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6 Allgemeinen Relativitätstheorie – erste Schritte 6.1 Prinzipien der Allgemeinen Relativitätstheorie Die Prinzipien einer physikalischen Theorie sind Leitlinien, die eine große Zahl empirischer Fakten komprimiert zusammenfassen. Sie sind keine Axiome im mathematischen Sinn. 6.1.1 Prinzipien Gleichheit von schwerer und träger Masse. Die Beschleunigungswirkung eines physikalischen Feldes auf Testteilchen hängt vom Verhältnis Ladung Trägheit = Q m ab. Insbesondere gibt es in der Regel ungeladene Teilchen, die das Feld überhaupt nicht spüren. Seit Galilei ist klar, daß im Schwerefeld alle Körper derselben Beschleuni- gung unterliegen. Dies findet in der Newtonschen Mechanik seinen Aus- druck in der Gleichheit von schwerer und träger Masse: Die Masse, die gemäß zweitem Newtonschen Axiom ~ F = m~ a die Trägheit der Materie quan- tifiziert, ist identisch mit der Größe, die im Gravitationsgesetz F = G m 1 m 2 r 2 als Ladung des Gravitationsfeldes auftritt. Für die Gravitation gilt Ladung Trägheit = m schwer m träge = 1. Damit ist die Beschleunigungswirkung eines Gravitationsfeldes univer- sell. Frei fallende Teilchen folgen unabhängig von irgendwelchen inneren Parametern derselben Weltlinie in der Raumzeit. Äquivalenzprinzip. Lokale Beobachtungen und Messungen können nicht zwi- schen einer Bewegung im Gravitationsfeld und einer beschleunigten Bewe- gung unterscheiden. Dies ist das berühmte Fahrstuhlargument: Folgende Situationen sind für den lokalen Beobachter ununterscheidbar: Sein Labor befindet sich in Ruhe in einem Schwerefeld mit der Feld- stärke ~ g. Es wird im feldfreien Raum mit einer Beschleunigung ~ a =-~ g be- schleunigt. Ebenso sind folgende Situationen ununterscheidbar: • Sein Labor befindet sich in einem Schwerefeld im freien Fall. • Es befindet sich in Inertialbewegung in einem feldfreien Raum. Hier ist das Attribut “lokal” wesentlich. Durch einen Blick aus dem Labor heraus kann man feststellen, ob man sich in einem Gravitationsfeld befin- det. Wenn das Labor groß genug ist, kann man auch innerhalb des Labors Inhomogenitäten im Schwerefeld (Gezeitenkräfte) messen. Abb. 6.2: Inhomogenität des Schwerefeldes 113 M. Hellmund – preliminary version – 5. Januar 2012 – 14:19

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6 Allgemeinen Relativitätstheorie –erste Schritte

6.1 Prinzipien der AllgemeinenRelativitätstheorie

Die Prinzipien einer physikalischen Theorie sind Leitlinien, die eine große Zahlempirischer Fakten komprimiert zusammenfassen. Sie sind keine Axiome immathematischen Sinn.

6.1.1 Prinzipien

Gleichheit von schwerer und träger Masse. Die Beschleunigungswirkungeines physikalischen Feldes auf Testteilchen hängt vom VerhältnisLadungTrägheit = Q

m ab. Insbesondere gibt es in der Regel ungeladene Teilchen, diedas Feld überhaupt nicht spüren.

Seit Galilei ist klar, daß im Schwerefeld alle Körper derselben Beschleuni-gung unterliegen. Dies findet in der Newtonschen Mechanik seinen Aus-druck in der Gleichheit von schwerer und träger Masse: Die Masse, diegemäß zweitem Newtonschen Axiom ~F = m~a die Trägheit der Materie quan-tifiziert, ist identisch mit der Größe, die im Gravitationsgesetz F =G m1m2

r2

als Ladung des Gravitationsfeldes auftritt. Für die Gravitation gilt LadungTrägheit

= mschwermträge

= 1.

Damit ist die Beschleunigungswirkung eines Gravitationsfeldes univer-sell. Frei fallende Teilchen folgen unabhängig von irgendwelchen innerenParametern derselben Weltlinie in der Raumzeit.

Äquivalenzprinzip. Lokale Beobachtungen und Messungen können nicht zwi-schen einer Bewegung im Gravitationsfeld und einer beschleunigten Bewe-gung unterscheiden.

Dies ist das berühmte Fahrstuhlargument: Folgende Situationen sind fürden lokalen Beobachter ununterscheidbar:

• Sein Labor befindet sich in Ruhe in einem Schwerefeld mit der Feld-stärke ~g.

• Es wird im feldfreien Raum mit einer Beschleunigung ~a = −~g be-schleunigt.

Ebenso sind folgende Situationen ununterscheidbar:

• Sein Labor befindet sich in einem Schwerefeld im freien Fall.

• Es befindet sich in Inertialbewegung in einem feldfreien Raum.

Hier ist das Attribut “lokal” wesentlich. Durch einen Blick aus dem Laborheraus kann man feststellen, ob man sich in einem Gravitationsfeld befin-det. Wenn das Labor groß genug ist, kann man auch innerhalb des LaborsInhomogenitäten im Schwerefeld (Gezeitenkräfte) messen.

Abb. 6.2: Inhomogenität desSchwerefeldes

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In einem frei fallenden Bezugssytem gelten lokal die Gesetze der SpeziellenRelativitätstheorie für ein Inertialsystem.

Allgemeine Kovarianz. Die physikalischen Gesetze sind so zu formulieren,daß sie in jedem Koordinatensytem gültig sind, d.h., zum Beispiel alsTensorgleichungen.

Die ART war die erste Theorie, die in einer konsequent kovarianten Formformuliert wurde, und Einstein hielt dies für eine ihrer wesentlichen Cha-rakteristika. Erst im Laufe der Zeit wurde klar, daß man jede sinnvollephysikalische Theorie (z.B. auch die Newtonsche Mechanik) in kovarianterForm formulieren kann.

Wesentlicher ist, daß auch die Raumzeit zu einer dynamischen Größegeworden ist und nicht mehr als vorgegebene starre Bühne auftritt. Eineeinsichtsreiche Diskussion der Interpretation von allgemeiner Kovarianzund Hintergrundunabhängigkeit findet man z.B. in Kapitel 2 von RovellisBuch1 oder bei Giulini.2

6.1.2 Einfache FolgerungenI. Da sich Licht in einem beschleunigten System auf einer gekrümmten Bahn

bewegt:

~a

, muß es auch im Gravitationsfeld

~g

eine gekrümmte Bahn haben.

II. Auf Bondi geht folgendes Gedankenexperiment zurück: In einer umlaufendenBaggerkette in einem Schwerefeld werden Atome transportiert. Die Atome aufder rechten Seite sind in einem angeregten Zustand, nach der SRT also schwerer.Dadurch ziehen sie die Kette nach unten. Unten angekommen emittieren sie einPhoton und gehen dadurch in den Grundzustand über. Das Photon wird überParabolspiegel nach oben gelenkt und dort wieder von einem gerade aufgestiege-nem Atom absorbiert, welches dadurch wieder schwerer wird und die Kette nachunten zieht.

Auch dieses Perpetuum Mobile wird nicht funktionieren. Dazu ist es nötig, daßdie Photonen beim Aufstieg Energie verlieren. Sie unterliegen also beim Aufstiegim Gravitationsfeld einer Rotverschiebung, ihre oben gemessene Frequenz istgeringer. Das bedeutet, daß oben die Uhren schneller gehen. Gravitation beein-flußt den Zeitfluß. Dies war natürlich laut Äquivalenzprinzip zu erwarten, daauch in einer beschleunigten Rakete die Uhren an der Spitze vorgehen, vgl. dieBemerkungen am Ende von Kapitel 3.5.

Abb. 6.3: Bondi-Kette3

6.1.3 Abgrenzung zur Speziellen RelativitätstheorieTraditionellerweise gibt es zwei Schulen. Man kann die Grenze ziehen(A) zwischen

Inertialsystemen∣∣ Nichtinertialsystemen (6.1)

oder (B) zwischen

flachem Minkowskiraum∣∣ gekrümmter Raumzeit. (6.2)

1C. Rovelli, Quantum Gravity, Cambridge University Press 20042D. Giulini, Some remarks on the notions of general covariance and background independence,arXiv:gr-qc/0603087

4aus: C.M. DeWitt, J.A. Wheeler, Eds., Battelle Recontres – 1967 Lectures in Mathematics andPhysics, W.A. Benjamin 1968, Seite 133

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Heute wird überwiegend der Standpunkt (B) vertreten. Dazu zwei Bemerkungen:

(i) Auch der flache Minkowskiraum kann eine Blätterung in gekrümmte raum-artige Hyperflächen haben. Ein Beobachter auf einer rotierenden Scheibesieht den Umfang der Scheibe Lorentz-kontrahiert, den Radius nicht. Fürihn ist also der Umfang U 6= 2πr, die räumliche Geometrie ist nicht flach.

(ii) Man benötigt zur Behandlung beschleunigter Bezugssysteme in der SRTdas zusätzliche Postulat, daß der Uhrengang in beschleunigten Systemgleich dem in einem momentan mitbewegten Inertialsystem ist, siehe dieDiskussion nach Gleichung (3.38).

6.2 Kontinuitätsgleichungen

6.2.1 Kontinuitätsgleichungen in der Newtonschen Physikund SRT

Ein Raumgebiet sei mit Materie gefüllt. Sei ρ die Dichte einer skalaren Erhal-tungsgröße wie Masse oder Ladung und ~ die Stromdichte dieser Größe. DieKontinuitätsgleichung, die die Ladungserhaltung ausdrückt, lautet bekanntlich

.ρ+div~ = 0 oder

ddt

Q = ddt

ÑVρ =−

Ó∂V~ ·d~a (6.3)

Eine Strömung ist also divergenzfrei, wenn in jedes Volumengebiet gleichvielhinein- wie herausfließt. So ist eine parallele Strömung divergenzfrei,wenn |~| konstant bleibt. Die Strömung ist dagegen nicht divergenzfrei,da mehr aus dem grünen Volumen heraus als hineinfließt. Die Gesamtladung Qdieses Volumens nimmt ab. Eine radiale Strömung ist außerhalb des Ursprungsdivergenzfrei, wenn |~| wie 1

r2 abnimmt, da die durchströmte Fläche entsprechendwächst.

