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WIENER HUMANISTISCHE GESELLSCHAFT AG. 'r f~"'~ p7 tri. WIENER HUMANISTISCHE BLÄTTER HEFT 29 Wien 1987 MGH-Bibliothek Nachlaß B. BiScholf

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WIENER HUMANISTISCHE GESELLSCHAFT

AG. 'r f~"'~ p7tri.

WIENER

HUMANISTISCHE BLÄTTER

HEFT 29

Wien 1987

MGH-BibliothekNachlaß B. BiScholf

VOM SPUK ZUR POLITIK

Der Gespensterbrief des Jüngeren Plinius

VON FRANZ RÖMER (WIEN)

Träume und Visionen spielen in allen Kulturen und auf allen Stufender Menschheitsentwicklung, im Leben des einzelnen ebenso wie in demder Gemeinschaft, eine oft nicht unbedeutende Rolle. Auf niedrigenKulturstufen kaum von der Realität unterschieden, gelten sie vielfach alsein Weg, auf dem sich der göttliche Bereich dem menschlichen offenbart,bis wissenschaftliche Skepsis sie als Illusion entlarvt bzw. in den Bereichdes Pathologischen verbannt. Während im homerischen Epos Traum-erscheinungen den Gang der Handlung mitbestimmen, hat die griechischeWissenschaft im wesentlichen zwei rationale Erklärungen hervorge-bracht, die auch in unserem Zusammenhang von Interesse sind. Die,atomistische' Theorie, vertreten durch den Vorsokratiker Demokrit,nahm die Existenz physischer Emanationen an, die man sich in der Art derauch für die Wahrnehmung entscheidenden ttöO>A.U, "Bildchen'" vorzu-stellen hat: Sie dringen durch die Haut des Menschen ein und rufendadurch Träume, Visionen etc. hervor. Nach dem Vorbild Demokrits hatin der römischen Literatur Lukrez 4,721ff. diese Theorie dargestellt.Dagegen bevorzugte Aristoteles eine medizinisch-psychologische Erklä-rung, indem er dieselben Erscheinungen auf den physischen und psychi-schen Zustand des Menschen zurückführte. An gottgesandte Träume zuglauben lehnte er ab und den prophetischen Wert von Traumerscheinun-gen beschränkte er auf einige wenige Fället. Dennoch fand der Traum-glaube weiterhin Anklang, z. B. in der Stoa, und war auch in derrömischen Kaiserzeit sehr verbreitet. Traumbücher- erfreuten sich großerBeliebtheit, und in gebildeten Kreisen diskutierte man offensichtlich überden gesamten Problemkreis.

In der Briefsammlung des Jüngeren Plinius sind übernatürliche

I Vgl, E. R. Dodds, The Greek and the Irrational, Sather ClassicalLectures25 (1956), 102-134 (bes. 117JT.).

2 Erhalten sind die 'OVEIPOICPlt\l(O: desArtemidor von Ephesosin S Büchern(2. Hälfte des 2. Jh. n. Chr.), der auch aus älteren Traumbüchern schöpft.

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Erscheinungen kein häufiges Thema-', sie kommen aber in dem sogenann-ten Gespensterbrief 7,27 anhand ,konkreter' Beispiele ausführlich zurSprache. Der Aufbau dieses Schreibens ist von klarer Symmetrie geprägt:Einleitend bittet Plinius den gelehrten Adressaten um eine grundsätzlicheStellungnahme zu dem Problem, dann erzählt er drei Geschichten, umabschließend seine Bitte zu wiederholen. Die mittlere Erzählung ist dieweitaus längste. Sie spielt in Athen und entspricht im wesentlichen demSchema dessen, was man bis heute unter einer Gespenstergeschichteversteht. Gerahmt wird sie von zwei Begebenheiten im römischenLebensraum, die beide - wenn auch in ganz verschiedener Weise - mitder politischen Karriere senatorischer Aufsteiger in Zusammenhangstehen, nämlich Curtius Rufus und Plinius selbst, in dessen Haus die letzteGeschichte splelr'.

