matn(R) | det(A) 6= 0, fur n ∈ N. (allg. lineare Gruppe)

(2) Sei X eine beliebige Menge. Die symmetrische Gruppe Sym(X) besteht aus allenPermutationen von X, d. h. aus allen bijektiven Abbildungen π : X → X, mitder Hintereinanderausfuhrung als Gruppenverknupfung. Fur X = 1, . . . , n mitn ∈ N heißt Sym(n) = Sym(X) die symmetrische Gruppe vom Grad n.

Sei π ∈ Sym(n). Wir erinnern an die Abbildungstafel-Schreibweise

π =

(1 2 . . . n

1π 2π . . . nπ

).

Kompakter und fur unsere Zwecke geeigneter ist zumeist die sogennante Zyklen-schreibweise. Merke: 1, . . . , n zerfallt in (paarweise disjunkte) Aquivalenzklas-sen bzgl. der Aquivalenzrelation

i ≡π j :↔ ∃k ∈ Z : iπk = j;

die Aquivalenzklassen heißen π-Bahnen. Offenbar gehen die Elemente einer jedenπ-Bahn zyklisch durch wiederholtes Anwenden von π ineinander uber: Eine π-Bahn der Lange l, d. h. der Machtigkeit l, hat die Gestalt

i1, i2, . . . , il, wobei irπ =

ir+1 fur 1 ≤ r < l,

i1 fur r = l.

Bei dieser Darstellung ist die Wahl des”ersten“ Elementes i1 willkurlich. Man

sagt, π operiere auf der Bahn wie ein Zyklus. In der Zyklenschreibweise von πwird die Wirkung von π auf der betrachteten π-Bahn durch eines der Symbole

(i1 i2 . . . il−1 il), (i2 i3 . . . il i1), . . . , (il i1 . . . il−2 il−1)

–Version 23. Juli 2017–

6 KAPITEL 1. ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

dargestellt. Die zu jeder π-Bahn gehorigen Zyklen werden dann (in einer belie-bigen Reihenfolge) hintereinander weggeschrieben. Jedes solche

”Produkt“ be-

schreibt eindeutig π. Weiterhin durfen Zyklen der Lange 1 ganz weggelassenwerden.

Zum Beispiel laßt sich die Permuation π ∈ Sym(5) mit der Abbildungstafel(1 2 3 4 55 2 1 4 3

)in der Zyklennotation schreiben als

π = (1 5 3)(2)(4) = (1 5 3) = (3 1 5) = (4)(3 1 5) = . . . .

Ist zusatzlich σ = (1 4 3 5) ∈ Sym(5), so gilt

πσ = (1 5 3) · (1 4 3 5) = (1)(2)(3 4)(5) = (3 4).

Als abschließendes Beispiel geben wir eine vollstandige Liste der Elementeder symmetrischen Gruppe Sym(3) an:

1 = (1), (1 2), (1 3), (2 3), (1 2 3), (1 3 2).

2.4. Lemma. Sei G eine Gruppe. Fur g, h, x, y ∈ G gelten:

(a) (gh)−1 = h−1g−1, (”

Jacke-Hemd-Regel“)(b) 1−1 = 1,(c) (g−1)−1 = g, (Inversenabbildung involutiv)(d) gx = gy impliziert x = y, und xg = yg impliziert x = y. (Kurzungsregel)

2.5. Lemma (Klammerungsregel). Sei H eine Halbgruppe. Sei n ∈ N und seienh1, . . . , hn ∈ H. Dann ist das Produkt von h1, . . . , hn in dieser Reihenfolge, aber mitbeliebiger Klammerung unabhangig von eben dieser Klammerung.

Schreibweise: Entsprechend schreiben wir Produkte h1 · · ·hn in einer Halbgruppeohne Missverstandnisse ganz ohne Klammern.

Beweis. Wir verwenden Induktion nach n.

IA: n = 1. Klar, denn es gibt nur eine Klammerung (h1) = h1.

IV: n ≥ 2. Fur Teilprodukte kleinerer Lange durfen wir bereits die vereinfachteSchreibweise verwenden. Zwei verschiedene Klammerungen fuhren daher zu den Aus-drucken

(h1 · · ·hk) · (hk+1 · · ·hn) und (h1 · · ·hl) · (hl+1 · · ·hn)

mit 0 < k ≤ l < n. Ist k = l, so sind die Ausdrucke gleich. Sei nun k 6= l, d. h. k < l(und folglich n ≥ 3). Dann gilt aufgrund des Assoziativgesetzes und der IV:

(h1 · · ·hk) · (hk+1 · · ·hn) = (h1 · · ·hk) ·((hk+1 · · ·hl) · (hl+1 · · ·hn)

)=((h1 · · ·hk) · (hk+1 · · ·hl)

)· (hl+1 · · ·hn)

= (h1 · · ·hl) · (hl+1 · · ·hn)

–Version 23. Juli 2017–

2. GRUPPEN, RINGE, KORPER 7

2.6. Definition. Sei G eine Gruppe. Fur g ∈ G und m ∈ Z setzen wir

gm =

g · g · · · g (m Faktoren) falls m ≥ 1,

1 falls m = 0,

g−1 · · · g−1 (−m Faktoren) falls m < 0.

Folgerung: Dann gelten fur g, h ∈ G und m,n ∈ Z:[Ub]

gmgn = gm+n, (gm)n = gmn, gh = hg → (gh)n = gnhn.

2.7. Definition. Eine Untergruppe H = (H, ) einer Gruppe G = (G, ·), inZeichen H ≤ G, besteht aus einer Teilmenge H ⊆ G und der eingeschranktenVerknupfung = ·|H×H dergestalt, dass H = (H, ) selbst eine Gruppe ist.

Beobachtung: Sei H ⊆ G. Dann sind paarweise aquivalent:[Ub]

H ≤ G (Untergruppe) H 6= ∅ sowie ∀g, h ∈ H : gh ∈ H und ∀h ∈ H : h−1 ∈ H H 6= ∅ und ∀g, h ∈ H : g−1h ∈ H

2.8. Beispiele.

(1) Z ≤ R bezuglich der Addition +.

(2) SL(R) = A ∈ Mat(R) | det(A) = 1 ≤ GL(R). (spezielle lineare Gruppe)

(3) Die Untergruppen von Z bzgl. + sind genau: mZ mit m ∈ N0.

Beweisskizze. Offenbar sind die angegebenen nicht-leeren Teilmengen mZ unterAddition und Umkehrung des Vorzeichens abgeschlossen. Nach (2.7) bilden siedaher Untergruppen von Z. Sei umgekehrt H ≤ Z. Ist H = 0, so gilt H = 0Z.Andernfalls enthalt H zumindest ein Element a 6= 0. Dann gilt H∩N ⊇ a,−a∩N 6= ∅ und wir setzen m = min(H ∩ N). Wir behaupten: H = mZ.

”⊇“ folgt (formal per Induktion) aus m ∈ H.

”⊆“ ergibt sich mit Hilfe der Division mit Rest: Zu beliebigem a ∈ H existieren

q, r ∈ Z mit 0 ≤ r < m dergestalt, daß a = qm + r gilt. Dann ist r =a− qm ∈ H, und wegen r < m muss r = 0 gelten. Also ist a = qm ∈ mZ.

(4) Betrachte in Sym(4) die Doppeltranspositionen

α = (1 2)(3 4), β = (1 3)(2 4), γ = (1 4)(2 3).

Dann ist V4 = id, α, β, γ ≤ Sym(4) eine Untergruppe, mit der Multiplikations-tafel (auch: Cayley-Tafel):

· id α β γ

id id α β γα α id γ ββ β γ id αγ γ β α id

Die Gruppe V4 ist abelsch und heißt Kleinsche Vierergruppe.

–Version 23. Juli 2017–

8 KAPITEL 1. ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

(5) Das nachfolgende Hassediagram gibt einen Uberblick uber die Untergruppen derGruppe Sym(3) = (1), (1 2), (2 3), (1 3), (1 2 3), (1 3 2) und ihre gegenseitigenInklusionen.

Sym(3)

(1), (1 2 3), (1 3 2)

(1), (1 2) (1), (1 3) (1), (2 3)

(1)

2.2. Ringe und Korper. Wir fuhren den Begriff des Ringes ein und behandelnVorl. 3

grundlegende Eigenschaften. Korper sind spezielle Ringe, die uns bereits aus derVorlesung zur Linearen Algebra vertraut sind.

2.9. Definition. Ein Ring R = (R,+, ·) besteht aus einer Tragermenge R undVerknupfungen +, · : R×R→ R, fur die gelten:

(R1) (R,+) ist eine abelsche Gruppe; das neutrale Element wird mit 0, das zu aadditiv inverse Element mit −a bezeichnet.

(R2) (R, ·) ist eine Halbgruppe, d. h. · ist assoziativ: ∀a, b, c ∈ R : a(bc) = (ab)c.(R3) ∀a, b, c ∈ R : (a+ b)c = ac+ bc ∧ a(b+ c) = ab+ ac. (Distribuitivitat)

Ist zusatzlich · kommutativ, so heißt R ein kommutativer Ring. Besitzt R ein neu-trales Element bzgl. ·, d.h. ein

”Einselement“ 1 ∈ R mit

∀a ∈ R : 1 · a = a · 1 = a,

so ist dieses eindeutig bestimmt und R heißt Ring mit Eins.Ist (R r 0, ·) eine Gruppe, so heißt R ein Divisionsring (auch: Schiefkorper).

In diesem Fall ist das neutrale Element der multiplikativen Gruppe R× = R r 0bereits ein Einselement fur den Ring R; siehe (2.10). Ein kommutativer Divisionsringheißt Korper

Bemerkung: Wir wenden (2.5) systematisch auch fur die Verknupfungen +, · in Rin-gen an; fur die Ringaddition + gelten die in (2.4) zusammengestellten Rechenregelnin additiver Form.

2.10. Lemma. Sei R ein Ring und a ∈ R. Dann gilt a · 0 = 0 · a = 0. Besitzt Rein Einselement 1, so gilt ferner (−1) · a = a · (−1) = −a.

Beweis. Ubung! [Ub]

2.11. Beispiele.

(1) Der Nullring 0 ist kommutativ mit Eins 1 = 0. Ist R ein Ring mit Eins 1, derwenigstens zwei Elemente enthalt, so gilt bereits 1 6= 0; siehe (2.10).

–Version 23. Juli 2017–

2. GRUPPEN, RINGE, KORPER 9

(2) Die ublichen Zahlbereiche Q, R, C sind bekanntlich Korper; Z sowie Z/nZ, furn ∈ N, sind kommutative Ringe mit Eins. Fur Primzahlen p ist Fp = Z/pZ einendlicher Korper.

(3) Sei R ein Ring. Der Polynomring Pol(R) uber R ist ein R zugeordneter Ring,der formal wie folgt konstruiert werden kann. Seine Tragermenge ist

R(N0) =

(fi)i∈N0 | ∀i ∈ N0 : fi ∈ R und ∃n ∈ N0 ∀i ∈ N>n : fi = 0,

die Menge aller (Koeffizienten-)Folgen in R, die letztlich konstant 0 sind. EinElement f = (fi) ∈ Pol(R) wird formal geschrieben als

f = f0 + f1X + f2X2 + . . .+ fnX

n =∑n

i=0fiX

i,

wobei n hinreichend groß ist, so daß fi = 0 fur i > n gilt. Die Verkunpfungen+, · werden dann suggestiv definiert durch

f + g =∑

ifiX

i +∑

jgjX

j =∑

i(fi + gi)X

i,

f · g =(∑

ifiX

i)·(∑

jgjX

j)

=∑

k

(∑k

i=0figk−i

)Xk.

Hat R ein Einselement 1, so kann das zunachst rein formal verwendete Sym-bol X als Element (0, 1, 0, 0, . . .) von Pol(R) interpretiert werden; ist zusatzlich1 6= 0, also R nicht der Nullring, so schreibt man ublicherweise R[X] anstellevon Pol(R).

Bemerkung: In dem wichtigten Fall, daß R ein kommutativer Ring mit 1 6= 0 ist,ist der Polynomring R[X] ebenfalls kommutativ mit 1 6= 0.

[Ub](4) Legt man in Beispiel (3) anstelle von R(N0) die Menge RN0 = (fi)i∈N0 | fi ∈ R

aller Folgen in R zugrunde, so erhalt man, mit +, · wie in (3), den Ring derformalen Potenzreihen, dessen Elemente f = (fi)i∈N0 ublicherweise als

f =∑∞

i=0fiX

i

geschrieben werden. Besitzt R ein Einselement 1 6= 0, so wird dieser Ringgewohnlich mit R[[X]] bezeichnet.

(5) Sei R ein Ring und n ∈ N0. Dann bilden die n× n-Matrizen uber R den Matri-zenring Matn(R). Die Verknupfungen +, · auf Matn(R) sind wie in der Vorlesungzur linearen Algebra definiert: Fur A = (aij), B = (bij) ∈ Matn(R) gilt

A+B = C = (cij), wobei cij = aij + bij fur 1 ≤ i, j ≤ n,

A ·B = D = (dij), wobei dij =∑

kaikbkj fur 1 ≤ i, j ≤ n.

2.12. Definition. Sei R = (R,+, ·) ein Ring. Ein Unterring S = (S, +, ·) vonR, in Zeichen S ≤ R, besteht aus einer Teilmenge S ⊆ R und den Einschrankungen+ = +|S×S und · = ·|S×S der Verkupfungen dergestalt, daß S = (S, +, ·) selbst einenRing bildet.

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10 KAPITEL 1. ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

Vorsicht: Ein Unterring S ≤ R ist insbesondere eine additive Untergruppe von R;somit besitzen R und S dasselbe Nullelement 0. Bei moglicherweise in R oder Svorhandenen Einselementen ist die Situation unubersichtlicher; ggf. fordert man ex-plizit, daß S ein in R vorhandenes Einselement ebenfalls enthalten soll.

Beobachtung: Sei S ⊆ R. Dann sind paarweise aquivalent (vgl. (2.7)):[Ub]

S ≤ R (Unterring) S 6= ∅ sowie ∀a, b ∈ S : a+ b, ab, −a ∈ S S 6= ∅ sowie ∀a, b ∈ S : a− b, ab ∈ S

2.13. Beispiele.

(1) Grundlegende Beispiele aus der elementaren Zahlentheorie sind:

Z ≤ Q ≤ C,

Z[i] = a+ ib | a, b ∈ Z ≤ C fur i =√−1 (ganze gaußsche Zahlen).

(2) Fur z = x + iy ∈ C bezeichne z = x − iy ∈ C die komplex konjugierte Zahl.Dann bilden die Hamiltonischen Quaternionen einen Unterring

H =

(z w−w z

)| z, w ∈ C

von Mat2(C) mit Einselement 1 =

(1 00 1

). Fur x =

(z w−w z

)∈ Hr 0 gilt weiter

det(x) = zz + ww ∈ R>0,

also ist x als Matrix uber dem Korper C invertierbar und

x−1 = det(x)−1

(z −ww z

)∈ H.

Somit ist H ein Divisionsring. Als R-Vektorraum hat H beispielsweise die Basis

1 =

(1 00 1

), i =

(i 00 −i

), j =

(0 1−1 0

), k =

(0 ii 0

),

und somit ist dimR(H) = 4. Diese Basiselemente erfullen die Rechenregeln

i2 = j2 = k2 = −1 und ij = −ij = k.

Die MengeQ8 = 1, i, j,k,−1,−i,−j,−k

bildet eine interessante Untergruppe der multiplikativen Gruppe H×, die Qua-ternionengruppe der Ordnung 8.

Vermoge der mit +, · vertraglichen Bijektion C→ H, z 7→ ( z 00 z ) laßt sich der

Korper C mit dem Unterring(z 00 z

)| z ∈ C

≤ H

identifizieren; vgl. (1.1). Wir durfen uns H also als eine (nicht-kommutative)

”Ringerweiterung“ von den komplexen Zahlen C vorstellen.

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3. HOMOMORPHISMEN UND ISOMORPHIESATZE FUR GRUPPEN 11

3. Homomorphismen und Isomorphiesatze fur Gruppen

Wir behandeln Homomorphismen, d. h. strukturerhaltenden Abbildungen, zwi-schen Gruppen und Faktorstrukturen. Weiter formulieren und beweisen wir diegrundlegenden Noetherschen Isomorphiesatze sowie den Korrespondenzsatz.

3.1. Definition und Folgerung. Sei G eine Gruppe und H ≤ G. Dann werdenAquivalenzrelationen ∼l und ∼r auf G durch

g1 ∼l g2 ↔def g−11 g2 ∈ H bzw. g1 ∼r g2 ↔def g1g

−12 ∈ H fur g1, g2 ∈ G

erklart. Die ∼l- bzw. ∼r-Aquivalenzklassen heißen Links- bzw. Rechtsnebenklassenvon H in G.

Die Linksnebenklassen haben die Gestalt

gH := gh | h ∈ H = h ∈ G | g ∼l h, g ∈ G.

Die Menge aller Linksnebenklassen

G/H = gH | g ∈ G

bildet eine Partition von G. Entsprechend haben die Rechtsnebenklassen die FormHg = hg | h ∈ H und bilden ebenfalls eine Partition H\G = Hg | g ∈ G von G.

Ein Vertretersystem fur die Linksnebenklassen von H in G ist wahlweise gegebendurch eine Teilmenge T ⊆ G, die aus jeder Linksnebenklasse genau ein Elemententhalt, oder durch eine Abblidung τ : G/H → G, die jeder Linksnebenklasse einenentsprechenden Vertreter zuordnet. Entsprechendes gilt fur Rechtsnebenklassen.

Beweisskizze. Es genugt der Nachweis fur Linksnebenklassen; fur Rechtsneben-kalssen argumentiert man ahnlich. Die Relation ∼l ist

reflexiv auf G, da 1 ∈ H, symmetrisch, da H unter Inversenbildung abgeschlossen und (g−1

1 g2)−1 = g−12 g1,

transitiv, da H unter Multiplikation abgeschlossen und (g−11 g2)(g−1

2 g3) = g−11 g3.

Weiter gilt fur g, g ∈ G:

g ∼l g ↔ g−1g ∈ H ↔ ∃h ∈ H : g = gh ↔ g ∈ gH.

Beispiele: Seien G = Sym(3) und H = (1), (1 2) ≤ G.

Linksnebenklassen: Rechtsnebenklassen:

H = (1).H = (1), (1 2) H = H.(1) = (1), (1 2)(1 3).H = (1 3), (1 3 2) H.(1 3) = (1 3), (1 2 3)(2 3).H = (2 3), (1 2 3) H.(2 3) = (2 3), (1 3 2)

Insbesondere sind G/H und H\G im allgemeinen durchaus verschieden.

3.2. Definition und Folgerung. Die Ordnung einer Gruppe G ist die Kardina-Vorl. 4

litat |G| der zugrundeliegenden Menge G.

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12 KAPITEL 1. ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

Sei H ≤ G. Dann induziert die Abbildung G → G, g 7→ g−1 eine BijektionG/H → H\G, gH 7→ Hg−1. Insbesondere sind G/H und H\G gleichmachtig. DerIndex von H in G ist die Zahl |G : H| := |G/H| = |H\G|.

Beweis. Ubung! [Ub]

Beispiele: Es gelten

|Z| =∞; |Sym(n)| = n! fur n ∈ N;

|Z : mZ| = m fur m ∈ N; |Sym(3) : (1), (1 2)| = 3.

3.3. Satz von Lagrange. Seien G eine Gruppe und H ≤ G. Dann gilt

|G| = |G : H| · |H|.

Insbesondere teilt die Ordnung von H diejenige von G, sofern G endlich ist.

Beweis. Die Linksnebenklassen von H bilden eine Partition von G. Daher genugtes zu zeigen, daß jede Linksnebenklasse gH gleichmachtig zu H ist. Dies sieht mananhand der Bijektion H → gH, h 7→ gh.

Bemerkungen:

(a) Der Satz von Lagrange liefert ein erstes wichtiges Hilfsmittel zur Bestimmungder Untergruppen einer endlichen Gruppe.

(b) Es besteht die folgende naheliegende Verallgemeinerung: Sei G eine Gruppe und[Ub]seien K ≤ H ≤ G. Ist S ⊆ G ein Vertretersystem fur G/H und T ⊆ H ein

Vertetersystem fur H/K, so ist S × T → ST , (s, t) 7→ st bijektiv und ST einVertretersystem fur G/K. Insbesondere gilt |G : K| = |G : H||H : K|.

3.4. Definition. Seien G und H Gruppen. Ein Homomorphismus von G nach Hist eine Abbildung ϑ : G→ H mit der Eigenschaft

(gh)ϑ = (gϑ)(hϑ) fur alle g, h ∈ G.

Bemerkung: Offenbar impliziert die Bedingung:

1Gϑ = 1H und (g−1)ϑ = (gϑ)−1 fur g ∈ G.

Ein Endomorphismus von G ist ein Homomorphismus von G in sich.Ein Isomorphismus von G auf H ist ein bijektiver Homomorphismus ι : G→ H,

dessen Umkehrabbildung ι−1 : H → G dann automatisch ebenfalls ein Homomor-phismus ist. [Fur h1, h2 ∈ H mit h1 = g1ι, h2 = g2ι gilt

(h1h2)ι−1 = ((g1ι)(g2ι))ι−1 = ((g1g2)ι)ι−1 = g1g2 = (h1ι

−1)(h2ι−1).]

Besteht ein Isomorphismus zwischen G und H, so heißen G und H isomorph,in Zeichen: G ∼= H. Ein Automorphismus von G ist ein Isomorphismus von G aufsich selbst. Die Menge aller Automorphismen von G bildet bzgl. der Hintereinander-ausfuhrung eine Gruppe, die Automorphismengruppe Aut(G).

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3. HOMOMORPHISMEN UND ISOMORPHIESATZE FUR GRUPPEN 13

Sei ϑ : G→ H ein Homomorphismus. Das Bild und der Kern von ϑ sind

Bild(ϑ) = gϑ | g ∈ G und Kern(ϑ) = 1ϑ−1 = g ∈ G | gϑ = 1.

3.5. Beispiele.

(1) ϑ : C× → R×, z → |z| ist ein Homomorphismus zwischen multiplikativen Grup-pen. Es ist Bild(ϑ) = R>0 und Kern(ϑ) = z ∈ C | |z| = 1 = S1.

(2) ϑ : R → R>0, x 7→ exp(x) ist ein Homomorphismus bzgl. + bzw. ·. Es giltBild(ϑ) = R>0 und Kern(ϑ) = 0.

Tatsachlich ist ϑ ein Isomorphismus von (R,+) auf (R>0, ·).(3) ϑ : R→ C×, t 7→ exp(2πit) ist ein Homorphismus bzgl. + bzw. ·. Es ist Bild(ϑ) =

S1 und Kern(ϑ) = Z.

(4) Sei n ∈ N mit n ≥ 2. In der Vorlesung zur Linearen Algebra wurde gezeigt:

sgn: Sym(n)→ 1,−1, π 7→ (−1)|Fehl(π)|,

wobei Fehl(π) = (i, j) | 1 ≤ i < j ≤ n, iπ > jπ die Menge der Fehlstande vonπ bezeichnet, ist ein Homomorphismus. Es gilt Bild(sgn) = 1,−1. Weiter istKern(sgn) gerade die alternierende Gruppe Alt(n) vom Grad n. Zum Beispiel ist

Alt(3) = (1), (1 2 3), (1 3 2) ∼= Z/3Z.Allgemein gilt Alt(n) ≤ Sym(n) mit |Sym(n) : Alt(n)| = 2, also |Alt(n)| = n!/2.

(5) Sei K ein Korper und n ∈ N. Ebenfalls in der Linearen Algebra wurde gezeigt:Die Determinantenabbildung

det : GLn(K)→ K× = K×, A 7→ det(A)

ist ein Homomorphismus mit Bild(det) = K×; weiter ist Kern(det) gerade diespezielle lineare Gruppe SLn(K) = A ∈ GLn(K) | det(A) = 1.

(6) Sei K ein Korper und n ∈ N. Dann ist ϑ : GLn(K)→ GLn(K), A 7→ (A−1)tr ein[Ub] beachtenswerter Automorphismus.

3.6. Hilfssatz. Sei ϑ : G→ H eine Gruppenhomomorphismus. Dann gelten

(1) Bild(ϑ) ist eine Untergruppe von H.

(2) Kern(ϑ) ist eine Untergruppe von G mit der zusatzlichen Eigenschaft:

g−1xg ∈ Kern(ϑ) fur alle x ∈ Kern(ϑ) und g ∈ G. [ Normalteiler]

(3) Zwei Elemente von G haben dasselbe Bild unter ϑ genau dann, wenn sie inderselben Linksnebenklasse von Kern(ϑ) liegen.

Merke: Insbesondere ist ϑ injektiv genau dann, wenn. Kern(ϑ) = 1 ist.

Beweis. Man wendet problemlos eines der Kriterien in (2.7) an, um zu zeigen,daß Bild(ϑ) ≤ H und Kern(ϑ) ≤ G gelten. Sind x ∈ Kern(ϑ) und g ∈ G, so zeigt

(g−1xg)ϑ = (g−1ϑ)(xϑ)(gϑ) = (gϑ)−1(gϑ) = 1

daß g−1xg ∈ Kern(ϑ) ist.

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14 KAPITEL 1. ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

Sind g1, g2 ∈ G, so gilt:

g1ϑ = g2ϑ ↔ (g1ϑ)−1(g2ϑ) = 1 ↔ (g−1g2)ϑ = 1

↔ g−1g2 ∈ Kern(ϑ) ↔ g1 Kern(ϑ) = g2 Kern(ϑ).

3.7. Satz und Definition. Sei G eine Gruppe. Fur jedes g ∈ G ist die Abbildung

ιg : G→ G, x 7→ g−1xg

ein Automorphismus von G. Dieser wird als innerer Automorphismus zu g oder kurzKonjugation mit g bezeichnet, man schreibt

xg = xιg = g−1xg,

so daß die Rechenregeln

x1 = x und x(g1g2) = (xg1)g2 fur x, g1, g2 ∈ G

gelten. Ein Normalteiler (auch: normale Untergruppe) von G ist eine UntergruppeVorl. 5

N ≤ G, die invariant ist unter allen inneren Automorphismen von G, d. h.:

N g = g−1Ng = g−1xg | x ∈ N != N fur alle g ∈ G.

Man schreibt dann N E G.

Bemerkung: Eine Untergruppe H ≤ G, die unter allen Automorphismen (bzw. En-domorphismen) von G invariant ist, heißt charakteristische (bzw. vollinvariante)Untergruppe von G.

Beweis. Ubung: Man rechnet leicht nach, daß ιg : G → G ein Homomorphismus[Ub]mit die Umkehrabbildung ιg−1 : G→ G ist.

3.8. Bemerkungen. Der Grundgedanke der Konjugation mit einem Gruppen-element g ist der des Koordinatenwechsels.

In der Linearen Algebra betrachtet man oftmals Basiswechsel: Zwei n×n-MatrizenA,B ∈ Matn(K) uber einem Korper K heißen ahnlich, falls es eine Basiswechselma-trix S ∈ GLn(K) mit A = S−1BS = BS gibt.

Ahnliche grundlegende Beispiele gibt es in der Analysis. Ist eine Transformationder euklidischen Ebene in cartesische Koordinaten als Tcar : (x, y) 7→ (x′, y′) gegebenund mochte man die Transformation in Polarkoordinaten Tpol : (r, ϕ) 7→ (r′, ϕ′) aus-drucken, so

”konjugiert“ man Tcar mit der Koordinatenwechselfunktion g : (x, y) 7→

(r(x, y), ϕ(x, y)). Das heißt: Tpol = g−1Tcarg, wie in Abbildung 1 dargestellt.

3.9. Hilfssatz. Sei G eine Gruppe und H ≤ G. Dann sind aquivalent:

(i) ∀g ∈ G ∀x ∈ H : g−1xg = xg ∈ H (knapper: ∀g ∈ G : Hg ⊆ H)(ii) ∀g ∈ G : Hg = H, d.h. H E G (H ist normal in G)

(iii) ∀g ∈ G : gH = Hg (”

Links- und Rechtsnebenklassen fallen zusammen“)

–Version 23. Juli 2017–

3. HOMOMORPHISMEN UND ISOMORPHIESATZE FUR GRUPPEN 15

Abbildung 1. Koordinatentransformation per”Konjugation“.

Tcar

g g

Tpol

Beweis. Offenbar gelten: (i) ← (ii) ↔ (iii), denn fur g ∈ G gilt:

Hg = H ↔ g−1Hg = H ↔ Hg = gH.

Es bleibt zu zeigen: (i) → (ii). Dazu gelte also (i), und es sei g ∈ G. Dann ist

Hg ⊆ H = Hg−1g =(Hg−1)g ⊆ Hg, also Hg = H,

wobei wir (i) einmal fur g und ein weiteres Mal fur g−1 angewandt haben.

Bemerkung: Fur einen Normalteiler N E G fallen Links- und Rechtsnebenklassenalso zusammen, und man spricht kurz von Nebenklassen. Weiter schreiben wir sug-gestiv x ≡N y ↔def xN = yN fur die Aquivalenzrelation

”modulo N“ auf G.

3.10. Lemma. Sei G eine Gruppe und H ≤ G. Ist eine der nachfolgenden hin-reichenden Bedingungen erfullt, so ist H E G ein Normalteiler.

(a) H liegt zentral in G, d. h. ∀h ∈ H ∀g ∈ g : hg = gh. (Spezialfall: G abelsch)(b) H ist endlich und die einzige Untergruppe von G mit der Ordnung |H|.(c) Es ist |G : H| = 2.

Beweis. (a) klar, weil ιg|H = idH , also Hg = H fur alle g ∈ G gilt.

(b) Sei g ∈ G. Dann ist ιg : G→ G ein Automorphismus, also Hg = Bild(ιg|H) ≤G eine Untergruppe mit |Hg| = |H|. Aus der Vorraussetzung folgt daher Hg = H.

(c) Verwende Kriterium (iii) in (3.9). Aus |G : H| = 2 folgt G/H = H,GrH =H\G. Somit ist gH = H = Hg, falls g ∈ H, und gH = GrH = Hg, falls g 6∈ H.

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16 KAPITEL 1. ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

Beispiel: Die Normalteiler von Sym(3) sind genau

1 = (1), Sym(3), und (1), (1 2 3), (1 3 2).Die ubrigen drei Untergruppen (vgl. (2.8)) sind keine Normalteiler, sondern konju-giert zu einander:

(1), (1 2)(2 3) = (1), (1 3) und (1), (1 3)(1 2) = (1), (2 3).3.11. Satz und Definition. Sei G eine Gruppe und sei N E G. Dann gibt es auf

G/N = xN | x ∈ G genau eine Gruppenstruktur dergestalt, daß die kanonischeAbbildung η : G → G/N , x 7→ xN einen Homomorphismus darstellt. Die GruppeG/N heißt die Faktorgruppe von G nach N (kurz:

”G modulo N“), die Abbildung η

wird kanonischer Homomorphismus genannt.Die Multiplikation in G/N wird vertreterweise ausgefuhrt:

(∗) xN · yN = (xy)N ;

das Ergebnis hangt dabei nicht von der speziellen Wahl der beiden Vertreter ab.Offenbar gilt Bild(η) = G/N und Kern(η) = N .

Insbesondere sind die Normalteiler von G gerade die Kerne der von G ausgehen-den Gruppenhomomorphismen.

Beweis. Es genugt zu zeigen, daß (∗) tatsachlich unabhangig von der Vertreter-wahl ist. Seien x, y ∈ G und x′ ∈ xN , y′ ∈ yN . Dann gilt x′ = xz1, y′ = yz2 mitz1, z2 ∈ N . Daraus folgt:

x′y′ = xz1yz2 = xyy−1z1yz2 = xy (z y1 z2)︸ ︷︷ ︸∈N

≡N xy.

Beispiel: Aus der Linearen Algebra kennen wir bereits die FaktorgruppenVorl. 6

Z/nZ = 0 + nZ, 1 + nZ, 2 + nZ, . . . , (n− 1) + nZ fur n ∈ N,

betrachtet als abelsche Gruppe.

3.12. Satz (”Homomorphiesatz bzw. erster Isomorphiesatz fur Gruppen“).

Sei ϑ : G→ H ein Homomorphismus zwischen Gruppen. Dann gelten:

(1) Bild(ϑ) ≤ H ist eine Untergruppe.(2) Kern(ϑ) E G ist ein Normalteiler.(3) G/Kern(ϑ) ∼= Bild(ϑ); genauer induziert ϑ einen Isomorphismus

ϑ : G/Kern(ϑ)→ Bild(ϑ), xKern(ϑ) 7→ xϑ,

der mit dem kanonischen Homomorphismus η : G → G/Kern(ϑ) in folgender

Beziehung steht: ϑ = ηϑ.

