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Sie reagiert noch zögerlich, wenn es um die Figur der Léonor geht. Ob diese Favoritin eine authentische und verantwortungsvolle Frau ist oder doch eher die schillernde Mysteriöse, darauf will sie sich noch gar nicht festlegen an diesem regnerischen Julinachmittag mit Blick auf die Berliner Glas und Stahlarchitektur des Potsdamer Platzes. Sie erarbeite sich den Charakter einer Figur immer erst während der Probenzeit so richtig, gerade bei einem szenischen Rollendebüt, und freue sich sehr auf den Austausch mit der Regisseurin Amélie Niermeyer und den Bühnenpartnern. Mit einer zu klaren Vorstellung fühle sie sich nicht mehr offen für eine andere Interpretation. Gaetano Donizettis Musik hingegen kenne sie bereits gut, da sie La Favorite bei den Salzburger Festspielen 2014 schon konzertant gesungen habe. Bald werde sie noch tiefer in die Historie dieser Leonor de Guzmán und des spanischen Königs Alfonso XI. eintauchen – und zwar in ihrem andalusischen Domizil, ganz in der Nähe der Schauplätze von Donizettis Oper, also quasi im Dunstkreis von La Favorite.
Premiere La Favorite
„Ich bin eine Fatalistin“
MAX JOSEPH Léonor, die Titelfigur in Donizettis La Favorite, ist die Mätresse des Königs. Was bedeutet das für diese Frau? Ist das ein Makel, durch den sie von Anfang an einen schweren Stand in der ganzen Geschichte hat?
Elīna Garanča Sie ist zwar die Mätresse des Königs, hat sich aber sicher ursprünglich mehr von dieser Beziehung erhofft. Heutzutage ist es für eine moderne Frau wahrscheinlich schwierig, solch eine Hingabe und solch eine Überzeugung nachzuvollziehen. Es ist sicher auch schwierig, diese unglückliche Verkettung von Zufällen in der Geschichte des Stücks zu verstehen. Ich glaube, dass Léonor tatsächlich in Alphonse, den König, verliebt war, dass sie aber in dieser Beziehung enttäuscht wurde. Ich bin mir dennoch nicht sicher, ob sie tatsächlich immer nur die Unglückliche ist.
MJ Im Verlauf von Donizettis Oper wird Léonor mehr und mehr an den Pranger gestellt. Vom König, von ihrem Geliebten Fernand, von der Kirche. Ist sie die Verliererin in diesem Stück?
EG Ja, wahrscheinlich schon. Aber das ist ja generell so: Wenn man sich
danach richtet, was die Gesellschaft von einem denkt, ist man fast immer der Verlierer, denn man kann es nie allen recht machen. Klar verliert Léonor aus dieser Perspektive zum Teil ihre Würde, wenn sie von Kirche und Volk als Ehebrecherin abgestempelt und später auch von Fernand verstoßen wird. Im Sinne gesellschaftlicher Normen zu verlieren und sich selbst als Verlierer zu fühlen sind aber zwei verschiedene Dinge. Es geht ja auch um den inneren Frieden.
MJ Am Ende scheinen aber selbst der Glaube und die Religion, die in La Favorite eine sehr große Rolle s pielen, den Protagonisten keinen Trost mehr zu spenden. Alles scheint hoffnungslos.
EG Am Ende ist es natürlich eine sehr traurige Geschichte. Ich glaube aber, dass es für Léonor eher eine Erlösung im positiven Sinne ist. Ihr wird vergeben, und sie stirbt im Arm Fernands, des geliebten Menschen, der sich schließlich zu ihr bekennt. Dann wiegt für sie auch nicht mehr so schwer, dass sie von der Gesellschaft und dem König verstoßen wurde. Ihr ganzer Leidensweg zuvor ist viel länger und schwerer als schließlich ihr Tod.
Sie gehört zu den gefeiertsten Mezzosopranistinnen der Welt. Sie ist eine Lettin, die in Südspanien lebt. Und sie wird in Gaetano Donizettis La Favorite erstmals die Titelrolle auf der Bühne verkörpern. Hier spricht Elīna Garanča über die Stärke der Léonor und ihr eigenes Verhältnis zur Religion.
