38. verfahrenswahl bei der chirurgischen behandlung

8
Langenbecks Arch. Chir. 345 (KongreBbericht 1977) Langenl:~-~cks Archiv for Chirurgie © by Springer-Verlag1977 38. Verfahrenswahl bei der chirurgischen Behandlung des Gastroduodenalulcus M. Allg/Swer Department fiJr Chirurgie, Kantonspital, CH-4004 Basel Gastroduodenal Ulcer: Surgical Therapy Summary. In evaluating results after surgical therapy of gastroduodenal ulcer, lethality and recurrency rate are important criteria, but a third "quality of life" should be considered equally important. Proximal selective vagotomy seems to carry a very small lethality risk and extremely good "qualities of postoperative life." A minority of patients may need two "surgical steps" to achieve a good end result. The modified Burge test has been found useful in a prospective study. As to technical details, the denudation of the subdiaphragmatic esophagus over a distance of 5-6 cm seems paramount for achieving a good proximal vagal dener- vation of the acid-secreting area of the stomach. Key words: Ulcer, gastroduodenal, surgical therapy - Denervation, vagal. Zusammenfassung. In der Beurteilung chirurgischer Verfahren zur Behandlung des Gastroduodenalulcus soUte neben der Rezidivquote und der Letalit~it die Frage der postoperativen Lebensqualit~it vermehrt berticksichtigt werden. Bei der PSV bestechen geringe Letalit~it des Eingriffes und normale Lebensqualit~it ftir die groBe Mehrzahl der Patienten. Eine Minderzahl ben6tigt eine chirurgische Therapie ,,in 2 Schritten". Mit dem vagomotorischen Elektrotest (modifizierter Burgetest) k/Snnen h~iufig iibersehene kleine Vagus~iste festgesteUt werden. Die Denudierung des subdiaphragmalen Oesophagus ist sehr wichtig fiir den Erfolg, da dort zahlreiche Vagusfasern in die oesophageale Wand eintreten. Schliisselwiirter: Rezidivquote - Lebensqualit~it - 2-Schritt-Therapie. Ziel des heutigen Morgens ist die Erarbeitung einer m6glichst rationalen Verfahrens- wahl bei der chirurgischen Behandlung einer an sich gutartigen Entgleisung der nor- malen Magenfunktion - des peptischen Ulcus. Erwtinscht ist das Verfahren, das bei m/Sglichst geringer Letalit~it eine hohe Heilziffer erreicht. Den resezierenden Verfahren wird relativ hohe Letalit~it, den konservativen Verfahren hohe Rezidiv- zahlen zugeschrieben. Die sogenannte proximal selektive Vagotomie (PSV, resp.

Upload: m-allgoewer

Post on 10-Jul-2016

228 views

Category:

Documents


5 download

TRANSCRIPT

Page 1: 38. Verfahrenswahl bei der chirurgischen Behandlung

Langenbecks Arch. Chir. 345 (KongreBbericht 1977) Langenl:~-~cks Archiv for Chirurgie © by Springer-Verlag 1977

38. Verfahrenswahl bei der chirurgischen Behandlung des Gastroduodenalulcus

M. Allg/Swer

Department fiJr Chirurgie, Kantonspital, CH-4004 Basel

Gastroduodenal Ulcer: Surgical Therapy

Summary. In evaluating results after surgical therapy of gastroduodenal ulcer, lethality and recurrency rate are important criteria, but a third "quality of life" should be considered equally important. Proximal selective vagotomy seems to carry a very small lethality risk and extremely good "qualities of postoperative life." A minority of patients may need two "surgical steps" to achieve a good end result. The modified Burge test has been found useful in a prospective study. As to technical details, the denudation of the subdiaphragmatic esophagus over a distance of 5-6 cm seems paramount for achieving a good proximal vagal dener- vation of the acid-secreting area of the stomach.

Key words: Ulcer, gastroduodenal, surgical therapy - Denervation, vagal.