Gϑ //

η $$

Bild(ϑ) ≤ H

G/Kern(ϑ)ϑ

66

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3. HOMOMORPHISMEN UND ISOMORPHIESATZE FUR GRUPPEN 17

Beweis. Nach (3.6) sind Bild(ϑ) ≤ H und K := Kern(ϑ) E G; weiter ist die

Abbildung ϑ wie angegeben ordentlich definiert. Zu prufen bleibt: ϑ : G/K → Bild(ϑ)ist ein Isomorphismus.

Offenbar gilt Bild(ϑ) = Bild(ϑ). Sind x, y ∈ G mit

(xK)ϑ = (yK)ϑ,

also xϑ = yϑ, dann gilt nach (3.6) bereits xK = yK. Somit ist ϑ eine Bijektion.

Zu zeigen bleibt: ϑ ist ein Homomorphismus. Fur beliebige x, y ∈ G gilt((xK)(yK)

)ϑ =

((xy)K

)ϑ = (xy)ϑ = (xϑ)(yϑ) =

((xK)ϑ

)((yK)ϑ

).

3.13. Satz (”Korrespondenzsatz fur Gruppen“).

Sei G eine Gruppe, und sei N E G. Zwischen

der Menge U(G,N) aller Untergruppen H ≤ G, die N erhalten, und der Menge U(G/N) = U(G/N, 1) aller Untergruppen von G/N

besteht eine inklusionserhaltende Bijektion

Φ: U(G,N)→ U(G/N), H 7→ H/N.

Dabei gilt H E G genau dann, wenn H/N E G/N .

Gkan. Homom. // G/N

· · · H •1-1-Korresp.

fur Untergr.•H/N · · ·

N 1

1

Beweis. Ist H ∈ U(G,N), so gilt offenbar N E H; somit ist H/N eine Gruppe,und H ≤ G impliziert H/N ≤ G/N , da die Multiplikation von in H liegenden N -Nebenklassen in beiden Faktorgruppen gleich definiert ist. Also ist Φ(H) ∈ U(G/N)wie angegeben.

Ein naheliegender Kandidat fur die gesuchte Umkehrabbildung von Φ ist

Ψ: U(G/N)→ Pot(G), H→⋃

H,

wobei Pot(G) die Potenzmenge von G bezeichnet. In der Tat gilt fur H ∈ U(G,N):

Ψ(Φ(H)) = Ψ(H/N) = Ψ(hN | h ∈ H

)=⋃hN | h ∈ H = H,

so daß Ψ Φ = idU(G,N) gilt. Am Ende des Beweises begrunden wir die Inklusion

(∗) Bild(Ψ) ⊆ U(G,N).

Mit (∗) folgt fur H = xN | x ∈ X ∈ U(G/N) tatsachlich

Φ(Ψ(H)

)= Φ

(⋃H)

=(⋃xN | x ∈ X

)/N = xN | x ∈ X = H,

–Version 23. Juli 2017–

18 KAPITEL 1. ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

so daß Φ Ψ = idU(G,N) ist. Folglich sind Φ und Ψ wie gewunscht zueinander inverseBijektionen zwischen U(G,N) und U(G/N); offensichtlich sind Ψ und Φ inklusions-erhaltend.

Die Behauptung

(†) H E G ↔ H/N E G/N, fur H ∈ U(G,N),

ergibt sich, da fur den kanonischen Homomorphismus η : G→ G/N und g ∈ G gilt:

ιg η = η ιgN , d. h. ∀x ∈ G : (g−1xg)N = (gN)−1(xN)(gN).

Wir zeigen die Ruckrichtung in (†) im Detail und lassen die Hinrichtung als Ubung[Ub]stehen. Sei H ≤ G mit N ⊆ H und H/N E G/N . Zu zeigen: H E G. Seien dazu

x ∈ H und g ∈ G. Dann gilt

g−1xg ∈ (g−1xg)N = (gN)−1(xN)(gN) ∈ H/N,also g−1xg ∈ yN ⊆ H fur geeignetes y ∈ H.

Es bleibt (∗) zu begrunden. Sei H = xN | x ∈ X ∈ U(G/N) und betrachte

H = Ψ(H) =⋃xN | x ∈ X ⊆ G.

Wegen N = 1·N ∈ H gilt sicherlich N ⊆ H, insbesondere ist H 6= ∅. Seien y, z ∈ H.Dann sind yN, zN ∈ H, und da H ≤ G/N ist, ist auch y−1zN = (yN)−1(zN) ∈ H.Somit ist y−1z ∈ y−1zN ⊆ H. Gemaß (2.7) ist dann H ≤ G, also H ∈ U(G,N).

3.14. Satz (”Zweiter Isomorphiesatz fur Gruppen“).

Sei G eine Gruppe, sowie H ≤ G und N E G. Dann gelten:

HN = hz | h ∈ H, z ∈ N ≤ G mit N ⊆ HN , H ∩N E H, H/(H ∩N) ∼= HN/N mittels ι : H/(H ∩N)→ HN/N , h(H ∩N) 7→ hN .

G

HN

H N

H ∩N

1

Beweis. Bezeichne mit ϑ : H → G/N die Einschrankung des kanonischen Homo-morphismus G→ G/N auf H. Dann ist H = hN | h ∈ H = Bild(ϑ) ≤ G/N . Mitder Bezeichnung wie in (3.13) folgt

HN =⋃

H = Φ−1(H) ≤ G mit N ⊆ HN ,

und Anwendung von Φ liefert:

Bild(ϑ) = Φ(Φ−1(H)) = Φ(HN) = HN/N.

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4. HOMOMORPHISMEN UND ISOMORPHIESATZE FUR RINGE 19

Weiter ist H ∩ N = Kern(ϑ) E H, und (3.12) liefert H/(H ∩ N) = H/Kern(ϑ) ∼=Bild(ϑ) = HN/N mittels ι = ϑ wie angegeben.

3.15. Satz (”Dritter Isomorphiesatz fur Gruppen“).

Sei G eine Gruppe, und seien M,N E G mit M ⊆ N . Dann ist N/M E G/M , undϑ : G/M → G/N , xM 7→ xN vermittelt einen Isomorphismus

(G/M)/(N/M) ∼= G/N.

Beweis. Offenkundig ist ϑ wie angegeben ein Homomorphismus von G/M aufG/N mit Kern(ϑ) = N/M . Die Behauptung folgt daher mittels (3.12).

3.16. Beispiele (Anwendungen der Isomorphiesatze).[Ub]

(1) Die Abbildung ϑ : R → C×, t → exp(2πit) ist ein Homomorphismus bzgl. +, ·mit

Bild(ϑ) = z ∈ C | |z| = 1 = S1 und Kern(ϑ) = Z.Wir erhalten (R/Z,+) ∼= (S1, ·).

(2) Die Quaternionengruppe G = Q8 = ±1,±i,±j,±k (siehe (2.13)) besitzt denVorl. 7

Normalteiler N = 1,−1 E G. [Anmerkung: N = Z(G) = g ∈ G | ∀x ∈ G :gx = xg ist das sogenannte Zentrum von G.] Sei H = V4 = id, α, β, γ dieKleinsche Vierergruppe (siehe (2.8)).

Dann ist ϑ : G→ H, definiert durch

x ±1 ±i ±j ±kxϑ id α β γ

ein Homomorphismus mit Bild(ϑ) = H und Kern(ϑ) = N . Dies liefertG/N ∼= H,d. h. Q8/±1 ∼= V4.

(3) Die Gruppe G = Alt(4) hat Ordnung |G| = 4!/2 = 12. Es ist N = V4 =(1), (1 2)(3 4), (1 3)(2 4), (1 4)(2 3) E G und H = (1), (1 2 3), (1 3 2) ≤ Gmit H ∼= Z/3Z. Aus |N | = 4 und |H| = 3 folgt (mit dem Satz von Lagrange)HN = G sowie H ∩N = (1). Also erhalten wir

Alt(4)/V4 = HN/N ∼= H/(H ∩N) ∼= H ∼= Z/3Z.

4. Homomorphismen und Isomorphiesatze fur Ringe

Wir behandeln Homomorphismen, d. h. strukturerhaltenden Abbildungen, zwi-schen Ringen und Faktorstrukturen. Weiter formulieren und beweisen wir, ahnlichwie schon im vorherigen Abschnitt fur Gruppen, die grundlegenden NoetherschenIsomorphiesatze sowie den Korrespondenzsatz fur Ringe.

4.1. Definition. Seien R und S Ringe. Ein Homomorphismus von R nach S isteine Abbildung ϑ : R→ S, fur die gelten

(a+ b)ϑ = aϑ+ bϑ und (ab)ϑ = (aϑ)(bϑ) fur alle a, b ∈ R.–Version 23. Juli 2017–

20 KAPITEL 1. ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

Bemerkung: Offenbar ist ϑ ein Homomorphismus zwischen den additiven Gruppen(R,+) und (S,+); insbesondere gelten 0Rϑ = 0S und (−a)ϑ = −(aϑ) fur alle a ∈ R.

Ein Isomorphismus von R auf S ist ein bijektiver Homomorphismus ι : R → S,dessen Umkehrabbildung ι−1 : S → R dann automatisch ebenfalls ein Homomorphis-mus ist; vgl. (3.4). Besteht ein Isomorphismus zwischen R und S, so heißen R undS isomorph zueinander, in Zeichen R ∼= S.

Ein Automorphismus von R ist ein Isomorphismen von R auf sich selbst. DieMenge der Automorphismen von R bildet bzgl. der Hintereinanderausfuhrung eineGruppe, die sogenannte Automorphismengruppe Aut(R).

Beispiel: Fur den Ring Z ist Aut(Z) = id. Wie laßt sich die Automorphismengrup-[Ub]pe Aut(K[X]) des Polynomrings uber einem Korper K mit Hilfe der affinen Gruppe

Aff(1, K) und der Automorphismengruppe Aut(K) beschreiben?

Sei ϑ : R→ S ein Homomorphismus. Das Bild und der Kern von ϑ sind

Bild(ϑ) = aϑ | a ∈ R und Kern(ϑ) = 0ϑ−1 = a ∈ R | aϑ = 0.

4.2. Beispiele.[Ub]

(1) Seien K ≤ M Ringe, und sei A ∈ M mit Aa = aA fur alle a ∈ K; z. B. also:Z ≤ C und A = i

√5, oder R ∼= a.Id | a ∈ R ≤ Matn(R) und A ∈ Matn(R).

Seien R = K[X] der Polynomring uber K und S = M . Dann ist

ϑA : R→ S, f =∑

iaiX

i 7→ f(A) =∑

iaiA

i

ein Homomorphismus, genannt der Einsetzungshomomorphismus zu A. Hat Kein Einselement 1 6= 0, so schreibt man suggestiv K[A] = Bild(ϑA).

(2) Sei X eine Menge. Dann ist die Potenzmenge R = Pot(X) mit der”Addition“

A+B := A4B = (A ∪B)r (A ∩B) (symmetrische Differenz )und der

”Multiplikation“

A ·B := A ∩B fur A,B ⊆ X (Durchschnitt)ein Ring mit Nullelement ∅ und Einselement X.

Weiter ist S = FX2 = (bx)x∈X | bx ∈ F2 mit den koordinatenweise erklartenVerknupfungen

(bx)x∈X + (cx)x∈X = (bx + cx)x∈X und (bx)x∈X · (cx)x∈X = (bx · cx)x∈Xebenfalls ein Ring.

Zu A ⊆ X betrachten wir die charakteristische Funktion

χA : X → F2, x 7→

0 falls x 6∈ A,

1 falls x ∈ A.

Dann ist ϑ : R→ S, A→ χA ein Ringisomorphismus.

4.3. Hilfssatz. Sei ϑ : R→ S ein Ringhomomorphismus. Dann gelten:

(1) Bild(ϑ) ist ein Unterring von S.

–Version 23. Juli 2017–

4. HOMOMORPHISMEN UND ISOMORPHIESATZE FUR RINGE 21

(2) Kern(ϑ) ist ein Unterring von R und hat die zusatzliche Eigenschaft

rx, xr ∈ Kern(ϑ) fur alle x ∈ Kern(ϑ) und r ∈ R. [ Ideal]

(3) Zwei Elemente von R haben dasselbe Bild unter ϑ genau dann, wenn sie inderselben +-Nebenklasse bzgl. Kern(ϑ) liegen.

Merke: Insbesondere ist ϑ injektiv genau dann, wenn Kern(ϑ) = 0 ist.

Beweis. Wir argumentieren ahnlich wie in (3.6). Die in (2.12) aufgefuhrten Kri-terien zeigen Bild(ϑ) ≤ S und Kern(ϑ) ≤ R. Fur x ∈ Kern(ϑ) und r ∈ R gelten

(rx)ϑ = (rϑ)(xϑ) = (rϑ) · 0 = 0 und (xr)ϑ = (xϑ)(rϑ) = 0 · (rϑ) = 0,

also rx, xr ∈ Kern(ϑ). Die letzte Behauptung folgt bereits aus (3.6), indem wir ϑ alsGruppenhomomorphismus von (R,+) nach (S,+) betrachten.

4.4. Definition. Sei R ein Ring. Ein (beidseitiges) Ideal I von R, in ZeichenI E R, ist eine additive Untergruppe von R, fur die zusatzlich gilt:

rx, xr ∈ I fur alle x ∈ I und r ∈ R.

Beobachtung: Sei I ⊆ R. Dann sind aquivalent:[Ub]

I E R (Ideal) I 6= ∅ und ∀a, b ∈ I ∀r ∈ R : a− b, ra, ar ∈ I.

4.5. Beispiele.[Ub]

(1) Die Ideale von Z sind genau: mZ mit m ∈ N0.(2) Wir schreiben

√−5 fur die komplexe Quadratwurzel

√5i von −5. In dem Ring

R = Z[√−5] = a+ b

√5i | a, b ∈ Z ≤ C

gilt

(∗) 2 · 3 = 6 = (1−√−5)(1 +

√−5)

Ausgehend von dieser Gleichung werden wir spater sehen: In Z[√−5] laßt sich

kein direktes Analogon zur eindeutigen Primfaktorzerlegung in Z herleiten. MitHilfe des Idealbegriffs (Ideal ≡

”ideale Zahl“; Kummer und Dedekind im 19ten

Jahrhundert) laßt sich das Problem aber beheben. Die fur (∗) wesentlichen Prim-ideale sind:

P = 2R + (1−√−5)R, Q1 = 3R + (1−

√−5)R, Q2 = 3R + (1 +

√−5).

Die”Primidealfaktorisierung“ zu (∗) ist dann:

(P · P )︸ ︷︷ ︸2R

· (Q1 ·Q2)︸ ︷︷ ︸3R

= 6R = (P ·Q1)︸ ︷︷ ︸(1−√−5)R

· (P ·Q2)︸ ︷︷ ︸(1+√−5)R

.

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22 KAPITEL 1. ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

4.6. Satz und Definition. Sei R ein Ring und sei I E R. Dann gibt es aufR/I = x + I | x ∈ R genau eine Ringstruktur dergestalt, daß die kanonischeAbbildung η : R→ R/I, x 7→ x+ I einen Homomorphismus darstellt. Der Ring R/Iheit der Faktorring, oder Restklassenring, von R nach I (kurz:

”R modulo I), die

Abbildung η kanonischer Homomorphismus.Die Verknupfungen + und · werden in R/I vertreterweise definiert:

(x+ I) + (y + I) = (x+ y) + I und (x+ I) · (y + I) = (xy) + I;

das Ergebnis hangt dabei jeweils nicht von der speziellen Wahl der Vertreter ab.Offenbar gilt Bild(η) = R/I und Kern(η) = I.

Insbesondere sind die Ideale von R gerade die Kerne der von R ausgehendenRinghomomorphismen.

Bemerkung: Fur I E R fallen Links- und Rechtsnebenklassen bzgl. + zusammen;man spricht auch von Restklassen modulo I. Wie bei Gruppen schreiben wir sugge-stiv x ≡I y ↔def x+ I = y + I fur die Aquivalenzrelation

”modulo I“ auf R.

Beweis. Der Nachweis erfolgt ahnlich wie fur (3.11). [Ub]

Die Restklassenringe Z/nZ sind bereits aus der Linearen Algebra bekannt. Wiefur Gruppen gelten die nachfolgenden Isomorphiesatze.

4.7. Satz (”Homomorphiesatz bzw. erster Isomorphiesatz fur Ringe“).

Vorl. 8Sei ϑ : R→ S ein Homomorphismus zwischen Ringen. Dann gelten:

(1) Bild(ϑ) ≤ S ist ein Unterring.(2) Kern(ϑ) E R ist ein Ideal.(3) R/Kern(ϑ) ∼= Bild(ϑ); genauer induziert ϑ einen Isomorphismus

ϑ : R/Kern(ϑ)→ Bild(ϑ), x+ Kern(ϑ) 7→ xϑ,

der mit dem kanonischen Homomorphismus η : R → R/Kern(ϑ) in folgender

Beziehung steht: ϑ = ηϑ.

Rϑ //

η $$

Bild(ϑ) ≤ S

R/Kern(ϑ)ϑ

77

Beweis. Der Nachweis erfolgt ahnlich wie fur (3.12). [Ub]

4.8. Satz (”Korrespondenzsatz fur Ringe“).

Sei R ein Ring, und sei I E R. Zwischen

der Menge U(R, I) aller Unterringe S ≤ R, die I erhalten, und der Menge U(R/I) = U(R/I, 0) aller Unterringe von R/I

besteht eine inklusionserhaltende Bijektion

Φ: U(R, I)→ U(R/I), S 7→ S/I.

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4. HOMOMORPHISMEN UND ISOMORPHIESATZE FUR RINGE 23

Dabei gilt S E R genau dann, wenn S/I E R/I.

Rkan. Homom. // R/I

· · · S •1-1-Korresp.

fur Unterringe.•S/I · · ·

I 0

0

Beweis. Der Nachweis erfolgt ahnlich wie fur (3.13). [Ub]

4.9. Satz (”Zweiter Isomorphiesatz fur Ringe“).

Sei R ein Ring, sowie S ≤ R und I E R. Dann gelten:

S + I = s+ z | s ∈ S, z ∈ I ≤ R mit I ⊆ S + I, S ∩ I E S, S/(S ∩ I) ∼= (S + I)/I mittels ι : S/(S ∩ I)→ (S + I)/I, s+ (S ∩ I) 7→ s+ I.

R

S + I

S I

S ∩ I

0

Beweis. Der Nachweis erfolgt ahnlich wie fur (3.14). [Ub]

4.10. Satz (”Dritter Isomorphiesatz fur Ringe“).

Sei R ein Ring, und seien I, J E R mit I ⊆ J . Dann ist J/I E R/I, und ϑ : R/I →R/J , x+ I 7→ x+ J vermittelt einen Isomorphismus

(R/I)/(J/I) ∼= R/J.

Beweis. Offenkundig ist ϑ wie angegeben ein Homomorphismus von R/I auf R/Jmit Kern(ϑ) = J/I. Die Behauptung folgt daher mittels (4.7).

4.11. Beispiele (Anwendungen der Isomorphiesatze).[Ub]

(1) Mittels ϑ : R[X]→ C, f 7→ f(i) erhalten wir einen Ringisomorphismus

R[X]/(X2 + 1)R[X] ∼= C

(2) Mittels ϑ : Z[X] → F2[X], f =∑n

i=0 fiXi 7→ f =

∑ni=0 f iX

i, wobei wir a =a+ 2Z ∈ Z/2Z = F2 fur a ∈ Z schreiben, erhalten wir einen Ringisomorphismus

Z[X]/2Z[X] ∼= F2[X].

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24 KAPITEL 1. ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

Z[X] F2[X]

(X2 +X + 1)Z[X] + 2Z[X] •1-1-Korresp.

•(X2 +X + 1)F2[X]

2Z[X] 0

(3) Fur R = Z, I = 4Z E R und S = 6Z ≤ R gilt S+ I = 2Z und S∩ I = 12Z. Alsoliefert der zweite Isomorphiesatz einen Ringisomorphismus ι : 2Z/4Z→ 6Z/12Z,wobei (0 + 4Z)ι = 0 + 12Z und (2 + 4Z)ι = 6 + 12Z sind.

Z

2Z = 6Z+ 4Z

6Z 4Z

12Z = 6Z ∩ 4Z

0

4.12. Definition und Folgerung. Sei R ein Ring, und seien I, J E R. Dannsind auch der Schnitt I ∩ J , die Summe I + J = x+ y | x ∈ I, y ∈ J und

I · J =∑m

k=1xkyk | m ∈ N0, und xk ∈ I, yk ∈ J fur 1 ≤ k ≤ m

Ideale von R. Achtung: Im allgemeinen gilt nicht I · J = xy | x ∈ I, y ∈ J.

Offenbar gelten die folgenden Inklusionen:

I ⊆0 ⊆ I · J ⊆ I ∩ J

⊆⊆ I + J ⊆ R.

J⊆

Bemerkung: Per Induktion verallgemeinert sich die Konstruktion sofort auf endlichviele Ideale I1, . . . , Ir E R, und wir erhalten Ideale

I1 ∩ . . . ∩ Ir, I1 + . . .+ Ir, I1 · . . . · Ir E R.

Den Schnitt⋂

I =⋂I∈I I und die Summe

∑I =

∑I∈I I konnen wir sogar fur belie-

bige Familien I von Idealen betrachten; fur⋂I benotigen wir wie immer zusatzlich

I 6= ∅. Hierbei gilt

I ist das”großte“ Ideal von R, das in allen I ∈ I enthalten ist.

I ist das”kleinste“ Ideal von R, das alle I ∈ I enthalt.

Beweis. Ubung: Wende das Krierium aus (4.4) an! [Ub]

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4. HOMOMORPHISMEN UND ISOMORPHIESATZE FUR RINGE 25

4.13. Satz und Definition. Sei Si | i ∈ I eine Familie von Ringen. Dann istdas cartesische Produkt

R =∏

i∈ISi = (xi)i∈I | xi ∈ Si fur i ∈ I

bzgl. der koordinatenweise erklarten Verknupfungen

(xi)i∈I + (yi)i∈I = (xi + yi)i∈I und (xi)i∈I · (yi)i∈I = (xiyi)i∈I

ein Ring. Ist I = 1, . . . , r endlich, so schreiben wir ublicherweise

R = S1 × . . .× Sr.

4.14. Satz. Sei R ein Ring. Seien r ∈ N und I1, . . . , Ir E R mit der Eigenschaft

(∗) R = Ik +⋂Ij | 1 ≤ j ≤ r, j 6= k fur jedes k ∈ 1, . . . , r.

Dann vermittelt

ϕ : R→ R/I1 × . . .×R/Ir, a 7→ (a+ I1, . . . , a+ Ir)

einen Isomorphismus

R/(I1 ∩ . . . ∩ Ir) ∼= R/I1 × . . .×R/Ir.

Beweis. Offenbar ist ϕ ein Ringhomomorphismus mit

Kern(ϕ) = I1 ∩ . . . ∩ Ir.

Nach dem Homomorphiesatz (4.7) genugt es also, zu zeigen: Bild(ϕ) =∏r

j=1 R/Ij.

Jedes (a1 + I1, . . . , ar + Ir) ∈∏r

j=1R/Ij laßt sich schreiben als Summe

(a1 + I1, . . . , ar + Ir) =r∑

k=1

(0, k−1. . ., 0, ak + Ik, 0, r−k. . ., 0).

Seien also k ∈ 1, . . . , r und a ∈ R gegeben; o. E. durfen wir k = 1 annehmen.Gesucht ist eine x ∈ R mit xϕ = (a + I1, 0, . . . , 0), d. h. mit x + I1 = a + I1 undx+ Ij = 0 + Ij fur j ≥ 2, also

x ≡I1 a und x ≡Ij 0 fur 2 ≤ j ≤ r.

Nach (∗) gilt a = y + z mit y ∈ I1 und z ∈ I2 ∩ . . . ∩ Ir. Dann erfullt x = a− y = zdie Bedingungen.

4.15. Korollar (Chinesischer Restesatz fur Z). Sei m ∈ N mit Primfaktorzerle-gung m =

∏ri=1 p

eii . Dann ist

Z/mZ→∏r

i=1Z/p eii Z, (a+mZ) 7→ (a+ p e11 , . . . , a+ p err )

ein Ringisomorphismus.

Bemerkung: Der beschriebene Ringisomorphismus ist insbesondere auch ein Grup-penisomorphismus zwischen den additiven Gruppen der beteiligten Ringe.

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26 KAPITEL 1. ALGEBRAISCHE STRUKTUREN

Beweis. Offenbar gelten fur a, b ∈ Z:

aZ+ bZ = ggT(a, b)Z und aZ ∩ bZ = kgV(a, b)Z;

fur die erste Aussage benotigt man die Darstellung des großten gemeinsamen Teilersals Linearkombination ggT(a, b) = as + bt mit mit Bezout-Koeffizienten s, t ∈ Z.Insbesondere gilt fur teilerfremde a, b ∈ Z:

aZ+ bZ = Z und aZ ∩ bZ = abZ.Die Behauptung folgt dann mittels (4.14).

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KAPITEL 2

Struktur- und Teilbarkeitstheorie fur Ringe

5. Teilbarkeitstheorie in Halbgruppen

In diesem Abschnitt bereiten wir die Untersuchung der multiplikativen Strukturgeeigneter kommutativer Ringe mit Eins vor. Hauptziel ist die Verallgemeinerungder klassischen Primfaktorzerlegung fur ganze Zahlen auf andere Zahlbereiche.

5.1. Definition. Sei R ein Ring. Sind a, b ∈ R r 0 mit ab = 0, dann heißt aein Linksnullteiler und b ein Rechtsnullteiler in R.

Besitzt R weder Links- noch Rechtsnullteiler, so heißt R nullteilerfrei. Ein Inte-gritatsbereich ist ein kommutativer, nullteilerfreier Ring mit Einselement 1 6= 0.

Beispiele:

(1) In Mat2(Z) gilt ( 0 10 0 ) ( 0 1

0 0 ) = ( 0 00 0 ). Folglich ist ( 0 1

0 0 ) sowohl Links- als auchRechtsnullteiler.

Vorl. 9(2) Der Ring Z der ganzen Zahlen und Polynomringe K[X] uber Korpern K sind

Integritatsbereiche.(3) Jeder Unterring R eines Korpers K, der die 1 enthalt, ist ein Integritatsbereich,

z. B. also der Ring Z[i] ≤ C der ganzen gaußschen Zahlen.(4) Ist R ein Integritatsbereich, so auch R[X]; z. B. folgt per Induktion: Fur jedes

n ∈ N ist Z[X1, . . . , Xn] ein Integritatsbereich.

Bemerkung: Ist R ein Integritatsbereich, so gilt die Kurzungsregel :

∀a ∈ Rr 0 ∀b, c ∈ R : ab = ac→ b = c.

Somit ist.

R = (Rr 0, ·) eine regulare, kommutative Halbgruppe mit Einselementin dem nachfolgenden Sinne.

Generalvoraussetzung. Im ganzen Abschnitt sei H = (H, ·) eine regulare,kommutative Halbgruppe mit 1, d. h. ein Verknupfungsgebilde mit:

· : H ×H → H ist assoziativ und kommutativ (kommutative Halbgruppe) ∃ 1 = 1H ∈ H ∀a ∈ H : a · 1 = 1 · a = a (Einselement) ∀a, b, c ∈ H : ab = ac→ b = c (Kurzungsregel)

Bemerkung: Beispielsweise bilden die naturlichen Zahlen N mit der geohnlichen Mul-tiplikation eine regulare, kommutative Halbgruppe mit Einselement 1.

5.2. Definition und Folgerung. Fur a, b ∈ H definiere:

a |H b (in Worten: a teilt b in H) ↔def ∃c ∈ H : ac = b,

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28 KAPITEL 2. STRUKTUR- UND TEILBARKETSTHEORIE

a ist eine Einheit in H ↔def a |H 1 a ∼H b (in Worten: a ist assoziiert zu b in H) ↔def a |H b ∧ b |H a.

Die Teilerrelation |H ist reflexiv und transitiv, im allgemeinen aber nicht symme-trisch. Die Einheiten von H bilden eine Gruppe, die Einheitengruppe

H× = h ∈ H | h |H 1.

Fur alle a, b ∈ H gilt:

(∗) a ∼H b gdw. ∃e ∈ H× : a = be.

Folglich ist ∼H eine Aquivalenzrelation auf H, und es ist

H/ ∼H= aH× | a ∈ H.

Sei a ∈ H. Jedes t ∈ H mit t |H a heißt ein Teiler von a. Offenbar ist jedest ∈ H× ∪ aH× ein Teiler von a; solche Teiler nennt man triviale Teiler von a ∈ H.

Beweis. Alle Behauptungen sind leicht nachzuprufen. Beispielhaft begrunden wir[Ub]die zentrale Aussage (∗). Seien a, b ∈ H mit a ∼H b. Dann existieren d, e ∈ H mit

ad = b und be = a. Das ergibt

a(de) = (ad)e = be = a,

mit der Kurzungsregel also de = 1, so daß e ∈ H× ist.Sind umgekehrt a, b ∈ H mit a = be fur geeignetes e ∈ H×, dann gilt jedenfalls

b |H a. Ist weiter d ∈ H mit de = ed = 1, d. h. d = e−1 in H×, so gilt

ad = bed = b,

also a |H b. Das ergibt a ∼H b.

5.3. Definition. Sei a ∈ H. Wir nennen a irreduzibel (oder auch unzerlegbar)in H, falls gilt:

a 6∈ H× und ∀a, b ∈ H : a = bc → ( b ∈ H× ∨ c ∈ H× ).

Wir nennen a prim oder auch ein Primelement in H, falls gilt:

a 6∈ H× und ∀b, c ∈ H : a | bc → ( a | b ∨ a | c ).

Beispiele: In N = (N, ·) ist N× = 1, und die gewohnlichen Primzahlen 2, 3, 5, 7, 11,13, 17, . . . bilden die Menge aller irreduziblen Elemente und ebensfalls die Mengealler Primelemente.

In.

Z = (Z r 0, ·) ist.

Z× = 1,−1, und zwei Elemente sind assoziiert, fallssie bis auf das Vorzeichen gleich sind. Wieder fallen die Eigenschaften, irreduzibel

bzw. prim zu sein, zusammen: a ∈.

Z ist irreduzibel oder gleichbdeutend prim genaudann, wenn |a| eine gewohnliche Primzahl ist.

Bemerkung: Sind a, b ∈ H mit a ∼H b, dann gelten offenbar: a ist irreduzibel gdw.b irreduzibel ist; a ist prim gdw. b prim ist.

[Ub]–Version 23. Juli 2017–

5. TEILBARKEITSTHEORIE IN HALBGRUPPEN 29

5.4. Hilfssatz. Fur a ∈ H gilt: Ist a prim, so ist a auch irreduzibel.

Beweis. Sei a prim, insbesondere a 6∈ H×. Seien b, c ∈ H mit a = bc. Zu zeigenist: b ∈ H× oder c ∈ H×. Aus a = bc | bc folgt: a | b oder a | c; o. E. gelte a | b. Dannist ad = b fur geeignetes d ∈ H. Dies liefert a = adc, also 1 = dc, also c ∈ H×.

Bemerkung: I. a. brauchen irreduzible Elemente nicht prim zu sein. Betrachte hierzudie Hilbertsche Halbgruppe

H0 = a ∈ N | a ≡4 1 = 1, 5, 9, 13, . . .,

ausgestattet mit der gewohnlichen Multiplikation. Fur alle a, b ∈ H0 gilt dann: a |H0 bgenau dann, wenn a |N b.

[Ub] Merke nunmehr: 9 · 49 = 441 = 21 · 21. Man uberlegt sich damit leicht: 9 istirreduzibel in H0, aber 9 ist nicht prim in H0. naturliche Frage: Unter welchen Umstanden gilt die Umkehrung von (5.4)?

5.5. Definition und Folgerung. Seien a, b, d ∈ H. Wir definieren:

d GGT a, b ↔def d | a, b und ∀t ∈ H : t | a, b → t | d(↔ ∀t ∈ H : t | a, b ↔ t | d ).

Gilt d GGT a, b, so nennen wir d einen großten gemeinsamen Teiler von a undb in H. Gilt 1 GGT a, b, so heißen a, b teilerfremd in H.

Bemerkung: Ist d GGT a, b, so gilt fur jedes weitere Element d′ ∈ H:

(∗) d′ GGT a, b gdw. d′ ∼ d.

Insbesondere sind großte gemeinsame Teiler, sofern sie existieren, stets bis auf Asso-

ziierte eindeutig bestimmt. In.

Z haben beispielsweise je zwei Elemente genau einenpositiven großten gemeinsamen Teiler.

Beweis. Wir begrunden (∗). Sei d′ ∈ H. Ist d′ GGT a, b, so gilt: d, d′ | a, b.Aufgrund der GGT-Bedingung folgt dann direkt d | d′ und d′ | d, also d′ ∼ d.

Sei nun umgekehrt d′ ∼ d vorausgesetzt. Zu zeigen ist: ∀t ∈ H : t | a, b ↔ t | d′.Da d GGT a, b und d ∼ d′ sind, erhalten wir tatsachlich fur jedes t ∈ H:

t | a, b ↔ t | d ↔ t | d′.