In der SRT kann man ρ und ~ zum 4-Vektor des Flusses j = (γρ, γ~) zusam-menfassen. Mit der 4-Divergenz

divj=4∑

k=0

∂ jk

∂xk (6.4)

wird die Kontinuitätsgleichung zu

divj= 0 (6.5)

Bemerkung 6.2.1. Dies zeigt noch einmal die konzeptionelle Idee der speziellenRelativitätstheorie. In der Newtonschen Physik ist die Stromdichte ein 3-Vektor,der nicht invariant unter Galilei-Transformationen in ein anderes Inertialsy-stem ist.5 In der relativistischen Formulierung liefert der 4-Vektor j eine vomInertialsystem unabhängige Beschreibung des Flusses, so wie der 3-Vektor~ einevon räumlichen Rotationen des Koordinatensystems unabhängige Beschreibungliefert, auch wenn sich die Komponenten des Vektors dabei ändern. Die vierdimen-sionale Schreibweise macht die Symmetrie unter Wechsel der Inertialsystememanifest. Die Symmetriegruppe der Beschreibung ist von der Drehgruppe zurLorentzgruppe vergrößert worden.

Die Zusammenfassung von Dichte und Stromdichte zu einem 4-Vektor, ebensowie die Zusammenfassung von Energie und Impuls zum 4-Impuls, erinnert an

5Z.B. verschwindet~ In einem lokal mitbewegtem System. Man kann natürlich angeben, wie sich~unter Galilei-Transformationen verhält. Aber diese Gleichungen haben keinen geometrischenCharakter.

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Heraklits “Panta rhei” (Alles fließt). Aus der Dichte wird ein ‘Fluß in Zeitrich-tung”, der gleichberechtigt neben dem räumlichen Fluß~ steht. Ebenso wird ausEnergie ein “Impuls in Zeitrichtung”.

Die Integralform von (6.4) wird mit dem verallgemeinerten Satz von Stokes(vgl. Beispiel 5.4.13) zu Õ

∂Cj ·n dS = 0 (6.6)

Sei das Integrationsgebiet C ein geschlossener Zylinder im Minkowski-Raum vonfolgender Gestalt: Grund- und Deckfläche B1 und B2 sind dreidimensionale Bälle,die in raumartigen Zeitschnitten zur Zeit t1 bzw t2 liegen. Der Zylindermantel hatdie Form [t1, t2]×S2, wobei S2 die Kugeloberfläche der Bälle ist. Die Zerlegung∂C = B1 ∪M∪B2 des Integrals gibt

Q(t2)−Q(t1)=−∫ t2

t1

dtÓ

S2~ ·d~a (6.7)

mit

Q(t)=Ñ

B(t)j0 d3vol (6.8)

Sei der Fluß j räumlich in einem begrenzten Gebiet lokalisiert. Dann kann man

B1

B2

M

den Zylinder so groß wählen, daß es keinen Fluß durch die Seitenwände desZylinders gibt und die rechte Seite von (6.7) verschwindet. Dann ist somit dieGesamtladung Q(t) eine Erhaltungsgröße, Q(t)= const.

6.2.2 Kontinuitätsgleichungen aufLorentz-Mannigfaltigkeiten

Wir benötigen noch eine mathematische Ergänzung zur Divergenz auf (Semi-)Riemannschen Mannigfaltigkeiten:

(i) Die Divergenz eines Vektorfeldes ist durch die Lie-Ableitung der Volumen-form nach diesem Vektorfeld gegeben:

Lvε= (divv) ε. (6.9)

Divergenzfreiheit bedeutet also Lvε = 0. Anschaulich gesprochen: Manbaue ein kleines n-dimensionales Parallelepiped aus Vektoren. Wenn diesesParallelepiped unter dem Fluß Φv so verdreht/gestreckt/gestaucht wird, daßsein Volumen invariant bleibt, dann ist das Feld v divergenzfrei.

(ii) Die Divergenz eines Vektorfeldes ist gleich der Spur der kovarianten Ablei-tung

divv=∇ava = 1√|det g jk|

∂xi

(√|det g jk| vi

)(6.10)

Lie-Ableitung des Volumenelements und Divergenz

Sei v ein Vektorfeld und ν die duale 1-Form mit Komponenten va = gabvb. Ausder Definition (4.120) des Hodge-Sterns folgt

?ν= ivε. (6.11)

Für die Lie-Ableitung der Volumenform nach dem Fluß v gilt mit der Cartan-Formel (5.101)

Lvε= d(ivε)= d(?ν) (6.12)

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Die Divergenz eines Vektorfeldes ist gleich der Divergenz der dualen 1-Form (5.75):

div v= sgn(g) (? d?ν) (6.13)

Nun ist für eine 0-Form wie div v das Hodge-Dual gegeben durch Multiplikationmit der Volumenform, ?div v = (div v) ε. Durch Anwenden des Hodge-Sternsauf (6.13) erhalten wir mit ?? f = sgn(g) f für 0-Formen f schließlich die obenangegebene Formel

Lvε= (div v) ε (6.14)

In Koordinaten ist εi1...in= f ε(i1, . . . , in) mit f = o(B)

√|det(g)| und mit (5.109)ist

(Lvε)i1...in= (d(ivε))i1...in

= ∂( f vi)

∂xi ε(i1, . . . , in) (6.15)

also divv= 1f

∂xi ( f vi) (6.16)

Die Orientierung o(B) kürzt sich und es bleibt

divv= 1√|det g jk|

∂xi

(√|det g jk| vi

). (6.17)

Wir rechnen noch nach, daß divv=∇ava gilt. Es ist

∇ivi = ∂vi

∂xi +Γiikvk (6.18)

Aus der Definition der Christoffelsymbole folgt

2∑

iΓi

i j =∑ik

gik ∂

∂x j g ik (6.19)

Für die Ableitung einer beliebigen symmetrischen nichtsingulären Matrix Mnach einem beliebigen Parameter t gilt

ddt

det M = det M · Tr(M−1 d

dtM

), (6.20)

also ist

2∑

iΓi

i j =1

det(g)∂det(g)

∂x j = 1|det(g)|

∂|det(g)|∂x j = 2√|det(g)|

∂√|det(g)|∂x j (6.21)

und damit schließlich

∇ivi = 1√|det(g)|

∂xi

(√|det(g)| vi

). (6.22)

Kontinuitätsgleichung

Auf einer Lorentz-Mannigfaltigkeit hat also die Kontinuitätsgleichung die Form

∇a ja = 0. (6.23)

Der Stokessche Satz (5.87) hat in Indexform die Gestalt∫V∇ava √

|det(g)|d4x =∮∂V

vadΣa (6.24)

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für ein beliebiges Vektorfeld va und eine kompakte Region V der Raumzeit mitRand ∂V und Oberflächenelement dΣa.

Erfüllt va die Kontinuitätsgleichung, ist also∮∂V

vadΣa = 0 (6.25)

Wir gehen nun völlig analog zu Gl. (6.6,6.7) vor. Sei V eine zeitartige Röhre mitder Topologie eines Zylinders, die sich in einem gewissen Koordinatensystem voneiner Zeit t0 bis zu einer Zeit t1 erstreckt. Die Grund- und Deckflächen sind alsoRaumgebiete B1 und B2 zur Zeit t1 bzw t2. Dann gilt wie im Minkowski-Fall:Wenn der Fluß durch den Zylindernmantel verschwindet, ist die Gesamtladung

Q(t)=Ñ

B(t)j0 d3vol (6.26)

t-unabhängig, also eine Erhaltungsgröße.

6.3 Die Einsteinschen Feldgleichungen

6.3.1 Der Energie-Impuls-TensorNach der SRT bestimmt nicht allein die Ruhemasse m die Trägheit eines Körpers.Auch seine kinetische Energie ist träge und muß daher nach dem Äquivalenz-prinzip zur Quelle der Gravitation beitragen. Die Energie ist allerdings nichtlorentzinvariant. So hängt die kinetische Energie, die ein Beobachter einemTeilchen zuschreibt, vom Inertialsystem des Beobachters ab.

Für Punktteilchen haben wir in Kapitel 3.9 den 4-Impuls p= mv als Lorentz-kovarianten Ausdruck von Energie und Impuls kennengelernt. Der Energieinhaltvon kontinuierlicher Materie, insbesondere auch von Feldern, wird durch einensymmetrischem

(20)-Tensor, den Energie-Impuls-Tensor Tab beschrieben.

Mit dem Bild “Energie ist Impuls in Zeitrichtung” im Hinterkopf kann man dieKomponente T i j interpretieren als Fluß der i-Komponente des Impulses durchdie Fläche x j =const.

Beispiel 6.3.1.

(i) Staub: eine Massenverteilung aus nicht miteinander wechselwirkendenTeilchen, die daher keinen Druck im Inneren erzeugen. Im Ruhesystem istT00 = ρc2, alle andere Einträge verschwinden. Mit dem Geschwindigkeits-feld v der Staubwolke ist

Tab = ρ vavb (6.27)

(ii) Ideale Flüssigkeit: ein Medium, in dem auf Grund der Wechselwirkung derTeilchen ein isotroper Druck P herrscht. Vernachlässigt werden Reibungs-kräfte und damit Scherspannungen sowie vom Stofftransport unabhängigerEnergietransport (wie z.B. Wärmeleitung). Damit ist der Energietensor ineinem Ruhesystem diagonal, Tab = diag(ρc2,P,P,P). Mit dem Geschwindig-keitsfeld v wird

Tab =(ρ+ P

c2

)vavb +P gab (6.28)

Bemerkung 6.3.2. Sei die Materie ohne Gravitation durch eine Lagrange-Dichte Lm beschrieben. Es gibt also ein Wirkungsfunktional

S =∫

MLmε=

∫M

Lm

√|det gab| dx0dx1dx2dx3 (6.29)

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und die Bewegungsgleichungen lassen sich aus der Forderung δS = 0 gewinnen.Dann ist der Energie-Impuls-Tensor dieser Materie gleich

Tab = 2√|det gab|δ

(Lm

√|det gab|)

δgab(6.30)

Diese Definition macht auch in der ART die Symmetrie Tab = Tba manifest, diein der SRT Folge von Schwerpunkts- und Drehimpulserhaltung ist.

6.3.2 Die Feldgleichungen

In der SRT finden Energie- und Impulserhaltung ihren Ausdruck darin, daß derEnergie-Impuls-Tensor divergenzfrei ist

∇aTab = 0. (6.31)

Eine konsistente Feldgleichung mit dem Energie-Impuls-Tensor als Quelltermbenötigt also einen divergenzfreien symmetrischen (2,0)-Tensor, der aus derMetrik gebildet wird.

Satz 6.3.3. Aus der Metrik und ihren Ableitungen bis zur 2. Ordnung lassen sichgenau zwei symmetrische divergenzfreie Tensoren zweiter Stufe bilden:

gab und Rab − 12

gabR (6.32)

Beweis. Wir rechnen her nur die Divergenzfreiheit nach. Die Metrik ist kovariantkonstant, ∇a gbc = 0. Mit ∇a(gbc gcd) = ∇aδ

db = 0 folgt die kovarinate Konstanz

∇a gbc = 0 der inversen Metrik und damit natürlich das Verschwinden der Diver-genz ∇a gac = 0.