Zusammenfassung. In der Beurteilung chirurgischer Verfahren zur Behandlung des Gastroduodenalulcus soUte neben der Rezidivquote und der Letalit~it die Frage der postoperativen Lebensqualit~it vermehrt berticksichtigt werden. Bei der PSV bestechen geringe Letalit~it des Eingriffes und normale Lebensqualit~it ftir die groBe Mehrzahl der Patienten. Eine Minderzahl ben6tigt eine chirurgische Therapie ,,in 2 Schritten". Mit dem vagomotorischen Elektrotest (modifizierter Burgetest) k/Snnen h~iufig iibersehene kleine Vagus~iste festgesteUt werden. Die Denudierung des subdiaphragmalen Oesophagus ist sehr wichtig fiir den Erfolg, da dort zahlreiche Vagusfasern in die oesophageale Wand eintreten.

Schliisselwiirter: Rezidivquote - Lebensqualit~it - 2-Schritt-Therapie.

Ziel des heutigen Morgens ist die Erarbeitung einer m6glichst rationalen Verfahrens- wahl bei der chirurgischen Behandlung einer an sich gutartigen Entgleisung der nor- malen Magenfunktion - des peptischen Ulcus. Erwtinscht ist das Verfahren, das bei m/Sglichst geringer Letalit~it eine hohe Heilziffer erreicht. Den resezierenden Verfahren wird relativ hohe Letalit~it, den konservativen Verfahren hohe Rezidiv- zahlen zugeschrieben. Die sogenannte proximal selektive Vagotomie (PSV, resp.

Page 2: 38. Verfahrenswahl bei der chirurgischen Behandlung

230 M. Allgfwer

SPV) hat die Gem/Jter erregt, da einerseits blendende Erfolge, andererseits friihe Rezidivquoten von fiber 20% mitgeteilt wurden. Es schien deshalb dringend erfor- derlich, dab eine gr6Bere Gruppe von Spit~ilern mit einer Vielzahl von Chirurgen eine kontrollierte prospektive Studie mit der proximal selektiven Vagotomie unter- nehme. Wir waren heute in der Lage, Ihnen die Zweijahresresultate der grunds~itzli- c h e n - nicht der ausschlief31ichen - PSV-Anwendung an 5 deutschen, 1 franz6sischen und 2 schweizerischen Universit~itsspit~ilern mitzuteilen 1. Allerdings ist und bleibt unser Ziel die m6glichst vollst~indige Erfassung der 5-Jahres-Resultate.

Welches sind unsere Kriterien zur Verfahrenswahl und wie sind sie zu gewichten (Tabelle 1)? Sicher stellen Letalit~it und Rezidivh~ufigkeit sehr wichtige Kriterien dar - zu wenig wurde aber bisher auf die ,,Lebensqualit/it" nach den verschiedenen Behandlungsarten des Ulcus gefragt.

Tabelle 2 res/imiert die haupts~ichlichen Probleme des operierten Magens - vor allem im Hinblick auf die mehr oder weniger grol3e Beeintrachtigung der Lebensqua- lit~it. Angestrebt ist: keine metabolischen St6rungen durch beeintr~ichtigte Resorp- tion, kein Dumping, keine Diarrhoe und m6glichst keine Sp~itcarcinome. Die Tabelle zeigt, dal3 die PSV nach den bisherigen Beobachtungen, insbesondere in bezug auf Dumping und Diarrhoe, die Operation mit den geringsten unerw/inschten Abwei- chungen v o n d e r normalen Verdauung ist.