C. PLINIUS SURAE SUO S.

(I) El mihi discendi et tibi docendifacultatem otlum praebet. Igitur perquamvelim scire. esse phantasmata et habere propriamjiguram numenque aliquodputes an inania et vana ex metu nostro imaginem accipere,

L. Licinius Sura gehört zu den politisch bedeutendsten Adressatendes Jüngeren Plinius, ja er scheint überhaupt der einflußreichste Mannunter denen gewesen zu sein, an die Plinius im Rahmen der ,Privatbriefe'(B. 1-9) geschrieben hat. Ebenso wie Trajan war er spanischer Herkunftund dürfte wesentlich zu dessen Machtergreifung beigetragen haben. Soblieb er bis zu seinem Tod im Jahr 110 der wichtigste Berater des Kaisers- an dessen Seite er auf der Trajanssäule mehrmals zu sehen ist - underhielt die seltene Ehre eines Staatsbegräbnisses. Offensichtlich war er annaturwissenschaftlichen Fragen interessiert, denn in Epist. 4,30, demeinzigen Brief, den Plinius neben 7,27 an ihn gerichtet hat, geht es um die

3 VerschiedeneVarianten des Traummotivs finden sich in Epist, 1,18 undS, S, Sf. (Prophezeiung bzw. Warnung) sowie 3, S,4 (literarischer Auftragstraumwiez. B. im Prooemiumdes Ennius). Vg!.auch H.-P. Bütler, Die geistigeWeltdesjüngeren Plinius, Heidelberg 1970,18-20. Gegen Bütlers Auffassung von Epist.3, S, 4 als "Legende" wendet sichA.Önnerfors, Traumerzählung und Traumtheo-rie beim älteren Plinius, RhM 119(1976),352-365. Zur literarischenTraditionvgl, K. Sallmann, Der Traum des Historikers: Zu den "Bella Germaniac" desPliniusund der julisch-claudischenGeschichtsschreibung,ANRW 1I32, 1(1984),578-601 (bes, 58Iff.).

. 4 Die symmetrischeStruktur des Briefesist auch an der Länge der einzelnenAbschnitte zu beobachten: 4 - 13- 43 - 19- 6 Teubner-Zeilen,

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seltene Naturerscheinung einer regelmäßig an- und abschwellendenQuelle in der Nähe von Cornurn. Epist. 4,30, 11 erkennt Plinius Suraausdrücklich als Autorität auf dem Gebiet der Naturwissenschaften an:Scrutare tu causas (potes enim), quae tantum miraculum efficiunt: mihiabunde est, si satis expressi, quod efficitur. Dementsprechend präsentiert erauch das Gespensterproblem als ein wissenschaftliches: Im Sinne dereinleitend skizzierten Theorien (wenn auch ohne weitere Konkretisierungder atomistischen) stellt er die Frage, ob phantasmata tatsächlich existie-ren und für das menschliche Leben Bedeutung haben können oder ob essich um bloße Phantasiegebilde handle. Der nächste Satz und diefolgenden Ausführungen lassen freilich erkennen, daß Plinius selbst starkder ersten Möglichkeit zuneigt, nicht zuletzt dort, wo (prophetische)Belüge auf politische Ereignisse oder Situationen mit im Spiel sind.

(2) Ego ut esse credam, in primis eo ducor, quod audio accidisse Curtio Rufo.Tenuis adhuc et obseurus obtinenti Afrieam comes haeserat. Inefinato diespatiabatur in porticu; offertur ei mulieris figura humana grandior pulchrior-que. Perterrito Africam sefuturorum praenuntiam dixit; iturum enim Romamhonoresque gesturum atque etiam cum summo imperio in eandem provinciamreversurum ibique moriturum. (3) Facta sunt omnia. Praeterea aecedentiCarthaginem egredientique nave eadem figura in litore oecurrisse narratur.Ipse certe implicitus morbo futura praeteritis, adversa secundis auguratus,spem salutis nullo suorum desperante proiecit.