Elīna Garanča
32 Illustration Berto MartínezInterview Florian Heurich
MJ Welche Rolle spielen die Religion und die Kirche auf diesem Leidensweg Léonors, der schon fast etwas von einer Passion im christlichen Sinne hat und der schließlich quasi mit einem Akt der Buße endet?
EG Ich denke, selbst heutzutage ist gerade die katholische Kirche der Frau gegenüber relativ gnadenlos. Und früher war das natürlich noch mehr der Fall. Kirche und Religion als Institution wohlgemerkt. Aber ich glaube, dass alle Menschen, wenn der Tod nah ist, sich auf die Vorstellung verlassen, dass Gott uns irgendwie aufnimmt. Und so ist es auch bei Léonor.
MJ Kann die Religion also auch einen gewissen Trost spenden?
EG Nicht die Religion, sondern die Spiritualität. Ich würde auch in meinem eigenen Leben weniger von Religion sprechen als vielmehr von Spiritualität. Religion wird heute doch so unterschiedlich interpretiert. Jeder redet von Gott und beansprucht ihn für sich, seien es jetzt Katholiken, Protestanten, Orthodoxe oder Muslime. Was für den einen als Religion verständlich ist, ist für den anderen unverständlich. Deswegen finde ich eine generelle Spiritualität viel wichtiger. Erlösung bedeutet, dem Geist einen Raum zu geben, wo es nach dem Tod hingehen kann.
MJ Wo geht es dann in La Favorite hin?
EG Nach Léonors Tod müssen die Überlebenden, also auch Fernand, sich an die Hoffnung klammern, dass
es irgendwie weitergeht. Wahrscheinlich ist aber, dass er sich bald umbringen wird. Das deutet er an, wenn er am Ende nach Léonors Tod sagt: „Morgen werdet ihr für mich beten.“ Im christlichen Sinn wäre aber Selbstmord wiederum eine Sünde ...
MJ Sind sich Léonor und Fernand, wenn sie sich in diese Liebesbeziehung stürzen, bewusst, dass dies keine Zukunft haben kann?
EG Bei den beiden hat dieses unerklärliche Phänomen der Liebe auf den ersten Blick stattgefunden, und erst mit der Zeit werden sie sich bewusst, dass es eigentlich nicht funktionieren kann. Und dennoch stürzen sie sich in diese Liebe. Sie machen sich am Anfang keine richtigen Gedanken über die Konsequenzen. Damit beschäftigen sie sich erst später.
MJ La Favorite spielt in Santiago de Compostela, dann in Sevilla und auf einer Insel in der Nähe von Cádiz. Sie leben in Südspanien. Kennen Sie diese Schauplätze? Können Sie in Donizettis Oper und ihrer Thematik Ähnlichkeiten mit der spanischen Kultur und Mentalität finden?
EG Natürlich kenne ich die Orte, an denen La Favorite spielt. Spanien ist ein sehr katholisches Land, das manchmal auch sehr durch blinden Katholizismus geprägt ist. Andererseits gibt es den großen Einfluss der arabischen Kultur. Und beides kommt in gewisser Weise auch in der Oper zum Ausdruck. So gibt es beispielsweise Gesänge, die quasi maurisches Ambiente zitieren, und
natürlich viel chorischen Sakralgesang.
MJ Sie sind vor zwei Jahren der Hermandad de la Macarena, einer der wichtigsten religiösen Bruderschaften in Sevilla, beigetreten, die an eine bedeutende und sehr populäre Madonnenfigur dieser Stadt anknüpft. Wie kam es dazu?