Nach dem heutigen Stand der Erfahrungen kann die Verfahrenswahl beim Ulcus duodeni und beim Ulcus ventriculi nicht von den gleichen Uberlegungen ausgehen. Zuerst mfchten wir uns mit dem Ulcus duodeni- sozusagen dem Hauptthema unseres Morgens - befassen. Vorerst seien Letalitiit und Rezidivquoten besprochen. Grfl3ere Statistiken, wie sie Johnston und auch wit selber zusammenstellen konnten, zeigen, dab die Letalit~it der proximal selektiven Vagotomie bei einer Vielzahl von Chirurgen bei elektiven Eingriffen unter 0,5 % liegt. In den 921 proximal selektiven Vagotomien unserer kooperativen Studie - Notf~ille eingeschlossen- verloren wir von 921 Patienten 11, was einer Letalit~it von ca. 1,2% entspricht. Etwas ungewil3 ist die Rezidivquote des Ulcus duodeni selber. Sie betr~igt bei uns nach 2-3j~ihriger Beobachtung 5 % eigentlicher Rezidive im Duodenum. Es kommen 1,7 % postopera- tiver Ulcera ventriculi hinzu, zusammen also 6,7% postoperativer Ulcera. Diese Zahlen - meine Damen und Herren - sind kumulativ und entstammen den endosko- pischen Nachkontrollen, welche in 75 % der Patienten durchgef/ihrt wurden. H/itten wir nur Patienten mit klinischen Beschwerden untersucht, so w~ire die Rezidivzahl unter 3 %.

Es ist unsere/iberraschende Feststellung, dab eine ganze Reihe solcher Ulcus- tr~iger klinisch beschwerdefrei war und dab eine betr~ichtliche Zahl dieser Rezidivul-

Kantonsspital Basel, Departement fiir Chirurgie (Prof. Dr. M. Allg6wer, Dr. C. M/iller, Dr. S. Martinoli) Tiefenauspita! Bern, Chirurgie (Prof. Dr. L. Eckmann, Dr. G. Baumgartner, Dr. Hoffmann) Chir. Universit/itsklinik Erlangen (Prof. Dr. H. Hegemann, Dr. E, Miihe) Chir. Universit~itsklinik und Poliklinik Freiburg i. Br. (Prof. Dr. M. Schwaiger, Dr. H. G. Hartung, Dr. Fiedler) Chir. Universit~itsklinik A, Diisseldorf (Prof. Dr. K. Kremer, Dr. G. Jacobs, Dr. U. Schacht) Chir. Klinik d. St~idt. Krankenanstalten, Krefeld (Prof. Dr. H. W. Schega, Dr. E.-W. vom Rath) Chir. Universit~itsklinik Miinchen (Prof. Dr. G. Heberer, Dr. V. Zumtobel) Centre hospitalier universitaire, Service de chirurgie g6n6rale 3 (Prof. Dr. L. F. Hollender, Dr. Marrie, Dr. Meyer)

Page 3: 38. Verfahrenswahl bei der chirurgischen Behandlung

Verfahrenswahl bei der chirurgischen Behandlung des Gastroduodenalulcus 231

Tabelle 1. Kriterien der Verfahrenswahl Letalit~it Rezidivhfiufigkeit ,,Lebensqualit~it"

Tabelle 2. Postoperative Probleme

Res. V + D SV + D PSV

Metabolische Probleme + + + + + + 0 Dumping + + + + + (+) Diarrhoe (+) + + + + + (+) Fundus-Ca + ? ? ?

Res: Resektion; V + D: Trunkul~ire Vagotomie in Verbindung mit Drainageoperation; SV + D: Selektive Vagotomie mit Drainageoperation; PSV: Proximale selektive Vagotomie (resp. SPV)

Tabelle 3. Mutmal31iche durchschninliche Letalitiit bei zwei Kollektiven von je 1000 Patienten mit Ulcera duodeni, die primiir entweder einer PSV oder einer Resektion unterworfen wurden - Notfiille eingeschlossen

t

PSV 1000 t 0,5-1,2% Rez. 10% (?) = 100 Reop. 50 t 4%

Res. 1000 t 2-6% Rez. 4% (?) = 40 Reop. 40 t 4%

5-12

2

7-14 20-60

2

22-62

cera spontan ausheilten. Reopera t ionen erfolgten bisher in 1,2% der F~ille! Das Rezidivu|cus nach PSV scheint demnach relat iv gutartig, w~ihrend das Rezidivulcus nach Resekt ion meist eine schwerere Krankhe i t bedeu te t als das prim~ire Ulcus. Tro tzdem soil die Zah l der Rezidivulcera nach PSV nicht bagatel l is iert werden.

Bringen wir die Kri ter ien der Letalit~it und der Rezidivulcera zueinander in Beziehung, so e rgeben sich einige interessante I]ber legungen.