Die Geschichte vom steilen Aufstieg des Curtius Rufus und seinemfrüh prophezeiten Ende auf dem Höhepunkt der Karriere dürfte einiger-maßen bekannt gewesen sein, denn einerseits beruft sich Plinius (wennauch nur vage) auf einen Gewährsmann, anderseits lesen wir bei TacitusAnn. 11,21 im wesentlichen dasselbe. Obwohl ihm manche sogar dieAbkunft von einem Gladiator nachsagten, erfreute sich Curtius Rufus derGunst der Kaiser Tiberius und Claudius>, Noch in einer niedrigenStellung (nach Tacitus war er Gehilfe des Quaestors) kam er erstmals nachAfrika, und dort erschien ihm in der Stadt Hadrumetum während derbrütenden Stille der Mittagshitze'[ eine weibliche Gestalt, die ihm nicht nureine glänzende Karriere bis zum Prokonsulat von Afrika, sondern auch

, Ob er mit demgleichnamigenVerfasserder erhaltenenHistoriaeAlexandriMagni identisch ist, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen.

6 So ist inc/inato die zu verstehen(entsprechendTac. Ann. 11,21,1 vacuis permedium diei porticibus), ,Zur Zeit der Mittagsruhe' meint A. N. Sherwin-White,The LettersofPliny. A historicaland socialcommentary,Oxford 1966,436:"Thehour ... is suitable for a Mediterranean ghost story."

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den Tod in dieser Provinz prophezeite. Tatsächlich brachte es Curtiusdann bis zum Konsul (spätestens 45 n. Chr.) und Statthalter vonGermanien (47 n. Chr.). Schließlich wurdeihm neben den Triumphalinsig-nien die besondere Auszeichnung der Statthalterschaft von Afrika zuteil,aber als er dieses Amt antrat und ihm dieselbe Erscheinung wiederbegegnete, fügte er sich in sein längst prophezeites Schicksal. Nach Pliniushatte sich die Frauengestalt selbst als Africa bezeichnet, was gut zu derantiken Vorstellung paßt, nach der Städte und Länder eine Art göttlichePersonifikation besaßen, der sogar kultische Verehrung zuteil werdenkonnte. (Man vergleiche die gemeinsame Verehrung des Augustus und derDea Roma.) Bei der ersten Erzählung handelt es sich also um einepolitische Prophetie von geradezu erbaulichem Charakter, die wenig mitden geläufigen Spuk- und Gespenstergeschichten zu tun hat, zu denen daszweite Beispiel bei Plinius zählt.

(4) lam iIIudnonne et magis terribile et non minus mirum est, quod exponam utaccepi? (5) Erat Athenis spatiosa et capax domus, sed infamis et pestilens. Persilentium noctis sonusferri et, si attenderes acrius, strepitus vinculorum longiusprimo, deinde e proximo reddebatur: mox adparebat idolon, senex macie etsqualore confectus, promissa barba horrenti capillo; cruribus compedes,manibus catenas gerebat quatiebatque. (6) Inde inhabitantibus tristes diraequenoctes per metum vigilabantur; vigiliam morbus et crescente formidine morssequebatur. Nam interdiu quoque, quamquam abscesserat imago, memoriaimaginis oculis inerrabat, longiorque causis timoris timor erat. Deserta inde etdamnata solitudine domus totaque illi monstro relicta; proscribebatur tamen,seu quis emere seu quis conducere ignarus tanti mali vellet. (7) Venit Athenasphilosophus Athenodorus, legit titulum auditoque pretio, quia suspecta vilitas,percunctatus omnia docetur ac nihilo minus, immo tanto magis conducit. Ubicoepit advesperascere, iubet sterni sibi inprima domus parte, poscit pugillares,stilum, lumen; suos omnes in interiora dimittit, ipse ad scribendum animum,oculos, manum intendit, ne vacua mens audita simulacra et inanes sibi metusfingeret. (8) Initio, quale ubique, silentium noctis; dein concuti ferrum, vinculamoveri. JIIe non tollere oculos, non remittere stilum, sed offirmare animumauribusque praetendere. Tum crebrescerefragor, adventare et iam ut in limine,iam ut intra limen audiri. Respicit, videt agnoscitque narratam sibi effigiem. (9)Stabat innuebatque digito similis vocanti; hie contra, ut paulum exspectaret,manu significat rursusque ceris et sti/o incumbit. //la scribentis capiti catenisinsonabat. Respicit rursus idem quod prius innuentem nee moratus tollit lumenet sequitur. (10) Ibat ilia lento gradu quasi gravis vinculis;postquam deflexit inaream domus, repente dilapsa deserit comitem. Desertus herbas et foliaconcerpta signum locoponit. (11) Postero die adit magistratus, monet, ut illumlocum effodi iubeant. lnveniuntur ossa inserta catenis et implicita, quae corpusaevo terraque putrefactum nuda et exesa reliquerat vinculis; collecta publicesepeliuntur. Domus postea rite conditis manibus caruit.