Die Divergenzfreiheit des anderen Terms folgt aus der 2. Bianchi-Identität(5.214):

∇aRbcde +∇eRbcad +∇dRbcea = 0∣∣ Kontraktion mit gab (6.33)

∇aRacde +∇eRcd −∇dRce = 0

∣∣ Kontraktion mit gce (6.34)

∇aRad +∇eRe

d −∇dR = 0∣∣ Umbenennung Dummy-Index (6.35)

2∇aRad −∇dR = 0

∣∣ Kontraktion mit gdb (6.36)

2∇aRab − gbd∇dR = 0∣∣ Umbenennung Dummy-Index (6.37)

2∇aRab − gba∇aR = 0∣∣ Verwende ∇a gab = 0 (6.38)

∇a

(2Rab − gabR

)= 0 (6.39)

Die Einsteinschen Feldgleichungen für die durch die Materieverteilung indu-zierte Metrik der Raumzeit lautet

Rab − 12

gabR+Λgab = κTab (6.40)

Die Kopplungskonstante κ werden wir im nächsten Kapitel aus der Forde-rung bestimmen, daß im Grenzfall schwache Gravitationsfelder das NewtonscheGravitationsgesetz F =G m1m2

r2 gilt. Dies liefert κ= 8πGc4 .

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Bemerkung 6.3.4. Die kosmologische Konstante Λ erweist sich experimentellals so klein, daß sie z.B. für die Dynamik des Planetensystems keine Rollespielte. Lange Zeit nahm man an, daß sie exakt Null sei. Genaue Vermessungender kosmologischen Expansion des Alls im letzten Jahrzehnt zeigen, daß dieExpansion sich beschleunigt. Dies lässt sich durch eine nichtverschwindendepositive kosmologische Konstante erklären.

Die Feldgleichung für den leeren Raum

Rab − 12

gabR =−Λgab (6.41)

und Vergleich mit (6.28) zeigt, daß eine nichtverschwindende kosmologische Kon-stante wie eine raumfüllendes ideales Medium mit der Energiedichte ρc2 =Λ/κund einem negative Druck p =−Λ/κ wirkt. Dieses Medium wird dunkle EnergieDunkle Energiegenannt. Sein negativer Druck ist für die beschleunigte Expansion des Kosmosverantwortlich.

Lemma 6.3.5. Auf einer n-dimensionalen (Semi-)Riemannschen Mannigfaltig-keit ist die Abbildung

Sab 7→Uab = Sab − 2n

gabScc (6.42)

eine Involution auf dem Raum der Tensoren 2. Stufe, d.h., es gilt auch umgekehrt:

Sab =Uab − 2n

gabU cc (6.43)

Beweis. Überschieben von (6.42) mit gab ergibt mit gab gab = δaa = n, daß

Saa =−Ua

a ist. Dies in (6.42) eingesetzt ergibt die Behauptung.

Die Anwendung des Lemmas auf Sab = Rab, Uab = κTab −Λgab liefert diealternative Form

Rab = κ(Tab − 1

2gabT c

c

)+Λgab (6.44)

der Einsteinschen Feldgleichung und damit insbesondere die Gleichung fürsVakuum

Rab =Λgab (6.45)

Ein Vergleich mit Bemerkung 6.4.6 zeigt, daß die De-Sitter-Raumzeit eine Vaku-umlösung mit positiver kosmologischer Konstante Λ= R/4 ist.

Bemerkung 6.3.6. Die Einsteinsche Feldgleichungen (6.40) sind ein nichtlinearesSystem von 10 gekoppelten hyperbolisch-elliptischen partiellen Differentialglei-chungen. Die 4 Bianchi-Identitäten (6.39) reduzieren die Zahl der unabhängigenGleichungen von 10 auf 6, so daß die 10 Komponenten des metrischen Tensors gabnicht vollständig bestimmt sind. Dies entspricht gerade den 4 Freiheitsgraden,ein anderes Koordinatensystem x′i = x′i(xk), i = 1, . . . ,4 zu wählen.

Bemerkung 6.3.7. Die Forschung an diesen Gleichungen kann man grob in 3Richtungen einteilen:

(i) Exakte Lösungen. Seit Karl Schwarzschild 1916 die exakte Lösung für einkugelsymmetrisches Feld fand, sind hunderte exakte Lösungen, u.a. fürrotierende Körper, für Gravitationswellen, für kosmologische Modelle etcgefunden worden. Einen Überblick über die bis zum Jahr 2000 gefundenenLösungen gibt das Buch von Stephani et al.6

6H. Stephani, D. Kramer, M. MacCallum, C.Hoenselears, E. Herlt, Exxact Solutions of Einstein’sField Equations, Cambridge University Press, 2nd Ed. 2003

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(ii) Numerische Lösungen. Besonders seit dem Beginn der Arbeiten an Gra-vitationswellendetektoren (VIRGO, LIGO, GEO 600 u.a.) Mitte der 90erJahre wurde intensiv an numerischen Algorithmen gearbeitet, um z.B.das zu erwartende Gravitationswellenspektrum bei der Kollision zweierschwarzer Löcher zu berechnen.7

(iii) Allgemeine Eigenschaften. Es sind zahlreiche mathematische Theoremebekannt, die allgemeine Eigenschaften von Klassen von Lösungen derEinsteinschen Feldgleichungen aufzeigen, z.B. die Singularitätentheoremevon Hawking und Penrose8 oder Theoreme über die mögliche topologischeStrukur der Raumzeit.9

6.3.3 Newtonscher GrenzfallIn diesem Kapitel ist c 6= 1. In der Newtonschen Theorie ist das skalare Gravita-tionspotential φ bestimmt durch die Feldgleichung

4φ= 4πGρ (6.46)

und die Bewegungsgleichung für ein Testteilchen ist

~a =−gradφ (6.47)

Dieser Newtonsche Grenzfall ist charakterisiert durch ein schwaches, zeitun-abhängiges Gravitationsfeld und nichtrelativistische Geschwindigkeiten derTestteilchen.

(i) Das schwache Feld wird beschrieben durch geringe Abweichung von derMinkowski-Metrik ηi j = diag(−1,+1,+1,+1). Wir setzen

g i j = ηi j +hi j mit |hi j|¿ 1 (6.48)

und werden Christoffelsymbole, Ricci-Tensor etc. nur bis auf lineare Termein hi j berechnen. In dieser Ordnung ist die inverse Metrik

gi j = ηi j −hi j (6.49)

Das Konzept “schwaches Feld” ist nicht völlig trivial. Lokal kann man dieMetrik ja immer auf diese Form bringen (frei fallender Beobachter). Wirfordern, daß (6.48) global gilt.

(ii) Andererseits kann auch im Minkowskiraum ein beschleunigter Beobach-ter ein beliebig starkes Gravitationsfeld messen. Daher zeichnen wir einglobales Koordinatensystem {x0 = ct,~x = (xα)}, α= 1,2,3 aus und fordern,daß relativ zu diesem globalen Koordinatensystem die Geschwindigkeitengering sind, dxα

dt ¿ c.

(iii) Die Newtonsche Theorie kennt keine Dynamik des Gravitationsfeldes. Esgibt keine Gravitationswellen, eine Änderung z.B. der Position der Quellewird instantan auf das Fernfeld übertragen. Wir können die Korrespondenzzur Newtonschen Theorie daher nur im statischen Fall erwarten und fordern

∂tg i j = 0 (6.50)

7F. Pretorius, Binary Black Hole Coalescence, arXiv:0710.13388J. Natario, Relativity and Singularities - A Short Introduction for Mathematicians,arXiv:math/0603190

9J.L. Friedman, A. Higuchi, Topological censorship and chronology protection, arXiv:0801.0735

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(iv) Der Minkowskiraum löst die Feldgleichung fürs Vakuum (6.45) nur, wenndie kosmologische Konstante Λ verschwindet.

Im Energietensor der Quelle des Gravitationsfeldes ist in dieser Situation dieRuheenergie ρc2 absolut dominant gegenüber anderen Beiträgen wie Druck oderScheerspannungen. Wir setzen daher

T i j =

ρc2 0 0 00

000

. (6.51)

Also enthält nur die 00-Komponente der Einstein-Gleichungen einen Quellterm.Mit (6.44) ist

R00 = κ(T00 − 1

2g00T i

i

)(6.52)

und mit T ii = g i jT

i j = g00ρc2, g00 g00 = 1+O(h200) ist in niedrigster Ordnung in

hi j

R00 = κc2

2ρ (6.53)

Die Christoffelsymbole sind in linearer Ordnung in hi j gegeben durch

Γlki =

12η

l j (∂ih jk +∂khi j −∂ jhki

), (6.54)

insbesondere ist mit (6.50):

Γα00 =−12∂αh00 und Γ0

00 = 0, (6.55)

wobei griechische Indizes die rein räumlichen Komponenten bezeichnen. Glei-chung (5.165) liefert

R00 = R i0i0 = ∂iΓ

i00 −∂0Γ

i0i +Γi

miΓm00 −Γi

m0Γm0i (6.56)

Der zweite Term verschwindet wegen Zeitunabhängigkeit und die Terme quadra-tisch in Γ sind auch quadratisch in hi j. Damit und mit (6.55) wird

R00 =∂Γi

00

∂xi = ∂Γα00

∂xα=−1

24h00 (6.57)

In dieser Ordnmung ist R00 = R00 und mit (6.53) haben wir die NewtonscheFeldgleichung (6.46) in der Form

4h00 =−κρc2 (6.58)

erhalten. h00 spielt also bis auf einen Faktor die Rolle des Netonschen Gravitati-onspotentials φ. Un diesen Faktor zu ermitteln, brauchen wir die Bewegungsglei-chung. Dies ist die Geodätengleichung für die Weltlinie xi(τ)= (ct(τ), xα(τ)) einesTestteilchens:

d2xi

dτ2 +Γijk

dx j

dτdxk

dτ= 0 (6.59)

122

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Mitdx0

dτ= c

dtdτ

À dxα

dτfolgt die Näherung

d2xi

dτ2 + c2Γi00

(dtdτ

)2= 0. (6.60)

Die i=0-Komponente der Geodätengleichung zeigt wegen Γ000 = 0, daß d2 t

dτ2 = 0. Inder Newtonschen Näherung ist also die Eigenzeit der Geodäten (bis auf Normali-sierung) gleich der Zeitkoordinate. Wir teilen (6.60) durch dt

dτ und erhalten

d2xα

dt2 =−c2Γα00 (6.61)

und mit (6.55): ~a = c2

2∂αh00 (6.62)

Ein Vergleich mit der Newtonschen Bewegungsgleichung (6.47) zeigt

h00 =−2φ

c2 (6.63)

oder g00 =−(1+ 2φ

c2

)(6.64)

Ein Vergleich von (6.46), (6.58), (6.63) liefert schließlich die Kopplungskonstanteder Einsteinschen Feldgleichungen

κ= 8πG

c4 (6.65)

6.4 Symmetrien der Raumzeit

6.4.1 Killing-VektorfelderEine Lorentz-Mannigfaltigkeit hat offenbar eine gewisse Symmetrie, wenn manein Koordinatensystem finden kann, in dem der metrische Tensor g i j von einerKoordinate x j unabhängig ist. So ist z.B. eine Raumzeit stationär, wenn es eineWahl der Zeitkoordinate t gibt, für die

∂g i j∂t = 0 ist. Mit anderen Worten: Das

Vektorfeld ∂∂t erzeugt einen Fluß und die Metrik ändert sich bei Transport mit

diesem Fluß nicht.