In der Tabe | le 3 sind zwei theoret ische Kollekt ive von 1000 zur Opera t ion kom- menden Ulcera duodeni e inander gegen/ibergestel l t . Dabe i ist der PSV bewul3t eine relativ hohe Rezidivquote von 10% angelastet . 1000 PSV - inklusive Notf~i l le - werden eine Letalit~it von 5 -12 Pat ienten verursachen. Von den theoret ischen 100 Rezidivulcera mul3 im Maximum die H~ilfte reoper ier t werden mit e iner mutmaB- lichen Opera t ions le ta l i ta t yon 4%. Im Kollekt iv dieser 1000 PSV-Pat ien ten werden wit somit 5 -14 Pat ienten verl ieren, bei einer Rezidivquote yon 20% vielleicht 16 Pat ienten.

Page 4: 38. Verfahrenswahl bei der chirurgischen Behandlung

232 M. Allg6wer

Tabelle 4. Die gebriiuchlichsten intraoperativen Tests zur Priifung der Vollsti~ndigkeit einer Vagotomie

Vagomotorischer Elektrotest Leucomethylenblau (Lee) Kongorot pH-Test nach Grassi

Wird ein gleiches Kollektiv grundsiitzlich der Resektion zugefiihrt, so wird die Resektionsletalitiit mit 2-6 % 20-60 fatale Verliiufe ergeben. Nehmen wir die Rezi- divquote fiber die Jahre mit 4 % an - eine konservative Schiitzung - so werden davon 40 Patienten betroffen. Bei einer Letalitiit der Sekundiiroperation von 4% werden wir somit gesamthaft in diesem Kollektiv zwischen 22 und 62 Patienten verlieren. Die Gesamtletalitiit bei grunds~itzlicher Anwendung der Resektion dfirfte somit etwa 2 bis vielleicht 3mal h6her liegen als bei einem prim~ir proximal selektiv vagoto- mierten Kollektiv. (Nehmen wir alle Patienten unserer kooperativen Studie, die darin eingeschlossenen und die ausgeschlossenen zusammen, so sind dies 921 Patienten mit EinschluB aller Notf~ille. Davon verloren wir 11 Patienten, das ist 1,2%.)

Die proximal selektive Vagotomie ohne Drainageoperation daft heute unter ge- wissen Voraussetzungen als bew~ihrtes Verfahren zur allgemeinnen Anwendung empfohlen werden. Drainageoperationen sind nur bei klinisch relevanten Stenosen erforderlich. Die von Herrn Holle vorgebrachten, theoretisch wohl begrfindeten Bedenken gegen die PSV ohne Pyloroplastik - n~imlich das unl6sbare Dilemma, zwischen inad~iquater Vagotomie oder gest6rter Magenentleerung w~ihlen zu mfissen,- haben sich in der Klinik gliJcklicherweise als unbegr/indet erwiesen.

Wesentliche Voraussetzungen der erfolgreichen PSV ist die vollst/indige vagale Denervierung des proximalen Magens und des gesamten subdiaphragmalen Oeso- phagus auf eine Strecke yon mindestens 4, vorzugsweise abet 6 cm. Die Arbeiten von Nadjafi zeigen den Grund: In den untersten Oesophagus strahlen zahlreiche ~ste des vorderen und hinteren Vagus ein und gehen in der Oesophaguswandung zum Magen.

Bei der Definition des ,,proximalen Magens" erhebt sich die Frage, ob die Antrumgrenze auf anatomische Kriterien oder dutch die funktionelle pH-Grenze unter Pentagastrinstimulation festgestellt werden soil. Nachdem wit feststellen muBten, dab aboral einer einwandfreien pH-Grenze histologisch noch recht zahl- reiche Parietalzellen vorhanden sein k6nnen, scheint uns die kompliziertere Antrum- bestimmung mit der pH-Sonde gegenfiber der anatomischen Einteilung keine Vor- teile zu bieten und wir orientieren uns am sogenannten Kr~ihenfuB des Latarjetnerven im Bereich des Magenangulus.