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.Die Herkunft seiner zweiten Geschichte, die er als ebenso erstaunlich,aber viel schreckenerregender als die erste ankündigt, deutet Pliniuswieder nur schwach mit ut accepi an. In Athen soll es in einem großenHaus zur Nachtzeit richtig gegeistert haben: Man hörte nicht nur dasRasseln von eisernen Ketten, sondern es erschien auch tatsächlich einGespenst in Gestalt eines schrecklich verwilderten Greises. An Händenund Füßen trug er Fesseln, mit deren Gerassel er den Einwohnernzunächst den Schlaf raubte und sie schließlich durch die dauerndeVerängstigung in den Tod trieb. Verständlich, daß das Haus lange Zeitleer stand und billig zu haben war, aber erst der Philosoph Athenodorus?wagte es, sich einzumieten. Gleich in der ersten Nacht bereitete er sich aufdie Begegnung mit dem Gespenst vor, das tatsächlich nicht lange auf sichwarten ließ. Athenodorus aber konzentrierte sich auf die vorbereiteteSchreibarbeit, und die Erscheinung mußte einen doppelten Anlaufnehmen, bevor sie ihn dazu bewegen konnte, ihr zu folgen. Im Hof desHauses verschwand der Greis plötzlich, und genau an der Stelle seinesVerschwindens ließen die städtischen Magistrates am nächsten Tag aufBetreiben des Philosophen den Boden aufgraben. Prompt fand man inKetten verwickelte Gebeine, und nachdem diese auf Staatskosten bestat-tet worden waren, hörte auch der Spuk in dem verwunschenen Haus auf.- Diese Gespenstergeschichte beruht auf dem verbreiteten Glauben, daßdie Seelen bzw. Schatten Unbestatteter oder nicht in der richtigen Form(rite) Bestatteter im Jenseits keine Ruhe finden und daher auf Erdenumherirren, wo sie die Menschen durch ihr Erscheinen in Schreckenversetzen können. Es liegt also derselbe Grundgedanke wie in vielen,romantischen' Spukgeschichten vor, wo etwa ein Verbrechen gesühntwerden muß, bevor der Tote zur Ruhe kommen kann. Plinius versteht es,seine Erzählung spannend zu gestalten (z. B. im sprachlichen Bereichdurch die vielen historischen Infinitive vor dem Erscheinen des Greises)und übersteigert die Unerschütterlichkeit des Philosophen in einer Weise,die das Gespenst für einen Augenblick beinahe zur komischen Figurmacht: Athenodorus läßt es warten! Ganz anders zeichnet Lukian im

7 Hinter dieser Geschichte könnte die Gestalt des Stoikers Athenodoros vonTarsos stehen, der mit Cicero bekannt war und zu den Lehrern des Augustuszählte.