EG Diese Bruderschaft hat mich und meinen Mann, der sehr katholisch ist, eingeladen, Mitglied zu werden. Da ich eben in Südspanien lebe, die Karwoche in Sevilla besucht habe und auch viel Zarzuela singe, um damit diesen Teil der spanischen Kultur auf der ganzen Welt ein bisschen zu verbreiten, hat man uns das vorgeschlagen. Jede Stadt, jedes Viertel und jedes kleine Dorf in Spanien hat natürlich seine eigenen Heiligen und Marienfiguren mit den dazugehörigen Bruderschaften, die Macarena ist aber eine der schönsten Madonnen, die ich gesehen habe, wenn sie bei den Osterprozessionen durch die Stadt getragen wird. Und so sind wir als Familie dieser Bruderschaft beigetreten.
MJ Wie erleben Sie als Lettin diesen sehr speziellen Teil der spanischen Kultur, diese Volksfrömmigkeit?
EG Ich bin zwar als Katholikin groß geworden. Mein Mann und ich versuchen auch, unsere Kinder in diesem Sinne zu erziehen, damit sie alles so kennenlernen, wie wir es selbst gelernt haben. Für mich, die ich aus einer ganz anderen Umgebung komme, wirkt aber diese sehr pompöse, nach außen getragene Religiosität
MJ Welche Bedeutung hat die Religion in Ihrem Leben?
EG Je älter ich werde, umso mehr Fragen habe ich an jegliche Religion. Deshalb finde ich für mich persönlich die Spiritualität wichtiger und auch erlösender, wenn man so große Worte benutzen will, als die Religion. Religion war oft ein Mittel, um die Leute blind zu machen, damit man sie besser regieren kann. Ich bin eine Fatalistin. Ich glaube, uns wird ein bestimmter Weg vorgegeben.
MJ In Kunst und Literatur, gerade im 19. Jahrhundert, war Spanien schon immer ein Sehnsuchtsland. Auch La Favorite ist ein Beispiel für dieses Phänomen. Was hat dieses Land für Künstler so interessant gemacht?
EG Vor allem war Spanien seinerzeit eine Weltmacht. Ein riesiges Imperium, das sich immer weiter ausgebreitet hat. Bei dieser Expansion war natürlich die Religion sehr wichtig. Und gerade die Mischung des Christentums mit dem Islam und der arabischen Kultur in Spanien hat im Ausland großes Interesse geweckt.
MJ Ein spanisches Thema, eine französische Oper, ein italienischer Komponist. Wie unterscheidet sich der französische Donizetti in La Favorite vom italienischen Donizetti? Sie haben ja auch schon die Giovanna Seymour in Anna Bolena und die Sara in Roberto Devereux gesungen.
EG Verismo ist sicher nicht der richtige Ausdruck, aber ich würde trotz
in Spanien manchmal schon ein bisschen inszeniert. Ich selbst trage die Spiritualität eher in mir. Gerade die Prozessionen und diese Seite der Kultur beobachte ich mit großer Bewunderung, vielleicht auch mit ein bisschen Neid, dass man sich im Alltag so stark mit solchen Traditionen identifizieren kann. Ich schaue mir das Ganze zum Teil als eine große Inszenierung an, aber trotzdem zieht es einen mit. Und dann hat man auch ein gewisses spirituelles Erlebnis.
Ob das nun katholisch ist oder irgendetwas anderes, spielt keine Rolle. Man empfindet eine gewisse gemeinschaftliche Energie. Ich habe sogar in der Kirche für die Macarena gesungen. Dabei haben mich sehr merkwürdige, fast unerklär liche Emotionen überkommen, sodass es mir schwerfiel weiterzusingen. Ich wurde dann gebeten, auch in der Öffentlichkeit während der Prozession zu singen, das möchte ich aber eher weniger.