Wie ist die Vollst~indigkeit der vagalen Denervierung des proximalen Magens zu fiberprfifen? Es ist klar, daB nur intraoperative Teste eine Korrektur des individu- ellen Resultates erm6glichen. Die Ausffihrungen von Jakobs u. Mitarb. haben ge- zeigt, dab der vagomotorische Elektrotest beim relativ ungefibten Operateur in fiber der H/ilfte der F~ille und beim Gefibten immer noch in einem Ffinftel der F~ille fibersehene Vagusfasern nachweisen l~iBt. Obwohl die klinische Relevanz dieser kleinen Fasem nicht ohne weiteres belegbar scheint, widerspricht es der Logik, nicht jede M6glichkeit zu benutzen, eine Vagotomie vollst~indig zu machen. Zur Schulung wie auch zur Routineoperation halten wir deshalb den intraoperativen

Page 5: 38. Verfahrenswahl bei der chirurgischen Behandlung

Verfahrenswahl bei der chirurgischen Behandlung des Gastroduodenalulcus

D/./ Hinter- ,~--, /kj~'~,/ ~ I wand - l ' ~ ~ l utcu ...

233

Utcus-Btutung

;!

AI)I). I. Vorgehen beim blutenden Ulcus duodeni der Hinterwand: Duodenotomie m6glichst ohne Pylorusdurchtrennung. Durchstechungen der zufiihrenden GeliiBe von beiden Seiten und insbeson- dere von der Tiefe durch ,Bodennaht"

vagomotorischen Elektrotest f/Jr empfehlenswert. Der aus vielen Vorversuchen her- vorgegangene Vagorec hat sich uns als zuverl~issig erwiesen.

Die intraoperative Kontrolle auf Vollst~indigkeit mit dem Leukomethylenblau, dem Kongorot sowie mit der intagastrischen pH-Sonde haben sich uns im klinischen Alltag nicht geniigend bew~ihrt. Allerdings messen wir der Beobachtung von Grassi wissenschaftliches Interesse bei und glauben, dab dieses Ph~inomen weiter abgekl~irt werden sollte.

Wie ist die Verfahrenswahl beim komplizierten Ulcus duodeni? Bei der Perforation scheint uns die oval~ire Excision mit querem VerschluB in

Verbindung mit PSV das Vorgehen der Wahl. Bei dem blutenden Hinterwandulcus empfiehlt sich ebenfalls die Er6ffnung des Duodenums ohne Durchtrennung des Pylorus, die Anlage von mindestens 3 Sperrn~ihten - davon eine als Bodennah t - und die anschlieBende PSV (Abb. 1).

Page 6: 38. Verfahrenswahl bei der chirurgischen Behandlung

234 M. Allgfwer

Ist die PSV beim Ulcus duodeni ausnahmslos indiziert, resp. empfehlenswert? Die Antwort lautet: nein. Nicht empfehlenswert ist die PSV unter Umst~inden beim sehr Adip6sen. Bei diesem Patienten daft auch eine etwas geringere Resorptionslei- stung nach Magenresektion in Kauf genommen werden. Abzuraten ist von einer PSV-auch mit Draninageoperation-, wenn ein gro6es, ,,amputierendes" Duodenal- ulcus entweder akzidentell oder wegen Blutung er6ffnet wird. Versucht man, ein solches ,,amputiertes Duodenum" mit dem Magen in Kontinuit~it zu lassen, resp. zu bringen, so resultiert oft entweder eine Stenosierung oder eine Nahtinsuffizienz der Pyloroplastik. Solche ,,Ulcera permagna" sollten mit dem Duodenalversehlul3 nach Nissen in Verbindung mit einem Billroth II behandelt werden. Dies l~il3t uns unterstreichen, dab der Chirurg von seiner Ausbildung her alle Verfahren - den Bill- roth I, den Billroth II sowie die PSV mit oder ohne Drainageverfahren - einwandfrei beherrschen sollte.