8 Zu ihren Pflichten gehörte es, darüber zu wachen, daß kein Leichnaminnerhalb des Stadtgebietes begraben wurde.

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Rahmen einer sehr ähnlichen Gespenstergeschichte (Philopseudes 29-32) den Pythagoreer Arignotos. Dieser prahlt in Gesellschaft mit einemErlebnis, das er selbst in Korinth gehabt haben will: In einem verwunsche-nen Haus stellte er sich trotz eindringlicher Warnungen einem Gespenst,das zu seinem Schaden glaubte, einen gewöhnlichen Menschen vor sich zuhaben! Als diverse Drohungen nichts nutzten, nahm es zuletzt allerleiTiergestalten an, wurde von Arignotus aber mit Hilfe ägyptischerZauberformeln in die Enge getrieben. Dort, wo es schließlich verschwand,fand man alte Gebeine, deren Bestattung dem Haus seinen Friedenzurückgab. Während also Plinius die unerschütterliche Ruhe seinesPhilosophen bewundert, macht sich Lukian über das prahlerische Geha-ben eines dubiosen Wundermannes lustig. Die Grundzüge der Erzählungaber sind in beiden Fällen gleich, was auf eine weite Verbreitung derenthaltenen Motive schließen läßt.

(12) Et haec quidem adfirmantibus credo; illud adfirmare aliis possum: Estlibertus mihi non inlitteratus. Cum hoc minor frater eodem lecto quiescebat. Isvisus est sibi cernere quendam in toro residentem admoventemque capiti suocultros atque etiam ex ipso vertice amputantem capil/os. Ubi inluxit, ipse circaverticem tonsus, capilli iacentes reperiuntur. (13) Exiguum temporis medium,et rursus simile aliud priori fidem fecit. Puer in paedagogio mixtus pluribusdormiebat: Venerunt per fenestras (ita narrat) in tunicis albis duo cubantem-que detonderunt et, qua venerant, recesserunt, Hunc quoque tonsum sparsosquecirca capillos dies ostendit. (14) Nihil notabile secutum, nisi forte quod nonfuireus,futurus, si Domitianus, sub quo haec acciderunt, diutius vixisset. Nam inscrinio eius datus a Caro de me libel/us inventus est; ex quo coniectari potest,quia reis moris est summittere capillum, recisos meorum capil/os depulsi, quodimminebat, periculi signum fuisse.

Bei der dritten Geschichte braucht sich Plinius nicht mehr auf fremdeBehauptungen zu berufen, hier kann er auf eigene Erfahrungen zurück-greifen - genauer gesagt, auf solche seines Personals". Es sollen sichnämlich kurz hintereinander zwei derart ähnliche Vorfälle zugetragenhaben, daß ihre Glaubwürdigkeit bzw. Bedeutsamkeit dadurch nochwesentlich erhöht wurde. Der jüngere Bruder eines nicht ungebildeten(und daher besonders vertrauenswürdigen) Freigelassenen hatte nämlichim Schlaf den Eindruck, daß ihm jemand die Haare vom Scheitel

9 Daß Träume von Dienern für ihre Herren Gültigkeit haben bzw. ihnensolchezuerkannt werdenkonnte, bestätigt eineAnekdote beiAeliusAristides,Or.48,9.

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wegschnitt; tatsächlich fand er sich am Morgen an dieser Stelle geschoren,und die Haare waren ringsum verstreut. Während das .Friseur-Gespenst',das hier sein Unwesen trieb, mit quidam völlig unprofiliert bleibt, sind esim darauffolgenden Parallelfall immerhin zwei Gestalten in weißenGewändern, die mit einem Knaben im voll belegten Schlafsaal ähnlichverfahren, wobei sie das Fenster als Ein- und Ausgang benützen. Nunsollten derart seltsame Vorfälle eine tiefere Bedeutung haben, vornehm-lich im prophetischen Bereich. Plinius hat nach kurzer Ratlosigkeit auchschon einen Vorschlag bereit: Er selbst wäre unter Domitian, währenddessen Regierung das Erzählte geschah, beinahe von einem berüchtigtenDelator vor Gericht gezogen worden, wenn der letzte Flavier nur nochetwas länger regiert hätte. Unter den Akten dieses Kaisers fand mannämlich eine Anklageschrift des Mettius Carus gegen unseren Autor. DaAngeklagte gewöhnlich ihr Haar lang wachsen lassen, können dieabgeschnittenen Haare von Plinius' Dienern als prophetischer Hinweisauf die von ihm selbst im letzten Augenblick abgewendete Gefahrinterpretiert werden. - Für einige Elemente der geschilderten Erschei-nungen und ihrer Deutung finden sich in der Traumliteratur der Zeitweitgehende Entsprechungenl'', ohne daß Plinius hier in irgendeinerWeise Kenntnis davon verrät. Vielmehr gibt er seiner Deutung eineindividuelle Note, indem er römische Sitte und Tagespolitik geschickt insSpiel bringt.