Definition 6.4.1. Ein Vektorfeld k heißt Killing-Vektorfeld10 von (M, g), wenn Killingvektordie Lie-Ableitung der Metrik nach k verschwindet:

Lk g = 0. (6.66)

In Koordinaten bedeutet dies mit (5.109)[Lk g

]jk = ki

∂i g jk + (∂ jkl)glk + (∂kkl)g jl (6.67)

Wir ziehen im 2. und 3. Term die Metrik mit unter die Ableitung:

= ki∂i g jk +∂ jkk −kl

∂ j glk +∂kk j −kl∂k g jl (6.68)

und verwenden (5.194),um die partiellen Ableitungen der Metrik zu eliminieren:

=∇ jkk −∇kk j. (6.69)

10 nach Wilhelm Killing (1847-1923)

123

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Satz 6.4.2. Ein Vektorfeld k ist Killingvektorfeld genau dann, wenn es die Killing-Gleichung

∇ jkk −∇kk j = 0 (6.70)

erfüllt.

Bemerkung 6.4.3. Eine Koordinatenableitung k= ∂∂xm (d.h., ki = (0,0, ..,1,0, ..0)

mit einer Eins an m-ter Stelle) ist ein Killingfeld genau dann, wenn die Metrikin diesen Koordinaten nicht von xm abhängt.Bemerkung 6.4.4. Wir haben in Kapitel 5.5.2 gesehen, daß Vektorfelder lokaleinfinitesimale Diffeomorphismen erzeugen. Killing-Vektorfelder erzeugen infi-nitesimale Isometrien. Der Kommutator zweier Killing-Vektorfelder ist wiederein Killing-Vektorfeld. Damit bilden die Killing-Vektorfelder einer Mannigfaltig-keit eine Lie-Algebra. Dies ist die Lie-Algebra zur Lie-Gruppe der isometrischenIsomorphismen von (M, g).

Satz 6.4.5. Auf einer n-dimensionalen Mannigfaltigkeit (M, g) gibt es maximaln(n+1)/2 linear unabhängige Killing-Vektorfelder.

Bemerkung 6.4.6. Die Räume mit der Maximalzahl von Isometrien sind dieRäume konstanter Krümmung. In ihnen ist die skalare Krümmung R konstantund der Krümmungstensor läßt sich schreiben als

Ri jkl =R

2n(n−1)(g¯ g)i jkl (6.71)

Ri j =Rn

g i j (6.72)

In 3+1 Dimensionen sind dies

(i) Der De-Sitter-Raum11 mit konstant positiver Krümmung R > 0.

(ii) Der Minkowski-Raum mit R = 0. In kartesischen Koordinaten (t, x1, x2, x3)sind die 10 Killing-Vektorfelder die 4 Erzeugenden von Translationen ∂

∂t und∂

∂xi , die 3 Erzeugenden von Rotationen xi ∂

∂x j − x j ∂

∂xi und die 3 Erzeugenden

von Lorentz-Boosts t ∂

∂xi + xi ∂∂t .

(iii) Der Anti-De-Sitter-Raum mit konstant negativer Krümmung R < 0.

Der nächste Satz zeigt einen der Wege, auf denen Killing-Vektoren, also Symme-trien der Raumzeit, Erhaltungsgrößen definieren:

Satz 6.4.7. Sei c(t) eine Geodäte mit Tangentialvektor .ca(t) und k ein Killingvek-tor. Dann ist das Skalarprodukt K =k · .c = ka

.ca konstant längs c(t).

Beweis. Für die Richtungsableitung ∇.cK gilt

∇.cK = .ca∇a(kb.cb)= .ca .cb∇akb +kb

.ca∇a.cb = 0 (6.73)

Der erste Term verschwindet auf Grund der Killing-Gleichung (6.70) und derzweite Term wegen der Geodäten-Bedingung ∇.c

.c = 0.

Definition 6.4.8. Ein Vektorfeld v heißt Hyperflächen-orthogonal, wenn es eineHyperflächen-orthogonalFamilie von Hyperflächen f (xi) =const gibt, so daß die Integralkurven dieseFlächen überall senkrecht durchdringen. Mit anderen Worten: v ist überallproportional zum Gradienten

vi =λ ∂i f (6.74)

mit einer ortsabhängigen Funktion λ.11nach Willem de Sitter (1872-1934)

124

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Definition 6.4.9. Eine Raumzeit heißt stationär, wenn es ein zeitartiges Killing- stationärVektorfeld k gibt. Wir können dann Koordinaten wählen, in denen k = ∂

∂x0 ist

und somit die Metrik g i j unabhängig von x0 ist.

Definition 6.4.10. Eine Raumzeit heißt statisch, wenn es ein Hyperflächen- statischorthogonales zeitartiges Killing-Vektorfeld gibt. Dann ist es möglich, Koordinatenso zu wählen, daß

(i) die Metrik nicht von x0 abhängt und zeitorthogonaleKoordinaten

(ii) die g0i = g i0 für i = 1,2,3 gleich Null sind.

Eine solches Koordinatensystem heißt zeitorthogonal.

6.4.2 Rotverschiebung für stationäre BeobachterSei die Raumzeit stationär. Es gibt also einen zeitartigen Killingvektor k. ImFolgenden seien zeitartige Killingvektoren immer zukunftsgerichtet gewählt.

Definition 6.4.11. Ein Beobachter heißt stationär, wenn seine Weltlinie eine stationärer BeobachterFlußlinie des zeitartigen Killingfeldes ist.In zeitorthogonalen Koordinaten (k = ∂

∂x0 ) ist dies ein Beobachter mit festen

x1, x2, x3-Koordinaten.Eine Killing-Flußlinie ist im Allgemeinen keine Geodäte und ein stationärerBeobachter also kein frei fallender Beobachter.Der Geschwindigkeitsvektor v eines stationären Beobachters ist proportionalzum Killingvektor und hat das Längenquadrat -1. Also ist

va = ka√−kbkb

(6.75)

Der stationäre Beobachter A sende im Weltpunkt q1 ein Photon aus, das denstationären Beobachter B im Weltpunkt q2 erreicht. Dieses Photon habe denlichtartigen Impuls p. Für die Frequenz des Photons, die ein Beobachter mitGeschwindigkeit v mißt, gilt

~ω=−v ·p=−va pa, (6.76)

wie Nachrechnen im momentan mitbewegtem Inertialsystem, in dem v= (1,0,0,0)gilt, sofort zeigt. Ein stationärer Beobachter findet also

~ω=− ka pa√−kbkb

(6.77)

A B

q1

q2

Entlang der lichtartigen Geodäten, auf der sich das Photon bewegt, gilt nachSatz 6.4.7

ka pa = const. (6.78)

Damit gilt also für die Frequenzen, die A und B messen:

ωAωB

=√√√√ (−kaka)q2

(−kaka)q1

(6.79)

Dies ist die Formel für die von stationären Beobachtern gemessene Rotverschie-bung. In zeitorthogonalen Koordinaten ist k= ∂0, also ki = (1,0,0,0) und damitkaka = g00. Damit ist in zeitorthogonalen Koordinaten

125

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ωq1

ωq2

=√−g00(q2)√−g00(q1)

(6.80)

6.4.3 Killingfelder und Erhaltung von Energie und Impuls

6.5 Die Schwarzschild-LösungBemerkung 6.5.1 (zur Notation). Es ist in der Literatur zur ART üblich, denmetrischen Tensor in der Form des sogenannten Linienelements ds anzugeben.Eine euklidische Metrik gab = diag(1,1,1) wird als

ds2 = dx2 +d y2 +dz2 (6.81)

geschrieben. Der metrische Tensor

g =(

ex −2y−2y x2

)= exdx⊗dx−2y(dx⊗dy+dy⊗dx)+ x2dy⊗dy (6.82)

wird alsds2 = exdx2 −4y dx dy+ x2d y2 (6.83)

notiert. Man beachte den Wegfall der Tensorproduktzeichen und die Behandlungder nichtdiagonalen Elemente. Die linke Seite ist mathematisch ebenso fragwür-dig: Es gibt keine 1-Form ds, die quadriert den obigen Ausdruck ergeben könnte.Man sehe dies einfach als eine etablierte Kurzschrift für Metriken an.12

Die äußere Schwarzschild-Lösung13 beschreibt die Raumzeit außerhalb einerkugelsymmetrischen Masse.

Kugelsymmetrie ist gleichbedeutend mit der Existenz von drei linear unab-hängigen raumartigen Killing-Vektorfeldern ki, i = 1,2,3, deren Kommutatoren[kl ,km]= ε(l,m,n) kn erfüllen und deren Flußlinien geschlossene Kurven sind.Die Menge aller Punkte, die durch Killing-Flüsse von einem Punkt aus erreichbarsind, bilden eine raumartige Kugelfläche S2. Auf diesen Kugelflächen führenwir Kugelkoordinaten (θ,φ) ein. Die Menge dieser Kugeln ist parametrisierbardurch eine raumartige Koordinate r und eine zeitartige Koordinate t. DieseKoordinaten lassen sich so definieren, daß die Metrik die Form

ds2 =−A(t, r) dt2 +B(t, r) dr2 + r2(dθ2 +sin2θ dφ2) (6.84)

hat.14

Wegen des Faktors B(t, r) kann man r nicht mit dem richtigen Abstand zumMittelpunkt identifizieren. Es hat aber eine geometrische Bedeutung: Die Kugel-fläche r =const. hat die Fläche A(S2

r ) = 4πr2. Die Funktionen A und B müssennun durch Lösung der Einstein-Gleichungen für den leeren Raum

Rab = 0 (6.85)

gefunden werden.Wir machen zur Vereinfachung zwei weitere Annahmen:

12Die Idee dahinter ist, die Kurvenlänge einer Kurve xa(t) als∫

ds mit ds =√

gabdxa

dtdxb

dt dt zuschreiben. Diese 1-Form ds existiert allerdings nur auf der Kurve und nicht auf der ganzenMannigfaltigkeit.

13Benannt nach Karl Schwarzschild (1873–1916)14Die Bedingungen A(t, r)> 0, B(t, r)> 0 erfüllt man oft durch die Ansätze A(t, r)= eν(t,r)

und B(t, r)= eλ(t,r).

126

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(i) Die Metrik ist stationär, d.h., ∂∂t ist ein weiterer Killing-Vektor und A und

B sind nur von r abhängig. Aus der Form (6.84) folgt dann sogar, daß dieMetrik statisch ist, da sie keine Mischterme gtα,α= r,θ,φ enthält.