Abzulehnen ist praktiseh ausnahmslos die trunkuliire Vagotomie in Verbindung mit Drainage. Sie hat sich uns als sogenannte ,,rasche L6sung" bei prek~iren Notfallen nicht bew~ihrt. Nicht empfehlenswert scheint uns auch die trunkul~ire Vagotomie in Verbindung mit der Antrektomie. Sie verbindet ein relativ hohes Operationsrisiko mit allen Gefahren der trunkul~iren Vagotomie. Allerdings bietet sie den Vorteil sehr geringer Rezidivraten.

Wir kommen zum Schlul3, dab beim Ulcus duodeni eine relativ einheitliche Ernp- fehlung zur kunstgerechten proximal selektiven Vagotomie mit intraoperativer Voll- st~indigkeitskontrolle gegeben werden kann. Schon jetzt daft festgehalten werden, dal3 die alarmierenden Berichte fiber eine hohe Zahl von Friihrezidiven auf ungenii- gende Technik - insbesondere am subdiaphragmalen Oesophagus - zur/ickzuf/ihren sind. Ziel einer optimalen Ulcusoperation ist nicht vor allem die Rezidivfreiheit, sondern eine m6glichst hohe Zahl beschwerdefreier Patienten. F/ir die grol3e Mehr- zahl f/ihrt die korrekte PSV bei minimalem Operationsrisiko zum Ziel. F/Jr eine Minderheit von 2-10% sind dafiir unter Umst~inden 2 Eingriffe notwendig.

Die resezierenden Verfahren lassen nach wie vor eine gute Ulcusheilung er- warten. Der individuelle Chirurg mul3 dabei die Letalit~it der Resektion in seiner Institution sowie die H~iufigkeit des postoperativen Dumpings mit in das Kalk/il seiner Indikationsstellung einbeziehen und dazu wissen, dai3 er mit seiner Resektion sicher keine Careinomprophylaxe, sondern beim jungen Menschen vielleicht in einem ge- wissen Mal3e eher eine cancerogene Operation durchf/ihrt. Das Risiko des Stumpf- carcinoms 15-20 Jahre sp~iter ist unverkennbar, aber doeh nicht so hoch, dal3 daraus eine Ablehnung der resezierenden Verfahren allein abgeleitet werden diirfte.

Im Gegensatz zum Ulcus duodeni lautet unsere Empfehlung beim Ulcus ventriculi grunds~itzlich auf 1/2-Resektion und Rekonstruktion im Sinne des Billroth I.

Welches sind die ~berlegungen, die zu dieser grunds~itzliehen Stellungnahme fiihren? Fr/iher wurde oft mit der hohen Carcinomsincidenz argumentiert. Die heu- tige pr~ioperative endoskopisehe Beurteilung und Biopsie hat die H~iufigkeit des ,,1]berrasehungsearcinoms" auf unter 1% der F~ille absinken lassen. Geht man yon einer Resektionsmortalit~it von 1-2 % aus, so bietet das fibersehene Carcinom keinen hinl~inglichen Grund mehr, um die Resektion beim Ulcus ventriculi den nicht-rese- zierenden Verfahren vorzuziehen. F/Jr die Resektion spricht die Tatsache, dab das Ulcus selber nur ein Symptom einer diffusen antralen Erkrankung darstellt. Schon Konjetzni hat auf die diffuse Ver~inderung des ulcuskranken Magens hingewiesen.

Page 7: 38. Verfahrenswahl bei der chirurgischen Behandlung

Verfahrenswahl bei der chirurgischen Behandlung des Gastroduodenalulcus 235

Abb. 2. Links: Antralwandung eines Ulcus ventriculi-Magens mit ausgesprochener ulcusferner Ver- dickung s~imtlicher Wandschichten, insbesondere der Muskulatur. Rechts: Antralwandung eines ma- gengesunden Organspenders

In unserer Arbeitsgruppe hat Frau Liebermann sich der miihevollen Aufgabe unter- zogen, entsprechende quantitative Untersuchungen an einer gr6Beren Zahl yon Ulcus- m~igen anzustellen. Abbildung 2 zeigt Schnitte durch die Antralwand eines normalen und eines UIcusmagens. Im Operationssaal werden solche Befunde leicht iibersehen, wenn man nicht darauf achtet. Es ist einleuchtend, daf3 eine rationale Antwort auf die diffuse Antralerkrankung die Resektion der distalen Magenh~ilfte und die Re- anastomosierung des proximalen Magens mit dem Duodenum ist.