Im Lauf der dritten Erzählung tritt überhaupt eine allmählicheAkzentverschiebung ein, wie man sie in Plinius' Briefen mehrfach

10 Artemidor (0. Anm. 2) 1,21: ... Eloe to ö1ticrrot010ÜtOVI:XSlvM~Sl&nc;, tvtIP ylip~ 1tsviav xui ö'1topiav oö titv tUxoücrav i:~Sl' 1täv ~EVyap to ö1ticrrotoi)1l&A.A.OVtOC;tcrn enpuvnxöv Xpovou, ai OE'l'lAOtlltSC;ö'1topiac;OVO&Volaq>&-poootv, tj ön !Cat' EA.A.t:l'l'lVyivOVtal 9sPlloÜ, Tl ön ~TJOSVOC;t1tlAaß&cr9a\1t!lptxoumv .... ÖATJVÖEtitv lCsq>aAitv'l'lAl)VI:XS1Vllya90v tc1>q>suyovn oi!CTJv!Caitc1>q>oßouJ!&vQ?~l) 1tpOC;nvov ßi~ !Catacrxs9fj' pQ,crta yap liv ölaq>uyO\ av-S1tiATJ1ttOC;mv' ... -" ... träumt einer, sein Hinterkopf sei kahl, so wird er im AlterArmut und bitterste Not leiden. Denn alles, was hinten ist, ist ein Symbol derZukunft," - zur Deutung dieser Stelle s. H. SchwabI, Kleinigkeiten zu Artemidor,WSt. 100 (1987), 85f. - "Kahlheit unterscheidet sich aber in nichts von Mangel,entweder weil sie infolge eines Verlustes an Wärme entsteht oder weil sie keineMöglichkeit bietet, etwas in die Hand zu bekommen .... Am ganzen Kopfkahl zusein, ist für einen Angeklagten und einen Menschen, der befürchtet, von anderengewaltsam festgehalten zu werden, von guter Vorbedeutung; es wird für ihnkinderleicht sein, zu entkommen, da man ihn nicht packen kann ..." (Übersetzungnach K. Brackertz, München 1979).

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beobachten kann: Von einem beliebigen Thema ausgehend kommt ermehr oder weniger überraschend auf die eigene Person zu sprechen. Soführt ihn die gewaltige Arbeitsleistung seines Onkels, von der er in Epist.3,5 berichtet, zu einem Vergleich mit seiner eigenen literarischen undpolitischen Tätigkeit; das Charakterbild seiner Gattin Calpurnia in Epist.4,19 umfaßt deren Bildung, die sich vornehmlich in ihrer Beschäftigungmit Plinius' Schriften manifestiert; am Ende des ersten Vesuvbriefesverschafft er sich mit Interim Miseni ego et mater (6,16,21) die Ausgangs-basis für den (leicht heroisierenden) Bericht seiner eigenen Erlebnissewährend der Katastrophe (Epist. 6,20). Überhaupt versteht es Plinius,sich und seine Leistungen immer wieder elegant und unaufdringlich insrechte Licht zu setzen, wie H. Offermann 11 an einer Reihe von Beispielengezeigt hat. Hier möge Epist. 3, 5, 19genügen: Aus einer Abwertung seinereigenen Leistung im Hinblick auf die des Onkels wird eine Aufwertung imVergleich mit den Zeitgenossen, die über ihren literarischen Interessen denDienst am Staat vergessen haben. "Nach außen freilich sieht all dies nachBescheidenheit aus"12. Wir müssen also damit rechnen, daß Plinius nichtalles, was er sagen will, gleichsam auf dem Präsentierteller vorlegt,sondern es gelegentlich vorzieht, das, worauf es ihm ankommt, nurandeutungsweise erkennen zu lassen. '