(ii) Die Raumzeit ist asymptotisch flach, d.h., für große r wird sie zurMinkowski-Metrik (in Kugelkoordinaten):

limr→∞ A(r)= lim

r→∞B(r)= 1. (6.86)

Damit sind die nichtverschwindenden Christoffelsymbole

Γrrr =

B′

2BΓr

tt =A′

2BΓrθθ =− r

BΓrφφ =− rsin2

θ

B(6.87)

Γθθr =Γφφr =1r

Γttr =

A′

2AΓθφφ =−sinθ cosθ Γ

φ

φθ= cotθ (6.88)

Hier ist A′ = ∂A/∂r und wir notieren von einem Paar Γijk = Γi

k j nur eine Hälfte.Für den Ricci-Tensor findet man, daß folgende Komponenten nicht verschwinden(und also durch geeignete Wahl von A und B zum Verschwinden gebracht werdenmüssen):

Rtt =A′′

2B− A′

4B

(A′

A+ B′

B

)+ A′

rBRrr =− A′′

2A+ A′

4A

(A′

A+ B′

B

)+ B′

rB(6.89)

Rθθ = 1− 1B

− r2B

(A′

A− B′

B

)Rφφ = sin2

θ Rθθ (6.90)

Man sieht

BRtt + ARrr =1

rB(A′B+B′A) (6.91)

und die Forderung, daß dies verschwindet, gibt also A′B+B′A = 0 und damitA(r)B(r)=const. Die asymptotische Bedingung (6.86) erfordert, daß diese Kon-stante gleich eins ist, also

B(r)= 1A(r)

. (6.92)

Die Gleichung Rθθ = 0 wird damit zu A−1+ rA′ = 0 mit der Lösung

A(r)= 1+ Cr

(6.93)

und der Integrationskonstanten C. Nachrechnen zeigt, daß (6.92) und (6.93) tat-sächlich alle Komponenten des Ricci-Tensors zum Verschwinden bringt. Um dieKonstante C zu interpretieren, vergleichen wir mit dem Newtonschen Grenzfall.Dieser sollte asymptotisch für große Abstände erreicht werden. A(r)=−g00 mußgegen (1+2φ/c2) gehen, wobei das Newtonsche Potential einer kugelsymmetri-schen Masse m bekanntlich φ = −Gm/r ist. Damit ist also C = −2Gm/c2. Wirführen noch die Bezeichnung

M = Gm

c2 (6.94)

ein (oder verwenden natürliche Einheiten mit G = c = 1) und schreiben schließlichdie Schwarzschild-Metrik als

ds2 =−(1− 2M

r

)dt2 + 1(

1− 2Mr

) dr2 + r2(dθ2 +sin2θ dφ2) (6.95)

127

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6.5.1 Birkhoff-TheoremMan kann die Rechnung auch ohne die beiden vereinfachenden Annahmen(i) und (ii) durchführen. Die dann entstehenden Differentialgleichungen fürA(t, r), B(t, r) haben überraschenderweise ebenfalls nur die Lösung (6.92) und(6.93). Dies ist der Inhalt des nach Birkkoff benannten Theorems:

Satz 6.5.2. Jede kugelsymmetrische Lösung der Einstein-Gleichungen im Va-kuum ist statisch und asymptotisch flach. Sie ist daher identisch zur äußerenSchwarzschild-Lösung.

Der überraschende Teil ist die Zeitunabhängigkeit. Dies bedeutet u.a., daßein kugelsymmetrischer Stern schrumpfen oder expandieren kann und solangedie Rotationssymmetrie nicht verletzt wird, bleibt das Außenfeld unverändert.Insbesondere werden von einem kugelsymmetrisch pulsierenden Objekt keineGravitationswellen abgestrahlt.

Des weiteren ist ein kugelsymmetrisches Außenfeld völig unabhängig von z.B.der inneren Beschaffenheit eines Sterns. Es ist durch den einen Parameter Mvollständig charakterisiert.

Eine Folge aus dem Birkhoff-Theorem ist, daß die Raumzeit im Inneren einerMetrik im Innereneiner Hohlkugel Hohlkugel flach ist: nach dem Birkhoff-Theorem muß sie auf Grund der Kugel-

symmetrie eine Schwarzschild-Metrik sein. Da sie bei r = 0 regulär sein muß,ist der Parameter M = 0. Also gilt im Inneren einer Kugelschale die Minkoswki-Geometrie. Wie auch in der Newtonschen Theorie gibt es im Inneren einerHohlkugel keine Schwerkraft.

6.5.2 Eigenschaften der Schwarzschild-Lösung1. Die Metrik (6.95) wird singulär, wenn r kleiner wird als der Schwarzschild-Schwarzschild-Radius

RadiusrS = 2M = 2

Gm

c2 . (6.96)

Der Schwarzschild-Radius der Sonne beträgt etwa 3 km, der Schwarzschild-Radius der Erde etwa 1 cm. Nun beschreibt (6.95) die Vakuumlösung einesmassiven kugelsymmetrischen Objekts. Wenn das Objekt einen Radiusr0 hat, ist sie sowieso nur gültig im Bereich r > r0. Solange wir uns aufObjekte mit r0 > rs, wie z.B. Erde und Sonne, beschränken, können wirdiese Singularität vorläufig ignorieren.

2. ki = (1,0,0,0) ist Killing-Vektor von (6.95). Ein stationärer Beobachter istalso ein Beobachter mit festen Koordinaten (r,θ,φ). Seine Eigenzeit τ hängtmit der Koordinatenzeit via

dτ=p−g00 dt =p

1−2M/r dt < dt (6.97)

zusammen, vgl. Kap. 6.4.2. Also gehen stationäre Uhren im Gravitations-feld langsamer, um so langsamer, je tiefer (kleineres r) sie sich befinden.

3. Räumliche Geometrie bei t =const.: Die Schnitte r =const. sind normaleKugeln S2. Wenn jedoch r variiert, variieren diese Kugeln anders alskonzentrische Kugeln im R

3. Der Abstand zwischen 2 Kugeln mit denOberflächen 4πr2 und 4π(r+dr)2 ist

dR = drp1−2M/r

> dr (6.98)

Eine Möglichkeit, diese räumliche Geometrie zu visualisieren, ist eine ArtSchlund, der auch Flammsches Paraboloid genannt wird.

Kugel mit Radius r+dr

dR > dr

Kugel mit Radius r

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4. Ein stationärer Beobachter hat die Geschwindigkeit

va = ka√−kbkb

=(

1p1−2M/r

,0,0,0). (6.99)

Damit ist seine Beschleunigung a=∇vv gleich

ai = v j∂ jv

i +Γijkv jvk =Γi

tt(vt)2 (6.100)

und mit dem einzigen nichtvwerschwindenden Γitt, nämlich Γr

tt = Mr2 (1− 2M

r ),wird

ai = (0,M

r2 ,0,0) (6.101)

Das entspricht genau der Newtonschen Erwartung: Ein stationärer Be-obachter muß seinen Raketenantrieb mit dieser Beschleunigung laufenlassen, sonst bleibt er nicht stationär sondern fällt auf die Masse M. Daßgenau die Newtonsche Beschleunigung herauszukommen scheint, ist al-lerdings ein Artefakt des Koordinatensystems. Ein besseres Maß ist derinvariante Betrag der Beschleunigung√

g i jaia j = M

r21p

1−2M/r(6.102)

Diese Größe nimmt asymptotisch für große r den Newtonschen Wert an,steigt allerdings für kleiner werdende r schneller als 1/r2 an und divergiertbei Annäherung an rS .

6.5.3 Geodäten der Schwarzschild-MetrikTestteilchen mit einer Ruhemasse 0 < m ¿ M bewegen sich auf zeitartigenGeodäten, Licht auf Nullgeodäten. Wir schreiben die Bahnkurve c(τ) mit einemaffinen Parameter τ als c(τ)= (t(τ), r(τ), θ(τ), φ(τ)).

Die Diskussion der Geodäten vereinfacht sich wesentlich durch Ausnutzungder vorhandenen Symmetrien. Die Kugelsymmetrie (3 raumartige Killingfelder)impliziert Drehimpulserhaltung, das zeitartige Killingfeld die Erhaltung derEnergie.

Auf Grund der Drehimpulserhaltung liegen die Bahnen in einer Ebene, senk-recht zum Pseudovektor des Drehimpulses. Ohne Einschränkung der Allge-meinheit können wir diese Ebene als θ = π/2 festlegen. Dann entspricht derKillingvekor ∂φ der Erhaltung des Betrags des Drehimpulses. Mit Satz 6.4.7erhält man als Erhaltungsgröße

L = gabka .cb = ∂φ · .c = r2 .φ= const. (6.103)

Ebenso liefert der zeitartige Killingvektor ∂t die Erhaltungsgröße

E = ∂t · .c =(1− 2M

r

) .t = const. (6.104)

Diese Erhaltungsgrößen repräsentieren Energie und Drehimpuls (pro Ruhemas-se des Testteilchens im Falle zeitartiger Geodäten). Das Längenquadrat desTangentialvektors der Bahnkurve ist

gab.c1 .cb =−

(1− 2M

r

) .t2 +

(1− 2M

r

)−1 .r2 + r2 .φ

2 = ε (6.105)

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mit ε=+1,0,−1 für raumartige, lichtartige bzw. zeitartige Geodäten. Wir benut-zen die Erhaltungsgrößen E und L, um

.φ und

.t aus (6.105) zu eliminieren:

−(1− 2M

r

)−1E2 +

(1− 2M

r

)−1 .r2 + L2

r2 = ε (6.106)

E2 = .r2 +(1− 2M

r

)(L2

r2 −ε)

(6.107)

E2 +ε2

=.r2

2+ Mε

r+ L2

2r2 − ML2

r3 (6.108)

Diese Gleichung beschreibt die eindimensionale Newtonsche Bewegung r(τ) einesTeilchens der Masse 1 mit einer Gesamtenergie

Eeff =E2 +ε

2(6.109)

in einem äußeren effektiven Potential

Veff (r)= Mε

r+ L2

2r2 − ML2

r3 (6.110)

Zeitartige Geodäten

Wir setzen ε=−1. Zu Gleichung (6.109) sei erinnert, daß die speziell-relativistischeEnergie ESRT = mp

1−v2ist. Damit wird 1

2

((ESRT /m)2 −1

)= 1

2v2

1−v2 ∼ 12 v2. Das

effektive Potential ist

Veff =−Mr

+ L2

2r2︸ ︷︷ ︸Newtonsches Veff

− ML2

r3︸ ︷︷ ︸ART-Korrektur

, (6.111)

geht also für große Abstände in das Newtonsche effektive Potential über.

Für L2 > 12M2 hat das Potential zwei lokale Extrema, ∂Veff∂r

∣∣r±

= 0, die einerinstabilen Kreisbahn mit Radius r− und einer stabilen Kreisbahn mit Radius r+entsprechen.