5.6. Lemma (GGT-Regeln). Seien a, b, c, d, d′, d1, d′1 ∈ H. Dann gelten:

(1) Aus (d GGT a, b) und (d′ GGT ca, cb) folgt cd ∼ d′, also (cd GGT ca, cb).(2) Aus (d1 GGT a, b), (d GGT d1, c), (d′1 GGT b, c) und (d′ GGT a, d′1) folgt d ∼ d′.

–Version 23. Juli 2017–

30 KAPITEL 2. STRUKTUR- UND TEILBARKETSTHEORIE

d1

d

a b c

d′1

d′

Bemerkung: Im allgemeinen gilt nicht unbedingt

d GGT a, b → cd GGT ca, cb.

In H0 = a ∈ N | a ≡4 1 ist zum Beispiel (1 GGT 21, 33), aber dennoch nicht(21 GGT 441, 693), denn 9 | 441, 693, aber 9 - 21.

Beweis. (1) Seien d GGT a, b und d′ GGT ca, cb. Dann erhalten wir

d | a, b, also cd | ca, cb, also cd | d′.

Somit finden wir e ∈ H mit cde = d′, und es folgt:

cde | ca, cb, also de | a, b, also de | d, also e ∈ H×.

Das ergibt cd ∼ cde = d′.(2) Seien die angegebenen Voraussetzungen erfullt. Zu zeigen ist: d ∼ d′, d. h.

d | d′ und d′ | d. Wir erhalten

d | d1, c ∧ d1 | a, b, also d | a, b, c, also d | a, d′1, also d | d′

und ahnlich d′ | d.

5.7. Lemma. Haben je zwei Elemente in H einen großten gemeinsamen Teiler,Vorl. 10

so gilt fur alle a, b, c ∈ H: Aus 1 GGT a, b und 1 GGT a, c folgt 1 GGT a, bc.

Beweis. Offenbar ist a GGT a, ac, und nach Voraussetzung gilt d GGT a, bc furgeeignetes d ∈ H. Die GGT-Regel (5.6)(1) liefert c GGT ac, bc.

a

d

a ac bc

c

1

Mit der GGT-Regel (5.6)(2) ergibt sich d ∼ 1, also 1 GGT a, bc.

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5. TEILBARKEITSTHEORIE IN HALBGRUPPEN 31

5.8. Hilfssatz (Gegenstuck zu (5.4)). Haben je zwei Elemente in H einen großtengemeinsamen Teiler, so gilt fur jedes a ∈ H: Ist a irreduzibel, so ist a auch prim.

Beweis. Sei a ∈ H irred. Jedenfalls gilt dann a 6∈ H×. Seien b, c ∈ H mit a | bc.Widerspruchsannahme: a - b, c. Da a irreduzibel ist, besitzt a nur triviale Teiler,also folgt: 1 GGT a, b und 1 GGT a, c. Gemaß (5.8) erhalten wir 1 GGT a, bc. NachVoraussetzung gilt a | a, bc. Somit ist a ∼ 1, also a ∈ H×. w©

5.9. Hauptsatz (Gaußsche Halbgruppen). Sei H eine regulare, kommutativeHalbgruppe mit 1. Die nachfolgenden Aussagen sind paarweise aquivalent.

(i) Jedes Element von H rH× laßt sich als Produkt von (endlich vielen) Primele-menten schreiben.

(ii) Jedes Element von H r H× laßt sich als Produkt von (endliche vielen) ir-reduziblen Elementen scheiben, und diese Darstellung ist im folgenden Sinneeindeutig:

Sind m,n ∈ N und a1, . . . , am, b1, . . . , bn ∈ H irreduzibel mit

a1 · · · am = b1 · · · bn,

so gilt m = n und es gibt ein π ∈ Sym(n) mit ai ∼ biπ fur alle i ∈ 1, . . . , n.(iii) Je zwei Elemente in H besitzen einen großten gemeinsamen Teiler, und es gilt

die folgende aufsteigende Kettenbedingung:

(AKB) Es gibt in H keine Folge (ai)i∈N mit ∀i ∈ N : ai+1 | ai ∧ ai+1 6∼ ai.

(iv) Jedes irreduzible Element in H ist schon prim, und es gilt die oben beschriebeneaufsteigende Kettenbedingung.

Definition und Beispiele: Gilt eine und damit jede dieser vier Aussagen, so heißt Heine gaußsche Halbgruppe.

Die Halbgruppen N = (N, ·) und.

Z = (Z r 0, ·) sind gaußsch. Die HilbertscheHalbgruppe H0 = a ∈ N | a ≡4 1 ist nicht gaußsch; vgl. (5.4).

Beweis. Wir zeigen:

(i) −→ (iii)(5.8)−→ (iv) −→

((i) ∧ (iv)

)−→ (ii) −→ (i).

(i) → (iii). Es gelte (i). Es ist hilfreich, zunachst festzustellen, daß die Faktorisie-

rung von Elementen von H rH× in Primelemente, ahnlich wie in (ii) beschrieben,im wesentlichen eindeutig ist. Seien also m,n ∈ N und a1, . . . , am, b1, . . . , bn ∈ Hprim mit a1 · · · am = b1 · · · bn. Zu zeigen sind: m = n, und es gibt ein π ∈ Sym(n)mit ai ∼ biπ fur i ∈ 1, . . . , n. Wir verwenden Inkuktion nach m.

IA: m = 1. Nach (5.4) ist a1 irreduzibel. Aus a1 = b1 · · · bn folgt daher n = 1 unda1 = b1.

IS: m ≥ 1. Aus am | b1 · · · bn folgt, da am prim ist, bereits am | b1 oder . . . oderam | bn. O. E. gelte am | bn. Nach (5.4) ist bn irreduzibel, also am ∼ bn, d. h. eam = bn

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32 KAPITEL 2. STRUKTUR- UND TEILBARKETSTHEORIE

fur geeignetes e ∈ H×. Wir erhalten dann

a1 · · · am−2am−1 6am = b1 · · · bn−2(bn−1e) 6am.

Nach IV sind somit m− 1 = n− 1 und o. E. a1 ∼ b1, . . . , am−1 ∼ (bm−1e) ∼ bm−1.

Wir prufen nun (iii). Zu zeigen sind:

(a) Je zwei Elemente besitzen einen großten gemeinsamen Teiler.(b) Die aussteigende Kettenbedingung (AKB) ist erfullt.

zu (a): Seien a, b ∈ H. Ist a ∈ H× oder b ∈ H×, so gilt 1 GGT a, b. Seien nuna, b 6∈ H×. Dann finden wir n ∈ N und paarweise nicht assoziierte Primelementep1, . . . , pn ∈ H sowie k1, . . . , kn, l1, . . . , ln ∈ N0 und e1, e2 ∈ H× mit

a = e1pk11 · · · pknn und b = e2p

l11 . . . p

lnn .

Da sich jede nicht-Einheit in H eindeutig als Produkt von Primelementen schreiben

laßt, ist pmink1,l11 · · · pminkn,ln

n offenbar ein großter gemeinsamer Teiler von a und b.

zu (b): Aufgund der”eindeutigen“ Primfaktorzerlegung existiert eine Langen-

funktion ` : H → N0 mit

`(ep1 · · · pr) = r fur e ∈ H×, r ∈ N0 und Primelemente p1, . . . , pr ∈ H.

Offenbar gilt fur a, b ∈ H mit a | b und a 6∼ b, dann stets `(a) < `(b).

Widerspruchsannahme: Es existiert eine Folge a1, a2, . . . in H mit ai+1 | ai undai+1 6∼ ai fur i ∈ N. Dann ist `(a1) > `(a2) > `(a3) > . . . in N0. w©

(iv) → (i). Es gelte (iv); insbesondere sind dann”irreduzibel“ und

”prim“ gleich-

bedeutend. Daher genugt es, zu zeigen: Jedes Element von H rH× laßt sich als einProdukt von irreduziblen Elementen schreiben.Widerspruchsannahme:

S = a ∈ H rH× | a nicht Produkt von irred. Elementen in H 6= ∅.

Merke: Es gelten

(a) ∀a, b ∈ H rH× : ab ∈ S → (a ∈ S ∨ b ∈ S)(b) ∀a ∈ S : Ta := t ∈ S | t | a ∧ t 6∼ a 6= ∅.

zu (a): Die Kontraposition ist klar.

zu (b): Sei a ∈ S. Dann ist a nicht irreduzibel. Also gibt es b, c ∈ H r H× mita = bc. Dann gilt b, c | a und b, c 6∼ a. Wegen (a) ist b ∈ S oder c ∈ S, also Ta 6= ∅.

Nach dem in Abschnitt 1 vorgestellten Auswahlaxiom existiert eine Auswahl-funktion f : Pot(H) → H mit f(A) ∈ A fur alle A ⊆ H mit A 6= ∅. Wir setzenrekursiv:

a1 = f(S), a2 = f(Ta1), a3 = f(Ta2), . . .

und erhalten so eine Folge a1, a2, . . . in S ⊆ H mit ai+1 | ai und ai+1 6∼ ai fur allei ∈ N. w© zur (AKB).

–Version 23. Juli 2017–

5. TEILBARKEITSTHEORIE IN HALBGRUPPEN 33

(i) ∧ (iv) → (ii). Es gelten (i) und (iv); insbesondere sind”irreduzibel“ und

”prim“ gleichbedeutend, und jedes Element von H rH× laßt sich als Produkt von

irreduziblen Elementen schreiben. Wie in”(i) → (iii)“ gesehen ist die Produktzerle-

gung sogar im wesentlichen eindeutig.

(ii) → (i). Es gelte (ii). Es genugt, zu zeigen: Jedes irreduzible Element in H ist

bereits prim. Sei a ∈ H irreduzibel, insbesondere a 6∈ H×. Seien b, c ∈ H mit a | bc.Zu zeigen ist.: a | b oder a | c.

Ist b ∈ H× (bzw. c ∈ H×), so gilt offenbar a | c (bzw. a | b). Seien nun a, b 6∈ H×.Nach (ii) existieren r, s ∈ N und irreduzible Elemente b1, . . . , br, c1, . . . , cs ∈ H mitb = b1 · · · br und c = c1 · · · cs. Wegen a | bc existiert ein a′ ∈ H mit aa′ = bc =b1 · · · brc1 · · · cs. Wegen der Eindeutigkeit in (ii) ist das Element a dann zu einem derirreduziblen Elemente b1, . . . , br, c1, . . . , cs assoziiert. Folglich gilt a | b oder a | c.

5.10. Beispiele. Zweckmaßigerweise schreiben wir√−5 fur die komplexe Qua-

Vorl. 11dratwurzel

√5i von −5. Der Ring Z[

√−5] = a + b

√−5 | a, b ∈ Z ≤ C ist ein

Integritatsbereich. Wir erhalten die regulare, kommutative Halbgruppe mit Eins

H1 = Z[√−5]r 0, mit der gew. Multipl. fur komplexe Zahlen.

Behauptung: H×1 = 1,−1.dazu: Seien a+ b

√−5, c+ d

√−5 ∈ Z[

√−5] mit

(a+ b√−5)(c+ d

√−5) = 1.

Wir bilden auf beiden Seiten den Betrag-zum-Quadrat und erhalten

(a2 + 5b2)(c2 + 5d2) = 12 = 1 mit a, b, c, d ∈ Z.

Wegen Z× = 1,−1 ergibt das (a, b, c, d) ∈ 1, 0, 1, 0), (−1, 0,−1, 0).

Behauptung: 2 ist irreduzibel in H1.

dazu: 2 6∈ 1,−1 = H×. Sei 2 = (a + b√−5)(c + d

√−5) mit a, b, c, d ∈ Z. Wir

bilden auf beiden Seiten den Betrag-zum-Quadrat und erhalten

4 = 22 = (a2 + 5b2)︸ ︷︷ ︸≤4

(c2 + 5d2)︸ ︷︷ ︸≤4

,

also b = d = 0 und (a, c) ∈ (2, 1), (−2,−1), (1, 2), (−1,−2).

Behauptung: 2 ist nicht prim in H1.

dazu: Offenbar gilt 2 | 2 · 3 = 6 = (1 +√−5)(1 −

√−5), aber gleichwohl ist

2 - (1 +√−5), (1−

√−5) in H1.

Somit ist H1 nicht gaußsch. (Indem man sich uberlegt, daß es zu jeder vorgegebe-nen Schranke N ∈ N in Z[

√−5] nur endlich viele Elemente mit Betrag-zum-Quadrat

hochstens N gibt, laßt sich leicht zeigen: H1 erfullt sehr wohl die aufsteigende Ket-[Ub] tenbedingung.)

–Version 23. Juli 2017–

34 KAPITEL 2. STRUKTUR- UND TEILBARKETSTHEORIE

6. Grundlegende Strukturtheorie fur (kommutative) Ringe (mit 1)

In diesem Abschnitt behandeln wir grundlegende Elemente der Strukturtheoriekommutativer Ringe mit Eins. Wo es sinnvoll ist, beziehen wir allgemeinere Ringein unsere Uberlegungen ein.

6.1. Definition und Folgerung. Sei R ein Ring mit 1. Eine Einheit in R istein multiplikativ invertierbares Element, d. h. ein Element x ∈ R, zu dem y ∈ Rmit xy = yx = 1 existiert. Ein solches zu x inverses Element ist dann eindeutigbestimmt und wird mit x−1 bezeichnet. Die Einheiten von R bilden eine Gruppe, dieEinheitengruppe R×. Fur x, y ∈ R× gilt insbesondere: xy ∈ R× mit (xy)−1 = y−1x−1.

6.2. Definition und Folgerung. Sei R ein Ring und A ⊆ R. Das von A in Rerzeugte Ideal ist definiert als

〈A〉 = 〈A〉R =⋂I ⊆ R | A ⊆ I E R;

vgl. (4.12). Ist A = a1, . . . , an endlich, dann schreiben wir kurz 〈a1, . . . , an〉 anstellevon 〈a1, . . . , an〉. Ist R ein kommutativer Ring mit 1, so gilt offenbar

〈A〉 =∑Ra | a ∈ A

und speziell

〈a1, . . . , an〉 = Ra1 + . . .+Ran = x1a1 + . . .+ xnan | x1, . . . , xn ∈ R

Ein Ideal I E R heißt endlich erzeugt, falls es n ∈ N0 und a1, . . . , an ∈ I gibtmit I = 〈a1, . . . , an〉. Laßt sich I von einem einzigen Element a erzeugen, ist alsoI = 〈a〉, so heißt I ein Hauptideal von R.

Beweis. Fur kommutative Ringe mit 1 ist die Kernaussage: Ra = xa | x ∈ Rstellt das kleinste Ideal von R dar, welches ein gegebenes a ∈ R enthalt; siehe (4.4).Daraus ergeben sich leicht alle Behauptungen.

[Ub]6.3. Satz und Definition. Sei R ein Ring. Dann sind aquivalent:

(i) Jedes Ideal von R ist endlich erzeugt(ii) Der Ring R erfullt die aufsteigende Kettenbedingung fur Ideale:

(AKB) Es gibt keine unendliche aufsteigende Kette I1 ( I2 ( . . . von IdealenIj E R, j ∈ N.

Gelten diese Bedingungen fur R, so heißt der Ring R noethersch.

Beispiele:

(1) Z ist noethersch, denn jedes Ideal von Z ist von der Gestalt mZ mit m ∈ N0,also ein Hauptideal.

(2) Der Polynomring K[X1, X2, X3, . . .] in abzahlbar unendlich vielen UnbestimmtenX1, X2, . . . uber einem Krper K ist nicht noethersch: Das Ideal 〈X1, X2, . . .〉 istnicht endlich erzeugt.

[Ub]–Version 23. Juli 2017–

6. GRUNDLEGENDE STRUKTURTHEORIE FUR RINGE 35

Beweis. (i) → (ii). Sei jedes Ideal von R endlich erzeugt.

Widerspruchsannahme: I1 ( I2 ( . . . ist eine unendliche, aufsteigende Kette vonIdealen in R. Merke:

J =⋃Ij | j ∈ N E R.

Denn sind a, b ∈ J und r ∈ R, so existiert ein j ∈ N, mit a, b ∈ Ij E R, und sodanngelten: a− b ∈ Ij ⊆ J und ra, ar ∈ Ij ⊆ J .

Also ist J = 〈a1, . . . , an〉 fur geeignete n ∈ N und a1, . . . , an ∈ J . Folglich gibt esein j ∈ N mit a1, . . . , an ∈ Ij, also Ij = Ij+1 = Ij+2 = . . . = J . w©

(ii) → (i). Wir argumentieren per Kontraposition. Sei I E R nicht endlich er-

zeugt. Fur jede endliche Teilmenge A ⊆ I ist Ir 〈A〉 6= ∅. Nach dem in Abschnitt 1vorgestellten Auswahlaxiom existiert eine Auswahlfunktion f : Pot(I) → I, so daßgilt: f(A) 6∈ 〈A〉 fur jede endliche Teilmenge A ⊆ I. Wir setzen rekursiv

I1 = 〈a1〉, I2 = 〈a1, a2〉, I3 = 〈a1, a2, a3〉, . . . ,

wobei

a1 = f(∅), a2 = f(a1), a3 = f(a1, a2), . . .gelten. Auf diese Weise erhalten wir eine unendlich aufsteigende Kette I1 ( I2 ( . . .von Idealen in R.

6.4. Definition. Sei R ein Ring. Ein maximales Ideal von R ist ein Ideal I E Rmit den Eigenschaften

I ( R und ∀J E R : I ( J ⊆ R → J = R.

Wir schreiben dann I Emax R.

6.5. Hilfssatz. Sei R ein kommutativer Ring mit 1 6= 0. Dann ist R ein Korpergenau dann, wenn 0 und R die einzigen Ideale von R sind.

Beweis. Merke: R ist ein Korper genau dann, wenn R× = Rr 0 ist.Sei zunachst R ein Korper und 0 ( I E R. Wahle a ∈ I r 0. Dann ist

1 = aa−1 ∈ I, also b = b · 1 ∈ I fur alle b ∈ R. Somit ist I = R.Seien nun umgekehrt 0 und R die einzigen Ideale von R, und sei a ∈ Rr 0.

Betrachte 〈a〉 = Ra E R. Wegen a = 1 · a ∈ Ra ist Ra 6= 0, also Ra = R,insbesondere 1 ∈ Ra. Somit existiert ein b ∈ R mit ab = ba = 1, und a ∈ R×.

Bemerkung: Ahnlich sieht man: Ist R ein Divisionsring, so sind 0 und R die ein-[Ub] zigen Ideale von R.

6.6. Satz. Sei R ein kommutativer Ring mit 1 und I E R. Dann ist I Emax Rgenau dann, wenn R/I ein Korper ist.

Beweis. Die Behauptung folgt direkt aus (4.8) und (6.5).

–Version 23. Juli 2017–

36 KAPITEL 2. STRUKTUR- UND TEILBARKETSTHEORIE

Fur die Zerlegung von Ringen in Faktorringe und Ideale stellt sich nunmehrdie grundlegende Frage: Welche Ringe besitzen uberhaupt maximale Ideale? EineAntwort gibt der Satz von Krull, den wir weiter unten mit Hilfe des sogenanntenZornschen Lemmas fuhren werden. Letzteres sowie der Satz von Krull implizierenjeweils umgekehrt – zusammen mit den ubrigen Axiomen – das Auswahlaxiom.

6.7. Satz von Krull. Sei R ein Ring mit 1 und I E R, I ( R. Dann existiertein maximales Ideal M Emax R mit I ⊆M .

Zunachst widmen wir uns jedoch einer wichtigen Konstruktion, dem Invertierenvon Ringelementen. Dies fuhrt uns insbesondere zu dem Quotientenkorper einesIntegritatsbereichs.

6.8. Satz und Definition. Sei R ein kommutativer Ring, und sei ∅ 6= S ⊆ Rmit den Eigenschaften

∀a, b ∈ S : ab ∈ S und ∀a ∈ S : a 6= 0 ∧ a ist kein Nullteiler in R.

Dann existiert ein kommutativer Ring R mit 1 mit

(E1) R ≤ R ist ein Unterring,

(E2) S ⊆ R× und R = rs−1︸︷︷︸”= r/s“

| r ∈ R, s ∈ S.

Weiter gilt: Ist ϕ : R → R′ ein beliebiger Ringhomomorphismus von R in einenkommutativen Ring R′ mit 1 dergestalt, daß Sϕ ⊆ (R′)× ist, so existiert genau einRinghomomorphismus

(∗) Φ: R→ R′ mit Φ|R = ϕ.

Bildlich laßt sich die Situation als wie folgt darstellen:

Rϕ //

⊆R′ Sϕ ⊆ (R′)×

R

∃!Φ

@@

Insbesondere ist dann R mit (1), (2) bis auf Isomorphie uber R eindeutig be-Vorl. 12

stimmt: Ist auch R ein kommutativer Ring mit 1 und gelten (1), (2) entsprechend fur

R anstelle von R, so gibt es genau einen Ringisomorphismus ι : R→ R mit ι|R = idR︸ ︷︷ ︸”uber R“

.

Man bezeichnet daher R suggestiverweise auch mit RS−1.

Spezialfall: Sei R ein Integritatsbereich. Dann erfullt S = R r 0 die Vorrausset-

zungen, und RS−1 ist ein Korper, der sogenannte Quotientenkorper von R.

Beispiele:

(1) Der Quotientenkorper von Z ist Q.

–Version 23. Juli 2017–

6. GRUNDLEGENDE STRUKTURTHEORIE FUR RINGE 37

(2) Sei K ein Korper. Der Quotientenkorper des Polynomringes K[X] ist der Korperder rationalen Funktionen

K(X) = f/g | f, g ∈ K[X], g 6= 0

(3) R = Z und S = 2k | k ∈ N. Dann ist

RS−1 = Z[1/2] = a/2m | a ∈ Z,m ∈ Z ≤ Q.

Beweis. Wir erklaren auf R× S eine Relation ∼, indem wir

(r1, s1) ∼ (r2, s2) ↔def r1s2 = r2s1

setzen. Offensichtlich ist∼ reflexiv und symmetrisch; wir weisen nun die Transitivitatnach: Fur (r1, s1), (r2, s2), (r3, s3) ∈ R× S gilt:

(r1, s1) ∼ (r2, s2) ∧ (r2, s2) ∼ (r3, s3)

→ r1s2 = r2s1 ∧ r2s3 = r3s2

→ (r1s3)s2 = (r1s2)s3 = (r2s1)s3 = (r2s3)s1 = (r3s2)s1 = (r3s1)s2

→ r1s3 = r3s1

→ (r1, s1) ∼ (r3, s3).

Im vorletzten Schritte nutzen wir, daß s2 weder Null noch ein Nullteiler ist.Somit ist ∼ eine Aquivalenzrelation; wir setzen R = (R× S)/ ∼ und bezeichnen

mit rs

die Aquivalenzklasse von (r, s). Wir definieren auf R die Verknupfungen +, ·wie folgt:

r1

s1

+r2

s2

=defr1s2 + r2s1

s1s2

undr1

s1

· r2

s2

=defr1r2

s1s2

.

Dabei ist zu beachten, daß die spezielle Wahl von Vertretern der jeweiligen Aquiva-

lenzklassen unerheblich ist: Sind r1s1

=r′1s′1

und r2s2

=r′2s′2

, so folgt

(r1s2 + r2s1)(s′1s′2) = (r1s

′1)s2s

′2 + (r2s

′2)s1s

′1

= (r′1s1)s2s′2 + (r′2s2)s1s

′1 = (r′1s

′2 + r′2s

′1)s1s2,

also r1s2+r2s1s1s2

=r′1s′2+r′2s

′1

s′1s′2

und ahnlich r1r2s1s2

=r′1r′2

s′1s′2.

Man pruft leicht, daß die ublichen Rechenregeln fur”Bruche“ gelten. Insbeson-

[Ub] dere ist R ein kommutativer Ring mit Einselement 1 = s0s0

, wobei s0 ∈ S beliebiggewahlt wird. Weiter ist

η : R→ R, r 7→ rs0

s0

ein injektiver Ringhomomorphismus; die Homomorphiebedingungen sind offensicht-lich erfullt, und Kern η = r ∈ R | rs2

0 = 0 = 0, da s0 weder Null noch einNullteiler in R ist.

Gemaß (1.1) durfen wir R mit dem isomorphen Bild Rη in R identifizieren, so

daß R ≤ R ist und R Eigenschaft (E1) besitzt. Wir schreiben also r fur r ∈ R und

–Version 23. Juli 2017–

38 KAPITEL 2. STRUKTUR- UND TEILBARKETSTHEORIE

auch fur rs0s0∈ R. Fur s ∈ S gilt dann s · s0

ss0= s0

s0= 1, also s ∈ (R)×; fur r ∈ R folgt

zudem rs

= rs0ss0

= r · s0ss0

= rs−1. Das ergibt

(†) R = rs| r ∈ R, s ∈ S = rs−1 | r ∈ R, s ∈ S,

und R besitzt ebenfalls die Eigenschaft (E2).

Es bleibt, die universelle Eigenschaft von R nachzuweisen, die sich in (∗) mani-festiert. Sei ϕ : R → R′ ein Ringhomomorphismus in einen kommutativen Ring R′

mit 1 dergestalt, daß Sϕ ⊆ (R′)× ist.

Ist Φ: R→ R′ ein Ringhomomorphismus mit Φ|R = ϕ, so gilt

(rs−1)Φ · (sϕ) = (rs−1)Φ · (sΦ) = rΦ = rϕ, also (rs−1)Φ = (rϕ)(sϕ)−1

fur alle r ∈ R, s ∈ S; wegen (†) ist die Fortsetzung Φ daher schon eindeutig durch ϕbestimmt.

Um die Existenz von Φ: R→ R′ nachzuweisen, definieren wir kurzerhand

(rs−1)Φ = (rϕ)(sϕ)−1

fur r ∈ R, s ∈ S. Beachte hierbei: Aus rs

= r′

s′folgt rs′ = r′s, also (rϕ)(s′ϕ) =

(r′ϕ)(sϕ) und somit (rϕ)(sϕ)−1 = (r′ϕ)(s′ϕ)−1. Die Homomomphie-Eigenschaftenergeben sich rechnerisch aus(

r1

s1

+r2

s2

)Φ =

(r1s2 + r2s1

s1s2

)Φ = (r1s2 + r2s1)ϕ ·

((s1s2)ϕ

)−1

= (r1ϕ)(s1ϕ)−1 + (r2ϕ)(s2ϕ)−1 =

(r1

s1

)Φ +

(r2

s2

und ahnlich(r1

s1

· r2

s2

)Φ =

(r1r2

s1s2

)Φ = (r1r2)ϕ ·

((s1s2)ϕ

)−1

= (r1ϕ)(s1ϕ)−1 · (r2ϕ)(s2ϕ)−1 =

(r1

s1

)Φ ·(r2

s2

Offenbar ist Φ|R = ϕ.

Ist schließlich auch R kommutativ mit 1 und besitzt R die (1), (2) entsprechenden

Eigenschaften anstelle von R, so erhalten wir vermoge der universellen Eigenschaftenvon R und R Ringhomomorphismen Φ: R → R und Ψ: R → R mit Φ|R = idR =

Ψ|R. Dann ist ΦΨ: R → R mit (ΦΨ)|R = idR diesmal aufgrund der universellen

Eigenschaft von R (bzgl. R′ = R, ϕ = idR) gleich idR. Ebenso folgt: ΨΦ: R→ R istgleich idR. Also sind Ψ,Φ zueinander inverse Ringisomorphismen uber R.

Wir fuhren nun in Anlehnung an das Konzept eines Primelements (5.3) rechtallgemein den entsprechenden Begriff fur Ideale ein. Dazu verwenden wir das in(4.12) eingefuhrte Produkt I ·J zweier Idealen I, J eines Ringes R; fur kommutativeRinge ergibt sich jedoch sofort eine leichter zu handhabende Kennzeichnung.

–Version 23. Juli 2017–

6. GRUNDLEGENDE STRUKTURTHEORIE FUR RINGE 39

6.9. Definition und Folgerung. Sei R ein Ring. Ein Primideal von R ist einIdeal I E R mit den Eigenschaften

(P1) I ( R und ∀A,B E R : A ·B ⊆ I → (A ⊆ I ∨ B ⊆ I).

Wir sagen dann auch, das Ideal I sei prim in R, und schreiben I Eprim R.

Beobachtung: Ein Ideal I E R ist jedenfalls dann prim, falls gilt:

(P2) I ( R und ∀a, b ∈ R : ab ∈ I → (a ∈ I ∨ b ∈ I).

Ist R kommutativ, so sind die Bedingungen (P1) und (P2) sogar aquivalent.

Beweis. (P2) → (P1). Es gelte (P2) fur I E R. Dann ist zumindest I ( R. SeienA,B E R mit A 6⊆ I und B 6⊆ I. Zu zeigen: A · B 6⊆ I. Wahle a ∈ A r I undb ∈ B r I. Dann liefert (P2): ab 6∈ I. Wegen ab ∈ A ·B gilt also A ·B 6⊆ I.

(P1) → (P2) fur kommutative Ringe. Sei nun R kommutativ, und es gelte (P1)fur I E R. Jedenfalls ist dann I ( R. Seien a, b ∈ R mit ab ∈ I. Da R kommutativist, gilt

A = 〈a〉 = Z.a+Ra = m.a+ ra | m ∈ Z, r ∈ R,wobei m.a (in additiver Schreibweise!) gemaß (2.6) definiert ist. Entsprechend giltB = 〈b〉 = Z.b+Rb. Damit ist

A ·B = (Z.a+Ra) · (Z.b+Rb) = Z.ab+Rab = 〈ab〉 ⊆ I.

Mit (P1) folgern wir A ⊆ I oder B ⊆ I, also a ∈ I oder b ∈ I.

6.10. Beispiele.

(1) In Z ist jedes Ideal von der Gestalt mZ, m ∈ N0, und es gelten: mZ Emax Z genau dann, wenn m ∈ P ist; denn aus der Linearen Algebra

ist bereits bekannt: Z/mZ ist ein Korper ist genau dann, wenn m ∈ P ist. mZ Eprim Z genau dann, wenn m ∈ 0 ∪ P ist.

[Ub] (2) In R = Mat2(K), fur einen Korper K, gib es neben 0 und R keine weiterenIdeale. Da R Nullteiler besitzt, ist R gewiß kein Schiefkorper, und (6.5) verall-gemeinert sich zumindest nicht direkt fur nicht-kommutative Ringe.

Man folgert leicht: 0 ist ein Primideal im Sinne von (P1), aber (P2) gilt[Ub] nicht! Zum Beispiel gilt(

1 00 0

)︸ ︷︷ ︸6∈0

(0 00 1

)︸ ︷︷ ︸6∈0

=

(0 00 0

)= 0 ∈ 0.

In Analogie zu (6.6) gilt der folgende Satz.Vorl. 13

6.11. Satz. Sei R ein kommutativer Ring mit 1 und I E R. Dann ist I Eprim Rgenau dann, wenn R/I ein Integritatsbereich ist.

Beweis. Ist I = R, so ist I 6Eprim R und R/R = 0 kein Integritatsbereich. Seinun I ( R. Dann ist R/I kommutativ mit 1 und daher sind nach (6.9) aquivalent:

–Version 23. Juli 2017–

40 KAPITEL 2. STRUKTUR- UND TEILBARKETSTHEORIE

(a) I Eprim R,(b) ∀a, b ∈ R : ab ∈ I → (a ∈ I ∨ b ∈ I),(c) R/I ist nullteilerfrei,(d) R/I ist ein Integritatsbereich.

6.12. Satz. In einem Ring R mit 1 ist jedes maximale Ideal ein Primideal.

Bemerkung: Fur kommutative Ringe folgt die Behauptung direkt aus (6.6) und(6.11), da jeder Korper ein Integritatsbereich ist.

Beweis. Sei I Emax R, und seien A,B E R mit A ·B ⊆ I.

Widerspruchsannahme: A 6⊆ I und B 6⊆ I. Dann gilt A+ I = R = B + I, also

R =1∈R

R ·R = (A+ I) · (B + I) ⊆ (A ·B)︸ ︷︷ ︸⊆I

+I ⊆ I ( R. w©

Beispiele:

(1) In R = Z[X] ist 〈X〉 wegen Z[X]/〈X〉 ∼= Z ein Primideal, aber kein maximalesIdeal.

(2) In R = R[X] ist 〈X2 + 1〉R wegen R/〈X2 + 1〉R ∼= C ein maximales Ideal, aberin dem großeren Ring R′ = C[X] ist 〈X2 + 1〉R′ wegen X2 + 1 = (X + i)(X − i)und X + i,X − i 6∈ 〈X2 + 1〉R′ nicht einmal ein Primideal.

6.13. Satz. Seien R,R′ kommutative Ringe mit 1 und ϕ : R → R′ ein Ringho-momorphismus mit 1Rϕ = 1R′. Ist I ′ Eprim R′, so gilt I ′ϕ−1 Eprim R.