Es kann daher nicht recht befriedigen, wenn man die Aufnahme derdritten ,Gespenstergeschichte', die im Vergleich mit den beiden erstenrecht matt wirkt, in den Brief an Sura nur mit der lex scholastica (Epist.2,20,9) erklärt, die zur Veranschaulichung einer Sache immer dreiBeispiele fordert13• Vielmehr scheint es möglich, die volle Bedeutungdieser Geschichte im Konzept des Autors durch eine adäquate Berück-sichtigung ihrer politischen Dimension zu erfassen. Bekanntlich hatPlinius jede Gelegenheit wahrgenommen, seine Bewunderung für Trajanund seinen Abscheu gegen dessen Vorgänger Domitian zum Ausdruck zu

11 H. OfTermann,Pliniusnaiv? in: Apophoreta U. Hölscher (ed.A. Patzer),Bonn 1975, 122-144. (OfTermannhat einevollständigeErfassung des Materialsnicht angestrebt und vielleicht schon aus diesem Grund Epist. 7,27 nichtbehandelt.)

120fTermann, 128.B So Sherwin-White (0. Anm. 6),437; ähnlichBütler (0. Anm. 3), 19,der im

übrigendieLeichtgläubigkeitdesPliniusbetont undmit demGedankenspielt,daß..das Gesinde den beiden Opfern oder gar dem abergläubischen Herrn einenStreich gespielt haben könnte".

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bringen. Er kann zwar nicht leugnen, daß seine Karriere unter dem letztenF1avier gute Fortschritte machte, aber wenn man seinen Beteuerungenglaubt, hat er sich von Domitian distanziert, sobald dieser zum Tyrannenwurde, und war während seiner letzten Regierungsjahre deswegen ingroßer Gefahr. So versichert Plinius am Schluß seiner Dankrede für denSuffektkonsulat im Jahr 100: cursu quodam provectus ab iIIo insidiosissimoprincipe, antequam projiteretur odium bonorum, postquam professus est,substiti (paneg. 95,3). In denselben Zusammenhang gehört seine Unter-stützung des von Domitian ausgewiesenen Philosophen Artemidorus(Epist. 3,11), und vor allem sein mutiges Auftreten gegen DomitiansGünstling Baebius Massa, das er in Epist. 7,33 Tacitus erzählt, zugegebe-nermaßen in der Hoffnung, dieser werde das Ereignis in seinen Historienberücksichtigen. Daß der Kaiser wegen Massas unverschämter übergriffein der Provinz diesen schon vor einiger Zeit fallengelassen hatte, vergißtPlinius freilich zu erwähnen !14 So hat Plinius' Selbstdarstellung alspolitisch Verfolgter unter Domitian in der neueren Forschung wenigGlauben gefunden -:- bestenfalls war man geneigt, sie für die Jahre 95/96n. Chr. in Betracht zu ziehen -, aber seinen Haß gegen den Tyrannen hatman doch oft zur Kenntnis genommen, etwa im Hinblick auf Plinius'freundschaftliche Beziehungen zu stoischen Kreisen. Zuletzt konnte K.Strobel'P die innenpolitischen Vorgänge unter Nerva und zu Beginn derRegierung Trajans besonders konsequent mit dem Kampf um die Macht(d. h. die Nachfolge Nervas) und der anschließenden Legitimierungspro-paganda des siegreichen Trajan erklären, in deren Dienst auch Plinius'Panegyricus steht: Trajan mußte sich gegen einen bewährten GeneralDomitiansl'' durchsetzen, der sich zum Hüter von dessen Andenken (und

14 Ein wenigerbekanntes Beispielvon Plinius' politischerVergeßlichkeitistsein Priesteramt als flamen divi Titi: Domitian hat es sicher nur treuenGefolgsleutenverliehen,und esmuß Plinius später unangenehmgewesensein, daeswederin den Briefennoch in der von Pliniusselbstinspiriertengroßen InschriftCIL 5,5262 aus Comum aufscheint.Nur CIL 5,5667 verrät es uns heute noch!