0 r

Veff

- - - Newtonsches Potential

r−

r+

Für L2 = 12M2 wird r+ = r− = 6M. Dieser Radius r = 6M ist die kleinste stabilekreisförmige Bahn (innermost stable circular orbit, ISCO).

Für L2 < 12M2 ist das effektive Potential stets anziehend und es gibt keinestabilen Orbits.

130

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0 r

Veff

ISCO

L2 < 12M2

L2 = 12M2

Abb. 6.5: Zeitartige Orbits15 (Geodäten) für L2 > 12M2

Gestalt der Orbits

Um die Gestalt der Geodäten zu finden, leiten wir eine Differentialgleichung fürdie Funktion r(φ)= r(τ(φ)) ab. Es ist

ddφ

r = ddφ

r(τ(φ))= drdτ

(dφdτ

)−1(6.112)

und mit r2 .φ= L also

.r = L

r2drdφ

(6.113)

Damit und mit der Substitution

u(φ)= 1r(φ)

, u′ = ddφ

u =− 1

r2drdφ

(6.114)

15Quelle: http://www.bun.kyoto-u.ac.jp/~suchii/eff.potent.html

131

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wird aus Gleichung (6.108)

u′2 +u2 = E2 +εL2 − 2εM

L2 u+2Mu3 (6.115)

Erneutes Differenzieren und Division durch u′ führt auf

u′′+u =−εML2 +3Mu2 (6.116)

Zeitartige Orbits. Sei ε=−1. Ohne den quadratischen Term ist die Gleichungu′′+u = M/L2 identisch mit der Orbitgleichung der Newtonschen Theorie. Diesehat bekanntlich unter anderem periodische Lösungen der Form.

u = 1l

(1+ ecos(φ)) mit l = L2

M, (6.117)

Das sind Ellipsen mit einem Aphel (sonnenfernsten Punkt) von l1−e und einem

Perihel (sonnennächsten Punkt) von l1+e .

Für große r À M ist die quadratische Korrektur 3Mu2 = 3M/r2 klein und wirbehandeln sie als kleine Störung. Sei u = u0+u1+. . . , wobei u0 die Lösung (6.117)der ungestörten (Newtonschen) Gleichung ist. Die Korrektur u1 ist durch dieGleichung

u′′+u = M

L2 +3Mu20, also (6.118)

u′′1 +u1 = 3Mu2

0 (6.119)

gegeben. Diese Gleichung hat die Lösung

u1 =3M3

L4

(1+ 1

2e2 − 1

6e2 cos(2φ)+ eφsin(φ)

)(6.120)

Der interessanteste Term ist der letzte. Dieser ist weder konstant noch periodischin φ, sondern er wächst bei jedem Umlauf φ→φ+2π an. Damit wird also irgend-wann mit wachsendem φ die Konsistenzbedingung u0 >> u1 verletzt. Trotzdemreicht diese Näherung, um den Haupteffekt der relativistischen Korrektur abzu-schätzen: Der Orbit ist keine geschlossene Kurve, es gibt eine Periheldrehung. Sei

Abb. 6.6: Periheldrehungder erste Periheldurchgang (r minimal, also u maximal) bei φ= 0. Der nächstePeriheldurchgang findet nicht bei φ= 2π, sondern erst bei φ̃= 2π+δφ statt. DieGleichung u′(φ̃)= 0 für den Periheldurchgang hat mit der Näherung δφ¿ 1, alsosin(δφ)= δφ, die Lösung

δφ= 6πM2

L2 . (6.121)

Für die Merkurbahn gibt dies einen Wert von δφ∼ 0,103′′ für die Periheldrehungpro Umlauf (88Tage), also δφ∼ 43′′/Jahrhundert, in Übereinstimmung mit denastronomischen Beobachtungen.

Nullgeodäten. Mit ε= 0 lautet die Bahngleichung

u′′+u = 3Mu2. (6.122)

Ihre Lösung läßt sich durch elliptische Integrale darstellen. Wir werden sie wie-der nur störungstheoretisch diskutieren. In 0. Ordnung haben wir die Gleichungu′′

0 +u0 = 0 mit Lösungen der Form

r(φ)

132

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Page 21: 6 Allgemeinen Relativitätstheorie – erste Schrittehellmund/GR/ch6.pdf · 6 Allgemeinen Relativitätstheorie – erste Schritte 6.1 Prinzipien der Allgemeinen Relativitätstheorie

u0(φ)= 1b

sinφ, (6.123)

also rsinφ= b. Dies sind Geraden, die das Zentrum mit einem Mindestabstandb passieren. In der nächsten Ordnung betrachten wir

u′′+u = 3Mu20 =

3M

b2 sin2φ (6.124)

mit der Lösung

u = 1b

(sinφ+ M

2b(3+cos(2φ))

)(6.125)

Die asymptotische Form dieser Lösung ist für r →∞, also φ∼ 0 oder φ∼π ist:

u =

1b

(φ+ 2M

b +O(φ2))

für φ∼ 01b

(π−φ+ 2M

b +O((π−φ)2))

für φ∼π (6.126)

Im Limes u → 0 wird also φ→−2M/b bzw φ→π+2M/b und der Ablenkwinkelder Lichtablenkung in der Schwarzschild-Raumzeit ist

δφ= 4M/b (6.127)

Für einen Lichtstrahl, der knapp den Sonnenrand passiert (b =Sonnenradius)ist δφ = 1,75′′, das berühmte Ergebnis der 1919 von Eddington in Westafrikabeobachteten Sonnenfinsternis.

Neben diesen schwachabgelenkten Nullgeodäten gibt es in einem starkenGravitationsfeld natürlich auch Bahnkurven, bei denen Photonen eingefangenwerden. Einen Überblick gibt Abb. 6.9.

Abb. 6.9: Lichtartige Or-bits17

Shapiro-Verzögerung

Die drei klassischen Effekte Periheldrehung, Lichtablenkung und Rotverschie-bung wurden schon von Einstein diskutiert. Erst 1964 machte Shapiro auf einenweiteren Effekt aufmerksam: in einer Schwarzschild-Raumzeit verlängert sichdie Laufzeit von Lichtsignalen.

Beim Vorbeiflug an einem massiven Objekt erfährt ein Licht- oder Radarsignaleine Verlangsamung des Zeitablaufs gemäß dτ = p−g00 dt und eine Verlän-gerung der Entfernungen im gekrümmten Raum gemäß dR = pgrr dr. Einentfernter Beobachter mißt also, daß der Lichtstrahl in der Nähe der Masse nurnoch eine Effektivgeschwindigkeit von

c(r)= c

√− g00

grr= c

(1− 2M

r

)(6.128)

hat. Dies führt zu einer Laufzeitverzögerung. Eine erste Messung mit Radar-signalen, die von der hinter der Sonne stehenden Venus reflektiert wurden,bestätigte den Effekt mit einer Genauigkeit von einigen Prozent. Als die Saturn-sonde Cassini im Jahr 2002 von der Erde aus gesehen hinter der Sonne stand,wurde die Laufzeitverzögerung ihrer Funksignale gemessen und die Vorhersagender ART mit einem Fehler < 10−5 bestätigt.

17Quelle: http://www.bun.kyoto-u.ac.jp/~suchii/eff.potent.html

133

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6.5.4 Innere Schwarzschild-LösungWir wollen die innere Schwarzschild-Lösung nur knapp skizzieren. Man starteterneut mit dem statischen kugelsymmetrischen Ansatz

ds2 =−A(r) dt2 +B(r) dr2 + r2(dθ2 +sin2θ dφ2). (6.129)

Für den Energie-Impuls-Tensor verwenden wir den einer durch Dichte ρ undDruck P vollständig charakterisierten “ideale Flüssigkeit", siehe Gleichung (6.28).Der einfachste Ansatz, der zu einer physikalisch sinnvollen Lösung führt, ist dieAnnahme konstanter Dichte und eines r-abhängigen Druckes. ρ =const, P = P(r):

T i j =

ρ 0 0 00

P(r) gi j(3)0

0

, (6.130)

wobei g(3) den räumlichen Teil der Metrik bezeichnet. Die entsprechende Lösungder Einstein-Gleichungen wird innere Schwarzschild-Lösung genannt.

Der Energietensor muß divergenzfrei sein, ∇aTab = 0. Wir können diese Be-dingung nicht explizit formulieren, bevor wir die Metrik kennen. Auf Grundder 2. Bianchi-Identität wird eine Lösung (gab,Tab) der Einstein-Gleichungenautomatisch einen divergenzfreien Energietensor enthalten. Im vorliegendenFall äußert sich dies darin, daß die Einstein-Gleichungen die DruckverteilungP(r) festschreiben werden.

Um eine vollständige Lösung für einen Stern mit Radius rS zu erhalten, mußman die innere Lösung für r < rS mit der äußeren Lösung für r > rS durchgeeignete Anschlußbedingungen bei r = rS verkleben. Der Energietensor ist beirS unstetig: T00 = ρ springt von einem endlichen Wert auf Null. Der Ricci-Tensormuß auch dieses Verhalten haben. Er enthält zweite Ableitungen der Metrik.Also kann man für die metrik höchstens g ∈ C1(M) fordern.

Diese Forderung ist erfüllbar. Sie führt zum beispiel zu der Anschlußbedingung,daß der Druck am Rand des Sterns gegen Null gehen muß, P(rS)= 0.

Mit der Abkürzung

F(r)=√√√√1− 2Mr2

r3S

(6.131)

findet man für die innere Schwarzschild-Lösung, die stetig differenzierbar aneine äußere Schwarzschild-Lösung anschließt,

ds2 =−(

32

F(rS)− 12

F(r))2

dt2 +F−2(r)dr2 + r2(dθ2 +sin2θdφ2) (6.132)

P(r)= 3Mc4

4πGr3S

F(r)−F(rS)3F(rS)−F(r)

(6.133)

Die Forderung P(r = 0)<∞, also 3F(rS)> F(0)= 1, liefert die Bedingung

rS > 98·2M (6.134)

Für Objekte, die diese Bedingung verletzen, existiert keine statische innereLösung mehr. Sie kollabieren zu einem schwarzen Loch. Eine genauere Analysezeigt, daß dieses Ergebnis auch richtig bleibt, wenn man die Bedingung ρ =const.fallen läßt.

Bemerkung 6.5.3. Der dreidimensionale Ortsraum

ds2(3) =

dr2

1−Cr2 + r2(dθ2 +sin2θdφ2) mit C = 2M/r3

S (6.135)

134

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der inneren Schwarzschild-Lösung hat eine besonders einfache Geometrie. Esist ein Raum konstanter positiver Krümmung. Damit wird der “Trichter” oder“Schlund” der äußeren Schwarzschild-Lösung bei rS durch eine Kugelhaubeabgeschlossen.Bemerkung 6.5.4. Ein Blick auf die Gleichungen (6.132) und (6.95) zeigt, daß∂grr∂r an der Stelle rS unstetig ist. Diese Unstetigkeit kann durch eine Koordina-

tentransformation behoben werden.