Warum bleibt die PSV beim Ulcus ventriculi trotzdem in Diskussion? Folgende Griinde sind dabei anzufiihren: - Auch das Ulcus ventriculi entsteht nicht ohne Sfiureeinwirkung. - Beim Ulcus ventriculi 16st die vagale Reizung eine sehr starke Kontraktion des

Magens aus und dies mag seine pathogene Bedeutung haben. - Die histologisch feststellbaren Ver~inderungen an Muskel und Nervenzellen

scheinen bis zu einem gewissen Grade reversibel.

Page 8: 38. Verfahrenswahl bei der chirurgischen Behandlung

236 M. Allgrwer

Die Anwendung der PSV beim Ulcus ventriculi sollte einstweilen auf Zentren mit enger Nachkontrolle der operierten Patienten beschr~inkt bleiben.

F/Jr kornplizierte Magenulcera, d .h . das blutende und das perforierte Ulcus, gelten die gleichen l]berlegungen wie fiJr das gew6hnliche Ulcus ventriculi. Nicht empfehlenswert bei Ulcus ventriculi sind die trunkul~ire Vagotomie und die Ant rek- tomie oder trunkul~ire Vagotomie mit Pyloroplastik.

Wir fassen zusammen: U m dem Kollekfiv chirurgisch zu behandelnder Ulcera duodeni eine opt imale Lebensqualit~it zu verschaffen, resp. zu erhalten, scheint uns als erster und meist endgfiltiger Schritt die PSV das Verhalten der Wahl. Eine Minder- heit zwischen 2 und 10% bedarf allerdings eines zweiten Schrittes, resp. zweiten Eingriffes - meist der Ant rek tomie - u m von dem Ulcusleiden befreit zu werden. Leider gibt es keine pr~operativen Teste, um diese Gruppe schon beim ersten Eingriff zu erfassen. Wir glauben, dab die grunds~itzliche Anwendung der PSV und die Beja- hung der Behandlung einer Minderheit in zwei Schritten ffir das Gesamtkol lekt iv der chirurgisch zu behandelnden Ulcera duodeni deutliche Vorteile in bezug auf Lebensqualit~it mit sich bringt.

Literatur

Alexander-Williams, J., Cox, A. G. (Eds.): After vagotomy. London: Butterworth 1969 Amdrup, E., et al.: Clinical results of parietal cell vagotomy (highly selective vagotomy) two to

four years after operation. Ann. Surg. 180, 3 (1974) Burge, H.: Vagotomy. London: Edw. Arnold 1964 Clark, Charles G.: Advances in treatment of peptic ulcer. World J. Surg. 1, 1-52 (1977) Cox, A. G., Alexander-Williams, J. (Eds.): Vagotomy on trial. London: Heinemann 1973 Grassi, G., et al.: Early results of the treatment of duodenal ulcer by ultraselective vagotomy without

drainage. Surg. Gynec. Obstet. 136, 726 (1973) Grassi, G., et al.: Vagotomie supersrlective et test acido-srcrrtoire peroprratoire. J. Chir. (Paris) 107,

275-282 (1974) Holle, F.,Andersson, S. (Eds.): Vagotomy. Latest advances with special reference to gastric and duo-

denal ulcers disease. Berlin-Heidelberg-New York: Springer 1974 Holle, F., et al.: Clinical results of selective proximal vagotomy (S.P.V.) in gastro-duodenal-ulcer

(GDU). Langenbecks Arch. Chir. 330, 197-208 (1972) Kennedy, T., et al.: Proximal gastric vagotomy: Interim results of a randomized controlled trial. Br.

Med. J. (1975) Liebermann-Meffert, D., Allgrwer, M.: The morphology of the antrum and pylorus in gastric ulcer

disease. Prog. Surg. 15, 109-139 (1977) Nadjafi, A.: Die Schichtvagotomie unter Umgehung des Omentum minus aufgrund anatomischer

Untersuchungen (1). Chir. Praxis 16, 45-52 (1972)