IS K. Strobel,Zu zeitgeschichtlichenAspekten im ,Panegyricus'desjüngerenPlinius, BambergerHochschulschriften11, Bamberg 1985,9-112. ,

16 Wahrscheinlich handelte es sich um M. Cornelius Nigrinus CuriatiusMaternus (so schon G. Alföldy& H. Halfmann, Chiron 3 [1973], 331-373; vgl.K.-H. Schwarte,BJ 179 [1979], 139~175). EineRivalitätmit ihmwürde auch dieintensivenpropagandistischenBemühungenum einePräsentation Trajans als virmilitaris erklären.

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Fortsetzer seiner politischen Linie) gemacht hatte. Dazu paßt die,Entdomitianisierung' in den ersten Regierungsjahren Trajans, die es fürden einzelnen opportun erscheinen ließ, sich zu den ,ehemaligen Wider-standskämpfern' und ,gerade noch davongekommenen Opfern' Dorni-tians zu zählen. Dementsprechend sind Plinius' Äußerungen, speziell imPanegyricus, nicht sosehr als Ausdruck persönlichen Hasses gegenDomitian zu sehen als vielmehr als Unterstützung der trajanischenPropaganda, und seine Behauptung persönlicher Gefährdung unter demletzten Flavier ist nicht mehr als eine konsequente Fortsetzung dieserLinie. In ihrem Zusammenhang gewinnt auch die dritte ,Gespensterge-schichte' von Epist. 7,27 an Profil, und die kompositorische Nähe zuEpist. 7,33 wird kein Zufall sein. Das schon etwas in den Hintergrundgetretene Thema der letzten Jahre Domitians hat für Plinius wieder anAktualität gewonnen, seitdem sich Tacitus mit seinen Historien derDarstellung dieser Zeit näherte. Ebensowenig ist die Wahl des Adressatenvon Epist. 7,27 als Zufall zu betrachten: Sura, der engste VertrauteTrajans, soll wieder einmal an Plinius' ehemalige ,Verdienste' erinnertwerden, auch wenn Plinius auf den Wink mit dem Zaunpfahl verzichtetund seine drei Geschichten, also auch die dritte, ausschließlich als einenFall für Suras Gelehrsamkeit präsentiert. Dementsprechend schließt derBrief:

(15) Proinde rogo, eruditionem tuam intendas. Digna res est, quam diumultumque consideres; ne ego quidem indignus, cui copiam scientiae tuaefacias. (16) Licet etiam utramque inpartem, ut soles, disputes, ex altera tarnenfortius, ne me suspensum incertumque dimittas, cum mihi consulendi causafuerit, ut dubitare desinerem. Vale.

Ringkompositorisch auf die Einleitung zurückgreifend betont Pliniusseine eigene Wißbegierde und die Zuständigkeit Suras für das naturwis-senschaftliche Problem, das er ihm vorgelegt hat. Vor allem will er nichtdurch eine Antwort, die sich auf sorgfältiges Abwägen des Für und Widerbeschränkt, in Ungewißheit gelassen werden. Daß dem Mann, der beimAufstieg Trajans zur Macht entscheidend mitgeholfen hat, nebenbei auchdie politischen Verdienste des wissenschaftlich Rat Suchenden inErinnerung gebracht wurden, ist ein angenehmer Nebeneffekt - fürPlinius vermutlich gar nicht so nebensächlich, obwohl wir natürlich nichtwissen können, ob die gezielte Erinnerung zur Zeit der Abfassung desBriefes irgendein konkretes Anliegen fördern sollte. Es ginge vielleicht zu

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weit, wollte man behaupten, der ganze .Gespensterbrief' sei auf die dritteGeschichte hin angelegt, aber auf jeden Fall ist sie mehr als eineAnwendung der lex scholastica oder ein weiteres Zeugnis für Plinius'Leichtgläubigkeit: Sie ist vielmehr ein (in dieser Hinsicht wenig beachte-tes) Beispiel für das Geschick, mit dem es Plinius versteht, seine Person,seine Leistungen und nicht zuletzt auch seine Rolle in der Tagespolitikimmer wieder effektvoll ins Licht zu setzen.