Über La Favorite
Zahlreiche Mythen umranken die historische Figur der Leonor de Guzman, Mätresse des Königs Alfons XI. von Kastilien, die im Ränkespiel um die Macht im Staate zerrieben wird. Ein wahrer Opernstoff, den Gaetano Donizetti nur allzu gerne aufgriff und 1840 in eine französische Grand Opéra für Paris formte – so kompromisslos traurig und pessimistisch sollte Donizetti keinen weiteren Stoff mehr verarbeiten. Mit der histo rischen Figur hat die Titelfigur der Oper jedoch nur noch wenig zu tun. Die Liebe Léonors zum König entpuppt sich in der Oper als Farce. Léonor zögert nicht lange und entscheidet sich für den jungen Fernand, der ihretwegen dem Klosterleben in Santiago de Compostela entflohen ist. Doch er weiß nicht um ihre Identität als Mätresse, sodass er und sie schnell Opfer im intriganten Machtkampf zwischen Kirche und Staat werden. Am Ende bleibt den beiden nicht einmal mehr die Hoffnung auf eine gemeinsame bessere Zukunft nach dem Tod. Léonor stirbt, Fernand bleibt zwar im Kloster zurück, doch die Idee von Gott und Erlösung bleibt das Werk den beiden schuldig.
„Im Sinne gesellschaftlicher normen zu verlieren und sich selbst als Verlierer zu fühlen sind zwei sehr verschiedene Dinge.“
„Gerade die Prozessionen und diese Seite der spanischen Kultur beobachte ich mit großer Bewunderung, vielleicht auch mit ein bisschen neid,
dass man sich im alltag so stark mit solchen Traditionen identifizieren kann.“
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Elīna Garanča, geboren in Riga/Lettland, studierte an der dortigen Musikakademie. 2001 war sie Finalistin des Wettbewerbs BBC Cardiff Singer of the World. Gastenga gements führten sie an die New Yorker Metropolitan Opera, die Los Angeles Opera, die Mailänder Scala, die Opéra National de Paris, die Wiener Staatsoper, die Salzburger Festspiele und die Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Ihr Repertoire umfasst u.a. Octavian (Der Rosenkavalier), Dorabella (Così fan tutte), Meg Page (Falstaff) und Annio/Sesto (La clemenza di Tito). An der Bayerischen Staatsoper war sie bereits als Carmen, als Adalgisa (Norma) sowie als Charlotte (Werther) zu erleben.
dem sagen, der französische Donizetti wird in gewisser Weise veristischer. Es ist weniger der ganz typische Belcanto hinsichtlich der strukturierten Arienformen oder der Auflösung der Harmonien. Auch die Orchestrierung ist reichhaltiger, das Orchester lebendiger mit richtigen Dialogen zwischen einzelnen Instrumenten.
MJ Ist La Favorite also eine typisch französische Oper oder doch eher eine italienische Oper in französischem Gewand?
EG Wenn man es auf Italienisch singt, was ja oft gemacht wurde, wirkt es italienischer, wenn man es auf Französisch singt, ist es französischer. Durch die Sprache verändert sich auch der Rhythmus, die Phrasen klingen anders, die ganze Klangfarbe ist nicht mehr dieselbe. Beispielsweise Léonors Arie O mon Fernand: Auf Französisch klingt sie romantischnaiver, auf Italienisch kommt mehr Verzweiflung zum Ausdruck.
MJ Ist das französische Idiom also womöglich besser geeignet, um die unterschwellige Spiritualität und Religiosität des Stücks zu vermitteln?
EG Es ist dadurch auf jeden Fall introvertierter. Der Leidensweg Léonors wird so eher innerlich verarbeitet als nach draußen geschrien. Man könnte das so vergleichen: einerseits jemand, der das Kreuz trägt, wobei das physische Leid offen zutage tritt; andererseits vielleicht eine Frau, die gesteinigt wird und sich
dabei aber komplett bedeckt und versteckt und tief leidet, bis sie schließlich zusammensackt.
Florian Heurich ist Musikjournalist. Für die Bayerische Staatsoper gestaltet er die Videomagazine und Audio- Podcasts zu den Neuproduktionen, für BR-Klassik produziert er Radiofeatures und Reportagen (demnächst etwa Von bitteren Mandeln und schwarzer Milch – Paul Celan in der zeitgenössi-schen Musik; Sendetermin 22.11.2016).
La FavoriteOpéra in vier AktenVon Gaetano Donizetti
Premiere am Sonntag, 23. Oktober 2016, Nationaltheater
StAAtSOPER.tV: Live-Stream der Vorstellung auf www.staatsoper.de/tv am Sonntag, 6. November 2016
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