Wir haben bisher immer gefordert, daß die Karten eines Atlas offene Gebiete unddie Koordinatenwechselabbildungen auf den Überlapps glatte Funktionen sind. Indiesem Framework ist eine Aussage wie “Das Tensorfeld g ist C1, also mindestenseinmal stetig differenzierbar” natürlich koordinatenunabhängig. Hier jedoch ver-kleben wir zwei nicht offene Karten r ≤ rS und r ≥ rS “auf Kante”. Tatsächlichist die konstruierte Metrik g ∈ C1, wie man z.B. durch Einführung RiemannscherNormalkoordinaten auf r = rS nachrechnen kann. Aber auf Grund des verwendeten“singulären Atlas” erscheint die Funktion grr(r) als nicht stetig differenzierbar.

6.5.5 Visualisierung der gekrümmten Raumzeit

6.6 Schwarze Löcher

6.6.1 Freier Fall in der Schwarzschild-MetrikDie Verklebung einer inneren Schwarzschild-Lösung mit Materiedichte ρ undRadius R > 2M mit einer äußeren Schwarzschild-Lösung liefert ein singularitä-tenfreies Modell für die Raumzeit kugelsymmetrischer Objekte.

Was passiert mit einem Objekt, dessen Radius kleiner 2M ist? Die äußereSchwarzschild-Lösung

ds2 =−(1− 2M

r

)dt2 + 1(

1− 2Mr

) dr2 + r2(dθ2 +sin2θ dφ2) (6.136)

wird offenbar singulär bei r = 2M. Dies ist ein Koordinatensystem, welches anstationäre Beobachter angepasst ist. Ein solcher Beobachter mit (r,θ,φ)=const.muß in der Nähe des Schwarzschild-Radius r = 2M eine gegen Unendlich gehendeBeschleunigung (6.102) aufbringen, um in seiner Position bleiben zu können. Esist daher nicht verwunderlich, daß ein solcher beobachter eine singulär verzerrteMetrik sieht. Tatsáchlich ist die Singularität von (6.136) bei r = 2M eine reineKoordinatensingularität.

(i) Die Krümmung der Raumzeit ist bei r = 2M völlig regulär: In einer Vaku-umlösung ist Rab und R gleich Null. Eine andere Invariante ist z.B. derKretschmann-Skalar RabcdRabcd . Für die Schwarzschild-Metrik ist

RabcdRabcd = 48M2

r6 . (6.137)

Für genügend große M (supermassive schwarze Löcher) kann daher dieRaumkrümmung am Schwarzschild-Radius r = 2M sogar sehr klein sein.Es gibt allerdings bei r = 0 eine echte Singularität mit divergierenderKrümmung.

(ii) Ein frei fallender Beobachter erreicht den Schwarzschildradius in endlicherEigenzeit. Für radiale (Drehimpuls L = 0) zeitartige Geodäten lautet dieGeodätengleichung (6.108)

E2 −1= .r2 − 2Mr

. (6.138)

135

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Sei der Beobachter zu Beginn des Falls bei r = r0 in Ruhe. Dann ist alsoE2 = 1−2M/r0 und damit

.r2 = 2M(

1r− 1

r0

)(6.139)

Dies entspricht der Bewegungsgleichung für den freien Fall in der Newton-schen Theorie. Allerdings ist hier r nicht der physikalische radiale Abstandund die Zeit, nach der differenziert wird, die Eigenzeit des fallenden Beob-achters. Trotzdem ist damit klar, daß die Eigenzeit

∆τ=− 1p2M

∫ r1

r0

(r0r

r0 − r

)1/2dr (6.140)

für den Fall bis auf r = 2M sowie auch bis zum Zentrum r = 0 endlich ist,insbesondere wird die Singularität r = 0 in der Eigenzeit

∆τ= π

2

√r3

0

2M(6.141)

erreicht.

(iii) Vom Standpunkt eines stationären Beobachters bei r = rc aus gesehen ergibtsich ein völlig anderes Bild. Seine Eigenzeit ist bis auf einen konstantenFaktor

√1−2M/rc gleich der Koordinatenzeit t. Mit der Definition (6.104)

der Erhaltungsgröße E gewinnt man aus (6.138) die Bahngleichung desfallenden Beobachters in t zu

drdt

=−E−1(1− 2M

r

)(E2 −

(1− 2M

r

))1/2. (6.142)

In der Nähe des Schwarzschildradius verhalten sich die Lösungen dieserGleichung wie

r(t)∝ 2M+ e−t/2M . (6.143)

Für den stationären Beobachter erreicht der fallende Beobachter nie denHorizont r = 2M. Die Annäherung des fallenden Beobachters an r = 2Mwird immer langsamer. Auch werden Signale von diesem Beobachter mitimmer größerer Rotverschiebung empfangen. Vom stationären Beobachteraus gesehen ticken die Uhren des fallenden Beobachters immer langsamer.Er scheint mit der Annäherung an den Horizont vollständig “einzufrieren”.

6.6.2 Lichtkegel in der Schwarzschild-Metrik

Für lichtartige radiale Geodäten folgt mit L = 0,ε= 0 aus (6.108) und (6.104)

| .r| = E =(1− 2M

r

) .t (6.144)

und damitdrdt

=±(1− 2M

r

)(6.145)

mit der Lösung t =±(r+2M log

∣∣∣ r2M

−1∣∣∣)+C (6.146)

Radiale Lichtstrahlen haben damit in Schwarzschild-Koordinaten die Gestalt

136

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Auch ein Lichtstrahl erreicht den Schwarzschildradius nicht zu endlicher Koordi-natenzeit t.

Ein Koordinatensystem, welches bei r = 2M nicht singulär wird, sind z.B. die Eddington-Finkelstein-KoordinatenEddington-Finkelstein-Koordinaten. Sie sind so konstruiert, daß radial einfal-

lende Lichtstrahlen Geraden sind. Dazu führt man im Gebiet r > 2M eine neuezeitartige Koordinate

t̄ = t+2M log( r2M

−1)

(6.147)

ein. Damit ist

dt̄ = dt+ 2Mr−2M

dr (6.148)

und die Schwarzschild-Metrik wird zu

ds2 =−(1− 2M

r

)dt̄2 + 4M

rdt̄dr+

(1+ 2M

r

)dr2 + r2(dθ2 +sin2

θdφ2) (6.149)

Diese Metrik ist nicht nur bei r = 2M regulär. Sie ist für alle r > 0 regulär undliefert damit eine analytische Fortsetzung der Schwarzschild-Metrik vom Gebietr > 2M in das Gebiet r > 0.

Die Lichtkegel haben in Eddington-Finkelstein-Koordinaten die Gestalt

137

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. Eine Seite des Lichtkegels wird bei r = 2M vertikal. Der Lichtkegel kipptüber, wenn man den Schwarzschildradius unterscheidet. Von nun an laufen allezukunftsgerichteten licht- und zeitartigen Kurven zu kleineren Werten von r. Esgibt keinen physikalischen Weg, zu größeren Werten von r zurückzukehren oderauch nur r =const. zu halten.

Obwohl also der Schwarzschildradius für einen fallenden Beobachter lokalunauffällig erscheint, hat er eine globale Bedeutung: Er ist ein “point of noreturn”, ein sogenannter Ereignishorizont.Ereignioshorizont

Keinerlei Information, Licht oder Materie kann von der Raumzeit jenseits desHorizonts, welcher eine lichtartige Fläche (Nullfläche) bildet, zurückkehren.

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6.7 Axialsymmetrische stationäre Lösungen

6.7.1 Überblick

Nicht rotierend (J = 0) rotierend (J 6= 0)Nicht geladen (Q = 0) Schwarzschild (1916) Kerr (1963)Geladen (Q 6= 0) Reissner-Nordström (1916/18) Kerr-Newman (1965)

Tabelle 6.1: Wichtige (mindestens) axialsymmetrische stationäre und asympto-tisch flache Lösungen der Einstein-Gleichungen

Lösungen mit einer elektrischen Ladung berücksichtigen natürlich die Eigen-gravitation des elektrischen Feldes. Sie sind keine Vakuumlösungen, da imAußenraum das elektrische Feld zu einem nichtverschwindenden Energietensorführt.

6.8 GravitationswellenDie Frage nach der Existenz und Bedeutung von Gravitationswellen wurde langeZeit kontrovers diskutiert. Einstein selbst wechselte seinen Standpunkt im Laufeseines Lebens mehrfach.

Das Kernproblem ist die fehlende Möglichkeit, dem Gravitationsfeld einelokalisierte Energiedichte zuzuschreiben. Es gibt daher keine befriedigendeMöglichkeit, den Energiestrom einer Gravitationswelle zu definieren. Dennochbesteht heute weitgehende Einigkeit darüber, daß(i) Gravitationswellen existieren,(ii) ein Doppelsternsystem o.ä. duch Abstrahlung von Gravitationswellen Energie

verliert,(iii) und ein Gravitationswellendetektor Energie aus der Welle absorbieren kann.

6.8.1 Die Feldgleichungen der linearisierten TheorieEin schwaches Feld wird beschrieben (vgl. Kap. 6.3.3) durch eine geringe Abwei-chung von der Minkowski-Metrik ηi j = diag(−1,+1,+1,+1). Wir setzen

g i j = ηi j +hi j mit |hi j|¿ 1 (6.150)

und werden Christoffelsymbole, Ricci-Tensor etc. nur bis auf lineare Terme inhi j berechnen. In dieser Näherung ist es konsistent, Indizes mit der Minkowski-

139

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Metrik ηi j = ηi j zu heben und zu senken. Also sei

hi j = ηikη

jl hkl . (6.151)

Damit gilt für die inverse Metrik in linearer Ordnung

gi j = ηi j −hi j (6.152)

Mit Ausdruck (6.54) für die Christoffelsymbole und der in Kapitel 5.6.4 einge-führten Notation wird

R ijkl =Γi

jl,k −Γijk,l =

12η

im(hml, jk +h jk,ml −h jl,km −hkm, jl) (6.153)

Durch Spurbildung findet man hieraus Ri j und R und schließlich die linearisier-ten Feldgleichungen

Rmn −12

Rηmn =−12

(h , j

mn , j −ηmnhi , ji , j +ηmnhi j

,i j

+hii,mn −hi

n,mi −him,ni

)= κTmn

(6.154)

Der Ausdruck (. . . ) ,i,i ist der Wellenoperator � zur Minkowski-Metrik:18

�φ=φ,i,i = ηi j

∂i∂ jφ=[− ∂

2

∂t2 + ∂2

∂x2 + ∂2

∂y2 + ∂2

∂z2

]φ. (6.155)

Die linearisierten Feldgleichungen lassen sich vereinfachen, indem man zumFeld

fmn = hmn −12ηmnhi

i (6.156)

übergeht. Mit Lemma 6.3.5 ist diese Transformation umkehrbar

hmn = fmn −12ηmn f i

i . (6.157)