Spezialfall: Sind R ≤ R′ kommutative Ringe mit 1R = 1R′ und I ′ Eprim R′, dann istR ∩ I ′ Eprim R.

Beweis. Sei I ′ Eprim R′. Dann gilt 1R′ 6∈ I ′ ∩Rϕ E Rϕ. Daher ist I = I ′ϕ−1 E Rmit I ( R; vgl. (4.8). Seien a, b ∈ R mit ab ∈ I. Dann folgt (aϕ)(bϕ) = (ab)ϕ ∈ I ′,also aϕ ∈ I ′ oder bϕ ∈ I ′. Also a ∈ I oder b ∈ I. Somit ist I Eprim R.

Alternativbeweis: Nach (4.8) und (4.9) gilt:

R/I = R/I ′ϕ−1 ∼= Rϕ/(I ′ ∩Rϕ) ∼= (Rϕ+ I ′)/I ′ ≤ R′/I ′.

Wegen I ′ Eprim R′ ist R′/I ′ ein Integritatsbereich, also auch R/I, und somit istI Eprim R; siehe (6.11).

Beispiele:

(1) Betrachte Z ≤ Q. Dann ist 0 Emax Q, aber 0 ∩ Z = 0 Eprim Z ist nichtmaximal.

(2) Seien R = Z, R′ = Z × Z und ϕ : R → R′, a 7→ (a, 0). Merke: ϕ ist ein Ring-homomorphismus, aber 1Rϕ = 1ϕ = (1, 0) 6= (1, 1) = 1R′ . Desweiteren istI ′ = Rϕ = Z× 0 Eprim R′, aber I ′ϕ−1 = R 6Eprim R.

Wie mehrfach angekundigt, behandeln wir nun etwas genauer das Thema”Aus-

wahlaxiom“ zuruck. Wir benotigen zunachst einige grundlegende Begriffe.

–Version 23. Juli 2017–

6. GRUNDLEGENDE STRUKTURTHEORIE FUR RINGE 41

6.14. Definition. Eine Halbordnung auf einer Menge A ist eine reflexive, transi-tive und antisymmetrische Relation ≤ auf A:

(HO1) ∀a ∈ A : a ≤ a (reflexiv)(HO2) ∀a, b, c ∈ A : (a ≤ b ∧ b ≤ c) → a ≤ c (transitiv)(HO3) ∀a, b ∈ A : (a ≤ b ∧ b ≤ a) → a = b (antisymmetrisch)

Das Paar A = (A,≤) heißt eine geordnete Menge.Wir verwenden die ublichen Schreibweisen:

a ≥ b ↔def b ≤ a, a < b ↔def (a ≤ b ∧ a 6= b), a > b ↔def b < a.

Eine geordnete Menge (A,≤) heißt total (oder vollstandig oder linear) geordnet, fallsje zwei Elemente von A vergleichbar sind:

∀a, b ∈ A : a ≤ b ∨ b ≤ a;

je zwei Elemente a, b erfullen dann genau eine der Bedingungen: a < b, a = b, a > b.Sei A = (A,≤) eine geordnete Menge. Eine Kette in A ist eine totalgeordnete

Menge K = (K,≤ |K×K), die aus einer Teilmenge K ⊆ A und der Einschrankungvon ≤ auf K ×K besteht.

Eine obere Schranke in A fur ein Teilmenge B ⊆ A ist ein Element a ∈ A mitb ≤ a fur alle b ∈ B. Ein maximales Element von A ist ein Element a ∈ A mit a 6< bfur alle b ∈ A. Untere Schranken und minimale Elemente werden analog definiert.Ein maximales (bzw. minimales) Element in einer total geordneten Menge ist stetseindeutig bestimmt, sofern es uberhaupt existiert, und heißt daher großtes (bzw.kleinstes) Element.

Die geordnete Menge A heißt wohlgeordnet (und ≤ eine Wohlordnung auf A),falls jede nicht-leere Teilmenge ∅ 6= B ⊆ A ein kleinstes Element besitzt:

∃bmin ∈ B ∀b ∈ B : bmin ≤ b.

Merke: Jede wohlgeordnete Menge ist total geordnet.

Beispiele:

(1) Bekanntlich ist (N,≤) wohlgeordnet.(2) (R,≤) ist total geordnet, aber nicht wohlgeordnet.(3) (Z, | ), d. h. Z ausgestattet mit der Teilerrelation, ist keine geordnete Menge,

denn | ist nicht antisymmetrisch auf Z.[Ub] Das Problem kann jedoch leicht behoben werden: (Z/∼, |∼) ∼= (N0, | ) ist

eine geordnete Menge, aber nicht total geordnet, mit kleinstem Element 1 undgroßtem Element 0.

(4) Ist R 6= 0 ein Ring und I = I E R | I ( R. Dann ist (I,⊆) eine geordnete,i. a. nicht total geordnete Menge mit kleinstem Element 0. Die maximalenElemente in (I,⊆) sind genau die maximalen Ideale von R.

–Version 23. Juli 2017–

42 KAPITEL 2. STRUKTUR- UND TEILBARKETSTHEORIE

6.15. Satz. Die folgenden Aussagen sind – unter Verwendung der in Abschnitt 1beschriebenen Mengenaxiome, jedoch mit Ausnahme des Auswahlaxioms – paarweiseaquivalent:

(1) Auswahlaxiom. Zu jeder Familie (Ai)i∈I nicht-leerer Mengen gibt es eine Aus-wahlfunktion, d. h. eine Abbildung f : I →

⋃Ai | i ∈ I mit f(i) ∈ Ai fur alle

i ∈ I.(2) Zornsches Lemma. Sei A = (A,≤) eine geordnete Menge mit

A 6= ∅; Jede nicht-leere Kette K ⊆ A besitzt eine obere Schranke in A.

Dann besitzt A (wenigstens) ein maximales Element.(3) Zermeloscher Wohlordnungssatz. Jede Menge laßt sich wohlordnen.

Gemeinhin sagt man spaßeshalber,”das Auswahlaxiom sei intuitiv einfach rich-

tig, der Wohlordnungssatz offenkundig falsch und das Zornsche Lemma einfach nurunverstandlich.“

Beweis. (1) → (2): Es gelte (1). Sei A = (A,≤) eine geordnete Menge. Auf Teil-

mengen B ⊆ A betrachten wir stets die induzierte Ordnungsrelation ≤ |B×B. Wirverlangen die folgende (schwachere) Voraussetzung (als in (2)): Jede wohlgeordneteTeilmenge W ⊆ A besitzt eine obere Schranke in A.∗

Wir bezeichnen mit W die Menge aller wohlgeordneten Teilmengen von A. Eine(nach unten) abgeschlossene Teilmenge von W ∈W ist eine Teilmenge U ⊆ W mit

∀u ∈ U : y ∈ W | y ≤ u ⊆ U ;

wir schreiben dann U ⊆ab W .Merke: U ⊆ab W ∈W impliziert U ∈W. Genauer gilt U = W oder, falls U ( W ,

alternativ U = y ∈ W | y < x fur x = min(W r U).

Widerspruchsannahme: A besitzt keine maximalen Elemente. Dann besitzt jedesW ∈W eine obere Schranke in ArW . [dazu: Sei W ∈W und a eine obere Schrankevon W in A. Ist a 6∈ W , gibt es nichts weiter zu zeigen. Ist a ∈ W und somit dasgroßte Element von W , so gibt es aufgrund der Widerspruchsannahme ein b ∈ Amit a < b. Dann ist b ∈ A r W eine obere Schranke fur W .] Also existiert eineAuswahlfunktion f : W → A mit: Fur jedes W ∈ W ist f(W ) ∈ A rW eine obereSchranke fur W . Wir nennen W ∈W konform (bzgl. f), falls gilt:

∀x ∈ W : x = f(y ∈ W | y < x︸ ︷︷ ︸∈W, da ⊆abW

).

Bemerkung: Z. B. sind ∅, f(∅), . . . konform; wir wollen eine großte konforme wohl-geordnete Teilmenge von A bilden und dann einen Widerspruch herleiten, indem wirdie Menge noch weiter vergroßern.

∗Beachte: Jede wohlgeordnete Teilmenge ist eine Kette. Ist A 6= ∅ und a ∈ A beliebig, so ist a

eine obere Schranke fur die leere Kette ∅.

–Version 23. Juli 2017–

6. GRUNDLEGENDE STRUKTURTHEORIE FUR RINGE 43

Sei Wkonf die Menge aller konformen W ∈ W. Merke: Ist W ∈ W, so gilt W (W ∈W fur W = W ∪ f(W ); ist zudem W ∈Wkonf , so gilt W ∈Wkonf .

[Ub] Wir zeigen nun

(i) Sind W1,W2 ∈Wkonf , so gilt W1 ⊆ab W2 oder W2 ⊆ab W1.

dazu: Seien W1,W2 ∈Wkonf . Betrachte

V =⋃U | U ⊆ab W1 ∧ U ⊆ab W2 ⊆ab W1,W2.

Ist V = W1 oder V = W2, so gibt es nichts weiter zu zeigen. Sei also V (W1,W2. Dann gilt

y ∈ W1 | y < x1 = V = y ∈ W2 | y ≤ x2

fur x1 = min(W1 r V ) und x2 = min(W2 r V ). Daraus folgt x1 = f(V ) = x2.Aber dann ist V = V ∪ f(V ) ⊆ab W1,W2, also V ( V ⊆ V . Dies istunmoglich, so daß der Fall V ( W1,W2 gar nicht auftritt.

(ii) M =⋃

Wkonf ∈ Wkonf , d. h., M ist die großte konforme wohlgeordnete Teil-menge von A.

dazu: Zeige zunachst M ∈ W. Sei ∅ ( T ⊆ M . Wahle x ∈ T . Dann existiertW ∈Wkonf mit x ∈ W . Wegen (i) gilt dann

y ∈M | y ≤ x = y ∈ W | y ≤ x.

Folglich ist min(T ∩W ) ∈ W ⊆M auch ein kleinstes Element von T .Dasselbe Argument liefert sogar M ∈ Wkonf : Ist x ∈ M , so existiert ein

W ∈Wkonf mit x ∈ W . Wegen (i) gilt dann

y ∈M | y < x = y ∈ W | y < x,

und somit

x = f(y ∈ W | y < x) = f(y ∈M | y < x)

Insgesamt erhalten wir M (M ⊆M . w©

(2) → (3): Es gelte (2). Sei X eine Menge, zu der eine Wohlordnung gesuchtwird. Betrachte

M = (T,≤) | T ⊆ X mit einer Wohlordnung ≤,

die Menge aller”partiellen Wohlordnungen“. Wegen (∅,∅) ∈M ist M 6= ∅. Auf M

besteht eine naturliche Ordnungsrelation: Wir setzen (T,≤) (T ′,≤′), falls

T ⊆ T ′, ≤=≤′ |T×T und ∀x ∈ T : y ∈ T ′ | y ≤′ x ⊆ T,

das heißt, falls T ⊆ab T′ bzgl. ≤′ wie im Beweis von

”(1)→ (2)“.

Ist K = (Ti,≤i) | i ∈ I eine nicht-leere Kette in (M,), so bildet( ⋃Ti | i ∈ I,

⋃≤i| i ∈ I

)eine obere Schranke fur K in M; ahnlich wie in

”(1) → (2)“ zeigt man, daß die

[Ub]–Version 23. Juli 2017–

44 KAPITEL 2. STRUKTUR- UND TEILBARKETSTHEORIE

angegebene partielle Ordnung tatsachlich eine Wohlordnung ist. Nach (2) besitzt Mein maximales Element (T,≤).

Widerspruchsannahme: T ( X. Wahle x ∈ X r T und setze

T ′ = T ∪ x, ≤′=≤ ∪(x, x) ∪ (t, x) | t ∈ T.

Dann ist (T ′,≤′) ∈M mit (T,≤) ≺ (T ′,≤′). w©

(3) → (1): Es gelte (3). Sei (Ai)i∈I eine Familie nicht-leerer Mengen. Setze A =⋃Ai | i ∈ I und wahle eine Wohlordnung auf A. Dann ist

f : I → A, i 7→ min(Ai)

eine geeignete Auswahlfunktion.

Besonders das Zornsche Lemma findet in der Algebra vielfach Anwendung. Wirholen jetzt den Beweis von (6.7) nach.

Vorl. 14Satz von Krull. Sei R ein Ring mit 1 und I E R mit I ( R. Dann existiert

ein M Emax R mit I ⊆M .

Beweis. Betrachte M = J E R | I ⊆ J ( R mit der naturlichen Ordnungsre-lation ⊆. Wegen I ∈M ist M 6= ∅. Sei nun K eine nicht-leere Kette in (M,⊆). Wirzeigen unten, daß

(∗) K =⋃

K ∈M

ist und somit eine obere Schranke fur K in M liefert. Nach dem Zornschen Lemmabesitzt M dann (wenigstens) ein maximales Element M , d. h. I ⊆M Emax R.

zu (∗): Sind x, y ∈ K und r ∈ R, so existieren J1, J2 ∈ K mit x ∈ J1, y ∈ J2. DaK eine Kette ist, gilt J1 ⊆ J2 oder J2 ⊆ J1. Ohne Einschrankung durfen wir alsox, y ∈ J1 = J annehmen. Wegen J E R folgt dann x− y, rx, xr ∈ J ⊆ K. Somit istK E R, und jedes beliebige J ∈ K liefert I ⊆ J ⊆ K. Zu zeigen bleibt K ( R.

Widerspruchsannahme: K = R. Dann gilt 1 ∈ K. Also existiert ein J ∈ K mit1 ∈ J . Wegen J E R folgt dann R = J ∈ K ⊆M. w©

Wir streifen ohne Angabe von Beweisen ein weiteres grundlegendes Anwendungs-feld fur das Auswahlaxiom.

6.16. Satz (Schroder-Bernsteinscher Satz). Gibt es zwischen Mengen A,B injek-tive Abbildungen f : A→ B und g : B → A, so existiert eine Bijektion h : A→ B.

Der Beweis von (6.16) kann ohne das Auswahlaxiom gefuhrt werden. Zwei Men-gen A,B heißen gleichmachtig, in Zeichen |A| = |B|, falls es eine Bijektion zwischenA und B gibt. Naturlicherweise schreibt man |A| ≤ |B|, falls es eine injektive Ab-bildung von A nach B gibt. Der Satz bestatigt die erwunschte Aussage:

(|A| ≤ |B| ∧ |B| ≤ |A|) → |A| = |B|.–Version 23. Juli 2017–

7. TEILBARKEITSTHEORIE IN RINGEN 45

6.17. Satz (Vergleichbarkeit von zwei Mengen). Sind A,B Mengen, so existierteine injektive Abbildung f : A → B oder eine injektive Abbildung g : A → B; d. h.,es gilt |A| ≤ |B| oder |B| ≤ |A|.

Der Beweis dieser ebenfalls erwunschten Aussage benotigt das Auswahlaxiom.

7. Teilbarkeitstheorie in Ringen

7.1. Definition. Sei R ein Integritatsbereich. Wie in (5.1) beschrieben, ist.

R =(Rr0, ·) eine regulare, kommutative Halbgruppe mit 1. Fur a ∈ R definieren wir:

a ist eine Einheit in R ↔def a 6= 0 ∧ a ist eine Einheit in.

R,

a ist irreduzibel in R ↔def a 6= 0 ∧ a ist irreduzibel in.

R,

a ist prim in R ↔def a 6= 0 ∧ a ist prim in.

R.

Merke: Die Einheitengruppe R× des Ringes R, im Sinne von (6.1), stimmt mit der

Einheitengruppe der Halbgruppe.

R, im Sinne von (5.2), uberein. Die fur.

R definier-ten Relationen |, ∼, GGT werden wie folgt auf ganz R fortgesetzt:

x | 0 fur alle x ∈ R; 0 ∼ 0;d GGT 0, b und d GGT b, 0 fur alle b, d ∈ R mit d ∼ b.

Ein maximales Hauptideal von R ist ein ⊆-maximales Element in der Menge aR |a ∈ R, aR ( R aller

”echten“ Hauptideale von R.

7.2. Lemma. Sei R ein Integritatsbereich. Dann gelten fur alle a, b ∈ R:

(1) a | b ↔ bR ⊆ aR(2) a ∼ b ↔ aR = bR(3) a ist eine Einheit in R ↔ aR = R(4) a ist irreduzibel in R ↔ aR ist ein von 0 verschiedenes maximales Hauptideal

in R.(5) a ist prim in R ↔ aR ist ein von 0 verschiedenes Primideal in R.

Bemerkung: Die Teilbarkeitstheorie von R spiegelt sich also im wesentlichen in derdurch ⊆ geordneten Menge aller Hauptideale von R wider. Bei komplizierteren Rin-gen ist zu erwarten, daß wichtige zusatzliche Erkenntnisse mittels derjenigen Ideale,die keine Hauptideale sind, gewonnen werden konnen.

Beweis. Ubung. [Ub]

7.3. Definition. Ein Integritatsbereich R heißt gaußscher Ring (auch faktorieller

Ring oder ZPE-Ring), falls.

R = (Rr0, ·) eine gaußsche Halbgruppe ist; vgl. (5.9).Ein Hauptidealring ist ein Integritatsbereich, in dem jedes Ideal ein Hauptideal ist.

Bemerkung: In einem gaußschen Ring sind die Begriffe”prim“ und

”irreduzibel“

gleichbedeutend, und”jedes“ von 0 verschiedene Element laßt sich im wesentlichen

eindeutig als Produkt von Primelementen schreiben.

–Version 23. Juli 2017–

46 KAPITEL 2. STRUKTUR- UND TEILBARKETSTHEORIE

7.4. Satz. Jeder Hauptidealring ist ein gaußscher Ring.

Beweis. Sei R ein Hauptidealring. Nach (5.9) genugt es, zu zeigen:

(a) Je zwei Elemente in.

R haben einen großten gemeinsamen Teiler.

(b).

R erfullt die AKB.

zu (a): Seien a, b ∈ R r 0. Betrachte das Ideal I = 〈a, b〉 = aR + bR. NachVoraussetzung existiert ein d ∈ R mit dR = I. Dann gilt d GGT a, b; denn aR, bR ⊆dR, also d | a, b, und fur alle t ∈ R gilt:

aR, bR ⊆ tR → dR = aR + bR ⊆ tR,

also t | a, b → t | d.

zu (b): Widerspruchsannahme: Die AKB gilt nicht. Dann existiert eine Folge

a1, a2, . . . in Rr 0 mit ai+1 | ai aber ai+1 6∼ ai fur alle i ∈ N. Das ergibt

a1R ( a2R ( a3R ( . . .

im w© zu der Tatsache, daß R noethersch ist; vgl. (6.3).

7.5. Definition. Ein Integritatsbereich R heißt euklidisch, falls es eine Abbildung∂ : R→ N0 ∪ −∞ mit den Eigenschaften

(i) ∀a ∈ Rr 0 : ∂(0) < ∂(a)(ii) ∀a, b ∈ R,mit b 6= 0 ∃q, r ∈ R : a = qb+ r ∧ ∂(r) < ∂(b)

gibt. Solch eine Abbildung ∂ nennen wir eine Gradfunktion fur R.Merke: Nach (i) impliziert ∂(a) = −∞ bereits a = 0.

Beispiele:

(1) Z ist euklidisch mittels ∂(a) = |a|.(2) Fur jeden Korper K ist K[X] euklidisch mittels ∂(f) = grad(f).(3) Z[

√−1] ist euklidisch mittels ∂(a+ bi) = a2 + b2; vgl. Ubungsaufgabe.

[Ub]

7.6. Satz. Jeder euklidische Ring ist ein Hauptidealring (und damit gaußsch).

Beweis. Sei R ein euklidischer Ring mit Gradfunktion ∂ : R → N0 ∪ −∞. Sei0 6= I E R. Zu zeigen ist: I ist ein Hauptideal. Nach dem Wohlordnungsprinzipbesitzt M = ∂(x) | 0 6= x ∈ I ⊆ N0 ein kleinstes Element k. Wahle b ∈ I r 0mit ∂(b) = k. Wir behaupten I = bR.

Die Inklusion”⊇“ ist offensichtlich. Sei nun a ∈ I. Dann existieren q, r ∈ R mit

a = qb + r und ∂(r) < ∂(b) = k. Wegen r = a − qb ∈ I gilt dann r = 0 und damita = qb ∈ bR.

–Version 23. Juli 2017–

7. TEILBARKEITSTHEORIE IN RINGEN 47

7.7. Ubersicht und Beispiele. Insgesamt laßt sich die Situation wie folgt bild-haft zusammenfassen.

euklidisch

(7.6)

""

ee

i.a. nicht

Hauptidealring

(7.4)

""

ee

i.a. nicht

gaußsch

per Definition

""

ff

i.a. nicht

Integritatsbereich

z.B. Z[1+√−19/2] z.B. Z[X] z.B. Z[

√−5]

Die jeweils angegebenen Beispielringe illustrieren, daß die Ruckrichtung der bewie-Vorl. 15

senen Implikationen im allgemeinen nicht gegeben ist.In (5.10) haben wir bereits gesehen, daß Z[

√−5] zwar ein Integritatsbereich,

aber nicht gaußsch ist. Weiter unten, siehe (7.12), werden wir sehen, daß Z[X] zwargaußsch ist, offenbar ist Z[X] aber kein Hauptidealring. Man kann zeigen, daß

Z[1+√−19/2] = a+ b

√−19 | a, b ∈ Z oder a− 1/2, b− 1/2 ∈ Z

zwar ein Hauptidealring ist, es aber keine Gradfunktion gibt, mittels derer R zueinem euklidischen Ring wird.

Man erkennt die unterschiedlichen Eigenschaften der vier Ringklassen gut anhandder jeweiligen Situation in Hinblick auf großte gemeinsame Teiler (GGTs):

euklidischer Ring: Je zwei Elemente a, b besitzen einen GGT d, und dieser istdarstellbar als d = xa + yb; zudem konnen d, x, y mithilfe des Euklidischen Algo-rithmus effektiv berechnet werden. Hauptidealring: Je zwei Elemente a, b besitzen einen GGT d, und dieser ist dar-

stellbar als d = xa+ yb. gaußscher Ring: Je zwei Elemente besitzen einen GGT d. Integritatsbereich: Im allgemeinen besitzen je zwei Elemente gar keinen GGT.

7.8. Satz und Definition. Sei R ein gaußscher Ring und Prim(R) = p ∈ R |p prim. Gemaß (1.1) betrachten wir R als Unterring des Polynomrings R[X]:

R = f ∈ R[X] | grad(f) ≤ 0 ≤ R[X].

Dann ist R[X] ein Integritatsbereich und R[X]× = R×. Fur jedes a ∈ R vermitteltder Ringhomomorphismus (

”Reduktion modulo a“)

ρa : R[X]→ (R/aR)[X], f =n∑i=0

fiXi 7→ f =

n∑i=0

(fi + aR)X i

einen Ringisomorphismus

(∗) ιa : R[X]/aR[X]∼=−→ (R/aR)[X]

Insbesondere gilt: a ∈ Prim(R), d.h. a prim in R, impliziert a prim in R[X].Ein Polynom f =

∑ni=0 fiX

i ∈ R[X] heißt primitiv, falls eine (und damit jede)der folgenden paarweise aquivalenten Bedingungen erfullt ist:

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48 KAPITEL 2. STRUKTUR- UND TEILBARKETSTHEORIE

∀p ∈ Prim(R) : f 6∈ Kern(ρp) ∀p ∈ Prim(R) : ∃i ∈ 0, . . . , n : p - fi, d. h.

”f0, . . . , fn sind teilerfremd“

∀p ∈ Prim(R) : p - f (in R[X])

Beweis. Offenbar ist R[X] ein Integritatsbereich und R[X]× = R×; beides er-gibt sich mithilfe der Gradformel grad(gh) = grad(g) + grad(h) fur g, h ∈ R[X].

[Ub]Sei a ∈ R. Offenbar ist ρa ein Ringhomomorphismus von R[X] auf (R/aR)[X] mitKern(ρa) = aR[X]. Nach dem Homomorphiesatz (4.7) ist ιa wie angegeben ein Rin-gisomorphismus. Insbesondere gilt:

a ∈ Prim(R)(7.2)−→ 0 6= aR Eprim R

(6.11)−→ 0 6= aR ∧ R/aR ist ein Integritatsbereich

(5.1)−→ 0 6= aR[X] ∧ (R/aR)[X] ist ein Integritatsbereich

(∗)−→ 0 6= aR[X] ∧ R[X]/aR[X] ist ein Integritatsbereich

(6.11)−→ 0 6= aR[X] Eprim R[X]

(7.2)−→ a ∈ Prim(R[X]).

Daß die drei Kriterien fur Primitivitat gleichbedeutend sind, ist klar.

7.9. Korollar (Gaußsches Lemma). Sei R ein gaußscher Ring und seien f, g ∈R[X]. Dann ist fg primitiv genau dann, wenn f und g primitiv sind.

Beweis. Fur p ∈ Prim(R) sei ρp : R[X]→ (R/pR)[X] wie in (7.8) die Reduktionmodulo p. Da (R/pR)[X] als Integritatsbereich nullteilerfrei ist, gilt fg 6∈ Kern(ρp)genau dann, wenn (f 6∈ Kern(ρp) ∧ g 6∈ Kern(ρp)). Damit folgt die Behauptung.

7.10. Lemma. Sei R ein gaußscher Ring und K der Quotientenkorper von R. SeiP ⊆ Prim(R) ein (vollstandiges und irredundantes) Vertretersystem fur Prim(R)/∼,d. h. eine Teilmenge, die aus jeder Assoziiertenklasse innerhalb von Prim(R) genauein Element enthalt. Dann laßt sich jedes a ∈ K r 0 eindeutig schreiben als

a = e ·∏p∈P

pvp(a),

wobei e ∈ R× ist und die vp(a) ∈ Z fur p ∈ P fast alle gleich 0 sind.

Beachte: Die Reihenfolge der Faktoren ist unerheblich, da K kommutativ ist;das i. a. formal unendliche Produkt bezeichnet definitionsgemaß stets ein endlichesProdukt: Bis auf endlich viele Ausnahmen sind die Exponenten vp(a) gleich 0, dieentsprechenden Faktoren also gleich 1 und durfen weggelassen werden.

Beweis. Definitionsgemaß sind die Elemente von Kr0 genau die”Bruche“ mit

Zahler und Nenner in Rr0. Fur jedes a ∈ Kr0 ergibt sich daher die Darstellungin der gewunschten Form, indem wir Zahler und Nenner in R faktorisieren. Die

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7. TEILBARKEITSTHEORIE IN RINGEN 49

Eindeutigkeit ergibt sich aus der eindeutigen Primfaktorzerlegung in R, da sich jede[Ub]Gleichung in K durch Multiplikation mit einem geeigneten Element aus Rr 0 ⊆

K× in eine aquivalente Gleichung in R uberfuhren laßt.

Beispiel: Jedes a ∈ Qr 0 ist von der Form

a = ±∏p∈P

pvp(a);

die Abbildung vp : Q→ Z∪∞, die sich durch die zusatzliche Abmachung vp(0) =∞ ergibt, heißt p-adische Bewertungsfunktion (engl.: valuation).

7.11. Hilfssatz. Sei R ein gaußscher Ring und K der Quotientenkorper von R.Sei f ∈ R[X] primitiv. Dann gilt fur alle g ∈ K[X]:

(∗) fg ∈ R[X] ↔ g ∈ R[X].

Folglich gelten:

(1) fK[X] ∩R[X] = fR[X],(2) ∀h ∈ R[X] : f |K[X] h ↔ f |R[X] h,(3) f irreduzibel (≡ prim) in K[X] → f prim (also auch irreduzibel) in R[X].

Beweis. Zuerst weisen wir die nicht-triviale Richtung in (∗) nach. Sei g ∈ K[X]mit fg ∈ R[X]. Ist g = 0, so gilt g ∈ R[X]. Sei nun g 6= 0. Gemaß (7.10) gilt danng = ag mit a ∈ K r 0 und g ∈ R[X] primitiv, und es bleibt zu zeigen: a ∈ R.Nach (7.9) ist

(†) fg =m∑i=0

biXi ∈ R[X] primitiv,

und nach Voraussetzung giltm∑i=0

abiXi = afg = fg ∈ R[X],

also abi ∈ R fur alle i ∈ 0, . . . ,m. Schreibe a = e∏

p∈P pvp(a) mit e ∈ R× wie

in (7.10), und sei p ∈ P . Wegen (†) existiert ein i ∈ 0, . . . ,m mit p -R bi, alsovp(bi) = 0. Das ergibt

vp(a) = vp(a) + 0 = vp(a) + vp(bi) = vp(abi)(7.10)

≥ 0.

Das ergibt a = e∏

p∈P pvp(a) ∈ R.

Die Aussagen (1) und (2) folgen sofort aus (∗); wir beweisen (3). Es gilt

(‡) R[X]/fR[X](1)= R[X]/

(R[X] ∩ fK[X]

)(4.9)∼=

(R[X] + fK[X]

)/fK[X] ≤ K[X]/fK[X],

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50 KAPITEL 2. STRUKTUR- UND TEILBARKETSTHEORIE

und das ergibt

f irreduzibel (≡ prim) in K[X]

−→ 0 6= fK[X] Eprim K[X]

(6.11)−→ 0 6= fK[X] ∧ K[X]/fK[X] Integritatsbereich

(‡)−→ 0 6= fR[X] ∧ R[X]/fR[X] Integritatsbereich

(6.11)−→ 0 6= fR[X] Eprim R[X]

(7.2)−→ f prim (auch irreduzibel) in R[X].

Vorl. 167.12. Hauptsatz (Gauß). Sei R ein gaußscher Ring. Dann ist der Polynomring

R[X] ebenfalls gaußsch.

Zusatz: Weiter ist R[X]× = R×, und die Primelemente in R[X] sind genau diefolgenden, wobei K den Quotientenkorper von R bezeichne:

(i) p ∈ R prim in R,(ii) f ∈ R[X] primitiv und irreduzibel in K[X].

Beweis. Nach (7.8) und (7.11) sind die in (i) und (ii) angegebenen Elementejedenfalls prim in R[X] und offenbar gilt R[X]× = R×. Nach (5.9) genugt es, zuzeigen: Jedes Polynom g ∈ R[X]rR laßt sich als Produkt von Elementen von Typ(i), (ii) zu schreiben. (Fur g ∈ Rr (R× ∪ 0) wissen wir das bereits!)

Sei also g ∈ R[X]rR, insbesondere grad(g) ≥ 1. Da K[X] als euklidischer Ringjedenfalls gaußsch ist, gilt g = g1 · · · gr mit r ∈ N und g1, . . . , gr ∈ K[X] irreduzibel.Gemaß (7.10) ergibt das g = af1 · · · fr mit a ∈ K r 0 und f1, . . . , fr ∈ R[X] vomTyp (ii). Nach (7.9) ist f1 · · · fr primitiv, und nach (7.11) gilt daher a ∈ Rr 0.

Ist a ∈ R×, so ersetzen wir af1 durch f1 = af1, welches ebenfalls vom Typ (ii)

ist, und g = f1f2 · · · fr. Ist a 6∈ R×, so laßt sich a als Produkt a = p1 . . . ps vonElementen vom Typ (i) schreiben. Das ergibt dann g = p1 · · · psf1 · · · fr.

Beispiele:

(1) Fur jedes n ∈ N0 ist der Polynomring Z[X1, . . . , Xn] gaußsch.(2) Fur jeden Korper K und jedes n ∈ N0 ist K[X1, . . . , Xn] gaußsch.

7.13. Korollar (Gaußsches Irreduziblitatskriterium). Sei R ein gaußscher Ringund K der Quotientenkorper von R. Sei f ∈ R[X] primitiv. Dann gilt:

f ist irreduzibel in R[X] genau dann, wenn f irreduzibel in K[X] ist.

7.14. Satz (Eisensteinsches Irreduziblitatskriterium). Sei R ein gaußscher Ringund K der Quotientenkorper von R. Sei f =

∑ni=0 fiX

i ∈ R[X] mit n = grad(f) ≥1, und sei p ∈ R prim dergestalt, daß

p - fn, p | fi fur i ∈ 0, 1, . . . , n− 1, p2 - f0.

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7. TEILBARKEITSTHEORIE IN RINGEN 51

Dann ist f irreduzibel in K[X]. Ist zusatzlich f primitiv, so ist f zudem irreduzibelin R[X].

Beweis. Gemaß (7.10) durfen wir ohne Einschrankung voraussetzen, daß f pri-mitiv ist. Nach (7.9) genugt es dann, zu zeigen: f ist irreduzibel in R[X].

Widerspruchsannahme: Sei f = gh in R[X] mit g, h 6∈ R×. Da f primitiv ist, giltsogar g, h 6∈ R, also

g =∑k

i=0giX

i und h =∑n−k

j=0hjX

j

mit k = grad(g), n− k = grad(h) ∈ 1, . . . , n− 1.

Reduktion modulo p – vgl. (7.8) – liefert die Zerlegung

fnXn = f = gh mit grad(g) ≤ k und grad(h) ≤ n− k

in dem Polynomring (R/pR)[X] uber dem Integritatsbereich R/pR. Die Gleichunggilt dann auch in dem gaußschen Ring F [X], wobei F den Quotientenkorper vonR/pR bezeichnet.

Das ergibt offenbar g = gkXk und h = hn−kX

n−k (sowie 0 6= fn = gkhn−k inR/pR). Insbesondere folgern wir g0 = h0 = 0 in R/pR, d. h. p | g0, h0 in R. Dasergibt jedoch p2 | g0h0 = f0. w©

Beispiele:

(1) X4−6 ist irreduzibel inQ[X]. Verwende hierzu R = Z, f = X4−6 und p ∈ 2, 3.Allgemeiner gilt: Ist a ∈ Z mit vp(a) = 1 fur wenigstens ein p ∈ P, so ist Xn− airreduzibel in Q[X] fur jedes n ∈ N; verwende R = Z, f = Xn−a und selbiges p.

(2) X2 + Y 2 − 1 ist irreduzibel in Q[X, Y ]. Verwende hierzu R = Q[Y ], f = X2 +(Y − 1)(Y + 1) und p = Y − 1.

(3) Ist K ein Korper und a ∈ K r 0, 1, dann ist f = Y 2 − X(X − 1)(X − a)irreduzibel in K[X, Y ]. Verwende hierzu R = K[X] und p = X.

7.15. Beispiel und Anwendung. Sei p ∈ P. Dann ist

Φp = Xp−1 +Xp−2 + . . .+X + 1

irreduzibel in Q[X].

Beweis. Das Eisensteinsche Kriterium laßt sich erst nach einer geeigneten Varia-blentransformation anwenden. Dazu bemerken wir: Fur jedes (a, b) ∈ Q2 mit a 6= 0ist

ι(a,b) : Q[X]→ Q[X], f =∑i

fiXi 7→ f(aX + b) =

∑i

fi(aX + b)i

ein Ringautomorphismus; fur (a, b) ∈ 1,−1 × Z liefert die Einschrankung sogareinen Ringautomorphismus von Z[X]. Die Eigenschaft, irreduzibel zu sein, wird vonAutomorphismen erhalten.

[Ub]–Version 23. Juli 2017–

52 KAPITEL 2. STRUKTUR- UND TEILBARKETSTHEORIE

Daher genugt es, zu zeigen:

Φp(X + 1) =

p−1∑i=0

(X + 1)i =(X + 1)p − 1

(X + 1)− 1

=

∑pi=0

(pi

)X i − 1

X= Xp−1 +

(p

p− 1

)Xp−2 + . . .+

(p

2

)X +

(p

1

)ist irreduzibel in Q[X]. Merke: p |

(pi

)fur i ∈ 1, . . . , p− 1 und p2 - p =

(p1

). Gemaß

(7.14) ist Φp(X + 1) daher, wie gewunscht, irreduzibel.

ζ = e2πi/5

ζ2

ζ3

ζ4

1 = ζ5Beispiel: p = 5 liefert Φ5 = X5−1X−1

=∏4

i=1(X − ζ i)

Bemerkung: Φp = Xp−1X−1

ist das p-te Kreisteilungspolynom. Seine Nullstellen in C sind

gerade die primitiven p-ten Einheitswurzeln exp(

2πipk)

fur k ∈ 1, . . . , p− 1.[ Konstruktion von regularen Vielecken, Zahlentheorie, . . .]

7.16. Satz (Irreduzibilitatskriterium per Reduktion). Sei R ein gaußscher Ringund K der Quotientenkorper von R. Sei f =

∑ni=0 fiX

i ∈ R[X] mit n = grad(f) ≥1, und sei I Eprim R mit fn 6∈ I dergestalt, daß die Reduktion von f modulo I,d. h. f ∈ (R/I)[X], irreduzibel in (R/I)[X] ist. Dann ist f irreduzibel in K[X]. Istzusatzlich f primitiv, so ist f zudem irreduzibel in R[X].

Beweis. Wie im Beweis zu (7.14) durfen wir ohne Einschrankung voraussetzen,daß f primitiv ist, und es genugt zu zeigen: f ist irreduzibel in R[X]. Seien g, h ∈R[X] mit f = gh. Zu zeigen ist: g ∈ R× oder h ∈ R×.

Reduktion modulo I liefert f = g h, wobei gilt:

grad(g) + grad(h) = grad(f) (R Integritatsbereich)

= grad(f) (fn 6∈ I)

= grad(g) + grad(h) (R/I Integritatsbereich).

Wegen grad(g) ≥ grad(g) und grad(h) ≥ grad(h) ergibt das grad(g) = grad(g) undgrad(h) = grad(h).

Vorl. 17Nach Voraussetzung ist f irreduzibel in (R/I)[X], und daher g ∈ (R/I)× oder

h ∈ (R/I)×, insbesondere ist grad(g) = grad(g) = 0 oder grad(h) = grad(h) = 0,d. h. g ∈ Rr0 oder h ∈ Rr0. Da f primitiv ist, folgt g ∈ R× oder h ∈ R×.

Beispiel: f = X3 − 532X2 + 1317X − 871 ist irreduzibel in Q[X]. Betrachte hierzu

R = Z und I = 2Z; dann gilt f = X3 + X + 1 ∈ (Z/2Z)[X]. Da f den Grad 3 undkeine Nullstellen in Z/2Z hat, ist f irreduzibel in (Z/2Z)[X].

–Version 23. Juli 2017–

KAPITEL 3

Korpererweiterungen und Galoissche Theorie

8. Korper: Grundbegriffe und erste Resultate

8.1. Satz und Definition. Sei R ein Integritatsbereich und

η : Z→ R, m 7→ m.1R =

1R + m. . .+ 1R m ≥ 0

(−1R) + −m. . . + (−1R) m < 0

der kanonische Ringhomomorphismus, der durch (1Z)η = 1R bestimmt ist. Gemaß(6.11) ist Kern(η) = 0η−1 Eprim Z, also Kern(η) = pZ mit p ∈ P ∪ 0. DieInvariante p heißt die Charakteristik von R und wird mit char(R) bezeichnet.

Das Bild von η heißt der Primring von R, und es gilt: Der Primring von R istder ⊆-kleinste Teilring von R, der das Einselement enthalt; er ist isomorph zu

Z falls char(R) = 0,

Z/pZ = Fp falls char(R) = p > 0.

Merke: Fp ist ein endlicher Korper (”Galoisfeld“; engl.: f ield) der Kardinalitat p.

Sei K ein Korper. Der Primkorper von K ist

PK =⋂k | k ist ein Teilkorper von K,

d. h. der ⊆-kleinste Teilkorper von K. Offenbar enthalt PK den Primring von K undbildet dessen Quotientenkorper:

PK ∼=

Q falls char(K) = 0,

Fp falls char(K) = p > 0.

Beweis. Ein Teilkorper ist ein Unterring, der bzgl. der eingeschrankten Ver-knupfungen + und · selbst ein Korper ist. Beachte, daß fur jeden Teilkorper k ≤ Kgilt: 1k = 1K ; denn die Gleichung 1 · 1 = 1 charakterisiert das Element 1 eindeu-tig unter den von 0 verschiedenen Elementen. Weiter ist der Schnitt einer beliebigennicht-leeren Menge von Teilkorpern von K selbst wieder ein Teilkorper von K. Damitist PK , wie angegeben, der kleinste Teilkorper von K.

Bemerkung Offenbar sind die Primkorper gerade diejenigen Korper, die keine echtenTeilkorper besitzen. Bis auf Isomorphie sind das gerade die Korper Q und Fp = Z/pZfur p ∈ P.

53 –Version 23. Juli 2017–

54 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

8.2. Definition und Folgerung. Sei L ein Korper und K ≤ L ein Teilkorper.Dann heißt K ≤ L eine Korpererweiterung, in Zeichen L |K (manchmal auch L/K),gesprochen:

”L uber K“. Dabei heißt K der Grundkorper und L der Erweite-

rungskorper. Ein Korper M mit K ≤M ≤ L heißt dann Zwischenkorper von L |K.Ist A ⊆ L so heißt

K[A] =⋂R | R ≤ L,K ∪ A ⊆ R,

der von A uber K erzeugte Teilring von L. Entsprechend heißt

K(A) =⋂M ≤ L |M Zwischenkorper von L |K mit A ⊆M,

der von A uber K erzeugte Teilkorper von L. Ist A = a1, . . . , an endlich, so schrei-ben wir K[a1, . . . , an] = K[A] und K(a1, . . . , an) = K(A).

Merke: K[a1, . . . , an] = f(a1, . . . , an) | f ∈ K[X1, . . . , Xn] und

K(a1, . . . , an) = f(a1,...,an)/g(a1,...,an) | f, g ∈ K[X1, . . . , Xn] mit g(a1, . . . , an) 6= 0.

Gilt L = K(a1, . . . , an) fur endlich viele a1, . . . , an ∈ L, so heißt der Korper L endlicherzeugt uber K.

Der Erweiterungskorper L tragt in naturlicher Weise die Struktur eines K-Vektorraumes:

Die Vektoraddition L× L→ L ist durch die Korperaddition gegeben; die SkalarmultiplikationK×L→ L ist durch die Einschrankung der Korper-

multiplikation in L gegeben.

Der Grad von L |K ist die Dimension

[L : K] = dimK(L)

von L als K-Vektorraum.Die Korpererweiterung L |K heißt endlich, falls [L : K] <∞ ist.

Beispiele:

(1) Offenbar ist C |R eine Korpererweiterung. Es gilt C = R(i) = R[i] = R.1 + R.i,und somit ist C |R endlich vom Grad [C : R] = 2.

(2) Offenbar ist R |Q eine Korpererweiterung. Da R uberabzahlbar ist, ist R |Qkeine endliche Erweiterung, d.,h. [R : Q] =∞.

(3) Fur den Erweiterungskorper Q(√

5) von Q (innerhalb von C) gilt

Q(√

5) = Q[√

5] = x+ y√

5 | x, y ∈ Q;

man uberpruft leicht Q[√

5] = x + y√

5 | x, y ∈ Q, und die Existenz vonmultiplikativ inversen Elementen liefert die folgende Rechnung:

1

x+ y√

5=

x− y√

5

(x+ y√

5)(x− y√

5)=x− y

√5

x2 − 5y2=

x

x2 − 5y2+

−yx2 − 5y2

√5.

Aus√

5 6∈ Q folgt aus Q(√

5) = Q.1 +Q.√

5 insbesondere [Q(√

5) : Q] = 2.

–Version 23. Juli 2017–

8. KORPER: GRUNDBEGRIFFE UND ERSTE RESULTATE 55

(4) Sei K ein Korper, und betrachte K(X) |K. Da X in K[X] nicht invertierbar ist,gilt K(X) 6= K[X]. Offenbar bilden 1, X, X2, . . . eine K-Basis fur K[X]. WegendimK K[X] =∞ ist dann auch [K(X) : K] =∞.

(5) Aus der Linearen Algebra kennen wir bereits einen Korper F4 mit vier Elementen,der sich sehr konkret uber Verknupfungstafeln angeben last. Wir erhalten eineErweiterung F4 |F2, wobei F4 = F2(α) = F2[α] = x+ yα | a, b ∈ F2 gilt und αdie Gleichung α2 + α + 1 = 0 erfullt. Offenbar ist [F4 : F2] = 2.

8.3. Hilfssatz. Sei L |K eine Korpererweiterung mit char(L) = char(K) 6= 2.Dann gilt: [L : K] = 2 genau dann, wenn L = K(w) mit w2 ∈ K, aber w 6∈ K ist.

Beweis. Sei zunachst [L : K] = 2. Dann finden wir ein α ∈ L r K, so daß 1und α eine K-Basis fur L bilden. Dann ist α2 = q + pα fur geeignete p, q ∈ K.Setze w = α − p

26∈ K. (An dieser Stelle verwenden wir 2 = 1 + 1 6= 0!) Dann ist

L = K(α) = K(w) und

w2 = (α− p/2)2 = α2 − pα + p2/4 = q + p2/4 ∈ K.

Sei nun umgekehrt L = K(w) mit w2 ∈ K, aber w 6∈ K. Betrachte die K-Hullevon 1, w:

M = a+ bw | a, b ∈ K.Es genugt, nachzuweisen, daß M ein Teilkorper von L ist; dann folgt direkt L =K(w) = M mit K-Basis 1, w. Offenbar sind 0, 1 ∈ M , und wegen w2 ∈ K ist Mauch unter den Operationen +,−, · abgeschlossen.

Sei nun a+ bw ∈M r 0. Wegen w 6∈ K ist auch a− bw 6= 0, und daher gilt

(a+ bw)(a− bw) = a2 − b2w2 6= 0.

Damit ist

1

a+ bw=

a− bw(a+ bw)(a− bw)

=a− bwa2 − b2w2

=a

a2 − b2w2+

−ba2 − b2w2

w ∈M.

Also ist M auch unter der Bildung von multiplikativ Inversen abgeschlossen.

Beispiel: Die quadratischen Erweiterungen von Q, d. h. diejenigen vom Grad 2 uberVorl. 18 Q, sind genau die Korper

Ld = Q(√d) (≤ C)

mit d ∈ Z r 1 quadratfrei, d. h. mit ∀p ∈ P : p2 - d. Hierbei bezeichnet√d

die nicht-negative reelle Quadratwurzel von d, falls d ≥ 0,

i√−d, falls d < 0,

wobei i wie ublich die einmalig gewahlte Quadratwurzel von −1 darstellt.

8.4. Satz (Gradformel). Seien M |L und L |K Korpererweiterungen. Dann gilt

[M : K] = [M : L] [L : K].

–Version 23. Juli 2017–

56 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

Zusatz: Sind m = [L : K], n = [M : L] < ∞ und α1, . . . , αm bzw. β1, . . . , βnBasen fur L uber K bzw. M uber L, so ist (αiβj)i∈1,...,m

j∈1,...,neine Basis fur M uber K.

Beweis. Ist [M : L] oder [L : K] unendlich, so ist offenbar auch [M : K] = ∞.[Ub]Seien nun m = [L : K], n = [M : L] <∞. Dann gelten:

M ∼= Ln, L ∼= Km als Vektorraume uber L bzw. K.

Das ergibtM ∼= Ln ∼= (Km)n ∼= Kmn als K-Vektorraume,

also [M : K] = dimK Kmn = mn = [M : L][L : K].

Seien nun α1, . . . , αm und β1, . . . , βn Basen fur L uber K bzw. M uber L. WegendimKM = [M : K] = mn genugt es, zu zeigen:

〈αiβj | 1 ≤ i ≤ m, 1 ≤ j ≤ n〉K = M.

Sei γ ∈M . Dann ist γ =∑n

j=1 bjβj fur geeignete bj ∈ L. Weiter laßt sich jedes bj als

Linearkombination bj =∑m

i=1 ai,jαi mit geeigneten ai,j ∈ K schreiben. Das ergibt:

γ =n∑j=1

bjβj =n∑j=1

m∑i=1

ai,jαiβj =m∑i=1

n∑j=1

ai,j(αiβj).

8.5. Korollar. Ist L |K eine endliche Korpererweiterung mit [L : K] ∈ P, sobesitzt L |K außer L und K keine weiteren Zwischenkorper.

8.6. Satz und Definition. Sei L |K eine Korpererweiterung und α ∈ L. Esbezeichne ηα : K[X] → L, f 7→ f(α) der Einsetzungshomomorphismus, so daßBild(ηα) = K[α] ≤ L ist.

(1) Wir nennen α algebraisch uber K, falls eine (und damit jede) der folgendenpaarweise aquivalenten Bedingungen erfullt ist.

(i) ∃f ∈ K[X]r 0 : f(α) = 0,(ii) Kern(ηα) 6= 0,

(iii) Kern(ηα) Emax K[X],(iv) Kern(ηα) = fK[X] fur f ∈ K[X] irreduzibel,(v) K[α] = K(α),(vi) [K(α) : K] <∞, d. h. K(α) | K ist endlich.

(2) Ist α nicht algebraisch uber K, so heißt α transzendent uber K. In diesem Fallwird K(α) |K eine einfache transzendente Erweiterung genannt und ηα liefert einenIsomorphismus von K[X] auf K[α], der sich (eindeutig) zu einem Isomorphismus vonK(X) auf K(α) fortsetzen laßt (Offenbar ist ηα|K = idK ; man sagt daher, K(X)und K(α) seien

”isomorph uber K“.

Beweis. (1) Beachtet man, daß Bild(ηα) = K[α] und K[X] ein Hauptidealringist, so sind die folgenden Implikationen offensichtlich bzw. uns bereits bekannt:

(i) ↔ (ii), (iv)(7.2)↔ (iii)

(6.6)↔ (v).

–Version 23. Juli 2017–

8. KORPER: GRUNDBEGRIFFE UND ERSTE RESULTATE 57

Es genugt daher, zu zeigen:

(ii) → (iii),((iv) ∧ (v)

)→ (vi) → (i).

(ii) → (iii). Da K[α] = Bild(ηα) ≤ L ein Integritatsbereich ist, gilt 0 Eprim

Bild(ηα) und nach (6.11) ist daher Kern(ηα) = 0η−1α Eprim K[X]. In einem Haupt-

idealring (insbesondere in K[X]) ist jedes von 0 verschiedene Primideal bereits einmaximales Ideal; vgl. (7.2) und (7.4).

((iv) ∧ (v)) → (vi). Nach (iv) und (v) gilt

K(α) = K[α] = Bild(ηα) ∼= K[X]/fK[X]

fur ein geeignetes f ∈ K[X]r 0, und damit

[K(α) : K] = dimK K[X]/fK[X].

Division mit Rest in K[X] zeigt, daß sich die Elemente in K[X]/fK[X] eindeutigdurch Polynome vom Grad kleiner als grad(f) reprasentieren lassen. Somit folgt

[Ub][K(α) : K] = grad(f) <∞.

(vi) → (i). Sei d = [K(α) : K] ≤ ∞. Dann sind die”Vektoren“ 1 = α0, α =

α1, . . . , αd linear abhangig uber K. Also existieren f0, . . . , fd ∈ K, nicht alle gleich0, mit

f0 + f1α + . . .+ fdαd = 0,

also f(α) = 0 fur f =∑d

i=0 fiXi.

(2) Sei nun α transzendent uber K. Wegen Kern(ηα) = 0 und Bild(ηα) = K[α]ist ηα : K[X]→ K[α] ein Isomorphismus mit ηα|K = idK . Die universelle Eigenschafteines Quotientenkorpers (vgl. (6.8)) liefert damit die Fortsetzung

ηα : K(X)→ K(α), g/h 7→ g(α)/h(α),

die offenbar surjektiv ist und, da K(X) ein Korper ist, automatisch injektiv ist. Alsostellt ηα einen Isomorphismus von K(X) auf K(α) uber K dar.

Beispiele:

(1) 3√

2 und√−7 sind algebraisch uber Q, als Nullstellen von X3 − 2 bzw. X2 + 7.

Frage: Ist 3√

2 +√−7 immer noch algebraisch uber Q?

(2) Ist L ein endlicher Korper und p = char(L), so ist jedes Element α ∈ L algebra-isch uber dem Primkorper PL ∼= Fp von L.

(3) Mit Q ist auch Q[X] abzahlbar. Jedes Polynom ungleich 0 hat nur endlich vieleNullstellen. Also sind nur abzahlbar viele α ∈ C algebraisch uber Q.

Es ist bekannt, daß e = 2, 7182 . . . und π = 3, 1415 . . . transzendent uber Qsind (Hermite 1873, Lindemann 1882).

8.7. Satz und Definition (Minimalpolynom). Sei L |K eine eine Korpererwei-terung, und sei α ∈ L algebraisch uber K.

–Version 23. Juli 2017–

58 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

Das Minimalpolynom von α uber K ist das eindeutig bestimmte normierte (d. h.Leitkoeffizient gleich 1), irreduzible Polynom f = MinpolK(α) ∈ K[X], welches denKern des Einsetzungshomomorphismus ηα : K[X] → L, h 7→ h(α) erzeugt. Folglichist f das eindeutig bestimmte, normierte Polynom in K[X]r 0 mit

(MP) f(α) = 0 und ∀h ∈ K[X] : h(α) = 0 → f |K[X] h,

oder alternativ

(MP)’ f(α) = 0 und f ist irreduzibel in K[X].

Der Grad von α uber K ist die Große [K(α) : K] = grad(f).Weiter gilt:

K(α) = K[α] ∼= K[X]/fK[X], f = MinpolK(α);

insbesondere ist 1, α, α2, . . . , αd−1 mit d = grad(f) eine K-Basis fur K(α). Die Erwei-terung K(α) |K wird eine einfache algebraische Erweiterung mit primitiven Elementα genannt.

Bemerkung: Auf dem K-Vektorraum V = K(α) definiert die Multiplikation mit α

einen K-linearen Endomorphismus α : V → V , γ 7→ γα. Da B = (1, α, . . . , αd−1)eine Basis von V darstellt, ist V offenkundig α-zyklisch. Die Koordinatenmatrix

[α]B =

0 1 0 . . . 00 0 1 0 . . . 0

. . .

1−f0 −f1 −f2 . . . −fd−1

∈ Matd(K)

ist gerade die Begleitmatrix von f =∑d−1

i=0 fiXi+Xd = MinpolK(α). Folglich ist das

Minimalpolynom MinpolK(α) im hier definierten Sinne gerade das MinimalpolynomMinpol(α) des Endomorphismus α im Sinne der Linearen Algebra (und stimmt mitdem charakteristischen Polynom von α uberein.

Vorl. 19

Beweis. Wegen K[X]∗ = K∗ ist f = MinpolK(α) als normierter Erzeuger vonKern(ηα) 6= 0 eindeutig bestimmt; vgl. (8.6). Wie bereits Beweis zu (8.6) be-merkt, ist mit d = grad(f) eine K-Basis fur K[X]/fK[X] durch die Restklassen von1, X,X2, . . . , Xd−1 gegeben. Der K-Isomorphismus K(α) ∼= K[X]/fK[X] liefert so-mit die K-Basis 1, α, . . . , αd−1 fur K(α).

–Version 23. Juli 2017–

8. KORPER: GRUNDBEGRIFFE UND ERSTE RESULTATE 59

Beispiel: Seien K = Q und L = Q(√

2, i) ≤ C.

Dann ist M = Q(√

2) ein reeller Zwischenkorper von L |K,und L = M(i). Gemaß (8.3) folgt [L : M ] = [M : K] = 2,und mit (8.4) erhalten wir [L : K] = 2 ·2 = 4. Weiter bilden1,√

2, i,√

2i eine Q-Basis fur L. Hierbei gelten

MinpolQ(√

2) = MinpolQ(i)(√

2) = X2 − 2,

MinpolQ(i) = MinpolQ(√

2)(i) = X2 + 1.

L = Q(√

2, i)

M = Q(√

2) ⊆ R

2

K = Q

2

Um f = MinpolQ(√

2 + i) zu bestimmen, bemerken wir zunachst:

MinpolQ(√

2)(√

2 + i) = (X −√

2)2 + 1 = X2 − 2√

2X + 3 6∈ Q[X].

Also ist grad(f) = 4 und (X2 − 2√

2X + 3) | f in Q(√

2)[X]. Merke”trickreich“:

g = (X2 − 2√

2X + 3)(X2 + 2√

2X + 3)

= X4 + (2√

2− 2√

2)X3 + (3− 8 + 3)X2 + (6√

2− 6√

2)X + 9

= X4 − 2X2 + 9 ∈ Q[X].

Eine direkte Probe zeigt: (√

2 + i)2 = 2 + 2√

2i − 1 = 1 + 2√

2i ist tatsachlich eineNullstelle von Y 2 − 2Y + 9, also ist

√2 + i eine Nullstelle von g. Da g den richtigen

Grad 4 hat und normiert ist, folgt nun f = MinpolQ(√

2 + i) = g.

Insbesondere sehen wir: Q(√

2, i) = Q(√

2 + i) ist eine einfache algebraischeErweiterung mit primitivem Element

√2 + i. Spater werden wir sehen: Der

”Zwi-

schenkorperverband“ von Q(√

2, i) |Q ist erstaunlich (?) klein:

Q(√

2, i) = Q(√

2 + i)

Q(√

2)

2

Q(i)

2

Q(√

2i)

2

Q2

22

8.8. Definition. Eine Korpererweiterung L |K heißt algebraisch, falls jedes Ele-ment α ∈ L algebraisch uber K ist. Andernfalls heißt L |K transzendent.

Bemerkung: Nach (8.6) ist jede endliche Korpererweiterung algebraisch.

8.9. Satz. Sei L |K eine Korpererweiterung. Dann sind aquivalent:

(i) L = K(α1, . . . , αm) mit m ∈ N0 und α1, . . . , αm ∈ L algebraisch uber K;(ii) [L : K] <∞, d. h. L |K ist endlich.

Beweis. (ii) → (i). Ist m = [L : K] <∞, so ist jedes Element von L algebraisch

uber K, und L = K(α1, . . . , αm) fur jede Basis α1, . . . , αm von L als K-Vektorraum.

–Version 23. Juli 2017–

60 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

(i) → (ii). Sei umgekehrt L = K(α1, . . . , αm) mit m ∈ N0 und α1, . . . , αm ∈ L

algebraisch uber K. Wir zeigen [L : K] < ∞ per Induktion nach m. Fur m = 0 istL = K() = K und [L : K] = 1 <∞. Sei nun m ≥ 1. Nach Induktionsvorraussetzunggilt fur M = K(α1, . . . , αm−1) jedenfalls [M : K] < ∞. Da αm algebraisch uber Kist, ist αm auch algebraisch uber M . Nach (8.6) ist L = M(αm) |M endlich. Mit(8.4) folgt daher [L : K] = [L : M ][M : K] <∞.

8.10. Korollar. Sei L |K eine Korpererweiterung. Dann ist

F = α ∈ L | α ist algebraisch uber K,

die algebraische Hulle von K in L, ein Zwischenkorper von L |K.

Beweis. Seien α, β ∈ F , d. h. algebraisch uber K. Nach (8.9) ist dann K(α, β)endlich dimensional und damit algebraisch uber K. Dann sind α − β, αβ und, fallsα 6= 0, auch α−1 algebraisch uber K, d. h. Elemente von F .

8.11. Korollar. Seien M |L und L |K Korpererweiterungen. Dann ist M |Kalgebraisch genau dann, wenn M |L und L |K beide algebraisch sind.

Beweis. Ist M |K algebraisch, so sind offenbar auch M |L und L |K algebraisch.Seien nun L |K, M | L jeweils algebraisch. Sei α ∈ M . Zu zeigen ist: α ist

algebraisch uber K. Da α nach Voraussetzung algebraisch uber L ist finden wirnN und f0, . . . , fn ∈ L nicht alle gleich 0, mit f0 + f1α + . . . fnα

n = 0. Da L |Kalgebraisch ist, sind f0, . . . , fn allesamt algebraisch uber K. Nach (8.9) ist dannF = K(f0, . . . , fn) endlich uber K. Offenkundig ist [F (α) : F ] ≤ n <∞. Das ergibt

[F (α) : K] = [F (α) : F ][F : K] <∞,

und α ist algebraisch uber K.

8.12. Beispiele.

(1) Die algebraische Hulle von Q in C, d. h. A = z ∈ C | z algebraisch uber Q, istper Definition algebraisch uber Q, aber nicht endlich uber Q: Fur jedes n ∈ Nist Xn − 2 irreduzibel uber Q (nach Eisenstein) und somit Minimalpolynom furn√

2 ∈ A. Das ergibt [A : Q] ≥ [Q( n√

2) : Q] = n fur alle n ∈ N.Vorl. 20

(2) Sei P = p1<, p2

<, . . . die Menge aller Primzahlen, also p1 = 2, p2 = 3, usw. SeienK = K0 = Q und

Kn = Q(√p1, . . . ,

√pn) ≤ C fur n ∈ N.

Per Induktion nach n laßt sich zeigen:[Ub]

α2 | α ∈ Kn ∩Q =pe11 · · · penn q2 | e1, . . . , en ∈ 0, 1, q ∈ Q

fur alle n ∈ N0; insbesondere ergibt das

√pn+1 6∈ Kn, also [Kn+1 : Kn] = 2 und

[Kn : Q] = 2n.Daher ist L =

⋃Kn | n ∈ N algebraisch uber Q und [L : Q] =∞.

–Version 23. Juli 2017–

8. KORPER: GRUNDBEGRIFFE UND ERSTE RESULTATE 61

8.13. Satz und Definition. Ein Korper K heißt algebraisch abgeschlossen, fallseine (und damit jede) der folgenden paarweise aquivalenten Aussagen zutrifft:

(i) Ist L |K eine algebraische Korpererweiterung, so gilt schon L = K.(ii) Die irreduziblen Polynome in K[X] sind genau die Polynome vom Grad 1.(iii) Jedes Polynom f ∈ K[X] mit n = grad(f) ≥ 1 zerfallt uber K vollstandig in

Linearfaktoren: f = γ(X − α1) · · · (X − αn) mit γ ∈ K∗ und α1, . . . , αn ∈ K.(iv) Jedes f ∈ K[X] mit grad(f) ≥ 1 hat (wenigstens) eine Nullstelle in K.

Beweis. Als Hauptidealring ist K[X] gaußsch. Daher sind die Implikationen

(ii)→ (iii)→ (iv)→ (ii)

bereits klar, denn fur beliebiges f ∈ K[X] und α ∈ K gilt bekanntlich:

f(α) = 0 ↔ (X − α) |K[X] f.

Ist L |K eine Korpererweiterung und α ∈ L algebraisch uber K mit Minimalpo-lynom f = MinpolK(α), so gilt:

α ∈ K ↔ K(α) = K ↔ [K(α) : K] = 1 ↔ grad(f) = 1.

Daraus folgt (i)↔ (ii), denn Minimalpolynome sind stets irreduzibel und gemaß derKroneckerkonstruktion (vgl. Lineare Algebra) existieren zu jedem normierten irredu-

[Ub] ziblen Polynom f ∈ K[X] eine endliche (und damit algebraische) KorpererweiterungL = K[X]/fK[X] von K und α = X + fK[X] ∈ L mit MinpolK(α) = f .

8.14. Hauptsatz (Gauß–d’Alembertscher “Fundamentalsatz der Algebra”). DerKorper C der komplexen Zahlen ist algebraisch abgeschlossen.

Beweis. Haufig wird der Satz mit Hilfe des Liouvilleschen Satzes aus der Funk-tionentheorie bewiesen; siehe [6, Satz 4.2.5]. Sei f ∈ C[X] mit grad(f) ≥ 1. Hatte fkeine Nullstelle in den C, dann ware

F : C→ C, z 7→ 1/f(z)

eine nicht-konstante, ganze Funktionen mit lim|z|→∞ F (z) = 0, im Widerspruch zumLiouvilleschen Satz.

Bemerkung: In [6, Satz 1.1.15] wird gewissermaßen methodisch einfacher der Funda-mentalsatz bereits aus dem

”Minimumprinzip“ fur Polynomfunktionen hergeleitet.

Wir werden spater den Fundamentalsatz algebraisch als Anwendung der GaloisschenTheorie herleiten.

Allgemeiner werden wir mit Hilfe des Zornschen Lemmas zeigen, daß jeder KorperK einen algebraisch abgeschlossenen Erweiterungskorper besitzt; dieser Satz gehtzuruck auf Steinitz, der 1910 in seiner Arbeit

”Algebraische Theorie der Korper“ die

grundlegende Strukturtheorie abstrakter Korper entwickelte.

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62 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

9. Konstruktionen mit Zirkel und Lineal

Theon von Smyrna (um 100 n. Chr.) berichtet in seiner Abhandlung”Das an

mathematischem Wissen fur die Lekture Platons Nutzliche“ von dem sogenanntenDelischen Problem:

Wahrend einer Pestepidemie um 430 v. Chr. fragten die Bewoh-ner der Insel Delis ihr Orakel um Rat. Dies forderte sie auf, denwurfelformigen Altar im Tempel des Apollo dem Volumen nach zuverdoppeln.

V = a3 V ′ = (a′)3 = 2a3 = 2V

aa′ = 3

√2a

Weitere klassische Konstruktionsaufgaben sind: die”Quadratur des Kreises“, die

”Dreiteilung eines beliebigen Winkels“ sowie die

”Konstruktion von regularen Viel-

ecken“. Hierbei geht es stets um Konstruktionen mit Zirkel & Lineal :

• Gegeben ist eine Ausgangsmenge S von Punkten der euklidischen Ebene.• Wie folgt werden Hilfsgeraden und Hilfskreise in die Ebene eingezeichnet:

(i) Zwei verschiedene Punkte aus S durfen durch eine Gerade verbunden werden.(ii) Um jeden Punkt in S darf ein Kreis gezogen werden, dessen Radius gleich

dem Abstand zweier Punkte in S ist.Die Schnittpunkte zweier verschiedener Geraden, einer Geraden und eines Kreisesoder zweier verschiedener Kreise, die sich mittels (i) und (ii) ergeben, gelten als

”konstruiert“ und durfen zu S

”hinzugefugt“ werden.