Das neue Feld läßt sich interpretieren als lineare Entwicklung der Dichte deskontravarianten metrischen Tensors19

√|det g| gmn = ηmn − f mn. (6.158)

Damit wird (6.154) zu

� fmn +ηmn f i j,i j − f i

n,mi − f im,ni =−2κTmn. (6.159)

Dies läßt sich durch geeignete Koordinatenwahl weiter vereinfachen. Unter einerKoordinatentransformation

x′i = xi +ξi(xn) (6.160)

transformiert sich

h′mn = hmn −ξm,n −ξn,m (6.161)

f ′mn = fmn −ξm,n −ξn,m +ηmnξi,i (6.162)

und insbesondere gilt für die Divergenz

f ′mn,n = f mn

,n −�ξm (6.163)

18oft d’Alembert-Operator oder in Anlehnung an Nabla (∇ ) auch Quabla genannt19denn det(η+h)= det(η)det(1+η−1h) und det(1+λA)= 1+λTr A+O(λ2)

140

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Sei ein fmn in einem bestimmten Koordinatensystem gegeben. Dann kann manimmer einen Koordinatenwechsel ξi finden, so daß f ′mn in den neuen Koordinatendie Bedingung

f ′mn,n = 0 (6.164)

erfüllt, indem man die Transformation so wählt, daß �ξm = f ,nmn ist. Diese

Freiheit, das Feld fmn zu ändern ohne daß sich die Physik ändert, ist analog zurMöglichkeit von Eichtransformationen in der Elektrodynamik. Deshalb nenntman die Forderung (6.164) auch Eichung, und zwar Lorentz- oder harmoni-sche Eichung. Sie legt das Koordinatensystem nicht vollständig fest: WeitereTransformationen mit �ξm = 0 sind möglich, ohne die Lorentz-Eichbedingung zuverletzen.

In der Lorentz-Eichung vereinfachen sich die linearisierten Feldgleichungenzu

� fmn =−2κTmn. (6.165)

6.8.2 Gravitationswellen in der linearisierten TheorieDie linearisierten Feldgleichungen in Lorentz-Eichung im Vakuum

� fmn = 0 (6.166)

haben die typische Struktur von Wellengleichungen im Minkowskiraum, hier fürein symmetrisches 2-Tensorfeld fmn. Ebene Wellen haben also die Form Ebene Wellen

fmn = A emn eik j xj, (6.167)

wobei die Amplitude A, der Polarisationstensor emn und der Wellenvektor knalle räumlich und zeitlich konstant sind.

Die Wellengleichung � fmn = 0 ist erfüllt, wenn der Wellenvektor kn lichtartigist. Schwache Gravitationswellen breiten sich also mit der durch die Hinter-grundsmetrik definierte Lichtgeschwindigkeit aus.

Die Eichbedingung f ,nmn = 0 liefert die Bedingungen enmkm = 0 an den Pola-

risationstensor. Die 10 Freiheitsgrade des (symmetrischen) Polarisationstensorwerden durch diese 4 Eichbedingungen eingeschränkt. Man könnte also anneh-men, daß eine ebene Gravitationswelle konstanter Frequenz 6 Freiheitsgrade(Polarisationszustände) hat. In den Wellen (6.167) sind allerdings noch reine Ko-ordinatenwellen enthalten, d.h., Wellen, deren Krümmungstensor verschwindetund die durch Koordinatenwahl beseitigt werden können. Wie oben bemerkt,läßt die Lorentz-Eichung noch Koordinatentransformationen x′i = xi + ξi mit�ξi = 0 zu. Wenn wir für die ξ

i eine ebene Welle mit demselben Wellenvek-tor kn wie unsere Gravitationswelle ansetzen: ξi = ξ̂i e

knxn, dann ändert sich der

Polarisationstensor gemäß

e′mn = emn − ξ̂nkm − ξ̂mkn +ηnmξ̂iki. (6.168)

Wir können die 4 Konstanten ξ̂n so wählen, daß für den Polarisationstensorgilt20:

e0n = en0 = 0 (6.169)

enn = 0 (6.170)

Mit der ersten Bedingung e0n = 0 wird aus der Lorentz-Eichung enmkm = 0 dieBedingung21 eαβkβ = 0, die Welle ist also transversal, sie schwingt im räumlichen

20wir lassen den Strich bei e′ wieder weg21griechische Indizes stehen für rein räumliche Indizes, laufen also nur von 1 bis 3

141

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R3 senkrecht zu ihrer Ausbreitungsrichtung. Die zweite Bedingung bedeutet, daß

die Spur des Polarisationstensors verschwindet. Diese zusätzlichen Eichbedin-gungen werden daher als TT-Eichung (transverse & traceless gauge) bezeichnet.TT-Eichung

Damit hat eine ebene monochromatische Gravitationswelle also nur noch 2Polarisationsfreiheitsgrade. Sei z die Ausbreitungsrichtung der Gravitationswel-le. Dann nimmt man als unabhängige Polarisationen häufig die ⊕-Polarisation,in der nur exx =−e yy ungleich Null ist, und sowie die ⊗-Polarisation, in der nurexy = e yx von Null verschieden ist.

Durch die Spurfreiheit ist hmn = fmn. Die Metrik einer Welle mit ⊕-Polarisationist daher

ds2 =−dt2 + (1+h⊕) dx2 + (1−h⊕) dy2 +dz2 (6.171)

mit h⊕ = A cos(ω(t− z)) (6.172)

Wenn eine solche Gravitationswelle durch ein Raumgebiet hindurchgeht, vari-ieren die Eigenlängen in x- und y-Richtung, also senkrecht zur Ausbreitungsrich-tung der Welle. In der z = 0-Ebene ist

Lx(t)= Lx,0

√1+h⊕(t) ∼ Lx,0

(1+ 1

2h⊕(t)

)= Lx,0

(1+ A

2cos(ωt)

)(6.173)

L y(t)= L y,0

√1−h⊕(t) ∼ L y,0

(1− 1

2h⊕(t)

)= L y,0

(1− A

2cos(ωt)

)(6.174)

Beim Durchgang einer Gravitationswelle wird der Raum also (in der Ebenesenkrecht zur Ausbreitungsrichtung) erst in eine Richtung gestreckt und inder anderen Richtung gestaucht. Dann wiederholt sich dieses mit vertauschtenRichtungen. Bei einer ⊗-polarisierten Welle sind die entsprechenden Richtungenum 45o geneigt, wie Abb. 6.10 zeigt.

Abb. 6.10: Links: Beschleunigungen einer Gravitationswelle, oben ⊕-Polarisation,unten ⊗-Polarisation. Rechts: die entsprechende Bewegung von Test-massen22.

Es laufen zur Zeit verschiedene Großexperimente (LIGO, VIRGO, GEO 600),um diese “ripples in the fabric of space” durch Laserinterferometer mit zweisenkrechten Armen nachzuweisen.

Abb. 6.11: VIRGO Detektor

22Quellen: http://www.physics.umd.edu/courses/Phys879/buonanno/index.html, http://www.learner.org/courses/physics/unit/text.html?unit=3&secNum=7

142

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Exakte Gravitationswellenlösungen

Es sind zahlreiche exakte Lösungen der Einstein-Gleichungen bekannt, dieGravitationswellen beschreiben.

Eine wichtige Familie sind die sogenannten pp-Wellen (planar waves withparallel rays), welche für schwache Felder (kleine Amplituden) in die oben be-schriebenen linearisierten ebenen Wellen übergehen.

Beispiel 6.8.1. Zu den pp-Wellen gehört zum Beispiel der Bonnor beam,23 dasGravitationsfeld eines unendlich ausgedehnten zylinderförmigen Lichtstrahls.

Beispiel 6.8.2. Ein anderes Beispiel ist der Aichelburg-Sexl boost,24 Diese exakteLösung beschreibt die gravitative Schockwelle, die ein Beobachter sieht, der mitfast Lichtgeschwindigkeit an einer kugelsymmetrischen Masse vorbeifliegt.

6.8.3 Entstehung von GravitationswellenDie inhomogenen linearisierten Feldgleichungen (6.165) haben die retardierteLösung

fmn(t,~r)= κ

∫ Tmn(~r′, t−|~r−~r′|)|~r−~r′| d3~r′ + f homogen

mn (t,~r) (6.175)

Ähnlich wie in der Elektrodynamik kann man das Fernfeld einer zeitabhängigenlokalisierten Quelle nach Multipolmomenten entwickeln. Der Monopolanteil hat(Birkhoff-Theorem 6.5.2) keinen Wellencharakter. Der Dipolanteil verschwindet(es gibt keine negatiben Gravitationsladungen). Damit ist der führende Term ineiner Fernfeldentwicklung von Gl. (6.175) der Quadrupolterm.

Der Energieverlust durch Gravitationswellenabstrahlung eines gravitierendenSystems mit dem Quadrupolmoment Qαβ ergibt sich zu

dEdt

=− G

5c5

⟨ ...Qmn

...Qmn⟩

, (6.176)

hängt also von der 3. Zeitableitung des Quadrupolmoments ab. Die eckigenKlammern bezeichen eine Mittelung über die Periode bei periodischer Bewegungder Quelle. Das Quadrupolmoment ist gegeben durch

Qαβ =∫

T00(x)(xαxβ−

13δαβ r2

)d3x mit r2 = x2

1 + x22 + x2

3 (6.177)

Für zwei sich auf kreisförmigen Bahnen im Abstand r umkreisende Massenm1 und m2 ergibt sich daraus die Strahlungsleistung zu

dEdt

=−32G4

5c5(m1m2)2(m1 +m2)

r5 (6.178)

Für das Erde-Sonne-System liefert dies eine gravitative Strahlungsleistungvon etwa 200W. Wie bereits in der Einleitung erwähnt (s. Abb. 1.8), ist dieAbnahme der Umlaufzeit des Pulsar-Neutronenstern-Systems PSR 1913+16durch den Energieverlust durch Gravitationswellenabstrahlung der bisher besteindirekte Nachweis für die Existenz von Gravitationswellen. Die gravitativeStrahlungsleistung dieses Doppelpulsars beträgt etwa 7×1024W. Auf Grund derhohen Exzentrizität der Bahnen ist dies etwa eine Größenordnung mehr, alsGl. (6.178) ergibt.

23William B. Bonnor, geb. 192024Roman Sexl, 1939-1986 und Peter Aichelburg, geb. ??25Quelle: http://science.gsfc.nasa.gov/663/research/

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Abb. 6.13: Gravitationswellenspektrum.25

Quellen starker Gravitationswellen mit Frequenzen von 1 Hz bis 1kHz kön-nen z.B. Supernovae, rotierende Neutronensterne oder Verschmelzungen vonNeutronensternen und schwarzen Löchern sein.

Im Frequenzband 10−4Hz. . . 1Hz erwartet man Gravitationswellen von kol-lidierenden supermassiven Schwarzen Löchern sowie von Doppelpulsaren undÄhnlichem.

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