• Mit der dadurch gewonnenen neuen Menge S2 verfahrt man ebenso und erhaltsuksessive eine aufsteigende Kette

S = S1 ⊆ S2 ⊆ S3 ⊆ . . .

von Punktmengen der euklidischen Ebene. Ein Punkt der Ebene heißt aus S mitZirkel & Lineal konstruierbar, falls er in einer (und damit fast allen) der MengenSi enthalten ist.

Die Ubertragung dieser geometrischen Problemstellung in eine algebraische Be-schreibung fuhrte im 19. Jahrhundert dazu, daß zahlreiche seit der Antike offeneProbleme schließlich sehr elegant gelost werden konnten. Zum Beispiel:

Satz (Gauß, Wantzel). Ein regulares n-Eck ist aus zwei vorgegebenen Punktenmit Zirkel & Lineal genau dann konstruierbar, wenn n das Produkt einer 2er Potenzund paarweise verschiedenen Fermatschen Primzahlen ist.

–Version 23. Juli 2017–

9. KONSTRUKTIONEN MIT ZIRKEL UND LINEAL 63

Hierbei ist fur r ∈ N0 die rte Fermatzahl definiert als Fr = 22r + 1. Eine Fermat-zahl, die prim ist, heißt Fermatsche Primzahl. Zum Beispiel sind

F0 = 3, F1 = 5, F2 = 17, F3 = 257, F4 = 65537

allesamt Primzahlen. Jedoch erkannte Euler, daß F5 = 232 + 1 = 641 · 6700417 nichtprim ist. Es ist ein offenes Problem, ob es uberhaupt weitere und ggf. vielleicht sogarunendlich viele Fermatsche Primzahlen gibt.

9.1. Definition. Wir beschreiben die knapp vorgestellten geometrischen Gedan-kengange algebraisch: Als euklidische Ebene nehmen wir die komplexe Zahlenebe-ne C. Die komplexen Zahlen z = x + iy mit Realteil x und Imaginarteil y re-prasentieren die Punkte der Ebene. Der euklidische Abstand zwischen zwei Punktenz1 = x1 + iy1, z2 = x2 + iy2 ∈ C ist gegeben durch√

(x1 − x2)2 + (y1 − y2)2 = |z1 − z2| =√

(z1 − z2)(z1 − z2),

wobei z = x− iy die zu z = x+ iy komplex konjugierte Zahl bezeichnet.Fur S ⊆ C bezeichne ^S die Menge aller aus S mit Zirkel & Lineal konstruier-

baren Zahlen, in dem nachfolgendem Sinne:Die Gerade durch zwei Punkte z1, z2 ∈ C, z1 6= z2 ist

g = z ∈ C | ∃t ∈ R : z = tz1 + (1− t)z2,der Kreis um z0 ∈ C mit Radius r ∈ R≥0 ist

k = z ∈ C | (z − z0)(z − z0) = r2.Fur S ⊆ C sei

G(S) die Menge aller Geraden, die wenigstens zwei Punkte aus S enthalten, K(S) die Menge aller Kreise, deren Mittelpunkt in S liegt und deren Radius

gleich dem Abstand zweier Punkte aus S ist.

Die drei elementaren Konstruktionsverfahren mittes Zirkel & Lineal, d. h.,

(K1) den Schnitt zweier Geraden in G(S) bilden,(K2) den Schnitt einer Geraden in G(S) mit einem Kreis in K(S) bilden.(K3) den Schnitt zweier Kreise in K(S) bilden,

fuhren zu den Definitionen: S1 = S und, fur i ∈ N,

Si+1 = Si ∪ z ∈ C | ∃a,b ∈ G(Si) ∪K(Si) : a 6= b ∧ z ∈ a ∩ b;sowie ^S =

⋃Si | i ∈ N.

9.2. Hilfssatz. Sei 0, 1 ⊆ S ⊆ C. Dann gelten:Vorl. 21

(i) i ∈ ^S(ii) z ∈ ^S → z ∈ ^S

(iii) z = x+ iy ∈ ^S → x, y ∈ ^S(iv) z ∈ ^S → −z ∈ ^S(v) z1, z2 ∈ ^S → z1 + z2 ∈ ^S

–Version 23. Juli 2017–

64 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

(vi) z1, z2 ∈ ^S → z1 · z2 ∈ ^S(vii) (z ∈ ^S ∧ z 6= 0) → z−1 ∈ ^S

(viii) z2 ∈ ^S → z ∈ ^S

Folgerung: Die Menge ^S bildet einen unter komplexer Konjugation und qua-dratisch abgeschlossenen Teilkorper von C. Merke: Ein Korper K heißt quadratischabgeschlossen, falls er keine Erweiterungskorper L |K mit [L : K] = 2 besitzt.

Beweis. Wir deuten die entsprechenden geometrischen Konstruktionen an. Dabeiverwenden wir bekannte Ergebnisse der Elementargeometrie, die konkret auch alge-braisch durch eine Rechnung in cartesischen Koordinaten verifiziert werden konnen.

(i) Konstruktion von i aus 0, 1:

• •

0 1

i

(ii) Konstruktion von z aus 0, 1, z:

• •

••

0 1

i

z

z

(iii) Konstruktion des Realteils x von z = x+ iy aus 0, 1, z, z; ahnlich konstruiertman yi (Symmetrie nutzen!) und erhalt wie angedeutet den Imaginarteil y:

• •

••

•0 1

i

z = x+ iy

z = x− iy

y x

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9. KONSTRUKTIONEN MIT ZIRKEL UND LINEAL 65

(iv) Konstruktion von −z aus 0, z:

0

z

−z

(v) Konstruktion von z1 + z2 aus 0, z1, z2:

••

••

0

z1

z2

z1 + z2

(vi) Konstruktion von z1z2 aus 0, 1, z1, z2: Wegen

z1z2 = (x1 + iy1)(x2 + iy2) = (x1x2 − y1y2) + i(x1y2 + x2y1)

laßt sich mit (iii), (iv), (v) die Konstruktionsaufgabe auf den Spezialfall z1, z2 ∈R>0 zuruckfuhren; hierzu:

• • •

1

z1

z2

z1z2

(vii) Konstruktion von z−1, fur z = x+ iy 6= 0, aus 0, 1, z: Wegen

z−1 =x

x2 + y2− i y

x2 + y2

reicht es in Anbetracht von (iii), (iv), (v) und (vi), den Spezialfall z ∈ R>0 zubehandeln; hierzu:

–Version 23. Juli 2017–

66 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

• • •

1

z−1

z

1

(viii) Konstruktion von z aus 0, 1, z2: Schreibe z = r exp(ϕi) in Polarkoordinatenr ∈ R≥0 und ϕ ∈ [0, 2π). Dann ist

√z =

√r exp(ϕi

2). Den Ubergang von

z = r exp(ϕi) zu z′ = r exp(ϕi2

) erledigen wir mittels Winkelhalbierung:

• •

0 1

z

z′

Die Konstruktionsaufgabe reduziert sich auf den Spezialfall z = r ∈ R>0;hierzu:

• • •

1

√r

r

Die Folgerung ergibt sich mit (8.3).

Bemerkung: Sei 0, 1 ⊆ S ⊆ C. Nach (9.2) gilt dann

K = Q(S ∪ S) ≤ ^S.

9.3. Lemma. Sei K ein Teilkorper von C, der abgeschlossen ist bzgl. komplexerKonjugation, d. h. K = K.

(1) Ist z ∈ g ∩ g fur g, g ∈ G(K) mit g 6= g, so gilt z ∈ K.(2) Ist z ∈ g ∩ k fur g ∈ G(K) und k ∈ K(K), so existiert w ∈ C mit w2 ∈ K und

z ∈ K(w).

(3) Ist z ∈ k ∩ k fur k, k ∈ K(K) mit k 6= k, so existiert w ∈ C mit w2 ∈ K undz ∈ K(w).

–Version 23. Juli 2017–

9. KONSTRUKTIONEN MIT ZIRKEL UND LINEAL 67

Beweis. (1) Seien g, g ∈ G(K) mit g 6= g gegeben als

g =z ∈ C | ∃s ∈ R : z = sz1 + (1− s)z2,g =z ∈ C | ∃t ∈ R : z = tz1 + (1− t)z2

mit z1, z2, z1, z2 ∈ K. Sei z ∈ g ∩ g. Dann gibt es eindeutig bestimmte Parameters, t ∈ R mit

sz1 + (1− s)z2 = tz1 + (1− t)z2.

Schreibe zk = xk + iyk und zk = xk + iyk mit xk, yk, xk, yk ∈ R fur k ∈ 1, 2. Dannist (s, t) ∈ R2 die eindeutige Losung des linearen Gleichungssystems

(∗)

(x1 − x2)s− (x1 − x2)t = x2 − x2

(y1i− y2i)s− (y1i− y2i)t = y2i− y2i.

Da K unter komplexer Konjugation abgeschlossen ist, sind xk, xk, yki, yki ∈ K furk ∈ 1, 2, denn

xk =zk + zk

2∈ K und yki =

zk − zk2

∈ K

fur k ∈ 1, 2 und entsprechend fur xk, yki. Also sind die Koeffizienten in (∗) allesamtin K. Damit liegt auch die Losung (s, t) ∈ K2. Insbesondere ist s ∈ K und damitz = sz1 + (1− s)z2 ∈ K.

(2) Seien g ∈ G(K) und k ∈K(K) gegeben durch

g =z ∈ C | ∃s ∈ R : z = sz1 + (1− s)z2,

k =z ∈ C | (z − z0)(z − z0) = r2

mit z1, z2, z0 ∈ K und r = |z1 − z2| ∈ R≥0 fur geeignete z1, z2 ∈ K. Da K unter

komplexer Konjugation abgeschlossen ist, gilt jedenfalls r2 = (z1− z2)(z1 − z2) ∈ K.Sei z ∈ g∩ k. Dann existiert s ∈ R mit z = sz1 + (1− s)z2 = s(z1− z2) + z2 und

daher (s(z1 − z2) + z2 − z0

)(s(z1 − z2) + z2 − z0

)= r2.

Indem wir das Produkt auf der linken Seite ausmultiplizieren und anschließend durch(z1 − z2)(z1 − z2) = |z1 − z2|2 6= 0 teilen, erhalten wir s2 + ps+ q = 0 mit p, q ∈ K.

Mit w = s+ p2

ergibt das w2 = p4

4− q ∈ K und z = sz1 + (1− s)z2 ∈ K(s) = K(w).

(3) Der Beweis ist ahnlich wie fur (2). [Ub]

9.4. Definition. Sei L |K eine Korpererweiterung. Wir sagen, daß L durch Hin-zufugen einer Quadratwurzel aus K hervorgeht, falls L = K(w) mit w2 ∈ K ist.Dabei heißt w eine Quadratwurzel von v = w2 ∈ K und wir schreiben w =

√v.

Allgemeiner sagen wir, L gehe durch schrittweises Hinzufugen von Quadratwurzelnaus K hervor, falls es eine Kette von Zwischenkorpern

K = K0 ≤ K1 ≤ . . . ≤ Km = L, m ∈ N0,

gibt, wobei jedes Ki aus Ki−1 durch Hinzufugen einer Quadratwurzel hervorgeht.

–Version 23. Juli 2017–

68 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

Beispiele:

(1) Q(e2πi/5) geht aus Q durch schrittweises Hinzufugen von Quadratwurzeln hervor;man kann sich uberlegen, daß Q ≤ Q(

√5) ≤ Q(e2πi/5) eine geeignete Kette von

quadratischen Erweiterungen bildet.[Ub](2) Q(e2πi/7) geht nicht aus Q durch schrittweises Hinzufugen von Quadratwurzeln

hervor. Denn α = e2πi/7 hat das Minimalpolynom

MinpolQ(α) =X7 − 1

X − 1= X6 +X5 + . . .+X + 1;

vgl. (7.15). Daher ist [Q(α) : Q] = 6 keine 2er Potenz, und wir konnen dasKorollar zu dem nachfolgenden Satz anwenden.

9.5. Satz. Sei S ⊆ C mit 0, 1 ⊆ S. Sei K = Q(S ∪ S) und z ∈ C. Dann sindpaarweise aquivalent:

(i) z ∈ ^S, d. h., z ist aus S mit Zirkel & Lineal konstruierbar.(ii) z liegt in einem Zwischenkorper L von C |K, der durch schrittweises Hin-

zufugen von Quadratwurzeln aus K hervorgeht.(iii) Es gibt eine aufsteigende Kette K = K0 ≤ K1 ≤ . . . ≤ Km, m ∈ N0, von

Teilkorpern von C, so daß z ∈ Km und [Ki : Ki−1] = 2 fur i ∈ 1, . . . ,m sind.

Beweis. Nach (8.3) sind (ii) und (iii) aquivalent. Es genugt daher, zu zeigen, daßVorl. 22

(i) und (ii) aquivalent sind.

(ii) → (i). Es gelte (ii). Dann gibt es eine Kette

K = K0 ≤ K1 ≤ . . . ≤ Km = L, m ∈ N0,

von Teilkorpern von C mit z ∈ L und Ki = Ki−1(wi) mit w2i ∈ Ki−1 fur i ∈

1, . . . ,m. Nach (9.2) ist K0 = K = Q(S∪S) ≤ ^S, und der Korper ^S ist quadra-tisch abgeschlossen. Also folgt induktiv K1 = K0(w1) ⊆ ^S, . . ., Km = Km−1(wm) ⊆^S. Damit ist z ∈ L = Km ⊆ ^S.

(i) → (ii). Mittels Induktion laßt sich die Behauptung auf den folgenden Spezi-alfall zuruckfuhren:

Sei z aus S durch Anwendung eines der in (9.1) aufgefuhrten ele-mentaren Konstruktionsverfahren (K1), (K2), (K3) zu gewinnen.

Dann liegt z in einem Zwischenkorper L von C |K, der durchschrittweises Hinzufugen von Quadratwurzeln aus K hervorgehtund L = L erfullt.

Wir verwenden (9.3). Laßt sich z mittels (K1) gewinnen, so gilt z ∈ K, und wirwahlen L = K. Nun lasse sich z durch (K2) oder (K3) gewinnen. Dann existiert einw ∈ C mit w2 ∈ K und z ∈ K(w). Setze L = K(w,w). Dann ist z ∈ K(w) ⊆ L

und L = K(w,w) = K(w,w) = K(w,w) = L. Weiterhin fuhrt w2 ∈ K zu w2 ∈K = K ⊆ K(w). Also geht L =

(K(w)

)(w) durch schrittweises Hinzufugen von

Quadratwurzeln, namlich von w und dann w aus K hervor.

–Version 23. Juli 2017–

9. KONSTRUKTIONEN MIT ZIRKEL UND LINEAL 69

9.6. Korollar. Sei L |K eine Korpererweiterung und L gehe aus K durch schritt-weises Hinzufugen von Quadratwurzeln hervor. Dann ist [L : K] eine 2er Potenz.

Beweis. Geht L aus K durch Hinzufugen einer Quadratwurzel hervor, so giltnach dem Beweis zu (8.3) jedenfalls [L : K] ∈ 1, 2. Damit folgt die Behauptungaus der Gradformel (8.4).

9.7. Korollar. Sei K ≤ C ein Teilkorper mit K = K, und sei z ∈ C. Ist z ∈ ^K,so ist [K(z) : K] eine 2er Potenz.

Beweis. Die Behauptung folgt aus (9.5) und (8.4). Ist z ∈ L und [L : K] = 2m

fur ein geeignetes m ∈ N0, so liefert (8.4):

[L : K(z)][K(z) : K] = [L : K] = 2m,

somit ist [K(z) : K] auch eine 2er Potenz.

9.8. Beispiel und Anwendung. Wir skizzieren nun die Anwendungen der bis-lang entwickelten Theorie auf klassische Konstruktionsprobleme.

(1) Delisches Problem. Wegen MinpolQ( 3√

2) = X3 − 2 ist [Q( 3√

2) : Q] = 3 keine

2er Potenz. Gemaß (9.7) laßt sich also 3√

2 nicht mit Zirkel & Lineal aus 0, 1konstruieren.

(2) Quadratur des Kreises Ist√π (oder aquivalent π) in einem Teilkorper von C

enthalten, der aus Q durch schrittweises Hinzufugen von Quadratwurzeln her-vorgeht? Lindemann (1887): π ist noch nicht einmal algebraisch uber Q.

(3) Dreiteilung eines Winkels Sei ϕ ∈ R. Ist eiϕ/3 in einem Teilkorper von C ent-halten, der durch schrittweises Hinzufugen von Quadratwurzeln aus Q(exp(iϕ))hervorgeht ? Die Antwort hangt von ϕ ab!• Sei ϕ = 3π/4, dann ist ϕ/3 = π/4. Aus eϕi = 1√

2(i − 1) und eϕi/3 = 1√

2(i + 1)

erkennen wir, daß eϕi, eϕi/3 ∈ Q(√

2, i) sind. Beide Zahlen sind bereits aus0, 1 konstruierbar. Das ist auch geometrisch klar!

[Ub] • Sei ϕ = 2π/3, also ϕ/3 = 2π/9: Setze α = eϕi, β = eϕi/3 ∈ C. Merke:

MinpolQ(α) =X3 − 1

X − 1= X2 +X + 1 und MinpolQ(β) =

X9 − 1

X3 − 1= X6 +X3 + 1.

Somit ist [Q(β) : Q(α)] = 3 keine 2er Potenz.(4) Konstruktion regularer n-Ecke Sei n ∈ N. Ist e2πi/n in einem Teilkorper von C

enthalten, der aus Q durch schrittweises Hinzufugen von Quadratwurzeln hervor-geht? Eine vollstandige Antwort liefert der am Anfang des Abschnitts genannteSatz von Gauß und Wantzel.

Wir beweisen in Hinblick auf den Satz von Gauß und Wantzel noch einigeschwachere Aussagen, die sich jetzt vergleichsweise leicht ergeben.

Lemma. Sei p ∈ P eine Primzahl der Gestalt p = am + 1 mit a,m ∈ N unda ≥ 2. Dann ist a gerade und m = 2k fur ein geeignetes k ∈ N0.

–Version 23. Juli 2017–

70 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

Beweis. Offenbar ist p ≥ 3 und daher ungerade. Also ist a gerade.Widerspruchsannahme: m ist keine 2er Potenz. Dann besitzt m einen ungeradenPrimteiler q ∈ P, und es gilt m = qm fur ein m ∈ N. Das ergibt:

p = aqm + 1 = (am)q − (−1)q

=(am − (−1)

)( q−1∑k=0

(am)k(−1)k)

= (am + 1)︸ ︷︷ ︸=1

( q−1∑k=0

(am)k(−1)k)

︸ ︷︷ ︸=p

,

da p ∈ P und am + 1 < aqm + 1 = p sind; dies ist ein w© zu a ≥ 2 und m ≥ 1.

Folgerung: Ist p ∈ P mit p− 1 = 2m fur ein geeignetes m ∈ N, so ist m = 2k fur ein

geeignetes k ∈ N0, d. h., p = 22k + 1 ist eine Fermatsche Primzahl.

Korollar. Sei n ∈ N dergestalt, daß das regulare n-Eck sich mit Zirkel & Linealkonstruieren laßt, d. h., e2πi/n liege in einem Teilkorper von C, der aus Q durchschrittweises Hinzufugen von Quadratwurzeln hervorgehe. Dann sind die ungeradenPrimteiler von n ausnahmslos Fermatsche Primzahlen.

Beweis. Sei p ein ungerader Primteiler von n. Dann ist

wp = e2πi/p = (e2πi/n)n/p ∈ ^Q.

Nach (9.7) ist [Q(wp) : Q] eine 2er Potenz. Gemaß (7.15) ist Φp = Xp−1 + . . .+X+1das Minimalpolynom von wp uber Q. Also gilt

p− 1 = [Q(wp) : Q] = 2m

fur geeignetes m ∈ N. Wie oben beschrieben impliziert dies m = 2k fur geeignetesk ∈ N0, und p = 22k + 1 ist eine Fermatsche Primzahl.

10. Zerfallungskorper, normale und separable Erweiterungen

10.1. Definition. Sei K ein Korper und seien L, L Erweiterungskorper von K.

Ein K-Isomorphismus von L auf L ist ein Korperisomorphismus ι : L → L mitι|K = idK .

∼=// L

Kid// K

10.2. Definition. Sei K ein Korper und F ⊆ K[X]. Ein Zerfallungskorper fur Fuber K ist ein Erweiterungskorper Z von K dergestalt, daß gelten

(ZK1) ∀f ∈ F mit n = grad(f) ≥ 0 ∃γ ∈ K∗ ∃α1, . . . , αn ∈ Z : f = γ∏n

i=1(X−αi),(ZK2) Z = K(A), wobei A = α ∈ Z | ∃f ∈ F r 0 : f(α) = 0.–Version 23. Juli 2017–

10. ZERFALLUNGSKORPER 71

In Worten:”Ein Zerfallungskorper Z fur F uber K ist ein minimaler Erweite-

rungskorper von K, uber dem jedes f ∈ F r 0 in Linearfaktoren zerfallt.

Bemerkung Ist F = f1, . . . , fr endlich, so nennen wir Z einen Zerfallungskorperfur f1, . . . , fr. Ist Z ein Zerfallungskorper fur F uber K, so ist Z |K algebraisch. IstF endlich, so ist Z |K sogar endlich.

Beispiel: Fur ω = e2πi/3 ∈ C istQ(ω, 3√

2) = Q( 3√

2, ω 3√

2, ω2 3√

2) ein Zerfallungskorper

fur X3 − 2 uber Q.

Eine grundlegende Frage ist: Gibt es zu jedem F ⊆ K[X] einen Zerfallungskorperund ist dieser in einem geeigneten Sinne eindeutig?

10.3. Lemma. Sei ϑ : K → K ein Korperisomorphismus. Sei f ∈ K[X] irredu-

zibel und f ∈ K[X] das Bild von f unter dem Ringisomorphismus

K[X]→ K[X], h =∑

ihiX

i 7→∑

i(hiϑ)X i.

Seien L |K und L | K Korpererweiterungen, sowie α ∈ L, α ∈ L mit f(α) = 0,

f(α) = 0. Dann existiert genau ein Korperisomorphismus

ϑ : K(α)→ K(α) mit ϑ|K = ϑ und αϑ = α.

Beweis. Offenbar kann es hochstens einen solchen Isomorphismus geben. Zur Exi-

stenz bemerken wir: Ohne Einschrankung durfen f, f als normiert vorausgesetzt wer-

den, und dann sind f = MinpolK(α) und entsprechend f = MinpolK(α). Mit (8.7)

erhalten wir ϑ als Hintereinanderausfuhrung

K(α)∼=−→ K[X]/fK[X]

∼=−→ K[X]/fK[X]∼=−→ K(α)

g(α) 7→ g + fK[X] 7→ g + f K[X] 7→ g(α).

10.4. Hilfssatz. Sei ϑ : K → K ein Korperisomorphismus. Sei f ∈ K[X] und

f ∈ K[X] das Bild von f unter dem Ringisomorphismus

K[X]→ K[X], h =∑

ihiX

i 7→ h =∑

i(hiϑ)X i.

Seien Z, Z Zerfallungskorper fur f uber K bzw. f uber K. Dann existiert ein Korpe-

risomorphismus ι : Z → Z mit ι|K = ϑ.

Beweis. Wir verwenden Induktion nach n = grad(f). Fur n ≤ 1 sind Z = K undVorl. 23

Z = K. Daher liefert ι = ϑ den Isomorphismus.

–Version 23. Juli 2017–

72 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

∼=// Z

∼=// L

∼=// K

Sei nun n ≥ 2. Wahle eine Nullstelle α von f in Z. Setze g =

MinpolK(α) | f . Dann ist g | f , und wir finden eine Nullstelle α

von g in Z. Gemaß (10.3) existiert dann eine Fortsetzung ϑ : L→ L

von ϑ zu einen Isomorphismus von L = K(α) auf L = K(α). In

L[X], L[X] erhalten wir f = (X −α)h und f = (X − α)h. Offenbar

sind Z, Z Zerfallungskorper fur h uber L bzw. h uber L.

Wegen grad(h) < grad(f) liefert die Induktionsvoraussetzung einen Korperisomor-

phismus ι : Z → Z mit ι|K = (ι|L)|K = ϑ|K = ϑ.

Bemerkung: Der Isomorphismus ι : Z → Z ist in der Regel nicht eindeutig.

10.5. Satz. Sei K ein Korper und F ⊆ K[X] endlich. Dann existiert ein Zerfall-ungskorper fur F uber K, und dieser ist bis auf K-Isomorphie eindeutig bestimmt.

Beweis. Sei F = f1, . . . , fr. Dann ist ein Zerfallungskorper fur F uber K das-selbe wie ein Zerfallungskorper fur f = f1 · · · fr ∈ K[X]. Nach (10.4) ist nur nochdie Existenz zu begrunden; vgl. auch die Ubungen.

[Ub]Sei n = grad(f). Fur n ≤ 1 ist K selbst schon ein geeigneter Zerfallungskorper.Sei nun n ≥ 2. Wahle einen irreduziblen Faktor g von f in K[X]. Uber die Kronecker-konstruktion erhalten wir einen Erweiterungskorper L = K(α) ∼= K[X]/gK[X] mitg(α) = 0. In L[X] gilt dann f = (X − α)h, wobei h ∈ L[X] den Grad n − 1hat. Nach Induktionsvoraussetzung finden wir einen Zerfallungskorper fur h uber L.Offensichtlich ist dies auch ein Zerfallungskorper fur f uber K.

Bemerkung: Der Satz gilt allgemeiner fur beliebiges F ⊆ K[X]; siehe (10.13).

10.6. Definition. Eine algebraische Korpererweiterung L |K heißt normal, fallsfur jedes irreduzible Polynom f ∈ K[X] gilt: Besitzt f in L wenigstens eine Nullstelle,so zerfallt f uber L bereits in Linearfaktoren.

In anderen Worten: L ist der Zerfallungskorper fur F = MinpolK(α) | α ∈ L.

Beispiel: Q( 3√

2) |Q ist keine normale Erweiterung, da X3− 2 irreduzibel uber Q ist

und uber Q( 3√

2) die Zerlegung

X3 − 2 = (X − 3√

2)(X2 +3√

2X +3√

22)

in irreduzible Faktoren besitzt.

10.7. Satz. Sei L |K eine algebraische Korpererweiterung. Dann ist L |K normalgenau dann, wenn L ein Zerfallungskorper fur geeignetes F ⊆ K[X] uber K ist.Zusatz: Ist L |K endlich, so ist L |K normal genau dann, wenn L ein Zerfallungskorperfur ein geeignetes Polynom f ∈ K[X] uber K ist.

Beweis. Als algebraische Erweiterung ist L die Vereinigung von endlichen Tei-lerweiterungen von K und beide Eigenschaften lassen sich in (hinreichend) großen

–Version 23. Juli 2017–

10. ZERFALLUNGSKORPER 73

endlichen Teilerweiterungen prufen; vgl. (8.9). Ohne Einschrankung sei daher L |Kendlich.

[Ub] Sei zunachst L |K normal. Schreibe L = K(α1, . . . , αm) und setzte fi = MinpolK(αi)fur 1 ≤ i ≤ m, sowie f = f1 · · · fm ∈ K[X]. Nach Konstruktion ist L dann einZerfallungskorper fur f uber K.

Sei nun L der Zerfallungskorper eines Polynoms f ∈ K[X]. Sei g ∈ K[X] ir-reduzibel und α ∈ L mit g(α) = 0, sowie L(β) ein Erweiterungskorper von L mitg(β) = 0. Zu zeigen ist: L = L(β).

Nach (10.3) sind K(α) und K(β) zueinander K-isomorph. Offenkundig ist Lein Zerfallungskorper fur f uber K(α) und L(β) ein Zerfallungskorper von f uberK(β). Gemaß (10.4) sind L und L(β) dann K-isomorph. Insbesondere erhalten wir[L : K] = [L(β) : K]. Wegen L ⊆ L(β) folgt dann L = L(β).

10.8. Definition und Folgerung. Sei K ein Korper. Ein irreduzibles Polynomf ∈ K[X] heißt separabel (uber K), falls es uber dem Zerfallungskorper fur f uber Kin paarweise verschiedene Linearfaktoren zerfallt, d. h. in dem Zerfallungskorper (unddamit in beliebigen Erweiterungskorpern) nur einfache Nullstellen besitzt. Ansonstenheißt f inseparabel.

Aus den Ubungen ist bekannt: Ein irreduzibles Polynom f ∈ K[X] ist separabel[Ub] genau dann, wenn ggT(f, f ′) = 1, oder aquivalent f ′ 6= 0 ist; hierbei bezeichnet

f ′ =∑n

i=1 ifiXi−1 die formale Ableitung von f =

∑ni=0 fiX

i. Insbesondere ist fstets dann separabel, wenn char(K) = 0 ist.

Sei L |K eine algebraische Korpererweiterung. Ein Element α ∈ L heißt separabeluber K, falls MinpolK(α) separabel uber K ist. Die Erweiterung heißt separabel, fallsalle α ∈ L separabel uber K sind. Insbesondere gelten:

(1) Ist char(K) = char(L) = 0, so ist L |K automatisch separabel.(2) Ist α ∈ L separabel uber K und M ein Zwischenkorper von L |K, so ist auch α

auch separabel uber M .

Beweis. Wie angedeutet folgt (1) sofort mit dem Kriterium f ′ 6= 0. Fur (2) istnur zu bemerken, daß MinpolM(α) ein Teiler von MinpolK(α) ist.

10.9. Hilfssatz. Sei L |K eine algebraische Korpererweiterung mit p = char(K) =char(L) > 0, und sei α ∈ L. Dann ist α separabel uber K genau dann, wennK(α) = K(αp) ist.

Beweis. Sei zunachst α separabel uber K. Dann ist auch α separabel uber K(β),wobei β = αp gelte. Offensichtlich ist α Nullstelle des Polynoms Xp−β = Xp−αp =(X − α)p (beachte

(pk

)≡p 0 fur 1 ≤ k ≤ p − 1), und MinpolK(β)(α) |L[X] (X − α)p.

Daraus folgt MinpolK(β)(α) = X − α, also α ∈ K(β) und damit K(β) = K(α).Sei nun K(α) = K(αp). Dann gilt α = f(αp) fur geeignetes f ∈ K[X]; also ist

α Nullstelle des Polynoms g = f(Xp)−X ∈ K[X]. Wegen g′ = pXp−1f ′(Xp)− 1 =−1 6= 0 (beachte p ≡p 0) besitzt g – und damit auch MinpolK(α) – nur einfacheNullstellen. Folglich ist α separabel uber K.

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74 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

10.10. Satz. Sei L |K eine algebraische Korpererweiterung. Dann istVorl. 24

F = α ∈ L | α separabel uber K,

die separable Hulle von K in L, ein Zwischenkorper von L |K.

Beweis. Aufgrund von (8.9) durfen wir annehmen, daß L |K endlich ist, und esgenugt, zu zeigen, daß fur α, β ∈ F auch α+ β ∈ F und αβ ∈ F sind. (Erinnerung:Fur α ∈ F r0 laßt sich α−1 als Polynom in α schreiben!) Seien also α, β ∈ F . Wirzeigen, daß α + β ∈ F ist. Der Nachweis von αβ ∈ F gestaltet sich sehr ahnlich.

Widerspruchsannahme: α + β 6∈ F . Dann ist p = char(K) > 0. Nach (10.9) istα+β 6∈ K((α+β)p), also α+β nicht separabel uberK((α+β)p). Ohne Einschrankungsei daher

(α + β)p ∈ K,also αp + βp = (α + β)p ∈ K. Das ergibt, erneut unter Verwendung von (10.9),

K(α) = K(αp) = K(βp) = K(β),

also α + β ∈ K(α).

Weiter gilt fur jedes γ ∈ K(α + β), welches wir als γ =∑d

i=0 ci(α + β)i mitgeeigneten Koeffizienten ci ∈ K schreiben,

[Ub]

(∗) γp =( d∑i=0

ci(α + β)i)p

=d∑i=0

cpi((α + β)p

)i ∈ K.Setze m = [K(α) : K(α + β)], und sei g =

∑mi=0 giX

i = MinpolK(α+β)(α) ∈K(α + β)[X]. Nach (∗) ist f = gp =

∑mi=0 g

piX

pi ∈ K[X] mit f(α) = 0. Alsogilt MinpolK(α) | f und, da f hochstens m verschiedene Nullstellen besitzt und αseparabel uber K ist, folgt daraus grad(MinpolK(α)) ≤ m. Damit gilt

[K(α) : K]︸ ︷︷ ︸≤m

= [K(α) : K(α + β)]︸ ︷︷ ︸=m

[K(α + β) : K],

also [K(α + β) : K] = 1 und α + β ∈ K. w©

10.11. Satz und Definition. Sei L |K eine algebraische Korpererweiterung.Dann sind aquivalent:

(Gal1) L ist ein Zerfallungskorper fur eine Menge F ⊆ K[X] von separablen, irre-duziblen Polynomen uber K.

(Gal2) L ist eine normale und separable Erweiterung von K.

Gilt eine (und damit jede) der beiden Aussagen, so heißt L |K galoissch.

Beweis. Ist L |K normal und separabel, so ist nach (10.7) L ein Zerfallungskorperuber K fur ein geeignetes F ⊆ K[X]. Offenbar konnen wir einrichten, daß F ausirreduziblen Polynomen besteht, und diese sind als Minimalpolynome von Elementenaus L nach Voraussetzung allesamt separabel uber K.

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10. ZERFALLUNGSKORPER 75

Sei nun L Zerfallungskorper uber K fur eine Menge F ⊆ K[X] von separa-blen, irreduziblen Polynomen. Dann ist L |K normal nach (10.7) und separabelnach (10.10), da L augenscheinlich mit der separablen Hulle von K in L uberein-stimmt.

Im nachsten Abschnitt beschaftigen wir uns ausfuhrlich mit (dem Zwischenkorper-verband von) endlichen galoisschen Korpererweiterungen. Der Vollstandigkeit halbernotieren wir den folgenden Satz von Steinitz, der fur beliebige Grundkorper einen bisauf Isomorphie eindeutigen algebraischen Abschluß liefert. Algebraisch abgeschlos-sene Korper hatten wir bereits in (8.13) eingefuhrt.

10.12. Satz und Definition. Sei K eine beliebiger Korper. Dann existiert einErweiterungskorper A von K mit den folgenden beiden Eigenschaften:

(Ab1) A ist algebraisch abgeschlossen;(Ab2) A ist algebraisch uber K.

Weiter ist A bis auf K-Isomorphie eindeutig bestimmt und heißt der algebraischeAbschluß von K.

Beispiele:

(1) Nach (8.14) ist C algebraisch abgeschlossen. Der algebraische Abschluß von Qkann daher als algebraische Hulle A von Q in C gewonnen werden; siehe (8.10)und (8.12).

(2) Sei p ∈ P. Der algebraische Abschluß Fpalg

des Primkorpers Fp kann als Zerfall-ungskorper fur

F = Xpn −X | n ∈ N ⊆ Fp[X]

uber Fp gedeutet werden. Er enthalt fur jede p-Potenz pn genau einen TeilkorperFpn der Machtigkeit pn, namlich den Zerfallungskorper fur Xpn−X uber Fp; vgl.Ubungen. In diesem Sinne gilt dann

[Ub]Fp

alg=⋃Fpn | n ∈ N.

Beweis. zur Existenz: Wir schreiben Korper k in diesem Beweis genauer als k =(k′,+k, ·k), da wir auf ein und derselben Tragermenge verschiedene Korperstrukturenzu betrachten haben. Setze

N = K[X]× N0 = (f, i) | f ∈ K[X], i ∈ N0.

Uber die injektive Abbildung

K → N, a 7→ (X − a, 0)

bilden wir einen zu K isomorphen Korper K mit Tragermenge

K ′ = (X − a, 0) | a ∈ K ⊆ N.

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76 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

Wir konstruieren einen algebraischen Abschluß von K. Der Korperisomorphismus

K∼=−→ K vermittelt einen Ringisomorphismus K[X] → K[X], f 7→ f . Sei M die

Menge aller Korper L = (L′,+L, ·L) mit

(i) L′ ⊆ N (und daher +L, ·L ⊆ N×N×N),

(ii) K ≤ L, d. h., K ist ein Teilkorper von L,

(iii) ∀α = (f, i) ∈ L : α algebraisch uber K mit MinpolK(α) = f .

Offenbar ist K ∈M, also M 6= ∅. Vermoge

L1 ≤ L2 ↔def L1 ist ein Teilkorper von L2 (also L′1 ⊆ L′2,+L1 ⊆ +L2 , ·L1 ⊆ ·L2)

wird M zu einer (teilweise) geordneten Menge. Ist K ⊆M eine nicht-leere Kette bzgl.≤, so liefert

⋃K =

(⋃L∈K L

′,⋃L∈K +L,

⋃L∈K ·L

)offenbar eine obere Schranke fur K

in M. Nach dem Zornschen Lemma (siehe (6.15)) finden wir ein maximales Element

A von (M,≤). Nach (ii), (iii) ist A | K jedenfalls eine algebraische Korpererweiterung.Daher genugt es zu zeigen, daß A algebraisch abgeschlossen ist; vgl. (8.13).

Sei M |A eine beliebige algebraische Erweiterung. Nach (8.11) ist dann auch

M | K algebraisch. Wir konstruieren eine injektive Abbildung ι : M ′ → N mit ι|A′ =

id |A′ wie folgt. Sei F = MinpolK(α) | α ∈M. Fur jedes f ∈ F ist die Faser

S(f) = α ∈M | MinpolK(α) = f

endlich und die Menge f × N0 unendlich, also die Menge

Φf = ϕ : S(f)→ f × N0

∣∣∣ϕ injektiv und ϕ|S(f)∩A′ = id |S(f)∩A′

nicht leer. Unter Verwendung des Auswahlaxioms durfen wir ι als Vereinigung derFamilie (ϕf )f∈F mit ϕf ∈ Φf bilden. Offenbar laßt sich die Korperstruktur nun

von M mittels ι auf M = Mι ubertragen, so daß M ∈ M mit A ≤ M gilt. Die

Maximalitat von A impliziert nun A = M , also auch A = M .

zur Eindeutigkeit: Es bietet sich an, eine leicht allgemeinere Aussage zu beweisen,namlich:

A

Lϑ // L

ϕ // Mϕ

Kϑ// K

Sei A ein algebraisch abgeschlossener Korper, L |K eine algebrai-

sche Korpererweiterung und ϑ : K → K ≤ A ein Isomorphismusvon K auf einen Teilkorper von A. Dann laßt sich ϑ zu einem Iso-

morphismus ϑ : L → L ≤ A von L auf einen Teilkorper L von Afortsetzen.Daraus folgt dann die ursprungliche Behauptung: Sind A1, A2 al-gebraische Abschlusse von K, so erhalten wir fur ϑ = idK einen

K-Isomorphismus von A1 auf einen Teilkorper A1 von A2. Dann ist

A1 ebenfalls ein algebraischer Abschluß von K; da A2 |K algebra-

isch ist, folgt A1 = A2.

Betrachte die Menge M aller Korperisomorphismen ϕ : Mϕ → Mϕ von Zwi-

schenkorpern Mϕ von L |K auf Zwischenkorpern Mϕ = Bild(ϕ) von A | K, fur die

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11. GRUPPENOPERATIONEN 77

ϕ|K = ϑ gilt. Wegen ϑ ∈M ist M 6= ∅. Vermoge der Inklusion

ϕ ⊆ ψ, fur ϕ, ψ ∈M gleichbedeutend mit Mϕ ⊆Mψ und ϕ = ψ|Mϕ ,

wird M zu einer (teilweise) geordneten Menge. Ist K ⊆M eine nicht-leere Kette, soliefert

Φ =⋃

K :⋃Mϕ | ϕ ∈ K →

⋃Mϕ | ϕ ∈ K

offenbar eine obere Schranke fur K in M. Nach dem Zornschen Lemma (siehe (6.15))

finden wir ein maximales Element ψ : Mψ → Mψ von (M,⊆). Es genugt zu zeigen,daß Mψ = L ist.

Sei dazu α ∈ L und schreibe M = Mψ, M = Mψ. Sei f = MinpolM(α) und f

das entsprechende Bild von f unter dem von ψ : M∼=−→ M vermittelten Ringiso-

morphismus M [X]∼=−→ M [X]. Da A algebraisch abgeschlossen ist, finden wir eine

Nullstelle α ∈ A von f . Gemaß (10.3) existiert eine Fortsetzung ψ : M(α)∼=−→ M(α)

von ψ. Aus ψ ∈ M und ψ ⊆ ψ folgt aufgrund der Maximalitat von ψ nun ψ = ψund insbesondere α ∈M .

Eine leichte Modifikation der eben verwendeten Schlußweise liefert die folgendeVerallgemeinerung von (10.5).

10.13. Satz. Sei K ein Korper und F ⊆ K[X] beliebig. Dann existiert einZerfallungskorper fur F uber K, und dieser ist bis auf K-Isomorphie eindeutig be-stimmt.

Beweis. Die Existenz ergibt sich direkt dadurch, daß wir in einem algebraischenAbschluß A vonK den Korper Z bilden, der ausK durch Hinzufugen aller Nullstellenvon Polynomen in F entsteht. Die Eindeutigkeit ergibt sich ahnlich wie im Beweis von(10.12) unter Verwendung des Zornschen Lemmas oder, indem man ausnutzt, daß einIsomorphismus zwischen zwei algebraischen Abschlussen von K einen Isomorphismusder entsprechenden Zerfallungskorper vermittelt.

11. Gruppenoperationen und die Sylowschen Satze

11.1. Definition. Eine Operation (oder Wirkung) Ω x G einer Gruppe G aufeiner Menge Ω ist gegeben durch eine Abbildung

µ : Ω×G→ Ω, (x, g) 7→ µ(x, g) = x.g = xg

mit den Eigenschaften:

• ∀x ∈ Ω ∀g, h ∈ G : (x.g).h = x.(gh)• ∀x ∈ Ω : x.1G = x

Bemerkung: Eine Operation von G auf Ω vermittelt einen Homomorphismus

G→ Sym(Ω), g 7→ πg

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78 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

von G in die symmetrische Gruppe aller Permutationen von Ω, wobei die g ∈ Gzugeordnete Permutation als πg : Ω→ Ω, x 7→ x.g erklart ist; die Umkehrabbildungist gerade π−1

g = πg−1 . Umgekehrt liefert jeder Homomorphismus ϑ : G → Sym(Ω)eine Gruppenoperation

µϑ : Ω×G→ Ω, (x, g) 7→ x(gϑ).

11.2. Beispiele.

(1) Sei G eine Gruppe und H ≤ G. Dann operiert G auf der Menge Ω = H\G =Hx | x ∈ G der Rechtsnebenklassen durch Rechtsmultiplikation

Ω×G→ Ω, (Hx, g) 7→ H(xg).

Fur H = 1 steht H\G = x | x ∈ G in Bijektion zu G. Leicht vereinfachterhalten wir in diesem Spezialfall die regulare Permutationsdarstellung

Ω = G und Ω×G→ Ω, (x, g) 7→ x.g = xg.

Offenbar ist der Kern des zugehorigen HomomorphismusG→ Sym(Ω) gleich 1.Jede Gruppe ist daher isomoph zu einer Permutationsgruppe. Insbesondere giltder

”Satz von Cayley“: Jede endliche Gruppe der Ordnung n ist isomorph zu

einer Untergruppe von Sym(n).(2) Sei G eine Gruppe und Ω = G. Die in (3.7) eingefuhrte Konjugation liefert die

OperationΩ×G→ Ω, (x, g) 7→ xg = g−1xg.

(3) Sei G eine Gruppe, und Ω = H | H ≤ G die Menge aller Untergruppen von G.Dann liefert die Konjugation eine Operation

Ω×G→ Ω, (H, g) 7→ Hg = g−1Hg = g−1xg | x ∈ H.Die

”Fixpunkte“ dieser Wirkung sind gerade die Normalteiler von G; vgl. (3.7).

11.3. Definition. Sei Ω x G eine Gruppenoperation. Dann wird durch

x ∼ y ↔def ∃g ∈ G : x.g = y

eine Aquivalenzrelation auf Ω definiert, und die zugehorigen Aquivalenzklassen hei-ßen G-Bahnen (oder kurz Bahnen), und Ω zerfallt somit in paarweise disjunkteBahnen. Die Operation heißt transitiv, falls Ω aus einer einzigen Bahn besteht, an-sonsten intransitiv.

Der Stabilisator (auch Isotropiegruppe) von x ∈ Ω in G ist

Gx = g ∈ G | x.g = x.Ist Gx = G, d. h. x.g = x fur alle g ∈ G, so heißt x ein Fixpunkt unter G.

Bemerkung: Die Operation in (11.2)(1) ist offenbar transitiv. Der Stabilisator einer

Nebenklasse Hx ist die Untergruppe x−1Hx ≤ G. Die Operation in (11.2)(2) ist inder Regel intransitiv (einzige Ausnahme: G = 1). Die Bahn von x ∈ Ω = G istxg | g ∈ G und heißt Konjugationsklasse (oder Konjugiertenklasse) von x in G.

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11. GRUPPENOPERATIONEN 79

11.4. Satz (Stabilisator und Bahnlangenformel). Sei Ω x G eine Gruppenope-ration, und sei x ∈ Ω. Dann gelten:

(1) Der Stabilisator Gx ist eine Untergruppe von G.(2) Die Abbildung Gx\G → Ω, Gxh 7→ xh liefert eine Bijektion von Gx\G auf die

Bahn x.h | h ∈ G. Insbesondere gilt fur die Bahnlange

|x.h | h ∈ G| = |G : Gx|.

Beweis. (1) ergibt sich leicht aus dem Untergruppenkriterium (2.7); zu bemerkenist nur: Aus g ∈ Gx folgen schrittweise

x.g = x, also x = x.1 = x.(gg−1) = (x.g).g−1 = x.g−1, also g−1 ∈ Gx.

(2) Offenbar bildet die angegebene Abbildung Gx\G surjektiv auf x.h | h ∈ Gab. Zu zeigen bleibt, daß die Abbildung injektiv ist. Seien h, h ∈ G mit x.h = x.h.Dann gilt

x.(hh−1) = (x.h).h−1 = (x.h).h−1 = x.(hh−1) = x.1 = x,

also hh−1 ∈ Gx und damit Gxh = Gxh.

Bemerkung: Operiert G per Konjugation auf sich selbst wie in (11.2)(2), so heißtder Stabilisator von x ∈ Ω = G der Zentralisator von x in G, und man schreibt

CG(x) = g ∈ G | gx = xg.

Satz (11.4) zeigt, daß die Anzahl der in G zu x konjugierten Elemente |G : CG(x)|betagt.

Operiert G wie in (11.2)(3) auf Untergruppen von G per Konjugation, so heißtder Stabilisator von H ≤ G der Normalisator von H in G und wird mit

NG(H) = g ∈ G | g−1Hg = H

bezeichnet. Offenbar ist H E NG(H), und NG(H) ist die großte Untergruppe vonG, in der H normal ist.

Vorl. 25

11.5. Satz (Bahnenanzahlformel). Die endliche Gruppe G operiere auf einer end-lichen Menge Ω. Fur g ∈ G bezeichne fix(g) = |x ∈ Ω | x.g = x| die Anzahl derFixpunkte von g. Dann ist die Anzahl der G-Bahnen in Ω gleich |G|−1

∑g∈G fix(g).

Beweis. Wir zahlen auf zwei Weisen die Elemente der Menge

(x, g) ∈ Ω×G | x.g = x.

(i) Fur jedes g ∈ G erhalten wir einen Beitrag von fix(g) vielen Paaren (x, g).Insgesamt erhalten wir also

∑g∈G fix(g).

(ii) Fur jedes x ∈ Ω erhalten wir einen Beitrag von |Gx| vielen Paaren (x, g), alsoliefert gemaß (11.4) die zugehorige G-Bahn B = x.G insgesamt einen Beitrag von

–Version 23. Juli 2017–

80 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN∑y∈B|Gy| = |G : Gx||Gx| = |G| Paaren (y, g) mit y ∈ B. Wir erhalten so∑

x∈Ω

|Gx| =∑

B Bahn

|G| = |B | B Bahn||G|.

Das ergibt1

|G|∑g∈G

fix(g) = |B | B Bahn|.

11.6. Korollar. Sei G eine endliche Gruppe, und sei k = k(G) die Anzahl derKonjugationsklassen in G.

(1) Sind x1, . . . , xk Vertreter der verschiedenen Konjugationsklassen von G, so giltdie Klassengleichung

1 =k∑i=1

1

|CG(xi)|.

(2) Weiter gilt

k =∑x∈G

1

|G : CG(x)|.

Beweis. Die Gruppe G operiert auf sich selbst per Konjugation.(1) Nach (11.4) gilt

|G| =k∑i=1

|G : CG(xi)|, also 1 =k∑i=1

1

|G||G|

|CG(xi)|=

k∑i=1

1

|CG(xi)|.

(2) Nach (11.5) gilt

k =1

|G|∑x∈G

|CG(x)| =∑x∈G

|CG(x)||G|

=∑x∈G

1

|G : CG(x)|.

Das Beispiel der alternierenden Gruppe Alt(4) zeigt, daß die naive Umkehrungdes Satzes von Lagrange (3.3) nicht gultig ist: Alt(4) hat Ordnung 12 und besitztkeine Untergruppe der Ordnung 6. Wichtige Hilfsmittel fur die Strukturtheorie end-licher Gruppen liefern die klassischen Resultate von Sylow.

11.7. Sylowsche Satze (veroffentl. 1872). Sei G eine endliche Gruppe der Ord-nung n = pam, wobei p ∈ P und a,m ∈ N mit m - p seien. Dann gelten:

(1) Es gibt in G wenigstens eine Untergruppe der Ordnung pa.

Bemerkung/Definition: Nach (3.3) jede solche Untergruppe ⊆-maximal mit derEigenschaft p-Potenz-Ordnung zu haben, und heißt eine Sylow-p-Untergruppe(auch p-Sylowuntergruppe) von G.

(2) Je zwei Sylow-p-Untergruppen sind in G konjugiert zueinander. Ihre Gesamtan-zahl ist kongruent zu 1 modulo p.

Bemerkung: Insbesondere sind je zwei Sylow-p-Untergruppen von G zueinanderisomorph; vgl. (3.7).

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11. GRUPPENOPERATIONEN 81

(3) Jede Untergruppe von G, deren Ordnung eine p-Potenz ist, ist in wenigstenseiner Sylow-p-Untergruppe enthalten.

Bemerkung: Also sind die Sylow-p-Untergruppen gerade die ⊆-maximalen Un-tergruppen von p-Potenz-Ordnung.

Beweis. (1) Betrachte die Menge Ω = X ⊆ G | |X| = pa. Die Gruppe Goperiert auf Ω durch Rechtsmultiplikation:

X.g = xg | x ∈ X fur X ∈ Ω und g ∈ G.

Da G per Rechtsmultiplikation transitiv auf sich wirkt, uberdecken fur beliebigesX ∈ Ω die Elemente X.g, g ∈ G, der Bahn von X ganz G. Daher besitzt jede Bahnwenigstens n/pa = m Elemente.

Nach (11.4) gibt es jetzt nun zwei Typen von Bahnen:

(i) Bahnen B der Lange |B| = m. Ist X Element einer solchen Bahn B, so ist derStabilisator GX eine Untergruppe der Ordnung

|GX | = |G|/|B| =n

m= pa.

(ii) Bahnen B der Lange |B| > m. Fur solche Bahnen gilt, da |B| ein Teiler von|G| = pam ist, dann auf jeden Fall |B| ≡p 0.

Da Ω die disjunkte Vereinigung der verschiedenen Bahnen ist, reicht es, zu zeigen:|Ω| 6≡p 0. Denn dann gibt es wenigstens eine Bahn vom Typ (i) und damit auch eineUntergruppe der Ordnung pa.

Offenbar ist

|Ω| =(pam

pa

)=

(pam)(pam− 1) · · · (pam− (pa − 1))

pa(pa − 1) · · · (pa − (pa − 1))= m

pa−1∏k=1

pam− kpa − k

.

Es reicht also zu zeigen, daß in jedem Faktor pam−kpa−k sich die hochste p-Potenz, die

den Zahler teilt, gegen eine entsprechende p-Potenz im Nenner kurzt. Sei dazu k ∈1, . . . , pa − 1 und schreibe k = pbk′ mit 0 ≤ b < a und p - k′. Dann ist

pam− kpa − k

=pam− pbk′

pa − pbk′=pa−bm− k′

pa−b − k′.

Nun sind weder Zahler noch Nenner durch p teilbar.Es gibt hierzu auch einen interessanten Alternativtrick: Offenbar hangt |Ω| gar

nicht von der speziellen Struktur der Gruppe G sondern nur von deren Ordnung n =pam ab. Ohne Einschrankung durfen wir daher G ∼= Z/nZ als zyklisch voraussetzen.Dann hat G bekanntlich genau eine Untergruppe H ∼= mZ/nZ der Ordnung pa;die Bahnen B der Lange m (deren Elemente notwendigerweise den Stabilisator Hhaben) sind genau die m Nebenklassen von H in G. Somit gilt |Ω| ≡p m2 6≡p 0.

(2) & (3) Sei P eine Sylow-p-Untergruppe von G und setze Ξ = P g | g ∈ Gsowie nP = |Ξ|. Dann operiert P per Konjugation auf Ξ. Gemaß (11.4) sind dieBahnlangen jeweils p-Potenzen. Wir zeigen, daß P die einzige Bahn der Lange 1

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82 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

ist; das impliziert dann nP ≡p 1. Sei also Q eine beliebige Bahn der Lange 1,insbesondere Q eine Sylow-p-Untergruppe. Dann erhalten wir

Q E PQ = xy | x ∈ P, y ∈ Q ≤ G;

vergleiche (3.14). Weiter ist |PQ : Q| = |P : P ∩Q| und damit auch

|PQ| = |PQ : Q||Q : P ∩Q||P ∩Q|

eine p-Potenz. Aus P ⊆ PQ und |PQ| ≤ |P | folgt nun Q = PSei schließlich P1 ≤ G eine beliebige Untergruppe von p-Potenz-Ordnung. Zu

zeigen ist: Es existiert Q ∈ Ξ mit P1 ≤ Q. Betrachte dazu die Operation von P1

auf Ξ per Konjugation. Ahnlich wie zuvor sehen wir, daß die P1-Bahnlangen jeweilsp-Potenzen sind. Wegen nP ≡p 1 6= 0 finden wir eine P1-Bahn Q der Lange 1.Ahnlich wie zuvor folgt dann P1 ≤ P1Q = Q.

[Ub]Bemerkung: Die Sylowschen Satze bilden das Grundgerust fur die Strukturtheorieendlicher Gruppen. Ein Vorlaufer ist der sehr viel bescheidenere

Satz von Cauchy. Teilt die Primzahl p die Ordnung einer endlichenGruppe G, so besitzt G wenigstens ein Element der Ordnung p.

11.8. Hilfssatz. Sei G eine endliche p-Gruppe, d. h. eine endlichen Gruppe mitOrdnung |G| = pa fur geeignete p ∈ P und a ∈ N0. Dann gelten:

(1) Ist G 6= 1, so ist das Zentrum

Z(G) = g ∈ G | ∀x ∈ G : gx = xg

eine nicht-triviale abelsche charakteristische Untergruppe von G.(2) Es existiert eine Kette

1 = G0 ≤ G1 ≤ . . . ≤ Ga = G

von Normalteilern von G dergestalt, daß fur jedes i ∈ 1, . . . , a gilt:

Gi/Gi−1 ≤ Z(G/Gi−1) und Gi/Gi−1∼= Z/pZ.

Beweis. (1) Sei G 6= 1. Die Gruppe G operiert per Konjugation auf sich selbst.Das Zentrum ist gerade die Vereinigung der Bahnen der Lange 1. Nach (11.4) ist dieLange einer Bahn B stets ein Teiler von |G| = pa; aus |B| ≥ 2 folgt also |B| ≡p 0.Da G die disjunkte Vereinigung all dieser Bahnen ist, gibt es neben 1 wenigstensnoch p − 1 ≥ 1 weitere Bahnen der Lange 1. Damit ist Z(G) 6= 1. Offenbar istZ(G), sogar fur jede Gruppe, eine abelsche charakteristische Untergruppe von G.

(2) Wir verwenden Induktion nach a. Fur a ≤ 1 ist die Behauptung trivialer-weise erfullt. Sei also a ≥ 2. Nach (1) ist Z(G) 6= 1. Offenbar enthalt Z(G) eineUntergruppe G1 ≤ Z(G) mit G1/G0

∼= G1∼= Z/pZ. Offensichtlich ist G1 E G. Die

Behauptung folgt nun mit (3.13), indem wir die Induktionsvoraussetzung auf dieGruppe G/G1 der Ordnung |G/G1| = pa−1 anwenden.

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12. HAUPTSATZ DER GALOISSCHEN THEORIE 83

12. Hauptsatz der Galoisschen Theorie

12.1. Definition. Sei L |K eine galoissche Korpererweiterung (d. h. eine norma-le und separable Erweiterung bzw. ein Zerfallungskorper fur separable Polynome;siehe (10.11)). Die zugehorige Galoisgruppe

Gal(L |K) = g ∈ Aut(L) | g|K = idK

besteht aus allen K-Automorphismen von L, d. h. aus den Korperautomorphismenvon L, die jedes Element in K fixieren. Offenbar ist Gal(L |K) eine Untergruppevon Aut(L) bzgl. der Hintereinanderausfuhrung von Automorphismen.

Bemerkung: Wir beschranken uns im folgenden auf endliche galoissche Erweiterun-gen. Eine ahnliche Theorie gilt auch fur unendliche galoissche Erweiterungen, sieist jedoch technisch etwas aufwendiger: Die relevante Galoisgruppe erhalt mit dersogenannten Krull-Topologie eine zusatzliche Struktur.

12.2. Satz. Sei L |K eine endliche galoissche Erweiterung mit Galoisgruppe G =Gal(L |K). Dann gilt: |G| = [L : K]

Beweis. Fur [L : K] = 1 ist L = K und G = idL einelementig.Sei nun n = [L : K] ≥ 2. Wahle α ∈ L r K und setze f =

∑mi=0 fiX

i =MinpolK(α) ∈ K[X] mit m = grad(f) ≥ 2. Dann gelten [K(α) : K] = m und[L : K(α)] = n/m. Weiter ist L |K(α) galoissch und somit |Gal(L |K(α))| = n/mnach der Induktionsvorraussetzung.

Merke: Die Gruppe G operiert in naturlicher Weise auf der NullstellenmengeΩ = β ∈ L | f(β) = 0; tatsachlich gilt fur β ∈ Ω und g ∈ G namlich

f(βg) =∑

ifi(β

g)i =∑

if gi (βg)i =

(∑ifiβ

i)g

= (f(β))g = 0g = 0.

Der Stabilisator Gα = g ∈ G | αg = α ≤ G halt offenbar jedes Element vonK(α) = h(α) | h ∈ K[X] fix und stimmt daher mit Gal(L |K(α)) uberein. Dasliefert |Gα| = n

m.

Weiter besitzt f aufgrund der Normalitat und Separabilitat von L |K insgesamtm paarweise verschiedene Nullstellen in L; somit ist |Ω| = m. Zudem operiert Ggemaß (10.3) und (10.4) transitiv auf Ω: Ist β ∈ Ω, so gibt es nach (10.3) ein K-Isomorphismus ϑ : K(α)→ K(β) von K(α) auf K(β) mit αϑ = β, und nach (10.4)setzt sich dieser zu einem Galoisautomorphismus von L |K mit αg = β fort.

Aus (11.4) folgt nun

|G| = |αg | g ∈ G||Gα| = m · n/m = n.

12.3. Hilfssatz. Sei L |K eine endliche Korpererweiterung und

M = M |M ein Zwischenkorper von L |K

sei endlich. Dann ist L |K einfach, d. h., es existiert ein α ∈ L mit L = K(α).Vorl. 26

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84 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

Beweis. Sei zunachst K, und damit auch L endlich. Gemaß Ubungsblatt 12 istdie multiplikative Gruppe L× zyklisch, d. h., L× = 〈α〉 = 1, α, α2, . . . , α|L|−2 furein geeignetes α ∈ L. Offenbar gilt dann L = K(α).

[Ub]Sei nun K unendlich. Wegen [L : K] <∞ glit zumindest L = K(α1, . . . , αr) furendlich viele Elemente α1, . . . , αr ∈ L. Wir zeigen unten: Falls r ≥ 2 ist, so gilt

(∗) ∃t ∈ K : K(α1, α2) = K(α1 + tα2).

Wegen L = K(α1 + tα2, α3, . . . , αr) folgt die Behauptung also per Induktion nach r.zu (∗): Da K unendlich und M endlich sind, existieren t1, t2 ∈ K mit t1 6= t2 und

K(α1 + t1α2) = K(α1 + t2α2) =: M ⊆ K(α1, α2). Merke

α1 =t2(α1 + t1α2)− t1(α1 + t2α2)

t2 − t1und α2 =

(α1 + t1α2)− (α1 + t2α2)

t1 − t2liegen bereits in M . Folglich ist K(α1, α2) = M = K(α1 + tα2) fur t = t1.

12.4. Hauptsatz (Hauptsatz der Galoisschen Theorie). Sei L |K eine endlichegaloissche Korpererweiterung mit Galoisgruppe G = Gal(L |K). Seien

M = M |M ein Zwischenkorper von L |KU = H | H eine Untergruppe von G

Dann stellen die Abbildungen

M→ U, M 7→ Gal(L |M)

U→M, H 7→ Fix(H) = α ∈ L | ∀h ∈ H : αh = αzueinander inverse Bijektionen zwischen M und U dar, und weiter gelten:

(1) ∀M ∈M : [L : M ] = |Gal(L |M)| und [M : K] = |G : Gal(L |M)|.(2) ∀M1,M2 ∈M : M1 ⊆M2 ↔ Gal(L |M1) ⊇ Gal(L |M2).

(3) ∀M ∈M : M |K normal (und damit galoissch) ↔ Gal(L |M) E G.

(4) ∀M ∈M mit M |K normal : Gal(L |K)→ Gal(M |K), g 7→ g|Mvermittelt einen Isomorphismus Gal(L |K)/Gal(L |M)

∼=−→ Gal(M |K).

Beweis. Offenbar ist fur M ∈M die Erweiterung L |M galoissch und Gal(L |M)eine Untergruppe von Gal(L |K) = G, also Gal(L |M) ∈ U. Umgekehrt ist furH ∈ U, d. h. H ≤ G, die Fixmenge Fix(H) ein Zwischenkorper von L |K, alsoFix(H) ∈M; vgl. Ubungsblatt 12. Also sind die angegebenen Abbildungen M→ U

[Ub]und U→M jedenfalls ordentlich definiert.Weiterhin ist

”→“ in (2) offenkundig richtig und ahnlich gilt fur H1, H2 ∈ U:

H1 ⊆ H2 → Fix(H1) ⊇ Fix(H2).

Die Behauptung (1) sehen wir so ein: Fur M ∈ M ist L |M galoissch, so daßnach (12.2) gelten: [L : M ] = |Gal(L |M)| und

[M : K] =[L : K]

[L : M ]=

|G||Gal(L |M)|

= |G : Gal(L |M)|.

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12. HAUPTSATZ DER GALOISSCHEN THEORIE 85

Sei nun M ∈M. Setze H = Gal(L |M) ∈ U, M = Fix(H) ∈M

und H = Gal(L | M) ∈ U. Offenbar gelten dann M ⊆ M und

H ⊇ H. Wegen H ⊆ Gal(L | Fix(H)) = H ist sogar H = H. Daherliefert (12.2):

[L : M ] = |Gal(L |M)︸ ︷︷ ︸H

| = |Gal(L | M)︸ ︷︷ ︸H

| = [L : M ].

Wegen M ⊆ M gilt also M = M . Insbesondere ist U→M surjektivund somit ist |M| ≤ |U| <∞.

L id

M // H

M // H

aa

K G

L id

M oo H

M oo H!!

K G

Nach (12.3) finden wir α ∈ L mit L = K(α). Sei nun H ∈ U.

Setze M = Fix(H) ∈M, H = Gal(L |M) ∈ U und M = Fix(H) ∈M. Dann ist H ⊆ H und M = M , wie bereits gesehen. Wir zeigenunten:

(†) Ist L | M endlich und galoissch mit Galoisgruppe H =

Gal(L | M) und ist H H eine echte Untergruppe, so gilt

Fix(H) Fix(H).

In der vorliegenden Situation ergibt das H = H. Damit sind dieangegebenen Abbildungen M→ U und U→M zueinander inverseBijektionen. Insbesondere folgt auch

”←“ in (2).

zu (†): Widerspruchsannahme: Fix(H) = Fix(H) = M . Wie gesehen ist L =

M(α). Setze f = MinpolM(α) ∈ M [X] und schreibe

f = (X − α1) · · · (X − αn)

mit n = grad(f) = [L : M ](12.2)= |H| und α = α1, α2, . . . , αn ∈ L paarweise ver-

schieden. Die Gruppe H operiert transitiv auf Ω = α1, . . . , αn; vgl. (10.3). Wegen

H ( H ist |H| < |H| = n, und H operiert intransitiv auf Ω. Ohne Einschrankungsei ∆ = α1, . . . , αm mit 1 ≤ m < n die H-Bahn von α = α1. Betrachte

f =m∑i=0

fiXi = (X − α1) · · · (X − αm) ∈ L[X].

Fur jedes h ∈ H glit wegen ∆h = ∆ dannm∑i=0

f hi Xi =

m∏i=0

(X − α hi ) =

m∏i=0

(X − αi) =m∑i=0

fiXi,

also f hi = fi fur alle i ∈ 0, . . . ,m. Wegen Fix(H) = M bedeutet dies f ∈ M [X].

Per Konstruktion gilt f(α) = 0, obschon 1 ≤ grad(f) < n = grad(f) und f =MinpolM(α) sind. w©

Es bleiben (3) und (4) zu zeigen.

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86 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

zu (3): Sei M ∈ M und H = Gal(L |M). Dann ist M.g = αg | α ∈ M ∈ M

mit Hg = g−1Hg = Gal(L |M.g) fur jedes g ∈ G; denn fur alle α ∈ M und h ∈ Ggilt αh = α genau dann, wenn (αg)g

−1hg = αg ist. Folglich gilt

(∗) H E G ↔ ∀g ∈ G : M.g = M.

Fur α ∈ M und f = MinpolK(α) gilt β ∈ L | f(β) = 0 = αg | g ∈ G; vgl.Beweis zu (12.2). Damit gilt: M |K ist normal (und damit galoissch) genau dann,wenn M.g = M fur alle g ∈ G ist. Mit (∗) folgt somit Behauptung (3).

zu (4): Sei M ∈M mit M |K normal, nach (3) also Gal(L |M) E G. Gemaß (∗)erhalten wir tatsachlich einen Gruppenhomomorphismus

G = Gal(L |K)→ Gal(M |K), g 7→ g|M

mit Kern Gal(L |M). Wegen

|Gal(L |K)||Gal(L |M)|

(12.2)=

[L : K]

[L : M ]= [M : K]

(12.2)= |Gal(M | K)|

ist dieser Homomorphismus surjektiv, und der Homomorphiesatz (3.12) liefert

Gal(L |K)/Gal(L |M) ∼= Gal(M | K).

12.5. Beispiele.

(1) Sei K = Q, und sei L = Q(α, αω, αω2) = Q(α, ω), mit α = 3√

2 und ω = e2πi/3,ein Zerfallungskorper fur X3 − 2 in C. Dann ist L |Q galoissch und [L : Q] =[Q(α, ω) : Q(α)][Q(α) : Q] = 2 · 3, denn MinpolQ(α)(ω) = X2 + X + 1 und

MinpolQ(α) = X3 − 2.Somit ist G = Gal(L |Q) eine Gruppe der Ordnung 6, und G operiert treu

(d. h. mit trivialem Kern) auf der Nullstellenmenge Ω von X3−2. Wir schreiben

Ω = a, b, c, mit a = α, b = αω und c = αω2.

Wegen |Sym(Ω)| = 6 erhalten wir G ∼= Sym(Ω) ∼= Sym(3). Der Hauptsatz derGaloisschen Theorie liefert:

Q(α, ω)

Q(ω)

3

Q(α)

2

Q(αω)

2

Q(αω2)

2

Q

2

galoissch

3 3

3

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12. HAUPTSATZ DER GALOISSCHEN THEORIE 87

und

id

Alt(Ω) = 〈(a b c)〉

3

〈(b c)〉2

〈(a c)〉2

〈(a b)〉

2

Sym(Ω) ∼= G

2

normal

3 3

3

Insbesondere ist Alt(Ω) E Sym(Ω) und Gal(Q(ω) |Q) ∼= Sym(Ω)/Alt(Ω) ∼= C2.

(2) Sei K = Q, und sei L = Q(ζ), mit ζ = e2πi/17, der Zerfallungskorper von X17−1

in C. Wegen MinpolQ(ζ) = X17−1X−1

=∑16

i=0Xi ist [L : Q] = 16.

Also ist G = Gal(L |Q) eine Gruppe der Ordnung 16 und operiert treu aufder Nullstellenmenge ζ, ζ2, . . . , ζ16. Wir beobachten: Fur k ∈ Z ist gk : L→ L,

[Ub] f(ζ) 7→ f(ζk) mit f ∈ Q[X] ein Galoisautomorphismus von L |Q. Weiter ist

〈6〉 = (Z/17Z)×︸ ︷︷ ︸∼=C16

∼=−→ G, k = k + 17Z 7→ gk,

ein Gruppenisomorphismus, und G operiert auf ζ, ζ2, . . . , ζ16 wie (Z/17Z)×

auf sich selbst per Rechtsmultiplikation.Der Hauptsatz der Galoisschen Theorie liefert:

Q(ζ) = K4 = L 〈g1〉 = id 〈1〉 = 1

K3

2

〈g16〉

2

〈16〉

2

K2

2

〈g4〉

2

〈4〉

2

K1

2

〈g2〉

2

〈2〉

2

Q = K0

2

G = 〈g6〉

2

(Z/17Z)× = 〈6〉

2

Wie konnen wir beispielsweise den Zwischenkorper K2 konkret angeben? Da1, ζ, ζ2, . . . , ζ15 eine Q-Basis fur L ist, ist auch ζ, ζ2, . . . , ζ16 eine Q-Basis fur L.Die 〈4〉-Bahnen in 1, 2, . . . , 16 sind:

1, 4, 16, 13 = 1, 4, 13, 16, 2, 8, 15, 9 = 2, 8, 9, 15,3, 12, 14, 5 = 3, 5, 12, 14, 6, 7, 11, 10 = 6, 7, 10, 11.

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88 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

Eine Q-Basis fur K2 ist demnach gegeben durch

ζ + ζ4 + ζ13 + ζ16, ζ2 + ζ8 + ζ9 + ζ15,

ζ3 + ζ5 + ζ12 + ζ14, ζ6 + ζ7 + ζ10 + ζ11.

Weiter ist ζ + ζ4 + ζ13 + ζ16 6∈ K1, so daß bereits K2 = Q(ζ + ζ4 + ζ13 + ζ16) gilt.

Bemerkung: Mit (9.5) erhalten wir als Korollar unserer Beschreibung des Zwischen-korperverbands von Q(ζ) |Q, daß das regulare 17-Eck mit Zirkel & Lineal konstruier-bar ist. Ganz entsprechend beweist man allgemein den wesentlichen Teil des Satzesvon Gauß und Wantzel:

Sei p ∈ P eine Fermatsche Primzahl, also von der Gestalt p = 2m + 1; vgl. (9.8)(4).Dann istQ(ζ) |Q fur ζ = e2πi/p galoissch mit Galoisgruppe Gal(Q(ζ) |Q) ∼= (Z/pZ)×

zyklisch der Ordnung p−1 = 2m. Daher ist nach (9.5) und (11.8) das regulare p-Eckmit Zirkel & Lineal konstruierbar.

Als eine weitere Anwendung geben wir nun einen Beweis des”Fundamentalsatzes

der Algebra“ (8.14), der mit sehr elementaren Ergebnissen der Analysis (im wesent-lichen ersten Anwendungen des Zwischenwertsatzes) auskommt.

12.6. Hilfssatz.

(1) Jedes reelle Polynom f ∈ R[X] von ungeradem Grad besitzt wenigstens eineNullstelle in R.

(2) Jede positive reelle Zahl besitzt eine Quadratwurzel in R.

Beweis. (1) folgt aus dem Zwischenwertsatz: Ist f = aXn+∑n−1

k=0 fiXi vom Grad

n ≡2 1 mit a > 0 bzw. a < 0, so gilt f(x)→ ±∞ bzw. f(x)→ ∓∞ fur x→ ±∞.(2) folgt ebenfalls aus dem Zwischenwertsatz: Ist a ∈ R>0, so gilt fur f(x) = x2−a

offenbar f(0) < 0 und f(x)→ +∞ fur x→ +∞.

12.7. Korollar. Jede komplexe Zahl besitzt eine Quadratwurzel in C.

Beweis. Sei z = x+ iy ∈ C mit x, y ∈ R. Dann gilt (a+ bi)2 = z fur a, b ∈ R mit

a2 =

√x2 + y2 + x

2und b2 =

√x2 + y2 − x

2

sowie geeignet gewahlten Vorzeichen. Die Existenz von a, b garantiert (12.6)(2).

12.8. Satz. Ist L |R eine endliche Erweiterung von R mit L 6= R, so ist L schonisomorph zu C uber R.

Bemerkung: Insbesondere besitzt C keine echten algebraischen Erweiterungen, undnach (8.13) ist C damit algebraisch abgeschlossen.

Beweis. Sei L |R eine endliche Erweiterung vom Grad n = [L : R] > 1. Oh-ne Einschrankung durfen wir annehmen, daß L ein Zerfallungskorper uber R, alsogaloissch uber R ist; vgl. (10.5). Sei G = Gal(L |R).

–Version 23. Juli 2017–

13. AUFLOSBARKEIT VON POLYNOMGLEICHUNGEN 89

Wir zeigen zunachst: G ist eine endliche 2-Gruppe, d. h., |G| ist eine Potenz von2. Sei dazu P eine Sylow-2-Untergruppe von G; vgl. (11.7). Sei M = Fix(P ) derzugehorige Fixkorper. Dann ist [M : R] = |G : P | ≡2 1. Nach (12.6)(1) besitzt Rkeine echten endlichen Erweiterungen mit ungeraden Grad. Also ist M = R undP = G, d. h., |G| ist eine Potenz von 2.

Nach (11.8) besitzt die 2-Gruppe G eine Untergruppe H ≤ G mit |G : H| = 2.Setze M = Fix(H). Dann ist [M : R] = 2, also M = R(α) mit α2 = a ∈ R, so daß akeine Quadratwurzel in R besitzt; siehe (8.3). Nach (12.6)(2) ist dann a ∈ R<0 und−a besitzt eine Quadratwurzel

√−a ∈ R. Mit (10.3) folgern wir, daß

M = R(α) ∼= R(i√−a) = R(i) ∼= C uber R

ist. Ware M 6= L, also H = Gal(L |M) 6= id, so besaße, erneut nach (11.8), die2-Gruppe H eine Untergruppe H2 mit |H : H2| = 2, und Fix(H2) lieferte danneine quadratische Erweiterung von C, im Widerspruch zu (8.3) und (12.7). Also istL = M ∼= C uber R.

13. Auflosbarkeit von Polynomgleichungen durch Radikale

Eine weitere historisch bedeutsame Motivation fur die Entwicklung der Galois-schen Theorie war das Bedurfnis, polynomielle Gleichungen in einer Unbestimmtenmoglichst explizit uber Formeln zu losen, die sich im wesentlichen aus geeignetenRadikalausdrucken, d. h. Wurzeln hoheren Grades, aufbauen. Fur quadratische Glei-chungen waren Losungsformeln lange Zeit bekannt, im 16. Jahrhundert machtenahnliche Losungsformeln fur kubische Gleichungen die Runde. Auch Gleichungenvierten Grades, biquadratische Gleichungen, konnen ahnlich behandelt werden.

(1) Sei K ein Korper mit char(K) 6= 2. Die Nullstellen eines quadratischen Polynoms

f = X2 + pX + q ∈ K[X]

in einem Zerfallungskorper L fur f uber K lassen sich bekanntlich als −p2±√d,

mit d = p2

4− q ∈ K darstellen, wobei

√d ein Element von L bezeichnet, dessen

Quadrat gleich d ist.

(2) Sei K ein Korper mit char(K) 6∈ 2, 3. Nach del Ferro, Fontana (Tartaglia),Cardano, . . . (16. Jahrhundert) lassen sich die Nullstellen eines kubischen Poly-noms

(∗) f = X3 + pX + q ∈ K[X]

in einem Zerfallungskorper L fur f uber K durch den Ausdruck

3

√−q

2+

√q2

4+p3

27+

3

√−q

2−√q2

4+p3

27

beschreiben, wobei die Kubikwurzeln geeignet (nicht unabhangig von einander)zu interpretieren sind. Merke: Jedes kubische Polynom g = X3 + aX2 + bX + c

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90 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

laßt sich durch eine lineare Substitution

f = g(X − a

3

)= X3 − 3a

3X2 + . . .+ aX2 − . . .

auf die Gestalt (∗) transformieren.

13.1. Definition. Sei K ein Korper. Eine (strikte) einfache Radikalerweiterungvon K ist eine endliche Korpererweiterung L = K(α), n = [L : K], wobei gelten:

a = αn ∈ K, also MinpolK(α) = Xn − a; [”α = n

√a“]

K enthalt eine primitive n-te Einheitswurzel, d.h. ein Element ω ∈ K∗ der Ord-nung n: Es gilt ωn = 1, aber ωk 6= 1 fur 1 ≤ k < n.

Eine (strikte) Radikalerweiterung ist eine Korpererweiterung L |K, fur die es eineendliche Kette K = K0 ≤ K1 ≤ . . . ≤ Kr = L gibt dergestalt, daß Ki |Ki−1 fur1 ≤ i ≤ r eine einfache Radikalerweiterung ist. Ein Polynom f ∈ K[X] heißt uberK durch Radikale auflosbar, falls es eine Radikalerweiterung von K gibt, die alsZwischenkorper einen Zerfallungskorper fur f uber K enthalt.

Beispiel: Ist char(K) 6= 2, so ist jedes quadratische Polynom uber K durch Radikaleauflosbar; die primitive 2te Einheitswurzel −1 ist automatisch in K enthalten]

13.2. Satz (Artinsches Lemma). Sei L ein Korper, und fur n ∈ N0 seien σ1, . . . , σn ∈Aut(L) paarweise verschieden. Dann sind σ1, . . . , σn linear unabhangig uber L, alsElemente des L-Vektorraum Abb(L,L): Sind a1, . . . , an ∈ L mit

(13.1) ∀x ∈ L :n∑i=1

aixσi = 0,

so folgt a1 = . . . = an = 0.

Beweis. Wir verwenden Induktion nach n. Fur n ≤ 1 gilt die Behauptung of-fenbar. Sei nun n ≥ 2, und seien a1, . . . , an ∈ L mit (13.1) gegeben. Wir zeigenbeispielhaft, daß a1 = 0 ist. Wahle dazu y ∈ L mit yσ1 6= yσn . Fur x ∈ L gilt dann

n∑i=1

(aiyσi)xσi =

n∑i=1

ai(yx)σi = 0,

n∑i=1

(aiyσn)xσi = yσn

n∑i=1

ai(x)σi = 0,

also durch Differenzbildung

n−1∑i=1

ai(yσi − yσn)xσi = 0.

Die Induktionsvoraussetzung liefert insbesondere a1(yσ1 − yσn︸ ︷︷ ︸6=0

) = 0, also a1 = 0.

–Version 23. Juli 2017–

13. AUFLOSBARKEIT VON POLYNOMGLEICHUNGEN 91

13.3. Hilfssatz. Sei n ∈ N, und sei K ein Korper, der eine n-te primitive Ein-heitswurzel ω enthalt. Sei L |K eine Korpererweiterung mit [L : K] = n. Dannist L |K eine einfache Radikalerweiterung genau dann, wenn L |K galoissch mitzyklischer Galoisgruppe ist.

Beweis.”→“: Sei L = K(α) mit a = αn ∈ K, also f = MinpolK(α) = Xn −

a. Dann besitzt f in L die paarweise verschiedenen Nullstellen α, αω, . . . , αωn−1.Also ist L ein Zerfallungskorper fur f uber K und f ist separabel uber K, also istL |K galoissch. Desweiteren gilt nach (12.2) und (10.3): Gal(L |K) = g0, . . . , gn−1,wobei, fur i ∈ 0, . . . , n − 1, der Galoisautomorphismus gi : L → L durch αgi =αωi und gi|K = idK gegeben ist. Folglich ist gi = gi1 fur i ∈ 0, . . . , n − 1 undGal(L |K) = 〈g1〉 ist zyklisch.

”←“: Sei L |K galoissch mit Gal(L |K) = 〈g〉 = id, g, g2, . . . , gn−1 zyklisch.

Nach (13.2) sind id = g0, g, . . . , gn−1 ∈ Aut(L) linear unabhangig uber L. Daherfinden wir x ∈ L dergestalt, daß gilt

α =n−1∑i=0

xgi

ωn−i = x+ xgωn−1 + . . .+ xgn−1

ω 6= 0.

Dann ist

αg = xg + xg2

ωn−1 + . . .+ xgn︸︷︷︸

=x

ω = (xgωn−1 + xg2

ωn−2 + . . .+ x)ω = αω,

und somit αgi

= αωi 6= α fur i ∈ 1, . . . , n − 1. Wir erhalten Gal(L |L) = id =Gal(L |K(α)), nach (12.4) also L = K(α). Weiter ist (αn)g = (αg)n = (αω)n =αnωn = αn, also a = αn ∈ K nach (12.4). Das ergibt MinpolK(α) = Xn − a.

Bemerkung: Der Beweis zu (13.3) zeigt sehr explizit, daß jede einfache Radikaler-weiterung separabel ist. Per Induktion laßt sich das Argument mit Hilfe von (10.10)

[Ub] leicht dahingehend erweitern, daß Radikalerweiterungen allgemein separabel sind.

13.4. Definition und Folgerung. Eine Gruppe G heißt polyzyklisch bzw. auflos-bar,∗ falls es eine endliche Kette von Untergruppen G = G0 D G1 D . . . D Gr = 1dergestalt gibt, daß Gi−1/Gi fur jedes i ∈ 1, . . . , r zyklisch bzw. abelsch ist.

Vorl. 27(1) Offenbar ist jede polyzyklische Gruppe auflosbar. Umgekehrt gibt es auflosbare

Gruppen, die nicht polyzyklisch sind, z.B. (Q,+). Jedoch gilt: Jede endlicheauflosbare Gruppe ist schon polyzyklisch.

(2) Ist eine Gruppe G polyzyklisch bzw. auflosbar, so ist auch jede Untergruppe undjedes homomorphe Bild von G polyzyklisch bzw. auflosbar.

(3) Ist G eine Gruppe und N E G dergestalt, daß N und G/N polyzyklisch bzw.auflosbar sind, so ist auch G polyzyklisch bzw. auflosbar.

Beweis. Wir zeigen (1) und (2); die Aussage (3), die wir als eine (leichte) Ubung[Ub]

∗Der gebrauchliche Begriff”auflosbar“ ist inhaltlich gleichbedeutend mit

”poly-abelsch“.

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92 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

stehen lassen, verwenden wir bereits. Sei also G eine auflosbare Gruppe und

G = G0 D G1 D . . . D Gr = 1eine absteigende Kette mit Gi−1/Gi abelsch fur 1 ≤ i ≤ r.

zu (1): Sei zusatzlich G endlich. Zu zeigen ist: G is polyzyklisch. Offenbar genugt

es, fur i ∈ 1, . . . , r zu zeigen, daß Gi−1/Gi polyzyklisch ist; vgl. (3). Ohne Ein-schrankung sei daher G 6= 1 abelsch (und immer noch endlich). Dann finden wireine zyklische Untergruppe 1 6= H ≤ G. Da G abelsch ist, gilt H E G und G/H istabelsch mit |G/H| < |G|. Also folgt die Behauptung, wieder mit (3), per Induktionnach |G|.

zu (2): Sei H ≤ G.Betrachte die Kette

H = H ∩G0 D H ∩G1 D . . . D H ∩Gr = 1mit Faktoren

(H ∩Gi−1)/(H ∩Gi)

(3.14)∼= (H ∩Gi−1)Gi/Gi ≤ Gi−1/Gi

fur 1 ≤ i ≤ r. Somit ist jede einzelne Faktorgrup-pe isomorph zu einer Untergruppe einer abelschenGruppe, also selbst abelsch. Ahnlich vererben sichim polyzyklischen Fall die zyklische Faktoren.

Gi−1

H (H ∩Gi−1)Gi

H ∩Gi−1 Gi

H ∩Gi

Gi−1N

GiN Gi−1

N GiN ∩Gi−1

Gi

Sei schließlich N E G. Wir zeigen G/N istauflosbar; der polyzyklische Fall ist erneut ahnlich.Betrachte die Kette

G/N = G0N/N D . . . D GrN/N = 1G/Nmit Faktoren

((Gi−1N)/N)/((GiN)/N)(3.15)∼= GiN/Gi−1N

(3.14)∼= Gi−1/(GiN ∩Gi−1)

(3.15)∼= (Gi−1/Gi)/((GiN ∩Gi−1)/Gi)

fur 1 ≤ i ≤ r. Somit ist jede einzelne Faktorgruppe isomorph zu einem Quotienteneiner abelschen Gruppe, also selbst abelsch.

13.5. Satz. Sei K ein Korper sowie Z ein Zerfallungskorper uber K fur einPolynom f ∈ K[X].

(∗) Zu n = [Z : K] enthalte K eine primitive n-te Einheitswurzel.

Dann sind aquivalent:

(i) Das Polynom f ist uber K durch Radikale auflosbar.

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13. AUFLOSBARKEIT VON POLYNOMGLEICHUNGEN 93

(ii) Die Erweiterung Z |K ist eine Radikalerweiterung.(iii) Die Erweiterung Z |K ist galoissch, und Gal(Z |K) ist auflosbar.

Bemerkung: Die Bedingung (∗) werden wir anschließend abschwachen: Fur char(K) =0 darf sie ganz fallen gelassen werden; siehe (13.8).

Beweis. (ii) → (i). Aufgrund der Definition klar.

(iii) → (ii). Sei Z |K galoissch und G = Gal(Z |K) auflosbar. Da G endlich ist,ist G dann bereits polyzyklisch. Wir erhalten also eine Kette

G = G0 D G1 D . . . D Gr = id

von Untergruppen mit zyklischen Faktoren Gi−1/Gi fur 1 ≤ i ≤ r. Gemaß (12.4)fuhrt dies zu einer gegenlaufigen Kette

K = K0 ≤ K1 ≤ . . . ≤ Kr = Z

von Zwischenkorpern Ki = Fix(Gi), fur 0 ≤ i ≤ r, von Z |K. Dabei ist Ki−1 |Ki

jeweils eine einfache Radikalerweiterung, nach (13.3). Dabei ist nur zu beachten:ni = [Ki : Ki−1] | [Z : K] = n, und mit einer primitiven n-ten Einheitswurzel ωenthalt K auch die primitive ni-te Einheitswurzel ωn/ni . Hier fließt die Voraussetzung(∗) ein.

(i) → (iii). Fur diese Implikation wird die Voraussetzung (∗) nicht benotigt. Seiohne Einschrankung f nicht konstant und K = K0 ≤ K1 ≤ . . . ≤ Kr = L eine Kettevon Erweiterungskorpern dergestalt, daß

jede Teilerweiterung Ki |Ki−1 eine einfache Radikalerweiterung ist und f uber L in Linearfaktoren zerfallt.

Ohne Einschrankung durfen wir Z dann als Zwischenkorper von L |K betrachten.Fur i ∈ 1, . . . , r ist Ki = Ki−1(αi) |Ki−1 nach (13.3) galoissch mit zyklischer Ga-loisgruppe Gal(Ki |Ki−1); nach der Bemerkung zu (13.3) ist L |K zudem separabel.Sei M die normale Hulle von L = K(α1, . . . , αr) uber K, d. h. ein Zerfallungskorperder separablen Minimalpolynome MinpolK(αi), 1 ≤ i ≤ r. Dann ist M |K galoisschund wir wenden (12.4) an.

Da Z |K normal ist, gilt N = Gal(M |Z) E G und unser Interesse gilt

Gal(Z |K) ∼= G/N.

Weiter erhalten wir die Kette

G := H0 := Gal(M |K0) D . . . D Hr := Gal(M |Kr) = Gal(M |L) D idM.

Da jede Teilerweiterung Ki |Ki−1 galoissch ist mit zyklischer Galoisgruppe, gilt Hi EHi−1 und Hi−1/Hi

∼= Gal(Ki |Ki−1) ist zyklisch fur 1 ≤ i ≤ r. Das ergibt

G/N = H0N/N D . . . D HrN/N = 1–Version 23. Juli 2017–

94 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

mit((Hi−1N)/N

)/((HiN)/N

) (3.15)∼= Hi−1N/HiN(3.14)∼= Hi−1/(HiN ∩Hi−1)

(3.15)∼= (Hi−1/Hi)︸ ︷︷ ︸zyklisch

/((HiN ∩Hi−1)/Hi

)zyklisch fur 1 ≤ i ≤ r. Damit ist G/N auflosbar.

Schließlich wollen wir die Rolle der Einheitswurzeln, deren Existenz im Grundkorperfur Radikalerweiterungen bislang vorausgesetzt wurde, genauer durchleuchten. Wirerinnern an die Eulersche Phi-Funktion, die fur n ∈ N mittels

ϕ(n) = |i ∈ 1, . . . , n | ggT(i, n) = 1| = |(Z/nZ)×|

definiert ist.

13.6. Hilfssatz. Sei K ein Korper und n ∈ N mit char(K) - n. Dann gelten furden Zerfallungskorper L von Xn − 1 uber K:

L = K(ω) fur eine primitive n-te Einheitswurzel ω; L |K ist galoissch, und Gal(L |K) ist isomorph zu einer Untergruppe (Z/nZ)∗;

insbesondere ist Gal(L |K) abelsch und |Gal(L |K)| = [L : K] teilt ϕ(n).

Beweis. Die formale Ableitung von Xn − 1 ist nXn−1 und wegen n 6= 0 in K istggT(Xn − 1, nXn−1) = 1 in K[X]. Damit ist jeder irreduzible Faktor von Xn − 1uber K separabel und L |K galoissch; vgl. (10.8). Daher bilden die Nullstellen vonXn−1 eine zyklische Untergruppe der Ordnung n von L∗; vgl. Ubungsblatt 12. Somit

[Ub]existiert eine primitive n-te Einheitswurzel ω ∈ L und L = K(ω). Jedes Elementg ∈ Gal(L |K) ist eindeutig bestimmt durch ωg = ωe(g), wobei wir e(g) als Elementvon (Z/nZ)× interpretieren durfen. Fur g, h ∈ Gal(L |K) gilt

ωe(g)e(h) =(ωe(h)

)e(g)=(ωh)e(g)

=(ωe(g)

)h=(ωg)h

= ωgh,

so daß Gal(L |K)→ (Z/nZ)×, g 7→ e(g) einen injektiven Gruppenhomomorphismusdarstellt.

13.7. Korollar. Sei K ein Korper und n ∈ N. Sei weiter char(K) = 0; oderes gelte char(K) > p fur jeden Primteiler p von n. Dann ist der ZerfallungskorperK(ω) von Xn − 1 uber K, wobei ω eine primitive n-te Einheitswurzel bezeichnet,eine Radikalerweiterung von K.

Beweis. Wir verwenden Induktion nach n. Fur n = 1 ist alles klar. Sei alson ≥ 2. Nach (13.6) ist der Zerfallungskorper wie angegeben von der Gestalt K(ω),und K(ω) |K ist galoissch mit abelscher Galoisgruppe Gal(K(ω) |K); weiter istm = |Gal(K(ω) |K)| ein Teiler von ϕ(n) < n. Die Primteiler von ϕ(n) sind nichtgroßer als diejenigen von n. Per Induktion enthalt K ohne Einschrankung primitivem-te Einheitswurzeln. Die Behauptung folgt dann aus (13.5).

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13. AUFLOSBARKEIT VON POLYNOMGLEICHUNGEN 95

13.8. Satz (Erganzung zu (13.5)). Sei K ein Korper sowie Z ein Zerfallungskorperuber K fur ein Polynom f ∈ K[X]. Sei char(K) = 0; oder es gelte char(K) > p furjeden Primteiler p von [Z : K]. Dann sind aquivalent:

(i) Das Polynom f ist uber K durch Radikale auflosbar.(ii) Die Erweiterung Z |K ist galoissch, und Gal(Z |K) ist auflosbar.

Beweis.”(i) → (ii)“ wurde bereits im Beweis zu (13.5) gezeigt. Wir beweisen

nunmehr”(ii) → (i)“. Sei also Z |K galoissch mit Gal(Z |K) auflosbar, und setze

n = [Z : K].Nach (13.6) ist der Zerfallungskorper L von Xn − 1 uber Z von der Gestalt

L = Z(ω) fur eine primitive n-te Einheitswurzel ω. Wir wenden (12.4) auf diegaloissche Erweiterung L |K an.

Seien G = Gal(L |K) und N = Gal(L |Z) E G. Nach (13.6) ist N abelsch,und G/N ∼= Gal(Z |K) ist nach Voraussetzung auflosbar. Also ist G = Gal(L |K)auflosbar, und weiter erhalten wir:

L = Z(ω)

Z K(ω)

Z ∩K(ω)

K

id

N N

NN

G

Hierbei ist N = Gal(L |K(ω)) E G, da K(ω) |K normal ist. Nach (13.7) ist K(ω) |Keine Radikalerweiterung. Da L = Z(ω) offenbar ein Zerfallungskorper von f uberK(ω) ist und [L : K(ω)] = [Z : Z∩K(ω)] ein Teiler von [Z : K] = n ist, zeigt (13.5),daß L |K(ω) eine Radikalerweiterung ist. Damit ist Z in einer Radikalerweiterungvon K enthalten und f definitionsgemaß uber K durch Radikale auflosbar.

Bemerkung: Gewisse Einschrankungen bzgl. der Charakteristik sind unvermeidbar,es sei denn, man erweitert den Begriff

”durch Radikale auflosbar“. Beispielsweise ist

der Zerfallungskorper von Xn−1 fur n = 7 ·13 uber F3 gleich F36 . Jedoch ist F36 |F3

keine Radikalerweiterung in unserem Sinne.

13.9. Beispiele. Im allgemeinen konnen Polynomgleichungen ab Grad 5 nichtmehr durch Radikale aufgelost werden, selbst uber Q.

Ist namlich f ∈ Q[X] irreduzibel vom Grad p ∈ P und besitzt f genau 2 nicht-reelle Nullstellen in C, so ist die Galoisgruppe Gal(Z |Q) des Zerfallungskorpers Zvon f uber Q isomorph zu Sym(p).

dazu: Die Gruppe G = Gal(Z |Q) operiert auf den p verschiedenen Nullstellen von fin Z, so daß wir uns G als Untergruppe von Sym(p) vorstellen durfen. Aufgrund derVoraussetzungen hinsichtlich der Nullstellen von f vermittelt komplexe Konjugation

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96 KAPITEL 3. KORPERERWEITERUNGEN

ein Element von G, das in Sym(p) die Form einer Transposition hat, etwa (1 2). Dap = grad(f) ein Teiler von [Z : Q] = |G| ist, enthalt G nach dem Satz von Cauchyeinen p-Zyklus, ohne Einschrankung (1 2 . . . p); die von dem p-Zyklus erzeugteGruppe ist transitiv auf 1, 2, . . . , p und enthalt daher ein Element, welches 1 auf 2schickt. Damit folgt Sym(p) = 〈(1 2), (1 2 . . . p)〉 ⊆ G und daher G = Sym(p); vgl.

[Ub]Ubungsblatt 2.

Weiter ist nach Ubungsblatt 13 die Gruppe Alt(5) eine nicht abelsche, einfache[Ub]Gruppe; damit ist keine der Gruppen Sym(n), n ≥ 5 auflosbar.

Beispielsweise besitzt das Polynom

f = X5 − 16X + 2 ∈ Q[X],

welches nach Eisenstein irreduzibel ist, wegen

f(−1) = 17, f(1) = −13 und f ′ = 5X4 − 16

genau 3 reelle und 2 nicht-reelle Nullstellen in C. Wie beschrieben ist die Galois-gruppe Gal(Z |Q) des Zerfallungskorpers Z von f uber Q isomorph zu Sym(5) unddamit nicht auflosbar. Gemaß (13.8) lassen sich die Nullstellen von f daher nichtdurch geschachtelte Wurzelausdrucke schreiben.

Bemerkung: Fur Polynome bis einschließlich Grad 4 gibt es (in Charakteristik 6= 2, 3)

”geschlossene Losungsformeln“. Diese lassen sich mit Hilfe der Theorie symmetri-

scher Funktionen (Newton) herleiten; wir verweisen hier auf die Literatur.

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Literaturverzeichnis

[1] E. Artin, Galoissche Theorie (Harri Deutsch, Frankfurt, 1988).

[2] P. R. Halmos, Naive set theory (Springer-Verlag, New York, 1974); deutsche Ubersetzung:

Naive Mengenlehre (Vandenhoeck & Ruprecht, Gottingen, 1976) .

[3] U. Friedrichsdorf und A. Prestel, Mengenlehre fur den Mathematiker (Friedr. Vieweg

& Sohn, Wiesbaden, 1985).

[4] S. Lang, Algebra (Addison-Wesley Publishing Company, Inc., New York, 1965).

[5] F. Lorenz, Einfuhrung in die Algebra I (Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 1997).

[6] F. Lorenz, Funktionentheorie (Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 1997).

[7] D. J. S. Robinson, A course in the theory of groups (Springer-Verlag, New York, 1996).

(Es handelt sich hier um eine kleine Auswahl von Buchern, die mir bei der Vorbereitung der

Vorlesung hilfreich waren und die uberdies erganzende Informationen enthalten.)

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